Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 19
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. Von
Leopold Schefer 1
Der Enten-Piet. Von Walter Tesche 121
Hugideo. Von Joseph Victor Scheffel 237
Reich zu reich und arm zu arm. Von Claire von
Glümer 255
Der Enten-Piet.
Von Walter Tesche.
Walther Tesche im Jahre 1795 geboren, lebte als Rittergutsbesitzer auf Ottmuth bei Cosel und starb am 20. April 1848.
Trotz vielfacher Bemühungen ist es uns nicht gelungen, Näheres über das Leben und den Entwicklungsgang des talentvollen Mannes zu erfahren, von dessen erzählenden Dichtungen das Meiste bereits verschollen ist, so zwar, daß auch das Charakterbild des Schriftstellers schwer aus dem zerstreuten Nachlaß sich zusammenstellen ließe. Im Allgemeinen scheint sein Naturell sich am glücklichsten in kleineren Aufgaben, wie die von uns ausgewählte Novelle, entfaltet zu haben, wo ein stark ausgeprägter landschaftlicher Hintergrund und charakteristische fremdartige Culturformen die Stimmung erhöhen. Die größeren socialen Lebensbilder sind nicht frei von einer gewissen Trivialität, während eine Novelle, wie „der Enten-Piet“, dem Besten in dieser Gattung verglichen werden darf. Wir erwähnen von Walter Tesche hier noch die „Erzählungen aus dem Bergischen“. 2 Theile (Pest. Heckenast 1847); „Walowna“ (Breslau. U. Kern. 1847); „Bilder aus Schlesien. Die Rose von der Pzerwa“ (Brockhaus 1847); „die Majorats-Urkunde“. Novelle (Breslau. U. Kern 1848) und „Eine Renten-Speculation“. Novelle. (Breslau Graß Barth und Co. 1850).
I. Die abgeschlagene Bitte. Unsern Blick auf einen weiten Landsee in dem wasserreichen Holland richtend, betrachten wir jenen kleinen Nachen, der, von kräftigen Ruderschlägen eines jungen Landmannes getrieben, über den glatten, im Sonnenglanze blendend schimmernden Wasserspiegel dahin fliegt. — Das Auge vermag die niedrigen, mit den Fluten am fernen Horizont verschwimmenden Ufer kaum zu erkennen, und der Beschauer zweifelt, ob die Spitzthürme der Stadt Gouda — welche dort rechts aus einer Bucht in den blauen Aether ragen — aus dem Wasser auftauchen oder in den niedrigen Wiesengründen dahinter liegen. Viele langarmige Windmühlen und spitzige Dorfkirchthürme neben rothen Hausdächern umgürten den ruhigen See. Außer diesen reizlosen Punkten wird die Monotonie der holländischen Wasserlandschaft nur von einigen buschigen Baumkronen, welche das nickende Schilfrohr überragen, unterbrochen, und der einzige Schmuck des Bildes ist ein sonnenleuchtender Himmel, dessen lichtes Blau sich dunkler in dem klaren, aber von seinem schlammigen Grunde braun schimmernden Wasser spiegelt. So kann unsere Aufmerksamkeit
ungestört bei dem schönen jungen Ruderer im kleinen Nachen verweilen. Wir bemerken zuerst seine überaus einfache, reine Kleidung; sie besteht aus einer schwarzen Manchesterjacke und weißen Pantalons, ohne Weste; denn das blendend weiße Hemd ist um den Hals nur mit einem bunt seidenen Halstuch geschlungen. Ihn genauer betrachtend, ruht unser Blick mit Wohlgefallen auf dem kräftig blühenden Jünglingsantlitz, das unter einem breit umrandeten schwarzen Hute, von langen blonden Locken bis auf den Nacken umhangen, mit hellblauen Augen uns treu und gradherzig anschaut. Seine dunkelrothen freundlichen Lippen und das markige bräunliche Kinn ziert ein blonder lockiger Bartflaum, den noch kein Rasirmesser berührte. — Auf der Bank vor dem rastlos Rudernden liegt, über den Rand des kleinen Bootes hinaus ragend, eine lange Entenflinte schußbereit. Die Gewandtheit, womit der Jüngling das Boot regiert, und sein hübsches Matrosencostüm könnten ihn als Seemann bezeichnen; aber sein Auge hatte das Meer noch nicht erblickt und sein Fuß außer den Baken und Schuiten des Goudasee's noch kein Schiff betreten; denn er war ein Sohn des reichen Polder Bauern Hendrik Zorg, dessen Käsefabrik eine der festesten Stützen im Rufe der berühmten Goudaer Käse bildete.
Der Nachen erreichte jetzt ein Labyrinth kleiner, mit hohem Schilfrohr bedeckter Inseln, die, in der Mitte des Landsee's liegend, durch viele schmale Wasserpfade von einander sich trennten. Der Jüngling schien mit
diesen verschlungenen Pfaden sehr vertraut; denn er trieb sein Boot an einer Stelle in das hohe Röhricht, wo ein Unkundiger kaum eine Lücke in der grünen Wand entdeckt hätte. Der beengte Raum gestattete jetzt nicht mehr den Gebrauch der weit über Bord ausgreifenden Ruder; aufstehend, handhabte der Jüngling eines der Ruder als Stange, womit er, auf den seichten Wassergrund stoßend, den Nachen vorwärts bewegte; das nickende Schilf wölbte sich über seinem Haupte, daß er wie in einem Laubgange dahin fuhr. — Ein schrilles, lang gedehntes Pfeifen gellte in der Luft; der Jüngling horchte, und mit blitzenden Augen spähend, hielt er sein Boot an. Ein Regenpfeifer, groß wie ein Reiher, zog hoch oben heran; unschlüssig ergriff der leidenschaftliche Jäger seine lange Flinte; doch die Versuchung, den seltenen, scheuesten aller schnepfenartigen Vögel zu erlegen, und der Zweifel, ob sein gutes Gewehr die Schroten so weit hinauf tödtend tragen möchte, waren zu reizend — mit der blitzschnellen Fertigkeit eines Becassinenschützen legte er an, gab zugleich Feuer, und mit gebrochenen Schwingen stürzte der köstliche Vogel, ein Todesgekreisch ausstoßend, herab. Aufgeschreckt von dem Schuß und dem schrillen Angstruf, erhoben sich plötzlich rauschend aus dem stillen Röhricht viele tausend Enten unter betäubendem Gebrause und Schreien, die Sonne wie eine Wolke verfinsternd. Dadurch war jedoch des Jünglings Achtsamkeit von dem Regenpfeifer nicht abzulenken; er verfolgte seine herabstürzende Beute mit Falkenblicken, und,
genau die Stelle im Auge behaltend, wo der Vogel ins Röhricht gefallen, stieß er sein Boot durch das dichte Schilfrohr dorthin. Plötzlich schrie neben ihm eine rauhe, grollende Stimme:
Halt da! — Oder du nichtsnutziger Stöber hast zum Letztenmal stillen Leuten das Tagwerk verdorben!
Piet! rief der Jüngling, verwundert um sich blickend; aber erst nach einigem Suchen entdeckte er die auf einem Schilfneste hockende Gestalt des scheltenden Mannes. Ah, da sitzt er! Wahrhaftig, wie der Schilfmann! — Gut, daß ich dich finde, Piet, das spart mir die Fahrt zu deiner alten Mutter Lora.
Er hatte während dieser Rede sein Boot mühsam bis zu dem Nesthocker vorgeschoben; die Beiden befanden sich jetzt in dem Rohrdickicht neben einander. Piet saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Wasser unbeweglich in seinem trockenen Schilfneste; seine kleinen, runden Augen funkelten grimmig unter einem strohgelben Haarwulst, der wie ein Türkenbund den unbedeckten Kopf umgab. Eine grasgrüne, wetterverschossene Jacke war die einzige Bekleidung des gedrungenen Oberkörpers; sie ließ die rauh behaarte, breite Brust unbedeckt. Er stützte sein rothes, sonnenverbranntes Gesicht mit hohen Backenknochen und mächtigen Kinnladen auf ein Paar gewalt'ge Fäuste, die mit dem Ellbogen auf dem unterschlagenen Knie ruhten. — Wer diese zusammengeklappte Gestalt aus einiger Entfernung betrachtete, konnte sie leicht für einen Stubben halten, wie man
dergleichen moosüberwachsene Wurzelstöcke in Schilfmooren oft findet. — Peter Waterhout aber saß hier beim Entenfange; Bertold's Schuß hatte den Beuteschwarm gerade im günstigsten Moment vor den Netzen verscheucht.
Auf was lauerst du denn hier? fragte der Jüngling heiter.
Was? schrie Piet wild, mit der Elasticität eines Tigers aufspringend, — die breite, stämmige Figur war kaum fünf Fuß hoch; grüne, wollene, weite Beinkleider reichten nur bis ans nackte Knie und ließen die muskulösen Waden frei. — Was? du willst mich noch foppen? — Wart, ich will dich in meinem Revier schießen lehren!
Nimm's nicht vorübel, Piet; hätt' ich gewußt, daß du hier —
Nicht gewußt! rief der Entenjäger dazwischen du weißt auch wohl nicht, daß morgen Kirmes in Gouda ist —
Laß gut sein, Bruder Piet, sagte Bertold freundlich, dem grimmigen Wassermanne die Hand bietend, — den Kirmesgästen soll's an fettem Entenbraten nicht fehlen. Ich helf' dir zur Nacht oder morgen früh beim Einfall — du hast mir's ja gelehrt, und schlimmsten Falls steh' ich für deinen Schaden.
Das schwatzt 'mal wieder wie 'n Rohrspatz!
Schaden! — Der Bursch' will für den Schaden stehen, wenn der Piet nicht Wort hält!
Und du brummst 'mal wieder wie 'n alter Rohrdommel, lachte Bertold; ich sage dir, daß ich lieber der Frau Padbrügge mit fünfzig Gulden deinen Enten-Contract abkaufen will, als mich noch länger mit dir im Rohr hier herum zanken. — Komm, Piet, in mein Boot. Ich brauche deine Hülfe in einer wichtigen Geschichte; darum bin ich herübergerudert.
So? — unterbrach ihn Piet grinsend, hast wohl wieder einem hochbusigen Dinge zu tief in die Augen geguckt und fürchtest Klopfe von den Jungen, denen du ins Netz gelaufen — nicht wahr? — und da soll der Piet helfen? Nichts da; mach, daß du fortkommst!
Wenn's bloß das wäre, seufzte Bertold, da wollt' ich gern dich hier sitzen lassen. Aber, lieber Peter, diesmal ist es Ernst.
Horch! rief der Entenjäger halb laut, ducke dich!
Mechanisch drückte Bertold sich auf den Boden seines Bootes, während Piet in das Nest niederhockte. Der verscheuchte Entenschwarm zog hoch über ihnen, wie eine dunkle Wolke, heran. Piet nahm seine Lockpfeife und stieß einen leisen Ton aus; sogleich antworteten nahebei im Rohr die gezähmten Lockenten; ein Paar derselben flatterten laut quackend aus dem Schilf hervor und flogen hin zu dem Schwarm in der Luft, welcher die Gefährten wieder lockend begrüßte. Piet nickte zufrieden und verfolgte, vorsichtig lugend, den Schwarm,
wie er in der Höhe den See umkreis'te und endlich, weit entfernt einfallend, verschwand.
Na, jetzt bist du doch zufrieden! rief Bertold aufspringend, sie kommen dir zur Nacht gewiß zurück und fallen in dein Netz. Du kannst dich auf den alten Lockhans mit seiner Quakrusche verlassen; die werden ihnen schon den Weg hierher zeigen.
Ja, das Paar ist ein Capital werth! gab Piet zu; nicht für hundert Gulden möcht' ich's lassen.
Und ich möcht' das Paar nicht für einen Gulden, schmeichelte Bertold; denn wer könnt' sie halten? Der Piet und seine Lockenten sind ein Herz und eine Seele; wer sie kauft, muß sie zusammen nehmen, sonst fliegt Eins immer wieder zum Andern zurück. — Doch jetzt thu mir erst Bescheid, Piet, und dann hör mich an.
Piet that zwar einen langen Zug aus der angebotenen Geneverflasche, dann aber gebot er dem lästigen Jüngling, auf der Stelle das Röhricht zu verlassen. Bertold erkannte endlich, daß er hier von dem Enterfänger nichts erlangen werde, nahm freundlich Abschied, ohne zu äußern, wohin er rudern wolle, und trieb sein Boot mühsam aus dem Rohrdickicht ins offene Wasser. Piet schüttelte bedenklich den Kopf, weil Jener den Regenpfeifer liegen ließ. Dem Jungen muß klamm ums Herz sein, meinte er.
Bertold ruderte zur alten Lora, dort wollte er den Entenjäger erwarten. Ein schmaler Wasserpfad führte
zu einer kleinen grünen Insel, welche Piet mit seiner Mutter einsam mitten im Goudasee bewohnte. Bald traten die grünen Schilfränder zurück, und Bertold erblickte vor sich die malerische Hütte, mit ihrem moosüberwachsenen Rohrdache unter den schützenden Aesten eines hohen Birnbaumes, auf einem grünen Rasenteppich mitten aus dem stahlblauen Wasserspiegel sich erheben. Auf dem Giebel der Hütte stand ein Storch, einsam im platten Neste, wie sinnend über seine baldige Abreise in wärmere Himmelsstriche. Ein kleines Gemüsegärtchen mit einigen Obstbäumen und Blumen schloß sich hinten an das Häuschen; der übrige kleine Inselraum bestand aus üppigem Rasen, auf dessen saftigem Grün eine schöne, braun und weiß gefleckte Kuh mit großem, tief hängendem Euter weidete. Auf der niedrigen Giebelbank vor der Hütte saß die greise Mutter Lora, im warmen Sonnenscheine fleißig spinnend. Dieses kleine Eiland in golden stiller Herbstbeleuchtung, ohne allen weitern Schmuck, als sein schönes Grün mit glänzendem Wassergrunde, machte ein Bild, so stilltraulich, wie es ein der Ruhe und Einsamkeit bedürfendes Herz nur immer sehnsüchtig verlangen mag.
Diese kleine Rasenscholle konnte unmöglich einen Menschen ernähren; aber ihr eigentlicher Werth bestand in den darauf ruhenden Privilegien der freien Jagd und des Fischfangs auf dem ganzen Goudasee, so weit dessen Wasser die Ufer bespülte.
Bertold landete vor der Hütte; aus dem Boote
springend, fiel ihm ein schwarzer, drei bis vier Fuß breiter, schlammiger Rand auf, welcher die grüne Insel rings umgab; augenscheinlich war das Wasser, wie zur Ebbezeit am Meeresufer, zurückgetreten. Diese Bemerkung frappirte den jungen Holländer so stark, daß er, alles Andere darüber vergessend, der ihm entgegenkommenden alten Frau zurief:
Was ist denn das, Mutter Lora? Seit wann habt Ihr Ebbe auf Piet's Eiland?
Ei, was ich sehen muß! rief die Alte, freudig die runzligen Hände zusammenschlagend, Bertold! — Ich dachte schon, Ihr drüben im reichen Zorgenhofe hättet uns arme Fischersleute ganz und gar vergessen, — so lange — lange ist es her, daß ich dich nicht gesehen habe!
Ja, Mutter, es ist mir auch hart aufgegangen, entgegnete Bertold, mit der Hand über die Stirn fahrend; aber sagt doch, woher kommt dieser schwarze Ebbestreifen?
Wo anders her, als aus den fünf langen Schornsteinen, die da drüben uns zum Aerger Tag und Nacht seit Urbani rauchen. Sie zeigte dabei auf den fernen Wasserhorizont, wo in der That fünf schwarze Rauchsäulen gegen den hellblauen Himmel aufstiegen.
Also doch! rief Bertold, wir haben an unseren Wiesen-Ufern noch nichts bemerkt. — Wer hätte das gedacht!
Aber weiter bringen sie es auch nicht, versicherte
Lora in ruhiger Zuversicht auf den unerschöpflichen Wasserreichthum ihres großen Goudasee's. Siehst du die weißen Stäbchen dort am Rasenufer? Die haben die Ingenieurs rings um die Insel gesteckt, als das Wasser anfing zu fallen, und bei schwerer Strafe ist es uns verboten, diese Stäbchen zu verrücken. Seitdem kommen die Herren alle Wochen herüber und messen und messen; aber der schwarze Streifen will schon seit drei Monaten nicht breiter werden. Das ärgert sie dann immer, und der Piet hat seine Lust daran. Doch was schwatze ich denn da ein Langes und Breites und lasse dich, mein Jungchen, mit trockenem Munde vor der Thüre stehen. Komm, du mußt mir erst ein bischen schnabeliren und dann erzählen, was dir so hart aufgegangen ist.
Und als sei der hochgewachsene Jüngling noch wie vordem ein Knabe, faßte die Alte seine Hand und führte ihn in die Hütte.
Diese enthielt neben der niedrigen Hausthür bloß zwei Stübchen; rechts haus'te der Piet mit all seinem Jagd- und Fischereikram, und links trat Bertold in Mutter Lora's wohlbekanntes Zimmerchen. Hier glänzte Alles in äußerst netter Reinlichkeit, welche den fehlenden Luxus und raffinirte Bequemlichkeiten ersetzte; dennoch würde ein exclusiver Engländer dieses Stübchen zu einem Stillleben höchst comfortable gefunden haben, weil jeder Eintretende sich darin augenblicklich heimisch und behaglich fühlte.
Bertold blickte der alten Frau nach, wie sie in gerader Haltung zur Thüre hinaus ging. Es war noch dieselbe still freundliche Mutter in schneeweißer Kranzhaube und weißem Halstuch, dessen Zipfel, dreieckig auf dem Rücken glatt gezogen, bis in das bunte Schürzenband nett hinab reichte, — ein Musterbild häuslicher Ordnung und Reinlichkeit. Ihr blasses Gesicht mit dem gutmüthigen Lächeln auf den dünnen, eingefallenen Lippen erhielt einen eigenthümlich klugen Ausdruck durch die noch frischen Augen, welche unter buschigen, silberfarbigen Brauen einen klug anschauten. Gerade so hatte die Mutter Lora ausgesehen, wenn Bertold mit der schwarzaugigen Galinda als Kinder zu ihren Füßen gesessen, die Köpfe auf den Schooß der Matrone gestützt, lauschend auf das Märchen von der Prinzessin Goldkarpfe und dem Prinzen Silberhecht, die in einem kristallenen Schlosse auf dem schwarzen Grunde des Goudasee's, mitten in einem Zaubergarten voll schöner Tulpenbeete, reinlichen, mit Goldsand bestreuten Wegen zwischen schön beschnittenen grünen Smaragdhecken spazieren gingen und sich dabei die wunderbarsten Geschichten erzählten. — Das Alles pflegte die alte Lora zur Winterszeit in ihrem Sorgenstuhle, bei glimmendem Torffeuer am Kamin, mit halblauter Stimme zu erzählen, wobei ihre frischen Augen und das blasse, scharfe Gesicht sich so seltsam belebten, daß es den Kindern schauerlich über die Haut rieselte. Wenn dann Bertold mit Galinda heimkehrend über den spiegelglatt gefrornen See auf Schlittschuhen
dahinflog, strebte Galinda's kleine Elfengestalt nicht, wettlaufend ihrem Gespielen vorauskommen zu wollen; denn Mutter Lora's Märchenbilder umgaukelten noch die Phantasie beider Kinder, daß sie sich die Hände reichten und mit scheuen Blicken vor den Gestalten, welche unter dem kristallenen Eise zu ihren Füßen heraufnickten und winkten, windschnell davon liefen.
Bertold wunderte sich, woher diese Erinnerungen aus seiner Knabenzeit jetzt in diesem stillen Stübchen ihm beifielen. — Es mag wohl daher kommen, daß ich um Galinda's willen hergerudert bin, dachte der Jüngling, sich ermannend, als Lora wieder eintrat und auf glänzenden Zinngeschirren Milch, Butter, Käse, Brod und Obst ihm vorsetzte.
Du mußt schon so vorlieb nehmen, mein Bertoldje; denn ich weiß wohl, daß dir Unrast die Zeit zu lang würde, bis ich dir einen fetten Aal oder Bars backen könnt'! — Aber jetzt lange zu und laß mich sehen, ob es dir noch so gut bei mir schmeckt, wie sonst, wenn du mit dem wilden Dinge, der Galinda, dich herum gejagt hattest. — Wie geht's ihr denn? Hab' ich sie doch seit Jahr und Tag nicht gesehen. Warum besucht sie mich nicht mehr? Sie weiß doch, daß die alte Mutter Lora die Wirthschaft auf Piet's Eiland nicht verlassen kann. Ist die Galinda noch immer so trotzköpfig und flink vorweg? Aber schön muß sie geworden sein mit ihren langen, schwarzen Ringelhaaren und großen, schwarzen Augen, womit sie einen so verblirt
ansehen kann, daß man all ihr Wildern vergißt und dem Unband gut sein muß.
Das ist es ja eben, daß man ihr gut sein muß! rief Bertold so leidenschaftlich, daß die Alte erschrak. Und schön? — Oh, Ihr solltet sie nur sehen, wie hoch und schlank und stolz und schön die Galinda geworden ist!
Nur sachte — sachte, beschwichtigte Lora; darum brauchst du nicht gleich wie 'n Franzose in Hitze zu gerathen. Wir können ja mit gemächlichem Blute vernünftig und still über die Galinda reden. Ja, ja, sie hat dich schon von Kindesbeinen an mit ihrem jähen Wesen angesteckt. Das thut nicht gut — nicht gut.
Piet kam vom Entenfange heim und trat jetzt wie ein Unhold in seiner fahlgrünen Jacke und Hosen, offener Brust, nackten Beinen und mit seinem buschigen Haarkranz statt Mütze auf dem Kopfe in das Stübchen. Er trug den erlegten Regenpfeifer in der Hand.
Richtig, da sitzt er und schnabelirt wie ein Maisje! spottete Piet. Erst verdarb er mir den Fang, und dann läßt er gar den theuern Vogel im Rohr liegen. — Aber 's war ein braver Schuß, das muß man sagen.
Den kann Jeder mit meiner schönen spanischen Flinte machen, warf Bertold hin.
