Erſtes Buch.
A
Erſtes Kapitel.
So ſind wir denn nun endlich aus den
Thoren der Stadt, ſagte Sebaſtian, in dem
er ſtille ſtand und ſich freier umſah.
Endlich? antwortete ſeufzend Franz
Sternbald ſein Freund. — Endlich? Ach
nur zu früh, allzufrüh.
Die beiden Menſchen ſahen ſich bei die¬
ſen Worten lange an, und Sebaſtian legte
ſeinem Freunde zärtlich die Hand an die
Stirne und fühlte, daß ſie heiß ſei. — Dich
ſchmerzt der Kopf ſagte er beſorgt, und
Franz antwortete: Nein, das iſt es nicht,
aber daß wir uns nun bald trennen müſſen.
Noch nicht! rief Sebaſtian mit einem weh¬
mühtigen Erzürnen aus, ſo weit ſind wir
noch lange nicht, ich will dich wenigſtens eine
Meile begleiten.
Sie gaben ſich die Hände und giengen
ſtillſchweigend auf einem ſchmalen Wege ne¬
beneinander.
Jetzt ſchlug es in Nürnberg vier Uhr
und ſie zählten aufmerkſam die Schläge,
obgleich beide recht gut wußten, daß es
keine andere Stunde ſeyn konnte; indem warf
das Morgenroth ſeine Flammen immer höher
und es giengen ſchon undeutliche Schatten
neben ihnen und die Gegend trat rund umher
aus der ungewiſſen Dämmerung heraus.
Wie alles noch ſo ſtill und feierlich iſt,
ſagte Franz und bald werden ſich dieſe gu¬
ten Stunden in Saus und Braus, in Ge¬
tümmel und tauſend Abwechſelungen verlie¬
ren. Unſer Meiſter ſchläft wohl noch und
arbeitet an ſeinen Träumen, ſeine Gemählde
ſtehen aber auf der Staffelei und warten
ſchon auf ihn. Es thut mir doch leid, daß
ich ihm dem Petrus nicht habe können aus¬
mahlen helfen.
Gefällt er dir? fragte Sebaſtian.
Ueber die maßen, rief Franz aus, es ſol¬
te mir faſt bedünken, als könnte der gute
Apoſtel der es ſo ehrlich meinte, der mit
ſeinem Degen ſo raſch bei der Hand war und
nachher doch aus Lebensfurcht das Verläugnen
nicht laſſen konnte, und ſich von einem Hahn
müſte eine Buß- und Gedächtnißpredigt hal¬
ten laſſen, als wenn ein ſolcher beherzter
und furchtſamer, ſtarrer und gutmüthiger
Apoſtel nicht anders habe ausſehn können
als ihn Meiſter Dürer ſo vor uns hinge¬
ſtellt hat. Wenn er Dich zu dem Bilde
läßt, lieber Sebaſtian, ſo wende ja allen
deinen Fleiß darauf und denke nicht, daß
es für ein ſchlechtes Gemälde gut genug ſei.
Willſt du mir das verſprechen?
Er nahm ohne eine Antwort zu erwar¬
ten ſeines Freundes Hand und drückte ſie
ſtark, Sebaſtian ſagte: Deinen Johannes
will ich recht aufheben und ihn behalten,
wenn man mir auch viel Geld dafür böte.
Mit dieſen Reden waren ſie an einen
Fußſteig gekommen, der einen nähern Weg
durchs Korn führte. Rothe Lichter zitterten
an den Spitzen der Halme und der Mor¬
genwind rührte ſich darin und machte Wel¬
len. Die beiden jungen Mahler unterhiel¬
ten ſich noch von ihren Werken und von
ihren Planen für die Zukunft, Franz ver¬
ließ jezt Nürnberg ſeine vaterländiſche
Stadt, um in der Fremde ſeine Kenntniß
zu erweitern und nach einer mühſeligen
Wanderſchaft dann als ein vollendeter Mei¬
ſter zurückzukehren. Sebaſtian blieb noch
bei den wohlverdienten Albrecht Dürer deſ¬
ſen Name im ganzen Lande ausgebreitet
war. Die Sonne gieng nun in aller Maje¬
ſtät hervor und Sebaſtian und Franz ſahen
abwechſelnd nach den Thürmen von Nürn¬
berg zurück, deren Kuppeln und Fenſter
blendend im Schein der Sonne glänzten.
Die jungen Freunde fühlten ſtillſchwei¬
gend den Druck des Abſchieds, der ihrer
wartete, ſie ſahen jedem kommenden Augen¬
blicke mit Furcht entgegen, ſie wußten, daß
ſie ſich trennen mußten und konnten es doch
immer noch nicht glauben.
Das Korn ſteht ſchön, ſagte Franz um
nur das ängſtigende Schweigen zu unter¬
brechen, wir werden eine ſchöne Erndte
haben.
Diesmahl, antwortete Sebaſtian, wer¬
den wir nicht miteinander das Erndtefeſt be¬
ſuchen, wie ſeither geſchah; ich werde gar
nicht hingehn, denn du fehlſt mir und all'
das luſtige Pfeiffen und Schallmeygetöne
würde uurnur ein bittrer Vorwurf für mich
ſein, daß ich ohne dich käme.
Dem jungen Franz ſtanden bei dieſem
Worten die Thränen in den Augen, denn
alle Scenen die ſie einer mit dem andern ge¬
ſehn, alles was ſie in brüderlicher Geſell¬
ſchaft erlebt hatten, gieng ſchnell durch
ſein Gedächtniß; als nun Sebaſtian noch
hinzu ſezte: wirſt du mich auch in der Ferne
noch immer lieb behalten? konnte er ſich
nicht mehr faßen, ſondern fiel dem Fragen¬
den mit lautem Schluchzen um den Hals
und ergoß ſich in tauſend Thränen, er zit¬
terte, es war, als wenn ihm das Herz zer¬
ſpringen wollte. Sebaſtian hielt ihn feſt in
ſeinen Armen geklammert und muſte nun
mit ihm weinen, ob er gleich älter, und
von einer härteren Conſtitution war. Kom¬
me wieder zu dir! ſagte er endlich zu ſei¬
nem Freunde wir müßen uns faßen, wir
ſehn uns ja wohl wieder.
Franz antwortete nicht, ſondern troknete
ſeine Thränen ab, ohne ſein Geſicht zu zei¬
gen. Es liegt im Schmerze etwas, deßen
ſich der Menſch ſchämt, er mag ſeine Thrä¬
nen ſelbſt vor ſeinem Buſenfreunde, auch
wenn ſie dieſem gehören, gern verbergen.
Sie erinnerten ſich nun daran, wie ſie
ſchon oft von dieſer Reiſe geſprochen hätten,
wie ſie ihnen alſo nichts weniger als uner¬
wartet käme, wie ſehr ſie Franz gewünſcht
und ſie immer als ſein höchſtes Glück ange¬
ſehn hätte. Sebaſtian konnte nicht begreif¬
fen, warum ſie jezt ſo traurig wären, da
im Grunde nichts vorgefallen ſei, als daß
nun endlich der langgewünſchte Augenblick
wirklich herbeigekommen wäre. Aber ſo iſt
das Glück des Menſchen, er kann ſich deſ¬
ſen nur freuen, wenn es aus der Ferne auf
ihn zuwandelt, kömmt es ihm nahe und er¬
greift ſeine Hand, ſo ſchaudert er oft zu¬
ſammen, als wenn er die Hand des Todes
faßte.
Soll ich dir die Wahrheit geſtehn? fuhr
Franz fort, du glaubſt nicht wie ſeltſam
mir geſtern Abend zu Sinne war. Ich hat¬
te meinen Gedanken ſo oft die Pracht
Roms, den Glanz Italiens vorgemahlt, ich
konnte mich bei der Arbeit ganz darin ver¬
lieren, daß ich mir vorſtellte, wie ich auf
unbekannten Fußſteigen, durch ſchattige
Wälder wanderte, und dann fremde Städ¬
te und niegeſehene Menſchen meinem Blik¬
ke begegneten; ach, die bunte, ewigwechſeln¬
de Welt mit ihren noch unbekannten Bege¬
benheiten, die Künſtler, die ich ſehn würde,
das hohe gelobte Land der Römer, wo einſt
die Helden würklich und wahrhaftig gewan¬
delt ſind, deren Bilder mir ſchon Thränen
entlockt hatten, ſieh, alles dies zuſammen
hatte oft meine Gedanken ſo gefangen ge¬
nommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo
ich war, wenn ich wieder auf ſah. Und das
alles ſoll würklich werden! rief ich dann
manchmal aus, es ſoll eine Zeit geben kön¬
nen, ſie naht ſich, in der du nicht mehr vor
der alten, ſo wohlbekannten Staffeley ſitzeſt,
eine Zeit, wo du in all die Herrlichkeit hinein¬
leben darfſt und immer mehr ſehn, mehr erfah¬
ren, nie aufwachen, wie es dir jezt wohl ge¬
geſchiehtge¬
ſchieht, wenn du ſo zu Zeiten von Italien
träumſt; — ach, wo, wo, bekömmſt du
Sinne, Gefühl genug her, um alles treu
und wahr, lebendig und urkräftig aufzufaſ¬
ſen? — Und dann war es, als wenn ſich
Herz und Geiſt innerlich ausdehnten und
wie mit Armen jene zukünftige Zeit erha¬
ſchen, an ſich reiſſen wollten — und
nun —
Und nun Franz?
Kann ich es dir ſagen? antwortete je¬
ner, — kann ich es ſelber ergründen? Als
wir geſtern Abend um den runden Tiſch un¬
ſers Dürers ſaßen und er mir noch Lehren
zur Reiſe gab, als die Hausfrau indeß den
Braten ſchnitt und ſich nach dem Kuchen er¬
kundigte, den ſie zu meiner Abreiſe gebacken
hatte, als du nicht eßen konnteſt, und mich
immer von der Seite betrachteteſt, o Seba¬
ſtian, es wollte mir immer mein armes ehr¬
liches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam
mir ſo gut vor, ſo oft ſie auch mit mir ge¬
ſcholten hatte, ſo oft ſie auch unſern braven
Meiſter Dürer betrübt hatte; hatte ſie mir
doch ſelbſt meine Wäſche eingepakt, war ſie
doch gerührt, daß ich abreiſen wollte. Nun
war unſere Mahlzeit geendigt, und wir al¬
le waren nicht fröhlich geweſen, ſo ſehr wir
es uns auch vorher vorgenommen hatten.
Jetzt nahm ich Abſchied von Meiſter Al¬
brecht, ich wollte ſo hart ſeyn und konnte
vor Thränen nicht reden; ach mir fiel es zu
ſehr ein, wie viel ich ihm zu danken hatte,
was er ein vortreflicher Mann iſt, wie
herrlich er mahlt, und ich ſo nichts gegen
ihn bin und er doch in den lezten Wochen
immer that, als wenn ich ſeines gleichen
wäre; ich hatte das alles noch nie ſo zu¬
ſammen empfunden, und nun warf es mich
auch dafür nieder. Ich ging fort, und du
gingſt ſtillſchweigend in deine Schlafkammer:
nun war ich auf meiner Stube allein. Kei¬
nen Abend werd' ich mehr hier hereintre¬
ten, ſagte ich zu mir ſelber, indem ich das
Licht auf den Boden ſtellte: für dich, Franz,
iſt nun dieſes Bette zum leztenmale in Ord¬
nung gelegt, du wirfſt Dich noch einmal hin¬
ein und ſiehſt dieſe Kiſſen, denen du ſo oft
deine Sorgen klagteſt, auf denen du noch
öfter ſo ſüß ſchlummerteſt, nie ſiehſt du ſie
wieder. — Sebaſtian, geht es allen Men¬
ſchen ſo, oder bin ich nur ein ſolches Kind?
Es war mir faſt, als ſtünde mir das größte
Unglück bevor, daß dem Menſchen begegnen
könnte, ich nahm ſogar die alte Lichtſcheere
mit Zärtlichkeit, mit einem wehmüthigen Ge¬
fühl in die Hand und puzte damit den lan¬
gen Docht des Lichtes. Ich war überzeugt,
daß ich vom guten Dürer nicht zärtlich ge¬
nug Abſchied genommen hatte, ich machte
mir heftige Vorwürfe darüber daß ich ihm
nicht alles geſagt hatte, wie ich von ihm
dachte, welch' ein vortreflicher Mann er in
meinem Augen ſei, daß er nun von mir ſo
entfernt würde, ohne daß er wüſte, welche
kindliche Liebe, welche brennende Verehrung,
welche Bewunderung ich mit mir nähme.
Als ich ſo über die alten Giebel hinüber
ſah, und über den engen dunkeln Hof, als
ich dich neben an gehen hörte und die
ſchwarzen Wolken ſo unordentlich durch den
Himmel zogen, ach! Sebaſtian! wie wenn
ihr mich aus dem Hauſe würfet, als wenn
ich nicht mehr euer Freund und Geſellſchaf¬
ter ſein dürfte, als wenn ich allein als ein
Unwürdiger verſtoßen ſei, verſchmäht und
verachtet, — ſo regte es ſich in meinem Bu¬
ſen. Alle meine Plane, meine Hofnungen,
alles war vorüber gezogen und ich konnte
es mir gar nicht denken, daß es mich je ge¬
freut hatte. Ich hatte keine Ruhe, ich gieng
noch einmal vor Dürers Gemach nnd hör¬
te ihn drinnen ſchlafen, o ich hätte ihn gern
noch einmal umarmt, alles genügte mir
nicht, ich hätte mögen dableiben, an kein
Verreiſen hätte müßen gedacht werden und
ich wäre vergnügt geweſen. — — Und noch
jetzt! ſieh wie die fröhlichen Lichter des
Morgens um uns ſpielen, und ich trage
noch alle Empfindungen der dunkeln Nacht
in mir. Warum müßen wir immer früheres
Glück vergeſſen, um von neuem glücklich
ſein zu können? — Ach! laß uns hier einen
Augenblick ſtille ſtehen, horch, wie ſchön die
Gebüſche flüſtern; wenn du mir gut biſt, ſo
ſinge mir hier nocheinmahl das altdeutſche
Lied vom Reiſen.
Sebaſtian ſtand ſogleich ſtill und ſang,
ohne vorher zu huſten, folgende Verſe.
Willt du dich zur Reiſ' bequemen
Über Feld
Berg und Thal
Durch die Welt,
Fremde Städte allzumahl
Mußt Geſundheit mit dir nehmen.
Neue Freunde aufzufinden
Läßt die alten du dahinten,
Früh am Morgen biſt du wach
Mancher ſieht dem Wandrer nach
Weint dahinten
Kann die Freud' nicht wiederfinden.
El¬
Eltern, Schweſter, Bruder, Freund,
Auch vielleicht das Liebchen weint,
Laß ſie weinen, traurig und froh
Wechſelt das Leben bald ſo bald ſo
Nimmer ohne Ach! und O!
Heimath bleibt dir treu und bieder,
Kehrſt du nur als Treuer wieder,
Reiſen und Scheiden
Bringt des Wiederſehens Freuden.
Franz hatte ſich in's hohe Gras geſetzt
und ſang die lezten Verſe inbrünſtig mit, er
ſtand auf und ſie kamen an die Stelle wo
Sebaſtian hatte umkehren wollen.
Grüße noch einmal! rief Franz aus! al¬
le, die mich kennen und lebe du recht wohl.
Und du gehſt nun? fragte Sebaſtian.
Muß ich denn nun ohne dich umkehren?
Sie hielten ſich beide feſt umſchloßen.
Ach nur eins noch! rief Sebaſtian aus, es
quält mich gar zu ſehr und ich kann dich ſo
nicht laſſen.
B
Franz wünſchte den Abſchied im Herzen
vorüber, es war, als wenn ſein Herz von
dieſen gegenwärtigen Minuten erdrückt wür¬
de, er ſehnte ſich nach der Einſamkeit, nach
dem Walde um dann von ſeinem Freunde
entfernt ſeinen Schmerz ausweinen zu kön¬
nen. Aber Sebaſtian verlängerte die Au¬
genblicke des Abſchieds, weil er ſich durch
kein neues Leben, durch keine neue Gegend
konnte tröſten laßen, er kannte alles genau
wozu er zurückkehrte. Willſt du mir ver¬
ſprechen? rief er aus.
Alles! alles!
Ach Franz! fuhr jener klagend fort, ich
laſſe dich nun los und du biſt nicht mehr
mein, ich weiß nicht, was dir begegnet, ich
kann dir nicht ins Geſicht ſehen und ſo ſetze
ich deine Liebe, ja dich ſelbſt auf ein unge¬
wißes Spiel. Wirſt du auch noch in der
weiten Ferne an deinen einfältigen Freund
Sebaſtian denken? Ach, wenn du nun unter
klugen und vornehmen Leuten biſt, wenn es
nun ſchon lange her iſt, daß wir hier Ab¬
ſchied genommen haben, willſt du mich auch
dann nie verachten?
O mein liebſter Sebaſtian! rief Franz
ſchluchzend.
Wirſt du immer noch Nürnberg ſo lie¬
ben, fuhr jener fort, und deinen Meiſter ſo
lieben, den wackern Albrecht? Wirſt du dich
nie klüger fühlen? O verſprich mir, daß du
derſelbe Menſch bleiben willſt, daß du dich
nicht vom Glanz des Fremden willſt verfüh¬
ren laßen, daß alles dir noch eben ſo theuer
iſt, daß ich dich noch eben ſo angehe.
O Sebaſtian ſagte Franz, mag die gan¬
ze Welt klug und überklug werden, ich will
immer ein Kind bleiben.
Sebaſtian ſagte: O wenn du einſt mit
fremden abgebettelten Sitten wieder kämſt,
B 2
alles beßer wüſteſt und dir das Herz nicht
mehr ſo warm ſchlüge, wenn du dann mit
kaltem Blute nach Dürers Grabſtein hin¬
ſehn könnteſt und du höchſtens über die Ar¬
beit und Innſchrift ſprächeſt, — o ſo möcht' ich
dich gar nicht wiederſehn, dich gar nicht für
meinen Bruder erkennen.
Sebaſtian! bin ich denn ſo? rief Franz
heftig aus; ich kenne ja dich, ich liebe ja
dich und mein Vaterland und die Stube,
worinn unſer Meiſter wohnt und die Natur
und Gott. Immer werd' ich daran hangen,
immer, immer! Sieh, hier, an dieſem alten
Eichenbaum verſpreche ich es dir, hier haſt
du meine Hand darauf.
Sie umarmten ſich und giengen ſtumm
auseinander, nach einer Weile ſtand Franz
ſtill, dann lief er dem Sebaſtian nach und
umarmte ihn wieder. Ach, Bruder, ſagte
er, und wenn Dürer den Ecce homo fertig
hat, ſo ſchreibe mir doch recht umſtändlich
wie der geworden iſt und glaube ja an die
Göttlichkeit der Bibel, ich weiß, daß du
manchmal übel davon dachteſt.
Ich will es thun, ſagte Sebaſtian und
ſie trennten ſich wieder, aber nun kehrte
keiner um, oft wandten ſie das Geſicht,
ein Wald trat zwiſchen beide.
Zweites Capitel.
Als Sebaſtian nach der Stadt zurückkehrte
und Franz ſich nun allein ſah, ließ er ſeinen
Thränen ihren Lauf. Lebe wohl, tauſend¬
mahl wohl, ſagte er immer ſtill vor ſich
hin, wenn ich dich nur erſt wieder ſähe!
Die Arbeiter auf den Feldern waren nun
in Bewegung, alles war thätig und rührte
ſich; Bauern fuhren vor ihm vorüber, in
den Dörfern war Getümmel, in den Scheu¬
ren wurde gearbeitet. Wie viel Menſchen
ſind mir heut ſchon begegnet, dachte Franz
bei ſich und unter allen dieſen weiß vielleicht
kein einziger von dem großen Albrecht Dü¬
rer, der mit ſeinen Werken meinen ganzen
Kopf einnimmt, den zu erreichen mein einzi¬
ges Trachten iſt; ſie wißen vielleicht alle
kaum, daß es eine Mahlerey giebt und
doch fühlen ſie ſich nicht unglücklich. Ich
weiß es nicht und kann nicht einſehn, wie
man ſo leben könnte, ſo einſam und verlaſ¬
ſen und doch treibt jeder ämſig ſein Ge¬
ſchäft, und es iſt gut, daß es ſo iſt und ſo
ſeyn muß.
Die Sonne war indeß hoch geſtiegen und
brannte heiß herunter, die Schatten der
Bäume waren kurz, die Arbeiter giengen
zum Mittagseſſen nach ihren Häuſern.
Franz dachte daran, wie ſich nun Sebaſtian
dem Albrecht Dürer gegen über zu Tiſche
ſezte, wie man von ihm ſpreche. Er be¬
ſchloß auch im nächſten Gehölze ſtill zu lie¬
gen, und ſeinen mitgenommenen Vorrath
hervorzuholen. Wie erquickend war der
kühle Duft, der ihm aus den grünen Blät¬
tern entgegen wehte, als er in das Wäld¬
chen hineintrat! Alles war ſtill und nur
das Rauſchen der Bäume ſchallte manchmal
durch die liebliche Einſamkeit und ein ferner
Bach, der durchs Gehöltz floß. Franz ſezte
ſich auf den weichen Raſen und zog ſeine
Schreibtafel heraus, um den Tag ſeiner
Auswanderung anzumerken, dann hohlte er
friſchen Athem, und ihm war leicht und
wohl, er war jezt über die Abweſenheit ſei¬
nes Freundes getröſtet, er fand alles gut,
ſo wie es war. Er breitete ſeine Tafel aus
und aß mit Wohlbehagen von ſeinem mit¬
genommenen Vorrathe, er fühlte jezt nur
die ſchöne ruhige Gegenwart, die ihn um¬
gab.
Indem kam ein Wandersmann die Straſ¬
ſe gegangen und grüßte Franzen ſehr freund¬
lich es war ein junger rothbakkiger Bur¬
ſche, er ſchien müde und Franz bat ihn da¬
her, ſich neben ihn niederzuſetzen und mit
ihm vorlieb zu nehmen. Der junge Reiſen¬
de nahm ſogleich dieſen Vorſchlag an, und
beide verzehrten gutes Muths ihre Mittags¬
mahlzeit und tranken den Wein, den Franz
aus Nürnberg mitgenommen hatte. Der
Fremde erzählte hierauf unſerm Freunde,
daß er ein Schmiedegeſelle ſei und eben auf
der Wanderſchaft begriffen, er gehe nun,
die hochberühmte Stadt Nürnberg in Augen¬
ſchein zu nehmen und da etwas Rechtes für
ſein Handwerk bei den kunſtreichen Meiſtern
zu lernen.
Und was treibt ihr für ein Gewerbe?
fragte er, indem er ſeine Erzählung geen¬
digt hatte.
Ich bin ein Mahler ſagte Franz, und
bin heute Morgen aus Nürnberg ausge¬
wandert.
Ein Mahler? rief jener aus, ſo einer
von denen, die für die Kirchen und Klöſter
die Bilder verfertigen.
Recht, antwortete Franz, mein Meiſter
O, ſagte der Schmidt, was ich mir
ſchon oft gewünſcht habe, einen ſolchen
Mann bei ſeiner Arbeit zu ſehn, denn ich
kann es mir gar nicht vorſtellen. Ich habe
immer geglaubt, daß die Gemählde in den
Kirchen ſchon ſehr alt wären, und daß jezt
gar keine Leute lebten, die dergleichen ma¬
chen könnten.
Grade umgekehrt, ſagte Franz, die Kunſt
iſt jezt höher geſtiegen, als ſie nur jemals
war, ich darf Euch ſagen, daß man jezt ſo
mahlt, wie es die frühern Meiſter nie ver¬
mocht haben, die Manier iſt jetzt edler, die
Zeichnung richtiger und die Ausarbeitung
bei weitem fleißiger, ſo daß die jetzigen
Bilder den wirklichen Menſchen ungleich
ähnlicher ſehn, als die vormaligen.
Und könnt' Ihr Euch denn davon ernäh¬
ren? fragte der Schmidt.
Ich hoffe es, antwortete Franz, daß
mich die Kunſt durch die Welt bringen
wird.
Aber im Grunde nützt doch das zu
nichts, fuhr jener fort.
Wie man es nimmt, ſagte Franz und
war innerlich über dieſe Rede böſe. Das
menſchliche Auge und Herz findet ein Wohl¬
gefallen daran, die Bibel wird durch Ge¬
mählde verherrlichet, die Religion unterſtützt,
was will man von dieſer edlen Kunſt mehr
verlangen?
Ich meine, ſagte der Geſell, ohne ſehr
darauf zu achten, es könnte doch zur Noth
entbehrt werden, es würde doch kein Un¬
glück daraus entſtehn, kein Krieg, keine
Theurung, kein Mißwachs, Handel und
Wandel bliebe in gehöriger Ordnung; daß
alles iſt nicht ſo mit dem Schmiedehandwerk
der Fall, als worauf ich reiſe, und darum
dünkt mich, müſtet Ihr mit einiger Beſorg¬
niß ſo in die Welt hineingehn, denn Ihr
ſeid immer doch ungewiß, ob Ihr Arbeit
finden werdet.
Franz wußte darauf nichts zu antworten
und ſchwieg ſtill, er hatte noch nie darüber
nachgedacht, ob ſeine Beſchäftigung den
Menſchen nützlich wäre, ſondern ſich nur
ſeinem Triebe überlaßen. Er wurde betrübt,
daß nur irgend jemand an dem hohen Wer¬
the der Kunſt zweifeln könne, und doch
wuſte er jezt nicht jenen zu widerlegen.
Iſt doch der heilige Apoſtel Lukas ſelbſt
ein Mahler geweſen! fuhr er endlich auf.
Wirklich? ſagte der Schmidt und ver¬
wunderte ſich, das hätt' ich nicht gedacht,
daß das Handwerk ſchon ſo alt wäre.
Möchtet Ihr denn nicht, fuhr Franz mit
einen hochrothen Geſichte fort, wenn Ihr
einen Freund oder Vater hättet, dem Ihr
ſo recht von Herzen liebtet und Ihr müßtet
nun auf viele Jahre auf die Wanderſchaft
gehn, und könntet ſie in der langen langen
Zeit nicht ſehen, möchtet Ihr denn da nicht
ein Bild wenigſtens haben, das Euch vor
den Augen ſtände, und jede Miene jedes
Wort zurückriefe, daß ſie ſonſt geſprochen
haben? Iſt es denn nicht ſchön und herr¬
lich, wenigſtens ſo im gefärbten Schatten
das zu beſitzen, was wir für theuer achten?
Der Schmid wurde nachdenkend und
Franz öfnete ſchnell ſeinen Mantelſak und
wickelte einige kleine Bilder aus, die er
ſelbſt vor ſeiner Abreiſe gemahlt hatte. Seht
hieher, fuhr er fort, ſeht vor einigen Stun¬
den habe ich mich von meinem liebſten
Freunde getrennt und hier trage ich ſeine
Geſtalt mit mir herum, der da iſt mein
theurer Lehrer Albrecht, Dürer genannt, gra¬
de ſo ſieht er aus, wenn er recht freundlich
iſt, hier habe ich ihn noch einmal, wie er
in ſeiner Jugend ausgeſehen hat.
Der Schmid betrachtete die Gemählde
ſehr aufmerkſam und bewunderte die Arbeit,
daß die Köpfe ſo natürlich vor den Augen
ſtänden, daß man beinahe glauben könnte,
lebendige Menſchen vor ſich zu ſehn. Iſt es
denn nun nicht ſchön, ſprach der junge
Mahler weiter, daß ſich männiglich bemüht,
die Kunſt immer höher zu treiben und im¬
mer wahrer das natürliche Menſchenange¬
ſicht darzuſtellen? War es denn nicht für
die übrigen Apoſtel und für alle damaligen
Chriſten herrlich und eine liebliche Erquik¬
kung wenn Lukas ihnen den Erlöſer der
todt war, wenn er ihnen Maria und Mag¬
dalena und die übrigen hinmahlen konnte,
daß ſie ſie glaubten mit Augen zu ſehen
und mit den Händen zu erfaßen? Und iſt
es dann auch nicht in unſerm Zeitalter über¬
aus ſchön, für alle Freunde des großen Man¬
nes, des kühnen Streiters, den wackern
Doktor Luther treflich zu konterfeyen, und
dadurch die Liebe der Menſchen und ihre
Bewunderung zu erhöhn? Und wenn wir al¬
le längſt todt ſind, müßen es uns nicht En¬
kel und ſpäte Urenkel Dank wißen, wenn
ſie nun die jezigen Helden und großen Män¬
ner von uns gemahlt antreffen? O wahrlich,
ſie werden dann Albrecht ſegnen und mich
auch vielleicht loben, daß wir uns ihnen
zum Beſten dieſe Mühe gaben und keiner
wird denn die Frage aufwerfen: wozu kann
dieſe Kunſt nützen?
Wenn Ihr es ſo brtrachtetbetrachtet, ſagte der
Schmid, ſo habt Ihr ganz recht, und wahr¬
lich, das iſt dann ganz etwas anders, als
Eiſen zu hammern. Schon oft habe ich es mir
auch gewünſcht, ſo irgend etwas zu thun,
das bliebe und wobei die künftigen Men¬
ſchen meiner gedenken könnten, ſo eine recht
überaus künſtliche Schmiedearbeit, aber ich
weiß immer noch nicht, was es wohl ſein könn¬
te und ich kann mich auch oft nicht darin
finden, warum ich das grade will, da keiner
meiner Handwerksgenoßen darauf gekom¬
men iſt. Bei Euch iſt das auf die Art frei¬
lich etwas leichtes und Ihr habt dabei nicht
einmal ſo ſaure Arbeit, wie unſer eins.
Aber darin denkt Ihr grade wie ich, ſeht,
Tag und Nacht wollt' ich arbeiten und mich
keinen Schweiß verdrießen laßen wenn ich
etwas zu Stande brächte, das länger dauer¬
te wie ich, das der Mühe werth wäre, daß
man ſich meiner dabei erinnerte und darum
möcht' ich gern etwas ganz Neues und Un¬
erhörtes erfinden, oder entdecken, und ich
halte die für ſehr glückliche Menſchen, denen
ſo etwas gelungen iſt.
Bei dieſen Worten hörte Franzens Zorn
nun völlig auf, er ward dem Schmiedege¬
ſellen darüber ſehr gewogen und erzählte
ihm
ihm noch mancherlei von ſich und Nürnberg,
er erfuhr daß der junge Schmid aus Flan¬
dern komme und ſich Meſſys nannte. Wollt
Ihr mir einen großen Gefallen thun? frag¬
te der Fremde.
Gern, ſagte Franz.
Nun ſo ſchreibt mir einige Worte auf
und gebt mir ſie an Euren Meiſter und Eu¬
ren jungen Freund mit, ich will ſie dann
beſuchen und ſie müſſen mich bei ihrer Ar¬
beit zuſehn laſſen, weil ich es mir gar nicht
vorſtellen kann, wie ſich die Farben ſo künſt¬
lich übereinander legen: dann will ich auch
nachſehn, ob Eure Bilder da ähnlich ſind.
Das iſt nicht nöthig, ſagte Franz. Ihr
dürft nur ſo zu Ihnen gehen, von mir er¬
zählen und einen Gruß bringen, ſo ſind ſie
gewiß ſo gut und laſſen Euch einen ganzen
Tag nach Herzensluſt zuſehn. Sagt ihnen
dann, daß wir viel von ihnen geſprochen
C
haben, daß mir noch die Thränen in den
Augen ſtehen.
Sie ſchieden hierauf von einander und
ein jeder gieng ſeine Straße. Indem es ge¬
gen Abend kam, fielen dem jungen Sternbald
viele Gegenſtände zu Gemählden ein, die er
in ſeinen Gedanken ordnete und mit Liebe
bei dieſen Vorſtellungen verweilte: je röther
der Abend wurde, je ſchwermüthiger wurden
ſeine Träumereien, er fühlte ſich wieder ein¬
ſam in der weiten Welt, ohne Kraft, ohne
Hülfe in ſich ſelber. Die dunkelgewordenen
Bäume, die Schatten die ſich auf den Fel¬
dern ausſtreckten, die rauchenden Dächer
eines kleinen Dorfs und die Sterne die nach
und nach am Himmel hervortraten, alles
rührte ihn innig, alles bewegte ihn zu einenmeinem
wehmühtigen Mitleiden mit ſich ſelber.
Er kehrte in die kleine Schenke des Dorfs
ein, begehrte ein Abendeſſen und eine Ruheſtel¬
le. Als er allein war und ſchon die Lampe
ausgelöſcht hatte, ſtellte er ſich ans Fenſter
lag. und ſah nach der Gegend hin wo Nürn¬
berg Dich ſollt' ich vergeſſen? rief er aus, dich
ſollt' ich weniger lieben? O mein liebſter
Sebaſtian, was wäre dann aus meinem
Herzen geworden? Wie glücklich fühl' ich
mich darinn, daß ich ein Deutſcher, daß
ich Dein und Albrechts Freund bin; ach!
wenn ihr mich nur nicht verſtoßt, weil ich
Eurer unwürdig bin.
Er legte ſich nieder, verrichtete ſein
Abendgebet und ſchlief dann beruhigter ein.
Drittes Capitel.
Am Morgen weckte ihn das muntre Gir¬
ren der Tauben vor ſeinem Fenſter, die
manchmal in ſeine Stube hineinſahen und
mit den Flügeln ſchlugen, dann wieder
wegflogen und bald wieder kamen, um mit
dem Halſe nickend vor ihm auf und abzu¬
gehn. Durch einige Lindenbäume warf die
Sonne ſchräge Strahlen in ſein Gemach und
Franz ſtand auf und kleidete ſich hur¬
tig an; er ſah mit feſten Augen durch den
reinen blauen Himmel und alle ſeine Plane
wurden lebendiger in ihm, ſein Herz ſchlug
höher, alle Gefühle ſeiner Bruſt erklangen
geläuterter. Er hätte jezt mit der Farben¬
pallette vor einer großen Tafel ſtehn mögen
und er hätte dreiſt die kühnen Figuren hin¬
gezeichnet, die ſich in ſeiner Bruſt bewegten.
Der friſche Morgen giebt dem Künſtler
Stärkung und in den Strahlen des Früh¬
roths regnet Begeiſterung auf ihn herab:
Der Abend lößt und ſchmelzt ſeine Gefühle,
er weckt Ahndungen und unerklärliche Wün¬
ſche in ihm auf, er fühlt dann näher, daß
jenſeits dieſes Lebens ein andres kunſtreiche¬
res liege, und ſein inwendiger Genius ſchlägt
oft vor Sehnſucht mit den Flügeln, um ſich
frei zu machen und hineinzuſchwärmen in
das Land, das hinter den goldnen Abend¬
wolken liegt.
Franz ſang ein Morgenlied, und fühlte
keine Müdigkeit vom geſtrigen Wege mehr,
er ſetzte mit friſchen Kräften ſeine Reiſe fort.
Das rege Geflügel ſang aus allen Gebü¬
ſchen, das bethaute Gras duftete und alle
Blätter funkelten wie Kriſtall. Er gieng
mit ſchnellen Schritten über eine ſchöne Wie¬
ſe, und das Geſchmetter der Lerchen zog
über ihn hinweg, ihm war faſt noch nie ſo
wohl geweſen.
Das Reiſen, ſagte er zu ſich ſelber, iſt
etwas trefliches, dieſe Freiheit der Natur,
dieſe Regſamkeit aller Kreaturen, der reine
weite Himmel und der Menſchengeiſt der
alles dies zuſammenfaſſen und in Einen Ge¬
danken zuſammenſtellen kann — o glücklich
iſt der, der bald die enge Heimath verläßt,
um wie der Vogel ſeinen Fittig zu prüfen
und ſich auf unbekannten, noch ſchönern
Zweigen zu ſchaukeln. Welche Welten ent¬
wickeln ſich im Gemüthe, wenn die freie
Natur umher mit kühner Sprache in uns
hineinredet, wenn jeder ihrer Töne unſer
Herz trift und alle Empfindungen zugleich
anrührt. Ich möchte von mir glauben, daß
ich ein guter Mahler würde, denn warum
ſollte ich es nicht werden können, da mein
ganzer Sinn ſich ſo der Kunſt zuwendet,
da ich keinen andern Wunſch habe, da ich
gern alles übrige in dieſer Welt aufgeben
mag? Ich will nicht ſo zaghaft ſeyn, wie
Sebaſtian, ich will mir ſelber vertrauen.
Am Mittage ruhte er in einem Dorfe
aus, das eine ſehr ſchöne Lage hatte; hier
traf er einen Bauer, der mit einem Wagen
noch denſelben Tag vier Meilen nach ſeinem
Wohnort zu fahren gedachte. Franz wurde
mit ihm einig und ließ ſich von ihm mitneh¬
men. Der Bauer war ſchon ein alter
Mann und erzählte unterwegs unſerm
Freunde viel von ſeiner Haushaltung, von
ſeiner Frau und ſeinen Kindern. Er war
ſchon ſiebenzig Jahr alt und hatte im Lau¬
fe ſeines Lebens mancherlei erfahren, er
wünſchte jetzt nichts ſo ſehnlich, als vor ſeinem
Tode nur noch die berühmte Stadt Nürn¬
berg ſehen zu können, wo er nie hingekom¬
men war. Franz ward durch die Reden des
alten Mannes ſehr gerührt, es war ihm
ſonderbar, daß er erſt am geſtrigen Morgen
Nürnberg verlaſſen hatte, und dieſer alte
Bauer davon ſprach, als wenn es ein frem¬
der wunderweit entlegener Ort ſei, ſo daß
er die als Auserwählte betrachtete, denen
es gelinge, dorthin zu kommen.
Mit dem Untergange der Sonne kamen
ſie vor die Behauſung des Bauers an;
kleine Kinder ſprangen ihnen entgegen, die
Erwachſenen arbeiteten noch auf dem Felde,
die alte Mutter erkundigte ſich eifrig nach
den Verwandten die ihr Mann beſucht hat¬
te, ſie wurde nicht müde zu fragen und er
beantwortete alles überaus treuherzig. Dann
ward das Abendeſſen zubereitet und alle
im Hauſe waren ſehr geſchäftig. Franz be¬
kam den bequemſten Stuhl, um anszuruhenauszuruhen,
ob er gleich gar nicht müde war.
Das Abendroth glänzte noch im Graſe
vor der Thür und die Kinder ſpielten darin,
wie niedergeregnetes Gold funkelte es durch
die Scheiben, und lieblich roth waren die
Angeſichter der Knaben und Mädchen, knur¬
rend ſetzte ſich die Hauskatze neben Franz
und ſchmeichelte ſich vertraulich an ihn, und
Franz fühlte ſich ſo wohl und glücklich, in
der kleinen beengten Stube ſo ſeelig und
frei, daß er ſich kaum ſeiner vorigen trüben
Stunden erinnern konnte, daß er glaub¬
te, er könne in ſeinem Leben nie wieder be¬
trübt werden. Als nun die Dämmerung
einbrach, fingen vom Heerde der Küche die
Heimchen ihren friedlichen Geſang an, am
Waſſerbach ſang aus Birken eine Nachtigall
heraus, und noch nie hatte Franz das Glück
einer ſtillen Häuslichkeit, einer beſchränkten
Ruhe ſich ſo nahe empfunden.
Die großen Söhne kamen aus dem Fel¬
de zurück und alle nahmen fröhlich und gu¬
tes Muths die Abendmahlzeit ein, man
ſprach von der bevorſtehenden Erndte, vom
Zuſtande der Wieſen. Franz lernte nach und
nach das Befinden und die Eigenſchaften je¬
des Hausthiers, aller Pferde und Ochſen
kennen. Die Kinder waren gegen die Alten
ſehr ehrfurchtsvoll, man fühlte es, wie der
Geiſt einer ſchönen Eintracht ſie alle be¬
herrſchte.
Als es finſter geworden war, vermehrte
ein eisgrauer Nachbar die Geſellſchaft, um
den ſich beſonders die Kinder herumdrängten
und verlangten, daß er ihnen wieder eine Ge¬
ſchichte erzählen ſollte, die Alten miſchten
ſich auch darunter und baten, daß er
ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorſa¬
gen möchte, nichts Neues, ſondern was er
ihnen ſchon oft erzählt habe, je öfter ſie es
hörten, je lieber würde es ihnen. Der Nach¬
bar war auch willig und trug die Geſchichte
der heiligen Genovefa vor, dann des heiligen
Laurentius und alle waren in tiefer Andacht,
verlohren. Franz war überaus gerührt. Noch
in derſelben Nacht fing er einen Brief an ſei¬
nen Freund Sebaſtian an, am Morgen nahm
er herzlich von ſeinen Wirthen Abſchied,
und kam am folgenden Tage in eine kleine
Stadt, wo er den Brief an ſeinen Freund
beſchloß. Wir theilen unſern Leſern dieſen
Brief mit.
Liebſter Bruder!
«Ich bin erſt ſeit ſo kurzer Zeit von Dir
«und doch dünkt es mir ſchon ſo lange zu
«ſeyn. Ich habe Dir eigentlich nichts zu
«ſchreiben und kann es doch nicht unterlaſſen,
«denn Dein eignes Herz kann Dir alles ſa¬
«gen, was Du in meinem Briefe finden ſoll¬
«teſt, wie ich immer an Dich denke, wie un¬
«aufhörlich das Bild meines theuren Mei¬
«ſters und Lehrers vor mir ſteht. Ein
«Schmiedegeſelle wird Euch beſucht haben,
«den ich am erſten Tage traf, ich denke
«Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um
«meinetwillen. Ich ſchreibe dieſen Brief in
«der Nacht, beim Schein des Vollmonds,
«indem meine Seele überaus beruhigt iſt;
«ich bin hier auf einem Dorfe bei einem
«Bauer, mit dem ich vier Meilen hieher ge¬
«fahren bin. Alle im Hauſe ſchlafen, und
«ich fühle mich noch ſo munter, darum
«will ich noch einige Zeit wach bleiben,
«Lieber Sebaſtian, es iſt um das Treiben
«und Leben der Menſchen eine eigne Sache.