Ja, es ist die beste Flinte in ganz Holland, gestand Piet brummend; ein ächter Spanier, wie keiner
schärfer schießen kann, und den du Gelbschnabel mir vorm Munde, wie 'n Schnapphecht, weggefischt hast.
Die Stadt Gouda hatte nämlich diese kostbare Flinte beim letzen Wett-Schlittschuhlaufen als ersten Preis ausgesetzt und Bertold den Schnellläufer Piet um einen halben Strich besiegt.
Wenn dir die Flinte denn so sehr ans Herz gewachsen ist und du mir einen Gefallen thun willst, so ist sie dein, Piet. — Wart, ich will sie holen.
Bleib nur sitzen, zankte der Entenjäger weiter, ich habe schon für sie gesorgt. Es ist eine Schande, wie du mit dem Gewehr umgehst; naß und ungeputzt läßt er sie draußen im Boot ohne Aufsicht in der Sonnenhitze liegen!
Ich sage dir ja, sie ist dein, wenn du willst. Dann kannst du sie putzen, begucken und gebrauchen nach Herzenslust.
Und was ist denn das für ein Gefallen, den ich dir dafür thun soll? fragte Piet mißtrauisch.
Für dich und die Mutter Lora — denn die gehört auch dazu — ist es eine Kleinigkeit; aber für mich und Galinda gilt es Herz und Leben.
Also gehört die Galinda auch dazu? forschte der Entenjäger noch mißtrauischer.
Ja, sie ist die Hauptsache dabei, gestand der Jüngling, wie ein Mädchen erröthend; ihr dürft es uns auch nicht abschlagen, sonst ist Alles — Alles vorbei!
Mein Gott, was fehlt dir denn? fragte die alte Frau gerührt von dem tiefschmerzlichen Klageton des Jünglings; sag es mir, und wenn ich kann, so ist mein Herzblut mir nicht zu gut, wenn ich dir, mein Jongje, damit helfen soll. Erzähl es mir, was dir fehlen thut.
Ja, aber mach es kurz, stimmte Piet derb und gutmüthig bei, und was ich dazu thun kann, soll geschehen, so wahr ich der Entenpiet heiße!
So leicht geht das nicht zu sagen, seufzte Bertold; Ihr habt doch gehört, daß ein reicher Baas um die Galinda geht und schon um sie angehalten hat?
Das wäre! rief Lora staunend, was das Ding für Glück hat in dieser schlimmen Franzosenzeit! — Wer ist denn der Baas?
Denkt euch — es ist der Meister Jan von Amsterdam.
Was? schrieen beide Zuhörer, zurückfahrend.
Der ist für die hoffährtige Linda gerade recht; da kann sie in Kutschen fahren, versicherte Piet lachend.
Ja, so Einer mußte kommen; dem paßt die wilde Jungfer wie angemessen; der wird sie schon zahm machen, gab Lora zu.
Ich aber leid' es nicht, und wenn es mir den Hals kostet! drohte Bertold entschlossen.
Was hast du denn dagegen? fragte Piet, du wirst doch deiner Schwester Glück nicht im Wege sein wollen?
Hört mich an, sagte Bertold entschieden; ich habe es mit meiner Linda schon abgemacht, daß sie Der aus Amsterdam in seine Hände nicht kriegen soll —
Jonge, sprich nicht so entsetzlich! schrie Lora dazwischen.
Sagtet Ihr nicht, sie sei für ihn gerade gemessen? warf ihr der Jüngling grimmig vor; aber jetzt seht Ihr doch, daß die schöne Galinda nicht für den Meister Jan von Amsterdam paßt. Das wußt' ich wohl, und darum bin ich hergekommen, um euch zu bitten, daß ihr Beide mir helfen sollt, daß er nicht Hand an sie legt.
Ich sag' es noch einmal, was ich dazu thun kann, soll geschehen, versprach Piet nachgebend.
Und daß meine gute Mutter Lora mir nichts abschlagen kann, das weiß ich schon lange, schmeichelte der Jüngling, indem er die dürre Hand der Alten streichelte. Die Galinda wird bei euch am sichersten aufgehoben sein. Wir wollen vorher noch einmal Alles probiren, um die Eltern auf andere Gedanken zu bringen, und wenn sie dann nicht von ihrem Willen lassen, so bringe ich die Linda heimlich zu euch. Hier sucht sie kein Gottesmensch, und wenn auch, so wird mein Bruder Piet die Galinda schon zu verstecken wissen.
Das geht denn doch nicht so geschwind, meinte die Alte kopfschüttelnd; erst muß ich wissen, ob du es auch ehrlich meinst, und was du mit der Linda eigentlich im Sinne hast.
O gewiß, so gewiß ich vor Euch stehe — ich meine es ehrlich mit ihr! Ich will sie heirathen, sobald es angeht.
Heirathen! rief Lora erschrocken, und dazu soll ich helfen! — Hast du vergessen, daß die Linda so gut wie deine Schwester und ein Findelkind ist? — Wie kann ein ehrlich getaufter Holländer daran denken, einen Bankert zu heirathen. Und nun gar der Sohn vom Zorgenhof!
Hört, Mutter, scheltet mir die Linda nicht! drohte Bertold; in dem Punkt versteh' ich keinen Spaß! — Ja, sie ist uns als Wickelkind ins Haus gebracht; aber es war ein rechtschaffener alter Klerk Baas, der sie brachte. Und wenn wir auch zusammen aufgewachsen sind, so ist sie darum doch nicht meine Schwester.
Herr Gott, was würden die Leute dazu sagen, fuhr die Alte, sich ereifernd, fort, — und ich sollte zu dem Spectakel helfen? — Nun und nimmermehr!
Heirathen! spottete Piet; seit wann heirathen denn am Goudasee die Jungen, ehe sie flügge sind? Laß deinen Flaum am Kinn erst reif werden, und dann sprich vom Heirathen, mein Söhnchen. Dummes Zeug; mich darum hier so lange aufzuhalten. — Damit ging der Entenjäger hinaus, und man hörte ihn draußen noch lachend wiederholen: heirathen — heirathen!
Bertold verstummte vor diesem Hohn und dem unerhörten Eifer der Alten, die er niemals so aufgeregt gesehen. Erkennend, daß hier jede fernere Bitte frucht-
los bleiben werde, nahm er kurz und trotzig Abschied und verließ rasch das Eiland.
Bedachtsam trat auch die Greisin vor die Hütte zu ihrem Sohne, der sich anschickte, zu dem gestörten Entenfange zurückzukehren.
Morgen früh um fünf Uhr, Piet, will ich zum Zorgenhof fahren; mache mir dein Boot dazu hübsch rein und blank zurecht.
Soll geschehen, Mutter; ich werde das große Markt-Boot einrichten, damit ich zugleich die Enten für die Frau Padbrügge mitnehmen kann.
Und ohne sich weiter darüber zu verwundern, daß seine Mutter seit zehn Jahren zum erstenmal das Eiland verlassen wollte, ruderte Piet davon und verschwand in dem hohen Röhricht; die Alte aber setzte sich wieder still zur Arbeit vor die Hütte und saß hier noch lange sinnend im goldenen Schein der untergehenden Sonne. Nur zuweilen ward die einsame Abendstille unterbrochen von lockenden Rohrsperlingen und bohrenden Rohrdommeln, deren dumpfes Brüllen von den fernern Schilfufern über den See herklang.
II. Der Zorgenhof. Am frühen Morger des nächsten Tages lag der weiße Herbstnebel gleich einem dichten Schleier über den Wiesen, aus denen die tüchtigen Gebäude des Zorgen-
hofes mit ihren rothen Dächern wie aus einem weiten Meere hervorragten. Ein frischer Morgenhauch rollte den Nebel vor sich hin über den See und trieb die Ballen auf eine Reihe Windmühlen, die, mit ihren langen Flügeln arbeitend, gegen die Dunstmassen zu kämpfen schienen. Darüber leuchtete die aufsteigende Sonne aus wolkenleerem Himmel, dessen dunkle Bläue die weiß belegte Erde glänzend überwölbte und einen heitern Herbsttag verkündete. In dem wirthschaftlichen Zorgenhof herrschte schon die gewohnte regsame Thätigkeit. Viele Knechte schritten rüstig in langer Reihe über die Kanalbrücke in den Hof; sie trugen in glänzenden Messingkübeln, welche gleich Wagschalen an Tragbalken von den Schultern hingen, die frisch gemolkene Milch von den Triften herbei; denn hier verrichteten Knechte das Geschäft des Melkens. In dem geräumigen Milchhause liefen Mägde geschäftig hin und her, ohne daß irgend eine Verwirrung oder Stockung in dem emsigen Treiben störend eintrat. Die stämmigsten der Dirnen holten von jenen großen Haufen, welche gleich braunen Heuschobern den Hof umstanden, Torf, den sie in großen Körben auf dem Kopfe in das Milchhaus trugen. Hier schürten andere Dirnen die Glut unter ungeheuern Milchkesseln, während die Knechte die frisch gemolkene Milch aus den vollen Kübeln hinein stürzten. Der stattliche Polderwirth Hendrick Zorg und seine Hausfrau Sara führten selbst die Aufsicht über das wichtige Geschäft der Milchwärmung, indem sie mit sorglicher Kennermiene, öfter
den Finger in die Kessel tauchend, den Wärmegrad prüften, wovon die Güte des Käses abhängt. Fanden sie die Milch „op den rechten Ponkt“, dann wurden die Kessel in große Gerinnbottiche geleert, das Lab hineingeworfen und nun die Milch in Ruhe dem Gerinnen überlassen. Dies vollbracht, schritten Alle zu andern Bottichen, welche die gelabte, jetzt geronnene Milch von gestern Abend enthielten. Man zapfte die Molken ab, und die Mägde schütteten die weiße Käsemasse sogleich in die ringsum durchlöcherten, inwendig mit reinen Linnen belegten Preßkasten. Sobald diese gefüllt, drückten breitschultrige Knechte den genau passenden Deckel auf, packten aldann mit nervigen Fäusten die Kurbelstöcke der Schraubenpresse und quetschten drehend die Molken bis zum letzten Tropfen aus der dadurch compact werdenden Käsemasse.
Inzwischen hatte die steigende Sonne den Nebel vertrieben, und im reinlichen Zorgenhofe funkelte jetzt Alles im Schmucke blitzender Thauperlen. Alsbald benutzte der Polderwirth auch die warmen Sonnenstrahlen, indem er den Knechten befahl, die Klappen an den schmalen Schuppen zu öffnen, die vor dem Milchhause in langen Linien hinliefen. Unter den schirmenden Klappen wurden Reihen von vielen Hundert orangegelben Käsen gleich großen, runden Kürbissen sichtbar, welche hier trocknend ihre Vollendung zum Verkauf erhielten. Nachdem auch diese letzte Frühmorgenarbeit gethan, gingen Alle zum Frühstück, das Gesinde in ein abgeson-
dertes Leutehaus und der Baas mit seiner Familie in das große, schmucke Wohngebäude. Dieses bestand aus einer langen Parterre-Etage von zehn Fenstern Fronte. Es war von dunkelbraunen, kleinen Ziegeln mit schneeweißen Fugen gebaut; zwei hohe, schöne Schnörkelgiebel schmückten an beiden Enden das mit schwarzbraunen glasirten Ziegeln gedeckte Dach. Hellgrüne Jalousieen schützten die spiegelnden Fenster, und auf der grünen Hausthüre prangte ein blinkender, schön geschweifter, messingner Löwenmaulklopfer. Die Vorderseite des blanken Hauses zierte überdies noch ein nettes Blumengärtchen mit sorgsam gepflegten Beeten hinter einem zierlichen Zaune, der mit seiner himmelblauen, roth gespitzten Staketerie das große und doch äußerst niedliche Haus einfaßte. Nur an Sonn- und Festtagen schritt die Familie durch dieses Gärtchen und durch die schmucke Hausthüre in das Wohnhaus; denn an Wochentagen, wie heute, durfte bloß die Hinterthüre benutzt werden.
Die charakteristische Verschiedenheit der holländischen Wirthschaft gegenüber anderen Bauerhöfen, wie man sie anderwärts zu sehen gewohnt ist, erschien auch auffallend in dem Mangel an allem Fuhrwesen; da war weder Wagen noch Pflug, weder Eggen noch Karren zu erblicken; denn all dergleichen Ackergeräth bedarf der Polderwirth nicht; er besitzt kein Land für den Pflug und keine Wege für die Wagenfahrt. Die schmalen Kanalbrücken sind nur für Fußgänger, höchstens für Reiter berechnet. Anstatt Straßen besitzt der Polderwirth
schmale Kanäle, welche seine Wiesen durchschneiden, und sein ganzer Reichthum entspringt aus dem unbedeutendsten aller Gewächse, aus Gras — wovon er jeden Halm in Milch, Butter, Käse und Gold verwandelt.
In zufriedener Ernsthaftigkeit schritt der Baas Zorg neben seiner Frau von dem Käseschuppen auf das Haus zu; ihnen folgte Drudje, Bertold's runde und gesund wie eine Kirsche strotzende Schwester. Verwundert blieb sie stehen, bedachte sich ein wenig, dann rief sie, auf einen Kahn zeigend, der eben am Kanalufer beim Hausgärtchen anlegte:
Schaut doch 'mal hin, Vater, wer da kommt!
Es ist der Enten-Piet, sagte Jener, gleichmüthig hinblickend.
Hat nur eine Hand breit Bord, bemerkte Frau Sara, so schwer ist seine Ladung. Aber ich mach' sie ihm heute nicht leichter — kann seine Enten nicht brauchen.
Während diese vernünftigen Bemerkungen gemacht wurden, kam ein schlankes Mädchen durch das Gärtchen gelaufen, sprang im Fluge über die niedrige bunte Staketerie und war mit einigen Sätzen indem entengefüllten Boote; es drohte zu kippen — darauf nicht achtend, fiel das Mädchen der alten, sehr ordentlich gekleideten Mutter Lora um den Hals, zerknitterte ihr dabei die steife Halskrause und Haube, ohne sich dadurch abhalten zu lassen, die Alte mit ungestümer Herzlichkeit zu küssen. — Es war Galinda; hastig fragend und schwatzend,
half sie der Greisin aus dem Boot und führte sie, an der Hand haltend, vor die stumm zuschauende Familie.
Du bist mir doch nicht böse, liebe, liebe Mutter Lorje? schmeichelte Linda bittend; aber auch gewiß nicht böse, daß ich dich so lange nicht besucht habe? Ich konnte wahrhaftig nicht daran denken, fuhr sie mit einem Seufzer fort und rief, sich plötzlich abwendend: Was denkt Ihr denn, Vater Dirk, wen ich da bringe? Ihr werdet Euern Augen nicht trauen; aber mir könnt' Ihr's glauben; es ist die Mutter Lora vom Piet's Eiland!
So schnell vergeht mir das Gesicht von guten Freunden nicht, versicherte der Baas, ernsthaft die Hand hinreichend; willkommen, Frau Nachbarin. Ihr habt Euch in den paar Jahren, daß wir uns nicht gesehen, auch nicht ein bischen verändert.
Ein paar Jahre! — rief Galinda lachend dazwischen; ich war noch so ein kleiner Dibbeldor von acht Jahren, als Mutter Lorje uns zuletzt besuchte, und jetzt bin ich achtzehn Jahre!
Da solltest du wenigstens vernünftig geworden sein, schalt die Hausfrau Sara, statt mit deinem Plappern unsere liebsamen Gäste zu molestiren, und lieber — —
Das ist auch wahr! fiel das ungebundene Mädchen ein, — ich will lieber meiner alten Lorje geschwind was Gutes zurecht machen! Damit lief sie davon und tummelte die Mägde in der Küche.
Der Baas und seine Frau erkannten wohl, daß
dieser ungewöhnliche Besuch am frühen Morgen eine wichtige, keinen Aufschub leidende Veranlassung haben müsse; aber der Stolz des reichen Zorgenhofbesitzers hielt die Neugierde in ernsten Schranken, und die Sitte verbot, einen achtbaren Gast mit vorlauten Fragen statt mir guter Bewirthung zu tractiren; daher führten sie nach biederer Einladung die geehrte Nachbarin in das Haus.
Das kluge Drudje blieb zurück; es wollte seine brennende Neugierde von Piet stillen lassen und dabei zugleich den Genuß sich verschaffen, nach Art der Mädchen, die sich der Macht ihrer Reize bewußt sind, den Entenjäger ein wenig zu necken.
Guten Morgen, lieber Piet, sprach Drudje mit ernsthafter Miene, an das Boot tretend, worin Piet mit seiner Entenladung hantierte, ist mir doch, als ob Euch das pludrige Vogelzeugs da lieber ist, als Eure Freunde im Zorgenhof.
Hum, machte Piet mit einer abwehrenden Handbewegung, ohne sich stören zu lassen, weit davon ist sicher vorm Schuß.
Danke schönstens für das Compliment! Das muß ich doch gleich dem Vater sagen, was der Nachbar Piet von uns hält.
Und ich möchte das mit ansehen, gab Piet mit einem pfiffigen Augenzwinkern zurück, wenn die Jevrouv Drudje ihrem Vater seine guten Freunde so lobesam schildert.
Ach, jetzt versteh' ich erst, das kommt ja immer besser. — Mich allein meint der lobesame Mosjöh Piet mit seinem sichern Schuß!
Mosjöh? — Mosjöh? rief der getroffene Entenjäger plötzlich zornroth, sich gerad' aufrichtend; seh' ich denn aus wie ein windiger Mosjöh Franzmann oder wie ein rechtschaffener Holländer?
Drudje blieb ernsthaft; nur aus ihren freundlichen Augen blitzte muthwilliger Triumph, als sie den vor ihr stehenden stämmigen Mann von oben bis unten musterte. Wenn man Euch so recht betrachtet, wie Ihr da steht im kurzen, schilfgrünen, breitschooßigen Rock und der braunen, langen Weste mit großen silbernen Knöpfen und grasgrünen Pumphosen, dazu den breitkrämpigen Hut auf dem Haarwulst, der wie ein schöner gelber Käsekranz um den Kopf herum liegt, und darunter Euer rechtschaffenes rothes Kerngesicht mit blitzbösen kleinen Augen — ja, man muß es sagen, so baasig sieht ein Mosjöh Franzmann nicht aus.
Wenn ich nun die ehrsame Jevrouv Zorg auch einmal so manierlich lobte und sie wie eine leichte Mamsell Drudje tractiren thäte?
Seh' ich aus, wie eine luftige Mamsell Französin? fragte Drudje, ihrerseits sich in die Brust werfend.
Der Enten-Piet betrachtete mit blinzelnden Augen das dralle Poldermädchen; das Herz schwoll ihm bei dieser Musterung; er mußte sich gestehen, solch glänzend
braunes Haar mit goldenem Pfeil durch den dicken Flechtenknoten, so frische apfelrunde Wangen und kirschrothe Lippen, deren muthwilliges Lächeln ihm zwei Reihen schneeweißer Zähne zeigte, — und solchen untadeligen Wuchs in dem vollen Busen, in Armen und Hüften — nein, etwas Appetitlicheres hatte er niemals gesehen. Piet konnte den Blick des schalkhaften Mädchens länger nicht aushalten; sich den Mund wischend, wendete er sich brummend ab.
Dummes Zeug das — hab' mich schon zu lange hier aufgehalten.
Aber Drudje faßte ohne Umstände seine harte, breite Faust mit ihren beiden kleinen Händen. Ist das auch recht, mein lieber Peter? Nachdem Ihr mit mir gezankt, heißt Ihr mich eine Mamsell, und zuletzt wollt Ihr gar meines Vaters Haus und meiner Mutter Kost verachten und davonfahren? Nein, so geht das nicht; kommt erst mit zum Frühstück; unterwegs sollt Ihr mir erzählen, was es Neues auf Piet's Eiland giebt.
So gefaßt, mußte Piet folgen; doch Drudjens neugieriges Forschen nach der wahren Ursache dieses Besuches blieb ohne Befriedigung; der einsilbige Jäger verwies sie an die Mutter Lora, weil er von der ganzen Geschichte weiter nichts wissen wollte.
Sie fanden die Familie in einer großen Hinterstube, beim reichlichen Frühstück an einem ungedeckten weißen Tische sitzend; nur Bertold fehlte. Ohne aufzustehen, forderte der Hausherr seinen Gast auf, mit
ihnen vorlieb zu nehmen. — Während Piet sich dieser Einladung mit ernstem Anstande und tüchtigem Zulangen würdig zu bezeigen suchte, nahm Drudje mit ehrbarer Geschäftsmiene neben ihrer Mutter Platz, und nun wurde das Frühmahl mit derselben gemessenen und aufmerksamen Beharrlichkeit eingenommen, als sei dieser Genuß eine der wichtigsten Tagesarbeiten.
Noch war diese stärkende Arbeit nicht ganz vollendet, und die Frau Sara versuchte von neuem, die Frage über Bertold's Abwesenheit ins Gespräch zu bringen, als draußen Hufschlag ertönte. Dieses Geräusch war zur Sommerszeit im Zorgenhof so ungewohnt, daß Alle, erschrocken aufspringend, an die Fenster eilten. Seit der Zeit, daß die französischen Revolutionsheere Holland plündernd überschwärmten, verkündete solcher Hufschlag den Polderwirthen gewöhnlich die Ankunft habsüchtiger Marodeurs. Diesmal wurde jedoch diese bange Erwartung getäuscht; ein stattlicher Mann stieg von einem mächtigen schwarzen Hengst, dessen Sattel und Zaumzeug mit massivem Silber schwer verziert prunkte; sogar das Gebiß und die breiten Steigbügel waren aus diesem kostbaren Metall kunstreich geformt.
Ungeachtet der vornehmen Erscheinung des Reiters, ging der Polderwirth doch nicht von der Stelle, ihn zu empfangen. Mit unbeweglichem Ernst sah er hinaus, wie der Fremde seinem wohlgekleideten Diener den Zügel überließ und der Bursche alsdann die Gäule nicht in den Stall, sondern vor dem Wohnhause auf- und
abführte. Einen Moment darauf trat der Reiter grüßend herein; bei seinem Anblick zogen sich die Frauen scheu in einen Winkel des Zimmers zurück.
Der Eintretende war ein stattlicher, groß und breit gebauter Mann von etwa vierzig Jahren; seine einfache, aber schwarze Bürgerkleidung zeichnete sich durch glänzend feines Tuch, große, faltige Reiterstiefeln und scharlachrothe Tuchweste aus. Noch auffallender als diese grellrothe Weste erschien das blasse, scharf geschnittene Gesicht, zumal in Holland, wo man gegen die fieberfeuchte Nebelluft stark erhitzende Getränke genießen muß, wodurch die Gesichter roth colorirt sind, so daß ein gesunder blasser Mann unter den Niederländern fast unheimlich absticht. — Als der eintretende Fremde, den Hut abnehmend, höflich grüßte, zeigte er eine hohe und breite Stirn, von kurzen, schwarzen, glatten Haaren eingefaßt; auch dieses platt anliegende kurze Haar war absonderlich; denn der holländische Landmann pflegt sein Haar um Kopf und Nacken lang verschnitten zu tragen. Die gerade Haltung und der feste Blick des Reiters würden ihm ein gebieterisches Ansehen gegeben haben, wenn dieser Charakter nicht durch eine gewisse Zurückhaltung in seinem ganzen Wesen bis zum Abstoßenden gesunken wäre.
Es war der Scharfrichtermeister Jan von Amsterdam. —
In Holland, wo die Vorurtheile noch tiefer in dem festern Sinne wurzeln, als dies in deutschen, mehr zur
weichen Sentimentalität gestimmten Gemüthern stattfindet, würde jeder Hausherr seine Schwelle befleckt halten, wenn sie ein Scharfrichter ohne unabweisliche Nothwendigkeit überschreiten möchte, weil dessen Handwerk und Gemeinschaft für unehrlich machend gilt.
Nehmt mir's nicht übel auf, sagte Meister Jan nach den ersten Begrüßungen, daß ich so früh komme und ohne anzuklopfen hereintrete. Ihr wißt, daß unser einer nur da Unglück bringt, wo wir gehörig angesagt kommen und holen müßen. Wenn wir aber unerwartet erscheinen, folgt uns das Glück überall auf dem Fuße, und das will ich diesem ehrbaren Hause nicht nur bringen, sondern es mir auch daraus holen, wenn Ihr nichts dawider habt.
Es ist wahr, gegenredete der Wirth, ich hatte Euch sobald nicht erwartet. Bei unserer letzten Negotie in Amsterdam meintet Ihr, erst nach Martini zu kommen.
Das ist wohl wahr, fuhr der Freimeister in seiner wohlgesetzten Rede fort, indem er einen Brief hervorzog; aber Mynheer Verkolyn will dies Geschäft absonderlich beschleunigt haben. Er schickt Euch diesen Avisbrief, den ich selbst bringe, eben weil ich vorher angemeldet nicht zu Euch kommen wollte.
Der Mann führt eine grausliche Rede, flüsterte die alte Lora.
Aber er sieht aus, wie 'n scharfer Richter aus-
sehen muß, stattlich und mannhaft, daß man Respect haben muß, bemerkte Piet.
Der hat wirklich mit eigener Hand schon Leute abgethan? flüsterte Drudje unter Schauern.
Da reichen kein halbes Hundert Köpfe, zischelte Piet, die er so nett abgehackt haben soll, als wären's Disteltöpfe; ich hab' es ein paarmal mit angesehen, wie meisterlich er das Beil zu führen versteht; er haut aufs Haar, daß unsere besten Kuchenhacker sich vor ihm verstecken müßten, wenn sie anders mit ihm wetthacken dürsten.
Unterdessen hatte der Wirth widerstrebend das Schreiben angenommen und bedächtig betrachtet; er vermuthete, daß es Galinda's Verlobungsbrief sei; diese Angelegenheit war doch zu wichtig, als daß man sie hier in der ordinären Wohnstube abmachen durfte; die große Frage war aber, ob die Hausfrau gestatten werde, ihre Prunkzimmer durch den Fuß eines zweideutigen Mannes entweihen zu lassen; — das sollte sie selbst entscheiden, beschloß der Wirth.
Sieh, Mutter, dies ist hier der Bescheid von Mynheer Verkolyn, von dem ich dir bereits gesagt habe. — Was meinst du, können wir die Ehre, welche unserem Hause geschieht, hier annehmen?
Nur eine holländische Hausfrau kann begreifen, in welche bekümmerte Verlegenheit die Mutter Sara durch diese Frage gerieth. Alle die Unheil verkündenden Ahnungen und Bedenklichkeiten aus jener Zeit, wo Mynheer
Verkolyn das Bastardkind Galinda ihrer mütterlichen Pflege anvertraute, erneuten sich in Sara's Herzen. — Wie wird das Alles noch enden? fragte sie sich, tief seufzend. Dabei fiel ihr Blick auf die beschmutzten großen Reiterstiefeln des Freimeisters. Unmöglich durfte er den Glanz ihrer Putzstuben, die sie vor jedem Sonnenstäubchen wie ihr Auge bewahrte, mit seinen morastigen Stiefeln beflecken, und Pantoffeln, groß genug, um sie über seine bestiefelten Riesenfüße zu ziehen, besaß die Hausfrau nicht. Diese schwerste Sorge erstickte alle übrige Bedenklichkeiten, daß die Frau, an dieser Unmöglichkeit sich aufrichtend, ihrem Eheherrn antworten konnte:
Wir können ja nicht anders, als die zugedachte Ehre hier in der unreinen Alltagstube annehmen, denn mit seinen großen Stiefeln da wird Meister Jan doch nicht wollen — —
Vergebt mir das, Mevrouv Zorg, fiel der Meister artig ein, bei uns in Amsterdam haben die Franzosen die blanke Reinlichkeit schon aus der Mode gebracht; aber ich habe nicht vergessen, daß die alte gute Ordnung hier noch zu Hause ist, und habe mir deßhalb, wie sich's gebührt, reine Schuhe mitgenommen. Nehmt's nicht übel, daß ich meine Stiefeln nicht gleich vor der Thüre ausgezogen habe. — Nun ging er hinaus, kehrte aber sogleich in schwarzseidenen Strümpfen und glänzenden Schnallenschuhen zurück. — Damit war jeder Vorwand, den gemiedenen, aber achtbaren Mann, den man
überdies einige Tonnen Goldes werth schätzte, nicht ins Ehrenzimmer zu führen, beseitigt.
Sara lud mit echt holländischer umständlicher Gravität die drei Gäste ein, ihr die Ehre zu erzeigen, im Visitenzimmer Platz zu nehmen, winkte Drudje und Galinda, ihr zu folgen, und nun gingen sie in ein schön aufgeputztes Nebenzimmer, wo Alle die Schuhe auszogen und bereit stehende gestickte Pantoffeln anlegten. So vorbereitet, als gelte es, eine geheiligte Moschee zu betreten, schritten sie in das prächtige Visitenzimmer. Ein weicher türkischer Teppich bedeckte den getäfelten Fußboden, schwere Damasttapeten die Wände, an denen einige gute Oelgemälde, holländische Genrebilder, Stillleben und Wasserlandschaften, in breiten goldenen Schnörkelrahmen prangten. Ein drei Fuß hoher, mit Leisten von gediegenem Silber eingefaßter Lambris von Mahagoniholz lief rings um und schloß sich an den großen Kamin von weißem Marmor, auf dessen breit vorspringendem Sims eine alterthümliche Stutzuhr zwischen zwei großen Armleuchtern von massivem Silber stand. Den Kaminschmuck vollendete dessen innere Bekleidung von Messingplatten; ob darin jemals ein Feuer den spiegelnden Goldglanz beräuchert, war an der schimmernden Politur nicht zu erkennen. Von der gleichfalls bunt getäfelten und gebohnten Zimmerdecke hing statt Kronleuchter ein großer Spiegelballon. Unter den Spiegeln an den beiden Fensterpfeilern standen große geschweifte und bunt ausgelegte Komoden, bedeckt mit
chinesischen Atlasdecken und mit allerlei indischen Nippsachen, Muscheln, Porzellanfiguren, Theebüchsen, Perlmutterkästchen und dergleichen beladen. Schwere Vorhänge von Purpuratlas und gleich prächtige Lehnstühle von Acajou, ringsum an der Wand stehend, und, wie das breite Kanapee, mit rothserdenen Damastpolstern belegt, vollendeten das Bauernprunkzimmer, wie sie in Holland zu den Merkwürdigkeiten gehören, die kein aufmerksamer Reisender unbesucht läßt.
Wir müssen hier die Umständlichkeit unserer Erzählung mit deren Schauplatz entschuldigen; denn in Holland können wir schicklicherweise nicht umhin, der etwas breiten und gemessenen Landessitte zu folgen, welche alle hastige Redweise oder gar einen leidenschaftlichen Aufschwung des Gefühls mit ernsthaftem Phlegma zügelt und in wohlanständigen Schranken hält. — In dieser Stimmung sehen wir die Gesellschaft in der Mitte des Staatszimmers an dem großen runden Acajoutisch auf Sesseln ringsum Platz nehmen; der Entenpeter verzog keine Miene, als er im Spiegelglanz der rund polirten Tischplatte sein breit verzogenes Antlitz betrachtete. Drudje präsentirte den Männern zuerst lange weiße Thonpfeifen aus Gouda's bester Fabrik, setzte das Quispeldortje (vasenförmiger Spuckbecher) mitten auf den Tisch und nahm erst neben ihrer Mutter Platz, als die duftenden Kanasterwölkchen aus den ernsten Männergesichtern dampften.
Galinda stand am Fenster und trommelte mit den Fingern ungeduldig an den Spiegelscheiben.
Nachdem der Baas vom Hause diese Tafelrunde überschaut hatte und Alles gut conditionirt fand, öffnete er den empfangenen Brief, las bedachtsam und sprach dann mit fest betonten Worten:
In diesem Briefe avisirt uns Mynheer Verkolyn, daß der wohlhabende Freimeister Jan in geziemender Art angehalten hat, ihm unsere Pflegetochter Galinda Floor als eheliche Hausfrau zukommen zu lassen. Obzwar nun eigentlich Mynheer Verkolyn über dieses Findelkind allein zu disponiren hat, weil Mynheer es uns zur Pflege anvertraut und dafür eine gute Pension stets pünktlich bezahlt — die ich aber nicht angenommen, sondern für das Kind zur Ausstattung ausgethan und Zins auf Zins gespart habe, — so will Mynheer Verkolyn diese Negotie doch nicht anders als mit unserem Zuschlag abschließen, angesehen, daß die Galinda in meinem Hause aufgewachsen und unseren Herzen so lieb und werth wie das eigene Kind ist. Also, Mutter Sara, sprich du zuerst, ob du deine Pflegetochter Linda dem scharfen Meister Jan hier geben willst?
Geben? Ich soll mein liebes Herzenspflegekind dem Scharfrichter geben? rief Sara mit mütterlicher Entrüstung; nun und nimmermehr!
Aber zugeben wirst du doch, fuhr der Baas ruhig rauchend fort, daß deine wilde Linda einen Mann, und einen statthaft tüchtigen Mann, haben muß, der
ihrem Hitzkopf gewachsen ist. — Und nun sage mir einmal, Mutter, ob du dafür einen besseren Mann finden könntest, als diesen soliden und gefürchteten Meister von Amsterdam?
Die ehrwürdige Sara schwieg betroffen; denn sie konnte dagegen keinen triftigen Grund aufbringen; doch traten ihr die Thränen in die getrübten Augen.
Nach einer Pause richtete der Baas das Wort an Piet.
Was meint Ihr dazu, Gevatter Waterhout? Die Galinda ist Eure Pathe, und so steht Euch ein Wort mitzureden wohl an.
In seinem Leben hatte Piet sich nicht so beklommen gefühlt; er verwünschte, daß er mit seinem Entenboot nicht weit von hier zur Frau Padbrügge gefahren, statt sich von Drudjens Reizen in den Zorgenhof ziehen zu lassen. — Als ein wilder Bursch von achtzehn Jahren hatte er den Säugling Galinda mit einer wildfremden Amme von Amsterdam hierher gerudert. Nachdem er des Kindes Taufzeuge geworden, war seine kleine Pathe ihm täglich mehr ans Herz heran gewachsen; dazu wußte er, wie lieb Bertold und Galinda sich hatten, und Piet sollte jetzt rathen, sie dem Freimeister zu überliefern! Doch vor Allem mußte er ein vernünftig Wort sprechen; aber Piet war ein schlechter Redner; stockend sagte er:
Alles, was Recht ist — das muß ich sagen, und einen Mann muß die Jungfer Galinda auch haben.
Welcher ehrlich getaufte Holländer nimmt aber eine Bastardjungfer zur Frau? — Das thun nur wilde Seeschiffer und Freimeister; diese haben das rechte Privileg zu den Findelkindern. Seit der Franzos im Lande und unsere Schiffe aus Furcht vor den Engländern abgetakelt im Hafen verfaulen, ist es mit den Seeschiffern aus. Also hat die Galinda nur die Aussicht auf einen Freimeister, und das muß man auch sagen, der Meister Jan von Amsterdam ist der Hauptbaas aller Scharfrichter von Holland.
Ihr sprecht mir aus der Seele, Gevatter, stimmte der Hausherr bei; unsere Galinda kann in der Welt nicht besser versorgt werden. Das versteht auch Mynheer Verkolyn besser, als wir, und da Ihr, Meister Jan, das Wort vom Mynheer schon habt, so will ich Euch das meinige nicht versagen. Wenn es Euch convenirt, so kann die Verlobung jetzt gleich geschehen.
Euer Wort acceptire ich mit Dank, sagte der Freimeister aufstehend; indessen erlaubt, ehe wir weiter negotiren, daß ich mein Wort geziemend bei der Jevrouv Braut anbringe; — und wie er jetzt zum Fenster schritt, folgten ihm die Blicke der schweigsam sitzenden Bauer-Familie.
Galinda trat ihm keck einen Schritt entgegen; sie wollte den widerwärtigen Mann kurz und bündig abfertigen; aber wie nun sein durchdringend kalter Blick ihr blitzendes Auge traf, fühlte sie ihr Herz wie von einer Zange umklammert; das zornglühende Mädchen
überrieselte es kalt beim Anblick des blassen, schwarzen Scharfrichters in blutrother Weste, — der sie holen wollte.
Meine liebe Jevrouv, sprach der Meister, Ihr habt gehört, wie Euch der Familienrath mir zugesprochen hat. Obgleich Ihr jetzt von Gott und Rechtswegen mir angehört, so daß fortan kein Mensch mehr, als ich allein, Gewalt über Euch habe, so muß ich doch bitten, daß Ihr es mir nicht übel nehmen wollt, wenn ich meine Werbung erst nach dem Spruch anbringe, und daß Ihr mir willig und ohne Haß in mein Haus folgen mögt.
Das will und thue ich nun und nimmermehr! rief Galinda trotzig, wie ein verzogenes Kind, mit ihrem kleinen Fuße stampfend; nehmt Euch in Acht, Meister Kopfabschneider, und kommt mir nicht zu nahe, sonst kratze ich Euch die Augen aus!
Mein liebes Kind, begütigte der kalte Mann, wir müssen vernünftig sein. Auf Euren Willen kommt es hier gar nicht mehr an; darum ergebt Euch in meinen Willen; dann führe ich Euch heim in mein prächtig Haus, worin Ihr wie eine wohlmögende Mevrouv regieren und Alles haben sollt, wonach das Herz nur verlangt.
Ich will aber nicht! fuhr ihn das Mädchen noch heftiger an; Ihr mit sammt Eurem prächtigen Hause seid mir bis in die Seele widerwärtig! Und ehe ich leide, daß Ihr mit Euren Händen, womit Ihr den Leuten die
Köpfe abhackt, mich anrührt — lieber springe ich in den See, wo er am tiefsten ist!
Schweig! rief plötzlich der Scharfrichter mit donnernder Stimme, indem er zugleich das erschrockene Mädchen mit aller Gewalt seiner Faust packte; ich will dir zeigen, daß du mein bist und mir gehorchen mußt; hier faß' ich dich fest, und aus meinen Händen soll kein Mensch dich los machen, so wahr ich der scharfe Meister Jan von Amsterdam bin! Und seine Beute festhaltend, wendete er sich mit herrschendem Tone und Anstand zu der erschrockenen Familie. Laßt mich mit diesem wilden Trotzkopf hier allein; — ich habe die Macht und Gewalt, noch trotzigere Köpfe still und zahm zu machen.
Erschrocken vor dem plötzlich ausbrechenden Zorn des gefürchteten Mannes waren Alle aufgesprungen; die Frauen und Drudje flohen zur Thüre, während der Hausherr und Piet unschlüssig stehen blieben. Mit einem bezeichnenden bittenden Wink gegen den Wirth fuhr der Freimeister fort: Bedenkt Euch nicht lange; ich bin hier in meinem guten Recht und hole mir die Braut nach altem holländischem Brauch, wenn sie wie ein ungezogenes Kind sich geberdet. Geht nur; ich muß meine Verlobte unter vier Augen besprechen, und ihr sollt gleich sehen, wie sie den eigensinnigen Kopf willig vor mir beugen wird.
Mit einem Gefühl, als sei der Nachrichter gekommen, eine verurtheilte Sünderin auf ihr entsetzliches Schicksal vorzubereiten, verließ die Familie das Zimmer.
— Allein mit Galinda geblieben, änderte der fürchterliche Mann seinen Ton und Geberde; seine Miene wurde freundlich, und seine milde Stimme klang bittend.
Meine liebe, starke Galinda wird sich gewiß so nicht vor mir fürchten, wie die schwachen abergläubischen Menschen da draußen. Ich will dich weder besprechen, noch dir das Herz beugen; aber bitten will ich dich, daß du mich nur ein paar Augenblicke geduldig anhören möchtest. Wenn du alsdann noch willst, so verlasse ich auf der Stelle den Zorgenhof, und wir sehen uns niemals wieder.
Wenn es so ist, sagte Galinda, scheu wie eine wilde Taube vor dem Habicht zurück weichend, da kann ich Euch wohl anhören; aber ich sag's vorher, daß ich Euch im Leben nicht mehr sehen will.
Und ich halte Wort, wenn du mir dies nachher noch sagst. — Ich wollte dich bloß fragen, ob du nicht als kleines Kind schon gemerkt hast, wie alle Leute, ja wohl die Kinder in der Schule, oft höhnisch lachend mit Fingern auf dich gewiesen, dich verspottet und dich gar für unehrlich geboren erklärt haben, weil du keine Eltern aufzuweisen hast?
Was wollt Ihr damit sagen? fragte Galinda in tiefer Schamröthe.
Antworte mir erst, ob ich recht vermuthet habe, oder nicht?
Schweigend senkte das beschämte Mädchen das Antlitz.
Du fühlst also, fuhr der Bewerber fort, daß sie dich nun und nimmermehr für so gut wie andere Leute halten, ja, die geringste Magd für ehrlicher als dich betrachten und dich niemals in eine Familie als Tochter aufnehmen werden? — Ist das nicht Unrecht von den rechtschaffenen Leuten?
Es ist abscheulich — abscheulich! rief Galinda mit funkelnden Augen.
Es ist noch schlimmer, es ist unchristlich! fügte Jener einstimmend bei; aber die böse Welt ist nun einmal nicht anders, und ich denke, daß die schöne und starke Galinda nicht so weichmühtig sein und sich lebenslang von den dummen Bauern über die Schulter ansehen lassen wird. Meine Linda wird ihnen gewiß lieber kühn und stolz entgegentreten, daß alle Menschen Achtung vor ihr haben müssen. Ist das nicht wahr?
Ja, das will ich, und das thu' ich alle Tage!
Und ich habe meine Herzenslust daran, wie hübsch die kluge Linda dabei aussieht. Doch es hilft dir Alles nichts; denn zum Dank wollen sie dich dem Scharfrichter überliefern. Ich kenne aber das rechte Mittel womit du deinem Herzen gut thun und den Leuten Achtung gebieten kannst.
Was ist das für ein Mittel? fragte sie mit naiver Hastigkeit, im Glauben, er wolle ihr eines jener Geheimzaubermittel geben, in deren Besitz man die Scharfrichter wähnt.
Denke dir einmal, wenn du in Amsterdam einer
prächtigen Kutsche begegnest, darin eine köstlich geschmückte Dame, die mit ihren großen schwarzen Augen stolz auf das Volk herab siehet und doch dabei so herzenslieb lächelt, daß ihr alle Leute gut sein müssen, weil die Dame accurat so schön ist, wie meine Galinda im Zorgenhof, — und wenn du dann fragst, wer die schöne vornehme Mevrouv ist, sprechen die Leute mit Respect: diese und die Königin haben Männer, wie keine andere Frau im ganzen Lande; denn die schöne Galinda ist die achtbare Frau von des Königs schärfstem Richter von Amsterdam. Was meinst du, würden da wohl die Leute auch noch mit den Schultern über dich zucken?
Das ist nichts. Wenn Ihr kein anderes Mittel habt, so gebt Euch weiter keine Mühe; damit fangt Ihr mich nicht! rief das Mädchen lachend; denn der schmeichelnde Mann hatte bereits seinen furchtbaren Nimbus in ihren Augen verloren.
Ich denke auch gar nicht daran, versetzte er wegwerfend, dich wilde Hummel damit zu fangen. Du mußt erst zahm werden, dann wirst du einsehen, wie ich dir jetzt wahrhaftig den einzigen deiner würdigen Platz gezeigt habe, und den ich dir offen halten werde, bis du selbst darnach verlangst.
Da könnt Ihr lange warten! spottete Galinda.
Das wollen wir gleich sehen. — Ich weiß, daß du den Platz als meine stolze Hausfrau wohl annehmen möchtest, wenn der junge Bertold nicht wäre; aber wenn
der selbst dazu rathet, dich zur Frau Freimeisterin zu machen, wie dann?
Ich verstehe Euch nicht, maulte das betroffene Mädchen.
So will ich es dir erklären. Du glaubst, weil der Bertold um dich freit und du dem hübschen Jungen auch von Herzen gut bist, darum wird er dich auch zur Frau nehmen. Aber ehe er ein unehrlich getauftes Mädchen heirathet, lieber nimmt er sich die gemeinste Magd von seinem Hofe, — ja, lieber giebt er selbst dich einem Scharfrichter zur Frau.
Das ist eine Lüge und schändliche Nachrede!
Es ist leider die reine Wahrheit, entgegnete der stattliche bleiche Mann, in seinem liebreichen Tone fortfahrend; kurz, wenn Bertold selbst dir den Rath giebt, meine Frau zu werden, willst du mir dann das Jawort geben?