«Wie die meiſten ſo gänzlich ihres Zwecks
«verfehlen, wie ſie nur immer ſuchen und
«nie finden, und wie ſie ſelbſt das Gefun¬
«dene nicht achten mögen, wenn ſie ja ſo
«glücklich ſind. Ich kann mich immer nicht
«darinn finden, warum es nicht beſſer iſt,
«warum ſie nicht zu ihrem eigenen Glücke
«mit ſich einiger werden. Wie lebt mein
«Bauer hier für ſich und iſt zufrieden und
«iſt wahrhaft glücklich. Er iſt nicht blos
«glücklich, weil er ſich an dieſen Zuſtand
«gewöhnt hat, weil er nichts beſſeres kennt,
«weil er ſich findet, ſondern alles iſt ihm
«recht, weil er innerlich von Herzen ver¬
«gnügt iſt und weil ihm Unzufriedenheit
«mit ſich etwas Fremdes iſt. Nur Nürn¬
«berg wünſcht er vor ſeinem Tode noch zu
«ſehen und lebt doch ſo nahe dabei; wie mich
«das gerührt hat!«
«Wir ſprechen immer von einer goldnen
«Zeit und denken ſie uns ſo weit weg und
«mahlen ſie uns mit ſo ſonderbaren und
«buntgrellen Farben aus. O theurer Se¬
«baſtian, oft dicht vor unſern Füßen liegt
«dieſes wundervolle Land, nach dem wir
«jenſeits des Oceans und jenſeits der Sünd¬
«fluth mit ſehnſüchtigen Augen ſuchen. Es
«iſt nur das, daß wir nicht redlich mit uns
»ſelber umgehen. Warum ängſtigen wir
«uns in unſern Verhältniſſen ſo ab, um
«nur das bischen Brod zu haben, das wir
«ſelber darüber nicht einmahl in Ruhe ver¬
«zehren können? Warum treten wir denn
«nicht manchmal aus uns heraus und ſchüt¬
«teln alles das ab, was uns quält und
«drückt, und holen darüber friſchen Athem
«und fühlen die himmliſche Freiheit, die
«uns eigentlich angebohren iſt? Dann müſ¬
«ſen wir der Kriege und Schlachten, der
«Zänkereien und Verläumdungen auf einige
«Zeit vergeſſen, alles hinter uns laſſen und
«die Augen davor zudrücken, daß es in die¬
«ſer Welt ſo kunterbunt hergeht und ſich
«alles toll und verworren durcheinander
«ſchiebt, damit irgend einmahl der himmli¬
«ſche Friede eine Gelegenheit fände, ſich auf
«uns herab zu ſenken und mit ſeinen ſüßen
«lieblichen Flügeln zu umarmen. Aber wir
«wollen uns gern immer mehr in dem
«Wirwarr der gewöhnlichen Welthändel
«verſtricken, wir ziehn ſelber einen Flor über
«den Spiegel, der aus den Wolken herun¬
«terhängt, und in welchem Gottheit und
«Natur uns ihre himmliſchen Angeſich¬
«ter zeigen, damit wir nur die Eitelkeiten
«der Welt deſto wichtiger finden dürfen.
«So kann der Menſchengeiſt ſich nicht aus
«dem Staube aufrichten und getroſt zu den
«Sternen hinblicken und ſeine Verwand¬
«ſchaft zu ihnen empfinden. Er kann die
«Kunſt nicht lieben, da er das nicht liebt,
«was ihn von der Verworrenheit erlöſt,
«denn mit dieſem ſeeligen Frieden iſt die
«Kunſt verwandt. Du glaubſt nicht, wie
«gern ich jezt etwas mahlen möchte, was
«ſo ganz den Zuſtand meiner Seele aus¬
«drückte, und ihn auch bei andern wecken
«könnte. Ruhige fromme Heerden, alte
«Hirten im Glanz der Abendſonne und En¬
«gel die in der Ferne durch Kornfelder gehn,
«um ihnen die Geburt des Herrn, des Er¬
«löſers, des Friedefürſten zu verkündigen.
«Kein wildes Erſtarren, keine erſchreckten
«durcheinandergeworfenen Figuren, ſondern
«mit freudiger Sehnſucht müſten ſie nach
«den Himmliſchen hinſchauen, die Kinder
«müſten mit ihren zarten Händlein nach den
«goldnen Strahlen hindeuten, die von den
«Bothſchaftern ausſtrömten. Jeder An¬
«ſchauer müſte ſich in das Bild hineinwün¬
«ſchen und ſeine Prozeſſe und Plane, ſeine
«Weisheit und ſeine politiſchen Konnexionen
«auf ein Viertelſtündchen vergeſſen, und ihm
«würde dann vielleicht ſo ſeyn, wie mir jezt
«iſt, indem ich dieſes ſchreibe und denke.
«Laß Dich manchmal, lieber Sebaſtian, von
der
«der guten freundlichen Natur anwehen,
«wenn es Dir in deiner Bruſt zu enge wird,
«ſchau auf die Menſchen je zuweilen hin,
«die im Strudel des Lebens am wenigſten
«bemerkt werden, und heiße die ſüße Fröm¬
«migkeit willkommen, die unter alten Ei¬
«chen beim Schein der Abendſonne, wenn
«Heimchen zwitſchern und Feldtauben gir¬
«ren, auf Dich niederkömmt. Nenne mich
«nicht zu weich und vielleicht phantaſtiſch,
«wenn ich Dir dieſes rathe, ich weiß, daß
«Du in manchen Sachen anders denkſt, und
«vernünftiger und eben darum auch härter
«biſt.
«Ein Nachbar beſuchte uns noch nach
«dem Abendeſſen und erzählte in ſeiner ein¬
«fältigen Art einige Legenden von Mär¬
«tyrern. Der Künſtler ſollte nach meinem
«Urtheil bei Bauern oder Kindern manchmal
«in die Schule gehn, um ſich von ſeiner
D
«kalten Gelehrſamkeit oder zu großen Künſt¬
«lichkeit zu erholen, damit ſein Herz ſich
«wieder einmal der Einfalt aufthäte, die
«doch nur einzig und allein die wahre Kunſt
«iſt. Ich wenigſtens habe aus dieſen Er¬
«zählungen Vieles gelernt: die Gegenſtände,
«die der Mahler daraus darſtellen müßte,
«ſind mir in einem ganz neuen Lichte er¬
«ſchienen. Ich weiß Kunſtgemählde, wo der
«rührendſte Gegenſtand von unnützen ſchö¬
«nen Figuren, von Gemähldegelehrſamkeit
«und treflich ausgedachten Stellungen ſo
«eingebaut war, daß das Auge lernte,
«das Herz aber nichts dabei empfand, als
«worauf es doch vorzüglich müßte abgeſehen
«ſeyn. So aber wollen einige Meiſter grö¬
«ßer werden als die Größe, ſie wollen ih¬
«ren Gegenſtand nicht darſtellen, ſondern
«verſchönern, und darüber verlieren ſie ſich
«in Nebendingen. Ich denke jezt an alles
«das, was uns der vielgeliebte Albrecht ſo
«oft vorgeſagt hat, und fühle wie er immer
«recht und wahr ſpricht. — Grüße ihn; ich
«muß hier aufhören, weil ich müde bin.
«Morgen komme ich nach einer Stadt,
«da will ich den Brief ſchließen und ab¬
«ſchicken. —
Ich bin angekommen, und habe Dir, Se¬
«baſtian, nur noch wenige Worte zu ſagen
«und auch dieſe dürften vielleicht überflüßig
«ſeyn. Wenn nur das ewige Auf- und Ab¬
«treiben meiner Gedanken nicht wäre! Wenn
«die Ruhe doch, die mich manchmal wie im
«Vorbeifliegen küßt, bei mir einheimiſch
«würde, dann könnt' ich von Glück ſagen,
«und es würde vielleicht mit der Zeit ein
«Künſtler aus mir, den die Welt zu den
«angeſehenen zählte, deſſen Namen ſie mit
«Achtung und Liebe ſpräche. Aber ich ſehe
«es ein, noch mehr fühl' ich es, das wird
D 2
«mir ewig nicht gegönnt ſeyn. Ich kann
«nicht dafür, ich kann mich nicht im Zaume
«halten, und alle meine Entwürfe, Hofnun¬
«gen, mein Zutrauen zu mir geht vor
«neuen Empfindungen unter, und es wird
«leer und wüſt in meiner Seele, wie in
«einer rauhen Landſchaft, wo die Brücken
«von einem wilden Waldſtrome zuſammen¬
«geriſſen ſind. Ich hatte auf dem Wege
«ſo vielen Muth, ich konnte mich ordent¬
«lich gegen die großen herrlichen Geſtalten
«nicht ſchützen und mich ihrer nicht erweh¬
«ren, die in meiner Phantaſie aufſtiegen,
«ſie überſchütteten mich mit ihrem Glanze,
«überdrängten mich mit ihrer Kraft und er¬
«oberten und beherrſchten ſo ſehr meinen
«Geiſt, daß ich mich freute und mir ein
«recht langes Leben wünſchte, um der Welt,
«den Kunſtfreunden und Dir geliebter, Se¬
«baſtian, ſo recht ausführlich hinzumahlen
«was mich innerlich mit unwiderſtehlicher
«Gewalt beherrſchte. Aber kaum habe ich
«nun die Stadt, dieſe Mauern, und die
«Ämſigkeit der Menſchen geſehen, ſo iſt al¬
«les in meinem Gemüthe wieder wie zuge¬
«ſchüttet, ich kann die Plätze meiner Freu¬
«de nicht wiederfinden, keine Erſcheinung
«ſteigt auf. Ich weiß nicht mehr, was ich
«bin; mein Sinn iſt gänzlich verwirrt.
«Mein Zutrauen zu mir ſcheint mir Raſe¬
«rey, meine inwendigen Bilder ſind mir ab¬
«geſchmackt, ſie kommen mir ſo vor, als
«wenn ſie ſich nie wirklich fügen würden,
«als wenn kein Auge daran Wohlgefallen
«finden könnte. Mein Brief verdrießt mich;
«mein Stolz iſt beſchämt. — Was iſt es,
«Sebaſtian, warum kann ich nicht mit mir
«einig werden? Ich meine es doch ſo gut
«und ehrlich. — Lebe wohl und bleibe immer
«mein Freund und grüße Meiſter Albrecht.
Viertes Kapitel.
Franz hatte in dieſer Stadt einen Brief
von Dürer an einen Mann abzugeben, der
der Vorſteher einer anſehnlichen Fabrik war.
Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Ge¬
ſchäften, ſo daß Herr Zeuner den Brief
nur ſehr flüchtig las und mit dem jungen
Sternbald nur wenig ſprechen konnte,
er bat ihn aber, zum Mittagseſſen wieder
zu kommen.
Franz ging betrübt durch die Gaſſen der
Stadt, und fühlte ſich ganz fremd. Zeuner
hatte für ihn etwas zurückſtoßendes und
kaltes, und er hatte eine ſehr freundliche
Aufnahme erwartet, da er einen Brief von
ſeinem ihm ſo theuren Lehrer brachte. Als
es Zeit zum Mittagseſſen war, gieng er
nach Zeuners Hauſe zurück, das eins der
größten in der Stadt war; mit Bangigkeit
ſchritt er die großen Treppen hinauf und
durch den prächtig verzierten Vorſaal; im
ganzen Hauſe merkte man, daß man ſich
bei einem reichen Manne befinde. Er ward
in einen Saal geführt, wo eine ſtattliche
Verſammlung von Herren und Damen, alle
mit ſchönen Kleidern angethan nur auf
den Augenblick des Eſſens zu warten ſchie¬
nen. Nur wenige bemerkten ihn, und die
zufälligerweiſe ein Geſpräch mit ihm anfin¬
gen, brachen bald wieder ab, als ſie hörten,
daß er ein Mahler ſei. Jezt trat der Herr
des Hauſes herein, und alle drängten
ſich mit höflichen und freundlichen Glück¬
wünſchen um ihn herum; jeder ward freund¬
lich von ihm bewillkommt, auch Franz im
Vorbeigehn. Dieſer hatte ſich in eine Ecke
des Fenſters zurückgezogen, und ſah mit
Bangigkeit und ſchlagendem Herzen auf
die Gaſſe hinunter, denn es war zum er¬
ſtenmale, daß er ſich in einer ſolchen gro¬
ßen Geſellſchaft befand. Wie anders kam
ihm hier die Welt vor, da er von anſtändi¬
gen, wohlgekleideten und unterrichteten Leu¬
ten über tauſend nichtswürdige Gegenſtän¬
de, nur nicht über die Mahlerei reden hör¬
te, ob er gleich geglaubt hatte, daß ſie je¬
dem Menſchen am Herzen liegen müſſe, und
daß man auf ihn, als einen vertrauten
Freund Albrecht Dürers, beſonders aufmerk¬
ſam ſeyn würde.
Man ſetzte ſich zu Tiſche, er ſaß faſt
unten. Durch den Wein belebt ward das
Geſpräch der Geſellſchaft bald munterer, die
Frauen erzählten von ihrem Putze die Män¬
ner von ihren mannichfaltigen Geſchäften,
der Hausherr ließ ſich weitläuftig darüber
aus, wie ſehr er nun nach und nach ſeine
Fabrik verbeſſert habe und wie der Gewinn
alſo um ſo einträglicher ſei. Was den gu¬
ten Franz beſonders ängſtigte, war, daß
von allen abweſenden reichen Leuten mit
einer vorzüglichen Ehrfurcht geſprochen
wurde; er fühlte, wie hier das Geld
das einzige ſei, was man achte und
ſchätze: er konnte faſt kein Wort mitſpre¬
chen. Auch die jungen Frauenzimmer wa¬
ren ihm zuwider, da ſie nicht ſo züchtig
und ſtill waren, wie er ſie ſich vorgeſtellt
hatte, alle ſetzten ihn in Verlegenheit, er
fühlte ſeine Armuth, ſeinen Mangel an
Umgang zum erſtenmal in ſeinem Leben auf
eine bittere Art. In der Angſt trank er vie¬
len Wein und ward dadurch und von den
ſich durchkreuzenden Geſprächen ungemein
erhitzt. Er hörte endlich kaum mehr darauf
hin, was geſprochen ward, die groteskeſten
Figuren beſchäftigten ſeine Phantaſie, und
als die Tafel aufgehoben ward, ſtand er
mechaniſch mit auf, faſt ohne es zu wiſſen.
Die Geſellſchaft verfügte ſich nun in ei¬
nen angenehmen Garten, und Franz ſetzte
ſich etwas abſeits auf eine Raſenbank nie¬
der, es war ihm, als wenn die Geſträuche
und Bäume umher ihn über die Menſchen
tröſteten, die ihm ſo zuwider waren. Seine
Bruſt ward freier, er wiederholte in Ge¬
danken einige Lieder, die er in ſeiner Ju¬
gend gelernt hatte und die ihm ſeit lange
nicht eingefallen waren. Der Hausherr kam
auf ihn zu, er ſtand auf und ſie gingen
ſprechend in einem ſchattigen Gange auf
und ab.
Ihr ſeid jezt auf der Reiſe? fragte ihn
Zeuner.
Ja, antwortete Franz, vorjezt will ich
nach Flandern und dann nach Italien.
Wie ſeid Ihr grade auf die Mahler¬
kunſt gerathen?
Das kann ich Euch ſelber nicht ſagen,
ich war plözlich dabei, ohne zu wiſſen wie
es kam; einen Trieb, etwas zu bilden, fühl¬
te ich immer in mir.
Ich meine es gut mit Euch, ſagte Zeu¬
ner, Ihr ſeid jung und darum laßt Euch
von mir rathen. In meiner Jugend gab
ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen
ab, als ich aber älter wurde, ſah ich ein,
daß mich das zu nichts führen könne. Ich leg¬
te mich daher eifrig auf ernſthafte Geſchäfte
und widmete ihnen alle meine Zeit, und ſeht,
dadurch bin ich nun auch das geworden was
ich bin. Eine große Fabrik und viele Ar¬
beiter ſtehn nnterunter mir, zu deren Aufſicht,
ſo wie zum Führen meiner Rechnungen ich
immer treue Leute brauche. Wenn Ihr
wollt, ſo könnt Ihr mit einem ſehr gu¬
ten Gehalte bei mir eintreten, weil mir
grade mein erſter Aufſeher geſtorben iſt.
Ihr habt ein ſichres Brod und ein gutes
Auskommen, Ihr könnt Euch hier verhei¬
rathen und ſogleich antreffen was Ihr in
einer ungewiſſen zukünftigen Ferne ſucht. —
Wollt Ihr alſo Eure Reiſe einſtellen und
bei mir bleiben?
Franz antwortete nicht.
Ihr mögt vielleicht viel Geſchick zur
Kunſt haben, fuhr jener fort, aber was
habt Ihr mit alle dem gewonnen? Wenn
Ihr ein großer Meiſter werdet, ſo führt Ihr
doch immer ein kümmerliches und höchſt
armſeliges Leben. Ihr habt ja das Bei¬
ſpiel an Eurem Lehrer. Wer erkennt ihn,
wer belohnt ihn? Mit allem ſeinem Fleiße
muß er ſich doch von einem Tage zum an¬
dern hinübergrämen, er hat keine frohe
Stunde, er kann ſich nie recht ergötzen,
Niemand achtet ihn, da er ohne Vermögen
iſt, ſtatt daß er reich, angeſehen und von
Einfluß ſeyn könnte, wenn er ſich den bür¬
gerlichen Geſchäften gewidmet hätte.
Ich kann Euren Vorſchlag durchaus
nicht annehmen, rief Franz aus.
Und warum nicht? iſt denn nicht alles
wahr, was ich Euch geſagt habe?
Und wenn es auch wahr iſt, antwortete
Franz, ſo kann ich es doch ſo unmöglich
glauben. Wenn Ihr das Zeichnen und Bil¬
den ſogleich habt unterlaſſen können, als
Ihr es wolltet, ſo iſt das gut für Euch,
aber ſo habt Ihr auch unmöglich einen recht
kräftigen Trieb dazu verſpürt. Ich wüſte¬
nicht, wie ich es anfinge, daß ich es unter¬
ließe, ich würde Eure Rechnungen und al¬
les verderben, denn immer würden meine
Gedanken darauf gerichtet bleiben, wie ich
dieſe Stellung und jene Mine gut ausdrük¬
ken wollte, alle Eure Arbeiter würden mir
nur eben ſo viele Modelle ſeyn, Ihr wärt
ein ſchlechter Künſtler geworden, ſo wie ich
zu allen ernſthaften Geſchäften verdorben
bin, denn ich achte ſie zu wenig, ich habe
keine Ehrfurcht vor dem Reichthum, ich
könnte mich nimmer zu dieſem kunſtloſen Le¬
ben bequemen. Und was Ihr mir von mei¬
nem Albrecht Dürer ſagt, gereicht den
Menſchen, nicht aber ihm zum Vorwurf.
Er iſt arm, aber doch in ſeiner Armuth
glückſeliger als Ihr. Oder haltet Ihr es
denn für ſo gar nichts, daß er ſich hinſtel¬
len darf und ſagen: nun will ich einen
Chriſtuskopf mahlen! und das Haupt des
Erlöſers mit ſeinen göttlichen Minen in
Kurzem wirklich vor Euch ſtehet und Euch
anſieht und Euch zur Andacht und Ehrfurcht
zwingt, ſelbſt wenn Ihr gar nicht dazu
aufgelegt ſeid? Seht, ſo ein Mann iſt der
verachtete Dürer.
Franz hatte nicht bemerkt, daß während
ſeiner Rede ſich das Geſicht ſeines Wirths
zum Unwillen verzogen hatte; er nahm
kurz Abſchied und ging mit weinenden Au¬
gen nach ſeinem Wirthshauſe. Hier hatte
er auf ſeinem Fenſter das Bildniß Albrecht
Dürers aufgeſtellt, und als er in die Stu¬
be trat, fiel er laut weinend und klagend
davor nieder und ſchloß es in ſeine Arme,
drückte es an die Bruſt und bedekte es mit
Küſſen. Ja, mein guter, lieber, ehrlicher
Meiſter! rief er aus, nun lerne ich erſt die
Welt und ihre Geſinnungen kennen! Das
iſt das, was ich Dir nicht glauben wollte,
ſo oft Du es mir auch ſagteſt. Ach wohl,
wohl ſind die Menſchen undankbar gegen
Dich und Deine Herrlichkeit und gegen die
Freuden die Du ihnen zu genießen giebſt.
Freilich haben Sorgen und ſtete Arbeit die¬
ſe Furchen in Deine Stirne gezogen, ach!
ich kenne dieſe Falten ja nur zu gut.
Welcher unglückſelige Geiſt hat mir dieſe
Liebe und Verehrung zu Dir eingeblaſen,
daß ich wie ein lächerliches Wunder unter
den übrigen Menſchen herumſtehen muß,
daß ich auf ihr Reden nichts zu antworten
weiß, daß ſie meine Fragen nicht verſtehen?
Aber ich will Dir und meinem Triebe getreu
bleiben; was thuts, wenn ich arm und ver¬
achtet bin, was hinderts, wenn ich auch am
Ende aus Mangel umkommen ſollte! Du
und Sebaſtian, ihr beide werdet mich we¬
nigſtens deshalb lieben!
Er hatte noch einen Brief von Dürers
Freund Pirkheimer, an einen angeſehe¬
nen Mann in der Stadt abzugeben. Er
war unentſchloſſen, ob er ihn ſelber hintra¬
gen ſollte. Endlich nahm er ſich vor, ihn
eilig abzugeben und noch an dieſem Abend
die Stadt die ihm ſo ſehr zuwider war, zu
verlaſſen.
Man
Man wieß ihn auf ſeine Fragen nach
einem abgelegenen kleinen Hauſe, in welchem
die größte Ruhe und Stille herrſchte. Ein
Diener führte ihn in ein geſchmackvolles
Zimmer, in welchem ein ehrwürdiger alter
Mann ſaß; es war derſelbe, an den der
Brief gerichtet war. Ich freue mich, ſagte
der Greis, wieder einmahl Nachrichten von
meinem lieben Freunde Pirkheimer zu erhal¬
ten; aber verzeiht, junger Mann, meine
Augen ſind zu ſchwach, daß Ihr ſo gut
ſeyn müßt, ihn mir vorzuleſen.
Franz ſchlug den Brief auseinander und
las unter Herzklopfen, wie Pirkheimer ihn
als einen edlen und ſehr hofnungsvollen
jungen Maler rühmte, und ihn den beſten
Schüler Albert Dürers nannte. Bei die¬
ſen Worten konnte er kaum ſeine Thränen
zurückdrängen.
So ſeyd Ihr ein Schüler des großen
E
Mannes, meines theuren Albrechts? rief der
Alte wie entzückt aus, o ſo ſeyd mir von
Herzen willkommen! Er umarmte mit die¬
ſen Worten den jungen Mann, der nun
ſeine ſchmerzliche Freude nicht mehr mäßigen
konnte, laut ſchluchzte und ihm alles er¬
zählte.
Der Greis tröſtete ihn, und beide ſetzten
ſich. O wie oft, ſagte der alte Mann, ha¬
be ich mich an den überaus köſtlichen Wer¬
ken dieſes wahrhaft einzigen Mannes er¬
götzt, als meine Augen noch in ihrer Kraft
waren! Wie oft hat nur er mich über alles
Unglück dieſer Erde getröſtet! O wenn ich
ihn doch einmahl wieder ſehen könnte!
Franz vergaß nun, daß er noch vor
Sonnenuntergang hatte die Stadt verlaſ¬
ſen wollen; er blieb gern, als ihn der Alte
zum Abendeſſen bat. Bis ſpät in die Nacht
mußte er ihm von Albrechts Werken, von
ihm erzählen, dann von Pirkheimer und
von ſeinen eigenen Entwürfen. Franz er¬
götzte ſich an dieſem Geſpräch und konnte
nicht müde werden, dies und jenes zu fra¬
gen und zu erzählen, er freute ſich, daß
der Greis die Kunſt ſo ſchätzte, wie er von
ſeinem Lehrer mit eben der Wärme ſprach.
Sehr ſpät giengen ſie auseinander, und
Franz fühlte ſich ſo getröſtet und ſo glück¬
lich, daß er noch lange in ſeinem Zimmer
auf und abgieng, den Mann betrachtete,
und an großen Gemählden in Gedanken ar¬
beitete.
E 2
Fünftes Kapitel.
Wir treffen unſern jungen Freund wieder
an vor einem Dorfe an der Tauber. Er
hatte einen Umweg gemacht, um hier ſeine
Eltern zu beſuchen, denn er war als ein
Knabe von zwölf Jahren zufälligerweiſe
nach Nürnberg gekommen und auf ſein in¬
ſtändiges Bitten bei Meiſter Albrecht in die
Lehre gebracht, er hatte in Nürnberg einige
weitläuftige Verwandten die ihn unterſtütz¬
ten. Jetzt hatte er von ſeinen Eltern, die
Bauern waren, lange keine Nachrichten be¬
kommen.
Es war noch am Morgen, als er in
dem Wäldchen ſtand, das vor dem Dorfe
lag. Hier war ſein Spielplatz geweſen, hier
war er oft in der ſtillen Einſamkeit des
Abends voll Nachdenken gewandelt, wenn
die Schatten immer dichter zuſammenwuch¬
ſen und das Roth der ſinkenden Sonne tief
unten durch die Baumſtämme äugelte und
mit zuckenden Strahlen um ihn ſpielte.
Hier hatte ſich zuerſt ſein Trieb entzündet,
und er betrat den Wald mit einer Empfin¬
dung wie man in einen heiligen Tempel
tritt. Er hatte vor allen einen Lieblings¬
baum gehabt, von dem er ſich immer kaum
hatte trennen können; dieſen ſuchte er jetzt
mit großer Emſigkeit auf. Es war eine
dicke Eiche mit vielen weit ausgebreiteten
Zweigen, die Kühlung und Schatten gaben.
Er fand den Baum und den Raſen am
Fuße deſſelben noch eben ſo weich und friſch,
als ehemals. Wie vieler Gefühle aus ſeiner
Kindheit erinnerte er ſich an dieſer Stelle!
wie er gewünſcht hatte, oben in dem krau¬
ſen Wipfel zu ſitzen und von da ins weite
Land hineinzuſchauen, mit welcher Sehn¬
ſucht er den Vögeln nachgeſehn hatte, die
von Zweig zu Zweig ſprangen und auf den
dunkelgrünen Blättern ſchertzten, die nicht
wie er nach einem Hauſe rückkehrten, ſon¬
dern im ewig frohen Leben von glänzenden
Stunden angeſchienen, die friſche Luft ein¬
athmeten und Geſang zurückgaben, die das
Abend- und Morgenroth ſahen, die keine
Schule hatten und keinen ſtrengen Lehrer.
Ihm fiel alles ein, was er vormals gedacht
hatte, alle kindiſche Begriffe und Empfin¬
dungen gingen an ihm vorüber und reich¬
ten ihm die kleinen Hände und hießen ihn
ſo herzlich willkommen, daß er heftig im
Innerſten erſchrak, daß er nun wieder unter
dem alten Baume ſtehe und wieder daſſelbe
denke und empfinde, er noch derſelbe Menſch
ſey. Alle zwiſchenliegenden Jahre, und
alles was ſie an ihm vermocht hatten, fiel
in einem Augenblicke von ihm ab und er
ſtand wieder als Knabe da, die Zeit ſeiner
Kindheit lag ihm ſo nah, ſo nah, daß er
alles übrige nur für einen vorbeifliegenden
Traum halten wollte. Ein Wind rauſchte
herüber und gieng durch die großen Aeſte
des Baums, und alle Gefühle, die fernſten
und dunkelſten Erinnerungen wurden mit
herübergeweht und wie Vorhänge fiel es
immer mehr von Franzens Seele zurück
und er ſah nur ſich und die liebe Vergan¬
genheit. Alle frommen Empfindungen gegen
ſeine Eltern, der Unterricht den ihm ſeine
erſten Bücher gaben, ſein Spielzeug fiel
ihm wieder bei und ſeine Zärtlichkeit gegen
lebloſe Geſtalten.
Wer bin ich? ſagte er zu ſich ſelber und
ſchaute langſam um ſich her. Was iſt es,
daß die Vergangenheit ſo lebendig in mei¬
nem Innern aufſteigt? Wie konnte ich alles,
wie konnte ich meine Eltern ſo lange, faſt,
wenn ich wahr ſein ſoll, vergeſſen? Wie
wäre es möglich, daß uns die Kunſt gegen
die beſten und theuerſten Gefühle verhärten
könnte? Und doch kann es nur das ſeyn,
daß dieſer Trieb mich zu ſehr beſchäftigte,
ſich mir vorbaute und die Ausſicht des übri¬
gen Lebens verdeckte.
Er ſtand in Gedanken und die Mahler¬
ſtube und Albrecht und ſeine Kopien kamen
ihm wieder in die Gedanken, er ſetzte ſeinen
Freund Sebaſtian ſich gegenüber und hörte
ſchnell wieder durch, was ſie nur je mit
einander geſprochen hatten; dann ſah er
wieder um ſich und die Natur ſelbſt, der
Himmel, der rauſchende Wald und ſein
Lieblingsbaum ſchienen Athem und Leben zu
ſeinen Gemählden herzugeben, Vergangen¬
heit und Zukunft bekräftigten ſeinen Trieb
und alles was er gedacht und empfunden, war
ihm nur deswegen werth, weil es ihn zur
Kunſtliebe geführt hatte. Er gieng mit
ſchnellen Schritten weiter und alle Bäume
ſchienen ihm nachzurufen, aus jedem Bu¬
ſche traten Erſcheinungen hervor und woll¬
ten ihn zurückhalten, er taumelte aus einer
ErinnrrungErinnerung in die andere, und verlohr ſich
in ein Labyrinth von ſeltſamen Empfin¬
dungen.
Er kam auf einen freien Platz im Wal¬
de, und plötzlich ſtand er ſtill. Er wuſte
ſelbſt nicht, warum er inne hielt und ver¬
weilte um darüber nachzudenken. Ihm war,
als habe er ſich hier auf etwas zu beſinnen,
das ihm ſo lieb, ſo unausſprechlich theuer
geweſen ſey; jede Blume im Graſe nickte ſo
freundlich als wenn ſie ihm auf ſeine Er¬
innerungen helfen wollte. Es iſt hier, ge¬
wißlich hier! ſagte er zu ſich ſelber, und
ſuchte ämſig nach dem glänzenden Bilde,
das wie von ſchwarzen Wolken in ſeiner
innerſten Seele zurückgehalten wurde. Mit
einemmahle brachen ihm die Thränen aus
den Augen, er hörte vom Felde herüber eine
einſame Schalmeye eines Schäfers, und
nun wuſte er alles. Als ein Knabe von ſechs
Jahren war er hier im Walde gegangen, auf
dieſem Platze hatte er Blumen geſucht, ein
Wagen kam daher gefahren und hielt ſtill,
eine Frau ſtieg ab und hob ein Kind her¬
unter, und beide gingen auf dem grünen
Platze auf und ab und vor dem kleinen
Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches
blondes Mädchen, kam zu Franz und bat
um ſeine Blumen, er ſchenkte ſie ihr alle,
ohne ſelbſt ſeine Lieblinge zurückzubehalten,
indeß ein alter Bedienter auf einem Wald¬
horne blies, und Töne hervorbrachte, die dem
jungen Franz damals äußerſt wunderbar in
die Ohren klangen. So vergieng eine Zeit,
und Franz hatte alles vergeſſen; dann fuh¬
ren die Fremden wieder fort, und er er¬
wachte wie aus einem Entzücken zu ſich und
den gewöhnlichen Empfindungen, den ge¬
wöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Le¬
ben von einem Tage zum andern hinüber.
Dazwiſchen klangen immer die holden Wald¬
hornstöne in ſeine Exiſtenz hinein, und vor
ihm ſtand wie der Mond das holde Ange¬
ſicht des Kindes, dem er ſeine Blumen ge¬
ſchenkt hatte, nach denen er im Schlummer
oft die Hände ausſtreckte, weil ihn dünkte,
er erhielte ſie von dem Mädchen wieder.
Alles Liebe und Holde entlehnte er von ih¬
rem Bilde, alles Schöne was er ſah, trug
er zu ihrer Geſtalt hinüber; wenn er von
Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen,
und ſich von ihm gekannt, er war es über¬
zeugt, daß die Feldblumen einſt ein Erken¬
nungszeichen zwiſchen ihnen beiden ſeyn
würden.
Als er ſo deutlich wieder an alles dieſes
dachte, als ihm einfiel, daß er es in ſo
langer Zeit gänzlich vergeſſen hatte, ſetzte
er ſich ins grüne Gras nieder und weinte;
er drückte ſein heißes Geſicht an den Boden
und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die
dort ſtanden. Er hörte in der Trunkenheit
wieder die Melodie eines Waldhorns, und
konnte ſich vor Wehmuth, vor Schmerzen
der Erinnerung und ſüßen ungewiſſen Hoff¬
nungen nicht faſſen. Bin ich wahnſinnig,
oder was iſt es mit dieſem thörigten Her¬
zen? rief er aus. Welche unſichtbare Hand
fährt ſo zärtlich und grauſam zugleich über
alle Saiten in meinem Innern hinweg, und
ſcheucht alle Träume und Wundergeſtal¬
ten, Seufzer und Thränen und verklungne
Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor?
O mein Geiſt, ich fühle es in mir, ſtrebt
nochnach etwas Überirdiſchem, das keinem Men¬
ſchen gegönnt iſt. Mit magnetiſcher Gewalt
zieht der unſichtbare Himmel mein Herz an
ſich und bewegt alle Ahndungen durcheinan¬
der, die längſt ausgeweinten Freuden, die
unmöglichen Wonnen, die Hofnungen, die
keine Erfüllung zugeben. Und ich kankann es
keinem Menſchen, keinem Bruder einmahl
klagen, wie mein Gemüth zugerichtet iſt,
denn keiner würde meine Worte verſtehen.
Daher aber gebricht mir die Kraft, die den
übrigen Menſchen verliehen iſt, und die uns
zum Leben nothwendig bleibt, ich matte
mich ab in mir ſelber und keiner hat deſſen
Gewinn, mein Muth verzehrt ſich, ich wün¬
ſche was ich ſelbſt nicht kenne. Wie Ja¬
kob ſeh im Traume die Himmelsleiter mit
ihren Engeln, aber ich kann nicht ſelbſt hin¬
aufſteigen, um oben in das glänzende Pa¬
radies zu ſchauen, denn der Schlaf hat
meine Glieder bezwungen, und was ich ſe¬
he und höre, ahnde und hoffe und lieben
möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.
Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er
ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬
dem er weiter gieng, und nun ſchon die
Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬
ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er
gieng an einem Garten vorbei, und über
dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬
ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht
unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu
koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn
in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren
dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt
freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht
ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der
Kindheit wird der Menſch von den blanken,
glänzenden, und vielfarbigen Früchten und
ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt,
das Leben liebzugewinnen, wie es die
Schulmeiſter in den Schulen machen, die
mit Süßigkeiten dem Kinde Luſt zum Ler¬
nen beibringen wollen; nachher verliert ſich
im Menſchen dieſes frohe Vorgefühl des
Lebens, er iſt der Lockungen gewohnt und
dagegen abgeſtumpft.
Franz gieng über den Kirchhof und las
die Kreuze im Vorbeigehn ſchnell, aber an
keinem war der Name ſeines Vaters oder
ſeiner Mutter angeſchrieben, und er fühlte
ſich zuverſichtlicher. Die Mauer des Thurms
kam ihm nicht ſo hoch vor, alles war ihm
beengter, das Haus ſeiner Eltern kannte er
kaum wieder. Er zitterte als er die Thür
anfaßte, und doch war es ihm ſchon wieder
ſo gewöhnlich, dieſe Thür zu öffnen. In
der Stube ſaß ſeine Mutter mit verbunde¬
nem Kopf und weinte; als ſie ihn erkannte
weinte ſie noch heftiger; der Vater lag im
Bette und war krank. Er umarmte ſie bei¬
de mit gepreßtem Herzen, er erzählte ihnen,
ſie ihm, ſie ſprachen durcheinander und frag¬
ten ſich, und wuſten doch nicht recht was
ſie reden ſollten. Der Vater war matt und
bleich. Franz hatte ihn ſich ganz anders
vorgeſtellt, und darum war er nun ſo ge¬
rührt und konnte ſich gar nicht wieder zu¬
frieden geben. Der alte Mann ſprach viel
vom Sterben, von der Hofnung der Selig¬
keit, er fragte den jungen Franz, ob er auch
Gott noch ſo treu anhange, wie er ihm
immer gelehrt habe. Franz drückte ihm die
Hand und ſagte: Haben wir in dieſem irr¬
diſchen Leben etwas anders zu ſuchen, als
die Ewigkeit? Ihr liegt nun da an der
Gränze, Ihr werdet nun bald in Eurer
Andacht nicht mehr geſtört werden, und ich
will mir gewiß auch alle Mühe geben, mich
von den Eitelkeiten zu entfernen.
Liebſter Sohn, ſagte der Vater, ich ſehe,
mein
mein Lehren iſt an Dir nicht verlohren ge¬
gangen. Wir müſſen arbeiten, ſinnen und
denken, weil wir einmahl in dieſem Leben,
in dieſem Joch eingeſpannt ſind, aber da¬
rum müſſen wir doch nie das Höhere aus
den Augen verliehren. Sey redlich in Dei¬
nem Gewerbe, damit es Dich ernährt, aber
laß nicht Deine Nahrung, Deine Beklei¬
dung den letzten Gedanken Deines Lebens
ſeyn; trachte auch nicht nach dem irrdiſchen
Ruhme, denn alles iſt doch nur eitel, alles
bleibt hinter uns, wenn der Tod uns for¬
dert. Mahle, wenn es ſeyn kann, die heili¬
gen Geſchichten recht oft, um auch in weltli¬
chen Gemüthern die Andacht zu erwecken.
Franz aß wenig zu Mittage, der Alte
ſchien ſich gegen Abend zu erholen. Die
Mutter war nun ſchon daran gewöhnt,
daß Franz wieder da ſey; ſie machte ſich
ſeinetwegen viel zu thun, und vernachläßig¬
F
te den Vater beinahe. Franz war unzufrie¬
den mit ſich, er hätte dem Kranken gern al¬
le glühende Liebe eines guten Sohns ge¬
zeigt, auf ſeine letzten Stunden gern alles
gehäuft, was ihn durch ein langes Leben
hätte begleiten ſollen, aber er fühlte ſich ſo
verworren und ſein Herz ſo matt, daß er
über ſich ſelber erſchrak. Er dachte an tau¬
ſend Gegenſtände die ihn zerſtreuten, vor¬
züglich ein Gemählde von Kranken, von
trauernderntrauernden Söhnen und wehklagenden
Müttern, und darüber machte er ſich dann
die bitterſten Vorwürfe.
Als ſich die Sonne zum Untergange neig¬
te, gieng die Mutter hinaus, um aus ih¬
rem kleinen Garten, der etwas entfernt war,
Gemüſe zu holen zur Abendmahlzeit. Der
Alte ließ ſich von ſeinem Sohn mit einem
Seſſel vor die Hausthür tragen, um ſich
von den rothen Abendſtrahlen beſcheinen zu
laſſen.
Es ſtand ein Regenbogen am Himmel,
und in Weſten regnete der Abend in gold¬
nen Strömen nieder. Schaafe weideten ge¬
genüber, und Birken ſäuſelten, der Vater
ſchien ſtärker zu ſeyn. Nun ſterb ich gerne,
rief er aus, da ich Dich doch noch vor mei¬
nem Tode geſehen habe.
Franz konnte nicht viel antworten, die
Sonne ſank tiefer und ſchien dem Alten
feurig in's Geſicht, der ſich wegwendete
und ſeufzte: Wie Gottes Auge blickt es mich
noch zu guter letzt an und ſtraft mich Lü¬
gen; ach! wenn doch erſt alles vorüber wä¬
re! Franz verſtand dieſe Worte nicht, aber
er glaubte zu bemerken, daß ſein Vater
von Gedanken beunruhigt würde. Ach!
wenn man ſo mit hinunterſinken könnte!
rief der Alte aus, mit hinunter mit der lie¬
ben Gottes Sonne! O wie ſchön und herr¬
lich iſt die Erde, und jenſeit muß es noch
F 2
ſchöner ſeyn; dafür iſt uns Gottes Allmacht
Bürge. Bleib immer fromm und gut, lie¬
ber Franz, und höre mir aufmerkſam zu,
was ich Dir noch jetzt zu entdecken habe.
Franz trat ihm näher, und der Alte
ſagte: Du biſt mein Sohn nicht, liebes
Kind. — Indem kam die Mutter zurück;
man konnte ſie aus der Ferne hören, weil
ſie mit lauter Stimme ein geiſtliches Lied
ſang, und der Alte brach ſehr ſchnell ab
und ſprach von gleichgültigen Dingen.
Morgen, ſagte er heimlich zu Franz,
morgen!
Die Heerden kamen vom Felde mit den
Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz
war ſehr in Gedanken verſunken, er be¬
trachtete die beiden Alten in einem ganz
neuen Verhältniſſe zu ſich ſelber, er konnte
kein Geſpräch anfangen, die letzten Worte
ſeines vermeintlichen Vaters ſchallten ihm
noch immer in den Ohren, und er erwarte¬
te mit Ungeduld den Morgen.
Es ward finſter, der Alte ward hinein¬
getragen, und legte ſich nieder ſchlafen;
Franz aß mit der Mutter. Plötzlich hörten
ſie nicht mehr dem Athemzug des Vaters,
ſie eilten hinzu und er war verſchieden.
Sie ſahen ſich ſtumm an, und nur Brigitte
konnte weinen. Ach! ſo iſt er denn geſtor¬
ben ohne von mir Abſchied zu nehmen? ſag¬
te ſie ſeufzend; ohne Prieſter und Einſeg¬
nung iſt er entſchlafen! — Ach! wer auf
der weiten Erde wird nun noch mit mir
ſprechen, da ſein Mund ſtumm geworden
iſt? Wem ſoll ich mein Leid klagen, wer
wird mir ſagen wenn die Bäume blühen,
und wenn wir die Früchte abnehmen? —
Ach! der gute alte Vater, nun iſt es alſo
vorbei mit unſerm Umgang, mir unſern
Abendgeſprächen, und ich kann gar nichts
dazu thun, ſondern ich muß mich nun ſo
eben darin finden. Unſer aller Ende ſey
eben ſo ſanft!
Die Thränen machten ſie ſtumm, und
Franz tröſtete ſie. Er ſah in Gedanken be¬
tende Einſiedler, die verehrungswürdigen
Märtyrer, und alle Leiden der armen
Menſchheit gingen in mannichfaltigen Bil¬
dern ſeinem Geiſte vorüber.
Sechtes Kapitel.