So schlecht kann Bertold nicht sein!
Wenn er aber doch so altrechtschaffen denkt, daß er dich, schönes Findelkind, lieber einem Freimeister geben, als dich heirathen will?
Dann — dann — Oh — das ist gar nicht möglich!
Wenn er es aber doch thut? beharrte der kalte Brautwerber.
Dann sollt Ihr mich haben! rief Galinda unwillig, wie um den lästigen Peiniger los zu werden, setzte aber sogleich hinzu: wenn aber der Bertold mich
lieber selbst zur Frau nehmen will, statt zu rathen, daß ich Euch heirathen soll, wie dann? — Wollt Ihr mich dann in Ruhe lassen?
Wenn der Bertold bei Mynheer Verkolyn und beim Vater Zorg ordentlich um dich anhält, dann will ich dich frei lassen und das Jawort zurückgeben.
Frohlockend über diese leichte Art, von dem widrigen bleichen Manne befreit zu werden, ließ Galinda sich das Versprechen noch einmal wiederholen. Der Freimeister that dies mit einem stillen Lächeln der Freude über den glücklichen Erfolg seiner Ueberredung; doch machte er noch die Bedingung, daß Galinda noch drei Tage dieses Abkommen geheim halten sollte; erst nach dieser Zeit dürfe sie es Bertold mittheilen, der sich alsdann bestimmt erklären müsse. — Das leichtfertige Mädchen versprach auch, diese Bedingung mit Vergnügen zu erfüllen, und freute sich schon in ihrem Herzen darüber, wie es den eifersüchtigen Bertold necken und Alle im Zweifel über dieses Einverständniß mit dem Freimeister lassen wolle.
Während dieser Unterhaltung wartete die Familie in der Wohnstube mit einem so bangen Gefühle, wie es die Verwandten eines Angeklagten vor einem Criminal-Gerichtshofe empfinden mögen, wenn die Geschworenen im Nebenzimmer sich berathen. Diese Erwartung verwandelte sich in mitleidiges Erstaunen, als die schlanke Galinda mit freudestrahlendem Antlitz an der Seite des hohen, zufrieden lächelnden Scharfrichters hereintrat.
Diesen Ausgang hatte Keiner vermuthet; man erwartete das Mädchen mit gesenktem Haupte, wie ein in ihr Schicksal ergebenes Opfer eintreten zu sehen, und Galinda erschien triumphirend! Das konnte unmöglich mit rechten Dingen zugehen — gewiß hatte der Freimeister dem Mädchen eines jener geheimen Mittel beigebracht, deren furchtbare Kenntniß und Besitz ausschließlich den Scharfrichtern von dem Volksglauben zugeschrieben wird.
Bertold stand neben Piet am Fenster; das blasse, verstörte Antlitz des Jünglings, sein verworrenes Haar und ungeordnete Kleidung deuteten auf eine schlaflos vollbrachte Nacht. In der That hatte Bertold, nachdem gestern seine Hoffnung auf Piet's Eiland gescheitert, die Nacht dazu verwendet, einen andern sichern Zufluchtsort für Galinda zu finden. Es war ihm nicht gelungen, und wie er jetzt erschöpft zu Hause kam, empfing ihn die Kunde von der Ankunft seines gefürchteten Nebenbuhlers. — Piet suchte den verzweifelnden Jüngling mit der zugeflüsterten Versicherung seines Beistandes zu beruhigen.
Mein angenehmes Geschäft in Eurem Hause ist vorläufig glücklich abgeschlossen, sprach der Freimeister, mit freundlicher Zuversicht zu dem Baas vom Hause tretend; meine schöne und sehr kluge Braut hat sich nur noch drei Tage Bedenkzeit ausgemacht, und wer könnte einer sittlichen Jungfer die kurze Frist versagen? — Ich will die paar Tage auf der Goudaer Kirmes
vergnügt sein. — Wird man den Baas vom Zorgenhof mit seiner Familie auch dort sehen?
Das versteht sich von selbst! rief der Wirth munter im Vorgefühl der Kirmesfreuden; morgen ist Sonntag und der letzte Goudaer Kirmestag; da darf man nicht fehlen. Es sind starke Hackwetten geschlossen, und ich denke, mein Bertold wird dabei nicht das schlechteste Beil führen, und ich selbst will Auge und Faust auch noch einmal auf dem Kuchenblock probiren.
Schade, daß ich als Meister vom Beile nicht dabei sein darf, entgegnete der unliebsame Gast, indem er sich höflich an Bertold wendete, sonst möchte ich wohl eine Partie mit Euch versuchen; denn Ihr seid gewiß einer der besten unter den landberühmten Hackern von Gouda?
Dazu müßt Ihr freilich einen andern zu Euch passenden Kopfabhacker suchen, versetzte Bertold verächtlich.
Junger Mann, entgegnete der Freimeister ernst verweisend, es scheint nicht wohlanständig, daß Ihr einen Gast unter Eures Vaters Dach mit Zweideutigkeiten kränken wollt; sonst möcht' ich es Euch gedenken und einen gefeiten Spruch auf Euch legen, der Euren Starrkopf über kurz oder lang unter die Faust eines Kopfabhackers bringen könnte. Laßt Euch das gesagt sein und hütet Euch, künftig einen meines Gleichen zu reizen.
Zufrieden mit dem Eindrucke dieser Worte auf die abergläubische Bauernfamilie, nahm der gewichtige Freimeister Abschied, und gleich darauf sah man ihn stattlich auf seinem schwarzen Hengst aus dem Hofe reiten.
III. Ein Kuchenhacken. In den reinlichen Straßen von Gouda wogte am nächsten Tage eine bunte, geputzte Volksmasse in der Lust des letzten Kirmestages. Die Stadt prangte in festlichem Schmuck; denn die soliden, meist fünf Stock hohen Bürgerhäuser mit ihren spitzigen bunten Giebeln waren sogar von außen gewaschen und blank gescheuert. Aus allen Fenstern schauten geschmückte, rothwangige, lachende Mädchen oder steif geputzte, wohlgenährte Frauen neben ihren Eheherren, die aus langen Gipspfeifen mit ernsthaftem Behagen schmauchten. — Ueber vielen Hausthüren ragten grell gemalte hölzerne Riesenarme weit in die Straße vor; daran hingen die Embleme der Goudaer Industrie: ungeheure hölzerne Käse, gleich Kürbissen aufgereiht, und noch größere weiße Tabakspfeifen, gekreuzt wie weiße Lanzen, Alles mit flatternden Bändern und dicken Blumenkränzen bunt behangen. — Zu den zwölftausend wohlhabenden Einwohnern der kleinen, aber dicht bevölkerten Stadt hatte sich das tüchtige Landvolk aus allen Poldern und Gauen weit umher eingefunden; man erblickte unter den verschiedenen Trachten sogar viele goldbrokatene hohe Flügelmützen auf den Köpfen breit gewachsener Bauerfrauen aus der Provinz Nordholland, frisch einher stolzirend an der Seite mächtig gebauter Männer, die in ihren schwarzsammetnen Pluderhosen, dreifach über einander gezogenen
Westen, Jacken und breiten Schoßröcken, reich mit platten, massiv silbernen Knöpfen besetzt — in behaglichem Kirmesgenuß schwitzten.
Auf dem Marktplatz drängte sich das Volksgewühl Kopf bei Kopf durch einander. Seiltänzer schwebten und schwangen sich hoch über dem Getümmel. Charlatane, Zahnbrecher, Marktschreier und Bajazzos schrieen von Gerüsten herab mit Stentorstimmen ihre einladenden Rodomontaden. Eine Doppelreihe hölzerner und Segeltuchbuden mit Fahnen und großen Aushängeschildern umgaben gleich Zelten den Platz und zogen sich weit in die Hauptstraßen hinab. In diesen Zelten ward gejubelt, gezecht und jauchzend getanzt; mit dieser Tanzmusik vereinigten sich die Töne vieler Leierkasten und das Geschrei und Brüllen wilder Thiere aus den Menageriebuden. Die Atmosphäre war geschwängert von dem fettigen Speisen- und Bratendunst der Garköche, welche ihr Wesen unter freiem Himmel trieben. Gleiches Lärmen und Getöse schallte aus vielen, bis unter die Dächer gefüllten Häusern, deren Fenster ringsum den Marktplatz mit eleganten Zuschauern, darunter viele prächtige französische Uniformen, besetzt waren. Auch in dem Volksgewühl stolzirten gewandte, kecke Soldaten, die mit ihren gebräunten, mageren Gesichtern, schwarzen Augen und Bärten und mit ihrer südlichen Fröhlichkeit gegen die ernste, dickleibige Genußsucht der Holländer scharf contrastirten. Aber schon hatte hier, wie überall, wo die heitern Franzosen längere Zeit weilten, ihre
liebenswürdige Fröhlichkeit das junge Volk angesteckt. Denn die hübschen holländischen Bürgertöchter liebäugelten und tanzten lieber mit den galanten, leichtfüßigen Winzersöhnen aus der Provence, als mit den derben Goudaer Käsemachern und Thonpfeifendrehern. Daher das junge holländische Geschlecht im Jahre 1809, zur Zeit, wo der Meister Jan von Amsterdam um die schöne Galinda Floor warb, schon viel von seiner Gravität abgelegt hatte.
Vor der langen Fronte der schönsten Zeltlinie stand eine Reihe niedriger runder Holzblöcke, gleich Fleischhauerklötzen; jeden derselben umstand ein dicht gedrängter Kreis leidenschaftlicher Wettkämpfer, deren gespannte Aufmerksamkeit auf die Geschicklichkeit der Beilhauer gerichtet war. — Jeder Haublock bildete nämlich einen Kampfplatz für zwei beilgeübte Männer, welche mit kleinen glänzenden Beilen, nicht drohend gegen einander, sondern auf dünne Lebkuchen haarscharf einhauten. Die auf dem Block liegenden braunen Kuchen hatten die Größe und Form von platten Dachziegeln, und die Geschicklichkeit der Kämpfer bestand darin, diese Kuchen im Zickzack mit drei, vier oder mehr Hieben, je nach den verschiedenen Wettaufgaben, so durchzuhacken, daß in dem Zickzackschnitt kein Fäserchen des zähen Kuchens mehr zusammen hing. — Die Sieger gewannen entweder das gegen einander gesetzte Geld oder die Preise, welche der Eigenthümer der Kuchenblöcke, nach Verhältniß der Einsätze mehr oder weniger kostbar, bestimmt hatte.
Dieses Kuchenhacken ist ein Lieblingsspiel des Volkes auf den holländischen Kirmessen.
Bei einem der ausgezeichnetsten Haublöcke sehen wir im Gedränge die Familie vom Zorgenhof, eifrig an dem Spiele Theil nehmend. Der Vater Zorg hatte trotz seiner festen Faust schon manchen Silbergulden verloren, dagegen Bertold bereits viele zierliche Kirmesgaben, goldene Ohrgehänge, silberne Löffel und Schmucksachen gewonnen, die er sogleich seinem Mädchen Galinda und Schwester Drudje schenkte. — Da schritt der blasse Freimeister Jan von Amsterdam in seiner feinen schwarzen Kleidung und blutrothen Weste heran. Er hatte aufmerksam jeden Haublock besucht, und wo er nahte, theilte sich die Volksmasse, scheu vor der Berührung des Scharfrichters zurückweichend. Der Meister wurde zwar oft in zweifelhaften Fällen als Kampfrichter gewählt; aber er selbst rührte das Beil nicht an, weil er nur mit seines Gleichen kämpfen durfte, indem jeder Andere seinen Ruf durch ein Wetthacken mit dem Nachrichter befleckt hätte.
Sichtlich gerieth der Polderwirth Zorg und seine Ehefrau Sara in Verlegenheit, als Meister Jan zu ihnen trat; die Gemeinschaft mit diesem unehrlichen Manne drohte den guten Ruf des Zorgenhofs anrüchig zu machen; schon war seine Brautwerbung bekannt geworden, und dieses in den Poldern unerhörte Ereigniß hatte den Lästerzungen einen willkommenen Anlaß zu Mißbilligung und höhnischem Achselzucken gegeben. Nur
Wenige billigten die Wahl und das Glück des schönen Findelkindes mit dem heidnischen Namen und unbekannter Herkunft. — Einige dieser theilnehmenden Nachbarn standen jetzt neben dem Haublock in stummer Neugierde auf das Benehmen und die Unterhaltung des Freimeisters von Amsterdam mit dem Baas vom Zorgenhof.
Laßt uns gehen, drängte die ängstliche Frau Sara, ich bin schon müde vom langen Stehen.
Du hast Recht, Mutter, gab der Baas zu, mich verlangt nach einem frischen Trunk, und unseren Mädchen wird eine Schüssel Zuckerwaffeln auch nicht schlecht schmecken.
Der Meister Jan vertrat ihnen, höflich grüßend, den Weg. Ei, wie freut es mich, Euch endlich zu finden. Ihr dürft mir unmöglich die Freude versagen, dabei zu sein, wie ich zur Ehre meiner schönen Braut einen Kuchen hacke.
Der Zorgenwirth versuchte, mit Entschuldigungen dieser verdächtigen Gemeinschaft zu entgehen; aber der Scharfrichter ließ ihn nicht los; nach wiederholt dringendem Zureden zog der Freimeister seine Börse, hielt sie hoch und rief mit gewaltiger Stimme: Wer will gegen den Meister Jan von Amsterdam hacken? Ich wette hundert Dukaten, daß die Jevrouv Galinda Floor die schönste und ehrbarste Jungfrau in ganz Holland ist! Damit warf er die goldklingende Börse auf den Haublock.
Allgemeines Schweigen folgte dieser Herausfor-
derung; nach einer Pause trat aus dem Gedränge ein kurzer, gedrungener Mann von braunrothem Gesicht und rothen Haaren an den Block; an seiner Seite erschien eine niedrige, stämmige, dreist auftretende Frau von vollbackigem Gesicht, mit glänzendem Teint, kleinen verschmitzten Augen und mit goldenen Ketten, großen Ohrgehängen und bunten Bändern übertrieben herausgeputzt.
Es war der Scharfrichtermeister Balzer von Gouda, der sich hier, wahrscheinlich verabredet, auf die Ausforderung stellte. Gleichfalls seine rothseidene Börse auf den Block werfend, schrie er mit einer heiseren Gurgelstimme:
Wenn kein Einziger die Courage hat, für die Schönheit seiner Liebsten zu hacken, so thu' ich's! Hier liegen hundert Dukaten dafür, daß meine Frau die allerschönste und noch hübscher als die schöne Jevrouv Galinda vom Zorgenhof ist!
Herbei! Hierher, ihr Leute! schrie der Eigner des Blocks im Jubel über den ihm blühenden reichen Gewinn. Wer will Part halten und setzen für oder gegen die dicke Meisterfrau Balzer von Gouda und die feine Jevrouv Linda vom Zorgenhof?
Der Kreis neugieriger Zuschauer drängte sich enger um den Block. Viele betrachteten mit höhnischem Lächeln oder mitleidigen Blicken die schöne Galinda; doch Niemand wettete für sie; denn Keiner mochte für oder gegen die Geschicklichkeit eines Nachrichters pariren; es wäre
ja um die Reputation des ehrlichen Namens geschehen gewesen.
Galinda, bleich, wie eine weiße Wachsmaske, zitternd in Scham und Entrüstung, trat zu Bertold, faßte krampfhaft seinen Arm und flüsterte:
Wenn du es leidest, daß diese Beiden da um mich hacken, so ist es mit uns für immer und ewig vorbei.
Es hätte dieser Anreizung nicht bedurft; Bertold war ohne dies schon entschlossen; er trat barsch an den Block.
Halt! Ich leide dies Hacken nicht. — Wer giebt euch Henkern hier das Recht, ehrbare Jungfrauen zu beschimpfen?
Sachte — sachte, mein junges Blut! versetzte der Meister Jan mit seiner unerschütterlichen Kälte; fragt erst Euren Vater, ob Ihr hier mitreden dürft; der wird Euch sagen, daß die Jevrouv Linda mir schon lange von Rechtswegen gehört und versprochen ist. Wenn sie Euch so sehr am Herzen liegt, warum wollt Ihr selbst nicht um sie hacken?
Der Jüngling blickte mit Verachtung auf seinen Gegner. Wollt Ihr vergessen, daß hier die Gemeinschaft mit Euch unehrlich macht?
Laßt Euch sagen, entgegnete Jener halblaut, Ihr freit um die schöne Linda — mir ist sie aber schon fest versprochen. Wollt Ihr mit mir um die Braut hacken? Wer gewinnt, überläßt sie dem Andern.
Stutzend wich Bertold scheu zurück; in seiner Brust
wogte ein Kampf des Ehrgefühls mit der Liebe — ein Blick auf Galinda entschied. Nachgebend antwortete er: Und wenn ich gewinne, versprecht Ihr dann, von Galinda abzulassen?
Ja. Ich gebe dann Mynheer Verkolyn und Eurem Vater das Wort zurück. Dagegen müßt Ihr aber, wenn ich gewinne, der Linda selbst absagen und ihr rathen, daß sie mich nehmen soll. Wollt Ihr das? So schlagt ein. Er hielt ihm die Hand hin.
Abgemacht! rief Bertold einschlagend und zum Block tretend. Heda, Kuchen und Beil her!
Bis jetzt hatte der Vater Zorg mit gerunzelter Stirn und finstern Blicken stumm die Scene betrachtet; doch jetzt sehend, wie sein Sohn im Begriff stand, seinen guten Namen zu beflecken, trat der stattliche Baas abwehrend an den Block. Der Meister Jan hielt ihn zurück.
Stört uns nicht, flüsterte er hastig dem Vater ins Ohr; es geht um die Ruhe in Eurem Hause. Der Bertold courtoisirt die Galinda; er will mit ihr davonlaufen, wie Ihr ja selbst von der alten Lora wißt. Ich habe sein Wort, daß er von dem Mädchen abläßt, wenn ich gewinne — und das geschieht gewiß. Also nehmt lieber den kleinen Verdruß, als die große Schande, eine unehrlich getaufte Schwiegertochter zeitlebens im Hause zu haben.
Diese wohl berechneten Vorstellungen wirkten; zudem schien Bertold in blinder Leidenschaft zum Aeußersten
entschlossen. — Der Baas trat vom Block zurück zu seiner Frau Sara in den dichten Kreis der Zuschauer, die mit derselben Spannung, als gelte es hier einen ritterlichen Turnierkampf, den Ausgang des Kuchenhackens erwarteten. — Man wußte, der Meister Jan könne ein Haar mit seinem Beile spalten.
Jetzt wählte der Scharfrichter mit Kennermiene zwei der größten, ganz gleichen Kuchen und ein dazu passendes breites, glänzendes Beil, dessen scharfe Schneide er am Nagel prüfte. Damit zufrieden, maß er mit dieser Schneide die Länge des Kuchens und fand die Versicherung des Blockeigners: der Kuchen habe genau zweimal die Länge der Schneide, bestätigt. — Zum allgemeinen Erstaunen erklärte nun der Freimeister: Er wette, mit zwei Hieben den Kuchen der Länge nach durch zu hacken. — Dies war die äußerste Kunst des Hackens; denn, während man gewöhnlich im Zickzack mit wenigstens drei Hieben den Kuchen theilt, galt es hier, auf einer schnurgeraden Linie dasselbe mit zwei Hieben zu vollbringen. Bertold konnte nicht umhin, diesen Vorschlag anzunehmen.
Nach diesen wichtigen und umständlichen Vorbereitungen ergriff der Freimeister mit beiden Fäusten das Beil, nahm eine feste Stellung und hackte, nach scharfem Zielen, zweimal in den, auf dem Blocke platt liegenden Kuchen.
Sogleich traten der Meister Balzer und der Blockeigner als Kampfrichter heran und beschauten prüfend
den durchhackten Kuchen, indem sie dessen zwei Theile mit großer Vorsicht von einander trennten. Die Hiebe waren tadellos geführt; weder in der Mitte, noch an beiden Enden des Kuchens fand sich ein zusammenhängendes Fäserchen; die zähe Masse war glatt in zwei Stücke getheilt; besser zu hacken, schien unmöglich. — Galinda verlor alle Farbe aus ihren milchweißen Wangen.
Jetzt ist die Reihe an mir! rief Bertold, muthig an den Block tretend; ich kann freilich den einen Kuchen nicht schöner hacken, so wollen wir's einmal mit zweien probiren!
Mit diesen Worten legte er seinen Kuchen auf dem Blocke zurecht, bedeckte ihn mit den zwei Stücken, welche sein Gegner getrennt, und paßte sie so genau an einander, daß es nur Ein dicker Kuchen schien und der haarscharfe Schnitt in der obersten Platte nicht mehr zu erkennen war.
Ich wette, rief Bertold, beide Kuchen mit zwei Hieben zu hacken in derselben Linie, welche der Freimeister Jan gemacht! Nun schwang er das Beil mit einer Hand und hackte mit graziöser Leichtigkeit zweimal in den Kuchen; dann das Beill auf den Block werfend, sagte er lachend zu seinem staunenden Gegner: Ihr denkt Euch Wunder was mit Eurer Hackekunst. Für uns Goudaer Jonges ist das nur Spaß! Da wird nicht lange mit beiden Fäusten gezielt!
Die Kampfrichter fanden jeden der beiden Kuchen
wunderschön in zwei Theile gespalten. Ein Beifallgeschrei der Zuschauer belohnte den geschickten Jüngling.
Um die Wette zu entscheiden, mußte jetzt der Freimeister es seinem Gegner gleich thun; doch wie sorgfältig Meister Jan auch die zwei Kuchen auf einander legte und wieder, scharf zielend, mit beiden Fäusten hackte — es gelang ihm nicht. Als die Kampfrichter die durchhackten Kuchen von einander trennten, fiel aus dem Spalte der oben liegenden Tafel, welche Bertold vorher durchgehauen, eine dünne Kuchenschnitte heraus. — Der berühmte Meister Jan hatte verloren.
Ein fröhlich schallendes Hohngelächter verkündete den Volksjubel über die Niederlage des Freimeisters von Amsterdam. Dieser ging sogleich mit mühsam gehaltener Fassung zu dem Bass vom Zorgenhof und löste sein gegebenes Wort.