Die Leiche des Alten lag in der Kammer
auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand
ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬
ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte
von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬
de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren
wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen
durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht
verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen
mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um
ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbniß,
und Brigitte weinte und klagte laut am
Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten,
den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬
kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie
wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬
der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit
ihm die Geſpräche fortzuſetzen, die ſie hier
hatte abbrechen müſſen. Franz ſchweifte in¬
deß im Felde umher, und betrachtete die
Bäume die ſich in einem benachbarten Tei¬
che ſpiegelten. Er hatte noch nie eine Land¬
ſchaft mit dieſem Vergnügen beſchaut, es
war ihm noch nie vergönnt geweſen, die
mannichfaltigen Farben mit ihren Schatti¬
rungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung
des Baumſchlages in der Natur zu entdek¬
ken, wie er es jetzt im klaren Waſſer ge¬
wahr ward. Über alles ergötzte ihn aber
die wunderbare Perſpektive die ſich bildete,
und der Himmel dazwiſchen mit ſeinen Wol¬
kenbildern, das zarte Blau, das zwiſchen
den krauſe Figuren und dem zitternden
Laube ſchwamm. Franz zog ſeine Schreib¬
tafel hervor, und wollte die Landſchaft an¬
fangen zu zeichnen; aber ſchon die wirkliche
Natur erſchien ihm trocken gegen die Abbil¬
dung im Waſſer, noch weniger aber wollten
ihm die Striche auf dem Papiere genügen,
die durchaus nicht nachbildeten, was er vor
ſich ſah. Er war bisher noch nie darauf
gekommen eine Landſchaft zu zeichnen, er
hatte ſie immer nur als eine nothwendige
Zugabe zu manchen hiſtoriſchen Bildern an¬
geſehn, aber noch nie empfunden, daß die
lebloſe Natur etwas für ſich Ganzes und
Vollendetes ausmachen könne, und ſo der
Darſtellung würdig ſey. Unbefriedigt gieng
er nach der Hütte ſeines Pflegevaters zu¬
rück.
Seine Mutter kam ihm entgegen, die
ſich in der ungewohnten Einſamkeit nicht zu
laſſen wuſte. Sie ſetzten ſich beide auf eine
Bank die vor dem Hauſe ſtand, und unter¬
redeten ſich von mancherlei Dingen. Franz
ward durch jeden Gegenſtand den er ſah,
durch jedes Wort das er hörte, niedergeſchla¬
gen, die weidenden Heerden, die ziehenden
Töne des Windes durch die Bäume, das
friſche Gras und die ſanften Hügel weckten
keine Poeſie in ſeiner Seele auf. Er hatte
Vater und Mutter verlohren, ſeine Freun¬
de verlaſſen, er kam ſich ſo verwaiſt und
verachtet vor, beſonders hier auf dem Lan¬
de, wo er mit Niemand über die Kunſt
ſprechen konnte, daß ihn faſt aller Muth
zum Leben verließ. Seine Mutter nahm
ſeine Hand und ſagte: Lieber Sohn, Du
willſt jetzt in die weite Welt hineingehen,
wenn ich Dir rathen ſoll ſo thu es nicht,
denn es bringt Dir doch keinen Gewinn.
Die Fremde thut keinem Menſchen gut, wo
er zu Hauſe gehört, da blüht auch ſeine
Wohlfahrt; fremde Menſchen werden es
nie ehrlich mit Dir meinen, das Vaterland
iſt gut, und warum willſt Du ſo weit weg
und Deutſchland verlaſſen, und was ſoll ich
indeſſen anfangen? Dein Mahlen iſt auch
ein unſicheres Brod, wie Du mir ſchon ſel¬
ber geſagt haſt, Du wirſt darüber alt und
grau; Deine Jugend vergeht, und mußt
noch obenein wie ein Flüchtling aus Deinem
Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein
Sohn, ſieh, die Felder ſind alle im beſten
Zuſtande, die Gärten ſind gut eingerichtet,
wenn Du Dich des Hausweſens und des
Ackerbaues annehmen willſt, ſo iſt uns bei¬
den geholfen, und Du führſt doch ein ſich¬
res und ruhiges Leben, Du weißt doch
dann wo Du Deinen Unterhalt hernimmſt.
Du kannſt hier heirathen, es findet ſich
wohl eine Gelegenheit; Du lernſt Dich bald
ein, und die Arbeit des Vaters wird dann
von Dir fortgeſetzt. Was ſagſt zu dem al¬
len mein, Sohn?
Franz ſchwieg eine Weile ſtill, nicht weil
er den Vorſchlag bei ſich überlegte, ſondern
weil an dieſem Tage alle Vorſtellungen ſo
ſchwer in ſeine Seele fielen, daß ſie lange
hafteten. Ihm lag Herr Zeuner von neuem
in den Gedanken, er ſah die ganze Geſell¬
ſchaft noch einmahl, und fühlte alle Beäng¬
ſtigungen wieder, die er dort erlitten hatte.
Es kann nicht ſeyn, liebe Mutter, ſagte er
endlich. Seht, ich habe ſo lange auf die
Gelegenheit zum Reiſen gewartet, jetzt iſt
ſie gekommen, und ich kann ſie nicht wieder
aus den Händen gehen laſſen. Ich habe
mir ängſtlich und ſorgſam all' mein Geld,
deſſen ich habhaft werden konnte, dazu ge¬
ſammelt, was würde Dürer ſagen, wenn
ich jetzt alles aufgäbe?
Die Mutter wurde über dieſe Antwort
ſehr betrübt, ſie ſagte ſehr weichherzig:
Was aber ſuchſt Du in der Welt, lieber
Sohn? Was kann Dich, ſo heftig antreiben
ein ungewiſſes Glück zu erproben? Iſt denn
der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und
immer in Gottes freier Welt zu handthie¬
ren und ſtark und geſund zu ſeyn? Mir zu
Liebe könnteſt Du auch etwas thun, und
wenn Du noch ſo glücklich biſt, kömmſt Du
doch nicht weiter, als daß Du Dich ſatt eſ¬
ſen kannſt und eine Frau ernährſt und Kin¬
der groß zieheſt die Dich lieben und ehren.
Alles dies zeitliche Weſen kannſt Du nun
hier ſchon haben, hier haſt Du es gewiß,
und Deine Zukunft iſt noch ungewiß. Ach
lieber Franz, und es iſt denn doch auch
eine herzliche Freude das Brod zu eſſen,
das man ſelber gezogen hat, ſeinen eignen
Wein zu trinken, mit dem Pferden und Kü¬
hen im Hauſe bekannt zu ſeyn, in der Wo¬
che zu arbeiten und des Sonntags zu ra¬
ſten. Aber Dein Sinn ſteht Dir nach der
Ferne, Du liebſt Deine Eltern nicht, Du
gehſt in Dein Unglück und verlierſt gewiß
Deine Zeit, vielleicht noch Deine Geſundheit.
Es iſt nicht das, liebe Mutter! rief
Franz aus, und Ihr werdet mich auch gar
nicht verſtehn wenn ich es Euch ſage. Es
iſt mir gar nicht darum zu thun, Leinwand
zu nehmen und die Farben mit mehr oder
minder Geſchicklichkeit aufzutragen, um da¬
mit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben,
denn ſeht, in manchen Stunden kömmt es
mir ſogar ſündhaft vor, wenn ich es ſo be¬
ginnen wollte. Ich denke an meinen Er¬
werb niemals wenn ich an die Kunſt denke,
ja ich kann mich ſelber haſſen wenn ich zu¬
weilen darauf verfalle. Ihr ſeid ſo gut,
Ihr ſeid ſo zärtlich gegen mich, aber noch
weit mehr als Ihr mich liebt, liebe ich
meine Handthierung. Nun iſt es mir ver¬
gönnt, alle die Meiſter wirklich zu ſehn die
ich bisher nur in der Ferne verehrt habe;
von Vielen habe ich nur die Namen gehört.
Wenn ich dies erleben kann, und beſtändig
neue Bilder ſehn, und lernen, und die
Meiſter hören; wenn ich durch ungekannte
Gegenden mit feilchem Herzen ſtreifen kann,
ſo mag ich keines ruhigen Lebens genießen.
Tauſend Stimmen rufen mir herzſtärkend
aus der Ferne zu, die ziehenden Vögel die
über meinem Haupte wegfliegen, ſcheinen
mir Bothen aus der Ferne, alle Wolken er¬
innern mich an meine Reiſe, jeder Gedanke,
jeder Pulsſchlag treibt mich vorwärts, wie
könnt' ich da wohl in meinen jungen Jah¬
ren ruhig hier ſitzen und den Wachsthum
des Getraides abwarten, die Einzäunung
des Gartens beſorgen und Rüben pflanzen!
Nein, laßt mir meinen Sinn, ich bitte Euch
darum und redet mir nicht weiter zu, denn
Ihr quält mich nur damit.
Nun ſo magſt Du es habemhaben, ſagte Bri¬
gitte in halben Unwillen, aber ich weiß daß
es Dich noch einmahl gereuet, daß Du
Dich wieder hieher wünſcheſt, und denn iſt's
zu ſpät, daß Du dann das hoch und theuer
ſchätzeſt was Du jetzt ſchmäheſt und ver¬
achteſt.
Ich habe Euch etwas zu fragen, liebe
Mutter, fuhr Franz fort. Der Vater iſt
geſtorben ohne mir Rechenſchaft davon zu
geben; er ſagte mir ich ſey ſein Sohn
nicht, und brach dann ab. Was wißt
Ihr von meiner Herkunft?
Nichts weiter lieber, Franz, ſagte die Mut¬
ter, und Dein Vater hat mir darüber nie
etwas anvertraut. Als ich ihn kennen lern¬
te und heirathete, warſt Du ſchon bei ihm,
und damals zwei Jahr alt; er ſagte mir,
daß Du ſein einziges Kind von ſeiner ver¬
ſtorbenen Frau ſeiſt. Ich verwundre mich,
warum der Mann nun zu Dir anders ge¬
ſprochen hat.
Franz
Franz blieb alſo über ſeine Herkunft im¬
mer noch in Ungewißheit; dieſe Gedanken
beſchäftigten ihn ſehr, und er wurde in
manchen Stunden darüber verdrüßlich und
traurig. Das Erndtefeſt war indeß heran¬
gekommen, und alle Leute im Dorfe waren
ſehr fröhlich; jedermann war nur darauf
bedacht ſich zu vergnügen; die Kinder hüpf¬
ten umher und konnten den Tag nicht er¬
warten. Franz hatte ſich vorgenommen die¬
ſen Tag in der Einſamkeit zuzubringen, ſich
nur mit ſeinen Gedanken zu beſchäftigen,
und ſich nicht um die Fröhlichkeit der übri¬
gen Menſchen zu bekümmern. Er war in
der Woche, die er hier bei ſeinem Pflegeva¬
ter zubrachte, überhaupt ganz in ſich ver¬
ſunken, nichts konnte ihm rechte Freude
machen, denn ihm war hier ganz anders,
und alles ereignete ſich ſo ganz anders, als
er es vorher vermuthet hatte. Am Tage
G
vor dem Erndtefeſt erhielt er einen Brief von
ſeinem Sebaſtian, denn es war vorher aus¬
gemacht daß er ihm ſchreiben ſollte, wäh¬
rend er hier auf dem Dorfe ſey. Wie wenn
nach langen Winternächten und trüben Ta¬
gen der erſte Frühlingstag über die ſtarre
Erde geht, ſo erheiterte ſich Franzens Ge¬
müth als er dieſen Brief in der Hand hielt;
es war als wenn ihn plötzlich ſein Freund
Sebaſtian ſelber anrühre, und ihm in die
Arme fliege; er hatte ſeinen Muth wieder,
er fühlte ſich nicht mehr ſo verlaſſen, er er¬
brach das Siegel.
Wie erſtaunte und freute er ſich zu glei¬
cher Zeit, als er drinnen noch ein andres
Schreiben von ſeinem Albrecht Dürer fand,
welches er nie erwartet hatte. Er war un¬
gewiß, welchen Brief er zuerſt leſen ſollte;
doch ſchlug er Sebaſtians Brief auseinan¬
der welcher folgendermaßen lautete:
Liebſter Franz.
«Wir gedenken Deiner in allen unſern
Geſprächen, und ſo kurze Zeit Du auch
entfernt biſt, ſo dünkt es mich doch ſchon
recht lange. Ich kann mich immer noch in
dem Hauſe ohne Dich nicht ſchicken und fü¬
gen, alles iſt mir zu leer und doch zu enge,
ich kann nicht ſagen ob ſich das wieder än¬
dern wird. Als ich von Dir an jenem ſchö¬
nen und traurigen Morgen durch die Korn¬
felder zurückgieng, als ich alle die Stellen
wieder betrat wo ich mit Dir gegangen
war, und der Stadt mich nun immer mehr
näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht ſa¬
gen was da mein Herz empfand. Es war
mir alles im Leben taub und ohne Reiz,
und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß
ich Dich ſo lieb haben könnte. Wie wollte
ich jetzt mit den Stunden geizen, die ich
G 2
ſonſt unbeſehn und ungenoſſen verſchwende
te, wenn ich nur mit Dir wieder zuſammen
ſeyn könnte! Alles was ich in die Hände
nehme erinnert mich an Dich, und meine
Pallette, mein Pinſel, alles macht mich
wehmüthig, ohne daß ich begreifen kann
wie es zugeht. Als ich in die Stadt wieder
hineinkam, als ich die gewohnten Treppen
unſers Hauſes hinaufſtieg, und da wieder
alles liegen und ſtehn ſah wie ich es am
frühen Morgen verlaſſen hatte, konnt' ich
mich der Thränen nicht enthalten, ob ich
gleich ſonſt nie ſo weich geweſen bin. Hal¬
te mich nicht für härter oder vernünftiger,
lieber Franz, wie Du es nennen magſt,
denn ich bin es nicht, wenn es ſich bei mir
auch anders äußert als bei Dir. Ich war
den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit
Jedermann; was ich that war mir nicht recht,
ich wünſchte Staffeley, und das Portrait, das
ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn
mir gelang kein Zug, und ich ſpürte auch
nicht die mindeſte Luſt zum Mahlen. Mei¬
ſter Dürer war ſelbſt an dieſem Tage be¬
trübter als gewöhnlich, alles war im Hauſe
ſtill, und wir fühlten es, daß mit Deiner
Abreiſe eine andre Epoche unſers Lebens
anfieng.
Dein Schmidt hat uns beſucht; es iſt
ein lieber Burſche, wir haben viel über ihn
gelacht, uns aber auch recht an ihm ge¬
freut. Unermüdet hat er uns einen ganzen
Tag lang zugeſehn, und wunderte ſich im¬
mer darüber daß das Mahlen ſo langſam
von der Stelle gienge. Er ſetzte ſich nach¬
her ſelber nieder und zeichnete ein paar
Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut ge¬
riethen, es gereut ihn jetzt daß er das
Schmiedehandwerk erlernt und ſich nicht
lieber ſo wie wir auf die Mahlerei gelegt
hat. Meiſter Dürer meint daß viel aus
ihm werden könnte, wenn er noch anfienge;
und er ſelber iſt halb und halb dazu ent¬
ſchloſſen. Er hat Nürnberg ſchon wieder
verlaſſen; von Dir hat er viel geſprochen
und Dich recht gelobt.
Daß Du Dich von Deinen Empfindun¬
gen ſo regieren und zernichten läſſeſt, thut
mir ſehr weh, Deine Überſpannungen rau¬
ben Dir Kräfte und Entſchluß, und wenn
ich es Dir ſagen darf, ſuchſt Du ſie etwas.
Doch mußt Du darüber nicht zornig wer¬
den, jeder Menſch iſt einmal anders einge¬
richtet als der andere. Aber ſtrebe darnach
etwas härter zu ſeyn, und Du wirſt ein
viel ruhigeres Leben führen, wenigſtens ein
Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten
kannſt als in dem Strom dieſer wechſelnden
Empfindungen, die Dich nothwendig ſtören,
und von allem abhalten müſſen.«
«Lebe recht wohl, und ſchreibe mir ja
fleißig, damit wir uns einander nicht fremde
werden, wie es ſonſt gar zu leicht geſchieht.
Theile mir alles mit was Du denkſt und
fühlſt, und ſey überzeugt, daß in mir be¬
ſtändig ein mitempfindendes Herz ſchlägt,
das jeden Ton des Deinigen beantwortet.
Ach! wie lange wird es währen bis wir
uns wieder ſehn! Wie traurig wird mir je¬
desmahl die Stunde vorkommen, in welcher
ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die
ſchreckliche leere Richtigkeit der Trennung ſo
recht im Innerſten fühle. Es iſt um unſer
menſchliches Leben eine dürftige Sache, ſo
wenig Glanz und ſo viele Schatten, ſo
viele Erdfarben die durchaus keinen Firniß
vertragen wollen. Adieu. Gott ſey mit
Dir. — «
Der Brief des wackern Albrecht Dürer
lautete alſo:
Mein lieber Schüler und Freund!
«Es hat Gott gefallen, daß wir nun
nicht mehr neben einander leben ſollen, ob
mich gleich kein Zwiſchenraum gänzlich von
Dir wird trennen können. So wie die Ab¬
wechſelungen des Lebens gehen, ſo iſt es
nun unter uns dahin gekommen, daß wir
nun an einander denken an einander ſchreiben
können. Ich habe Dir alle meine Liebe, al¬
le meine herzlichſten Wünſche mit auf den
Weg gegeben, und der allmächtige Gott
leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und
der Redlichkeit treu, und Du wirſt mit Freu¬
den dieſes Leben überſtehn können, indem
uns mancherlei Leiden ſuchen irre zu ma¬
chen. Es freut mich, daß Du der Kunſt ſo
fleißig gedenkſt, und zwar Vertrauen, aber
kein übermüthiges zu Dir ſelber haſt. Das
Zagen das Dich oft überfällt, kömmt einem
in der Jugend oft, und iſt viel eher ein
gutes als ein ſchlimmes Zeichen. Es iſt im¬
mer etwas Wunderbares darinnen, daß wir
Mahler nicht ſo recht unter die übrigen
Menſchen hineingehören, daß unſer Trei¬
ben und unſre Geſchäftigkeit, die Welthän¬
del und ihre Ereigniſſe ſo um gar nichts
aus der Stelle rückt, wie es doch bei den
übrigen Handwerkern der Fall iſt; das be¬
fällt uns ſehr oft in der Einſamkeit oder
unter kunſtloſen Menſchen, und dann möch¬
te uns ſchier aller Muth verlaſſen. Ein ein¬
ziges gutes Wort das wir plötzlich hören,
iſt aber auch wieder im Stande, alle ſchaf¬
fende und wirkende Kraft in uns zurückzu¬
liefern, und Gottes Segen obendrein, ſo
daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an
unſre Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die
ganze menſchliche Geſchäftigkeit läuft im
Grunde ſo auf gar nichts hinaus, daß wir
nicht einmahl ſagen können: dieſer Menſch
iſt unnütz, jener aber nützlich. Es iſt die
Erde zum Glück ſo eingerichtet, daß wir
alle darauf Platz finden mögen; Groß und
Klein, Vornehm und Geringe. Mir iſt es
in meinen jüngern Jahren oft eben ſo wie
Dir ergangen, aber die guten Stunden
kommen doch immer wieder zurück. Wärſt
Du ohne Anlage und Talent, ſo würdeſt
Du dieſe Leere in Deinem Herzen niemals
empfinden.
Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur
immer der Wahrheit treu, das iſt die Haupt¬
ſache. Deine fromme Empfindung, ſo ſchön ſie
iſt, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich
nicht von der Vernunft regieren läßt. Nicht
eigentlich zu weit; denn man kann gewiß
und wahrlich nicht zu fromm und andächtig
ſeyn, ſondern ich meine nur, Du dürfteſt
endlich etwas Falſches in Dein Herz aufneh¬
men, das Dich ſelber hintergienge, und ſo
unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬
migkeit entſtehn. Doch ſage ich dieſes gar
nicht, um Dich zu tadeln, ſondern es ge¬
ſchieht nur, weil ich an manchen ſonſt gu¬
ten Menſchen dergleichen bemerkt habe,
wenn ſie an Gott und die Unſterblichkeit
mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬
her Erhebung der Seele gedacht haben, mit
weichherziger Zerknirſchung und nicht mit
erhabner Muthigkeit, ſo ſind ſie am Ende
in einen Zuſtand der Weichlichkeit verfallen,
in dem ſie die tröſtende wahre Andacht ver¬
laſſen hat, und ſie ſich und ihrem Kleinſinn
überlaſſen blieben. Doch wie ich ſage, es
gilt nicht Dich, denn Du biſt zu gut, zu herz¬
lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬
teſt, und weil Du große Gedanken hegſt,
und mit warmer brünſtiger Seele die Bi¬
bel lieſeſt und die heiligen Geſchichten, ſo
wirſt Du auch gewißlich ein guter Mahler
werden, und ich werde noch einſt ſtolz auf
Dich ſeyn.
Suche recht viel zu ſehen, und betrachte
alle Kunſtſachen genau und wohl, dadurch
wirſt Du Dich endlich gewöhnen mit Sicher¬
heit ſelbſt zu arbeiten und zu erfinden,
wenn Du an allen das Vortrefliche erkennſt,
und auch dasjenige, was einen Tadel zuge¬
ben dürfte. Dein Freund Sebaſtian iſt ein
ganz melancholiſcher Menſch geworden ſeit
Du von uns gereiſet biſt; ich denke es ſoll
ſich wohl wieder geben wenn erſt einige
Wochen verſtrichen ſind. Gehab Dich wohl,
und denke unſrer fleißig. —»
Durch Franzens Geiſt ergoß ſich Heiter¬
keit und Stärke, er fühlte wieder ſeinen
Muth und ſeine Kraft. Albrechts Stimme
berührte ihn wie die Hand einer ſtärkenden
Gottheit, und er fühlte in allen Adern ſei¬
nen Gehalt und ſein künftiges arbeitreiches
Leben. Wie wenn man oft alte längſt ver¬
geſſene Bücher wieder aufſchlägt, und in
ihnen Belehrungen oder unerwarteten Troſt
im Leiden antrift, ſo kamen vergangene
Zeiten mit ihren Gedanken in Franzens
Seele zurück, alte Entwürfe die ihm von
neuem gefielen. Ja, ſagte er, indem er die
Briefe zuſammenfaltete, und ſorgfältig in
ſeine Schreibtafel legte, es ſoll ſchon mit
mir werden, weiß ich doch daß mein Meiſter
was von mir hält; warum will ich denn ver¬
zagen?
Es war am folgendem Tage, an wel¬
welchemwel¬
chem das Erndtefeſt gefeiert werden ſoll¬
te. Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr
gegen das frohe aufgeregte Menſchengetüm¬
mel, er ſuchte die Freude auf, und war darum
auch bei dem Feſte zugegen. Er erinnerte
ſich einiger guten Kupferſtiche von Albrecht
Dürer, auf denen tanzende Bauern darge¬
ſtellt waren, und die ihm ſonſt überaus gefallen
hatten; er ſuchte nun beim Klange der Flö¬
ten dieſe poſſierliche Geſtalten wieder, und
fand ſie auch wirklich; er hatte hier Gele¬
genheit zu bemerken, welche Natur Albrecht
auch in dieſe Zeichnungen zu legen gewußt
hatte.
Der Tag des Feſtes war ein ſchöner
warmer Tag, an dem alle Stürme und un¬
angenehme Winde von freundlichen Engeln
zurückgehalten wurden. Die Töne der Flö¬
ten und Hörner giengen wie eine liebliche
Schaar ruhig und ungeſtört durch die ſanf¬
te Luft hin. Die Freude auf der Wieſe
war allgemein, hier ſah man tanzende Paa¬
re, dort ſcherzte und neckte ſich ein junger
Bauer mit ſeiner Liebſten, dort ſchwatzten die
Alten und erinnerten ſich ihrer Jugend. Die
Gebüſche ſtanden ſtill und waren friſch grün
und überaus anmuthig, in der Ferne lagen
krauſe Hügel mit Obſtbäumen bekränzt. Wie,
ſagte Franz zu ſich, ſucht ihr Schüler und
Meiſter immer nach Gemälden, und wißt nie¬
mals recht wo ihr ſie ſuchen müßt? Warum
fällt es keinem ein, ſich mit ſeiner Staffeley
unter einen ſolchen unbefangenen Haufen
niederzuſetzen, und uns auf einmahl dieſe
Natur ganz wie ſie iſt darzuſtellen. Keine
abgeriſſene Fragmente aus der alten Hiſto¬
rie und Göttergeſchichte, die ſo oft weder
Schmerz noch Freude in uns erregen, keine
kalte Figuren aus der Legende, die uns oft
gar nicht anſprechen, weil der Mahler die
heiligen Männer nicht ſelber vor ſich
ſah, und er ohne Begeiſterung arbeitete.
Dieſe Geſtalten wörtlich ſo und ohne Abän¬
derung niedergeſchrieben, damit wir lernen,
welche Schöne, welche Erquickung in der
einfachen Natürlichkeit verborgen liegt.
Warum ſchweift Ihr immer in der weiten
Ferne, und in einer ſtaubbedeckten unkennt¬
lichen Vorzeit herum, uns zu ergötzen? Iſt
die Erde wie ſie jetzt iſt keiner Darſtellung
mehr werth; und könnt' Ihr die Vorwelt
mahlen wenn Ihr gleich noch ſo ſehr wollt?
Und wenn Ihr größeren Geiſter nun auch
hohe Ehrfurcht in unſer Herz hineinbannt;
wenn Eure Stücke uns mit ernſter feierlicher
Stimme anreden; warum ſollen nicht auch
einmahl die holden Strahlen einer weltli¬
chen Freude aus einem Gemählde heraus¬
brechen? Warum ſoll ich in einer freien herz¬
lichen SundeStunde nicht auch einmahl Bäuerlein,
und ihre Spiele und Ergötzungen lieben?
Dort werden wir beim Anblick der Bilder äl¬
ter und klüger, hier kindiſcher und fröhlicher.
So ſtritt Franz mit ſich ſelber, und un¬
terhielt ſeinen Geiſt mit ſeiner Kunſt, wenn
er gleich nicht arbeitete. Es konnte ihm
über¬
überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wo¬
bei er nicht an Mahlereyen gedacht hätte,
denn das war ſo ſeine Art, ſeine Beſchäfti¬
gung in allem was er in der Natur oder
unter Menſchen ſah und hörte, wiederzufin¬
den. Alles gab ihm Antworten zurück, nir¬
gends traf er eine Lücke, in der Einſamkeit
ſah ihm die Kunſt zu, und in der Geſell¬
ſchaft ſaß ſie neben ihm, und er führte mit
ihr ſtille Geſpräche; darüber kam es denn
aber auch, daß er ſo manches in der Welt
gar nicht bemerkte, was weit einfältigern
Gemüthern ganz geläufig war, weshalb es
auch geſchah, daß ihn die beſchränkten Leu¬
te leicht für unverſtändig oder albern hiel¬
ten. Dafür bemerkte er aber manches das
jedem andern entgieng, und die Wahrheit
und Feinheit ſeines Witzes ſetzte dann die
Menſchen oft in Erſtaunen. So war Franz
Sternbald um dieſe Zeit, ich weiß nicht ob
H
ich ſagen ſoll ein erwachſenes Kind, oder ein
kindiſcher Erwachſener. O wohl Dir, daß
Dir das Auge noch verhüllt iſt, über die
Thorheit und Armſeligkeit der Menſchen,
daß Du Dir und Deiner Liebe Dich ſelbſt
mit aller Unbefangenheit ergeben kannſt!
Seeliges Leben wenn der Menſch nur noch
in ſich lebt, und die übrigen umher nicht in
ſein Innres einzudringen vermögen, und
ihn ſo beherrſchen. Es kommt bei den Meiſten
eine Zeit, wo der Winter beſtändig in ihren
Sommer hineinſcheint, wo ſie ſich vergeſſen,
um es den andern Menſchen recht zu
machen, wo ſie ihrem Geiſte keine Opfer
mehr bringen, ſondern ihr eigenes Herz als
ein Opfer auf den Altar der weltli¬
chen Eitelkeit niederlegen. Darum biſt Du
mir eben ſo lieb, mein Franz Sternbald,
weil Du darin ſo ganz anders biſt; meine
eigene Jugend kömmt in meine Seele zu¬
rück, indem ich keine Geſchichte ſchreibe,
und alles was ich litt ſo wie alles was mich
beſeligte.
Als es Abend geworden war, und der
rothe Schimmer bebend an den Gebüſchen
hing, war ſeine Empfindung ſanfter und
ſchöner geworden. Er wiederholte den Brief
Dürers in ſeinen Gedanken, und zeichnete
ſich dabei die ſchönen Abendwolken in ſei¬
nem Gedächtniſſe ab. Er hatte ſich im
Garten in eine Laube zu einem friſchen
Bauermädchen geſetzt, das ſchon ſeit lange
viel und lebhaft mit ihm geſprochen hatte.
Jetzt lag das Abendroth auf ihren Wangen,
er ſah ſie an, ſie ihn, und er hätte ſie gern
geküßt; ſo ſchön kam ſie ihm vor. Sie
fragte ihn, wenn er zu reiſen gedächte; und
es war das erſtemahl daß er ungern von
ſeiner Reiſe ſprach. Iſt Italien weit von
hier? fragte die unwiſſende Gertrud.
H 2
O ja, ſagte Franz: manche Stadt, man¬
ches Dorf, mancher Berg liegt zwiſchen uns
und Italien. Es wird noch lange währen,
ehe ich dort bin.
Und Ihr müßt dahin? fragte Gertrud.
Ich will, und muß, antwortete er; ich
denke dort viel zu lernen für meine Mah¬
lerkunſt. Manches alte Gebäude, manchen
vortreflichen Mann habe ich zu beſuchen,
manches zu thun und zu erfahren, ehe ich
mich für einen Meiſter halten darf.
Aber Ihr kommt doch wieder?
Ich denke, ſagte Franz, aber es kann
lange währen, und dann iſt hier vielleicht
alles anders, ich bin hier dann längſt ver¬
geſſen, meine Freunde und Verwandten ſind
vielleicht geſtorben; die Burſchen und Mäd¬
chen die eben ſo frölich ſingen, ſind denn
alt und haben Kinder. Daß das Menſchen¬
leben ſo kurz iſt, und das in der Kürze
dieſes Lebens ſo viele und betrübte Ver¬
wandlungen mit uns vorgehn!
Gertrud ward von ihren Eltern abgeru¬
fen, und ſie gieng nach Hauſe; Franz blieb
allein in der Laube. Freilich, ſagte er zu
ſich, iſt es etwas Schönes, ruhig nur ſich
zu leben, und recht früh das ſtille Land
aufzuſuchen wo wir einheimiſch ſeyn wollen.
Wem die Ruhe gegönnt iſt, der thut wohl
daran; mir iſt es nicht ſo. Ich muß erſt äl¬
ter werden, denn jetzt weiß ich ſelber noch
nicht was ich will.
Siebendes Kapitel.
Faſt ſeit ſeiner Ankunft auf dem Dorfe
hatte ſich Franz eine Arbeit vorgenommen,
es war nehmlich nichts Geringers, als daß
er ſeinem Geburtsorte ein Gemälde von ſich
hinterlaſſen wollte. Der Gedanke der Ver¬
kündigung der Geburt Chriſti lag ihm noch
im Sinn, und er bildete ihn weiter aus,
und mahlte fleißig. Aber nun fehlte ihm
dieſe Seelenruhe, die er damals in ſei¬
nem Briefe geſchildert hatte, alles hatte ihn
betäubt, und die bildende Kraft erlag oft
den Umſtänden. Er fühlte es lebhaft wieder,
wie es ganz etwas anders ſey, in einer
glücklichen Minute ein kühnes und edles
Kunſtwerk zu entwerfen, und es nach¬
her mit unermüdeter Ämſigkeit, und dem
nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzu¬
führen. Mitten in der Arbeit verzweifelte
er oft an ihrer Vollendung, er wollte es
ſchon unbeendigt ſtehn laſſen, als ihm Dü¬
rers Brief zur rechten Zeit Kraft und Er¬
quickung ſchenkte. Jetzt endigte er ſchneller,
als er erwartet hatte.
Wir wollen hier dem Leſer, dieſes Bild
Franzens ganz kurz beſchreiben. Ein dunk¬
les Abendroth lag auf den fernen Bergen,
denn die Sonne war ſchon ſeit lange unter¬
gegangen, in dem bleichrothen Scheine la¬
gen alte und junge Hirten mit ihren Heer¬
den, dazwiſchen Frauen und Mädchen; die
Kinder ſpielten mit Lämmern. In der Ferne
gingen zwei Engel durch das hohe Korn,
und erleuchteten mit ihrem Glanze die
Landſchaft. Die Hirten ſahen mit ſtiller
Sehnſucht nach ihnen, die Kinder ſtreckten
die Hände nach den Engeln aus, das An¬
geſicht des einen Mädchens ſtand in roſen¬
rothem Schimmer, vom fernen Strahl der
Himmliſchen erleuchtet. Ein junger Hirt
hatte ſich umgewendet, und ſah mit ver¬
ſchränkten Armen und tiefſinnigem Geſichte
der untergegangenen Sonne nach, als wenn
mit ihr die Freude der Welt, der Glanz
des Tages, die anmuthigen und erquicken¬
den Strahlen verſchwunden wären; ein al¬
ter Hirte faßte ihn beim Arm um ihn um¬
zudrehen, ihm die Freudigkeit zu zeigen die
von Morgenwärts herſchritt. Dadurch hat¬
te Franz der untergegangenen Sonne gegen¬
über, gleichſam eine neuaufgehende darſtel¬
len wollen, der alte Hirte ſollte den jungen
beruhigen, und zu ihm ſagen: »Seelig ſind
die nunmehr ſterben, denn ſie werden in
dem Herrn ſterben!“ Einen ſolchen zarten und
troſtreichen und frommen Sinn hatte Franz
für den vernünftigen und fühlenden Be¬
ſchauer in ſein Gemählde zu bringen ge¬
ſucht.
Er hatte es nun vollendet, und ſtand
lange nachdenkend und ſtill vor ſeinem Wer¬
ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬
mung die er an ſich nicht gewohnt war, es
ängſtigte ihn, von dem theuren Werke, an
dem er mehrere Wochen mit ſo vieler Lie¬
be gearbeitet hatte, Abſchied zu nehmen.
Das glänzende Bild der erſten Begeiſterung
war während der Arbeit aus ſeiner Seele
gänzlich hinweggelöſcht, und er fühlte dar¬
über eine trübe Leere in ſeinem Innern, die
er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem
Bilde wieder ausfüllen konnte. Iſt es nicht
genug, ſagte er zu ſich ſelber, daß wir von
unſern lebenden Freunden ſcheiden müſſen?
müſſen auch noch jene befreundeten Lichter
in unſere Seele Abſchied von uns neh¬
men? So gleicht unſer Lebenslauf einem
Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren,
wo wir halb verrückt ſtets etwas Neues
einſetzen das uns koſtbar iſt, und niemals
keinen Gewinn dafür austauſchen. Es iſt
wunderbar, daß unſer Geiſt uns treibt, die
innere Entzückung durch das Werk unſrer
Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn
wir vollendet haben, in unſerm Fleiß uns
ſelber nicht wieder erkennen.
Das Mahlergeräthe ſtand unordentlich
um das Bild herum, die Sonne ſchien glän¬
zend auf den friſchaufgetragenen Firniß, er
hörte das tacktmäßige Klappen der Dreſch¬
flegel in den Scheuren, in der Ferne das
Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine
Dorfglocke gab mit beſcheidenen Schlägen
die Zeit des Tages an; alle Thätigkeit, alle
menſchliche Arbeit kam ihm in dieſen Augen¬
blicken ſo ſeltſam vor, daß er lächelnd die
Hütte verließ, und wieder ſeinem geliebten
Walde zueilte, um ſich von der innern Ver¬
wirrung zu erholen.
Im Walde legte er ſich ins Gras nieder,
und ſah über ſich in den weiten Himmel,
er überblickte ſeinen Lebenslauf, und ſchäm¬
te ſich daß er noch ſo wenig gethan habe.
Er betrachtete jedes Werk eines Künſtlers
als ein Monument, das er den ſchönſten
Stunden ſeiner Exiſtenz gewidmet habe;
um jedes wehen die himmliſchen Geiſter, die
dem bildenden Sinn die Entzückungen brach¬
ten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten
ſprechen ſie hervor. Ich bin nun ſchon
zwei und zwanzig Jahr alt, rief er aus,
und noch iſt von mir nichts geſchehen das
der Rede würdig wäre; ich fühle nur den
Trieb in mir, und meine Muthloſigkeit; der
friſche thätige Geiſt meines Lehrers iſt mir
nicht verliehen, mein Beginnen iſt zaghaft,
und alle meine Bildungen werden die Spur
dieſes zagenden Geiſtes tragen.
Er kehrte zurück als es Abend war, und
las ſeiner Pflegemutter einige fromme Ge¬
ſänge aus einem alten Buche vor, das er
in ſeiner Kindheit ſehr geliebt hatte. Die
frommen Gedanken und Ahndungen redeten
ihn wieder an wie damals, er betrachtete
ſinnend den runden Tiſch mit allen ſeinen
Furchen und Narben die ihm ſo wohl be¬
kannt waren, er fand die Figuren wieder
die er manchmal am Abend heimlich mit ſei¬
nem Meſſer eingeritzt hatte, er lächelte über
dieſe erſten Verſuche ſeiner Zeichenkunſt.
Mutter, ſagte er zu der alten Brigitte,
am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬
mählde in unſrer Kirche aufgeſtellt, da müßt
Ihr den Gottesdienſt nicht verſäumen. Ge¬
wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte,
das neue Bild wird mir zu einer ſonderli¬
chen Erbauung dienen; unſer Altargemählde
iſt kaum mehr zu erkennen, das erweckt
keine Rührung wenn man es anſieht. Aber
ſage mir, was wird am Ende aus ſolchen
alten Bildern?
Sie vergehn, liebe Mutter, antwortete
Franz ſeufzend, wie alles übrige in der
Welt. Es wird eine Zeit kommen, wo man
keine Spur mehr von den jetzigen großen
Meiſtern antrift, wo die unerbittliche, un¬
künſtliche Hand der Zeit alle Denkmahle
ausgelöſcht hat.
Das iſt aber ſchlimm, ſagte Brigitte,
daß alle dieſe mühſelige Arbeit ſo ganz
vergeblich iſt; ſo unterſcheidet ſich ja Deine
Kunſt, wie Du es nennſt, von keinem an¬
derm Gewerbe auf der Erde. Der Mann,
deſſen Altarblatt nun abgenommen werden
ſoll, hat ſich auch gewiß recht gefreut, als
ſeine Arbeit fertig war, er hat es auch gut
damit gemeint; und doch iſt das alles um¬
ſonſt, denn nun wird das vergeſſen, und er
hat vergeblich gearbeitet.
So geht es mit aller unſrer irdiſchen
Thätigkeit, antwortete Franz, nichts als
unſre Seele iſt für die Unſterblichkeit ge¬
ſchaffen, unſre Gedanken an Gott ſind das
Höchſte in uns, denn ſie lernen ſich ſchon
in dieſem Leben für die Ewigkeit ein, und
folgen uns nach. Sie ſind das ſchönſte
Kunſtwerck das wir hervorbringen können,
und ſie ſind unvergänglich.
Am Sonntage gieng Franz mit einigen
Arbeitsleuten früh in die Kirche. Das alte
Bild wurde los gemacht; Franz wiſchte den
Staub davon ab, und betrachtete es mit
vieler Rührung. Es ſtellte die Kreuzigung
vor, und manche Figuren waren ganz ver¬
loſchen, es war eins von denen Gemählden,
die noch ohne Öl gearbeitet waren, die Kö¬
pfe waren hart, die Gewänder ſteif, und
Zettul mit Sprüchen giengen aus dem Mun¬
de der Perſonen heraus. Sternbald bemüh¬
te ſich ſehr, den Namen des Meiſters zu
entdecken, aber vergebens; er ſorgte dann
dafür, daß das Bild nicht weggeworfen
wurde, ſondern er verſchloß es ſelbſt in ei¬
nen Schrank in der Kirche, damit auch
künftig ein Kunſtfreund dies alte Überbleib¬
ſel wiederfinden könne.
Jetzt war ſein Gemählde befeſtigt, die
Glocke fieng zum erſtenmahle an durch das
ruhige Dorf zu läuten, Bauern und Bäue¬
rinnen waren in ihren Stuben, und beſorg¬
ten ämſig ihren feſtlichen Anzug. Man hör¬
te keinen Arbeiter, ein ſchöner heitrer Tag
glänzte über die Dächer, die alten Weiden
ſtanden ruhig am kleinen See, denn kein
Wind rührte ſich. Franz gieng auf der
Wieſe die hinter dem Kirchhofe lag auf und
ab, er zog die ruhige heitre Luft in ſich,
und ſtillentzückende Gedanken regierten ſei¬
nen Geiſt. Wenn er nach dem Walde ſah,
empfand er eine ſeltſame Beklemmung; in
manchen Augenblicken glaubte er, daß dieſer
Tag für ihn ſehr merkwürdig ſeyn würde;
dann verflog es wie eine ungewiſſe Ahndung
aus ſeiner Seele, die zuweilen nächtlich um
den Menſchen wandelt, und beim Schein
des Morgens ſchnell entflieht. Es war jetzt
nicht mehr ſein Gemählde das ihn beſchäf¬
tigte, ſondern etwas Fremdes das er ſelbſt
nicht kannte.
So iſt die Seele des Künſtlers oft von
wunderlichen Träumereyen befangen, denn
jeder Gegenſtand der Natur, jede bewegte
Blume, jede ziehende Wolke iſt ihm eine
Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft.
Heereszüge von Luftgeſtalten wandeln durch
ſeinen Sinn hin und zurück, die bei den
übrigen Menſchen keinen Eingang antreffen;
beſonders iſt der Geiſt des Dichters ein ewig
bewegter Strom, deſſen murmelnde Melo¬
die
die in keinem Augenblicke ſchweigt, jeder
Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur
zurück, jeder Lichtſtrahl ſpiegelt ſich ab, er
bedarf der läſtigen Materie am wenigſten,
und hängt am meiſten von ſich ſelber ab,
er darf in Mondſchimmer und Abendröthe
ſeine Bilder kleiden, und aus unſichtbaren
Harfen niegehörte Töne locken, auf denen
Engel und zarte Geiſter herniedergleiten,
und jeden Hörer als Bruder grüßen, ohne
daß ſich dieſer oft aus den himmliſchen Gru¬
ße vernimmt und nach irrdiſchen Geſchäften
greift, um nur wieder bei ſich ſelber zu
ſeyn. In jenen beklemmten Zuſtänden des
Künſtlers liegt oft der Wink auf eine neue
niebetretene Bahn, wenn er mit ſeinem
Geiſte dem Liede folgt, das aus ungekann¬
ter Ferne herübertönt. Oft iſt jene Ängſt¬
lichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Man¬
nigfaltigkeit der Kunſt, wenn der Künſtler
I
glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu
ahnden.
Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle
geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt,
Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬
chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich
in die Mitte der kleinen Kirche und das
Orgelſpiel und der Geſang hub an; die
Kirchthür Franzen gegen über war offen,
und das Geſäuſel der Bäume tönte herein.
Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬
ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche,
die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬
ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬
diſcher Sturmwind auf die Hörer herab;
aller Augen waren während des Geſanges
nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah
auch hin und erſtaunte über die Schönheit
und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren,
ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern
er empfand eine Ehrfurcht, einen andächtigen
Schauer vor dem Gemählde. Es ſchien
ihm, als wenn ſich unter den Orgeltönen
die Farbengebilde bewegten und ſprächen
und mitſängen, als wenn die fernen Engel
näher kämen, und jeden Zweifel, jede Ban¬
gigkeit mit ihren Strahlen aus dem Gemü¬
the hinwegleuchteten, er empfand eine un¬
ausſprechliche Wonne in dem Gedanken ein
Chriſt zu ſeyn. Von dem Bilde glitt dann
ſein Blick nach dem grünen Kirchhofe vor
der Thüre hin, und es war ihm, als wenn
Baum und Geſträuch außerhalb auch mit
Frömmigkeit beteten, und unter der umar¬
menden Andacht ruhten. Aus den Gräbern
ſchienen leiſe Stimmen der Abgeſchiedenen
herauszuſingen, und mit Geiſterſtimme den
ernſten Orgeltönen nachzueilen; die Bäume
jenſeit des Kirchhofs ſtanden betrübt und
einſam da und hoben ihre Zweige wie ge¬
J 2
faltene Hände empor, und freundlich legten
ſich durch die Fenſter die Sonnenſtrahlen
weit in die Kirche hinein. Die unförmli¬
chen ſteinernen Bilder an der Mauer wa¬
ren nicht mehr ſtumm, die fliegenden Kin¬
der mit denen die Orgel verzieret war, ſchie¬
nen in lieber Unſchuld auf ihrer Leyer zu
ſpielen, und den Herrn, den Schöpfer der
Welt zu loben.
Sternbalds Gemüth ward mit unaus¬
ſprechlicher Seligkeit angefüllt, er empfand
zum erſtenmahle den harmoniſchen Einklang
aller ſeiner Kräfte und Gefühle, ihn ergriff
und beſchirmte der Geiſt der die Welt re¬
giert und in Ordnung hält, er geſtand es
ſich deutlich, wie die Andacht der höchſte
und reinſte Kunſtgenuß ſey, deſſen unſre
menſchliche Seele nur in ihren ſchönſten und
erhabenſten Stunden fähig iſt. Die ganze
Welt, die mannichfaltigſten Begebenheiten,
Unglück und Glück, das Niedre und Hohe,
alles ſchien ihm in dieſen Augenblicken zu¬
ſammenzufließen, und ſich ſelbſt nach einem
kunſtmäßigen Ebenmaaße zu ordnen. Thrä¬
nen floſſen ihm aus den Augen, und er war
mit ſich, mit der Welt, mit allem zu¬
frieden.
Schon in Nürnberg war es oft für
Franz eine Erquickung geweſen, ſich aus
dem Getümmel des Markts, und des ver¬
worrenen geräuſchvollem Lebens in eine
ſtille Kirche zu retten; da hatte er oft ge¬
ſtanden, und die Pfeiler, das erhabne Chor
betrachtet und das Gewühl vergeſſen, er
hatte es immer empfunden wie dieſe heilige
Einſamkeit auf jedes Gemüth gut wirken
müſſe, aber noch nie hatte er dieſe reine,
erhabne Entzückung genoſſen.
Die Orgel ſchwieg, und man vernahm
aus der Ferne über die Wieſe her das
Schnauben von Pferden und einen ſchnell¬
rollenden Wagen. Franz hob ſeine Augen
auf; in demſelben Augenblick eilte das Fuhr¬
werk der Kirche vorüber, ein Rad fuhr ab,
der Wagen fiel um, und ein alter Mann
und ein junges Frauenzimmer ſtürtzten her¬
ab. Franz eilte ſogleich hinaus, das junge
Mädchen hatte ſich ſchon aufgerichtet und
war unbeſchädigt, der Mann ſchien vom
Falle betäubt, erholte ſich aber bald. Franz
war erſchrocken und ſehr geſchäftig die
Fremden zu bedienen; der Fuhrmann richte¬
te indeſſen den Wagen wieder ein. Die
Fremde betrachtete unſern Freund ſehr auf¬
merkſam, er ſchien mehr erſchrocken als ſie,
er bat ſie, ſich erſt wieder zu erholen.
Er wuſte nicht was er ſagen ſollte; die
blauen Augen des Mädchens begegneten
ihm, und er erröthete, der alte Mann war
ſehr ſtill. Alles war wieder im Stande,
und Franz ängſtigte ſich, daß ſie nun wie¬
der fortfahren würden; alle Drey gingen
unter den nahen Bäumen auf und ab, und
aus der Kirche tönte ihnen der Geſang ent¬
gegen. Endlich ſtiegen die Fremden wieder
ein; der junge Mahler fühlte ſein Herz hef¬
tig klopfen, das ſchöne Mädchen dankte
ihm noch einmahl, und nun fllog der Wa¬
gen fort. Er ſah ihnen nach ſo weit er
konnte; ſchon wurde die Geſtalt undeutlich
und er konnte vom Fuhrwerke nichts mehr
unterſcheiden. Jetzt nahten ſie ſich einem fer¬
fer¬
nen Gebüſche, der Wagen verſchwand, er war
wie betäubt.
Als er wieder zu ſich erwachte, ſah er
im Graſe wo er geſtanden hatte, eine kleine
zierliche Brieftaſche liegen. Er nahm ſie
ſchnell auf, und entfernte ſich damit; es war
kein Zweifel, daß ſie den Fremden gehören
müſſe. Es war unmöglich dem Wagen
nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬
hin ſie ſich wenden wollten, er wuſte den Na¬
men der Reiſenden nicht, und ob das Frauen¬
zimmer die Tochter oder die Gattinn des
Mannes ſey. Alles dies beunruhigte ihn erſt
jetzt, als er die Brieftaſche in ſeinen Händen
hielt. Er mußte ſie behalten, und ſie war
ihm theuer, er wagte es nicht ſie zu eröff¬
nen, ſondern eilte damit ſeinem geliebten
Walde zu; hier ſetzte er ſich auf dem Pla¬
tze nieder der ihm ſo theuer war, hier mach¬
te er ſie mit zitternden Händen auf, und
das erſte was ihm in die Augen fiel, war
ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen.
Er blickte um ſich her, er beſann ſich, ob
es Traum ſeyn könne, er konnte ſich nicht
zurückhalten, er küßte die Blumen und
weinte heftig, innerlich ertönte der Geſang
des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬
hört hatte.
So biſt Du es geweſen mein Genius,
mein ſchützender Engel? rief er aus: Du
biſt mir wieder vorübergegangen und ich
kann mich nicht finden, ich kann mich nicht
zufrieden geben. Auf dieſem Platze hier
ſind dieſe Blumen gewachſen, ſchon vierzehn
Sommer ſind indeſſen über die Erde gegan¬
gen, und auf dieſem Platze halte ich das
theure Geſchenk wieder in meinen Händen.
O wann werd' ich Dich wiederſehn? Kann
es Zufall ſeyn, daß Du mir wieder begeg¬
net biſt?
Es giebt Stunden, in denen das Leben
des Menſchen einen gewaltſamen ſchnellen
Anlauf nimmt, wo die Blüthen plötzlich
aufbrechen und alles ſich verändert in und
um den Menſchen. Dieſer Tag war für
Sternbald ein ſolcher; er konnte ſich gar
nicht wieder erholen, er wünſchte nichts,
und dürſtete doch nach den wunderbarſten
Begebenheiten, er ſah über ſeine Zukunft
wie über ein glänzendes Blumenfeld hin,
und doch genügte ihm keine Freude, er war
unzufrieden mit allem was da kommen
konnte, und doch fühlte er ſich ſo überſelig.
Auſſerdem enthielt das Taſchenbuch nichts,
woraus er den Namen oder den Aufenthalt
ſeiner Geliebten hätte erfahren können. Auf
der einen Seite ſtand:
«zu Antwerpen ein ſchönes Bild von Lu¬
kas von Leyden geſehn.»
und dicht darunter:
«eben daſelbſt, ein unbeſchreib¬
lich ſchönes Crucifix vom gro¬
ßen Albert Dürer.»
Er küßte das Blatt zu wiederholtenmah¬
len, er konnte heut ſeine Empfindungen
durchaus nicht bemeiſtern. Es war ihm zu
ſeltſam und zu erfreulich, daß die Engels¬
geſtalt, die er ſo fernab im Traum ſeiner
Kindheit geſehn hatte, jetzt ſeinen Dürer ver¬
ehrte den er ſo genau kannte, deſſen Schüler
und Freund er war. Sein Schickſal ſchien ein
wunderbares Konzert zu ſeyn, er konnte
nicht genug darüber ſinnen, er konnte an
dieſem Tage vor Entzücken nicht müde wer¬
den.
Achtes Kapitel.
Franz hatte ſeinem Sebaſtian dieſe Bege¬
benheiten geſchrieben die ihm ſo merkwürdig
waren; es war nun die Zeit verfloſſen die
er ſeinem Aufenthalte in ſeinem Geburtsor¬
te gewidmet hatte, und er beſuchte nun
noch einmahl die Plätze, die ihm in ſeiner
Kindheit ſo bekannt geworden waren; dann
nahm er Abſchied von ſeiner Mutter.
Er war wieder auf dem Wege, und
nach einiger Zeit ſchrieb er ſeinem Seba¬
ſtian folgenden Brief:
Liebſter Bruder!
Manchmal frage ich mich ſelbſt mit der
größten Ungewißheit, was aus mir werden
ſoll? bin ich nicht plötzlich ohne mein Zu¬
thun in ein recht ſeltſames Labyrinth ver¬
wickelt? Meine Eltern ſind mir genommen,
und ich weiß nun nicht wem ich angehöre,
meine Freunde habe ich verlaſſen, jenen
glänzenden Engel den ich nicht zu meinen
Freunden rechnen darf, habe ich nur wie
ein vorbeifliegendes Schattenbild wahrge¬
nommen. Warum treten mir dieſe Verwicke¬
lungen in den Weg, und warum darf ich
nicht wie die übrigen Menſchen einen ganz
einfachen Lebenslauf fortſetzen? —
Ich glaube manchmal, und ſchäme mich
dieſes Gedankens, daß mir meine Kunſt
zu meinem Glücke nicht genügen dürfte, auch
wenn ich endlich weiter und auf eine hohe
Stufe gekommen ſeyn ſollte. Ich ſage nur
Dir dieſes im Vertrauen, mein liebſter Se¬
baſtian, denn jeder Andre würde mir ant¬
worten: nun, warum legſt Du nicht Pallet¬
te und Pinſel weg, und ſuchſt durch ge¬
wöhnliche Thätigkeit den Menſchen nützlich
zu werden und Dein Brod zu erwerben?
Es kann ſeyn daß ich beſſer thäte, aber al¬
le dergleichen Gedanken fallen mir jetzt ſehr
zur Laſt. Es iſt etwas trübſeliges darinn, daß
das ganze große menſchliche Leben mit allen
ſeinen unendlich ſcheinenden Verwickelungen
durch den allerarmſeligſten Mechaniſmus
umgetrieben wird; die kümmerliche Sorge
für morgen ſetzt ſie alle in Bewegung, und
die Meiſten dünken ſich noch was rechts zu
ſeyn, wenn ſie dieſer Beweggrund in recht
heftige und ängſtliche Thätigkeit ſetzt.
Ich weiß nicht wie Du dieſe Aeuſſerun¬
gen vielleicht anſehn wirſt, ich fühle es
ſelbſt, wie nothwendig der Fleiß der Men¬
ſchen iſt, eben ſo, wie man ihn mit Recht
edel nennen kann. Aber wenn alle Men¬
ſchen Künſtler wären, oder Kunſt verſtän¬
den, wenn ſie das reine Gemüth nicht be¬
flecken und im Gewühl des Lebens abäng¬
ſtigen dürften, ſo wären doch gewiß Alle
um vieles glücklicher. Dann hätten ſie die
Freiheit und die Ruhe die wahrhaftig die
größte Seligkeit ſind. Wie beglückt müßte
ſich dann der Künſtler fühlen, der die rein¬
ſten Empfindungen dieſer Geſchöpfe darzu¬
ſtellen unternähme! dann würde es erſt
möglich ſeyn, das Erhabene zu wagen,
dann würde jener falſche Enthuſiasmus, der
ſich an Kleinigkeiten und Spielwerk ſchließt,
erſt eine Bahn finden, auf der er eine herr¬
liche Erſcheinung wandeln dürfte. Aber al¬
le Menſchen ſind ſo abgetrieben, ſo von
Mühſeligkeiten, Neid, Eigennutz, Planen,
Sorgen verfolgt, daß ſie gar nicht das Herz
haben, die Kunſt und Poeſie, den Himmel
und die Natur als etwas Göttliches anzu¬
ſehn. In ihre Bruſt kömmt ſelbſt die An¬
dacht nur mit Erdenſorgen vermiſcht, und
indem ſie glauben klüger und beſſer zu wer¬
den, vertauſchen ſie nur eine Jämmerlichkeit
mit der andern.
Du ſiehſt, ich führe noch immer meine
alten Klagen, und ich habe vielleicht ſehr
Unrecht. Ich ſehe vielleicht alles anders an
wenn ich älter werde, aber ich wünſche es
nicht. Ach Sebaſtian, ich habe manch¬
mal eine unausſprechliche Furcht vor mir
ſelber, ich empfinde meine Beſchränktheit,
und doch kann ich es nicht wünſchen, dieſe
Gefühle zu verlieren, die ſo mit meiner
Seele verwebt ſcheinen, die vielleicht mein
eigentlichſtes Selbſt ausmachen. Wenn ich
daran denke daß ich mich ändern könnte, ſo
iſt mir eben ſo als wenn Du ſterben ſoll¬
teſt. —
Wenn ich nur wenigſtens mehr Stolz
und Feſtigkeit hätte! denn ich muß doch
vorwärts, und kann nicht immer ein weich¬
herziges Kind bleiben, wenn ich auch wollte.
Ich
Ich glaube faſt, daß der Geiſt am leichte¬
ſten unterſinkt und verlohren geht, der ſich
zu blöde und beſcheiden betrachtet, man
muß mit kaltem Vertrauen zum Altar der
Göttinn hinzutreten, und dreiſt eine von
ihren Gaben fordern, ſonſt drängt ſich der
Unwürdige vor, und trägt über den Beſſern
den Sieg davon. Ich möchte manchmal
darüber lachen, daß ich alles in der Welt
ſo ernſthaft betrachte, daß ich ſo viel ſinne,
wenn es doch nicht anders ſeyn kann, und
mit Schwingen der Seele das zu ereilen
trachte, wonach andre nur die Hand aus¬
ſtrecken. Denn wohin führt mich meine Lie¬
be, meine Verehrung der Künſtler und ih¬
rer Werke? Viele große Meiſter haben ſich
vielleicht recht kaltblütig vor die Staffeley
geſetzt, ſo wie auch gewöhnlich unſer Al¬
brecht arbeitet, und dann dem Werke ſeinen
K
Lauf gelaſſen, überzeugt, daß es ſo werden
müſſe wie es ihnen gut dünkt.
Meine Wanderung bringt oft wunderba¬
re Stimmungen in mir hervor. Jetzt bin
ich in einem Dorfe, und ſehe den Nebel auf
den fernen Bergen liegen: matte Schimmer
bewegen ſich im Dunſte, und Wald und
Berg tritt oft plötzlich aus dem Schleier
hervor. Ich ſehe Wagen und Wandrer ih¬
re Straße forteilen, und ferne Thürme und
Städte ſind das Ziel, wonach ſie in man¬
nichfaltiger Richtung ſtreben. Ich befinde
mich mit unter dieſem Haufen, und die
übrigen wiſſen nichts von mir, ſie gehn mir
vorüber und ich kenne ſie nicht, jeder un¬
ſichtbare Geiſt wird von einem verſchiedenen
Intereſſe beherrſcht, und jeder beneidet und be¬
mitleidet aufs Gerathewohl den andern. Ich
denke mir nun alle die mannichfaltigen We¬
ge durch Wälder, über Berge, an Strömen
vorüber, wie jeder Reiſende ſich umſieht,
und in des andern Heimath ſich in der
Fremde fühlt, wie jeder umherſchaut und
nach dem Bruder ſeiner Seele ſucht, und ſo
wenige ihn finden, und immer wieder durch
Wälder und Städte, bergüber an Strömen
vorbei weiter reiſen und ihn immer nicht
finden. Viele ſuchen ſchon gar nicht mehr,
und dieſe ſind die Unglücklichſten, denn ſie
haben die Kunſt zu leben verlernt, da das
Leben nur darin beſteht, immer wieder zu
hoffen, immer zu ſuchen, der Augenblick, wo
wir dies aufgeben, ſollte der Augenblick un¬
ſers Todes ſeyn. So iſt es auch vielleicht,
und jene wahrhaft Elenden müſſen dann
an der Zeit hinſterben und wiſſen und em¬
pfinden nicht, woran ſie das Leben ver¬
liehren.
Ich will daher immer ſuchen und erwar¬
ten, ich will meine Entzückung und Vereh¬
K 2
rung der Herrlichkeit in meinem Buſen auf
bewahren, weil dieſer ſchöne Wahnſinn das
ſchönſte Leben iſt. Der Vernünftige wird
mich immer als einen Berauſchten betrach¬
ten, und mancher wird mir vielleicht furcht¬
ſam oder auch verachtend aus dem Wege
gehn. — Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt
durchwandert! Ich ſchaue nach Oſten und
Weſten um ſie zu entdecken, und ängſtige mich
ab, daß ſie vielleicht in meiner Nähe iſt,
und daß ich es nicht weiß. Nur einmahl
ſehn, nur einmahl ſprechen möcht' ich ſie
noch, ich kann mein Verlangen darnach nicht
mit Worten ausdrücken, und doch wüßt' ich
ich nicht was ich ihr ſagen ſollte, wenn ich
ſie plötzlich wiederfände. Ich kann es nicht
ſagen was meine Empfindung iſt, und ich
weiß nicht, ob Du nicht vielleicht über Dei¬
nen Freund lächelſt. Aber Du biſt zu gut,
als daß Du über mich ſpotten ſollteſt, auch
bin ich zu ehrlich gegen Dich.
Wenn ich an die reizenden Züge denke, an
dieſe heilige Unſchuld ihrer Augen, dieſe zar¬
ten Wangen. — wenigſtens möcht' ich ein
Gemälde, ein treues, einfaches der jetzigen
Geſtalt beſitzen. Tod und Trennung ſind
es nicht allein die wir zu bejammern ha¬
ben; ſollte man nicht jeden dieſer ſüßen Zü¬
ge, jede dieſer ſanften Linien beweinen, die
die Zeit nach und nach vertilgt, der unge¬
ſchickte Künſtler der ſein Bild verdirbt, das
er erſt ſo ſchön ausgearbeitet hatte. Ich
ſehe ſie vielleicht nach vielen, vielen Jahren
wieder, vielleicht auch nie. Es giebt ein
Lied eines alten Minneſängers, ich weiß
nicht, ob Du Dich deſſen noch erinnerſt.
Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald,
Da ſteht der rothe friſche Morgen,
Entlade Dich der bangen Sorgen
Und ſing' ein Lied das fröhlich durch die Zweige
ſchallt.
Es blitzt und funkelt Sonnenſchein
Wohl in das grüne Gebüſch hinein
Und munter zwitſchern die Vögelein.
Ach nein! ich geh nimmer zum vielgrünen Wald,
Das Lied der ſüßen Nachtigall ſchallt,
Und Thränen
Und Sehnen
Bewegt mir die bange, die ſtrebende Bruſt,
Im Walde, im Walde wohnt mir keine Luſt.
Denn Sonnenſchein
Und hüpfende Vögelein
Sind mir Marter und Pein.
Einſt fand ich den Frühling im grünenden Thal,
Da blühten und dufteten Roſen zumahl,
Durch Waldesgrüne
Erſchiene
Im Eichenforſt wild
Ein ſüßes Gebild.
Da blitzte Sonnenſchein,
Es ſangen Vögelein
Und riefen die Geliebte mein.
Sie ging mit Frühling Hand in Hand,
Die Weſte küßten ihr Gewand
Zu Füßen
Die ſüßen
Viol und Primeln hingekniet
Indem ſie ſtill vorüberzieht,
Da gingen ihr die Töne nach,
Da wurden alle Stimmen wach.
Mich traf ihr wunderſüßer Blick;
Woher? wohin du goldnes Glück?
Die Schöne,
Die Töne,
Die rauſchenden Bäume,
Wie goldne Träume!
Iſt dies noch der Eichengrund?
Grüßt mich dieſer ſüße Mund?
Bin ich todt, bin ich geſund?
Da ſchwanden mir die alten Sorgen
Und neue kehrten bei mir ein,
Ich traf die Maid an jedem Morgen,
Und ſchöner grünte ſtets der Hayn.
Lieb wie ſüße
Deine Küſſe!
Glänzendſchönſte Zier
Wohne ſtets bei mir,
Im vielgrünen Walde hier.
Ich ging hinaus im Morgenlicht
Da kam die ſüße Liebe nicht;
Vom Baum herab
Schrie laut ein Rab,
Da weint und klagt ich laut,
Doch nimmer kam die Braut,
Und Morgenſchein
Und Vögelein,
Nur Angſt und Pein.
Ich ſuchte ſie auf und ab, bergwärts, thalwärts,
Ich ſah manche fremde Ströme fließen,
Aber ach, mein liebend banges Herz
Nimmer fands die Gegenwart der ſüßen;
Einſam blieb der Wald
Da kam der Winter kalt,
Vöglein,
Sonnenſchein
Flohen aus dem Walde mein.
Ach ſchon viele Sommer fliegen nieder,
Oftmals der Zug der Vögel wieder,
Oft hat ſich der Wald in Grün gekleidt,
Niemals kam zurück die ſüße Maid.
Zeit! Zeit!
Warum trägſt Du ſo grauſamen Neid?
Ach! ſie kommt vielleicht auf fremden Wegen
Ungekannter weiſ' mir bald entgegen,
Aber Jugend iſt von mir gewichen,
Ihre ſchönen Wangen ſind erblichen,
Kömmt ſie auch hinab zum Eichengrund
Kenn' ich ſie nicht mehr am rothen Mund.
O Leide
Fremd ſind wir uns beide!
Keiner kennt den andern
Im Wandern.
Wer Jüngling iſt, der wandle munter
Den Wald hinunter,
Wohl mags, daß ihm Treulieb' entgegen ziehet
Dann blühet
Aus allen Knoſpen Frühling auf ihn ein:
Doch niemals treff ich die verlohrne Jugend mein,
Drum iſt mir Sonnenſchein
Die Nachtigall im Hayn
Nur Quaal und Pein.
Wie wahr finde ich den kindiſchen Aus¬
druck in dieſen Reimen! Vielleicht iſt für
mich auch einſt der vielgrüne Wald ſo ab¬
geſtorben.
Oft möcht' ich alles in Gedichten nieder¬
ſchreiben, und ich fühle es jetzt, wie die
Dichter entſtanden ſind. Du vermagſt das
Weſen was Dein innerſtes Herz bewegt,
nicht anders auszuſprechen.
Ich habe neulich einen neuen Kupfer¬
ſtich von unſerm Albert geſehn, den er ſeit
meiner Abweſenheit gemacht hat, denn die
Zeichnung und alles war mir noch neu. Du
wirſt ihn kennen, es iſt der leſende Einſied¬
ler. Wie ich da wieder unter Euch war!
denn ich kannte die Stube, den Tiſch und
die runden Scheiben gleich wieder, die Dü¬
rer auf dieſem Bilde von ſeiner eigenen
Wohnung abgeſchrieben hat. Wie oft ha¬
be ich die runden Scheiben betrachtet, die
der Sonnenſchein an der Täfelung oder an
der Decke zeichnete; der Eremit ſitzt an Dü¬
rers Tiſch. Es iſt ſchön, daß unſer Meiſter
in ſeiner frommen Vorliebe für das was
ihn ſo nahe umgiebt, der Nachwelt ein Kon¬
terfey von ſeinem Zimmer gegeben hat, wo
doch alles ſo bedeutend iſt, und jeder Zug
Andacht und Einſamkeit ausdrückt.
Ich gehe auf meine Wege oft in die
kleinen Kapellen hinein und verweile mich
dabei, die Gemählde und Zeichnungen zu
betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit,
oder meine Vorliebe für das Alter macht,
ich ſehe ſelten ein ganz ſchlechtes Bild; ehe
ich die Fehler entdecke, ſehe ich immer die
Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich
bei jungen Künſtlern die entgegengeſetzte
Gemüthsart gefunden, und ſie wiſſen ſich
immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich ha¬
be oft eine fromme Ehrfurcht vor unſern
treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht
ſchöne und erhabene Gedanken mit ſo weni¬
gen Umſtänden ausgedrückt haben.
Ich will meinen Brief ſchließen. Möge
der Himmel Dich und meinen theuren Al¬
bert geſund erhalten! Dieſer Brief dürfte ſei¬
nem ernſten Sinne ſchwerlich gefallen. Laß
mich bald Nachrichten von Dir und von allen
Bekannten hören.
In der Ferne geht die Liebe
Ungekannt durch Nacht und Schatten,
Ach! wozu, daß ich hier bliebe
Auf den vaterländſchen Matten?
Wie mit ſüßen Flötenſtimmen
Rufen alle goldnen Sterne:
Weit muß manche Woge ſchwimmen,
Deine Lieb' iſt in der Ferne.
Jenes Bild vor dem Du knieteſt,
Dich ihm ganz zu eigen gybſt,
Ihm mit allen Sinnen glühteſt,
An dem Schatten Dich erlabſt —
Was Dein Geiſt als Zukunft dachte,
Dein Entzücken Kunſt genannt,
Was als Morgenroth Dir lachte,
Immer ſich Dir abgewandt:
Sie nur iſt es, dein Verzagen
Hat ſie fort von Dir geſcheucht,
Willſt Du es nur männlich wagen,
Wird das ZeilZiel noch einſt erreicht.
Alle Ketten ſind geſprungen,
Frei ſind alle Geiſter dann,
Jeder Knechtſchaft kühn entſchwungen
In dem Wolluſtocean.
Rückwärts flieht das zage Bangen,
Und die Muſe reicht die Hand,
Führet ſicher das Verlangen
In der Gotter Himmelsland.
O wer darf mit Kunſt und Liebe
Von den Sterblichen ſich meſſen? —
Groß im ſcheuvermählten Triebe
Wird der Künſtler nie vergeſſen.
Dieſe ungeſchickten Zeilen habe ich ge¬
ſtern in einem angenehmen Walde gedichtet;
meine ganze Seele war darauf hingewandt,
und ich bin nicht erröthet, ſie Dir, Sebaſtian,
niederzuſchreiben; denn warum ſollte ich Dir
einen Gedanken meiner Seele verheimli¬
chen? — Lebe wohl. —
Zweites Buch.
Erſtes Capitel.
Wie gern wandelt mein Geiſt in jener gu¬
ten alten Zeit, und beſucht ihre Künſtler
und Helden, die jetzt zum Theil vergeſſen
ſind! Wie gern höre und leſe ich von Euch
ihr Meiſter, die ihr damals die Niederlän¬
diſche Kunſt berühmt machtet, Lukas von
Leyden, Engelbrecht, Johann von Mabuſe,
und den übrigen, mit welcher Freude habe
ich immer Eure Werke betrachtet, vor de¬
nen die meiſten vorübergehn! Wird der
Geiſt des Leſers mir auch willig in jene
Zeiten folgen, die ich mit kindlicher Vorlie¬
be betrete? Werdet Ihr Euch gern von der
jetzigen Welt trennen, die ſo nahe um Euch
liegt, und in der dem Menſchen auch das
L
Kleinſte leicht wichtig wird? Könnte ich doch
Allen die liebende Empfindung mittheilen die
mir die Feder in die Hand giebt, die mich ſo
oft die alten Bücher aufſchlagen läßt, die
meinen Blick vor jenen geliebten Bildniſſen
feſt hält, ſo daß ſich jeder Zug und jede
Mine dieſer alten Meiſter meinem Gedächt¬
niſſe einprägt! Aber ich will mit keinem
hndern der zu ungeduldig dieſe Blätter ver¬
läßt, und lieber ſeinen Sinn neuen Bege¬
benheiten hingiebt, die ihn faſt noch berüh¬
ren. Ich widme dieſe kleine unbedeutende
Geſchichte jenen jungen Seelen, die ihre Lie¬
be noch mit ſich ſelber beſchäftigen, und ſich
noch nicht dem Strome der Weltbegebenhei¬
ten hingegeben haben, die ſich noch mit In¬
nigkeit an den Geſtalten ihrer innern Phan¬
taſie ergötzen, und ungern durch die wirkli¬
che Welt in ihren Träumen geſtört werden.
Wenn Ihr, die ich meine, von d Kunſt
entzückt werdet, wenn Ihr einen Trieb in
Euch ſpüret, der Euer Herz den großen
Meiſterwerken oder den Helden der Vorzeit
entgegendrängt, wenn Ihr Euer Vaterland
liebt, und nicht mit voreiligem Enthuſiaſmus,
aus Vorſatz zu gut zu ſeyn, Eure Brüder
verdammt, die es anders meinen, wenn Ihr
Euren Geiſt von großſcheinenden Gegenſtän¬
den zurückziehen, und auch Kleinigkeiten mit
Liebe betrachten könnt, ſo habe ich für Euch
geſchrieben. Dann rede ich Euch in Gedan¬
ken an, dann glaube ich von Euch daß Ihr
mich verſteht, und daß Euch jener Dünkel
fremd iſt, der ſich ſo gern über die größten
Geiſter die die menſchliche Natur gebohren
hat, hinausſchwingt. Euch iſt mein ganzes
Buch geweiht und ich tröſte mich damit,
daß ich glaube, daß Ihr irgendwo ſeid, und
mir gerne zuhört.
Es war gegen Mittag als Franz Stern¬
L 2
bald auf dem freien Felde unter einem
Baume ſaß und die große Stadt Leyden be¬
trachtete, die vor ihm lag. Er war an die¬
ſem Tage ſchon früh ausgewandert, um ſie
noch zeitig zu erreichen; jetzt ruhte er aus,
und es war ihm wunderbar, daß nun die
Stadt, die weltberühmte, mit ihren hohen
Thürmen wie ein Bild vor ihm ſtand, die er
ſonſt ſchon öfter im Bilde geſehn hatte. Er
kam ſich jetzt vor als eine von den Figuren
die immer in den Vordergrund eines ſolchen
Proſpektes geſtellt werden, und er ſah ſich
nun ſelber gezeichnet oder gemahlt da lie¬
gen unter ſeinem Baume, und die Augen
nach der Stadt vor ihm wenden. Sein gan¬
zes Leben erſchien ihm überhaupt oft als
ein Traumgeſicht, und er hatte dann einige
Mühe ſich von den Gegenſtänden die ihn
umgaben wirklich zu überzeugen. Da er gan¬
ze Bilder, Verſammlungen mit allen ihren
Menſchen getreu und lebhaft in ſeiner Phanta¬
ſie aufbewahren und ſie dann von neuem vor
ſich hinſtellen konnte, ſo war er in manchen
Augenblicken ungewiß, ob alles was ihn um¬
gab, nicht auch vielleicht eine Schöpfung
ſeiner Einbildung ſey.
Er hielt ſeine Schreibtafel in ſeiner
Hand, und vor ihm im Graſe lag die frem¬
de gefundene. Er hatte den Umriß eines
Kopfes entworfen, den er eben wieder aus¬
ſtrich, weil ihm keine Ähnlichkeit darinn zu
liegen ſchien; es ſollte das Geſicht des frem¬
den Mädchens vorſtellen, die ſeine Phanta¬
ſie unaufhörlich beſchäftigte. Er rief ſich
dabei jeden Umſtand, jedes Wort das ſie
geſprochen hatte, in die Gedanken zurück,
er ſah alle die lieblichen Minen, den ſü߬
lächenden Mund, die unausſprechliche Gra¬
zie jeder Bewegung, alles dies zog wieder
durch ſein Gedächtniß, und er fühlte ſich
darüber ſo entfremdet, ſo entfernt von ihr,
ſo auf ewig geſchieden, daß ihm der helle
Tag, das funkelnde Gras, die klaren Waſ¬
ſer trübe und melancholiſch wurden; ihm
blühten und dufteten nur die wenigen ver¬
welkten Blumen, die er mit ſüßer Zärtlich¬
keit betrachtete; dann lehnte er ſich an den
Stamm des Baums der mit ſeinen Zweigen
und Blättern über ihm rauſchte und liſpelte,
als wenn er ihm Troſt zuſprechen möchte,
als wenn er ihm dunkle Prophezeihungen
von der Zukunft ſagen wollte. Franz hörte
aufmerkſam hin als wenn er die Töne ver¬
ſtände; denn die Natur redet uns mit ihren
Klängen zwar in einer fremden Sprache
an, aber wir fühlen doch die Bedeutſam¬
keit ihrer Worte, und merken gern auf ihre
wunderbaren Accente.
Er hörte auf zu zeichnen, da ihm keiner
ſeiner Striche Ausdruck und Würde genug
hatte, er betrachtete wieder die Thürme der
Stadt, auf deren Schieferdächern die Sonne
hell glänzte. So werde ich jetzt Deine
Straßen betreten, ſagte er zu ſich ſelber,
ſo werde ich den großen Lukas ſehn dürfen,
von dem mir Albrecht Dürer mit ſo vieler
Liebe geſprochen hat, der ſchon als Kind
ein Künſtler war, deſſen Namen man ſchon
in ſeinem ſechzehnten Jahre kannte. Ich
werde ihn ſprechen hören und von ihm ler¬
nen, ich werde ſeine neuſten Werke ſehn,
ich werde ihm ſagen können wie ich ihn be¬
wundre; wenn ich mich nur nicht ſchämen
dürfte, ihm unter die Augen zu treten!
Dennoch habe ich nichts gethan, noch darf
ich mich ihm nicht als Künſtler nennen, ich
bin noch nichts, und ich ſchäme mich vor je¬
dem treflichen Manne.
Er ſtand eilig auf und näherte ſich mit
ſchnellen Schritten der Stadt; ſchon ſtand
er nahe vor dem Thore, und ſah die Leute
aus und eingehn, als er das fremde Ta¬
ſchenbuch vermißte, und merkte, daß er es
beim Aufſtehn unter dem Baume hatte lie¬
gen laſſen; er erſchrak heftig, und ging
mit noch ſchnellern Schritten zurück. Der
Baum war ſo weit entfernt, daß er ihn
jetzt nicht mit den Augen wiederfinden konn¬
te, er lief ſich auſſer Athem. Endlich ent¬
deckte er ihn wieder ganz in der Ferne,
aber zugleich bemerkte er zwei Wandersleu¬
te die nach derſelben Stelle zu gehen ſchie¬
nen. Seine Angſt, daß ſie den Baum frü¬
her als er erreichen möchten, iſt nicht zu be¬
ſchreiben, er war überzeugt daß ſie ihm das
Taſchenbuch nimmermehr zurückgeben wür¬
den wenn ſie es finden ſollten. Endlich kam
er an; die Schreibtafel lag noch im Graſe,
er hob ſie eilig auf, und warf ſich nieder
unter den Baum, indem er ſie betrachtete
und küßte; die Wandrer gingen vorbei ohne
nach ihm umzuſehn. Franz fühlte ſein Herz
heftig ſchlagen, der Schweiß floß ihm die
Stirn hinab, er war ſo froh als wenn er
die Tafel erſt jetzt zum erſtenmahl gefunden
hätte; es rührte ihn innig, daß ſie beinah
für ihn verlohren geweſen ſey. Die beiden
Wandrer waren ihm jetzt beinahe ſchon aus
den Augen verſchwunden, er beſchloß nun
unter dieſem Baume, der ihm ſo lieb ge¬
worden war, zu ruhen, bis die Mittagshitze
vorüber ſeyn würde.
Ohne daß er bemerkte ſchlief er nach
und nach ein; die Stille, das liebliche Ge¬
räuſch der Blätter, ein Gewäſſer in der
Entfernung, luden ihn dazu. Er hörte
alles noch leiſe in ſeinen Schlummer hinein,
und ihm dünkte als wenn er über eine Wie¬
ſe ginge auf der fremde Blumen ſtanden, die
er bis dahin noch nie geſehn hatte. Unter
den Blumen waren auch die Feldblumen ge¬
wachſen die er bei ſich trug, aber ſie waren
nun wieder friſch geworden, und verdunkel¬
ten an Farbe und Glanz alle übrigen.
Franz grämte ſich bei aller ihrer Schönheit,
und wollte ſie wieder pflücken, als er am
Ende der Wieſe, in einer Laube ſitzend, ſei¬
nen Lehrer Albert Dürer wahrnahm, der
nach ihm ſah und ihm zu winken ſchien.
Er ging ſchnell hinzu, und als er näher
kam, bemerkte er deutlich, daß Albrecht
ämſig an einem Gemählde arbeitete, es war
der Kopf der Fremden, das Geſicht war
zum Sprechen ähnlich. Franz wußte nicht
was er zu ſeinem Lehrer ſagen ſollte, ſeine
Augen waren auf das Gemählde hingehef¬
tet, und es war ihm, als wenn es über
ſeine Verlegenheit und Aufmerkſamkeit zu
lächeln anfinge. Indem er noch darüber
nachdachte, war er in einem dunkeln Wal¬
de und alles übrige war verſchwunden; lieb¬
liche Stimmen riefen ihn bei ſeinem Namen,
aber er konnte ſich aus dem Gebüſche nicht
herausfinden, der Wald ward immer grüner
und immer dunkler, aber Sebaſtians Stim¬
me und die Stimme der Fremden wurden
immer deutlicher, ſie riefen ihn mit Ängſt¬
lichkeit, als wenn er ſich in einer Gefahr
befände. Er fürchtete ſich, und die dichten
Bäume und Gebüſche kamen ihm entſetzlich
vor, er zagte weiter zu gehn, er wünſchte
das freie helle Feld wieder anzutreffen. Nun
war es Mondſchein. Wie vom Schimmer
erregt, klang von allen ſilbernen Wipfeln
ein ſüßes Getöne nieder; da war alle Furcht
verſchwunden, der Wald brannte ſanft im
ſchönſten Glanze, und Nachtigallen wurden
wach, und flogen dicht an ihm vorüber,
dann ſangen ſie mit ſüßer Kehle, und blie¬
ben immer im Tackte mit der Muſik des
Mondſcheins. Franz fühlte ſein Herz ge¬
öffnet, als er in einer Klauſe im Felſen
einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬
tig die Augen zum Himmel aufhob und die
Hände faltete. Franz trat näher: Hörſt
Du nicht die liebliche Orgel der Natur ſpie¬
len? ſagte der Einſiedel, bete wie ich thue.
Franz war von dem Anblicke hingeriſſen,
aber er ſah nun Tafel und Pallette vor ſich
und mahlte unbemerkt den Eremiten, ſeine
Andacht, den Wald mit ſeinem Mondſchim¬
mer, ja es gelang ihm ſogar, und er konn¬
te nicht begreifen wie es kam, die Töne der
Nachtigall in ſein Gemählde hineinzubrin¬
gen. Er hatte noch nie eine ſolche Freude
empfunden, und er nahm ſich vor, wenn das
Bild fertig ſey, ſogleich damit zu Dürer zu¬
rückzureiſen, damit dieſer es ſehn und beur¬
theilen möge. Aber in einem Augenblicke
verließ ihn die Luſt weiter zu mahlen, die
Farben erloſchen unter ſeinen Fingern, ein
Froſt überfiel ihn, und er wünſchte den
Wald zu verlaſſen.
Franz erwachte mit einer unangenehmen
Empfindung, es war einer der letzten war¬
men Tage im Herbſt geweſen, jetzt ging die
Sonne in dunkelrothen Wolken hinter der
Stadt unter, und ein kalter Herbſtwind
ſtrich über die Wieſe. Franz ging wieder
nach der Stadt, ſein Traum lag ihm ſtets
in den Gedanken, er ſah noch immer den
ſchönen mondglänzenden Wald, den Eremiten,
und die Stimmen ſeiner Freunde tönten noch
immer in ſeinen Ohren. Das Gedränge
am Thore war groß, denn jedermann eilte
nun aus den Feldern, und von den benach¬
barten Dörfern zur Stadt zurück, er beo¬
bachtete die mannichfaltigen Geſichter, er
hörte einzelne abgeriſſene Geſpräche und
Namen nennen, deren kurze Geſchichte er
durch die Sprechenden erfuhr. Nun war
er in der Stadt; er empfand es ſeltſam,
nun wieder an einem fremden großen Orte,
unter ſo vielen ihm ganz unbekannten Men¬
ſchen zu ſeyn, er ſchweifte hin und wie¬
der; der Mond ſtand am hellen Himmel
und ſchien auf die Dächer der Kirchen und
auf die freien Plätze; endlich kehrte er in
eine Herberge ein.
Franz fühlte ſich müde und darum ging
er bald zu Bette, aber er konnte noch lan¬
ge nicht einſchlafen. Die Scheibe des Mon¬
des ſtand ſeinem Kammerfenſter gerade ge¬
gen über, er betrachtete ihn mit ſehnſüchti¬
gen Augen, er ſuchte auf dem glänzenden
Runde, und in ſeinen Flecken Berge und
Wälder; bald ſchien er erhabene Thürme zu
entdecken, bald die See mit ihren ſegelnden
Schiffen; ach dort! dort! rief eine innerliche
Stimme ſeiner Bruſt, iſt die Heimath aller
unſrer Wünſche, dort iſt die Liebe zu Hau¬
ſe, dort wohnt das Glück, von da herab
ſcheint es auf uns nieder, und ſieht uns
wehmüthig an, daß wir noch hier ſind.