Euer Sohn hat wahrhaftig eine Faust und kaltes Blut dazu, daß er werth ist, ein Freimeister zu werden. Wenn unser alter Handwerksglauben nicht trügt, so muß der wackere Bertold es auch noch dahin bringen; denn er hat es mir, dem obersten Landscharfrichter, mit dem Beile auf dem Blocke zuvor gethan. — Na, ich freue mich von Herzen der Aussicht auf die Kameradschaft und überlasse Eurem Sohne meinen Platz bei der Jungfer Galinda. Er hat die Braut mir abgewonnen, und meine besten Wünsche sollen dem schönen Paare Glück bringen.
Diese anzügliche Rede ward in dem allgemeinen
Freudenlärm nur von dem Vater Zorg und seiner Frau gehört. Bertold, Galinda und das kluge Drudje drängten in ihrem stürmischen Herzensjubel zum Tanzsaale, wo Bertold sein gewonnenes Mädchen im Tanze so hoch schwang, daß selbst die alten Holländer ihre Freude daran hatten.
Die Kuchenhacker in Gouda sprechen heutigen Tages noch mit traditioneller Bewunderung von dem unerhörten Wetthacken des jungen Baas vom Zorgenhof mit dem Freimeister Jan von Amsterdam.
IV. Die Entführung. Durch die unerwartet glückliche Abwendung der Gefahr, Galinda durch den Scharfrichter zu verlieren, waren die Gemüther der Familie im Zorgenhof in eine übereinstimmende Freudigkeit versetzt. Befreit von dem drückenden Gefühl, das geliebte Mädchen schuldlos in die Arme eines Mannes zu legen, dessen verachtetes Gewerbe auch seine Frau von jedem Umgange mit ehrlichen Leuten ausschloß, weidete sich jetzt die Zuneigung der Hausgenossen mit verdoppelter Zärtlichkeit auf Galinda, damit ihr das zugemuthete Unrecht zu versüßen und vergessen zu machen. Unter dem Schirme dieser allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte sich die bisher verheimlichte, schüchterne Liebe des jungen Paares so sicher und geborgen, daß Beide ihre ängstliche Zurückhaltung mehr und mehr ablegten und ihre innige Zärtlichkeit
unverhohlen unter tausend Neckereien, Scherzen und Tändeleien offenbarten. Aber an dem heitern Himmel dieses sorglosen Glückes zogen die Elemente eines zerstörenden Gewittersturmes herauf. Der strenge Hausvater beobachtete mit täglich finsterer werdender Miene seine fröhlichen Kinder. Der verständige, aber in althergebrachten Vorurtheilen starre Baas fand wenig Bedenken dabei, sein Pflegekind einem reichen Freimeister zu vermählen; — aber mit diesem unehrlichen Kinde sein eigenes Haus — den makellosen Ruf seines Namens zu beflecken? Nimmermehr! und wenn Galinda die natürliche Tochter des Statthalters von Holland wäre — die untadelige Ehefrau eines rechtschaffenen Polderbauern konnte sie nicht werden.
Lange ging der besorgte Vater mit sich zu Rathe, wie er am sichersten und schnellsten dieses Unheil von seinem Hause abwenden könne. Sein richtiges Gefühl sagte ihm, daß er nicht versuchen dürfe, mit Gewalt diese lodernde Leidenschaft zu ersticken; denn sie würde, unter dem Drucke fortglühend, endlich zum entschlossensten Widerstande gereizt, ihre Fesseln rücksichtslos zerbrechen. — Den kürzesten und sichersten Weg zum Ziele glaubte der vorsichtige Baas in einer schnellen, unerwartet und für immer eintretenden Trennung zu finden. Dieses Mittel stand ihm leicht zu Gebot. Nachdem er noch einmal den wichtigen Schritt von allen Seiten überlegt, stopfte der verständige Mann sich eines Morgens eine Extrapfeife, ging in sein Arbeitsstübchen, wo ihn Nie-
mand stören durfte, legte bedachtsam einen feinen Bogen Papier zurecht und schrieb an Mynheer Verkolyn:
Ew. Wohlmögenden thue ich hiermit avisiren, daß die bestellten und accordirten hundert Centner Käse fertig und gut zur Uebernahme im Zorgenhof bereit liegen. Bei neben dem Käse ist auch das Pflegekind von Mynheer, die Galinda, nunmehr so weit fertig und groß gezogen, daß es zum Transportiren in die Stadt für sie die höchste Zeit ist, als warum ich hiermit bei unserem gerade jetzt zu Michael abgelaufenen Pensionscontract ersuchen muß. — Ja wohl, Mynheer, geht es mir hart an, das übrigens gesund und flink conditionirte Maisje abgeben zu müssen; aber es läßt sich anders nicht prakticiren, abgesehen, weil seit der Zeit, daß die Geschichte mit dem Freimeister Jan sich zerschlagen hat, nun gar kein Auskommen mit der Galinda mehr ist; denn da hat sie in ihrer Freude meinem Sohne Bertold einen Liebeswurm ins Herz gesetzt, der mir, darin wie in einem Käse heckend, bald den ganzen Jungen verderben, ja leicht mein ganzes Haus mit fressendem Unglück anstecken möchte. — Also wollte ich Mynheer ersuchen, am besten den ehrenfesten Herrn Baldus Sachtervanst selbst hierhin zu erpediren, daß er die hundert Centner Käse und die Galinda von mir abnehmen thue.
Verbleibe mit allem Respect von Mynheer der gehorsamste Diener Hendrick Zorg. Zorgenhof, am 26. September 1809.
Nachdem er diesen wichtigen Brief mit schwerem Herzen vollendet, ergriff der Baas Hut und Stock und schritt in seiner gewöhnlichen, heute mühsam erzwungenen ruhigen Haltung hinaus nach Gouda, wo er den Brief selbst auf die Post gab. Der behutsame, entschlossene Mann wollte seinen unwiderruflichen Entschluß rasch und so sicher wie möglich ausgeführt wissen; deßhalb erfuhr auch die Mutter Sara nichts von seinem Vorhaben.
Und die Voraussetzung auf die Geschäftspünktlichkeit des reichen Handelsherrn Verkolyn täuschte nicht. Am frühen Morgen des Michaeltages steuerte ein schön gemaltes Segelboot mit flatterndem Wimpel, pfeilschnell vor dem Winde auf den Wellen tanzend, gerade über den See dem Zorgenhofe zu, schnitt mit einer scharfen Wendung in den schmalen Wiesenkanal und legte sogleich beim Hofe an. Zwei Matrosen sprangen ans Land und halfen einem alten, äußerst sauber im altmodischen Schnitt gekleideten Herrn aussteigen. — Es war ein stürmischer, grauer Herbstmorgen, schwere Regenwolken hingen grau über der platten Landschaft, einige Möven zogen in ihrem schwanken Fluge kreischend über den Hof und schwebten gleich weißen Sturmvögeln über dem See. Der stoßweis wehende Wind drohte dem aussteigenden alten Herrn den kleinen dreieckigen Hut von der Zopfperrücke zu reißen; doch den Hut festhaltend, und mit im Winde flatternden breiten Rockschößen, ging
er festen Schrittes, auf ein spanisches Rohr mit goldenem Knopf gestützt, in das Wohnhaus.
Hier empfing die überraschte Familie den Eintretenden wie einen alten, herzlich geliebten Freund. Galinda flog ihm vor Allen entgegen.
Ah, da kommt der Papa Sachtervanst! Willkommen, lieber Papa Baldus! rief das ungestüme Mädchen, ergriff mit beiden Händen die weiße, von breiten Spitzenmanchetten umfaßte Hand des alten Herrn, küßte sie einigemal herzlich, hielt sie fest und schaute fragend mit großen, freudeblitzenden Augen dem lächelnden Papa ins Gesicht.
Wie freue ich mich, meinen lieben Papa Baldus zu sehen! Du bist doch gesund und wohlauf? Gewiß bringst du mir wieder was Hübsches mit aus Amsterdam — und in diesem garstigen Wetter!
So laß doch den Herrn Sachtervanst zu Worte kommen! schalt Drudje, ihre Milchschwester beim Arme ziehend; dann stellte sich das drolle Poldermädchen graziös vor den alten Herrn, machte einen zierlichen Knix und sprach:
Guten Morgen, Herr Papa Sachtervanst; wir freuen uns sehr über die Ehre Ihres Besuches bei so schlechtem Wetter; lassen Sie es sich im Zorgenhof gefallen und bleiben wenigstens ein paar Tage als unser liebster Gast bei uns.
Nun bewillkommte Bertold auch den vieljährigen Hausfreund, und erst, nachdem das junge Volk seine
vordringliche Freude ausgelassen, kam die Reihe an die ruhig wartenden Eltern. Der Baas schüttelte mit biederer Herzlichkeit die Hand des bewährten Geschäftsfreundes, und Mutter Sara bat ihn, ihr Haus als das seinige zu betrachten und mit dem Wenigen, was es vermöge, vorlieb zu nehmen. Dann mußte der Gast Platz nehmen und sich gefallen lassen, vorerst ein tüchtiges, wärmendes Frühstück mit seinen erfreuten Wirthen zu theilen.
Während des Frühstücks bewegte sich das Gespräch über alltägliche Gegenstände; man war gewohnt, jedes Vierteljahr einen Commis von Mynheer Verkolyn im Zorgenhof zu sehen, um den regelmäßigen Bericht über Galinda und die Geschäftsabschlüsse zu machen. Selten erschien dazu der erste Buchhalter Sachtervanst; dieser glaubte also, der Familie einige Erklärungen über sein ungewöhnliches Erscheinen schuldig zu sein.
Ich habe auch die Dampfmühlen am See besucht, erzählte der freundliche Gast; denn Mynheer Prinzipal will sich dabei interessiren. — Ich denke, es ist eine gute Landspeculatie dabei zu machen.
Was Sie sagen! rief der Baas, über den wichtigen Wink staunend, Mynheer Verkolyn will auf dem See speculiren? Darf man ohne Indiscretie fragen, was Mynheer dazu bewegen thut?
Im Vertrauen gesprochen, Mynheer hat nur Ordre gegeben, seinem Freunde, dem Baas vom Zorgenhof, über die Seespeculatie reinen Wein einzuschenken. Mynheer
hat den Auspumpeplan durch den ersten Ingenieur der Admiralität untersuchen lassen, und dessen Bericht ist so günstig ausgefallen, daß Mynheer Verkolyn alle, jetzt unter siebzig stehenden Actien allein unterzeichnen will.
Das verstehe ich nicht, zweifelte der Baas; der Maschinenmeister sagte mir doch neulich, das Project sei so gut, wie gescheitert.
Da hatte der Maschinenmeister auch Recht, mit seinen fünf Mühlen allein geht es nicht. Aber wenn noch zehn dazu kommen und dann also fünfzehn Mühlen arbeiten, so garantirt der Admiralitätsingenieur den glücklichen Erfolg. Mynheer Verkolyn hat also gleich die Actien für die zehn Mühlen allein gezeichnet und ein gut Geschäft damit abgeschlossen.
Schade, daß man dies nicht eher gewußt, beklagte der nachdenkende Wirth. .
Mynheer Verkolyn ist seinem Freunde, dem Baas Zorg, zu sehr vielem Dank verpflichtet und wird sich freuen, Gelegenheit zu haben, diese Schulden etwas abzutragen. Vielleicht würde er seinem Freunde die Actien von einer Mühle ablassen.
Jetzt begriff der industriöse Wirth die ganze Wichtigkeit dieser großmüthigen Andeutungen. Er wußte, daß jedes Wort aus dem Munde dieses Mannes gewichtig wie Gold sei und Mynheer Verkolyn ohne Zweifel eine gute Gelegenheit ergreifen wolle, für die Erziehung seines Pflegekindes seinen Dank zu bezeugen. — Eine dieser
Mühlen kostete hunderttausend Gulden; davon bot ihm der Buchhalter Actien mit der gewissen Aussicht auf wenigstens dreißig Proeent, das heißt auf dreißigtausend Gulden Gewinn. — Wie viel Käse mußte der Baas kneten lassen, um eine solche Summe zu verdienen! Er legte hastig, mit freudig geröthetem Gesicht, die Gabel hin, und, aller Sitte entgegen, den Gast drängend, sagte er:
Darf ich bitten, darüber mit Mynheer im Kabinet abzuschließen?
Steh' mit Vergnügen zu Diensten, gewährte der lächelnde Buchhalter, nahm behutsam seine Serviette aus der Halsbinde, damit sein Spitzenjabot nicht befleckt werde, und erhob sich dankend mit dem Wunsche, daß es allerseits wohl bekommen möge.
Dann gingen beide Männer in das Kabinet.
Was ist das für eine Mühlengeschichte? fragte Galinda.
Du weißt ja, sie wollen damit unseren See auspumpen, antwortete Bertold spöttisch.
Auspumpen! rief das lachende Mädchen, auspumpen unseren See, der so groß ist, daß man mit den Augen sein Ende nicht finden kann! Da können sie lange pumpen. Ein paar Tage Regenwetter gießt mehr Wasser hinein, als sie mit hundert Mühlen herauspumpen können. — Nein, nein, glaube mir, Bertold, der Papa Baldus ist nicht der Mühlen wegen gekommen. Mir ist bange davor, was sie da drinnen jetzt abmachen.
Der Vater war die letzten Tage her so mild und gut zu mir; er hat meine tollen Streiche nicht gescholten und mich sogar ein paarmal gestreichelt, wobei er mich so liebherzig ansah, daß mir jetzt Angst und Bange davon wird.
Das Geplauder unterbrach die Stimme des Vaters, der im Kabinet nach der Mutter Sara rief; diese ging sogleich hinein, und die drei jungen Leute traten, in neugieriger Erwartung sich berathend, zusammen. Drudje versicherte, daß sie jetzt auch dem Frieden nicht länger traue.
Nach einer kleinen Weile kam die Mutter zurück. Sie war blaß; aus ihrer verstörten Miene sprach der Schrecken; Thränen füllten ihre Augen, als sie mit bewegter Stimme zu Galinda sprach: Meine liebe Tochter, ich soll dir sagen, daß du dich bereit halten mußt, in einer halben Stunde mit dem Herrn Sachtervanst nach Amsterdam zu reisen.
Wie lange soll ich von hier fortbleiben? fragte Linda erschreckt.
Du wirst künftig in einem prächtigen Palast bei deinem Pflegevater Mynheer Verkolyn wohnen und unsern stillen Zorgenhof da wohl nicht vermissen, tröstete die gutmuthige Mutter unter rinnenden Thränen.
Sagt mir, Mutter, fragte der blaß gewordene Bertold, ist das unabänderlich gewiß, daß meine Linda fort, für immer fort aus unserm Hause soll?
Ja, die Männer haben es eben im Kabinet so beschlossen.
Ich denke, wir Beide haben auch ein Wort dabei zu sprechen, sagte Bertold entschieden, indem er Galinda's Hand fest ergriff; komm, Linda, jetzt will ich halten, was ich dir versprochen habe.
Er zog das erschrocken sich sträubende Mädchen in das Kabinet; die Mutter und Drudje folgten mit zögernder, banger Neugier.
Vater, sagte Bertold, vor den Baas tretend, ich habe gehört, daß unsere Linda fort nach Amsterdam reisen soll. Aber ich muß Euch, eh' sie aus dem Hause geht, ein geziemend Wort sagen.
Ich habe jetzt nicht Zeit, deine dummen Kindereien anzuhören. Geh und störe mich nicht im Geschäft.
Mein Anliegen, lieber Vater, ist kein Kinderspiel und viel wichtiger, als Eure Negotien. — Ihr wißt wohl schon, Vater, daß — daß ich und Linda — — uns einander lieb haben, und darum komme ich —
Ja, ja, ich weiß schon Alles, unterbrach der Baas mit scheinbar peinlicher Geschäftsungeduld und nur halb hinhörend, denn er wollte jede Erklärung vermeiden; laß mich in Ruh'; nachher kannst du sprechen, so viel du willst.
Nein, Vater, beharrte der Jünglmg, durch diese Nichtachtung gereizt; ich gehe nicht eher von der Stelle, bis Ihr mich angehört und mir gesagt habt, ob Ihr nichts dawider habt, daß die Galinda meine Frau wird?
Was? schrie der Baas auffahrend, der Junge will mir — mir trotzen? Den Augenblick mach, daß du hinaus kommst!
Nicht eher, bis Ihr ja oder nein gesprochen habt, erklärte der Sohn.
Was meinen Sie, Mynheer Sachtervanst, zu einem bartlosen Jungen, der seinem Vater vor fremden Gästen kommandiren will?
So kommt Ihr mir nicht davon, Vater, bestand Bertold; wenn Ihr mir nicht Bescheid geben wollt, so geh' ich auf der Stelle mit meiner Linda zum Maire und lassen uns einschreiben, daß Euch der Huissier statt meiner fragen soll, ob Ihr darein willigt, daß ich die Galinda heirathen kann. Denn ich merke schon, worauf es hier bei Euch abgesehen ist.
Nun denn, so will ich es dir sagen, ungerathener Bube, versetzte der Baas plötzlich mit furchtbarer Kälte: ehe ich darein willige, daß mein Sohn einen Bankert heirathet, lieber jag' ich dich wie einen räudigen Hund aus meinem ehrlichen Hause!
Sachte, sachte, lieber Freund, sagte der geschäftskundige Buchhalter beschwichtigend, laßt uns nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und nicht die kalte Vernunft im Feuer eines Hitzkopfes verbrennen. Ich sollte meinen, die Pflegetochter des wohlmögenden Mynheer Verkolyn wäre ein Gut, so viel werth, daß auch andere Ehrenmänner als Euer Bertold darnach Verlangen tragen möchten.
Ja, solche Ehrenmänner, wie der Meister Jan von Amsterdam, warf der Baas spottend hin.
Vergönnt mir noch einmal das Wort, flehte Bertold ehrerbietig, ohne Galinda's Hand zu lassen, laßt mich nicht umsonst bitten und stoßt mich nicht meiner Braut willen aus Eurem Hause, lieber Vater. Seht, ich habe der Linda versprochen, sie zu nehmen, und sie hat mir Hand und Wort gegeben, keinen Andern als mich zu heirathen. Dabei bleibt es; denn ein ehrlicher Mann hält sein Wort, und wie es in der Bibel geschrieben steht, eher verlaß' ich Vater und Mutter und geh' unter die Franzosen — als daß ich meine Linda aufgebe. Laßt Euch erbitten, Vater, und gebt es zu.
Der Baas drehte dem flehenden Sohne kalt den Rücken und sagte zum Buchhalter: Ich denke, Herr Sachtervanst, Ihr Boot wartet; nehmen Sie es nicht übel, daß ich unter sothanen Umständen um schnelle Ausführung unseres Geschäfts ersuchen muß.
Soll geschehen, entgegnete der steife, höfliche Herr, und sich mit einer einladenden Handbewegung freundlich an Galinda wendend: Jevrouv, als Ihnen beliebt, bitte ich anzunehmen, daß ich Sie jetzt mit nach Amsterdam führe.
Und wenn ich nicht will? fragte das Mädchen mit blitzenden Augen.
Warum sollte Mynheer Verkolyn's Tochter nicht wollen? Ich denke, es will sich nicht recht schicken, daß meines Herrn Prinzipal's Pflegekind länger unter einem
Dache bleibt, wo sie nicht mehr gern gesehen wird. — Alles Uebrige, auch mit Bertold, wird sich in Amsterdam beschließen lassen.
Du hast recht, Papa Baldus! rief Galinda; dann zu Bertold gewendet, schmeichelte sie bittend: Laß mich immerhin nach Amsterdam; du mußt mit meinem Vater Verkolyn reden, und wie es auch kommen mag, ich bleibe dir und meinem Worte treu.
Unter dieser Aufregung plötzlich bei dem Gefühle der Trennung in Thränen zerfließend, warf Galinda beide Arme um der Mutter Hals, bat unter Küssen, ihr alles, alles Unrecht und tolle Streiche, die sie begangen, zu verzeihen und sie lieb zu behalten. Ohne die Antwort zu erwarten, riß sich das leidenschaftliche Mädchen los, um gleich zärtlichen Abschied von der still weinenden Drudje zu nehmen. Nachdem beide Mädchen sich das Herz unter dem Abschiedskuß voll Weh gesättigt, wendete sich Galinda zudem strengen Baas, und ihre Thränen trocknend, sprach sie mit ihrer süßen, vollklingenden Stimme:
Ihr habt mich gelehrt, Vater, niemals zu lügen, und so muß ich Euch sagen, daß mir ist, als ob Ihr schwer kränkendes Unrecht an mir thut. Es ist nicht meine Schuld, wenn meine Eltern sich versündigt und mir nicht einmal einen ehrlichen Namen gegeben haben. Ihr seid aber noch schlimmer, daß Ihr mich lehrt, meine Eltern zu hassen, indem Ihr mir deren Sünde vorwerft und mir Dinge offenbart, wovon mein Sinn nichts
ahnte. — Mit diesem Stachel im Herzen schickt Ihr mich aus dem Hause. — Ich gehe gern und wünsche nur, daß Ihr Euch niemals Eurer Kinder zu schämen braucht.
Das tief betrübte Mädchen ließ den betroffenen Baas stehen und schritt, dem Buchhalter die Hand reichend, rasch hinaus. — Die Mutter und Drudje folgten; Bertold drängte sich an Galinda's Seite und flüsterte zu ihr in leisen, dringend bittenden Worten. Das Mädchen hörte schweigend mit sinnend gesenktem Kopfe; doch bei der Hausthür angelangt, blickte es dem Geliebten mit dem vollen Ausdrucke der Gewährung ins Auge und nickte ihm stumm die Einstimmung. Zufrieden verließ der Jüngling die Hinausgehenden und sprang über den Flur in sein Zimmer.