Er verſchloß ſein Auge, da erſchien ihm
die Fremde mit allen ihren Reizen, ſie wink¬
te ihm, und vor ihm lag ein ſchöner dunk¬
ler Lindengang welcher blühte, und den ſü¬
ßeſten Duft verbreitete. Sie ging hinein,
er folgte ihr ſchüchtern nach, er gab ihr die
Blumen zurück, und erzählte ihr wer er ſey.
Da umfing ſie ihn mit ihren zarten Armen,
da kam der Mond mit ſeinem Glanze näher,
und ſchien ihnen beiden hell ins Angeſicht,
ſie geſtanden ſich ihre Liebe, ſie waren un¬
ausſprechlich glücklich. — Dieſen Traum ſetz¬
te Franz fort, die frühſten Erinnerungen
aus ſeinen Kinderjahren kamen zurück, alle
ſchönen Empfindungen die er einſt gekannt
hatte, zogen wieder an ihm vorbei und be¬
grüßten ihn. So iſt der Schlaf oft ein
Ausruhn in einer ſchönern Welt; wenn die
Seele ſich von dieſem Schauplatze hinweg¬
wendet, ſo eilt ſie nach jenem unbekann¬
ten magiſchen, auf welchem liebliche Lichter
ſpielen, und kein Leiden erſcheinen darf;
dann dehnt der Geiſt ſeine großen Flügel
auseinander und fühlt ſeine himmliſche Frei¬
heit, die Unbegränztheit die ihn nirgends
beengt und quält. Beim Erwachen ſehn
wir oft zu voreilig mit Verachtung auf die¬
ſes ſchönere Daſeyn hin, weil wir unſre
Träume nicht in unſer Tagesleben hineinwe¬
ben können, weil ſie nicht da fortgefahren
ſind wo unſre Menſchenthätigkeit am Abend
aufhörte, ſondern ihre eigene Bahn wan¬
delten.
Am Morgen erkundigte ſich Franz mit
glühendem Geſichte nach der Wohnung des
berühmten Lukas von Leyden. Man be¬
zeich¬
nete ihm die Straße und das Haus, und
er ging mit hochſchlagendem Herzen hin.
Er ward in ein anſehnliches Haus geführt,
und eine Magd ſagte ihm, daß der Herr
ſich ſchon in ſeiner Mahlerſtube befinde und
arbeite. Franz bat, daß man ihn hinein¬
führen möchte. Die Thür öffnete ſich, und
Franz ſah einen kleinen, freundlichen, ziem¬
lich jungen Mann vor einem Gemählde ſiz¬
zen, an dem er fleißig arbeitete, um ihn
her ſtanden und hingen vielerlei Schilde¬
reien, einige Farbenkaſten, Zeichnungen und
Anatomien, aber alles in der beſten Ord¬
nung. Der Mahler ſtand auf und ging
Franzen entgegen, der Schüler war jetzt
mit ſeinen Augen dem Geſicht des berühm¬
ten Meiſters gegen über, und vermochte in
der erſten Verwirrung kein Wort hervor¬
zubringen. Endlich faßte er ſich, und nann¬
te ſeinen Namen und den Namen ſeines Leh¬
M
rers. Lukas hieß ihn von Herzen willkom¬
men, und beide ſetzten ſich nun in der
Werkſtatt nieder, und Franz erzählte ganz
kurz ſeine Reiſe, und ſprach von einigen
merkwürdigen Gemählden die er unterwegs
angetroffen hatte. Er beſchaute während
dem Sprechen aufmerkſam das Bild, an
welchem Lukas eben arbeitete; es war eine
heilige Familie, und er traf darinnen vieles
von einigen Dürerſchen Arbeiten an, denſel¬
ben Fleiß, dieſelbe Genauigkeit im Ausmah¬
len, nun ſchien ihm an Lukas Bildern Dü¬
rers ſtrenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünk¬
te, als wären die Umriſſe weniger dreiſt
und ſicher gezogen, dagegen hatte Lukas
etwas Liebliches und Anmuthiges in den
Wendungen ſeiner Geſtalten, ja auch in
ſeiner Färbung, das dem Dürer mangelte.
Dem Geiſte nach, glaubte er, müſten ſich
dieſe beiden großen Künſtler ſehr nahe ver¬
wandt ſeyn, er ſah hier dieſelbe Simplici¬
tät in der Zuſammenſetzung, dieſelbe Ver¬
ſchmähung unnützer Nebenwerke, die rüh¬
rende und ächt deutſche Behandlung der
Geſichter und Leidenſchaften, daſſelbe Stre¬
ben nach Wahrheit.
Lukas war in ſeinem Geſpräche ein mun¬
trer, fröhlicher Mann, ſeine Augen waren
ſehr lebhaft, und ſeine ſchnellveränderlichen
Minen begleiteten und erklärten jedes ſeiner
Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht
genug betrachten, denn in ſeiner Einbildung
hatte er ſich ihn ganz anders gedacht, er
hatte einen großen, ſtarken, ernſthaften
Mann erwartet, und nun ſah er eine klei¬
ne, ſehr behende, aber faſt kränkliche Figur
vor ſich, deſſen Reden alle das Gepräge ei¬
nes luſtigen freien Gemüthes trugen.
Es freut mich ungemein Euch kennen zu
lernen, rief Lukas mit ſeiner Lebhaftigkeit
M 2
aus, aber vor allen Dingen wünſchte ich
einmahl Euren Meiſter zu ſehen, ich wüßte
nichts Erfreulichers das mir begegnen könn¬
te, als wenn er ſo wie Ihr heut thatet, in
meine Werkſtatt hereinträte; bin auch auf
keinen andern Menſchen in der Welt ſo
neugierig als auf ihn, denn ich halte ihn
für den größten Künſtler den die Zeiten
hervorgebracht haben. Er iſt wohl ſehr
fleißig?
Er arbeitet faſt immer, antwortete Franz,
und er kennt auch kein größeres Vergnügen
als ſeine Arbeit. Seine Ämſigkeit geht ſo
weit, daß er dadurch ſo gar manchmal ſei¬
ner Geſundheit Schaden thut.
Ich will es gern glauben, antwortete Lu¬
kas, es zeugen ſeine Kupferſtiche von einer
faſt unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat
er davon ſchon ſo viele ausgehn laſſen!
Man kann nichts Sauberers ſehn als ſeine
Arbeit, und doch leidet unter dieſem Fleiße
die Wahrheit und der eigentliche Ausdruck
ſeiner Darſtellungen niemals, ſo daß ſeine
Ämſigkeit nicht bloß zufällige Zier, ſondern
Weſen und Sache ſelbſt iſt. Und dann be¬
greife ich kaum die mannichfaltigen Arten
ſeiner Arbeiten, von den kleinſten und fein¬
ſten Gemählden bis zu den lebensgroßen
Bildern, dann ſeine Holzſtiche, ſeine Ku¬
pferarbeiten, ſeine ſaubern Figuren die er
auf Holz in erhabener Arbeit geſchnitten, und
die ſo leicht ſo zierlich ſind, daß man trotz ih¬
rer Vollendung die Arbeit ganz daran ver¬
gißt, und gar nicht an die vielen mühſeligen
Stunden denkt, die der Künſtler darüber
zugebracht haben muß. Wahrlich Albert iſt
ein äußerſt wunderbarer Mann, und ich
halte den Schüler für ſehr glücklich, dem
es vergönnt iſt, unter ſeinen Augen ſeine er¬
ſte Laufbahn zu eröffnen.
Franz war immer gerührt, wenn von ſei¬
nem Lehrer die Rede war; aber das Lob,
dieſe Verehrung ſeines Meiſters aus dem
Munde eines andern großen Künſtlers ſetz¬
te ſein Herz in die gewalſamſte Bewegung.
Er drückte Lukas Hand, und ſagte mit
Thränen: Glaubt mir, Meiſter, ich habe
mich vom erſten Tage glücklich geſchätzt, da
ich Dürers Haus betrat.
Es iſt eine ſeltſame Sache mit dem Flei¬
ße, fuhr Lukas fort, ſo treibt es auch mich
Tag und Nacht zur Arbeit, ſo daß mich
manchmal jede Stunde, ja jede Minute ge¬
reut, die ich nicht in dieſer Stube zubringen
darf. Von Jugend auf iſt es ſo mit mir
geweſen, und ich habe auch nie an Spielen,
Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreiben¬
den Dingen Gefallen gefunden. Ein neues
Bild liegt mir manchmal ſo ſehr im Sinne,
daß ich davor nicht ſchlafen kann. Ich
weiß mir auch keine größere Freude, als
wenn ich nun endlich ein Gemählde, an
dem ich lange arbeitete, zu Stande gebracht
habe, wenn nun alles fertig geworden iſt,
was mir bis dahin nur in den Gedanken
ruhte, wenn man nun zugleich mit jedem
Bilde merkt, wie die Hand geübter und
dreiſter wird, wie nach und nach alles das
von ſelbſt ſich einſtellt, was man anfangs
mit Mühe erringen und erkämpfen mußte.
O mein lieber Sternbald, ich könnte manch¬
mal Stundenlang davon ſchwatzen, wie ich
nach und nach ein Mahler geworden bin,
und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage
weiter zu kommen.
Ihr ſeid ein ſehr glücklicher Mann, ant¬
wortete Franz. Wohl dem Künſtler der ſich
ſeines Werths bewußt iſt, der mit Zuver¬
ſicht an ſein Werk gehn darf, und es ſchon
gewohnt iſt daß ihm die Elemente gehor¬
chen. Ach mein lieber Meiſter, ich kann es
Euch nicht ſagen. Ihr könnt es vielleicht
kaum faſſen, welchen Drang ich zu unſrer
edlen Kunſt empfinde, wie es meinen Geiſt
unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt,
die ſeltſamſten und fremdeſten Gegenſtände
ſogar nur von der Malerey zu mir ſpre¬
chen; aber je höher meine Begeiſterung
ſteigt, je tiefer ſinkt auch mein Muth,
wenn ich irgend einmahl an die Ausführung
gehn will. Es iſt nicht, daß ich die Übung
und den wiederholten Fleiß ſcheue, daß es
ein Stolz in mir iſt, gleich das Vortreflichſte
hervorzubringen das keinen Tadel mehr zu¬
laſſen dürfte, ſondern es iſt eine Angſt, eine
Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbe¬
tung nennen, beides der Kunſt und des Ge¬
genſtandes, den ich darzuſtellen unternehme.
Ihr erlaubt mir wohl, ſagte Lukas, in¬
dem wir ſprechen, an meinem Bilde weiter
zu mahlen. Und wirklich zog er auch die
Staffeley herbei und vermiſchte die Farben
auf der Pallette die er auftragen wollte. —
Wenn ich Euch mit meinem Geſchwätze nur
nicht ſtöhre, ſagte Franz, denn dieſe Arbeit
da iſt äußerſt kunſtreich — Gar nicht, ſag¬
te Lukas, thut mir den Gefallen und fahrt
fort.
Wenn ich mir alſo, ſagte Franz, eine
der Thaten unſers Erlöſers in ihrer ganzen
Herrlichkeit denke, wenn ich die Apoſtel, die
Verehrungswürdigen vor mir ſehe, die ihn
umgaben, ſeine göttliche Milde mit der er
lehrt und ſpricht; wenn ich mir einen der hei¬
ligen Männer aus der erſten chriſtlichen Kir¬
che denke, die mit ſo kühnem Muthe das Leben
und ſeine Freuden verachteten, und alles
hingeben was den übrigen Menſchen ſo vie¬
le Sehnſucht, ſo manche Wünſche ablockt,
um nur das innerſte Bekenntniß ihres Her¬
zens, das Bewußtſeyn der großen Wahrheit
ſich zu behaupten, und Andern mitzuthei¬
len; — wenn ich dann dieſe erhabenen Ge¬
ſtalten in ihrer himmliſchen Glorie vor mir
ſehe, und nun noch bedenke, daß es einzel¬
nen Auserwählten gegönnt iſt, daß ſich ih¬
nen das volle Gefühl, daß ſich ihnen jene
Helden und der Sohn Gottes in eigenthüm¬
lichern Geſtalten und Farben als den übri¬
gen Menſchen offenbaren, und daß ſie durch
das Werk ihrer Hände ſchwächern Geiſtern
dieſe Offenbahrungen wieder mittheilen dür¬
fen; wenn ich mich meiner Entzückungen vor
herrlichen Gemählden erinnere, ſeht, ſo ent¬
ſchwindet mir dann aller Muth, ſo wage
ich es nicht, mich jenen auserwählten Gei¬
ſtern zuzurechnen und ſtatt zu arbeiten, ſtatt
fleißig zu ſeyn, verliere ich mich in ein
leeres unthätiges Staunen.
Ihr ſeid brav, ſagte Meiſter Lukas, oh¬
ne von ſeinem Bilde aufzuſehn, aber das
wird ſich fügen, daß Ihr auch Muth be¬
kommet.
Schon mein Lehrer, fuhr Franz fort, hat
mich deshalb getadelt, aber ich habe mir
niemals helfen können, ich bin von Kindheit
auf ſo geweſen. Aber ſo lange ich in Nürn¬
berg war, in der Gegenwart des theuren
Albrecht, bei meinem Freunde, und von al¬
le dem bekannten Geräthe umgeben, konn¬
te ich mich doch immer noch etwas aufrecht
erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit
ein, den Pinſel zu führen; ich fühlte wie ich
nach und nach etwas weiter kam, weil es
immer derſelbe Ort war den ich wieder be¬
trat, weil dieſelben Menſchen mich aufmun¬
terten, und weil ich nun auf einer gebahn¬
ten Straße gerade ausging, ohne mich wei¬
ter rechts oder links umzuſehn. Freilich
durfte ich keine neue Erzählung hören, kei¬
nen neuen verſtändigen Mann kennen ler¬
nen ohne etwas irre zu werden, doch fand
ich mich bald wieder zurecht. Aber ſeit mei¬
ner Abreiſe aus Nürnberg hat ſich alles das
geändert. Meine innerlichen Bilder vermeh¬
ren ſich bei jedem Schritte den ich thue, je¬
der Baum, jede Landſchaft, jeder Wanders¬
mann, Aufgang der Sonne und Untergang,
die Kirchen die ich beſuche, jeder Geſang den
ich höre, alles wirkt mit quälender und
ſchöner Geſchäftigkeit in meinem Buſen, und
bald möcht' ich Landſchaften, bald heilige Ge¬
ſchichten, bald einzelne Geſtalten darſtellen,
die Farben genügen mir nun nicht, die Ab¬
wechſelung iſt mir nicht mannichfaltig ge¬
nug, ich fühle das Edle in den Werken an¬
drer Meiſter, aber mein Gemüth iſt nun¬
mehr ſo verwirrt, daß ich mich durchaus
nicht unterſtehen darf, ſelber an die Arbeit
zu gehn.
Lukas hielt eine Weile mit Mahlen in¬
ne und betrachtete Sternbald ſehr aufmerk¬
ſam, der ſich durch Reden erhitzt hatte,
dann ſagte er: Lieber Freund, ich glaube
daß Ihr ſo auf einem ganz unrechten We¬
ge ſeid. Ich kann mir Eure Verfaſſung
wohl ſo ziemlich vorſtellen, aber ich bin nie¬
mals in ſolcher Gemüthsſtimmung gewe¬
ſen. Von der frühſten Jugend habe ich ei¬
nen heftigen Trieb in mir empfunden zu bil¬
den, und ein Künſtler zu ſeyn; aber von je
an lag mir die Nachahmung klar im Sinne,
daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte,
was aus einer Zeichnung werden ſollte.
Schon während der Arbeit lag mir dann
ein andrer Entwurf ſchon ganz deutlich im
Kopfe, den ich aber ſo ſchnell und eben ſo
unverzagt als den vorigen ausführte, und
ſo ſind meine zahlreichen Werke entſtanden,
ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Za¬
gen, Eure zu große Verehrung des Gegen¬
ſtandes iſt, will mich dünken, etwas Un¬
künſtleriſches; denn wenn man ein Mahler
ſeyn will, ſo muß man doch mahlen, man
muß beginnen und endigen, Eure Entzü¬
ckungen könnt Ihr ja doch nicht auf die
Tafel tragen. Nach dem was Ihr mir ge¬
ſagt habt, müßt Ihr viele Anlagen zu ei¬
nem Poeten haben, nur muß ein Dichter
auch mit Ruhe arbeiten. — Erlaubt mir,
daß ich Euch noch etwas ſage: Ich habe
mich von jeher über die Künſtler gewundert,
die Wallfahrten nach Italien, wie nach ei¬
nem gelobten Lande der Kunſt anſtellen, aber
nach dem, was Ihr mir von Euch erzählt
habt, muß ich mich billig noch mehr ver¬
wundern. Warum wollt Ihr Eure Zeit al¬
ſo verderben? Mit Eurer Reizbarkeit wird
Euch jeder neue Gegenſtand den Ihr erblickt,
zerſtreuen, die größere Mannichfaltigkeit
wird Eure Kräfte noch mehr niederſchlagen,
ſie werden alle verſchiedene Richtungen ſuchen,
und alle dieſe Richtungen werden für Euch
nicht genügend ſeyn. Nicht, als ob ich die
großen Künſtler Italiens nicht ſchätzte und
liebte, aber man mag ſagen was man will,
ſo hat doch jedes Land ſeine eigene Kunſt,
und es iſt gut, daß es ſie hat. Ein Mei¬
ſter tritt dann in die Fußſtapfen des andern,
und verbeſſert was bei ihm etwa noch man¬
gelhaft war; was dem erſten ſchwer war,
wird dem zweiten und dritten leicht, und ſo
wird die vaterländiſche Kunſt endlich zur
höchſten Vortreflichkeit hingeführt. Wir ſind
einmahl keine Italiäner, und ein Italiäner
wird nimmermehr deutſch empfinden. Wenn
ich Euch alſo rathen ſoll, ſo ſtellt lieber Eu¬
re Reiſe nach Italien ganz ein und bleibt
im Vaterlande, denn was wollt Ihr dort?
Meint Ihr, ihr werdet die Italiſchen Bilder
mit einem andern als einem deutſchen Auge
ſehen können? ſo wie auch kein Italiäner
die Kraft und Vortreflichkeit Eures Albert
Dürer jemals erkennen wird; es ſind wie¬
derſtrebende Naturen die ſich niemals in
demſelben Mittelpunkte vereinigen können.
Wenn Ihr hingeht, ſo wird jedes neue Ge¬
mählde, jede neue Manier eine neue Luſt
in Euch erwecken, Ihr werdet in ewiger Ab¬
wechſelung vielleicht arbeiten, aber Euch
niemals üben, Ihr werdet kein Italiäner
werden, und könnt doch kein Deutſcher blei¬
ben, Ihr werdet zwiſchen beiden ſtreben,
und die Muthloſigkeit und Verzagtheit wird
Euch am Ende nur noch viel ſtärker, als
jetzt ergreifen. Ihr findet meinen Ausſpruch
vielleicht hart, aber Ihr ſeid mir werth,
und darum wünſche ich Euer Beſtes. Glau¬
be mir, jeder Künſtler wird, was er werden
kann, wenn er ruhig ſich ſeinem eignen Gei¬
ſte
ſte überläßt, und dabei unermüdet fleißig
iſt. Seht nur Euren Albert Dürer an; iſt
er denn nicht ohne Italien geworden, was
er iſt, denn ſein kurzer Aufenthalt in Vene¬
dig kann kaum in Rechnung gebracht wer¬
den, und denkt Ihr denn mehr zu leiſten
als Er? Auch unſre beſten Meiſter in den
Niederlanden haben Italien nicht geſehn,
ſondern einheimiſche Natur und Kunſt hat
ſie groß gezogen; manche mittelmäßige die
dort geweſen ſind, haben eine fremde Ma¬
nier nachahmen wollen, die ihnen nimmer¬
mehr gelingt, und als etwas Erzwungenes
herauskömmt, das ihnen nicht ſteht, und ſich
in unſrer Gegend nicht ausnimmt. Mein
lieber Sternbald, wir ſind gewiß nicht für
die Antiken, wir verſtehen ſie auch nicht
mehr, unſer Fach iſt die wahre nordiſche Na¬
tur; je mehr wir dieſe erreichen, je wahrer
und lieblicher wir dieſe ausdrücken, je mehr
N
ſind wir Künſtler. Und das Ziel wonach
wir ſtreben, iſt gewiß eben ſo groß als der
poetiſche Zweck den ſich die andern vorge¬
ſtellt haben.
Franz war noch in ſeinem Leben nicht ſo
niedergeſchlagen geweſen. Er glaubte es zu
empfinden wie er noch keine Verdienſte ha¬
be; dieſe Verehrung der Kunſt, dieſe Be¬
gier Italien mit ſeinen Werken zu ſehn, hatte
er immer für ſein einziges Verdienſt gehal¬
ten, und nun vernichtete ein verehrungs¬
würdiger Meiſter ihm auch dieſes gänzlich.
Zum erſtenmahle erſchien ihm ſein ganzes
Beginnen thöricht und unnütz. Ihr mögt
Recht haben, Meiſter! rief er aus, ich bin
nun auch beinahe davon überzeugt, daß ich
zum Künſtler verdorben bin; je mehr ich
Eure Vortreflichkeit fühle, um ſo ſtärker
empfinde ich auch meinen Unwerth, ich füh¬
re ein verlohrnes Leben in mir, das ſich an
keine vernünftige Thätigkeit hinaufranken
wird, ein unglückſeeliger Trieb iſt mir ein¬
gehaucht, der nur dazu nützt, mir alle
Freuden zu verbittern, und mir aus den
köſtlichſten Gerichten dieſes Lebens etwas
Albernes und Nüchternes zuzubereiten.
Es iſt nicht ſo gemeint, ſagte Lukas mit
einem Lächeln, das ſeinem freundlichen Ge¬
ſichte ſehr gut ſtand; ich merke, daß alles
bei Euch aus einem zu heftigen Charakter
entſpringt, und freilich, darinn kann ſich
der Menſch nicht ändern und wenn er es
auch noch ſo ſehr wollte. Gebt Euch zu¬
frieden, meine Worte ſind immer nur die
Worte eines einzelnen Mannes, und ich
kann mich eben ſo leicht irren als jeder andre.
Ihr ſeid nicht wie jeder andre, ſagte Franz
mit der größten Lebhaftigkeit, das fühl
ich zu lebendig in meinem Herzen, Ihr ſoll¬
tet es nur einmahl hören, mit welcher Ver¬
N 2
ehrung mein Meiſter immer von Euch
ſpricht; Ihr ſolltet es nur wiſſen können
wie vortreflich Ihr mir vorkommt, welch
Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat.
Wie viele Künſtler dürfen ſich denn mit
Euch meſſen? Wer auf ſolche Stimmen
nicht hörte, verdiente gar nicht Euch ſo
gegen über zu ſitzen, mit Euch zu ſprechen,
und dieſe Freundſchaft und Güte zu er¬
halten.
Ihr ſeid jung, ſagte Lukas, und Euer
Weſen iſt mir ungemein lieb, es giebt we¬
nig ſolcher Menſchen, die meiſten betrachten
die Kunſt nur als ein Spielwerk, und uns
als große Kinder, die albern genug bleiben
um ſich mit derley Poſſen zu beſchäftigen. —
Aber laßt uns auf etwas anders kommen,
ich bin jetzt überdies müde zu mahlen. Ich
habe einen Kupferſtich von Eurem Albert
erhalten, der mir bisher noch unbekannt
war. Es iſt der heilige Hubertus, der auf
der Jagd einem Hirſche mit einem Krucifixe
zwiſchen dem Geweih begegnet, und ſich bei
dieſem Anblicke bekehrt und ſeine Lebenswei¬
ſe ändert. Seht hieher, es iſt für mich ein
merkwürdiges Blatt, nicht bloß der ſchönen
Ausführung, ſondern vorzüglich der Gedan¬
ken halber die für mich darinn liegen. Die
Gegend iſt Wald, und Dürer hat einen ho¬
hen Standtpunkt angenommen, weshalb ihn
nur ein Unverſtändiger tadeln könnte, denn
wenn auch ein dichter Wald, wo wir nur
wenige große Bäume wahrnähmen, etwas
natürlicher beim erſten Anblick in die Augen
fallen dürfte, ſo könnte das doch nimmer¬
mehr das Gefühl der völligen Einſamkeit ſo
ausdrücken und darſtellen wie es hier ge¬
ſchieht, wo das Auge weit und breit alles
überſieht, einzelne Hügel und lichte Waldge¬
genden. Ich glaube auch, daß manche Leu¬
te, die mehr guten Willen vernünftig zu
ſeyn als Verſtand haben, den gewählten
Gegenſtand ſelbſt als etwas Albernes tadeln
dürften, ein Rittersmann der vor einer un¬
vernünftigen Beſtie kniet. Aber das iſt es
gerade, wenn ich meine aufrichtige Meinung
ſagen ſoll, was mir ſo ſehr daran gefällt
und zu großem Vergnügen gereicht. Es iſt
ſo etwas Unſchuldiges, Frommes und Lieb¬
liches darinn wie der Jagdmann hier kniet,
und das Hirſchlein mit ſeiner kindiſchen
Phyſiognomie ſo unbefangen drein ſieht, im
Kontraſt mit der heiligen Ehrfurcht des
Mannes; dies erweckt ganz eigene Gedan¬
den von Gottes Barmherzigkeit, von dem
grauſamen Vergnügen der Jagd, und der¬
gleichen mehr. Nun beobachtet einmahl die
Art wie der Ritter niederkniet; es iſt die
wahrſte, frömmſte und rührendſte, mancher
hätte hier wohl ſeine Zierlichkeit gezeigt,
wie er Beine und Arme verſchiedentlich zu
ſtellen wüßte, ſo daß er durch Annehmlich¬
keit der Figur ſich gleichſam vor jedem ent¬
ſchuldigt hätte, daß er ein ſo närriſches
Bild zu ſeinem Gegenſtande gemacht. Denn
manche zierliche Mahler ſind mir ſo vorge¬
kommen, daß ſie nicht ſowohl verſchiedent¬
liche Bilder mahlen, als vielmehr nur die
Gegenſtände brauchen um immer wieder ih¬
re Verſchränkungen und Niedlichkeiten zu
zeigen; dieſe putzen ſich mit der edlen Mah¬
lerkunſt, ſtatt daß ſie ihr freies Spiel, und
eine eigne Bahn gönnen ſollten. So iſt es
nicht mit dieſem Hubertus beſchaffen. Seine
zuſammengelegten Beine, auf denen er ſo
ganz natürlich hinkniet, ſeine gleichförmigen
aufgehobenen Hände ſind das wahrſte was
man ſehen kann; aber ſie haben nicht die
ſpielende Anmuth die manche der heutigen
Welt über alles ſchätzen.
Lukas ſprach noch mancherley; dann be¬
ſuchten ihn einige Freunde aus der Stadt,
mit denen er und Franz ſich zu Tiſche ſez¬
ten. Man lachte und erzählte viel; von der
Mahlerey ward nur wenig geſprochen.
Zweytes Kapitel.
Franz hielt ſich längere Zeit in Leyden auf
als er ſich anfangs vorgenommen hatte,
denn Meiſter Lukas hatte ihm einige Kon¬
terfeye zu mahlen übergeben, die Franz zu
deſſen Zufriedenheit beendigte. Beide hat¬
ten ſich oft von der Kunſt unterhalten.
Franz liebte Lukas ungemein, aber doch
konnte er in keiner Stunde das Vertrauen
zu ihm faſſen das er zu ſeinem Lehrer hat¬
te, er fühlte ſich in ſeiner Gegenwart immer
gedemüthigt, ſeine freieſten Gedanken waren
gefeſſelt, ſelbſt Lukas fröhliche Laune konn¬
te ihn ängſtigen, weil ſie von der Art wie
er ſich zu freuen pflegte, ſo gänzlich verſchieden
war. Er kämpfte oft mit der Verehrung,
die er vor den Niederländiſchen Meiſter
empfand, denn er ſchien ihm in manchen
Augenblicken nur ein Handwerker zu ſeyn;
wenn er dann wieder den hurtigen erfinde¬
riſchen Geiſt betrachtete, den nie raſtenden
Eifer, die Liebe zu allem Vortreflichen, ſo
ſchämte er ſich ſeines Mißtrauens.
Als er an einem Morgen Lukas Werk¬
ſtelle beſuchte, — wie erſtaunte er, was
glich ſeiner Freude! — als er ſeinen Lehrer,
ſeinen über alles geſchätzten Dürer neben
dem niederländiſchen Mahler ſitzen ſah.
Erſt ſchien es ihm nur ein Blendwerk ſeiner
Augen zu ſeyn; aber Dürer ſtand auf und
ſchloß ihn herzlich in ſeine Arme; die drei
Mahler waren überaus fröhlich ſich zu ſehn,
Fragen und Antworten durchkreuzten ſich,
beſonders hinderte der lebhafte Lukas auf
alle Weiſe das Geſpräch, zu einer ſtillen
Ruhe zu kommen, denn er fing immer
wieder von neuem an ſich zu verwundern
und zu freuen. Er rieb die Hände, und
lief mit großer Geſchäftigkeit hin und wie¬
der; bald zeigte er dem Albert ein Bild,
bald hatte er wieder eine Frage worauf er
die Antwort wiſſen wollte. Franz bemerkte,
wie gegen dieſe lebhafte Unruhe Alberts
Gelaſſenheit, und ſeine ſtille Art ſich zu
freuen, ſchön kontraſtirte. Auch wenn ſie
nebeneinander ſtanden ergötzte ſich Franz
an der gänzlichen Verſchiedenheit der beiden
Künſtler, die ſich doch in ihren Werken ſo
oft zu berühren ſchienen. Dürer war groß
und ſchlank, lieblich und majeſtätiſch fielen
ſeine lockigen Haare um ſeine Schläfe, ſein
Geſicht war ehrwürdig und doch freundlich,
ſeine Mienen veränderten den Ausdruck nur
langſam, und ſeine ſchönen braunen Augen
ſahen feurig und doch ſanft unter ſeiner
Stirn hervor. Franz bemerkte deutlich
wie die Umriſſe von Alberts Geſichte
denen auffallend glichen, mit denen man
immer den Erlöſer der Welt zu mahlen
pflegt. Lukas erſchien neben Albert noch
kleiner als er wirklich war; ſein Geſicht ver¬
änderte ſich in jedem Augenblicke, ſeine Au¬
gen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll,
ſein hellbraunes Haar lag ſchlicht und kurz
um ſeinen Kopf.
Albert erzählte, wie er ſich ſchon ſeit
lange unpaß gefühlt habe, und die weite
Reiſe nach den Niederlanden nicht geſcheut,
um ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen.
Seine Hausfrau habe ihn begleitet; von
Sebaſtian gab er unſerm Franz einen
Brief, er ſelber ſey zwar nicht gefährlich,
aber doch ſo krank daß er die Reiſe nicht
habe unternehmen können, ſonſt würde er ihn
mitgenommen haben. Euch zu ſehn, Meiſter
Lukas, ſagte er, war der vornehmſte Bewe¬
gungsgrund meiner Reiſe, denn ich habe es
mir ſchon lange gewünſcht, ich weiß auch noch
nicht, ob ich einen andern Mahler beſuche,
wenn der Wohnort mir aus dem Wege
liegt, denn ſo viel ich ſie kenne, iſt mir nach
dem berühmten Meiſter Lukas keiner merk¬
würdig.
Lukas dankte ihm und ſprang wieder
durch die Stube, voller Freude den großen
Albert Dürer bei ſich zu haben. Dann zeig¬
te er ihm einige ſeiner neueſten Bilder, und
Albert lobte ſie ſehr verſtändig. Dieſer hat¬
te einige neue Kupferſtiche bei ſich die er
dem Niederländer ſchenkte, und Lukas ſuch¬
te zur Vergeltung auch ein Blatt hervor,
das er dem Albrecht in die Hände gab.
Seht, ſagte er, dies Blatt, es wird von ei¬
nigen für meinen beſten Kupferſtich erklärt,
es iſt das Konterfey des Tillen Eulenſpiegel,
wie ich mir dieſen ſeltſamen Mann in den
Gedanken vorgeſtellt habe. Es wollen eini¬
ge jetzt, die ſich mit der Gelehrſamkeit be¬
faſſen, ſein Buch verachten, und es als den
Sitten und der Zucht zuwieder verdammen,
es möchte vielleicht einiges beſſer darinn
mangeln können, aber ich muß geſtehen,
daß es mich im Ganzen immer ſehr ergötzt
hat. Die Schalkheit des Knechtes Eulen¬
ſpiegel iſt ſo eigen, viele ſeiner Streiche ge¬
ben zu ſo manchen kurioſen Gedanken Ver¬
anlaſſung, daß ich mich ordentlich dazu an¬
getrieben fühlte, ſein ſeltſames Konterfey in
Kupfer zu bringen.
Ihr habt es auch wacker ausgerichtet,
ſagte Albert Dürer, und ich danke Euch
höchlich für Euer Geſchenk. Ihr habt den
berüchtigten Schalksknecht da erſchaffen, wie
er gewißlich ausgeſehn haben muß, die
ſchielenden Augen und die verdrehte Naſe
drücken ſein ſeltſames Gemüth vortreflich
aus, in dieſen Lippen habt Ihr ſeinen Witz
der oft beiſſend genug war, herrlich ange¬
deutet, und es iſt mir ſehr erwünſcht daß
Ihr das häßliche Geſicht doch nicht ſo ver¬
zerrt habt daß es uns zuwieder iſt, ſondern
mit vieler Kunſt habt Ihr es ſo auszurich¬
ten gewußt daß man es gerne beſchaut, und
den poſſigen Kerl ordentlich lieb gewinnt.
Es iſt eine Art von Dankbarkeit, ſagte
Meiſter Lukas, daß ich ihn ſo mühſam in
Kupfer gebracht habe, da ich über ſeine
Schwänke oft ſo herzlich habe lachen müſſen.
Wie ſchon geſagt, es verſtehen wenig Men¬
ſchen die Kunſt, ſich an Tills Narrenſtrei¬
chen ſo zu freuen als ich, weil ſie es ſogar
mit dem Lachen ernſthaft nehmen; andern
gefällt ſein Buch wohl, aber es kommt ih¬
nen als etwas Unedles vor, dies Bekenntniß
abzulegen; andern fehlt es wieder an Übung
das Poſſierliche zu verſtehen und zu faſſen,
weil man ſich vielleicht eben ſo daran gewöh¬
men muß, wie man viele Gemählde ſieht
ehe man über eins ein richtiges Urtheil
faßt.
Ihr mögt ſehr Recht haben, Meiſter, ant¬
wortete Dürer, die meiſten Leute ſind wahrlich
mit dem Ernſthaften und Lächerlichen gleich
fremd. Sie glauben immer, das Verſtänd¬
niß von beiden müſſe ihnen von ſelbſt ohne
ihr weiteres Zuthun kommen; und doch iſt das
bei den allerwenigſten der Fall. Sie über¬
laſſen ſich daher mit Rohheit dem Augenbli¬
cke und ihrem damaligen Gefühl, und ſo
tadeln und loben ſie alles unbeſehn. Ja ſie
gehn mit der Mahlerkunſt eben ſo um, ſie
koſten davon, wie man wohl ein Gemüſe
oder Suppe zu koſten pflegt, ob die Magd
zu viel oder zu wenig Salz daran gethan
habe, und dann ſprechen ſie das Urtheil,
ohne um die Einſicht und die Kenntniſſe die
dazu gehören, beſorgt zu ſeyn. Ich muß
immer noch lachen ſo oft ich daran denke,
daß
daß es mir doch auch einmahl ſo ging.
Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne
die Anlagen von der Natur zu haben, fiel
ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich
dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe
müſſe ja wohl jedermann machen können,
und ich wunderte mich über mich ſelber, daß
ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt
verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich
großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund
herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬
ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht
vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬
zen Welt darinn gute Lehren zu geben.
Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo
war es erbärmlich gerathen. Was ich da
für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer
habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht
meine Verwegenheit vergeben konnte! Er
ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei
O
Deinem Leiſten! Albert, wenn Du den Pin¬
ſel in der Hand haſt, ſo kömmſt Du mir
als ein verſtändiger Mann vor, aber mit
der Feder gebehrdeſt Du Dich als ein
Thor. — So ſollte man auch zu manchen
ſagen die ſich auf Künſte legen, die ihnen
nicht beſſer anſtehen als dem Eſel das Lau¬
tenſchlagen.
Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Ley¬
den aufhalten, ſagte Lukas; denn ich möch¬
te gar zu gern recht viel mit Euch ſprechen,
über ſo viele Dinge Euer Urtheil verneh¬
men, denn ich wüßte keinen Menſchen auf
der Welt mit denn ich mich lieber unterre¬
dete als mit Euch.
Ich bleibe gewiß wenigſtens einige Tage,
antwortete Dürer; ſeit Franz von mir fort¬
gezogen iſt, habe ich mir dieſe Reiſe vorge¬
ſetzt, und alles Geld was ich erübrigen
konnte, dazu aufgeſpart.
Unter dieſen Geſprächen war die Mit¬
tagsſtunde herangekommen; eine junge hüb¬
ſche Frau trat herein, es war das Weib
des Niederländers, ſie erinnerte ihren Mann
mit freundlichem Geſichte, daß es Zeit ſey
zu eſſen, er möchte mit ſeinen Gäſten in die
Speiſeſtube treten. Sie folgten ihr gern,
und man ſetzte ſich zu Tiſche. Die Haus¬
frau Albert Dürers hieß den Franz Stern¬
bald ſehr freundlich willkommen, Franz hat¬
te ſie noch nie ſo liebenswürdig geſehn, denn
die Reiſe hatte ſie heiter gemacht, ihr Ge¬
ſicht war auch blühender und voller.
Der kleine Lukas ſchien nun bei Tiſche
erſt recht an ſeinem Platze zu ſeyn; er
wußte ſo gutmüthig zum Eſſen und Trinken
einzuladen, daß keiner ſeine Einladung aus¬
zuſchlagen im Stande war; dabei erwies er
ſich überaus artig gegen Dürers Frau, und
wußte ihr auf ſeine Art tauſend kleine
O 2
Schmeicheleien zu ſagen. Dürer war viel
ernſter und unbeholfener, die ſchöne junge
Frau des Lukas ſetzte ihn eher in Verlegen¬
heit, als daß ſie ihn unterhalten hätte, ſeine
Sitten waren ernſt und deutſch, und wenn
ſich ihm ein Scherz nicht von ſelber darbot,
ſo hielt er es für eine unnütze Mühe ihn
aufzuſuchen. Franz war in einer heiligen
Stimmung, es war ihm gar nicht möglich,
ſeine Augen von ſeinem geliebten Lehrer ab¬
zuwenden, vollends da es ihm beſtändig im
Sinne lag, daß er morgen früh abreiſen
müſſe und alſo Dürer nicht länger ſehn
könne, denn er hatte eine Reiſegeſellſchaft
gefunden, die ihn gegen ein Billiges mit
nach Antwerpen nehmen wollte.
Ihr müßt mir erlauben, rief Lukas fröh¬
lich aus, Meiſter Albrecht (verzeiht mir,
daß ich ſo vertraut thue, Euch bei Eurem
Taufnamen zu nennen,) daß ich Euer Kon¬
terfey abnehme ehe Ihr von hier reiſet,
denn es liegt mir gar zu viel daran es zu
beſitzen, und zwar recht treu und fleißig ge¬
mahlt, ich will mir alle Mühe dabei geben.
Und ich will Euch mahlen, ſagte Al¬
brecht, mir iſt gewiß Euer Geſicht eben ſo
lieb, damit ichs dann mit mir nach Nürn¬
berg nehme.
Wißt Ihr wie wir es einrichten können?
antwortete Lukas: Ihr mahlt Euer eignes
Bildniß und ich das meinige, und wir tau¬
ſchen ſie nachher gegen einander aus, ſo be¬
ſitzt noch jeder etwas, von des andern Arbeit.
Es mag ſeyn, ſagte Dürer, ich weiß mit
meinem Kopfe ſchon ziemlich Beſcheid, denn
ich habe ihn ſchon etlichemahl gemahlt und
geſtochen, und man hat die Kopey immer ähn¬
lich gefunden. Worüber ich mich aber billig
wundern muß, fuhr er fort, iſt, daß Ihr
Meiſter Lukas noch ſo jung ſeid, und daß
Ihr doch ſchon ſo viele Kunſtſachen in die
Welt habt ausgehn laſſen, und mit Recht
einen ſo großen Namen habt; denn noch
ſcheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu ſeyn.
Lukas ſagte: ich bin auch noch nicht
dreißig Jahre alt, ſondern kaum neun und
zwanzig. Es iſt wahr, ich habe fleißig ge¬
mahlt, und faſt eben ſo viel in Kupfer ge¬
ſtochen als Ihr; aber mein lieber Albrecht
ich habe auch ſchon ſehr früh angefangen;
Ihr wißt es vielleicht nicht daß ich ſchon
im neunten Jahre ein Kupferſtecher war.
Im neunten Jahre? rief Franz Stern¬
bald voller Verwunderung aus; ich glaubte
immer im ſechszehnten hättet Ihr Euer er¬
ſtes Werk begonnen, und das hat ſchon im¬
mer mein Erſtaunen erregt.
Nein, erzählte Lukas weiter, denn ich
zeichnete ſchon Bilder und allerhand natür¬
liche Sachen nach als ich kaum ſprechen
konnte. Die Sprache und der Ausdruck
durch die Reißkohle ſchien mir natürlicher
als die wirkliche. Ich war unglaublich flei¬
ßig, und intereſſirte mich für gar nichts an¬
ders in der Welt, denn die übrigen Wiſſen¬
ſchaften, ſo wie Sprachen und dergleichen,
waren mir völlig gleichgütig, ja es war mir
verhaßt, meine Zeit mit ſolchem Unterrichte
zuzubringen. Wenn ich auch nicht zeichnete,
ſo gab ich genau auf alle die Dinge Acht,
die mir vor die Augen kamen, um ſie
nachher nachahmen zu können. Die größte
Freude machte es mir, wenn meine Eltern
oder andre Menſchen die Perſonen wieder
erkannten die ich kopirt hatte. Kein Spiel
machte mir Vergnügen, andre Knaben wa¬
ren mir zur Laſt und ich verachtete ſie und
ging ihnen aus dem Wege, weil mir ihr
Beginnen zu kindiſch vorkam; ſie verſpotte¬
ten mich auch deshalb, und nannten mich
den kleinen alten Mann. Ich erkundigte
mich, wie die Kupferſtiche entſtänden, und
einige eben nicht geſchickte Leute, machten mich
mit der Kunſt bekannt, ſo viel ſie ſelbſt da¬
von begriffen hatten. So machte ich im
neunten Jahre mein erſtes Bild, das ich öf¬
fentlich herausgab, und das vielen Leuten
nicht mißfiel; bald darauf thaten mich meine
Eltern auf mein inſtändiges Bitten beim
Meiſter Engelbrecht in die Lehre; ich fuhr
fort zu arbeiten, und im ſechszehnten Jah¬
re war ich ſchon einigermaßen bekannt, ſo
daß meine Werke geſucht wurden.
Ihr ſeid ein wahres Wunderkind gewe¬
ſen, Meiſter Lukas, ſagte Albert Dürer, und
auf die Art muß man freilich nicht erſtau¬
nen, wenn die Welt ſo viele Arbeiten von
Euch geſehn hat.
Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin, ſagte
Lukas ſehr lebhaft, ſo hab' ich's nur Euch
zu verdanken. Ihr wart mein Vorbild, Ihr
gabt mir immer neues Feuer, wenn ich
manchmal den Muth verlieren wollte, denn
ich glaube, es giebt auch beim eifrigſten
Künſtler Stunden, in denen er durchaus
nichts hervorbringen mag, wo er ſich in ſich
ſelber ausruht, und ihm die Arbeit mit den
Händen ordentlich widerſteht; dann hörte
ich wieder von Euch, ich ſah eins Eurer
Kupferblätter, und der Fleiß kam mir mit
friſcher Anmuth zurück. Ich muß es geſte¬
hen, daß ich Euch auch meine meiſten Erfin¬
dungen zu danken habe, denn ich weiß nicht
wie es zugeht, einzelne Figuren oder Sa¬
chen ſtehn mir immer ſehr klar vor den Au¬
gen, aber das Zuſammenfügen, der wahre
hiſtoriſche Zuſammenhang, der ein Bild erſt
fertig macht, will ſich nie deutlich vor den
Sinnen hinſtellen, bis ich dann ein andres
Blatt in die Hande nehme, da fällt es mir
denn ein daß ich das auch darſtel¬
len, und hie und da wohl noch verbeſſern
könnte, aus dem Bilde das ich vor mir ſe¬
he, entwickelt ſich ein neues in meiner See¬
le, das mir dann nicht eher Ruhe läßt, als
bis ich es fertig gemacht habe. Am liebſten
habe ich Eure Bilder nachgemacht, Albrecht,
weil ſie alle einen ganz eignen Sinn haben,
den ich in andern nicht antreffe. Ihr habt
mich am meiſten auf Gedanken geführt, und
Ihr werdet es wiſſen, daß ich die meiſten
Bilder die Ihr ausgeführt habt, auch dar¬
zuſtellen verſucht habe. Manchmal habe
ich die Eitelkeit gehabt, Ihr verzeiht mir
meinen freimüthigen Stolz, und Ihr ſeid
ein gerader guter Mann, Eure Vorſtellung
zu verbeſſern und dem Auge angenehmer zu
machen.
Ich weiß es recht wohl, ſagte Albert
mit der gutmüthigſten Freundlichkeit, und
ich verſichere Euch, ich habe viel von Euch
gelernt. Wie Ihr mit Eurem Körper behen¬
der und gewandter ſeid, ſo ſeid Ihr es auch
mit dem Pinſel und Grabſtichel. Ihr wißt
eine gewiſſe Anmuth mit Wendungen und
Stellungen der Körper in Eure Bilder zu
bringen, die mir oft fehlt, ſo daß meine
Zeichnungen gegen die Eurigen hart und
rauh ausſehn; aber Ihr erlaubt mir auch
zu ſagen, daß es mir geſchienen hat, als
wärt Ihr ein paarmal unnöthigerweiſe von
der wahren Einfalt des Gegenſtandes abge¬
wichen. So gedenke ich an ein paar Ku¬
pferſtiche, wo vorne Leute mit großen Män¬
teln ſtehn, die dem Zuſchauer den Rücken
zuwenden, da ſie uns wohl natürlicher das
Angeſicht hätten zukehren dürfen. Hier
habt Ihr nach meinem einfältigen Ur¬
theil nur etwas Neues anbringen und
durch die großen Mantelfiguren die Kontra¬
ſtirung mit den übrigen Perſonen im Bilde
verſtärken wollen; aber es kömmt doch etwas
gezwungen heraus.
Ihr habt Recht, Albert, ſagte Lukas, ich
ſehe Ihr ſeid ein ſchlauer Kopf, der mir
meine Münzen wieder zu geben weiß. Ich
habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein
Bild verdorben habe, wenn ich es habe beſ¬
ſer machen wollen als ich es auf Euren
Platten geſehn hatte. Denn man verliert
gar zu leicht den erſten Gedanken aus den
Augen, der doch ſehr oft der allerwahrſte
und beſte iſt; nun putzt man am Bilde her¬
um, und über lang oder kurz wird es ein
Ding, das einen mit ganz fremden Augen
anſieht, und ſich auf dem Papiere oder der
Leinwand ſelber nicht zu finden weiß. Da
ſeid Ihr glücklicher und beſſer daran daß
Euch die Erfindung immer zu Gebote ſteht;
denn ſo iſt es Euch faſt unmöglich in einen
ſolchen Fehler zu fallen. — Wie macht Ihr
es aber, Albrecht, daß Ihr ſo viele Gedan¬
ken, ſo viele Erfindungen in Eurem Kopfe
habt?
Ihr irrt Euch an mir, ſagte Albrecht,
wenn Ihr mich für ſo erfindungsreich haltet.
Nur wenige meiner Bilder ſind aus dem
bloßen Vorſatz enſtanden, ſondern es war
immer eine zufällige Gelegenheit die ſie ver¬
anlaßte. Wenn ich irgend ein Gemählde
loben höre, oder eine der heiligen Geſchich¬
ten wieder erzählen höre, ſo regt ſich's dann
plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Ge¬
lüſt empfinde, gerade das und nichts anders
darzuſtellen. Das eigentliche Erfinden iſt
gewiß ſehr ſelten, es iſt eine eigne und
wunderbare Gabe, etwas bis dahin Uner¬
hörtes hervorzubringen. Was uns erfunden
ſcheint, iſt gewöhnlich nur aus älteren ſchon
vorhandenen Dingen zuſammengeſetzt, und
dadurch wird es gewiſſermaßen neu; ja der
eigentliche erſte Erfinder ſetzt ſeine Geſchich¬
te oder ſein Gemählde doch auch nur zu¬
ſammen, indem er theils ſeine Erfahrungen,
theils was ihm dabei eingefallen, oder was
er ſich erinnert; geleſen, oder gehört hat,
nur in Eins faßt.
Ihr habt ſehr Recht, ſagte Lukas, et¬
was im eigentlichſten Verſtande aus der
Luft zu greifen wäre gewiß das Seltſamſte
das dem Menſchen begegnen könnte. Es
wäre eine ganz neue Art von Verrückung,
denn ſelbſt der Wahnſinnige erfindet ſeine
Fieberträume nicht. Die Natur iſt alſo die
einzige Erfinderinn, ſie leiht allen Künſten
von ihrem großen Schatz; wir ahmen im¬
mer nur die Natur nach, unſre Begeiſte¬
rung, unſer Erſinnen, unſer Trachten nach
dem Neuen und Vortreflichen, iſt nur wie
das Achtgeben eines Säuglings, der keine
Bewegung ſeiner Mutter aus den Augen
läßt. — Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, wel¬
chen Schluß man aus dieſer Bemerkung
ziehn könnte? daß es alſo in den Sachen
ſelbſt, die der Poet oder Mahler, oder irgend
ein Künſtler darſtellen wollte, durchaus nichts
Unnatürliches geben könne, denn indem ich
als Menſch auf den allertollſten Gedanken
verfalle, iſt er doch ſchon natürlich, und der
Darſtellung und Mittheilung fähig. Von
dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen ſind
wir durch eine hohe Mauer geſchieden,
über die kein Blick von uns dringen
kann. Wo wir alſo in irgend einem
Künſtlerwerk Unnatürlichkeiten, Albern¬
heit oder Unſinn, wahrzunehmen glauben,
die unſre geſunde Vernunft und unſer
Gefühl empören, ſo müßte das im¬
mer nur daher rühren, daß die Sachen auf
eine ungehörige und unvernünftige Art zu¬
ſammengeſetzt wären, daß Theile darunter
gemengt ſind, die nicht hineingehören, und die
übrigen ſo verbunden wie es nicht ſeyn
ſollte. So müßte alſo ein höherer Geiſt,
als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht
hatte, aus allem Möglichen etwas Vortref¬
liches und Würdiges hervorbilden können.
Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und
wollte eben das Geſpräch fortſetzen, als Lu¬
kas Frau ausrief: Aber lieben Leute, hört
endlich mit Euren gelehrten Geſprächen auf,
von denen wir Weiber hier kein Wort
verſtehn. Wir ſitzen hier ſo ernſthaft wie
in der Kirche, verſpart alle Eure Wiſſen¬
ſchaften bis das Mittagseſſen vorüber iſt.—
Sie ſchenkte hierauf einem jeden ein großes
Glas Wein ein, und erkundigte ſich bei Dü¬
rer, was er auf der Reiſe Neues geſehn
und gehört habe. Albrecht erzählte, und
Franz Sternbald ſaß in tiefen Gedanken.
In
In den lezten Worten des Lukas ſchien ihm
der Schlüſſel, die Auflöſung zu allen ſeinen
Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Ge¬
danken nicht deutlich faſſen; er hatte von
ſeinem Lehrmeiſter noch nie eine ähnliche
Äuſſerung über die Kunſt gehört, ſie auch
in keinem ſeiner Bücher angetroffen; es
ſchien ihm ſogar, als wenn Dürer auf die¬
ſen Gedanken nicht ſo viel gebe als er
werth ſey, daß er die Folgen nicht ſo be¬
merke, die alle in ihm lägen. Er konnte
auf das jetzige Geſpräch nicht Acht geben,
vorzüglich da die Niederländerinn anfing
ſich nach allen Nürnbergiſchen Trachten der
verſchiedenen Stände zu erkundigen, und
den Anzug der Dürerſchen Hausfrau vom
Kopfe bis zu den Füßen muſterte.
Plötzlich ſprang Lukas mit ſeiner Behen¬
digkeit vom Tiſche auf, fiel ſeiner Frau um
den Hals, und rief aus: Mein liebſtes Kind,
P
Du mußt es mir jetzt doch ſchon vergönnen,
daß ich mit Meiſter Albrecht wieder etwas
über die Mahlereikunſt anfange, denn mir
iſt da eine Frage eingefallen. Es wäre ja
Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem
Hauſe hätte, und nicht alles vom Herzen
los ſprechen ſollte.
Meinetwegen magſt Du es halten wie
Du willſt, antwortete ſie; aber was wird
die Nürnbergiſche Frau dazu ſagen?
Ich bin es ſchon ſo gewohnt, ſagte Dü¬
rers Frau, dergleichen ſind bei Tiſche ſeine
gewöhnlichen Geſpräche. Mein Mann iſt
immer der letzte, der etwas von den Neuig¬
keiten der Stadt erfährt, und wenn er mir
zuweilen etwas erzählen ſoll, weiß er nichts,
es müßte ſich denn etwa wieder mit Martin
Luther etwas zugetragen haben.
Daß wir den Mann vergeſſen konnten!
rief Dürer aus, indem er ſein volles Glas
in die Höhe hob: Er ſoll leben! noch lange
ſoll der große Doktor Martin Luther leben!
der Kirche, und uns allen zu Heil und
Frommen!
Lukas ſtieß an und lächelte. Es iſt zwar
eine ketzeriſche Geſundheit, ſagte er, aber
Euch zu Gefallen will ich ſie doch trinken.
Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trüb¬
ſale zu überſtehen haben, ehe die neue Leh¬
re durchdringen kann.
Albrecht antwortete: Wann wir im
Schweiß unſers Angeſichts unſer Brod eſſen
müſſen, ſo verlohnt es ja wohl die Wahr
heit, wenn wir Qual und Trübſal ihret¬
wegen aushalten.
Nun das ſind alles Meinungen, ant¬
wortete Lukas, die eigentlichen vor den
Theologen und Doktor gehören, ich verſtehe
davon nichts. — Ich wollte vorher, Meiſter
Albrecht, eine andre Frage an Euch thun. —
P 2
Es hat mir immer ſehr an Euren Bildern
gefallen, daß Ihr manchmal die neuern
Trachten auch in alten Geſchichten abkopirt,
oder daß Ihr Euch ganze neue wunderliche
Kleidungen erſinnt. Ich habe es ebenfalls
nachgeahmt, weil es mir ſehr artlich dünkte.
Albrecht antwortete: Ich habe derglei¬
chen immer mit überlegtem Vorſatze gethan,
weil mir dieſer Weg kürzer und beſſer ſchien,
als die antikiſchen Trachten eines jeden Lan¬
des und eines jeden Zeitalters zu ſtudiren.
Ich will ja den, der meine Bilder anſieht,
nicht mit längſtvergeſſenen Kleidungsſtücken
bekannt machen, ſondern er ſoll die darge¬
ſtellte Geſchichte empfinden; die Bekleidung
iſt gleichſam nur ein nothwendiges Übel.
Ich rücke alſo die bibliſche oder heidniſche
Geſchichte manchmal meinen Zuſchauern da¬
durch recht dicht vor die Augen, daß ich die
Figuren in den Gewändern auftreten laſſe¬
in denen ſie ſich ſelber wahrnehmen. Da¬
durch verliert ein Gegenſtand das Fremde,
beſonders da unſre Tracht, wenn man ſie
gehörig auswählt, auch mahleriſch iſt. Und
denken wir denn wohl an die alte Klei¬
dungsart, wenn wir eine Geſchichte leſen,
die uns rührt und entzückt? Würden wir
es nicht gerne ſehen, wenn Chriſtus unter
uns wandelte, ganz wie wir ſelber ſind?
Man darf alſo die Menſchen nur nicht an
das ſogenannte Koſtum erinnern, ſo vergeſ¬
ſen ſie es gerne. Die Darſtellung der alten
Gewänder wird überdies in unſern Gemähl¬
den leicht todt und fremd, denn der Künſt¬
ler mag ſich gebehrden wie er will, die
Tracht ſetzt ihn in Verlegenheit, er ſieht
Niemand ſo gehen, er iſt nicht in der ܬ
bung dieſe Falten und Maſſen zu werfen,
ſein Auge kann nicht mitarbeiten, die Ima¬
gination muß alles thun, die ſich dabei doch
nicht ſonderlich intereſſirt. Ein Modell auf
dem man die Gewänder ausſpannt, wird
nimmermehr das thun, was dem Künſtler
die Wirklichkeit leiſtet. Auſſerdem ſcheint es
mir gut, wie ich auch immer geſucht habe,
die Tracht der Menſchen phyſiognomiſch zu
brauchen, ſo daß ſie den Ausdruck und die
Bedeutung der Figuren erhöht. Daher ma¬
che ich oft aus meiner Einbildung Gewand
und Kleidung, die vielleicht niemals getra¬
gen ſind. Ich muß geſtehen, ich ſetze gern
einem wilden böſen Kerl eine Mütze von
ſeltſamer Form auf's Haupt, und gebe ihm
ſonſt im Auſſern noch ein Abzeichen; denn
unſer höchſter Zweck iſt ja doch, daß die Fi¬
guren mit Hand und Fuß und dem ganzen
Körper ſprechen ſollen.
Ich bin darinn völlig Eurer Meinung,
ſagte Lukas Ihr werdet gefunden haben,
daß ich dieſe Sitte auch von Euch ange¬
nommen habe; nur habt Ihr vielleicht mehr
als ich darüber nachgedacht. Auch in manchen
Sachen die ich von Raphael Sanzius ge¬
ſehn habe, habe ich etwas Ähnliches be¬
merkt.
Wozu, rief Albrecht aus, die gelehr¬
te Umſtändlichkeit, das genaue Studium
jener alten vergeſſenen Tracht, die doch
immer nur Nebenſache bleiben kann und
muß? Wahrlich, ich habe einen zu großen
Reſpekt vor der Mahlerey ſelbſt, um auf
derley Erkundigungen großen Fleiß und
viel Zeit zu verwenden, vollends, da wir es
doch nie recht akkurat erreichen mögen.
Trinkt, trinkt, ſagte Lukas, indem er
die leeren Gläſer wieder füllte, und ſagt
mir dann wie's kömmt, daß Ihr Euch mit
ſo gar mancherlei Dingen abgebt, von de¬
nen man glauben ſollte, daß manche Eures
hohen Sinnes unwürdig ſind. Warum
wendet Ihr ſo viele Mühſeeligkeiten, Geſchich¬
ten fein und zierlich in Holz zu ſchneiden,
und dergleichen?
Ich weiß es ſelbſt nicht recht, wie's zu¬
geht, antwortete ihm Albrecht. Seht, Freund
Lukas, der Menſch iſt ein wunderliches We¬
ſen; wenn ich darüber zuweilen gedacht ha¬
be, ſo iſt mir immer zu Sinne geweſen, als
wenn der wunderbarliche Menſchengeiſt aus
dem Menſchen herausſtrebte, und ſich auf
tauſend mannichfaltigen Wegen offenbaren
wollte. Da ſucht er nun herum, und trift
beim Dichter nur die Sprache, beim Spiel¬
mann eine Anzahl Inſtrumente mit ihren
Saiten, und beim Künſtler die fünf Finger
und Farben an. Er probiert nun wie es
gelingt, wenn er mit dieſen unbeholfenen
Werkzeugen zu handthieren anfängt, und
keinmal iſt es ihm recht, und doch hat er
immer wieder nichts Beſſeres. Mir hat der
Himmel ein gelaſſenes Blut geſchenkt, und
darum werde ich niemals ungeduldig. Ich
fange immer wieder etwas Neues an, und
kehre immer wieder zum Alten zurück. Wenn
ich etwas Großes mahle, ſo befällt mich ge¬
wöhnlich nachher das Gelüſt, etwas recht
Kleines und Zierliches in Holz zu ſchnitzeln,
und ich kann nachher Tagelang ſitzen, um
die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern.
Eben ſo geht es mir mit meinen Kupferſti¬
chen. Je mehr Mühe ich darauf verwende,
je lieber ſind ſie mir. Dann ſuche ich wie¬
der freyer und ſchneller zu arbeiten, und ſo
wechſele ich in allerhand Manieren ab, und
jede bleibt mir etwas Neues. Die Liebe
zum Fleiß und zur Mühſeligkeit ſcheint
mir überdies etwas zu ſeyn, was uns
Deutſchen angebohren iſt; es iſt gleichſam
unſer Element, in dem wir uns immer wohl¬
befinden. Alle Kunſtwerke die Nürnberg
aufzuweiſen hat, tragen die Spuren an ſich,
daß ſie der Meiſter mit ſonderbarer Liebe
zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig
vernachläßigte, und gering ſchätzte; und ich
mag daſſelbe wohl von dem übrigen
Deutſchlande und auch von den Niederlan¬
den ſagen.
Aber warum, ſagte Lukas, habt Ihr
nun Eurem Schüler Sternbald da nicht
abgerathen nach Italien zu gehn, da er
doch gewiß bei Euch ſeine Kunſt ſo hoch
bringen kann als es ihm nur möglich iſt?
Franz war begierig was Dürer antwor¬
ten würde. Dieſer ſagte: eben weil ich an
dem zweiflle was Ihr da behauptet, Meiſter
Lukas. Ich weiß es wohl, daß ich in mei¬
ner Wiſſenſchaft nicht der Letzte bin; aber
es würde thöricht ſeyn, wenn ich dafür hal¬
ten wollte, daß ich alles geleiſtet und ent¬
deckt hätte, was man in der Kunſt vollbrin¬
gen kann. Glaubt Ihr nicht, daß es den
künftigen Zeiten möglich ſeyn wird Sachen
darzuſtellen, und Geſchichten und Empfin¬
dungen auszudrücken, auf eine Art von der
wir jetzt nicht einmahl eine Vorſtellung ha¬
ben?
Lukas ſchüttelte zweifelhaft mit dem
Kopfe.
Ich bin ſogar davon überzeugt, fuhr
Albrecht fort, denn jeder Menſch leiſtet doch
nur das was er vermag; eben ſo iſt es auch
mit dem ganzen Zeitalter. Erinnert Euch
nur deſſen, was wir vorher über die Erfin¬
dung geſprochen haben. Dem alten Wohl¬
gemuth würde das Ketzerei geſchienen ha¬
ben was ich jetzt mahle ſo würde Euer
Lehrer Engelbrecht ſchwerlich wohl auf die
Erfindungen und die Manieren verfallen
ſeyn, die Euch ſo geläufig ſind. Warum
ſollen unſre Schüler nun uns nicht wieder
übertreffen?
Was hätten wir aber dann mit unſere
Arbeit gewonnen? rief Lukas aus.
Daß ſie ihre Zeit ausfüllt, ſagte Dürer
gelaſſen, und daß wir ſie gemacht haben.
Weiter wird es niemals einer bringen. Je¬
des gute Bild ſteht da an ſeinem eigenen
Platze, und kann eigentlich nicht entbehrt
werden, wenn auch viele andre in andern
Rückſichten beſſer ſind, wenn ſie auch Sa¬
chen ausdrücken, die man auf jenem Bilde
nicht antrifft. Ich habe mich immer darinn
gefunden, daß vielleicht mancher zukünftige
Mahler von meinen Gemählden verächtlich
ſprechen mag, daß man meinen Fleiß, und
und wohl auch mein Gutes daran verkennt.
Viele machen es ſchon jetzt mit denen Mei¬
ſtern nicht beſſer, die vor uns geweſen ſind,
ſie ſprechen von ihren Fehlern die jedem in
die Augen fallen, und ſehn ihr Gutes nicht,
ja es iſt ihnen unmöglich das Gute daran
zu ſehn. Aber auch dieſes Schlimme rührt
bloß vom beſſern Zuſtande unſrer Kunſt her,
und darum müſſen wir uns darüber nicht
erzürnen. Und alſo ſehe ich es im Gegen¬
theil gerne, daß mein lieber Franz Stern¬
bald Italien beſucht, und alle ſeine denk¬
würdigen Kunſtſachen recht genau betrach¬
tet, eben weil ich viel Anlage zur Mahle¬
rei bei ihm bemerkt habe. Aus wem ein
guter Mahler werden ſoll, der wird es ge¬
wiß, er mag in Deutſchland bleiben oder
nicht. Aber ich glaube, daß es Kunſtgeiſter
giebt, denen der Anblick des Mannichfaltigen
ungemein zu Statten kömmt, in denen im¬
mer neue Bildungen entſtehn, wenn ſie das
Neue ſehn, die eben dadurch vielleicht ganz
andre Wege auffinden, die wir noch nicht
betreten haben, und ich glaube faſt, daß
Sternbald zu dieſen gehört. Laßt ihn alſo
immer reiſen, denn ſo viel älter ich bin,
wirkt doch jede Veränderung, jede Neuheit
noch immer auf mich. Glaubt nur, daß ich
ſelbſt auf dieſer Reiſe zu Euch noch viel
für meine Kunſt gelernt habe. Wenn Franz
auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt, und
durch ſein Lernen in der eigentlichen Arbeit
geſtört wird, und ich glaube wohl, daß
ſein ſanftes Gemüth dem ausgeſetzt iſt; ſo
wird er doch gewiß dergleichen überleben,
und nachher aus dieſem Zeitpunkte einen de.
ſto größern Nutzen ziehn. — Ich bin über
das Dorf gereiſet, mein lieber Franz, in
dem Du Dich aufgehalten haſt, und ich
muß Dir ſagen, daß ich eine rechte Freude
empfunden habe. Du haſt in der Kirche
dort ein Blatt aufgeſtellt, wozu ich Dir
wirklich nicht die Kräfte zugetrauet hatte,
und mich dünkt, es beweiſet eben, daß Du
einen neuen Weg einſchlagen wirſt. Ich
kann Euch, Meiſter Lukas, das Gemählde
unmöglich beſchreiben; es iſt die Verkündi¬
gung des Heilandes, die den Hirten auf
dem Felde geſchieht. Franz hat darin zwei
wunderbaren Erleuchtungen angebracht, die
das Bild ſehr rührend machen, und worauf
ich noch niemals gefallen bin. Alles iſt zier¬
lich und lieblich, und verdrängt doch die
Sache nicht, die dargeſtellt werden ſollte.
Ich habe mich an dem Bilde recht ergötzt,
und ich kann ſagen, daß ich in der That
etwas davon gelernt habe. Nur war der
Hirt, der der untergegangenen Sonne nach¬
ſieht, falſch gezeichnet, er iſt zu klein gegen
die Figuren die hinter ihm ſind. Aber das
Bild erweckt heilige und andächtige Empfin¬
dungen, und ich habe mich recht glücklich
geſchätzt, daß Franz mein Schüler iſt.
So große Worte waren über den armen
Franz noch niemals ausgeſprochen, und es
ſchien ihm auch als wenn er ſie gar nicht
verdiente, darum wurde er ſchamroth; aber
innerlich war er ſo erfreut, ſo überglücklich,
daß ſich gleichſam alle geiſtigen Kräfte in
ihm auf einmahl bewegten, und nach Thä¬
tigkeit riefen. Er empfand die Fülle in ſei¬
nem Buſen, und ward von den mannichfal¬
tigſten Gedanken übermeiſtert.
Lukas, nachdem er eine Weile geſchwie¬
gen hatte, brach eine neue Weinflaſche an,
und ging ſelber mit luſtigen Gebehrden um
den Tiſch herum, um allen einzuſchenken.
Fröhlich rief er aus: laßt uns munter ſeyn,
ſo lange dies irrdiſche Leben dauert, wir
wiſſen ja ſo nicht wie lange es währt!
Albrecht trank und lachte. Ihr habt
ein leichtes Gemüth, Meiſter, ſagte er ſcher¬
zend, Euch wird der Gram niemals etwas
anhaben können.
Wahrlich nicht! ſagte Lukas, ſo lange
ich meine Geſundheit und mein Leben fühle,
will
will guter Dinge ſeyn, mag es hernach wer¬
den wie es will. Mein Weib, Eſſen und
Trinken, und meine Arbeit, ſeht, das ſind die
Dinge die mich beſtändig vergnügen werden,
und nach etwas Höherem ſtrebe ich gar nicht.
Doch, ſagte Meiſter Albrecht ernſthaft,
die geläuterte wahre Religion, der Glaube
an Gott und Seligkeit.
Davon ſpreche ich bei Tiſche niemals,
ſagte Lukas. — Aber ſo ſeid Ihr ein größerer
Ketzer als ich. — Mag ſeyn, rief Lukas, aber
laßt die Dinge fahren, von denen wir ohne
hin ſo wenig wiſſen können. Oft mag ich
gern arbeiten, wenn ich ſo recht fröhlich
geweſen bin. Wenn der Wein noch in den
Adern und im Kopfe lebendig iſt, ſo gelingt
der Hand oft ein kühner Zug, eine wilde
Gebehrde weit beſſer, als in der nüchternen
Überlegung. Ihr erlaubt mir wohl, daß ich
nach Tiſche eine kleine Zeichnung entwerfe,
Q
die ich ſchon ſeit lange habe ausarbeiten wol¬
len; nehmlich den Saul, wie er ſeinen Spieß
nach David wirft. Mich dünkt, ich ſehe
den wilden Menſchen jezt ganz deutlich vor
mir, den erſchrocknen und doch muthigen
David, die Umſtehenden und alles.
Wenn Ihr wollt, ſagte Dürer, ſo mögt
Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehn, da
Ihr den kühnen Entſchluß einmahl gefaßt
habt. Mir vergönnt im Gegentheil einen
kleinen Schlaf, denn ich bin noch müde von
der Reiſe.
Jezt ward der Tiſch aufgehoben. Lukas
führte den Albert zu einem Ruhebette; die
beiden Frauen gingen in ein anderes Zim¬
mer, um ſich nun in Ruhe allerhand zu er¬
zählen, er ſelbſt begab ſich nach ſeiner
Werkſtätte. Franz eilte mit Sebaſtians
Briefe hinunter in einen kleinen Garten, der
dem Meiſter Lukas zugehörte.
Alle Geſträuche und Gewächſe ſtanden
hier in der ſchönſten Ordnung; einige hatte
der Herbſt ſchon entblättert, andre waren noch
friſch grün, als wären ſie eben aufgebro¬
chen. Die Gänge waren ſehr reinlich gehal¬
ten, die ſpäten Herbſtblumen ſtanden im
ſchönſten Flore. Franzens Gemüth war völ¬
lig erheitert, er fühlte eine holdſelige Ge¬
genwart um ſich ſcherzen, und die Zukunft
ſah ihn mit freundlichen Gebehrden an.
Er öffnete den Brief und las:
Trauter Bruder.
Wie weh thut es mir, daß ich unſern Dü¬
rer nicht habe begleiten können, um Dich in
den Niederlanden vielleicht noch anzutreffen.
Meine Krankheit iſt nicht gefährlich, aber
doch hält ſie mich von dieſer Reiſe ab.
Meine Sehnſucht nach Dir wird auf mei¬
nem einſamen Lager in jeder Stunde leben¬
Q 2
diger; ich weiß nicht, ob Du an mich mit
denſelben Empfindungen denkſt. Wann die
Blumen des Frühlings wiederkommen, biſt
Du noch weiter von mir entfernt, und da¬
bei weiß ich nicht einmahl zuverläſſig, ob
ich Dich auch wiederſehe. Wie mühevoll
und wie leer iſt unſer menſchliches Leben! ich
leſe jetzt Deine Briefe zu wiederholten mah¬
len, und mich dünkt, als wenn ich ſie nun
beſſer verſtände; wenigſtens bin ich jetzt noch
mehr Deiner Meinung. Ich kann nicht
mahlen, und darum leſe ich auch wohl jetzt
in Büchern fleißiger als ich ſonſt that, und
ich lerne manches Neue, und Manches das
ich ſchon wußte, erſcheint mir wieder neu.
Übel iſt es, daß es dem Menſchen oft ſo
ſchwer ankömmt, ſelbſt das Einfältigſte
recht ordentlich zu verſtehn, wie es gemeint
ſeyn muß, denn ſeine jedesmahlige Lebens¬
art, ſeine augenblicklichen Gedanken hindern
ihn daran; wo er dieſe nicht wiederfindet,
da dünkt ihm nichts recht zu ſeyn. Ich
mögte Dich jetzt mündlich ſprechen, um
recht viel von Dir zu hören, um Dir
recht viel zu ſagen; denn je länger Du fort
biſt, je mehr empfinde ich Deine Abweſen¬
heit, und daß ich mit Niemand, ſelbſt mit
Dürer nicht das reden kann, was ich mit
Dir gern ſprechen möchte.
Die Helden des Römiſchen Alterthums
wandeln jetzt mit ihrer Größe durch mein
Gemüth; ſo wie ich geneſe, will ich den
Verſuch anſtellen, aus ihren Geſchichten et¬
was zu mahlen. Ich kann es Dir nicht be¬
ſchreiben, wie ſich ſeit einiger Zeit das Hel¬
denalter ſo lebendig vor mir regt; bis dahin
ſah ich die Geſchichte als eine Sache an,
die nur unſre Neugier angehe, aber es hat
ſich mir darinn eine ganz andre Welt ent¬
wickelt. Vorzüglich gern möchte ich aus Cä¬
ſars Geſchichte etwas bilden, man nennt
dieſen Mann ſo oft, und nie mit der Ehr¬
furcht die er verdient. Wenn er auf dem
Nachen ausruft: Du trägſt den Cäſar und
ſein Glück! oder ſinnend am Rubikon ſteht,
und nun noch einmahl kurz ſein Vorhaben
erwägt, wenn er denn fortſchreitet, und die
bedeutenden Worte ſagt: der Würfel iſt
geworfen! dann bewegt ſich mein ganzes
Herz vor Entzücken, alle meine Gedanken
verſammeln ſich um dem einen großen
Mann, und ich möchte ihn auf alle Weiſe
verherrlichen. Am liebſten ſehe ich ihn vor
mir, wenn er durch die kleine Stadt in den
Alpen zieht, ſein Geſellſchafter ihn fragt:
ob denn hier auch wohl Neid und Verfol¬
gung und Plane zu Hauſe wären, und er
mit ſeiner höchſten Größe die tiefſinnigen
Worte ſagt: Glaube mir, ich möchte lieber
hier der Erſte, als in Rom der Zweyte
ſeyn.
Dies iſt nicht bloßer Ehrgeiz, oder wenn
man es ſo nennen will, ſo iſt es das Erha¬
benſte, wozu ſich der Menſch empor ſchwin¬
gen kann. Denn freilich, war Rom, das
damals die ganze Welt beherrſchte, im
Grunde etwas anders, als jene kleine un¬
bedeutende Stadt? Der höchſte Ruhm, die
größte Verehrung des Helden, auch wenn
ihm der ganze Erdkreis huldigt, was iſt es
denn nun mehr? Wird er niemals wieder
vergeſſen? iſt vor ihm nicht etwas Ähnliches
da geweſen? Es liegt eine große Seele in
Cäſars Worten, die hier ſo kühn das an¬
ſcheinend Höchſte, mit dem ſcheinbar Nie¬
drigſten zuſammenſtellt. Es iſt ein ſolcher
Ehrgeiz, der dieſen Ehrgeiz wieder als et¬
was Gemeines und Verächtliches empfindet,
der ſein großes Leben das er führt, nicht
höher anſchlägt, als daß des unbedeuten¬
den Bürgers, der das ganze Leben gleichſam
nur ſo mitmacht, weil es eine herge¬
brachte Gewohnheit iſt, und der nun in
der Fülle ſeiner Herrlichkeit, gleichſam als Zu¬
gabe, als einen angeworfenen Zierath, ſeinen
Ruhm, ſeine glorwürdigen Thaten, ſein erhabe¬
nes Streben hineinlegt. Wo die Wünſche der
übrigen Menſchen über ihre eigne Kühnheit
erſtaunen, da ſieht er noch Alltäglichkeit
und Beſchränktheit; wo andre ſich vor
Wonne und Entzücken nicht mehr faſſen
können, iſt er kaltblütig, und nimmt mit
zurückhaltender Verachtung an, was ſich ihm
aufdrängt.
Mir fallen dieſe Gedanken bei, weil
viele jezt von den wahrhaft großen Män¬
nern mit engherziger Kleinmüthigkeit ſpre¬
chen, weil ſich dieſe es einkommen laſſen,
Rieſen und Koloſſe auf einer Goldwage ab¬
zuwägen. Eben dieſe können es auch nicht
begreifen, warum ein Sylla in ſeinem
höchſten Glanze das Regiment plötzlich nie¬
derlegt, und wieder Privatmann wird, und
ſo ſtirbt. Sie können es ſich nicht vorſtellen,
daß der menſchliche Geiſt, der hohe nehmlich,
ſich endlich an allen Freuden dieſer Welt er¬
ſättige, und nichts mehr ſuche, nichts mehr
wünſche. Ihnen genügt ſchon das bloße Da¬
ſeyn, und jeder Wunſch zerſpaltet ſich in
tauſend kleine; ſie würden ohne Stolz, in
ſchlechter Eitelkeit Jahrhunderte durchleben
und immer weiter träumen, und keinen Le¬
benslauf hinter ſich laſſen.
Jezt iſt es mir ſehr deutlich, warum Ca¬
to und Brutus gerne ſtarben; ihr Geiſt hat¬
te den Glanz verlöſchen ſehn, der ſie an
dieſes Leben feſſelte. — Ich leſe viel, wie
Du mich ſonſt oft dazu ermahnteſt, in der
heiligen Schrift, und je mehr ich darinn le¬
ſe, je theurer wird mir alles darinn. Unbe¬
ſchreiblich hat mich der Prediger Salomo
erquickt, der alle dieſe Gedanken meiner Seele
ſo einfältig und ſo erhaben ausdrückt; der die
Eitelkeit des ganzen menſchlichen Treibens
durchſchaut hat; der alles erlebt hat, und
in Allem das Vergängliche, das Nichtige
entdeckt, daß nichts unſerm Herzen genüget,
und daß alles Streben nach Ruhm, nach
Größe und Weisheit, Eitelkeit ſey; der im¬
mer wieder damit ſchließt: Darum ſage ich,
daß nichts beſſer ſey, denn daß ein Menſch
fröhlich ſey in ſeiner Arbeit, denn das iſt
ſein Theil.
Was hat der Menſch von aller ſeiner
Mühe die er hat unter der Sonnen? Ein
Geſchlecht vergehet, das andre kömmt, die
Erde aber bleibt ewiglich. Die Sonne ge¬
het auf und gehet unter, und läuft an ih¬
ren Ort, daß ſie daſelbſt wieder aufgehe.
Der Wind gehet gegen Mittag, und kömmt
herum zu Mitternacht, und wieder herum
an den Ort da er anfing. Alle Waſſer lau¬
fen ins Meer, noch wird das Meer nicht
völler; an den Ort wo ſie herfließen, flie¬
ßen ſie wieder hin. Es iſt alles Thun ſo
voll Mühe, daß Niemand ausreden kann.
Das Auge ſiehet ſich nimmer ſatt, und das
Ohr höret ſich nimmer ſatt. Was iſt's das
geſchehen iſt? Eben das hernach geſchehen
wird. Was iſt's, das man gethan hat?
Eben das man hernach wieder thun wird,
und geſchicht nichts Neues unter der Son¬
nen. —
Und nachher ſagt er: Iſt's nun nicht
beſſer dem Menſchen, eſſen und trinken,
und ſeine Seele guter Dinge ſeyn in ſeiner
Arbeit?
Wie es dem Guten gehet, ſo geht's
auch dem Sünder. Das iſt ein böſes Ding,
unter allem, das unter der Sonnen geſchicht,
daß es einem geht wie dem andern, daher
auch das Herz des Menſchen voll Arges
wird, und Thorheit in ihrem Herzen, die¬
weil ſie leben, darnach müſſen ſie ſterben. —
Denn die Lebendigen wiſſen daß ſie ſterben
werden, aber die Todten wiſſen nichts, ſie
verdienen auch nichts mehr, denn ihr Ge¬
dächtniß iſt vergeſſen; daß man ſie nicht
mehr liebet, noch haſſet, noch neidet, und
haben kein Theil mehr auf der Welt, in al¬
lem was unter der Sonnen geſchicht. So
gehe hin, und iß Dein Brod mit Freuden,
trink Deinen Wein mit gutem Muth, denn
Dein Werk gefällt Gott. Laß Deine Klei¬
der immer weiß ſeyn, und Deinem Haupte
Salbe nicht mangeln. Brauche des Lebens
mit deinem Weibe das du lieb haſt, ſo
lange du das eitel Leben haſt, das dir
Gott unter der Sonnen gegeben hat, ſo
lange dein eitel Leben währet, denn das iſt
dein Theil im Leben, und in deiner Arbeit,
die du thuſt unter der Sonnen. Alles was
dir vorhanden kommt zu thun, das thue
friſch, denn in dem Tode, da Du hinfährſt,
iſt weder Werk, Kunſt, Vernunft noch
Weisheit.« —
Liebſter Franz, ich habe viel daraus ge¬
lernt, höher bringt es der Menſch gewiß
niemals, dies iſt die Weisheit.
Ich habe einen Nürnberger Hans
Sachs kennen gelernt; einen wackern
Mann und ſchönen Dichter, er hat ſich auf
die Kunſt der Meiſterſänger gelegt, und es
weit darinn gebracht, dabei iſt er ein gro¬
ßer Freund der Reformation, er hat viel
herrlicher Gedichte darüber abgefaßt. Er
iſt Bürger und Schumacher allhier.
Lebe wohl, und gieb mir bald Nachrich¬
ten von Dir; Deine Briefe können mir nie¬
mals zu weitläuftig ſeyn. —
Sebaſtian.
Dieſer Brief ſetzte Franzen in ein tiefes
Nachſinnen, er wollte ſeinem Gemüthe nicht
recht eindringen, und er fühlte faſt et¬
was Fremdartiges in der Schreibart, das
ſich ſeinem Geiſte wiederſetzte. Es quälte
ihn, daß alles Neue mit einem zu gewalt¬
ſamen Eindrucke auf ſeine Seele fiel, und
ihr dadurch die freie Bewegung raubte.
So lag ihm wieder die Geſinnung und das
Betragen des Meiſter Lukas in den Gedan¬
ken, manches in Sebaſtians Briefe ſchien
ihm damit übereinzuſtimmen, und in ſolchen
Augenblicken des Gefühls kam er ſich oft
in der Welt ganz einſam vor.
Wunderlich ſeltſam iſt das Leben der
Jugend, die ſich ſelbſt nicht kennt. Sie
verlangt, daß die ganze übrige Welt, wie
ein einziges Inſtrument, mit ihren Empfin¬
dungen eines jeden Tages zuſammenſtimmen
ſoll, ſie mißt ſich mit der fremdartigſten
Natur, und iſt nur zu oft unzufrieden, weil
ſie allenthalben Disharmonie zu hören
glaubt. Sich ſelbſt genug, ſucht ſie doch
auſſenwärts einen freundlichen Wiederhall
der antworten ſoll, und ängſtigt ſich, wenn
er ausbleibt.
Er ging nach einiger Zeit in das Haus
zurück. Dürer war ſchon wieder munter,
und beide ſuchten den Meiſter Lukas in ſei¬
ner Mahlerſtube auf. Er ſaß bei ſeiner
Zeichnung, und war ſchon ziemlich weit da¬
mit gekommen. Franz verwunderte ſich ſehr
über den kunſtreichen Mann, der in ſo kur¬
zer Zeit ſo viel hätte arbeiten können, die
Zeichnung war beinahe fertig, und mit gro¬
ßem Feuer entworfen. Dürer betrachtete ſie
und ſagte; Ihr ſcheint Recht zu haben, Mei¬
ſter Lukas, daß ſich nach einem guten Trun¬
ke beſſer arbeiten läßt, ob ich es gleich noch
nie verſucht habe; denn mir ſteigt der Wein
in den Kopf, und verdunkelt mir die Ge¬
danken.