Der Sturm tobte jetzt heftiger, wie am Morgen, über den See, dessen hohe, schäumende Wogen sich donnernd am Ufer brachen; einzelne schwere Regentropfen schlugen aus den jagenden Wolken herab , und in dem brausenden Winde schritten die Abreisenden mit flatternden Gewändern schweigend zu dem schaukelnden Boote. Besorgt wollte die Mutter Sara die gefährliche Fahrt über den wild aufgeregten See verhindern; aber die Matrosen versicherten lachend, der Wind sei vielmehr günstig und an Gefahr nicht zu denken. — Noch einen letzten Abschiedskuß, und Galinda sprang leicht mit der Sicherheit, welche die Gewohnheit giebt, in das schaukelnde Boot und half dem schwankend einsteigenden alten
Herrn Baldus zu dem besten Sitze. Sogleich blähte ein Windstoß rauschend das große Segel, das Boot neigte sich gehorsam unter dem treibenden Drucke, und mit der Spitze die hoch aufspritzenden Wellen zertheilend, sah man es bald fern, auf den Wogen auf und nieder tauchend, pfeilschnell davon fliegen.
Trauernd und mit schweren Herzen kehrten Sara und Drudje zurück in das verödete Haus.
Während nun der Baas vom Zorgenhof, unbekümmert um seinen Sohn, sich mit Versendung der Käselieferung beschäftigte, müssen wir uns auf den wild aufgeregten See in das Boot begeben, welches Galinda so plötzlich entführte. Einem Unerfahrenen hätte in dem flachen, langen Fahrzeuge, mitten in den hoch gehenden, oft ins Boot spritzenden Wogen bange werden mögen; aber die damit vertrauten Holländer schauten mit ihrem gewohnten Kaltmuthe in diese Gefahr. Nur Galinda schien gewaltsam ihre innere Aufregung zu zügeln; sie spähte unverrückt mit ihren scharfen Augen nach den immer mehr und mehr verschwindenden Ufern am Zorgenhof; endlich belebten sich ihre festgeschlossenen Lippen; denn ein weißer Punkt tauchte fern in den dunkeln Wellen auf und nieder. Nicht lange, und auch die Matrosen bemerkten jenes kleine Segel, das, rasch mit Vortheil verfolgend, sie in Kurzem einholen mußte.
Der Kerl muß sein Leben keinen faulen Strick werth halten, bemerkte ein Matrose, daß er auf seiner Nußschale
ein Besansegel aufhißt und bei diesen Windstößen damit in See steuert.
Er scheint uns einholen zu wollen, sagte der alte Buchhalter, besorgt hinschauend; zieht das Segel ein und legt bei.
Das geht nicht an, widersprach der Steuermann; ohne Segel ist das Boot auf diesen Schlagwellen nicht zu regieren; es möchte leicht kentern. — Reff' das Segel auf drei Viertel.
Dieser Befehl wurde rasch ausgeführt; das Segel zog weniger Wind, und das Boot mäßigte seinen fliegenden Lauf. Jetzt schoß der kleine Nachen windschnell heran; unter seinem großen Segel saß ein Mann mit tief ins Gesicht gedrücktem Hut. Ehe man sich's versah, fuhr der kühne Segler windwärts an das große Boot, und mit einem Hakenruder sich Bord an Bord ziehend, rief Bertold im Moment offenbarer Todesgefahr:
Zu mir, Galinda, rasch!
Und das kühne Mädchen war mit einem Sprunge bei dem Geliebten. — Der kleine Nachen schwankte, Wasser schöpfend, — doch Bertold stieß mit dem Hakenruder kräftig ab — und — davon flog er mit seiner köstlichen Beute auf Sturmesflügeln.
Das Alles war das Werk weniger Augenblicke; dem alten Herrn Baldus schauerte das Herz in starrem Schrecken.
Das ist ein waghalsiger Teufelskerl! meinte der verblüffte Steuermann.
Er hat uns die Ladung unter den Händen fortgekapert, stimmte ein Matrose bei.
Schnell hinterdrein! rief der Buchhalter; jagt ihnen nach. Herr Gott, wenn dem Kinde ein Unglück passirte!
Das Segel wieder aufreffen und das Boot scharf an den Wind setzen, war in einem Nu geschehen, und nun begann auf dem Wellen schlagenden See in Sturmesbrausen ein jagendes Wettsegeln, wobei der kleine Nachen augenscheinlich mit jeder Minute mehr Vorsprung gewann; Bertold steuerte gerade auf die Schilfinseln, welche Piet's Eiland umringen.
Wenn er vor uns zwischen die Rohrinseln gelangt, sagte der Steuermann, dann haben wir das Nachsehen; denn in den seichten Untiefen würde unser schweres Boot bei diesem tiefen Wellenschläge stranden.
Und so kam es; Bertold verschwand mit seinem leichten Nachen in der grünen Schilfwand — noch glänzte sein weißes Segel eine Weile über dem wogenden Rohr, dann verschwand auch die fliehende Mastspitze, und der alte Buchhalter mußte rathlos vor dem bergenden gefährlichen Röhricht ausweichen.
Hätten wir nur den Enten-Piet am Bord, so wäre uns geholfen! rief der Steuermann ärgerlich.
Wer ist das — wo wohnt der Entenmann? fragte Baldus.
Es ist der Pieter Waterhout; sein Haus liegt dort mitten im See hinterm Schilf. Er hat ein federleichtes
Boot und kennt alle Schliche. Wenn Einer, so kann der allein hier helfen. — Nehmen wir einen Umweg, dann können wir hinsteuern; ich kenne das Fahrwasser zum Piet's Eiland.
Der Buchhalter erinnerte sich, wie der Baas im Zorgenhof erzählte, daß Bertold auf der Insel des Entenjägers die Galinda hatte verbergen wollen; wahrscheinlich entführte er sie jetzt dorthin. Baldus befahl also, gleich nach der Insel zu fahren.
Seine frohe Erwartung ward getäuscht; Bertold's kleines Boot lag nicht an der Insel. Wohl fanden sie den Entenjäger bei seiner Mutter Lora zu Hause, doch betheuerten Beide, daß sie weder Bertold, noch das entführte Mädchen gesehen. Piet war zur Hülfe bereit; sein Jagdboot wurde bemannt, und damit begann das Nachsetzen; aber nach einigen Stunden kehrten sie zurück, ohne daß eine Spur von dem unbegreiflich verschwundenen Paare gefunden war — die wüthenden Wellen schienen es sammt dem kleinen Kahn verschlungen zu haben.
Trostlos mußte der unglückliche Buchhalter gegen Abend auf den Zorgenhof zurückkehren; seine Trauerkunde setzte die Familie in Verzweiflung. — Man untersuchte Bertold's Zimmer und fand den Schreibtisch offen, und alles darin enthaltene Geld, des Jünglings bedeutende Ersparnisse, fehlte; er schien also mit vorsichtiger Ueberlegung den Entführungsplan ausgeführt zu haben, um das elterliche Haus für immer zu verlassen.
Alle Nachforschungen, welche in den folgenden
Tagen nach dem Entflohenen in der Umgegend angestellt wurden, blieben ohne Erfolg, und so gewann die Ueberzeugung immer mehr Grund, daß das unglückliche Paar von der Gewalt des tobenden Herbststurmes in dem See begraben ruhe.
V. Der Frei-Lehrling. An einem kalten Morgen des felgenden strengen Winters saß Mynheer Verkolyn in seinem Palaste zu Amsterdam, behaglich frühstückend, neben dem großen Marmorkamin, worin ein glühender Haufen Torf Wärme in dem bequem und mit gediegener Pracht ausgestatteten Zimmer verbreitete. Der Kaufherr saß gemächlich ruhend in seinem hochgelehnten Großvaterstuhle von dunkelm Mahagoniholz; vor ihm auf einem massiven Tische duftete in goldenem Service echter Mocca, ein damals zur Zeit der Continentalsperre kaum zu erlangendes kostbares Getränk. Mynheer war ein hochgewachsener Greis von beinahe achtzig Jahren; sein silbern schlichtes Haar fiel gescheitelt bis auf die breiten Schultern herab; sein kräftig gefärbtes Antlitz und die noch glänzenden blauen Augen zeugten von ungeschwächter Lebenskraft; er las ohne Brille aufmerksam eine Morgenzeitung.
Geräuschlos öffnete sich die glänzend polirte, mit vergoldeter Bronce geschmückte Stubenthür, und ein betagter, gepuderter Diener in schwarzem Kleide von altem
Schnitt, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen meldete mit gedämpfter Stimme:
Der Meister Jan von Amsterdam läßt um Vergunst bitten, Mynheer aufwarten zu dürfen.
So früh am kalten Morgen? bemerkte Mynheer mit leichtem Kopfschütteln. Der brave Meister Jan ist mir immer willkommen.
Der Diener verschwand und trat nach einigen Augenblicken hinter dem Angemeldeten wieder in das warme Gemach. Der Freimeister erschien in seiner schwarzen Kleidung, bleich, wie immer. — Mynheer erhob sich und ging dem Eintretenden einige Schritte entgegen — eine ehrende Achtung, welche der stolze Millionär nur Wenigen bewies. — Nach dem Empfangsgruß befahl der ernste, freundliche Greis:
David, einen Sessel für den Herrn. Der Diener stellte gehorchend einen Sessel zum Kamin und schritt geräuschlos über den kostbaren bunten Fußteppich aus dem stillen Zimmer.
Hätt' ich doch kaum erwartet, unsern wackern Meister Jan sobald in meinem Hause wieder zu sehen, nachdem Sie mir einen Korb für mein unglückliches Pflegekind gegeben.
Aufrichtig gestanden, entgegnete der Scharfrichter, fürchtete ich mich, durch die fatale Erinnerung Mynheer unangenehm zu werden, und doch ist es gerade wieder meine verlorene Braut, um derentwillen ich so früh stören muß.
Haben Sie Nachricht — wissen Sie, wo das Kind ist? rief lebhaft der sonst unerschütterliche, gleichmüthige Greis.
Zuverläßige Nachricht habe ich wohl; doch weiß ich ihren Aufenthalt noch nicht. Um Ihr ganzes Interesse zu contentiren, muß ich ein wenig weit ausholen. — Es war vor beinahe drei Monaten, just um die Zeit, wo die Jevrouv Galinda unter den Händen des seitdem in Kummer sich abgrämenden Herrn Sachtervanst entführt worden, da trat eines Abends ein junger, schöner Mensch in meine Stube und ging mich mit der dringenden Bitte an, ihn als Freilehrling für meine freie Kunst anzunehmen. Ich muß gestehen, Mynheer, daß ich mich bei diesem Anliegen und dem Vertrauen des jungen Mannes geschmeichelt fühlte; denn ich kannte diesen kühnen Trotzkopf; er hatte mir die Braut in Gouda abgehackt — kurz, es war der junge Bertold Zorg.
Was Sie sagen! — Warum theilten Sie mir das nicht auf der Stelle mit? — Sie hätten mir viel Kummer erspart — und Galinda?
Sie sei gut aufgehoben, versicherte mein Freilehrling; mehr konnte ich bis jetzt über diesen Punkt von ihm nicht herausbringen. Aber daß er wahr spricht, beweis't der Umstand, daß er aus reiner Liebe zu dem Mädchen, und um sie gewiß zu kriegen — ein Freimeister werden will.
Ich verstehe nicht recht; erklären Sie mir deutlicher — der junge Mensch scheint ein verstockter
Starrkopf zu sein; aber er mochte an meinem Sinne brechen.
Sie wissen, Mynheer, fuhr der Scharfrichter in begütigendem Tone fort, daß wir Freimeister ein Privilegium haben, wonach wir berechtigt sind, jedes uneheliche Mädchen — und wenn es von der allervornehmsten Familie wäre — zu heirathen. Ein uneheliches Mädchen dürfen die Eltern einem Freimeister nicht versagen, wenn anders das Mädchen selbst in die Heirath willigt; denn wo sollten wir Freimeister sonst wohl Frauen hernehmen? Auf Grund dieses Rechts habe ich auch bei Mynheer um Ihr Pflegekind Galinda geworben.
Sie halten das Mädchen doch nicht für mein Kind? scherzte der ehrenfeste Kaufherr.
Das kann ich schon deßhalb unmöglich vermuthen, versetzte der Freimeister mit einem beobachtenden Blicke, dessen Schärfe Jenen in Verlegenheit setzte, weil Mynheer Ihre Tochter nicht unter Bauern aufwachsen lassen möchten. Aber es giebt Leute, welche mit Bertold und dem alten Baas Zorg glauben, daß die schöne Galinda aus Italien her Ihnen nahe verwandt ist und Mynheer vielleicht Großvaterstelle bei dem Mädchen vertreten.
Das sind alberne Märchen! Sie, lieber Meister, wissen doch, daß meine einzige Tochter Gertrud gerade an dem Tage, wo Galinda geboren wurd, sich hier in meinem Hause mit Mynheer van Eernswaard vermählte. Meine Galinda kann mithin unmöglich meine Enkelin sein. — Aber das gehört nicht hierher. — Darf ich
fragen, warum Sie mir erst jetzt die Absichten des jungen Zorg mittheilen?
Bertold hat sich in den Kopf gesetzt, erklärte der Meister ausweichend, daß Mynheer ihm, wenn er auch Freimeister ist, die Galinda nicht versagen werden, weil Sie dies nicht dürfen und Mynheer mir das Mädchen auch versprochen hatten.
Der junge Mensch dürfte sich mit seinem Kopfsetzen irren, entgegnete der unerschütterlich feste Kaufherr. Als ich Ihnen das Kind versprach, wußte ich, daß Sie ein ehrenhafter Mann sind, der sein schreckliches Geschäft niemals mit eigener Hand betreibt, und in dessen Hause jeder Vater sein Kind ruhig als Frau placiren kann. Doch mit einem tollen, leidenschaftlichen jungen Burschen, der einem Menschen den Kopf abhacken will, um als Freimeister mich zu zwingen, ihm mein Pflegekind in die entsetzlichen Fäuste zu geben, nicht wahr, mit dem ist es ein Anderes?
Ich bin ganz Ihrer Meinung, gab der Meister zu, und darum wollte ich versuchen, den jungen Tollkopf anderen Sinnes zu machen, bevor ich Mynheer von seinen Plänen unterrichtete. Aber sein Entschluß schwankte keinen Augenblick; er sagt, daß seine Liebe und die Gewißheit, sein Mädchen auf diesem Wege heimzuführen, ihm Alles leicht ertragen machen. — Da versuchte ich endlich das Aeußerste. Um Freimeister zu werden, müsse er einen Menschen kunstgerecht hinrichten — sagte ich ihm — dazu sei in Gouda, also in seiner Vaterstadt,
künftige Woche eine schöne Gelegenheit; dort könne er sein Meisterstück machen. Und, Mynheer, der junge Mann ist auch dazu willig und bereit.
Das ist entsetzlich — abscheulich! rief der empörte Greis aufspringend und heftig auf- und abschreitend. Ich habe viel romanhafte Historien von der blinden Liebesleidenschaft gelesen und erfahren — aber daß Einer vor allem Volke das Schaffot betreten und sich die Geliebte durch Köpfen verdienen will — pfui, das ist unmenschlich!
Würden Mynheer Ihre Pflegetochter dem braven jungen Manne versagt haben, wenn er Polderwirth geblieben wäre?
Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. — Ich gestehe, ich hatte diesen Gedanken früher, als ich die albernen Vorurtheile des alten Baas im Zorgenhof noch nicht kannte — er hätte wahrhaftig ein gutes Heirathsgeschäft gemacht. Aber jetzt, nachdem ich den fühllosen Charakter des jungen Menschen erkannt habe, jetzt ist daran nicht mehr zu denken.
Wollen Mynheer nicht lieber diesen charakterfesten Jüngling vorher selbst sprechen, ehe Sie ihn verdammen?
Nein, ich will nimmermehr! — Doch sich mäßigend und fast beschämt, daß er vor dem ruhig gebliebenen Gaste erhitzt, übereilt, ungerecht erscheinen könne, fragte der Kaufherr: wo ist der junge Mann?
Er wartet in meinem Wagen vor Mynheers Palast.
Nach einer langen Pause sagte der wieder kalt gewordene Greis, die Klingel ergreifend: Ich will seinen Besuch annehmen.
Erlauben Sie, daß ich ihn hole, bat der Freimeister und ging, ohne Antwort zu erwarten.
Allein geblieben, fühlte der weltkluge und geschäftserfahrene alte Menschenkenner, daß der Freimeister einen wohl überlegten Plan auszuführen im Begriff sei. Diese Ueberzeugung schadete Bertold, indem der alte Verkolyn nicht gewohnt war, sich lenken zu lassen, und jede Intrigue verabscheute. Er war entschlossen, diese unwürdigen Machinationen mit geradem Sinne zu vereiteln — als Bertold in das trauliche Gemach trat.
Er war sehr bleich und augenscheinlich durch geistige Aufregungen abgespannt; doch sein Auge glänzte frisch und muthig; es widersprach seltsam der bescheiden ruhigen Haltung des Jünglings; er sagte, ehrerbietig bittend:
Mein Lehrmeister Jan hat mir gesagt, daß Mynheer schon wissen, was mich hierher führt. Oh, seien Sie wohlmögend auch zu mir, wie Sie es immer für meine Linda gewesen, und nehmen Sie es nicht zum Argen, wenn ich erst jetzt komme und geziemend um Ihre Pflegetochter anhalte; ich bitte, geben Sie mir die Galinda zur Frau.
Und wenn ich Ihnen dies nun fest und unwiderruflich abschlage — was werden Sie dann beginnen?
Wenn Mynheer mir aus vernünftigen Gründen zei-
gen, warum Galinda meine Frau nicht werden kann, so will und muß ich mich in mein Unglück geduldig schicken — anders aber nicht.
Sie schreiben mir also Bedingungen vor, anstatt solche von mir zu vernehmen? Wenn ich alter Mann nicht nach Ihrem eigenwilligen jungen Kopfe vernünftig rede, so wollen Sie mich — den alten Verkolyn, den noch kein Mensch jemals zu irgend Etwas gezwungen — mich wollen Sie zwingen, Ihrem kindischen Willen zu gehorchen?
Das verstehe ich nicht. Ich bitte ja nur, daß Mynheer erkläre, warum Sie mir die Galinda nicht zusagen wollen.
Und wenn ich nicht für nöthig finde, das zu sagen?
Dann würde ich Mynheer für eigensinnig und unbillig halten, weil Sie Ihre Pflegetochter und mich ohne Ursache unglücklich machen. Aber Mynheer sind ein hochmögender, ehrenfester holländischer Mann, der so was nicht ohne vernünftigen Grund thut und sich nicht scheut, zu sagen, warum er so handelt.
Ich will meine Pflegetochter nicht unglücklich dadurch machen, daß ich sie einem unverständigen, ungehorsamen Sohne gebe, der seinen ehrwürdigen Vater so gering achtet, daß er mit Trotz erzwingen will, was jeder Vater nur einem bittenden Kinde gewährt. Dieser Grund wird, denke ich, hinreichend vernünftig für Sie sein.
Nein, das ist er nicht! rief Bertold, sich vergessend, doch sogleich sich mäßigend: ich habe meinen Vater geziemend gebeten — er weiß es, daß ich ohne Galinda nicht leben kann, und doch sagte er mit kaltem Blute, daß er mich lieber wie einen räudigen Hund aus seinem Hause jagen wolle, als darein willigen, daß ich die Galinda heirathe. So hat mich der Vater verstoßen und mich zum eigenen Herrn gemacht.
Junger Mensch, sagte der ehrwürdige Greis mit hohem Ernst, lernen Sie erst Ihrem Vater gehorchen, ehe Sie kindisch den Herrn spielen wollen.
Soll ich einem hartherzigen Vorurtheil unterliegen? Kann ich Achtung vor der Unvernunft haben, die lieber den Sohn umkommen lassen will, als ihn mit einem braven Mädchen glücklich zu machen, und die befiehlt, daß zwei Unschuldige für die Sünde ungesegneter Eltern büßen sollen?
Sie vergessen, Bertold, ermahnte der Freimeister, daß jeder vernünftige Mensch Rücksichten nehmen muß, die —
Die ich aber auf Unkosten meines Lebensglücks nicht nehmen will! rief der Jüngling entgegen; ich berücksichtige nur den Spruch, den mein Vater mich gelehrt: Thue recht und scheue Niemand.
Ist das auch recht, ein ehrloses Gewerbe ergreifen und ohne Scheu vor der ganzen Welt auf dem Schaffot mit dem Henkerbeil sich entehren? fragte der ehrwürdige Greis; er konnte jedoch ein Gefühl der Achtung
für diesen charakterfesten jungen Rechthaber nicht unterdrücken.
Mynheer, meine Liebe zu Ihrer unehrlich getauften Pflegetochter hat mich gelehrt, was Vorurtheil ist. Der große Kaiser Peter, dessen Hütte drüben in Saardam gezeigt wird, führte hier die Zimmermannsart und in Moskau mit gleich kräftiger Faust das Henkerbeil, ohne sich zu entehren. Die Muselmänner halten das Nachrichteramt für eine Ehre, um die sie sich bewerben; — ich bin aus treuer Liebe ein Freiknecht geworden und glaube, es wird mir keine Schande machen, wenn ich dem dummen Vorurtheil und allen Vätern zum Trotz mir mein Mädchen mit dem Beil vom Schaffot hole, wenn ich es auf andere Weise nicht erlangen kann.
Halten Sie den Weg dahin für so leicht? fragte bedeutsam der mächtige Kaufherr.
Ich weiß, was Mynheer sagen will; aber ich fürchte Ihre Macht nicht. Sie haben kein Recht, mich zu hindern; denn Sie sind ja nicht der rechte Vater meiner Linda.
Sie ist mir so lieb, wie meine Tochter.
Nein, Mynheer, das kann ich auch nicht glauben, widersprach der kühne Jüngling immer in bescheidenem Tone; oh, wenn sie meine Galinda, die so treu und schön wie ein Engelsbild ist, wie Ihre Tochter liebten, dann hätten Sie Ihr Kind wenigstens einmal im Leben sehen wollen; aber Mynheer kennen ja das Mädchen gar nicht.
Daran sind Sie Schuld, versuchte der kluge Greis schmeichelnd; warum haben Sie mir das Mädchen entführt? Wollen Sie, daß ich mein Pflegekind nicht kennen und sie nicht auch lieben lernen soll?
Wie könnte mir so was einfallen! — Gerade Sie, Mynheer, müssen die Galinda sehen. Oh, gewiß, dann können — dann werden Sie ihr nichts abschlagen!
So wollen wir sie gleich holen lassen — wo ist sie?
Dieser Versuch scheiterte an dem bedachtsamen Sinne des Jünglings; nach einigen Augenblicken Ueberlegung antwortete er: Nein, Mynheer — ich kann Ihnen nicht trauen. Sie wollten mir mein Mädchen heimlich nehmen Lassen — was Sie einmal gethan, könnten Sie leicht wiederholen, und das soll nicht geschehen. Sehen Sie, ich traue jetzt keinem Menschen, als meiner Linda und meinem Freimeister Jan, der mir bewiesen hat, daß er alle Vorurtheile verachtet und ein Ehrenmann wie Keiner ist — und doch hab' ich ihm verschwiegen, wo Galinda sich aufhält. — So lange Mynheer mir nicht Ihr Wort geben, daß Linda meine Frau werden soll, sage ich nicht, wo sie ist.
Mein Wort läßt sich nicht erzwingen; bedenken Sie das, junger Mann.
So sind wir fertig. — Leben Sie wohl, Mynheer, und mit einer ehrerbietigen Verneigung verließ Bertold das Zimmer.
Suchen Sie diesen Starrkopf von Thorheiten abzuhalten, lieber Meister, bat Verkolyn, entlassend; ich werde Ihnen nach der Börse meine Entschließungen mittheilen.
Der Scharfrichter ging, und Verkolyn versank in unruhig qualvolles Nachdenken. Der stolze, mächtige Mann fühlte sich beschämt durch die Nachgiebigkeit und den zweideutigen Schein, welche er vor diesem unausstehlich rechthabenden Jüngling anzunehmen gezwungen war. Mit seinem Reichthum und der Macht seiner Verbindungen konnte der einflußreiche Handelsherr vielleicht erreichen, daß Bertold seinen Plan, Freimeister zu werden, aufgeben möchte; aber unmöglich war es, dabei den Scandal zu verhüten, wodurch sein Verhältniß zu Galinda offenkundig und zum Stadtgespräch werden müsse. — Dann lag sein mit großer Sorgfalt bewahrtes Familiengeheimniß offen vor den Augen der hohnlachenden Welt. — Dann haftete an seinem und seines Hauses unbeflecktem Namen ein schmachvoller Makel.
Der unangemeldet eintretende Buchhalter Sachtervanst unterbrach dieses tiefe, rathlose Ueberlegen. Wie immer erschien der alte Geschäftsführer des Hauses höchst sauber in gepuderter kleiner Zopfperrücke, zimmtfarbenem Schoßrock mit großen Stahlknöpfen und blendend weißer Wäsche.
Sie konnten mir nicht gelegener kommen, lieber Baldus; hören Sie, was mir begegnet ist.
Und nun erzählte Mynheer dem bewährten Diener und Vertrauten, was er so eben erfahren, und wie das Unerhörte geschehen, daß ein junger Bauer es wage, ihm gerade ins Gesicht bescheidentlich zu trotzen. Ich bin überzeugt, schloß der alte Millionär seinen Bericht, dieser kaltblütig verliebte Polderbursche wird sein Wort halten und mit dem blutigen Henkerbeil in der Faust, fest auf sein Privilegium trotzend, von mir mein Pflegekind fordern. Dann kömmt über mein altes Haus und auf meine Kinder Schimpf und Schmach, die mich in das nahe Grab stürzen werden.
Ich darf sagen, Mynheer, tröstete Sachtervanst gerührt, daß mir die Sache nicht ganz so schwarz angethan scheint. Wir wissen wenigstens, daß die beiden Liebesleute nicht ertrunken sind, und so ist der größte Kummer glücklich überstanden. Für das Uebrige ist Rath zu schaffen. Soll ich vielleicht Ihrem Herrn Schwiegersohn, Mynheer van Eernswaard, jetzt Avis geben?
Beileibe nicht! Sein Hausfrieden darf nicht turbirt werden!
Es ist eine vertrackte Aufgabe, meinte Sachtervanst mit sanftem Kopfschütteln, wenn man im Liebeshandel Geschäftsführer sein muß; die Herzensbilanz will niemals stimmen. — Ich habe auf meinen Reisen im heißen Spanierland und bei den hitzigen Italienern viel Aventüren und Historien vom Liebesgott Amor erfahren und gelesen, aber daß er als Scharfrichter aufgetreten,
um die Liebste zu gewinnen — das kann nur vorkommen, wenn die glühende Liebeflamme einer Südländerin mit dem eisfesten Sinne eines verliebten Holländers in Compagnie tritt. — Und so ist es hier geschehen; das italische Blut und die schwarzen Augen der Galinda, die — man muß es sagen — noch sündlich schöner ist, als ihre italische Mutter war, die haben dem jungen Bertold sein Herz entzündet.
Ich finde wenig Beruhigung in Ihrer Betrachtung, sagte der unmuthige Großvater.
Diese Heirathsaffären sind wohl nicht so pressant, entgegnete Baldus mit unerschütterlicher Geschäftsruhe, daß ich nicht erst die Pariser Post expediren könnte. Mich bedünkt, wir müssen in der Sache auf den Grund gehen und beim Vater im Zorgenhof sondiren. Ich möcht' hinfahren. Leider ist der Baas noch hartsinniger, als sein übrigens gut gerathener Sohn. — Auch scheint Meister Jan sich für diese verhenkerte Liebesnegotie zu interessiren. Jedoch — hm — ja, nach der Börse gedenke ich Mynheer Vorschläge machen zu können.
Und sich das gewohnte Vorrecht eines verwöhnten Hausbeamten nehmend, verließ Sachtervanst das Zimmer.
Verkolyn lächelte beruhigt; er kannte diese Manier seines alten Buchhalters, der damit einen gewonnenen sichern Ausweg in verwickelten Zuständen andeutete.
VI. Eine Actien-Speculation. An einem der folgenden hellkalten Wintertage hielten zwei rasch anfahrende Kutschen bei den Schöpfmühlen am Goudasee. Der aussteigende Buchhalter Sachtervanst schien von einigen Herren erwartet, welche ihren umständlichen Empfangscomplimenten die verbindliche Einladung hinzufügten, daß Mynheer in einer der rauschend arbeitenden Mühlen, deren jede einen breiten Bach aus dem See zog, das Gabelfrühstück einnehmen möge. Doch der alte Herr entschuldigte sich äußerst artig mit der unaufschiebbaren Eile ferner Reise und schritt rasch zu einigen am Ufer wartenden Stuhlschlitten. Hier begrüßten ihn der Freimeister Jan und Bertold, welche unterdessen den zweiten Wagen verlassen hatten und sich zur Eisfahrt rüsteten. Beide verschmähten die bequemen, gepolsterten Sesselschlitten, indem sie sich selbst mit kräftigem Geschick hochgeschnäbelte Schlittschuhe anschnallten. Dabei wurde nicht viel Rede gewechselt; kaum saß Herr Baldus, wohl in Pelze gehüllt, auf dem kleinen Schlitten fest, als ein stark gebauter Stuhlschieber die Rückenlehne mit beiden Händen faßte und vorwärts immer schneller und schneller den Buchhalter von dannen schob. — Diese Art, zu reisen, ist auf den Kanälen in Holland und Friesland gebräuchlich, wo man bei glatter Eisbahn, von tüchtigen Schlittschuhläufern geschoben, leicht zwei deutsche Meilen stündlich zurücklegt.
Der See war dieses Jahr bei windstillem, heiterem Wetter spiegelglatt gefroren; die Eisdecke glänzte strahlend, wie Kristall im Sonnenlichte. Bertold war hier auf seinem Elemente; er hatte als Sieger in den jährlichen Wettläufen schon manchen schönen Preis und Triumph errungen, indem er flüchtiger, als die berühmtesten englischen Rennpferde, bei gutem Wind im Rücken, in acht Minuten eine deutsche Meile auf Schlittschuhen zurück gelegt. Nur allein der kraftvolle Enten-Piet lief ihm gleich und war im Stuhlschieben bei langer Dauer dem muskelschwächeren Jüngling überlegen. — Meister Jan hielt sich auch für einen tüchtigen Eisläufer; aber Bertold erkannte mit gutmüthigem Lächeln beim Anblick der schülerhaften Bogenzüge des Meisters, daß dieser den rechten Wettläuferstrich nicht kenne, der vom Bogenlaufen so verschieden ist, wie die lancirende Carriere eines trainirten Renners von dem wiegenden Galopp eines Schulpferdes.
Als die beiden Läufer schnell den vorangeschobenen Schlitten erreichten, rief Bertold:
Adieu, Papa Baldus, ich werde Sie anmelden!
Halt, das ist überflüssig! Ich will zuerst — schnell, Meister Jan, holen Sie ihn ein! Der Junge spielt mir sonst wieder einen Streich.
Der Meister strengte zwar die ganze Muskelkraft seiner mächtig gebauten Schenkel an, um den entlaufenden Jüngling einzuholen, doch ohne den Schlitten verlassen zu können. Während Bertold, die Hände auf
den Rücken gelegt, weit vorgebeugt, auf schnurgerader Linie mit jedem Stoße dreißig und mehr Fuß zurück legend, pfeilschnell dahinschoß, lachte der Stuhlschieber über die zierlichen, aber schlecht fördernden Bogenschritte des Meisters; dann sein Tempo beschleunigend, ließ der Schlittenfahrer auch den athemlosen Amsterdamer Spazierläufer weit hinter sich.
Die Fahrt ging gerade auf Piet's Eiland; Bertold war in der Richtung dorthin längst wie ein kleiner Punkt auf der schimmernden Eisbahn verschwunden, und noch immer konnte der verdrießliche Buchhalter das Schilfdach von Piet's Hütte nicht entdecken; dagegen ragten in der Gegend vom Zorgenhof, rechts am Horizont, viele bunte Zelte mit flatternden Fahnen aus dem Eise in die blaue Luft.
Nun mußte Herr Baldus anhalten, um den zurückgebliebenen Meister herbeikommen zu lassen: als der erhitzte Mann endlich anlangte und, sich die Stirne wischend, verschnaufte, rief der Stuhlschieber:
Als Ihnen beliebt, Mynheeren, zu schauen! Dort stößt der junge Baas wieder auf uns zu — es ist 'ne Lust, anzusehen! Kein Sturmvogel schießt so schnell!
Und Bertold war schon da; sein Antlitz glühte in frischer Lust und Herzensfreude. Piet ist zu Hause, lieber Papa Baldus; er hat uns erwartet, will aber mit Ihnen ganz allein sprechen. Wenn es Ihnen also recht ist, laufe ich mit dem Meister zu den Zelten; wir wollen Sie bei der Frau Padbrügge erwarten.
Dagegen konnte der besorgliche Sachtervanst nichts einwenden; es war zwar ein Anstoß in seiner Rechnung, doch mußte er ihn übersehen, und so willigte er in die Trennung.
Wir lassen die beiden Schlittschuhfahrer in das Menschengewühl bei den Zelten laufen und begleiten den Buchhalter nach Piet's Eiland.
Die unerwartete Trennung und Bertold's wahrscheinlich absichtliches Vorlaufen durchkreuzten Baldus' Pläne; er war gewohnt, in Geschäften langsam, Schritt vor Schritt, mit vorher wohl durchdachter Sicherheit zu gehen; doch hier lief Alles in stürmischer Eile wirr durch einander. Bevor überlegt werden konnte, ob es auch rathsam, daß Bertold bei diesen kritischen Zuständen sich in die zahlreiche Gesellschaft begebe, war der Jüngling dahin geflogen, und Baldus wurde so rasch fortgeschoben, daß ihm keine Zeit blieb, seinen Sinn ordentlich, wie es einem bedachtsamen holländischen Geschäftsmanne ziemt, vorzurichten — denn sein Schlitten hielt schon vor Piet's Hütte.
Piet und die Mutter Lora, beide im Sonntagsstaat, empfingen den ehrenden Besuch unter vielen umständlichen Achtungsbezeugungen, welche der Buchhalter mit unterdrücktem Unmuth über die Zeitverschwendung annehmen mußte. In Lora's Zimmer stand der Tisch bereits gedeckt, und nicht eher durfte der durch und durch gefrorene alte Herr ans Geschäft denken, bis er der Sitte gegen seine gastfreien Wirthe Genüge geleistet
und, reichlich Speis und Trank genießend, für alle Ehre sich erkenntlich bewiesen hatte. — Piet beobachtete mit pfiffigen Blicken und ernster Miene den alten Herrn, dessen mühsam verhaltene Ungeduld der Entensäger nicht zu bemerken schien. — Nicht eher, bis auch dem schönen Käse und den Goldreinetten zum Dessert ihr Recht geschehen, glaubte Baldus das Gespräch aufs Geschäft lenken zu dürfen.
Wie steht es denn mit unserm Handel, lieber Piet? Haben Sie den Brief von Mynheer Verkolyn in Betracht gezogen?
Freilich hab' ich mir die Sache überlegt, versetzte der Jäger trocken, und ich denke auch den Punkt darin gefunden zu haben. — Mynheer will den See auspumpen und Grasland daraus machen lassen. Das kostet viel Geld; damit dies aber nicht unnütz ins Wasser geworfen wird, darum muß und will Mynheer meine Insel kaufen, weil die Pumpenspeculation sonst in die Brüche geht.
Davon ist hier gar nicht die Rede, belehrte Baldus, lächelnd über den Mißverstand des unkundigen Insulaners.
Ich sollte doch denken; Mynheer kann mein Jagd- und Fischereiprivilegium, was ich gut verbrieft und besiegelt auf dem ganzen See besitze, nicht fortpumpen lassen.
Der Buchhalter verstummte, blaß vor Schreck. Niemand hatte die Rechte dieser kleinen Insel beachtet;
Piet konnte damit Einspruch gegen das Austrocknen des Sees anbringen und dem Geschäft vielleicht unübersteigliche Hindernisse legen. Mit verstellter Nichtachtung sagte Baldus: Das sind Bagatellen, nicht der Betrachtung werth; Mynheer will die Insel als Mitgift für sein Pflegekind Galinda kaufen, wie ich Ihnen geschrieben habe.
Ei, das wäre freilich eine Mitgift, die wohl gar dem Baas im Zorgenhof den harten Sinn zu Linda's Gunsten weich machen könnte. — Aber sehen Sie, Herr Baldus, offen gesprochen, kann ich mir die Mitgiftgeschichte so leicht nicht aufbinden lassen. Wir kennen die Kaufherren von Amsterdam besser und trauen unsern Augen mehr, als ihren Worten. Mich bedünkt, daß ein Mynheer, der sein Kind bei den Bauern unterbringt und es einem Scharfrichter geben will, nicht eine halbe Million Aussteuer geben wird, um den jungen Bertold zu heirathen.
Eine halbe — das Wort erstarb auf des Buchhalters Lippen.
Million, ergänzte Piet, indem er kaltblütig auf seine Dose klopfte und dem alten Herrn eine Prise bot. Mein Privilegium auf dem Goudasee ist verbrieft und von den Staaten bestätigt. Mynheer Verkolyn weiß so gut wie ich, was das in Holland zu bedeuten hat, und daß kein Mensch und keine Actiencompagnie in der Welt mir mein Recht auf dem See antasten darf. — Ich habe mit gutem Bedacht gewartet, bis die Actien
auf alle Seemühlen gezeichnet sind, und ich kann Ihnen leicht hier auf dem Tische ausrechnen, daß die klugen Herren in Amsterdam an den vielen tausend Morgen Ackerseeland über eine Million profitiren wollen. Die müssen sie aber mit mir theilen, oder — und hier schlug er mit der Faust krachend auf den Tisch — so wahr ich der Enten-Piet heißen thue, die Mühlen sollen stracks aufhören, zu pumpen.
Gemach, lieber Baas Waterhout; lassen Sie uns das Geschäft mit Ruhe besprechen. Sie können doch nicht mehr verlangen, als was die Insel mit Jagd und Fischerei einbringt; rechnen wir das zu Capital, und Sie sollen es haben.
Ich will und mag kein Capital. Fischen und Jagen, das ist mein Pläsir, das ich um keinen Preis verkaufen will — verstehen Sie mich, Mynheer — ich will die Insel nicht verkaufen. Damit will ich aber nicht sagen, daß ich sie nicht an meinen Freund Bertold unter gewissen Umständen abtreten möchte.
Verkaufen oder abtreten, ist egal, stimmte Baldus erfreut bei; Bertold soll die Insel und seine Galinda haben, das ist die Hauptsache, worin wir einig sind. Machen Sie ohne Umstände die Nebenbedingungen.
Sachte — sachte, entgegnete Piet zaudernd, dazu gehören noch andere Stimmen. Sie kennen jetzt meine Meinung über den Inselkauf. Nun möchte ich wissen, was Mynheer mir von der Copulirung seiner Tochter Galinda mit Bertold zu sagen hat.
Nach dem, was Sie mir eben declarirten, hat das Geschäft ein ganz ander Gesicht bekommen, daß ich es fast nicht mehr wiedererkenne. Sie wissen doch, was Bertold im Schilde führt?
Wie sollt' ich's nicht wissen? rief Piet mit verhaltenem Lachen; habe ich doch selbst dem wackern Jungen eingegeben, daß er Freimeister werden soll, um sicher seine Galinda zu bekommen.
Was? — Sie haben ihm gerathen —
Ja wohl, Mynheer, ich, der Piet Waterhout. Wie hätte sonst der unerfahrene Junge auf solche Gedanken kommen können?
Mit jedem Wort stieg des Buchhalters Erstaunen und Achtung vor diesem Entenjäger, dem er doch so viel praktische Geschäftsbeurtheilung nicht zugetraut. — Nach einer Pause sagte Baldus:
Wenn die Sache so steht, dann wissen Sie auch wohl bereits von Bertold, in welcher Absicht ich dem Baas im Zorgenhof meine Visite heute machen will?
Da könnten Mynheer Recht haben — ich weiß, Sie sind hier in der Absicht, den alten Baas zu zwingen, daß er einwilligen soll, ein unehrlich gebornes Kind von dem hochmögenden Mynheer van Eernswaard als Schwiegertochter anzunehmen, oder zu gewahren, daß Bertold ein Freimeister wird.
Van Eernswaard? rief Baldus, was wollen Sie damit sagen?
Als ich die kleine Galinda in Amsterdam vom Mynheer Verkolyn bekam, um sie in den Zorgenhof zu transportiren, da habe ich erfahren, wer des Mädchens Vater und Mutter ist, und daß dies bis jetzt außer wir und Mynheer Verkolyn Niemand weiß, ist ein Zeichen, daß Herr Verkolyn und der Piet schweigen können.
Dem Buchhalter wurde heiß im Kopf und Herzen. Das wichtigste Familiengeheimniß und Geschäftsinteresse seines Hauses lag in der Hand dieses unscheinbaren Entenjägers, — der aber ein fester Ehrenmann im strengsten Sinne war und Vertrauen verdiente. Baldus fühlte sich überwältigt von der unerwarteten Wichtigkeit des Geschäfts; dazu drückte ihn das Bewußtsein, daß hier sein Principal nicht im ganz ehrenhaften Lichte erscheine. In diesem Drange widerstreitender Einwirkungen verlor der bedachtsame Buchhalter den Stützpunkt, worauf seine leicht gebauten Hoffnungen sich gründeten. Sich die Schweißtropfen von der Stirn mit seinem Vattisttuch wischend, seufzte er:
Es ist eine verdeukerte Commission, in Heirathsnegotien zu arbeiten. Aber ich sollte doch meinen, lieber Piet, der Baas im Zorgenhof wird nachgeben und lieber in die Heirath mit meines Principals Pflegetochter willigen, als den Scandal erleben, daß Bertold auf dem Schaffot sein Meisterstück macht?
Da kenne ich den alten Zorg besser; ehe der sich von seinem Kinde etwas abzwingen ließe, und noch
dazu mit solch abscheulichen Mitteln — lieber läßt er sich selbst von seinem Sohne den Kopf abhacken! Der alte Baas ist rechtschaffen, fest, wie ein echter Holländer sein soll. Er darf solche Drohungen nicht fürchten, wie Mynheer Verkolyn, der sich wohl auch schwerlich von einem jungen Burschen vorschreiben lassen würde, stände es bei Mynheer gut und fest im Herzen und Gewissen.
Was ist aber zu machen? fragte Baldus verlegen. Wie können Sie noch fragen? — Die Wahrheit müssen Sie dem Baas nicht verhehlen und ihm gerad' heraus Alles sagen, was Mynheer Verkolyn und Bertold und Galinda und — und — ich wünschen.
Sie? was wollen Sie denn eigentlich, mein guter, braver Piet?
Ich — ei nun, herzlich gern möcht' ich das nette Drudje und mit ihr den schönen Zorgenhof bekommen.
Das will ich glauben! rief Baldus betroffen; der Wunsch ist wenigstens nicht zu klein. — Wie können Sie nur daran denken, ein so groß Geschäft mit Ihren kleinen Mitteln zu machen?
Ich sollte denken, für einen Amsterdamer Negocianten, denen doch nichts zu schwer sein soll, müßt es leicht sein, mit den kleinen Mitteln, welche ich Ihnen so eben groß und breit angeboten habe, das doppelte Heirathsgeschäft zu machen.
Was für Mittel? — Ich begreife nicht — Herr Gott, nun gar ein doppelt Heiraths-Geschäft!
Aber Mynheer doppelter Buchhalter, warf ihm Piet unwirsch vor, hab' ich Ihnen nicht lang und breit demonstrirt, daß ich meine kleine Insel mit allen Privilegien an Bertold abtreten will, wenn ich dafür Drudje mit dem Zorgenhof bekomme?
Ah so! sprach Baldus, endlich die diplomatischen Umgehungen des jungen Piet durchschauend. Nach einem minutenlangen scharfen Nachdenken sagte der alte geschäftserfahrene Herr, indem er sich befriedigt erhob: Ich mache Ihnen, lieber Herr Waterhout, mit Dank für die freundliche Bewirthung mein Compliment. — Sie haben uns Alle in dieser verwickelten Negotie übertroffen. Schade, daß Sie kein Kaufmann geworden sind. — Ich glaube, Ihr proponirtes Geschäft machen zu können.
Und ich denke in meinem Jägersinn, versetzte der höchst wohlgemuthe Piet — den der Buchhalter schon zu einem Herrn Waterhout erhob — daß wir den alten Baas nicht eher ins Netz bringen, bis wir ihm die schöne Galinda als Lockvogel hinschicken.