Man muß ſich nur nicht ſtöhren laſſen,
ſagte Lukas, wenn einem auch anfangs et¬
was wunderlich dabei wird, ſondern dreiſt
fortfahren, ſo findet man ſich bald in die
Arbeit hinein, und alsdann geräth ſie ge¬
wißlich beſſer.
Die drei Künſtler blieben mit den Frauen
auch am Abend zuſammen, und ſie ſezten
ihre Geſpräche fort. Franz war gedrückt
von dem Gedanken, daß er morgen abrei¬
ſe; ob er gleich ſeinen Dürer ganz unvermu¬
theter Weiſe gefunden hatte, ſo ſollte er
ihn doch jetzt eben ſo plötzlich zum zweiten¬
mahle verlaſſen; er ſprach wenig mit, auch
aus dem Grunde, weil er zu beſcheiden
war.
Es war ſpät, der Mond war eben auf¬
gegangen als man ſich trennte. Franz
nahm
nahm von Lukas Abſchied; dann begleitete
er ſeinen Lehrer mit ſeiner Hausfrauen nach
ihrer Herberge. Hier ſagte er auch der
Frau Lebewohl. Dürer ging wieder mit ihm
zurück, ſie durchſtrichen einige Straßen, und
kamen dann auf einen Spaziergang der
Stadt.
Der Mond ſchien ſchräg durch die Bäu¬
me die beinahe ſchon ganz entblättert waren;
ſie ſtanden ſtill, und Franz fiel ſeinem
Meiſter mit Thränen an die Bruſt. Was
iſt Dir? ſagte Dürer, indem er ihn in ſeine
Arme ſchloß. O liebſter, liebſter Albrecht,
ſchluchzte Franz, ich kann mich nicht dar¬
über zufrieden geben, ich kann es nicht
ausſprechen, wie ſehr ich Euch verehre und
liebe. Ich hab' es mir immer gewünſcht
Euch noch einmahl zu ſehn, um es Euch zu
ſagen, aber nun habe ich doch keine Ge¬
walt dazu. O liebſter Meiſter, glaubt es
R
mir nur auf mein Wort, glaubt es meinen
Thränen.
Franz war indem zurückgetreten, und Dü¬
rer gab ihm die Hand, und ſagte: ich glau¬
be es Dir:
Ach! rief Franz aus, was ſeid Ihr doch
für ein ganz anderer Mann als die übrigen
Menſchen! das fühle ich immer mehr, ich
werde keinen Eures Gleichen wieder antref¬
fen. An Euch hängt mein ganzes Herz,
und wie ich Euch vertraue, werde ich keinem
wieder vertrauen.
Dürer lehnte ſich nachdenkend an den
Stamm eines Baumes, ſein Geſicht war
ganz beſchattet. Franz, ſagte er langſam,
Du machſt, daß mir Deine Abweſenheit im¬
mer trauriger ſeyn wird, denn auch ich wer¬
de niemals ſolchen Schüler, ſolchen Freund
wieder antreffen. Denn Du biſt mein Freund;
der einzige, der mich aus recht voller Seele
liebt, der einzige, den ich ganz ſo wieder
lieben kann.
Sagt das nicht, Albrecht, ſagte Franz,
ich vergehe vor Euch.
Dürer fuhr fort: Es iſt nur die Wahr¬
heit, mein Sohn, denn als ſolchen liebe ich
Dich. Meinſt Du, Deine getreue Anhänglich¬
keit von Deiner Kindheit auf habe mein
Herz nicht geruht? O Du weißt nicht, wie
mir an jenem Abend in Nürnberg war, und
wie mir jetzt wieder iſt: wie ich damals den
Abſchied von Dir abkürzte, und es jetzt
gern wieder thäte; aber ich kann nicht.
Er umarmte ihn freiwillig, und Franz
fühlte daß ſein theurer Lehrer weinte. Sein
Herz wollte brechen. Die übrigen Men¬
ſchen, ſagte Dürer, lieben mich nicht wie
Du; es iſt zu viel Irrdiſches in ihren Ge¬
danken. Ich ſtelle mich oft wohl äußerlich
hart, und thue wie die übrigen; aber mein
R 2
Herz weiß nichts davon. Pirkheimer iſt
ein Patrizier, ein reicher Mann, er iſt brav,
aber er ſchätzt mich nur der Kunſt wegen,
und weil ich fleißig und aufgeräumt bin.
Mein Weib kennt mich wenig, und weil ich
ihr im Stillen nachgebe, ſo meint ſie, ſie
mache mir alles recht. Sebaſtian iſt gut,
aber ſein Herz iſt dem meinigen nicht ſo
verwandt als das Deine. Von den übrigen
laß mich gar ſchweigen. Ja wahrlich, Du
biſt mir der Einzige auf der Erde.
Franz ſagte begeiſtert: O was könnte
mir für ein größeres Glück begegnen, als
daß Ihr die Liebe erkennt, die ich ſo innig¬
lich zu Euch trage?
Sei immer wacker, ſagte Dürer, und laß
dein frommes Herz allerwege ſo bleiben, als
es jetzt iſt. Komm dann nach Deutſchland
und Nürnberg zurück, wenn es Dir gut
däucht; ich wüßte mir keine größere Freude,
als künftig immer mit Dir zu leben.
Ich bin eine verlaſſene Waiſe, ohne El¬
tern, ohne Angehörigen, ſagte Franz, Ihr
ſeid mir alles.
Ich wünſche, ſagte Albrecht, daß Du
mich wiederfindeſt, aber ich glaube es nicht;
es iſt etwas in meiner Seele, was mir ſagt,
daß ich es nicht lange mehr treiben werde.
Ich bin in manchen Stunden ſo ernſthaft
und ſo betrübt, daß ich zu ſterben wünſche,
wenn ich auch nachher oft wieder ſcherze
und luſtig ſcheine. Ich weiß auch recht gut,
daß ich zu fleißig bin, und mir dadurch
Schaden thue, daß ich die Kraft der Seele
abſtumpfe, und es gewiß büßen muß; aber
es iſt nicht zu ändern. Ich brauche Dir
liebſter Franz, wohl die Urſache nicht zu ſa¬
gen. Meine Frau iſt gut, aber ſie iſt zu
weltlich geſinnt, ſie quält ſich ewig mit
Sorgen für die Zukunft und mich mit; ſie
glaubt, daß ich niemals genug arbeiten
kann, um nur Geld zu ſammeln, und ich
arbeite um in Ruhe zu ſeyn, oft mit unlu¬
ſtiger Seele; aber die Luſt ſtellt ſich wäh¬
rend der Arbeit ein. Meine Frau empfin¬
det nicht die Wahrheit der himmliſchen Wor¬
te, die Chriſtus ausgeſprochen hat: Sorget
nicht für euer Leben, was ihr eſſen und
trinken werdet, auch nicht für euren Leib,
was Ihr anziehen werdet. Iſt nicht das
Leben mehr denn die Speiſe? Und der Leib
mehr denn die Kleidung? So denn Gott das
Gras auf dem Felde kleidet, das doch heu¬
te ſtehet, und morgen in den Ofen gewor¬
fen wird, ſollt er das nicht vielmehr Euch
thun? O Ihr Kleingläubigen! Darum ſollt
Ihr nicht ſorgen und ſagen: Was werden
wir eſſen? Was werden wir trinken? Wo¬
mit werden wir uns kleiden? — Nun lebe
wohl, mein liebſter Freund; ich will zurück,
und Du ſollſt mich nicht begleiten, denn an
einer Stelle müſſen wir uns ja doch
trennen.
Franz hielt noch immer ſeine Hand. Ich
ſollte Euch nicht wiederſehn? ſagte er, wa¬
rum ſollte ich dann wohl nach Deutſchland
zurückkommen? Nein, Ihr müßt leben, noch
lange, lange, Euch, mir und dem Vater¬
lande!
Wie wir uns trennen müſſen, ſagte Dü¬
rer, ſo muß ich doch irgend einmahl ſterben,
es ſey wenn es ſey. Je früher, je weniger
Lebensmühe; je ſpäter, je mehr Sorgen.
Aber komm bald zurück wenn Du kannſt.
Er ſeegnete hierauf ſeinen jungen Freund,
und betete inbrünſtig zum Himmel. Franz
ſprach in Gedanken ſeine Worte nach, und
war in einer frommen Entzückung; dann
umarmten ſich beide, und Dürer ging wie
ein großer Schatten von ihm weg. Franz
ſah ihm nach, und der Mondſchimmer und
die Bäume dämmerten ungewiß um ihn.
Plözlich ſtand der Schatten ſtill, und beweg¬
te ſich wieder rückwärts. Dürer ſtand neben
Franz, nahm ſeine Hand, und ſagte: Und
wenn Du mir künftig ſchreibſt, ſo nenne
mich in Deinen Briefen Du, und Deinen
Freund, denn Du biſt mein Schüler nicht
mehr. — Mit dieſen Worten ging er nun
wirklich fort, und Franz verlohr ihn gänz¬
lich aus den Augen. Die Nacht war kalt,
die Wächter der Stadt zogen vorüber und
ſangen, die Klocken ſchlugen feierlich. Franz
irrte nach eine Zeitlang umher, dann begab
er ſich nach ſeiner Herberge, aber er konnte
nicht ſchlafen.
Drittes Capitel.
Der Morgen kam. Franz hatte eine Ge¬
ſellſchaft gefunden, die auf dem Kanal mit
einem Schiffe nach Rotterdam fahren woll¬
te, dort wollten ſie ein größers nehmen, um
vollends nach Antwerpen zu kommen.
Es war helles Wetter, als ſie in das
Boot ſtiegen; die Geſellſchaft ſchien bei gu¬
ter Laune. Franz betrachtete ſie nach der
Reihe, und keiner darunter fiel ihm beſon¬
ders auf, außer ein junger Menſch, der ei¬
nige zwanzig Jahre alt zu ſeyn ſchien, und
ungemein ſchön im Geſicht und in ſeinen
Gebährden war. Franz fühlte ſich immer
mehr zu den jüngern als zu den ältern Leuten
hingezogen; er ſprach mit den leztern un¬
gern, weil er nur ſelten in ihre Empfindun¬
gen einſtimmen konnte. Bei alten Leuten
empfand er ſeine Beſchränkung noch quälen¬
der, und er merkte es immer, daß er ihnen
zu lebhaft, zu jugendlich war, daß er ſich
gemeiniglich an Dingen entzückte, die jenen
immer fremd geblieben, und daß ſie doch
zuweilen mit einem gewiſſen Mitleiden, mit
einer tyranniſirenden Duldung auf ihn hin¬
abblickten, als wenn er endlich allen dieſen
Gefühlen und Stürmen vorüberſchiffen mü߬
te, um in ihr ruhiges kaltes Land feſten
Fuß zu faſſen. Vollends demüthigte es ihn
oft, wenn ſie dieſelben Gegenſtände liebten,
die er verehrte; Lob und Tadel, Anpreiſung
und Nachſicht aber mit ſo ſcheinbarer Ge¬
rechtigkeit austheilten, daß von ihrer Liebe
faſt gar nichts übrig blieb. Er dagegen
war gewohnt aus vollem Herzen zu zahlen,
ſeine Liebe nicht zu meſſen und einzuſchrän¬
ken, ſondern es zu dulden, daß ſie ſich in
vollen Strömen durch das gelobte Land der
Kunſt, ſein Land der Verheißung, ergoß; je
mehr er liebte, je wohler ward ihm. — Er
konnte ſein Auge von dem Jünglinge gar
nicht zurückziehn, die luſtigen hellen braunen
Augen und das gelockte Haar, eine freie
Stirn und dazu eine bunte, fremdartige
Tracht machten ihn zum Gegenſtande von
Franzens Neugier.
Das Schiff fuhr fort, und man ſah links
weit in das ebene Land hinein. Die Geſell¬
ſchaft ſchien nachdenkend oder vielleicht mü¬
de, weil ſie alle früh aufgeſtanden waren:
nur der Jüngling ſchaute unbefangen mit
ſeinen großen Augen umher. Ein ältlicher
Mann zog ein Buch hervor, und fing an
zu leſen; doch es währte nicht lange ſo
ſchlummerte er. Die übrigen ſchienen ein
Geſpräch zu wünſchen.
Der Herr Vanſen ſchläft, ſagte der
eine zu ſeinem Nachbar, das Leſen iſt ihm
nicht bekommen.
Er ſchläft nicht ſo, Nachbar, daß er Euch
nicht hören ſollte, ſagte Vanſen, indem
er ſich ermunterte. Ihr ſolltet nur etwas
erzählen, oder ein Iuſtiges Lied ſingen.
Ich bin heiſer, ſagte jener, Ihr wiß't
es ſelber; auch hab' ich eigentlich ſeit Jahr
und Tag das Singen ſchon aufgegeben.
Der fremde Jüngling ſagte: Ich will
mich wohl erbieten ein Lied zu ſingen, wenn
ich nur wüßte, daß die Herren es mit der
Poeſie nicht ſo gar genau nehmen wollten.
Sie verſicherten ihn alle, daß es nicht
geſchehn würde, und jener fuhr fort. Es
iſt auch nur, daß man ſich das bischen
Freude verbittert; alle Lieder die ich gern
ſinge, müſſen ſich hübſch gerade zu und ohne
Umſchweife ausdrücken, auf eine andre Art
gefallen ſie mir nicht. Ich will alſo mit
Eurer Erlaubniß anfangen.
Über Reiſen kein Vergnügen,
Wenn Geſundheit mit uns geht,
Hinter uns die Städte liegen,
Berg und Waldung vor mir ſteht.
Jenſeit, jenſeit, iſt der Himmel heiter,
Treibt mich rege Sehnſucht weiter.
Schau Dich um, und laß die trüben Blicke.
Sieh, da liegt die große weite Welt,
In der Stadt blieb alles Gaun zurücke,
Das den Sinn gefangen hält.
Endlich wieder Himmel, grüne Flur,
Groß und lieblich die Natur
Auch ein Mädchen muß Dich nimmer quälen,
Kömmſt ja doch zu Menſchen wieder hin.
Nirgend wird es Dir an Liebe fehlen,
Iſt dier Lieben ein Gewinn:
Darum laß die trüben Blicke,
Allenthalben blüht Dein Glücke.
Immer munter, Freunde, munter,
Denn mein Mädchen wartet ſchon,
Treibt den Fluß nur raſch hinunter,
Denn mich dünkt‚ mich lockt ihr Ton.
Günſtig ſind uns alle Winde,
Stürme ſchweigen, Lüfte ſäuſeln linde‚
Siehſt Du die Sonne nicht‚
Glänzen im Bach?
Wo Du biſt, ſpielt das Licht
Freundlich Dir nach.
Durch den Wald Funkelſchein,
Sieht in den Quell;
Kuckt in die Fluth hinein,
Macht tauſend Ströme hell.
So auch der Liebe Licht,
Wandelt mit Dir;
Löſchet wohl nimmer nicht,
Iſt dorten bald, bald, hier.
Liebſt Du die Morgenpracht,
Wenn nach der ſchwarzen Nacht
Auf diamantner Bahn,
Die Sonne ihren Weg begann?
Wenn alle Vögel jubeln laut‚
Begrüßen fröhlich des Tages Braut;
Wenn Wolken ſich zu Füßen ſchmiegen,
In Brand und goldnem Feuer fliegen?
Auch wenn die Sonne nun den Wagen lenkt,
Und hinter ihr das Morgenroth erbleicht,
O Freund, wie eilig Tag und Mittag weicht,
Das ſich zum Meer die Göttinn ſenkt!
Und dann funkeln neue Schimmer
Über See und über Land,
Erd' und Himmel, in dem Flimmer
Sich zu einem Glanz verband.
Prächtig mit Rubinen und Sapphiren,
Siehſt Du dann den Abendhimmel prangen,
Goldenes Geſchmeide um ihn hangen,
Edelſteine Hals und Nacken zieren,
Und in holder Gluth die ſchönen Wangen.
Drängt ſich nicht mit leiſem Licht der Chor
Aller Sterne, ihn zu ſehen, vor?
Jubeln nicht die Lerchen ihre Lieder,
Tönt nicht Fels und Meer Geſänge wieder? —
Alſo wenn die erſte Liebe Dir entſchwunden,
Mußt Du weibiſch nicht verzagen,
Sondern dreiſt Dein Glücke wagen,
Bald haſt Du die zweite aufgefunden;
Und kannſt Du im Rauſche dann noch klagen:
Nie empfand ich, was ich vor empfunden?
Nie vergißt der Frühling wiederzukommen,
Wenn Störche ziehn, wenn Schwalben auf der Wie¬
ſe ſind.
Kaum iſt dem Winter die Herrſchaft genommen,
So erwacht und lächelt das goldne Kind.
Dann ſucht er ſein Spielzeug wieder zuſammen,
Das der alte Winter zuſammengeſtört,
Er putzt den Wald mit grünen Flammen,
Der Nachtigall er die Lieder lehrt.
Er rührt den Obſtbaum mit röthlicher Hand,
Er klettert hinauf die Aprikoſenwand,
Wie Schnee die Blüthe ſich unter die Blätter
dringt,
Er ſchüttelt froh das Köpfchen, daß ihm die Arbeit
gt.
Dann
Dann geht er, und ſchläft im waldgen Grund
Und haucht den Athem aus, den ſüßen,
Um ſeinen zarten rothen Mund
Im Graſe Viol' und Erdbeer ſprießen:
Wie röthlich und bläulich lacht
Das Thal, wann er erwacht.
In den verſchloſſnen Garten
Steigt er über's Gitter in Eil,
Mag auf den Schlüſſel nicht warten,
Ihm iſt keine Wand zu ſteil.
Er ränmt den Schnee aus dem Wege,
Er ſchneidet das Buxbaum-Gehege,
Und feiert auch am Abend nicht,
Er ſchaufelt und arbeitet im Mondenlicht.
Dann ruft er: wo ſäumen die Spielkameraden
Daß ſie ſo lange in der Erde bleiben?
Ich habe ſie alle eingeladen,
Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben.
S
Die Lilie kömmt, und reicht ihm die weißen
Fingern,
Die Tulpe ſteht mit dickem Kopfputz da,
Die Roſe tritt beſcheiden nah,
Aurikelchen und alle Blumen, vornehm und geringer.
Der bunte Teppich iſt nun geſtickt,
Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor.
Da danken die Menſchen, Da jauchzet der Vögel
ganzes Chor,
Denn alle fühlen ſich beglückt.
Dann küßt der Frühling die zarten Blumen¬
wangen,
Und ſcheidet und ſagt: ich muß nun gehn.
Da ſterben ſie alle an ſüßem Verlangen,
Daß ſie mit welken Häuptern ſtehn.
Der Frühling ſpricht: vollendet iſt mein Thun,
Ich habe ſchon die Schwalben herbeſtellt,
Sie tragen mich in eine andre Welt,
Ich will in Indiens duftenden Gefilden ruhn.
Ich bin zu klein, das Obſt zu pflücken,
Den Stock der ſchweren Traube zu entkleiden,
Mit der Senſe das goldne Korn zu ſchneiden,
Dazu will ich den Herbſt Euch ſchicken.
Ich liebe das Spielen, bin nur ein Kind
Und nicht zur ernſten Arbeit geſinnt;
Doch wenn Ihr des Winters überdrüßig ſeid,
Dann komm ich zurück zu Eurer Freud.
Die Blumen, die Vögel nehm ich mit mir,
Wenn Ihr erndtet und keltert, was ſollen ſie hier?
Ade, ade, die Liebe iſt da,
Drum iſt Euch der Frühling ewiglich nah.
Ihr habt das Lied ſehr ſchön geſungen,
ſagte Vanſen, aber es iſt wahr, daß man
es mit dem Texte nicht ſo genau nehmen
muß, denn das Letzte hängt gar nicht mit
dem Erſten zuſamnen.
Ihr habt ſehr Recht, ſagte der Fremde;
indeſſen Ihr kennt das Sprichwort: Ein
Schelm giebts beſſer als er es hat.
S 2
Ich habe einen guten und ſchönen Zu¬
ſammenhang darinn gefunden, ſagte Franz.
Der Hauptgedanke darinn iſt der fröhliche
Anblick der Welt; das Lied will uns von
trüben Gedanken und Melancholie abziehn,
und ſo kömmt es von einer Vorſtellung auf
die andre. Zwar iſt nicht der Zuſammen¬
hang einer Rede darinn, aber es wandelt
gerade ſo fort, wie ſich unſre Gedanken in
einer ſchönen heitern Stunde bilden.
Ihr ſeid wohl ſelber ein Poet? rief der
Fremde aus.
Franz ward roth, und ſagte dann, daß
er ein Mahler ſey, der vor jetzt nach Ant¬
werpen, und dann nach Italien zu gehen
geſonnen ſey.
Ein Mahler? ſchrie Vanſen auf, indem
er Sternbald genau betrachtete. O ſo gebt
mir Eure Hand! dann müſſen wir näher mit
einander bekannt werden!
Franz war in Verlegenheit, er wußte
nicht, was er ſagen ſollte; der Niederländer
fuhr fort: Vor allen andern Künſten in der
Welt ergötzt mich immer die Kunſt der
Mahlerei am meiſten, und ich begreife es
nicht, wie viele Menſchen ſo kalt dagegen
ſeyn können. Denn was iſt Poeſie und
Muſik, die ſo flüchtig vorüberrauſchen, und
uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die
Töne, und denn ſind ſie vergeſſen — ſie wa¬
ren, und ſie waren auch nicht; es ſind
Klänge und Worte, und ich weiß niemals
recht, was ſie mir ſollen. Sie ſind wirklich
nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬
ders handhabt. Dagegen verſtehn es die
edeln Mahlerkünſtler, mir Sachen und Per¬
ſonen unmittelbar vor die Augen zu ſtellen,
mit ihren freundlichen Farben, mit aller
Wirklichkeit und Lebendigkeit, ſo daß das
Auge, der klügſte und edelſte Sinn des Men¬
ſchen, gleich im Augenblicke alles auffaßt und
verſteht. Je öfter ich die Figuren wieder
ſehe, je bekannter werden ſie mir, ja ich
kann ſagen, daß ſie meine Freunde werden,
daß ſie für mich eben ſo gut leben und da
ſind, als die übrigen Menſchen. Darum
liebe ich die Mahler ſo ungemein, denn ſie
ſind gleichſam Schöpfer, und können ſchaf¬
fen und darſtellen, was ihnen gelüſtet.
Von dieſem Augenblicke bemühte ſich
Vanſen ſehr um Sternbald; dieſer nannte
Ihm ſeinen Namen, und ward von jenem
ſehr dringend gebeten, ihn in Antwerpen in
ſeinem Hauſe zu beſuchen, und etwas für
ihn zu mahlen. Auf der fortgeſetzten Reiſe
gerieth Franz mit dem unbekannten Jüng¬
linge in ein Geſpräch und erfuhr von
dieſem, daß er ſich Rudolph Floreſtan
nenne, daß er aus Italien ſey, jetzt Eng¬
land beſucht habe, und nach ſeiner Heimath
zurückzukehren denke. Beide Jünglinge be¬
ſchloſſen die Reiſe zuſammen zu machen,
denn ſie fühlten einen Zug der Freundſchaft
zu einander, der ſie ſchnell vereinigte. Wir
wollen recht vergnügt mit einander ſeyn,
ſagte Rudolph; ich bin ſchon mehr als ein¬
mahl in Deutſchland geweſen, und habe
lange unter Euren Landsleuten gelebt, ich
bin ſelbſt ein halber Deutſcher, und liebe
Eure Nation.
Franz verſicherte ihn, daß er ſich ſehr
freue ſeine Bekanntſchaft gemacht zu haben.
Er äußerte ſeine Verwunderung daß Ru¬
dolph noch ſo jung ſey, und doch ſchon von
der Welt ſo viel geſehn habe. Das muß
Euch nicht erſtaunen, ſagte jener, denn ich
bin auch ſchon einmahl in Spanien gewe¬
ſen. Mein unruhiger Geiſt treibt mich im¬
mer umher, und wenn ich eine Weile ſtill
in meiner Heimath geſeſſen habe, muß ich
wieder reiſen, wenn ich nicht krank werden
will. Wenn ich auf der Reiſe bin, geſchieht
es mir wohl, daß ich mich nach meinem
Hauſe ſehne, und mir vornehme, nie wie¬
der in der Ferne herumzuſtreifen; indeſ¬
ſen dauern dergleichen Vorſätze niemals
lange, ich darf nur von fremden Ländern
hören oder leſen, gleich iſt die alte Luſt in
mir wieder aufgewacht.
Ein großer Theil der Geſellſchaft kam
nun darauf, man ſolle, um die Zeit der
Fahrt zu verkürzen, Geſchichten oder Mähr¬
chen erzählen. Alle trauten dem Rudolph
zu, daß er am beſten im Stande ſey, ihr
Begehren zu erfüllen; ſie erſuchten ihn da¬
her alle darum, auch Franz vereinigte ſich
mit ihren Bitten. Ich will es gern thun,
antwortete Rudolph, allein es geht mir mit
meiner Geſchichte wie mit meinem Liede,
ſie wird keinem recht gefallen. Alle behau¬
teten, daß er ſie gewiß unterhalten würde,
er ſolle nur getroſt anfangen. Rudolph ſagte:
Ich liebe keine Geſchichte, und mag ſie gar
nicht erzählen, in der nicht von Liebe die
Rede iſt. Die alten Herren aber kümmern
ſich um dergleichen Neuigkeiten nicht viel.
O doch, ſagte Vanſen; nur finde ich es
in vielen Geſchichten der Art unnatürlich,
wie die ganze Erzählung vorgetragen wird;
gewöhnlich macht man doch zu viel Aufhe¬
bens davon, und das iſt, was mir mißfällt.
Wenn es aber alles ſo recht natürlich und
wahr fortgeht, kann ich mich ſehr daran
ergötzen.
Das iſt es gerade, rief Rudolph aus, was
ich ſagte; die meiſten Menſchen wollen al¬
les gar zu natürlich haben, und wiſſen doch
eigentlich nicht, was ſie ſich darunter vor¬
ſtellen; ſie fühlen den Hang zum Seltſamen
und Wunderbaren, aber doch ſoll das alles
wieder alltäglich werden; ſie wollen wohl
von Liebe und Entzücken reden hören, aber
alles ſoll ſich in den Schranken der Billig¬
keit halten. Doch, ich will nur meine Ge¬
ſchichte anfangen, weil ich ſonſt ſelber
Schuld daran bin, wenn Ihr gar zu viel
erwartet.
Die Sonne ging eben auf, als ein jun¬
ger Edelmann, den ich Ferdinand nen¬
nen will, auf dem freien Felde ſpazierte.
Er war damit beſchäftigt, die Pracht des
Morgens zu betrachten und zu ſehn, wie
ſich nach und nach das Morgenroth und
das lichte Gold des Himmels immer
brennender zuſammendrängten, immer hö¬
herleuchteten. Er verließ gewöhnlich an
jedem Morgen ſein Schloß, auf dem er
unverheirathet lebte, denn ſeine Eltern
waren ſeit einiger Zeit geſtorben. Dann
ſetzte er ſich in dem benachbarten Wäld¬
chen nieder, und las einen italiäniſchen
Dichter, die er ſehr liebte.
Jetzt war die Sonne heraufgeſtiegen,
und er wollte ſich eben nach dem einſamen
Waldplatze begeben, als er aus der Ferne
einen Reuter heranſprengen ſah. Auf dem
Hute und Kleide des Reuters glänzten Gold
und Edelgeſteine im Schein des Morgens,
und als er näher kam, glaubte Ferdinand
einen vornehmen Ritter vor ſich zu ſehn.
Der Fremde ritt eiligſt vorüber, und ver¬
ſchwand im Walde; kein Diener folgte ihm.
Ferdinand wunderte ſich noch über dieſe
Eile, als er zu ſeinen Füßen im Graſe et¬
was Glänzendes ſah. Er ging hinzu, und
hob das Bild eines Mädchens auf, das
mit koſtbaren Diamanten eingefaßt war.
Er ging damit nach dem Walde zu, indem
er es aufmerkſam betrachtete; er ſetzte ſich
an der gewohnten Stelle nieder, und ver¬
gaß ſein Buch herauszuziehn; ſo ſehr war
er mit dem Bilde beſchäftigt.
Was war der Edelmann für ein Lands¬
mann? fragte Vanſen.
Je nun, ich denke, antwortete Rudolph,
er wird wohl ein Deutſcher geweſen ſeyn,
ja, und jetzt erinnere ich mich deutlich, er
war ein Franke.
Nun ſo ſeid ſo gut, und fahrt fort.
Er kam nach Hauſe, und aß nicht. Leo¬
pold, ſein vertrauteſter Freund beſuchte ihn,
aber er ſprach nur wenig mit dieſem. War¬
um biſt Du ſo in Gedanken, fragte Leo¬
pold? Mir iſt nicht wohl, antwortete jener,
und mit dieſer Antwort mußte der Freund
zufrieden ſeyn.
So verſtrichen einige Wochen, und Fer¬
dinand ward mit ſeinen Worten immer ſpar¬
ſamer. Sein Freund ward beſorgt, denn
er bemerkte, daß Ferdinand alle Geſellſchaf¬
ter vermied, daß er faſt beſtändig im Wal¬
de, oder auf der Wieſe war, daß er jedem
Geſpräche aus dem Wege ging. An einem
Abende hörte Leopold folgendes Lied ſingen:
Soll ich harren? ſoll mein Herze
Endlich brechen?
Soll ich niemals von dem Schmerze
Meines Buſens ſprechen?
Warum geh ich in der Irre?
Ach was eile
Ich nicht ſchnell aus dem Gewirre?
Wozu träge Weile?
Irgendwo muß ich ſie finden;
Such die Ferne,
Durch den Wald, durch blühende Linden,
Lächeln Dir die Sterne.
Leopold hörte aufmerkſam dem räthſel¬
haften Liede zu; dann ging er in den Wald
hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen.
Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und
redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt
Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir
kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt?
Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich
aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir
leiden, ohne daß ich rathen und tröſten
könnte. Warum nennſt Du mich Deinen
Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich
nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt
gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die
Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich
mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich
biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im
Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines
Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger
als die Liebe?
Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann
antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬
ber Freund, iſt bei mir der Fall; ſondern
eine wunderſeltſame Sache belaſtet mein
Herz ſo gewaltſam, die ich Dir noch nicht
habe anvertrauen wollen, weil ich mich vor
Dir ſchäme. Ich fürchte Deine Vernunft,
ich fürchte, daß Du mir das ſagſt, was ich
mir ſelber täglich und ſtündlich ſage; ich
fürchte, daß Du wohl Deinen Freund, aber
nicht ſeine unbegreifliche Thorheit liebſt.
Ich will mich Dir alſo anvertrauen. Sieh
dies Gemählde, das ich vor einigen Wochen
gefunden habe, und das ſeitdem meinen
Sinn ſo gänzlich umgewandelt hat. Mit
ihm habe ich mein höchſtes Glück, ja mich
ſelber gefunden, denn ich lebte vorher ohne
Seele, ich kannte mich und das Glück der
Welt nicht, denn ich wurde ohne alles Glück
in der Welt fertig. Seitdem iſt mir, als
wenn ein unbekanntes Weſen mir aus den
Morgenwolken die Hand gereicht, und mich
mit ſüßer Stimme bei meinem Namen ge¬
nannt hätte. Aber zugleich habe ich in die¬
ſem Bilde meinen größten Feind gefunden,
der mir keine Minute Ruhe läßt, der mich
auf jeden Schritt verfolgt, der mir alle
übrigen Freuden dieſer Erde, als etwas
Armſeeliges und Verächtliches darſtellt. Ich
darf mein Auge nicht davon hinweg¬
wenden, ſo befällt mich eine marternde
Sehnſucht, und wenn ich nun darauf blik¬
ke, und dieſen ſüßen Mund, und dieſe
ſchönen Augen antreffe, ſo ergreift eine
ſchreckliche Beklemmung mein Herz, ſo daß
ich in unnützen Kämpfen, in Streben und
Wünſchen vergehe und mein Leben ſich ver¬
zehrt, wie Du richtig geſagt haſt. Aber es
muß ſich nun endigen; mit dem kommenden
Morgen will ich mich aufmachen und das
Land durchziehn, um diejenige wirklich auf¬
zufinden, von der ich bis jetzt nur das Ge¬
mähl¬
mählde beſitze. Sie muß irgendwo ſeyn, ſie
muß meine Liebe kennen lernen, und ich
ſterbe dann entweder in öder Einſamkeit,
oder ſie erwiedert dieſe Liebe.
Leopold ſtand lange ſtaunend, und be¬
trachtete ſeinen Freund; endlich rief er aus:
Unglücklicher! Wohin haſt Du Dich verirrt?
An dieſen Schmerzen hat ſich bisher viel¬
leicht noch keiner der Sterblichen verblutet.
Was ſoll ich Dir ſagen? Wie ſoll ich Dir
rathen? Der Wahnſinn hat ſich Deiner
ſchon bemeiſtert, und alle Hülfe kömmt zu
ſpät. Wenn nun das Original dieſes Bil¬
des auf der ganzen weiten Erde nicht zu
finden iſt! und wie leicht kann es bloß die
Imagination eines Mahlers ſeyn, die die¬
ſes zierliche Köpfchen hervorgebracht hat!
oder ſie kann gelebt haben, und iſt nun
ſchon geſtorben, oder ſie iſt die Gatinn ei¬
nes andern, und nun ſchon alt und voll
T
Runzeln, ſo daß Du ſie gar nicht einmahl
wieder kennſt. Glaubſt Du, daß ſich Dir zu
Gefallen das Wunder des Pygmalion er¬
neuern wird? Iſt es nicht eben ſo gut, als
wenn Du die Helena von Griechenland, oder
die ägyptiſche Cleopatra liebteſt? Bedenke
Dein eigen Wohl, und laß Dich nicht von
einer Leidenſchaft unterjochen, die offenbar
völlig aberwitzig iſt. Hier iſt es gerade, wo
Dich Deine Vernunft aus dem Labyrinthe
erretten muß, und mich wundert, wie Du
ſie ſo haſt unterdrücken können, daß es ſo
weit mit Dir gekommen iſt.
Nun, der Mann hat doch wahrlich völ¬
lig Recht, rief Vanſen aus, und ich bin
neugierig, was der verliebter Schwärmer
wohl darauf wird antworten können.
Gewiß gar nichts, ſagte ein andrer, er
wird einſehn, wie gut es ſein Freund mit
ihm meint, und das wunderliche Abentheuer
fahren laſſen.
Rudolf fuhr fort: Ferdinand ſchwieg eine
Weile ſtill, dann ſagte er: Liebſter Freund,
Deine Worte können mich auf keine Weiſe
beruhigen, und wenn Du mich und mein
Herz nur etwas kennſt, ſo wirſt Du auch
darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir
Recht, Du haſt vollkommen vernünftig ge¬
ſprochen; allein was iſt mir damit geholfen?
Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle
nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe
und jenes Bild aufſuche, das meine Seele
ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬
tig ſeyn, ſo würde ich gewiß nicht einen
Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath
hören, ſo würde ich mich nicht in der Nacht
ſchlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn
wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder
die ägyptiſche Cleopatra liebte, mit der hei¬
ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn
ich nun auch ginge, und ſie in der weiten
T 2
Welt aufſuchte, ſo wie ich jetzt ein Bild
ſuche, das vielleicht nirgendwo iſt, was könn¬
te mir auch da all' dein Reden nützen? Doch
nein, ſie lebt, mein Herz ſagt es mir, daß
ſie für mich lebt, und daß ſie mich mit ſtil¬
ler Ahndung erwartet. Und wenn ich ſie
nun gefunden habe, wenn die Sterne gün¬
ſtig auf mein Thun herunter ſcheinen, wenn
ich ſie in meinen Armen zurückbringe, dann
wirſt Du mein Glück preiſen, und mein jez¬
ziges Beginnen nicht mehr unvernünftig
ſchelten. Sieh ſo hängt es bloß von Glück
und Zufall ab, ob ich vernünftig oder un¬
vernünftig handle, ob die Leute mich
ſchelten oder loben; wie kann alſo Dein
Rath gut ſeyn, wie könnte ich vernünftig
ſeyn, wenn ich ihm folgte? Wer nie wagt,
kann nie gewinnen, wer nie den erſten
Schritt thut, kann keine Reiſe vollbringen,
wer das Glück nicht auf die Probe ſtellt,
kann nicht erfahren, ob es ihm günſtig iſt.
Ich will alſo getroſt dieſen Weg einſchla¬
gen, und ſehn, wohin er mich führt. Ich
komme entweder vergnügt, oder nicht zu¬
rück.
Er nahm hierauf ſeinen Freund Leopold
in die Arme, und drückte ihn herzlich. Laß
mich gehen, ſagte er, ſey nicht traurig, denn
Du ſiehſt mich gewiß wieder, ich bleibe ge¬
wiß nicht aus. Vielleicht verändert ſich auch
unterwegs mein Gemüth, wenn ich die man¬
nigfaltige Welt mit ihren wechſelnden Ge¬
ſtalten erblicke; darum ſey nicht betrübt.
Wie ſich dies Gefühl wunderbarlich meines
Herzens bemeiſtert hat, ſo kann es mich ja
auch plötzlich wieder loslaſſen.
Sie gingen nach Hauſe, und am folgen¬
den Morgen trat Ferdinand wirklich ſeine
ſeltſame Wanderſchaft an. Leopold ſah ihm
mit Thränen nach, denn er hielt die Leiden¬
ſchaft ſeines Freundes für Wahnſinn, er
hätte ihn gern begleitet, aber Ferdinand
wollte es durchaus nicht zugeben.
Dieſer wußte nicht, wohin er ſeinen Weg
richten ſollte, er ging daher auf der erſten
Straße fort, auf die er traf. Seine Seele
war unaufhörlich mit dem geliebten Bilde
beſchäftigt, in der reizendſten Geſtalt ſah er
es vor ſich hinſchweben und folgte ihm wie
unwillkührlich nach. In den Wäldern ſaß
er oft ſtill und dichtete ein wunderbares
Lied auf ſeine wunderbare Leidenſchaft; dann
hörte er dem Geſange der Nachtigallen zu,
und vertiefte und verlohr ſich in ſich ſelber,
daß er die Nacht über im Walde bleiben
mußte.
Zuweilen erwachte er wie aus einem tie¬
fen Schlafe, und überdachte dann ſeinen
Vorſatz mit kälterem Blute, alles was er
wollte und wünſchte, kam ihm dann wie
eine Traumgeſtalt vor, er beſtrebte ſich oft‚
ſich des Zuſtandes ſeiner Seele zu erinnern,
ehe er das Bildniß im Graſe gefunden hat¬
te, aber es war ihm unmöglich. So wan¬
derte er fort, und verirrte ſich endlich von
der Straße, indem er in einen dicken Wald
gerieth, der gar kein Ende zu haben ſchien.
Er ging weiter, und traf immer noch
keinen Ausweg, das Gehölz ward immer
dichter, Vögel ſchrien und lärmten mit ſelt¬
ſamen Tönen durch die ſtille Einſamkeit.
Ferdinand dachte jetzt an ſeinen Freund, ihm
ſchien ſelber ſein Unternehmen wahnſinnig,
und er nahm ſich vor, am folgenden Tage
nach ſeinem Schloſſe zurück zu kehren. Es
wurde Nacht, und wie wenn eine Verblen¬
dung plötzlich von ihm genommen wäre, ſo
verſchwand ſeine Leidenſchaft, es war wie
ein Erwachen aus einem ſchweren Traume.
Er wanderte durch die Nacht weiter, denn
der Mond warf ſeinen Schimmer durch die
Zweige hinein, er ſah ſchon ſeinen Freund
vergnügt und verſöhnt vor ſich ſtehn, er
dachte ſich ſein künftiges ruhiges Leben.
Unter dieſen Betrachtungen brach der Mor¬
gen an, die Sonne ſandte ihre frühen
Strahlen durch das grüne Gebüſch, und
neuer Muth und neue Heiterkeit ward in
ihm wach. Er betrachtete das Gemählde
wieder, und wußte nicht, was er thun ſoll¬
te. Alle ſeine Entſchlüſſe fingen an zu wan¬
ken, jedes andre Leben erſchien ihm leer
und nüchtern, er wünſchte und dachte nur
ſie. Wohin ſoll ich mich wenden? rief er
aus. O Morgenroth! zeige mir den Weg!
ruft mich ihr Lerchen, und zieht auf meiner
Bahn voran, damit ich wiſſen möge, wohin
ich den irren Fuß ſetzen ſoll. Meine Seele
ſchwankt in Leid und Freude, kein Entſchluß
kann Wurzel faſſen, ich weiß nicht was ich
bin, ich weiß nicht was ich ſuche. Warum
kann ich mich nicht an den gewöhnlichen
Wünſchen begnügen?
Indem er ſo mit ſich ſelber ſprach, trat
er aus dem Walde heraus, und eine ſchöne
Ebne mit angenehmen Hügeln lag vor ihm.
In der Ferne ſtanden Crucifixe und einige
kleine Kapellen im Glanz der Morgenſonne.
Der wunderbare Trieb weiter zu wandeln,
und den Innhalt ſeiner Gedanken aufzuſu¬
chen, ergriff den Jüngling mit neuer Ge¬
walt. Er ſah in der Entfernung ſich eine
weiße Geſtalt auf der grünen Wieſe bewe¬
gen, und als er weiter fortging, unterſchied
er, daß es eine Pilgerinn ſei. Die Gegen¬
wart eines Menſchen zog ihn nach der lan¬
gen Einſamkeit an, er verdoppelte ſeine
Schritte. Jetzt war er näher gekommen,
als die Pilgerinn vor einem Crucifix am
Wege niederknieete, die Hände in die Höhe
hob, und andächtig betete. Indem kam ein
Reuter vom nächſten Hügel heruntergeſtürzt;
als er näher kam, ſah Ferdinand das es
derſelbe ſei, der ihm an jenem Morgen vor¬
überſprengte, als er ſein geliebtes Bildniß
fand. Der Reuter ſtieg ſchnell ab, und nä¬
herte ſich der Betenden; als er ſie mit einem
genauen Blicke betrachtet, ergriff er ſie mit
einer ungeſtümen Bewegung. Sie ſtreckte
die Hände aus und rief um Hülfe. Zwei
Diener kamen mit ihren Pferden, und woll¬
ten ſich auf Befehl ihres Herrn der Pilgerinn
bemächtigen. Ferdinands Herz ward durch
dieſen Anblick bewegt, er zog den Degen
und ſtürzte auf die Räuber ein, die ſich zur
Wehre ſetzten. Nach einem kurzen Gefech¬
te verwundete er den Reuter; dieſer ſank
nieder, und die erſchrockenen Diener nahmen
ſich ſeiner ſogleich an. Da er in Ohnmacht
lag, ſo trugen ſie ihn zu ſeinem Pferde,
das ſie hinter ſich führten, um ſo im näch¬
ſten Orte Hülfe zu ſuchen. Die Pilge¬
rinn hatte die Zeit des Kampfs benutzt,
und war indeſſen feldeinwärts geflohen.