Wenn wir sie nur erst hätten. Sie wissen doch, Bertold hält das Mädchen in Amsterdam, wahrscheinlich im Freimeisterhof, versteckt, wo ihm nicht beizukommen ist.
Was Sie sagen! entgegnete Piet mit großen Augen, staunend die Hände zusammenschlagend: ich weiß
bloß, daß Bertold auf den See die Galinda von Ihnen gecapert hat; alsdann fuhr er mit ihr ins dickste Röhricht, wohin Sie ihm mit dem großen Boot nicht folgen konnten. Der kluge Junge zog den Mast und Segel ein und wartete still wie ein Fuchs im Rohr, bis Mynheer Baldus nach langem Suchen leer abziehen mußte. Später am Abend, als die Enten und Rohrdommeln anfingen zu locken, kam das Pärchen aus der grünen Rohrinsel, die Sie hier aus dem Fenster sehen können, mit dem kleinen Kahn still hervorgeschoben, und Bertold übergab der Mutter Lora sein Mädchen zum Aufbewahren.
Wo ist sie denn jetzt?
Piet machte eine überaus pfiffige, beschwichtigende Geberde, indem er auf eine Wandthüre zeigte, welche eine tiefe Nische verschloß, worin man in Holland gewöhnlich die großen Betten findet. Piet öffnete die Wandthür, beugte sich über das hohe Federbett, stieß gegen die Rückseite, wodurch eine Thür gegenüber aufsprang, und Galinda schwang sich, auf Piet's Hand gestützt, über das Bett ins Zimmer.
Da bin ich, lieber Papa Baldus! wie freue ich mich, daß du endlich gekommen bist — die Zeit ist mir erschrecklich lang geworden!
Das will ich gern glauben, wenn du immer da drinnen gesteckt hast.
Gott bewahre! lachte das übermüthige Mädchen; das Versteck war bloß für den Nothfall. Guck nur
einmal herein, Papa, es ist gar hübsch und heimlich in dem Cabinetje. Die Wand ist doppelt, und das Bett sowohl für dies Zimmer, als für das Cabinet eingerichtet. — Ich habe mich nur versteckt, wenn wir einen Fremden über den See kommen sahen; sonst hab' ich mich immer auf der Insel herumgetrieben, der Mutter Lora in der Wirthschaft beigestanden und dem Piet in seiner Speculatie auf Drudje überlegen helfen.
So, so, sprach Baldus mit freundlichem Kopfschütteln; freilich, wo du überlegen hilfst, da kömmt gewiß eine vernünftige Speculation zu Stande. — Also weißt du schon?
Alles weiß ich! rief Linda eifrig. Bald hätt' ich es da drinnen nicht länger anhören können, solchen langen Sermon machte dir der Piet. Ich hätt' es mit drei Worten gesagt. — Wie gefällt dir mein neu Habit, Papa Baldus? Das hat mir Bertold aus Amsterdam geschickt, und ich habe ihm vorhin, als er hier war, kaum einen Kuß dafür geben können, so eilig macht' er sich wieder fort.
Das neue Habit bestand aus einem eng die Taille umschließenden Spenser von schwarzem Sammet mit silbernen Knöpfen, nur Hals und Aermel mit Pelz verbrämt. Der faltige kurze Rock von silbergrauer schwerer Seide reichte kaum bis zum Knöchel und zeigte schwarzsammetne bauschige Pantalons, welche über schwarz lackirte Stiefelchen fielen. — Der Buchhalter
konnte nicht umhin, dieses Eisläuferinnen-Costüm mit Wohlgefallen zu betrachten.
Doch der kurze Tag und die bevorstehende Entscheidung drängten zum Aufbruch; Galinda drückte einen warmen grauen Kastorhut mit flatternden Bändern auf die schwarzen Locken und geleitete mit Piet den Papa Sachtervanst zum wartenden Schlitten. Während der alte Herr sich bequem zurechtsetzte, schnallten Piet und Linda sich die Schlittschuhe an, und im Fluge waren Alle den Augen der nachschauenden Mutter Lora entschwunden.
Es war beschlossen, daß der Buchhalter zuvor allein in den Zorgenhof fahren und den alten Baas zur Versöhnung geneigt stimmen sollte. Also trennten sie sich mitten auf dem See, und Baldus schaute mit Vergnügen dem Paare nach, wie es auf dem Spiegel-Eise in anmuthigen Schwingungen, wie zum Tanze einander gefaßt und Schritt haltend auf die Zelle zulief.
Hier war viel munteres Getümmel und reich bewegtes Leben; die schöne Welt und rüstiges Volk, Männer, Frauen, Jünglinge und Mädchen, Alle auf Schlittschuhen, fuhren, liefen und tummelten sich durcheinander; denn es sollte in einigen Tagen das große Wettlaufen auf dem See gefeiert werden; dazu wurden immer lange vorher Uebungen und Lustfahrten gehalten und für die Erquickung der Läufer viele bunte Zelte wie zu einem Feldlager aufgeschlagen. — Die Franzosen, deren Auge nicht gewöhnt war, Frauen auf
Schlittschuhen schweben zu sehen, betrachteten mit Entzücken, wie die schlanken und drallen Holländerinnen ihre biegende Taille und runden Hüften unter Beugungen und Schwenken beim Laufen und Bogenziehen in den reizendsten Stellungen zeigten. Die Eisläuferinnen sind sich dieser Vortheile im Verein mit den Wirkungen, welche die Bewegung in kalter Winterluft aus den frischen Teint und Augenglanz hervorbringt, wohl bewußt und begreifen die Bequemlichkeit oder Furchtsamkeit ihrer deutschen Schwestern nicht, welche diese Vortheile nicht benutzen.
Galinda und Piet liefen durch das wogende Getümmel in das große Zelt der Frau Padbrügge; hier saßen auf dem glatten Eise viele Gäste in Schlittschuhen, zechend und schmausend an kleinen Tischen. Bertold empfing freudig die längst Erwarteten und erzählte, wie der stolze Meister Jan, nachdem er die günstige Lage der Zustände erfahren, seine Gegenwart nicht mehr erforderlich und störend haltend, nach Gouda gelaufen sei.
Wir verlassen auch das geräuschvolle Lustlager auf dem Eise und folgen dem Buchhalter in den stillen Zorgenhof, wo die Familie schon lange in ihrem Wohnzimmer den angekündigten Besuch erwartete. — Als dieser endlich spät am Nachmittage eintraf, empfing ihn der Baas vom Hause zwar mit schuldiger Höflichkeit, aber ein finsterer Ernst drohte auf seinem sonst immer wohlmeinenden Angesicht.
Nach den unerläßlichen Bewillkommnungs-Formeln eröffnete Herr Baldus sogleich die wichtige Verhandlung mit der Frage, ob der Baas den Avisbrief von Mynheer Verkolyn empfangen und wohl erwogen habe.
Ja wohl, Mynheer Baldus, ist das geschehen, antwortete der Baas in zornigkaltem Tone; die Ursachen, welche ihren Herrn Prinzipal bewogen haben mögen, seine Pflegetochter meinem Sohne nothgedrungen zu geben, walten bei mir nicht ob. Ich lasse mich durch solche unwürdige Scharfrichterkniffe zu nichts zwingen. — Mein Entschluß ist genommen. Wenn mein ungeratener Sohn sich selbst und seiner Familie Schande machen will, so sollen diese meine Augen ver — sein, wenn ich ihn jemals wieder als Sohn betrachte. — Ich wandere dann aus zu den Boers auf Cap de bonne espérance; den Weg dahin werde ich durch meinen Käse-Commissionär in Cadir trotz der Continentsperre zu finden wissen.
Vater Hendrick — du wirst dich besinnen, flehte die Frau Sara sanft, und mir als Mutter deines Sohnes auch ein Wort gönnen.
Schweig! donnerte der Baas, während ihm die Stirn-Adern schwollen.
Ich kann nicht anders, als Ihnen beipflichten, sagte Baldus beruhigend; Mynheer Verkolyn will sich so wenig, wie Sie, durch verhaßte, abscheuliche Operationen zwingen lassen. Aber es sind ganz andere Dinge vorgefallen, die so ganz verschieden, ja, ich kann es be-
theuern, so großmüthiger Natur sind, daß mein Principal und Sie, lieber Baas, sich davon gewiß besänftigen und gezwungen fühlen werden, Ihren braven Sohn — ja, ich sage es noch einmal, ob Sie auch sauer sehen — Ihren sehr braven Sohn glücklich zu machen.
Und was sind das für absonderliche Dinge? fragte der Baas verächtlich.
Sie kennen doch das Privilegium von Piet's Eiland? Damit drohte Herr Waterhout unser ganzes Austrocknungs-Project zu verderben. Ich habe Vollmacht, ihm mit dreihunderttausend Gulden die kleine Insel abzukaufen. Der wackere Piet hat dies Gebot zu Gunsten seines Freundes Bertold ausgeschlagen; Piet will ihm sogar die Insel umsonst abtreten, wenn Mynheer van Eernswaard die Galinda als sein Tochter anerkennen und sie dem Bertold zur Frau geben will. — Denn Sie müssen wissen, lieber Baas, daß der Baas Piet Waterhout schon seit Galinda's Geburt weiß, wer ihr Vater ist.
Ist Galinda die ehrliche Tochter von einem Mynheer? fragte der Polderwirth.
Sie ist die Tochter aus einer Jugend-Verbindung von Mynheer van Eernswaard mit einer italienischen Dame; — nach Galinda's Geburt wurde diese Verbindung getrennt, und Mynheer wird nicht Anstand nehmen, seine Tochter anzuerkennen. — So umging der schlaue Geschäftsmann den kritischen Punkt.
Der Tausend! rief der Baas verblüfft, das läßt sich hören. Aber wie kömmt der Enten-Piet dazwischen?
Mit vorsichtigen Anspielungen erklärte nun der Buchhalter das bedeutende materielle Interesse des Geschäfts und lenkte dann erst die Aufmerksamkeit auf die noch wichtigern Herzens-Angelegenheiten, indem er, Piet lobend, fortfuhr: Der Herr Waterhout kennt aber, außer dem Gewicht seiner Insel, auch recht gut, wie viel Galinda werth ist, und daß ihre Mitgift in den Goudasee-Actien von Mynheer Verkolyn besteht. Herr Waterhout würde schwerlich einen Korb bekommen, wenn er mit seinen Insel-Privilegien vor meinen Herrn Principal treten und um die Galinda werben wollte. Kein verständiger Vater dürfte solchen Schwiegersohn abweisen. Aber daran denkt der Baas Waterhout nicht; denn er will als ein Ehrenmann seinem Freunde Bertold Wort halten, dem er zu helfen versprochen hat und ihm sogar die Insel abtreten will, wenn Sie, mein lieber Herr Zorg, den beiden Freunden Ihren Vatersegen geben wollen.
Bei Gott! rief der Baas hingerissen, der Enten-Piet ist ein wackerer holländischer Mann, wie ich meinen Sohn zu sehen wünschte!
Ich hab' es Euch ja immer gesagt, Vater, gab Drudje zu, daß der Piet es Allen zuvor thut. — Schön von Angesicht ist er nicht, das muß wahr sein — aber er hat ein treues, offenes Herz, wie Keiner.
Wie können wir ihm so viel Gutes vergelten und genug danken? sagte die Mutter, fromm die Hände faltend.
Wenn Sie allseits meinem Freund Waterhout so gut das Wort reden, stimmte der Buchhalter mit einer freundlich bittenden Verneigung bei, so darf ich nicht zurückbleiben. Und die günstige Stimmung benutzend, trat Baldus jetzt als Brautwerber für Piet auf, indem er die Vortheile auseinandersetzte, welche die Familie beglücken würde, wenn Bertold mit der Galinda die Insel erhielte und Drudje dagegen den Zorgenhof mit dem ganzen väterlichen Vermögen dem wackern Piet zubrächte. Noch hatte der Buchhalter seine eindringliche Rede nicht vollendet, als Bertold, Galinda und Piet plötzlich hereintraten.
Niemals hatte man im ruhigen Zorgenhof eine so aufgeregte Scene gesehen. — Mutter Sara sprang mit einem Freudenschrei auf und drückte den geliebten, verloren geglaubten Sohn freudetrunken an die Mutterbrust. Drudje flog ihrer Schwester Galinda entgegen und überschüttete sie mit Fragen und Küssen — denn Baldus hatte Galinda's Versteck nicht verrathen — und der Baas reichte die Hand mit herzlichem Willkommen und heiterem Antlitz dem wackern Piet, der ein wenig verlegen und nicht recht wissend, wie er sich benehmen sollte, doch treuherzig einschlug.
Sobald Mutter Sara ihr erste überwallende Freude an ihres Sohnes Busen ausgeweint, ergriff
sie Bertold und Galinda bei der Hand, und zwischen Beiden vor den Baas tretend, bat sie für ihre Kinder.
Ich bringe dir, Vater, unsern reumüthigen Sohn und dazu eine Tochter, der du selbst manchmal gesagt hast, daß sie dir lieber als das stille Drudje wäre. — Nicht wahr, mein Dirk, wenn ich dich so herzlich bitte und dich erinnere, wie es uns am Verlobungstage ums Herz gewesen, dann wirst du meine Fürbitten nicht hart abschlagen und deinen Sohn so glücklich machen, als du mit seiner Mutter bist.
Vater, verzeiht mir, wenn ich Euch weh gethan, bat Bertold mit seinem gewohnten bescheidenen, festen Tone; ich glaubte, nicht unrecht zu thun, als ich meine Galinda aus der Gewalt des Meister Jan und der Amsterdamer wohlmögenden Mynheer's befreite; denn ich habe dem Mädchen das Wort gegeben, und wie ein Mann sein Wort halten muß, das habt Ihr mich gelehrt, Vater. — Aber ohne Eure Liebe kann es uns nimmer gut gehen, und so bitt' ich Euch, daß Ihr allem Groll entsagen und uns Euren Segen geben wollt.
Der Buchhalter bemerkte den günstigen Eindruck, welchen diese verständig bittende Rede auf den Baas machte, und den Moment benutzend, führte Baldus seinen Freund Waterhout vor Drudje — Piet ward roth unter gewaltigem Herzklopfen.
Hier bringe ich Ihnen, Jevrouv Drudje, sprach der Buchhalter, einen Mann, der eine halbe Million
ausgeschlagen hat, damit er um die schöne Tochter im Zorgenhof werben darf. Er hat Ihnen also schon bewiesen, wie viel Drudje ihm werth ist, und — ich versichere es hier, als rechtschaffener Brautwerber, auf mein Wort — er hat Sie so lieb, daß er es gar nicht aussprechen kann; aber beweisen wird er Ihnen lebenslang, daß es keinen treuern Ehemann in ganz Holland giebt, wenn Jevrouv Drudje ihn dazu nehmen will.
Als der Buchhalter schwieg, nahm Drudje sich zusammen und antwortete mit züchtiger Ehrbarkeit: Mynheer thun mir viel Ehre an; es würde sich ja nicht schicken, Sie abzuweisen. Ick kenne den Piet als einen Mann, wie mir keiner in den Poldern anständiger ist, und wenn — ja, das mach' ich mir aus — wenn er sich den dicken Bart und das Haar abschneiden will, daß sie ihm nicht wie 'n Türkenbund auf den Augen liegen, sondern hübsch ordentlich gescheitelt die Stirn zeigen, dann möchte ich nicht nein sagen.
Baldus blickte den Bräutigam fragend an; aber das Entzücken schnürte dem wortkargen Piet die Kehle zu, und sein Herz wollte ihm vor Scham zergehen, daß er kein vernünftig Wort vorbringen konnte; mit einer Armensünder-Miene reichte er zagend die Hand hin. Baldus kam ihm zu Hilfe, indem er Beider Hände vereinigte und das Paar sogleich vor die Eltern führte, deren Zustimmung mit herzlicher Bereitwilligkeit erfolgte.
Jetzt fiel es der Hausfrau Sara schwer in den Sinn, daß diese Doppel-Verlobung in der Wohnstube
wider alles Herkommen begangen worden. Sogleich forderte sie Alle auf, sich in das Visitenzimmer zu begeben, welches schon lange zum Empfange für Mynheer Sachtervanst bereit stehe.
Der Abend war inzwischen hereingebrochen, und so fanden sie das glänzende Prunkzimmer schon festlich erleuchtet. Auf der gedeckten Tafel prangten mit flammenden Wachskerzen große silberne Armleuchter, und im Kamin verbreitete ein glühender Torfkohlenhaufen behagliche Wärme in dem reich geschmückten Zimmer.
Schon lange hatte die goldene Stutzuhr auf dem Kaminsims Mitternacht geschlagen, als die fröhliche Familie, in aller Weise befriedigt, sich von der Tafel erhob , und niemals hatte der Zorgenhof glücklichere Menschen beherbergt, als diese Nacht unter seinem gastlichen Dache in wonnigen Träumen ruhten.
Wir lassen einige Jahre vorübergehen, bevor wir an die grünen Ufer des Gouda-Sees zurückkehren. Die Gegend ist nicht wieder zu erkennen; an der Stelle des unabsehbaren Wasserspiegels prangen jetzt grüne, von schmalen Kanälen durchschnittene Wiesen; nur dort, wo der See am tiefsten gewesen, liegt noch ein schilfumkränzter Wasserspiegel, den man in Deutschland doch noch einen Landsee nennen würde.
Die fünfzehn Schöpfmühlen halten ihr Werk voll-
endet, und eine der größten Aufgaben des menschlichen Geistes wunderbar gelös't. — An der Stelle, wo früher Piet's Eiland wie eine grüne Nasenscholle auf dem klaren Wasser lag, prangte jetzt ein großer Wirthschaftshof mit weiß gedehnten Gebäuden hinter einem stattlichen Wohnhause, wozu fast ein Drittheil des ausgetrockneten fetten Seelandes gehörte. Dort wirthschaftete der junge Bertold Zorg mit seiner muntern Hausfrau Galinda, während Piet und Drudje dem gleichfalls vergrößerten Zorgenhof vorstanden.
Wie aber kein Glück zur ungetrübten Vollkommenheit gedeiht, so wurzelte auch in den Zuständen dieser harmlosen Familie ein giftiger Wurm, der in den empfindlichsten Herzensnerven des ehrenfesten Baas vom Zorgenhof unaufhörlich, langsam, aber unvertilgbar, nagte. Denn der Buchhalter Sachtervanst hatte zwar versprochen, daß Mynheer van Eernswaard seine Tochter Galinda öffentlich anerkennen werde, dies wurde jedoch stets unter allerlei Ausflüchten hinausgeschoben. Dann trat eine schlimme Zeit mit böser Krankheit herein; aus dem morastigen Schlamme des ausgeschöpften Sees, durch Kanäle noch nicht trocken gelegt, stiegen faulige Dünste in die dicke Nebelluft und erzeugten bösartige Fieber. Unter den vielen Opfern erlagen auch der starke Baas Hendrik mit der Mutter Sara vom Zorgenhof der tödtenden Krankheit, und Beide erlebten nicht mehr die Freude, ihre liebe Schwiegertochter von ihren Eltern anerkannt und dadurch den zweideutigen Makel, welchen
eine uneheliche Schwiegertochter in die Familie gebracht vertilgt zu sehen.
Einige Tage nach der beglückenden Entwickelung der Begebnisse, welche wir von Idola erzählt habenIn einer Novelle, welche die Geschichte von Galinda's Eltern erzählt. Siehe den ersten Band der „Schilderungen aus Holland“., saß Bertold und Galinda im Schatten des großen Birnbaumes, welcher ehemals auf Piet's Eiland das bemoos'te Strohdach der Hütte überragte und jetzt am Ende eines Rasenplatzes stand, dessen frisches Grün bis zu dem Hauptkanal herablief. Ein breiter, reinlicher Weg, mit weißem Sand bestreut, durchschnitt den grünen Rasen und lief bis an den Aussteigeplatz ins Wasser. — Wohlgemuth und in glücklicher Befriedigung seines Herzens kos'te Bertold mit seiner jungen Ehefrau, während ihre lieblichen Kinder, ein derber fünfjähriger Knabe und ein kleineres lockiges Mädchen mit Galinda's schwarzen Augen, zu ihren Füßen spielten. Der muntere Bube zeigte jetzt mit seiner kleinen, rundlichen Hand auf den Kanal und rief; Sieh doch, Vater, was da für'n schönes großes Schiffboot hersegelt! Und ohne die Antwort abzuwarten, lief er über den Sandweg hinab ans Ufer, um das Boot näher zu beschauen.
In der That war es ungewöhnlich, daß um diese
Abendzeit ein großes Boot mit weißem Segel, von einem langen Wimpel umflattert, glänzend im goldenen Schein der sinkenden Sonne und schön auf dem grünen Wiesengrunde abstechend, auf dem Kanale von den Schöpfmühlen, deren schwarze, hohe Schornsteine schon lange nicht mehr rauchten, heransegelte. Bertold bemerkte den stattlichen Schwager Piet am Steuer, und Galinda staunte über zwei elegante Damen im Boote zwischen vier Mynheers sitzend; doch darunter alsbald den Papa Baldus erkennend, lief sie ihm bis an die Anlandetreppe entgegen, und hier stand die schlanke Gestalt am Ufer mit ihren blühenden Kindern neben dem kräftigen Bertold und empfing ein lange erwartetes Glück, dessen Größe ihre kühnsten Ahnungen überflügelte; denn außer dem ersehnten Vater führte dieses Boot noch eine Mutter, Bruder und eine holde Schwester dem einsamen Paare zu.
Es waren der greise Großvater Verkolyn, Mynheer van Eernsward mit der Mutter Gertrude, nebst Edward und Idola, welche, vom Papa Baldus geführt und von dem außerordentlich vergnügt blickenden Baas Enten-Piet gefolgt, das überraschte glückliche Ehepaar begrüßten und mit herzensfreudiger Liebe überschütteten.
Nun lachte ihnen eine neue glänzendere Zukunft. Galinda fand mit den Eltern und der guten Mutter Gertrud zugleich in Edward und Idola eine nie geträumte herzliche Theilnahme, welche die lange erduldeten Zurücksetzungen vergessen machten.
Bertold und Galinda lebten fortan abwechselnd auf ihrem reichen Eilandshof und in den Palästen ihrer Eltern in Amsterdam, wo der treue Baas Enten-Piet oft als ein lieber Gast die gemüthliche Heiterkeit vermehren half.