Ferdinand erblickre ſie in einer ziemlichen
Entfernung. Er eilte ihr nach, und ſagte:
Ihr ſeid gerettet, Pilgerinn, Ihr mögt nun
ungehindert Eures Weges fortziehn, die
Räuber haben ſich davon gemacht. Sie
konnte vor Angſt noch nicht antworten, ſie
dankte ihm mit einem ſcheuen Blicke. Er
glaubte ſie zu kennen, doch konnte er ſich
nicht erinnern, ſie ſonſt ſchon geſehn zu ha¬
ben. Ich bin Euch meinen herzlichſten Dank
ſchuldig, ſagte ſie endlich, ich wollte nach
einem wunderthätigen Bilde der Mutter
Gottes wallfahrten, als jener Räuber mich
überfiel. O daß er uns nur nicht wieder
einholt!
Ich will Euch begleiten, ſagte Ferdinand,
bis Ihr völlig in Sicherheit ſeid; aber fürch¬
tet nichts, er iſt vielleicht todt, wenigſtens
ſehr ſchwer verwundet. Aber kehrt zur
Straße zurück, denn auf dieſem Wege gehn
wir nur in der Irre.
Indem kam ein Gewitter heraufgezogen,
und ein Hagelſchauer fiel nieder. Die bei¬
den Wandrer retteten ſich vor dem Platzre¬
gen in eine kleine Kapelle, die dicht vor ei¬
nem Walde ſtand. die Pilgerinn war ſehr
ängſtlich, wenn die Donnerſchläge in den
Bergen wiederhallten, und Ferdinand
ſuchte ſie zu beruhigen; ſie ſchien ſehr
mit ihren Gedanken beſchäftigt. Endlich
hörte das Gewitter auf, und ein lieblicher
Regenbogen ſtand am Himmel, der Wald
war friſch und grün, und alle Blätter fun¬
kelten von Tropfen, die Schwüle des Tages
war vorüber, die ganze Natur durchwehte
ein kühler Athem, alle Bäume, alle Blu¬
men waren fröhlich. Sie ſtanden beide und
ſahen in die erfriſchte Welt hinaus, und
die Pilgerinn lehnte ſich an Ferdinands
Schulter. Da war es ihm, als wenn ſich
ihm alle Sinne aufthäten, als wenn auch
aus ſeinem Gemüthe die drückende Schwüle
fortzöge, denn er erkannte nun das liebe
Geſicht, das ihm ſo vertraulich nahe war;
es war das Original jenes Gemähldes, das
er mit ſo heftiger Sehnſucht geſucht hatte.
So freut ſich der Durſtende, wenn er lange
ſchmachtend in der heißen Wüſte umherirrte,
und nun den Quell in ſeiner Nähe rieſeln
hört; ſo der verirrte Wandersmann, der
nun endlich am ſpäten Abend die Klocken
der Heerden vernimmt, das abendliche Ge¬
töſe des nahen Dorfes, und dem nun von
allen Menſchen ein alter Herzensfreund zu¬
erſt entgegen tritt.
Ferdinand zog das Gemählde hervor,
die Pilgerinn erkannte es. Sie erzählte,
daß ein junger Ritter aus der Nachbarſchaft
ſie habe mahlen laſſen, derſelbe, von dem
Ferdinand ſie heute befreit habe; ſie ſey el¬
ternlos, und bei armen Bauern auferzogen,
aber ſie habe ſich entſchloſſen, der Liebe
des Ritters zu entfliehen, weil ſie ihn nicht
lieben könne. So hab' ich, ſagte ſie, nach
dem heiligen wunderthätigen Marienbilde
eine Wallfarth thun wollen, und bin dabei
unter Euren Schutz gerathen, den ich Euch
nie genug verdanken kann.
Ferdinand konnte erſt vor Entzücken gar
nicht ſprechen, er traute ſeiner eignen Über¬
zeugung nicht, daß er den geſuchten Schatz
wirklich erbeutet habe; er erzählte der Frem¬
den, die ſich Leonore nannte, wie er das
Bildniß gefunden, und wie es ihn bewegt
habe, wie er endlich den Entſchluß gefaßt,
ſie in weiter Welt aufzuſuchen, um zu ſter¬
ben, oder ſein Gemüth zu beruhigen. Sie
hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu, und
als er geendigt hatte, nahm ſie ſeine Hand,
und ſagte: Wahrlich, Ritter, ich bin Euch
unendlich vielen Dank ſchuldig, und noch
gegen Niemand habe ich die Freundſchaft
empfunden, die ich zu Euch trage. Aber
kommt, und laßt uns irgend eine Herberge
ſuchen, denn der Abend bricht herein.
Die untergehende Sonne färbte die
Wolken ſchon mit Gold und Purpur, der
Weg führte ſie durch den Wald, in welchem
ein kühler Abendwind ſich in den naſſen
Blättern bewegte. Ferdinand führte die Pil¬
gerinn, und drückte ihre Hand an ſein klopfen¬
des Herz; ſie war ſtumm. Die Nacht näherte
ſich immer mehr, und noch trafen ſie kein
Dorf und keine Hütte; dem Mädchen ward
bange, der Wald ward dichter, und einzelne
Sterne traten ſchon aus dem blauen Him¬
mel hervor. Da hörten ſie plötzlich von ab¬
ſeits her ein geiſtliches Lied ertönen, ſie gin¬
gen dem Schalle nach, und ſahen in einiger
Entfernung die Klauſe eines Einſiedels vor
ſich, ein kleines Licht brannte in der Zelle
und er kniete vor einem Crucifixe nieder, in¬
dem er mit lauter Stimme ſang. Sie hör¬
ten eine Weile dem Liede zu, die Nacht
war hereingebrochen, die ganze übrige Welt
war ſtill; dann gingen ſie Hand in Hand
näher. Als ſie vor der Zelle ſtand, fragte
Ferdinand das Mädchen leiſe: Liebſt Du
mich? Sie ſchlug die Augen nieder, und
drückte ihm die Hand; er wagte es und
drückte einen Kuß auf ihren ſchönen Mund;
ſie wiederſezte ſich nicht. Zitternd traten ſie
zum Eremiten hinein, und baten um ein
Nachtlager als verirrte Wanderer. Der al¬
te Einſiedels hieß ſie willkommen, und ließ
ſie niederſitzen, dann trug er ihnen ein klei¬
nes
nes Mahl von Milch und Früchten auf, an
dem ſie ſich erquickten. Ferdinand war ſich
vor Glückſeligkeit kaum ſeiner ſelbſt bewußt,
er fühlte ſich wie in einer neuen Welt, al¬
les was vor heute geſchehen war, gehörte
gleichſam gar nicht in ſeinen Lebenslauf;
von dieſem entzückende Kuſſe, der ihm alle
Sinnen geraubt hatte, begann ihm ein neues
Geſtirn, eine neue Sonne emporzuleuchten,
alles vorige Licht war nur matte Finſterniß
geweſen. Dann wies der Einſiedel Leonoren
ein Lager an, und Ferdinand mußte ſich ge¬
genüber in eine kleine leere Hütte begeben.
Ferdinand konnte in der Nacht nicht
ſchlafen, ſeine glückliche Zukunft trat vor
ſein Lager, und erhielt ſeine Augen wach,
er ward nicht müde hinunter zu ſehn, und
in dem glücklichen Reiche der Liebe auf und
ab zu wandeln. Leonorens Stimme ſchien
ihm beſtändig wiederzutönen, er glaubte ſie
U
nahe, und ſtreckte die Arme nach ihr aus,
er rief ſie laut und weinte, indem er ſich
allein ſah. Als der Mondſchimmer erblaßte,
und die Morgenröthe nach und nach am
Himmel heraufſpielte, da verließ er die
Hütte, ſetzte ſich unter einem Baume nieder
und ſang:
Bin ich denn gewiß des Glückes?
Iſt denn Hand und Lippe mein?
Mir der ſüße Gruß des Blickes?
Ach woher du goldner Schein?
Trübe hing ein dichter Schleier
Über Buſch und Wald daher.
Sagt: wo iſt die Frühlingsfeier?
Iſt der Wald an Tönen leer?
Rührt kein Wind ſich in den Zweigen,
Treibt die Wolken über's Feld? —
Dumpfes, ödes, todtes Schweigen,
Die Natur gefangen hält. —
Und mir ward im Buſen bange,
Denn kein Stimmlein ſprach mich an,
Seufzte tief und harrte lange,
Klagte; Sonne, komm heran!
Aber dichter ward der Schatten,
Wolken hingen tiefer ab,
Dunkler ſchwärzten ſich die Matten,
Alles Feld ein enges Grab.
Durch den Nebel warf ich Blicke
Wie man in die Ferne ſchaut,
Alle kamen mir zurücke,
Finſterniß war vorgebaut.
Da warf ich mich weinend nieder,
Wünſcht' im Unmuth todt zu ſein;
Todt ſind alle Lerchenlieder,
Abgeſtorben Sonnenſchein, —
Warum ſoll denn ich noch leben
In der wüſten Dunkelheit,
Hier wo Schrecken um mich weben,
U 2
Alle Freuden abwärts ſtreben,
In mir ſelber Angſt und Leid? —
Plötzlich war's, wie wenn an Saiten,
Abendwind vorüberſchwebt
Und in Harfentönen webt,
Über Blumen hinzuſchreiten,
An der fernſten, fernſten Gränze
Theilte ſich die dunkle Nacht,
Und ein Sonnenblick voll Pracht
Wand ſich durch die Nebelkränze.
Als ich kaum zu athmen wagte,
Schoß der Strahl, ein goldner Pfeil
Schnell in glühendrother Eil
Hin zum Orte wo ich klagte.
Schreckenfroh ſah ich den Schein,
Kriegte Muth zu neuem Leben:
Sollte das der Frühling ſein?
Könnt' es doch wohl Freuden geben?
Da erglühten ſchon die Wogen,
Funkeln ging auf grüner Flur,
Morgenroth ſprang kühn in Bogen,
Glänzend, taumelnd die Natur.
Und die Waldung blieb nicht träge,
Alle Vögel ſprangen auf,
Jubelten durch das Gehäge,
Jagten ſich im muntern Lauf. —
In des Jauchzens Luſt verlohren
Dacht' ich nicht an Sterben mehr,
Fühlte mich nun neugebohren
In dem goldnen Freudenmeer.
Ach! ſie iſt mir endlich nahe,
Nach der meine Sehnſucht rang,
Seit ich ihre Augen ſahe
Fühl' ich neuen Lebensdrang.
Alle Klagen ſind verſchwunden,
Fort der Seufzer banger Schwarm,
Um mich tanzen goldne Stunden,
Mit der Liebe feſt verbunden
Ruh' ich in des Glückes Arm. —
Er hatte die letzten Worte noch nicht
geendigt, als er den Ritter wieder aus dem
Dickicht kommen ſah, den er geſtern auf
dem Felde verwundet hatte; zwei Diener
folgten ihm. Eben ſollte der Kampf von
neuem beginnen, als der Eremit aus ſeiner
Klauſe trat. Er hörte den Verwundeten
Bertram nennen, und erkundigte ſich nach
dem Orte ſeines Aufenthalts und nach ſeinen
Verwandten. Der Fremde nannte beides,
und der Einſiedler fiel ihm weinend um den
Hals, indem er ihn ſeinen Sohn nannte.
Er war es wirklich; als ſich der Vater aus
der Welt zurückzog, übergab er dieſen Sohn
ſeinem Bruder, der aber nach einiger Zeit
in den Unruhen des Krieges ſeinen Wohn¬
ort änderte, und ſo dem Einſiedler näher
kam, als er es glaubte. Wenn ich jezt
noch Nachrichten von meiner Tochter über¬
käme, rief der Einſiedler aus, ſo wäre ich
unausſprechlich glücklich! Leonore trat aus
der Thür, weil ſie das Geräuſch vernom¬
men hatte. Ferdinand ging auf ſie zu, und
Bertram ſtürzte ſogleich herbei, als er die
Pilgerinn gewahr ward. Der Einſiedler be¬
trachtete ſie aufmerkſam; dann fragte er,
woher ſie die Ohrringe habe, die ſie trage.
Leonore erzählte ihre Geſchichte kurz, daß
ſie von Bauern erzogen ſei, und als dieſe
ſtarben, hätten ſie andre gutherzige arme
Leute zu ſich genommen, die aber der Krieg
ebenfalls von ihrem Wohnorte vertrieben
habe.
Du biſt meine Tochter! ſagte der alte
Eremit, ich übergab Dich Bauern, als ich
von meinem Wohnſitze durch der Feinde
ſiegreiches Heer vertrieben wurde. O wie
glücklich macht mich dieſer Tag!
Was kann das für ein Krieg geweſen
ſein? rief Vanſen aus.
O irgend einer, antwortete Rudolph ha¬
ſtig, Ihr müßt die Sachen nie ſo genau
nehmen, es iſt mir in der Geſchichte um
einen Krieg zu thun, und da müßt Ihr
gar nicht fragen: Wie? Wo? Wann geſcha¬
he das? denn ſolche Erzählungen ſind im¬
mer nur aus der Luft gegriffen, und man
muß ſich für die Geſchichte, aber für nichts
anders auſſer ihr, intereſſiren.
Erlaubt, ſagte Franz beſcheiden, daß ich
Euch widerſpreche, denn ich bin hierin
ganz anderer Meinung. Wenn mir eine
Erzählung, ſei ſie auch nur ein Märchen,
Zeit und Ort beſtimmt, ſo macht ſie da¬
durch alles um ſo lebendiger, die ganze Er¬
de wird dadurch mit befreundeten Geiſtern
bevölkert, und wenn ich nachher den Boden
betrete, von dem mir eine liebe Fabel ſag¬
te, ſo iſt er dadurch gleichſam eingeweiht,
jeder Stein, jeder Baum hat dann eine poe¬
tiſche Bedeutung für mich. Eben ſo iſt es
mit der Zeit. Höre ich von einer Begeben¬
heit, werden Namen aus der Geſchichte ge¬
nannt, ſo fallen mir zugleich jene poetiſchen
Schatten dabei in's Gedächtniß, und ma¬
chen mir den ganzen Zeitraum lieber.
Nun das iſt alles auch gut, ſagte Rudolf,
das andre aber auch, wenn man ſich weder
um Zeit noch um Ort bekümmert. So laßt
es alſo den Huſſitenkrieg geweſen ſein, der
alle dieſe Verwirrungen in unſrer Familie
angerichtet hat.
Der Schluß der Geſchichte findet ſich
übrigens von ſelbſt. Alle waren voller
Freude, Leonore und Ferdinand waren
durch gegenſeitige Liebe glücklich, der Ere¬
mit blieb im Walde, ſo ſehr ihm auch alle
zuredeten, zur Welt zurück zu kehren.
Es vermehrte noch eine Perſon die Ge¬
ſellſchaft, und zwar Niemand anders als
Leopold, der ausgereiſet war, ſeinen
Freund aufzuſuchen. Dieſer erzählte ihm
ſein Glück, und ſtellte ihm Leonoren als ſeine
Braut vor. Leopold freute ſich mit ihm,
und ſagte: Aber liebſter Freund, danke dem
Himmel, denn du haſt bei weitem mehr
Glück als Verſtand gehabt. — Das begeg¬
net jedem Sterblichen, erwiederte Ferdinand,
und wie elend müßte der Menſch ſein, wenn
es irgend einmal einen geben ſollte, der
mehr Verſtand als Glück hätte? —
Hier ſchwieg Rudolf. Einige von den
Herren waren während der Erzählung ein¬
geſchlafen; Franz war ſehr nachdenkend ge¬
worden. Faſt alles was er hörte und ſah,
bezog er auf ſich, und ſo traf er in dieſer
Erzählung auch ſeine eigne Geſchichte an.
Sonderbar war's, daß ihn der Schluß be¬
ruhigte, daß er dem Glücke vertraute, daß
er ihn ſeine Geliebte und ſeine Eltern wür¬
de finden laſſen. Franz und Rudolf wur¬
den auf der Reiſe vertrauter mit einander,
ſie freuten ſich darauf, in Geſellſchaft nach
Italien zu gehn. Rudolf war immer luſtig,
ſein Muth verließ ihn nie, und das war
für Franz in vielen Stunden ſehr erquicklich,
der faſt beſtändig ein Mißtrauen gegen ſich
ſelber hatte. Es fügte ſich, daß einige
Meilen vor Antwerpen das Schiff eine
Zeitlang ſtill liegen mußte, ein Boot ward
ausgeſetzt, und Franz und Rudolf beſchloſ¬
ſen den kleinen Reſt der Reiſe zu Lande zu
machen.
Es war ein ſchöner Tag. Die Sonne
breitete ſich hell über die Ebene aus, Ru¬
dolf war Willens, nach einem Dorfe zu
gehn, um ein Mädchen dort zu beſuchen,
das er vor zwei Jahren hatte kennen ler¬
nen. Du mußt nicht glauben, Franz, ſag¬
te er, daß ich meiner Geliebten in Italien
untreu bin, oder daß ich ſie vergeſſe, denn
das iſt unmöglich, aber ich lernte dieſe Nie¬
derländerinn auf eine wunderliche Weiſe
kennen, wir wurden ſo ſchnell mit einander
bekannt, ſo daß mir das Andenken jener
Stunden immer theuer ſein wird.
Dein frohes Gemüth iſt eine glückliche
Gabe des Himmels, antwortete Franz, Dir
bleibt alles neu, und keine Freude veraltet
Dir, und Du biſt mit der ganzen Welt zu¬
frieden.
Warum ſollte man es nicht ſein! rief
Franz aus; iſt die Welt denn nicht ſchön,
ſo wie ſie iſt? Mir iſt das ernſthafte Kla¬
gen zuwider, weil die wenigſten Menſchen
wiſſen was ſie wollen, oder was ſie wün¬
ſchen. Sie ſind blind und wollen ſehn, ſie
ſehn, und ſie wollen blind ſein.
Biſt Du aber nie traurig oder verdrü߬
lich?
O ja, warum das nicht? Es kehren bei
jedem Menſchen Stunden ein, in denen er
nicht weiß, was er mit ſich ſelber anfangen
ſoll, wo er herumgreift, und nach allen ſei¬
nen Talenten oder Kenntniſſen, oder Narr¬
heiten ſucht, um ſich zu tröſten, und nichts
will ihm helfen. Oft iſt unſer eignes närri¬
ſches Herz die Quelle dieſer Übel. Aber bei
mir dauert ein ſolcher Zuſtand nie lange.
So könnt' ich mich grämen, wenn ich an
Bianka denke, ſie kann krank ſein, ſie
kann ſterben, ſie kann mich vergeſſen, und
dann mache ich mir Vorwürfe darüber, daß
ich mich zu dieſer Reiſe drängte, die auch
jeder andre hätte unternehmen können.
Doch, was hilft alles Sorgen?
Er warf ſich unter einen Baum, und
zog ein kleines Inſtrument hervor, das die
Italiäner Cornetto nennen, und blies dar¬
auf ein ſehr luſtiges Stückchen. Franz ſetz¬
te ſich zu ihm. Liebſt Du nicht auch das
Waldhorn ganz vorzüglich? fragte ihn
dieſer.
Ich liebe alle Inſtrumente, antwortete
Rudolf, ſie mögen einen Namen haben,
welchen ſie wollen, denn jegliches hat etwas
Eigenthümliches, das allen übrigen wieder
abgeht. Es iſt mir eine trefliche Freude, ſo
eins nach dem andern zu hören, und den
Empfindungen nachzugehn, die ſie mir im
Herzen erregen. Wenn Du Geduld haſt,
will ich Dir einige Lieder ſingen, die ich vor
einiger Zeit darüber gemacht habe, und die
den Charakter etlicher Inſtrumente ausdrük¬
ken ſollten. Denke Dir zum Beiſpiel hier
dies ebene Land gebirgig, mit vielen ab¬
wechſelnden Waldſcenen. Du kommſt nun
einen Hügel herunter, ein einſames Thal
liegt vor Dir, und Du hörſt nun von ge¬
genüber eine Schalmey ſpielen.
Schalmeyklang.
Himmelblau,
Hellbegrünte Frühlingsau,
Lerchenlieder,
Zur Erde nieder.
Friſches Blut,
Zur Liebe Muth;
Beim Geſang
Hüpfende Schäfchen auf Bergeshang.
Froh und zufrieden
Mit mir und der Welt,
Was Gott mir beſchieden,
Mein Liebchen hienieden,
Die Sorgen in Dunkel weit von mir ge¬
ſtellt.
Wie fern liegt dies Thal
Von der Welt Herrlichkeit,
Hier wohnen zumahl
Nur Fried und Freud'
Ach! Herzeleid,
Wie weit
Um Größe und Geld das nagende Herzeleid!
Nun iſt es May,
Sie iſt mir treu,
Und fährt auch Frühling und Sommer hin,
Und wenn ich auch nicht mehr Bräutigam bin,
So kömmt der Sommer doch balde zurück,
Und Eheſtand iſt noch ſchöneres Glück.
Friſch und froh,
Ohne Ach! und O!
Vergehen, verwehen die Tage mir ſo.
Das Lied gefällt mir ſehr, ſagte Franz,
denn es führt eine gewiſſe kindliche Spra¬
che, und mir iſt oft beim Klang einer
Schallmey dergleichen in den Sinn ge¬
kommen.
Du wirſt Dich oft, ſagte Rudolf, wun¬
dervoll beim Schall eines Poſthorns be¬
wegt
wegt gefühlt haben. In einer trüben Stun¬
de, als ich ſelber ſo reiſte, ſchrieb ich fol¬
gendes nieder.
Poſthornsſchall.
Weit weg, weit weg,
Von allen Schmerzen weg,
Durch die Wälder möcht' ich eilen,
Niederwärts,
Aufwärts,
Klüften vorüber und von den ſteilen
Gebirgen raſſeln zu tiefen Gründen,
Ruhe zu finden.
Pfeifender Wind,
Treibe geſchwind,
Schnell und ſchneller die Roſſe in's Dickicht
hinein,
Laß, o laß die trüben Stunden,
Eilend verſchwunden,
Raſtlos nimmer Stillſtand ſeyn.
X
Wo ſoll ich ſie ſuchen?
Auf Bergeshöhn?
Im Schatten der Buchen?
Wo werd' ich ſie ſehn?
Die Stunden verfliegen,
Tag wechſelt mit Nacht,
Die Schmerzen beſiegen,
Die Freuden erliegen
Der ſtürmenden Macht.
Ach! weiter, weiter ohne Stillſtand,
Hin wo der Strom brauſt,
Wo von ſteiler moosger Felswand
Wind und Woge niederſauſt.
Wo Walddunkel ſchattet,
Wo Wolken ſich jagen,
Und Nacht und banges Zagen
Mit ſchwarzen Träumen ſich gattet.
Thal nieder, bergauf,
Echo ſpricht, und grüßt herüber,
Ach! ſtatt dieſes Treibens, ende lieber,
Ende, ende dieſen trüben Lauf.
Käm' ich nur zum fremden Orte
In ein wundervolles Land
Das kein Auge je gekannt,
Aber wechſelnd Hier mit Dort
Weiß ich ſchon die Einſamkeiten
Die ſich tückiſch mir bereiten.
Kenne ſchon die trüben Leiden;
Leiden, Leiden.
Nun verliehrt ſich der Schall, ſagte Ru¬
dolf, in die einſame Luft, er bricht ſo plötz¬
lich ab, als er entſtanden iſt, und man hört
den unmelodiſchen Wagen raſſeln. Ich dich¬
tete dieſes Lied in einer großen Beängſti¬
gung des Gemüths. — Nun denke Dir ei¬
nen ſchönen dichten Wald, in welchem ein
Waldhorn mit ſeinen tiefen Tönen ſpricht,
wie aus voller, und doch ruhiger Bruſt die¬
ſer Geſang hervorſtrömt.
Waldhornsmelodie.
Hörſt! wie ſpricht der Wald Dir zu,
Baumgeſang,
X 2
Wellenklang:
»Komm und finde hier die Ruh.
Ruhe aus in dem Gedanken,
Daß ſie Dich ja wieder liebt,
Sieh, wie alle Zweige ſchwanken,
Echo Töne wiedergiebt.
Spricht's herüber Dir in's Herze?
Sei getroſt und geh' in's Thal,
Weide Dich an Deinem Schmerze,
Deinem Glücke allzumahl.
Biſt und wandelſt in der grünen Waldnacht,
Von dem Treiben der Welt ſo weit, weit,
Weißt, daß ſie mit Sonnenaufgang bald wacht,
Denkſt, empfindeſt ihre Holdigkeit.
Trarah! ſo ſpringe muntrer Klang
Durch die Berge, durch das grüne Gebüſch;
Fühlſt doch nach der Größe, nach Ruhm nicht
Drang,
Schlägt Dir's Herz vor Liebe doch ſo friſch.
Und ſie hat Dir ja verſprochen,
Treu zu ſeyn bis an den Tod;
Hat ihr Wort noch nie gebrochen,
Nun, was haſt Du dann für Noth?
Und auch wieder wird ſie kommen
Mit dem ſüßen, holdgen Mund,
Gram hat dann ein End genommen,
Küſſeſt Dich an ihm geſund.
Du haſt vielleicht ſchon, fuhr Rudolf
fort, ein ſchweizeriſches Alphorn gehört.
Man ſagt, daß bei einem gewiſſen Liede
jeder Schweizer in der Fremde, eine unnen¬
bare Sehnſucht nach ſeiner Heimath empfin¬
de; eine ähnliche Vaterlandsliebe haben auch
die Niederländer. Ich habe neulich ein ſol¬
ches Schweizerlied verfertigt.
Alphornlied.
Wo biſt Du treuer Schweizer hingerathen?
Vergiſſeſt Du Dein Vaterland?
Dein liebes Vaterland!
Die wohlbekannten Berge? die friſchen grünenden
Thale?
Wandelſt unter Fremden?
Wer grüßt Dich hier mit vaterländſchem Gruß?
Darfſt Du umherſchaun?
Wo ſind die Schneegipfel?
Wo klingt das luſtge Horn?
Wo findeſt Du den Landsmann?
Herüber ſehnt ſich doch Dein Sinn,
Wo der biedre Gruß auf Dich wartet,
Wo die Alpe ſteht,
Die Sennenhütte,
Der weite blaue See,
Die hohen freien Gebirge.
Komm edler Sprößling Tells,
Freigeborner,
In die ſtillen Thäler wieder herab,
Zum einfachen Mahl,
Das Vaterlandsliebe köſtlich macht.
Was ſuchſt Du hier?
Den Freund? die Geliebte?
Nimmer ſchlagen Dir Schweizerherzen entgegen.
Rudolf ſtand auf. Lebe wohl, ſagte er
ſchnell, es iſt zu kalt zum Sitzen; ich muß
noch weit gehn, das Mädchen wird auf
mich warten, denn ich ſprach ſie, als ich
nach England hinüberging. Lebe wohl, in
Antwerpen ſehn wir uns wieder.
Er eilte ſchnell davon, und Franz ſetzte
ſeinen Weg nach der Stadt fort. Die Ta¬
ge waren aber ſchon kurz, er mußte in ei¬
nem Dorfe vor Antwerpen übernachten. Die
Sonne ſtieg prächtig herauf, als Franz ſich
niederſetzte, und folgende Verſe in ſeine
Schreibtafel einſchrieb:
Der Dichter und die Stimme.
Der Dichter.
Wie Du mich anlachſt, holdes Morgenroth,
Und Muth herab mir in die Seele glühſt,
Ich fühl's, die Sorgen ſind nun alle todt,
Den Sinn mit goldnen Ketten zu Dir ziehſt.
Die Stimme.
Noch ſchönres Roth, als dieſe Morgenſtralen,
Wird einſt Dein Angeſicht mit Purpur mahlen.
Der Dichter.
O nun erwacht ſchon wieder das Verlangen,
Mir gönnt's, mir gönnt's nicht eine Stunde Ruh,
Aus allen Wolken ſeh ich Bilder hangen
Und alle lächeln wehmuthsvoll mir zu.
O wäre nur der trübe Tag zu Ende,
Daß ich im Abendſcheine wandeln könnte,
Und unter dichten Eichen, dunkeln Buchen
Dem Unmuth fliehn, dich Einſamkeit zu ſuchen.
Die Stimme.
Was hoffſt Du auf den zarten Abendſchimmer?
Der Unmuth ruht im Buſen nimmer.
Der Dichter.
So will ich mich zu Harfentönen retten
Im Waldhornsklang einheimiſch ſeyn!
Mein Sinn ſoll ſich in Flötenwolluſt betten‚
Mich lullen Zaubermelodien ein.
Die Stimme.
Und dort werd' ich in jedem Tone klingen,
Dir ſüße Bilder vor die Seele bringen.
Der Dichter.
So will ich ſchlafen, mich in Schlummer hüllen‚
Und ſo des Herzens bange Sehnſucht ſtillen.
Die Stimme.
Kennſt Du die Träume nicht, die dann er¬
wachen,
Dein Auge ſchnell mit Thränen füllen,
Verlangen in der Bruſt anfachen‚
Und nimmer Deine Sehnſucht ſtillen?
Nein, Du biſt mein, ich will Dich nach mir
ziehen,
Und nirgends hin kannſt Du vor mir ent¬
fliehn.
Der Dichter.
Wer biſt Du denn, gewaltge Zauberinn,
Daß Du ſo quälſt und marterſt mich zum Tode
hin?
Die Stimme.
Erinnerung heiß 'ich; denk der ſchönen StuudenStunden!
Ach ſind ſie nicht zu ſchnell, zu ſchnell verſchwunden?
Der Dichter.
Kannſt Du nur quälen, giebſt kein tröſtend
Wort?
Und ängſteſt mich nur immer fort und fort?
Wird nichts die bange Quaal dann wenden?
Wann wirſt Du die Verfolgung enden?
Die Stimme.
Wann Du ſie wiederſiehſt,
Und ſchöner als vom Morgenroth
Du ihr entgegen glühſt,
Dann endet Deine Noth.
Dann freut Dich Abendſchein,
Dann iſt Muſik Geſpielinn Dir,
Nennſt Du die Holde balde Dein,
Blüht Dir ein Paradies ſchon hier.
Dann wirſt Du ſelber Dir vertrauen,
Sehnſt Dich nach keinen Himmelsauen.
Viertes Capitel.
Die große Handelsthätigkeit in Antwerpen
war für Franz ein ganz neues Schauſpiel.
Es kam ihm wunderbar vor, wie ſich hier
die Menſchen unter einander verliefen, wie
ſie ein ewig bewegtes Meer darſtellten, und
jeglicher nur ſeinen Vortheil vor Augen hat¬
te. Hier fiel ihm kein Kunſtgedanke ein,
ja wenn er die Menge der großen Schiffe
ſah, die Betriebſamkeit, Geld zu gewinnen,
die Spannung aller Gemüther auf den
Handel, die Verſammlungen auf der Börſe,
ſo kam es ihm als etwas Unmögliches vor,
daß einer von dieſen ſich der ſtillen Kunſt
ergeben ſolle. Er hörte nur immer, welche
Schiffe gekommen und abgegangen waren,
die Namen der vornehmſten Kaufleute wa¬
ren jedem Knaben geläufig, anfauf allen Spa¬
ziergängen ſetzten die Handelsleute ihre
kaufmänniſchen Geſpräche und Spekulatio¬
nen fort. Franz ward von dieſem neuen
Anblicke des Lebens zu betäubt, als daß er
ihn hätte niederſchlagen können.
Vanſen lebte hier als ein Kaufmann
vom zweiten oder dritten Range, der nur
unbedeutende Geſchäffte machte, der in der
Stadt ſelbſt nur wenig bekannt war, ſich
aber durch Aufmerkſamkeit und Sparſam¬
keit ein ziemliches Vermögen geſammelt hat¬
te. Sternbald ſuchte ihn bald auf, und das
Haus ſeines neuen Freundes war ihm wie
ein Schutzort, wie ein ſtilles Aſyl gegen das
tobende Gewühl der Stadt. Vanſen wohn¬
te etwas abſeits, ein kleiner Garten war
hinter ſeinem Hauſe; dabei ſprach er nur
ſelten von ſeinen kaufmänniſchen Geſchäf¬
ten, und hatte nicht die Eitelkeit, andern
die nichts davon begriffen, ſeine Spekula¬
tionen mitzutheilen: ſondern er liebte es,
von der Kunſt zu ſprechen, er ſuchte eine
Ehre darinn, für einen Kenner zu gelten.
Sternbalds kindliches Gemüth ſchloß ſich
bald an dieſen Mann an, in ſeiner Unbe¬
fangenheit hielt er ihn für mehr, als er
wirklich war, denn Vanſens Liebe zur
Mahlerey war nichts als ein blinder
Trieb, der ſich zufälligerweiſe auf dieſe
Kunſt geworfen hatte. Er hatte angefangen
Gemählde zu kaufen, und nachdem er ſich
einige Kenntniſſe erworben hatte, war es
nur Eitelkeit und Sucht zu ſammeln und
aufzuhäufen, daß er es nicht müde ward,
ſich um Gemählde und ihre Meiſter zu be¬
kümmern. So treiben die meiſten Menſchen
irgend eine Wiſſenſchaft oder Beſchäftigung,
und der gute Künſtler irrt ſehr, wenn er
unter dieſen die verwandten Geiſter, die
Verehrer der Kunſt ſucht.
Vanſen hatte nur eine einzige Tochter,
die er ungemein liebte. Sie galt in der
Nachbarſchaft für ſchön, und ihr Geſicht
war wirklich liebenswürdig. Der Kaufmann
bat unſern jungen Mahler, das Bildniß
ſeiner Tochter zu mahlen, und Franz mach¬
te ſich hurtig an die Arbeit. Seine Phan¬
taſie war weniger angeſpannt, er foderte
nicht zu viel von ſich, und das Bild rückte
ſchnell fort, und gelang ihm ungemein. Er
hatte indeß einige Gemählde geſehn, die
aus Italien gebracht waren, und er bemüh¬
te ſich, nach dieſen ſeine FärbnngFärbung zu ver¬
beſſern.
Franz bemerkte, daß die Tochter immer
ſehr traurig war; er ſuchte ſie zu erheitern,
er ließ oft, wenn er mahlte, auf einem
Inſtrumente luſtige Lieder ſpielen, aber es
hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung, ſie
wurde noch trauriger, oder weinte gar; vor
dem Vater ſuchte ſie ihre Melancholie gefliſ¬
ſentlich zu verbergen. Franz war zu gut,
um ſich in das Vertrauen eines Leidenden
einzudrängen, er kannte auch die Künſte
nicht, oder verſchmähte ſie, ſich zum Theil
nehmer eines Geheimniſſes zu machen; da¬
her war er in ihrer Gegenwart in Verlegen¬
heit.
In Vanſens Hauſe verſammelten ſich
oft Leute von den verſchiedenſten Charakte¬
ren, die eine Art von Akademie bildeten,
und von denen der Wirth manche Redens¬
arten lernte, mit denen er nachher wieder
gegen andre glänzte. Franz hörte dieſen
Geſprächen mit großer Aufmerkſamkeit zu,
denn bis dahin hatte er noch nie ſo verſchie¬
dene Meinungen oft ſchnell hinter einander
gehört. Vorzüglich zog ihn ein alter Mann
an, dem er beſonders gern zuhörte, weil je¬
des ſeiner Worte das Gepräge eines eige¬
nen
nen feſten Sinnes trug. An einem Abend
fing der Wirth, wie er oft that, an, über die
Kunſt zu reden, und den herrlichen Genuß
zu preiſen, den er vor guten Gemählden
empfände. Alle ſtimmten ihm bei, nur der
Alte ſchwieg ſtill, und als man ihn endlich
ausdrücklich um ſeine Meinung fragte, ſag¬
te er:
Ich mag ungern ſo ſprechen, wie ich
darüber denke, weil Niemand weiter meiner
Meinung ſeyn wird; aber es thut mir
immer innerlich wehe, ja ich ſpüre ein
gewiſſes Mitleid gegen die Menſchen, wenn
ich ſie mit einer ſo ernſthaften Verehrung
von der ſogenannten Kunſt reden höre.
Was iſt es denn alles weiter als eine un¬
nütze Spielerei, wo nicht gar ein ſchädlicher
Zeitverderb? Wenn ich bedenke, was die
Menſchen in einer verſammelten Geſellſchaft
ſeyn könnten, wie ſie durch die Vereinigung
Y
ſtark und unüberwindlich ſeyn müßten, wie
jeder dem Ganzen dienen ſollte und nichts
da ſeyn, nichts ausgeübt werden dürfte, was
nicht den allgemeinen Nutzen beförderte:
und ich betrachte dann die menſchliche Ge¬
ſellſchaft, wie ſie wirklich iſt, ſo weiß ich
nicht, was ich dazu ſagen ſoll. Es ſcheint
faſt, als wäre die Vereinigung nicht ent¬
ſtanden, um allgemein beſſer zu werden,
ſondern um ſich gegenſeitig zu verſchlim¬
mern. Da iſt keine Aufmunterung zur Tu¬
gend, keine Abhärtung zum Kriege, keine
Liebe des Vaterlands und der Religion, ja
es iſt keine Religion und kein Vaterland
da, ſondern jeder glaubt ſich ſelbſt der näch
ſte zu ſeyn, und häuft, ohne auf den gemei¬
nen Nutzen zu ſehn, die Güter auf erlaub
te und unerlaubte Art zuſammen, und ver
tändelt übrigens ſeine Zeit mit dem erſten
dem beſten Steckenpferde. Die Kunſt vor
züglich ſcheint ordentlich dazu erfunden, die
beſſern Kräfte im Menſchen zu erlahmen,
und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬
kelnde Nachäffung, dieſe armſelige Nachah¬
mung der Wirklichkeit, worauf doch alles
hinausläuft, zieht den Menſchen von allen
ernſten Betrachtungen ab, und verleitet ihn,
ſeine angeborne Würde zu vergeſſen. Wenn
unſer innrer Geiſt uns zur Tugend antreibt,
ſo lehren uns die mannichfaltigen Künſtler
ſie zu verſpotten; wenn die Erhabenheit
mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, ſo
unterlaſſen es die Reimer oder Poeten nicht,
ſie mit Nichtswürdigkeiten zu überſchreien.
Und daß ich namentlich von der geprieſenen
Mahlerey rede — Ich habe den Mahler, der
mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf
flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬
geſchlagen, als den Menſchen, der mit ſei¬
nem Munde Vögel- und Thiergeſchrei nach¬
Y 2
zuahmen verſteht. Es iſt eine Künſtelei die
keinem frommt, und die dabei doch die
Wirklichkeit nicht erreicht. Jeder Mahler
erlernt von ſeinem Meiſter eine gewiſſe Fer¬
tigkeit, einige Handgriffe, die er immer wie¬
der anbringt, und wir ſind dann gutmüthi¬
ge Kinder genug, ſtellen uns vor ſein
Machwerk hin, und verwundern uns dar¬
über. Wie da von Genuß der KuuſtKunſt die
Rede ſeyn kann, oder von Schönheit, be¬
greife ich nicht: da dieſe Menſchen die Be¬
geiſtrung nicht kennen, da ihre Schöpfun¬
gen nicht aus ihren ſchönſten Stunden ent¬
ſtehn, ſondern ſie ſich des Gewinnſtes we¬
gen niederſetzen und Farben über Farben
ſtreichen, bis ſie nach und nach ihre Figu¬
ren zuſammengebettelt haben, und nun den
Lohn an Geld dafür empfangen. Wie ſol¬
len dieſe knechtiſchen Arbeiten auf edle See¬
le wirken können, da ſie es ſelber nicht ein
mal wollen? Sie dienen, höchſtens der Sinn¬
lichkeit, und trachten vielleicht, elende Be¬
gierden zu erwecken, oder uns ein Lächeln
über ihre verzerrten Geſtalten abzuzwingen,
damit ſie doch irgend was verurſachen. Ich
meine alſo, daß man auf jeden Fall ſeine
Zeit beſſer anwenden könne, als wenn man
ſich mit der Kunſt beſchäftiget.
Franz konnte ſich im Unwillen nicht län¬
ger halten, ſondern er rief aus: Ihr habt
da nur von unwürdigen Künſtlern geſprochen,
die keine Künſtler ſind, die die Göttlichkeit
ihres Berufs ſelber nicht kennen, und weil
Ihr Euer Auge nur auf dieſe wendet, ſo
wagt Ihr es, alle übrigen zu verkennen.
O Albert Dürer! wie könnte ich es dulden,
daß man ſo von Deinem ſchönſten Lebens¬
laufe ſprechen darf? Ihr habt entweder noch
keine guten Bilder geſehn, oder die Augen
ſind Euch für ihre Göttlichkeit verſchloſſen
geblieben, daß Ihr Euch erkühnt, ſie ſo zu
läſtern. Es mag gut ſeyn, wenn in einem
Staate alles zn Einem Zwecke dient, es
mag in gewiſſen Zeiträumen nöthig ſeyn,
für das Wohl der Bürger, für die Freiheit,
daß ſie nur ihr Vaterland, nur die Waffen,
die bürgerliche Freiheit, und nichts weiter
lieben; aber ihr bedenkt nicht, daß in ſol¬
chen Staaten jedes eigene Gemüth zu
Grunde geht, um nur das allgemeine Bild
des Ganzen aufrecht zu erhalten. Die Gü¬
ter, um derentwillen die Freiheit dem Men¬
ſchen theuer ſeyn muß, die Regung aller
ſeiner Kräfte, die Entwickelung aller Schä¬
tze ſeines Geiſtes, dieſe koſtbarſten Klei¬
nodien müſſen wieder aufgeopfert werden, um
nur jene Freiheit zu bewahren. Über die
Mittel geht der Zweck verlohren, nach wel¬
chem jene Mittel ſtreben ſollten. Iſt es nicht
die herrlichſte Erſcheinung, den Menſchen¬
geiſt kühn in tauſend Richtungen, in tau¬
ſend mannichfaltigen Strömen, wie die Röh¬
ren eines künſtlichen Springbrunnens, der
Sonne entgegen ſpielen zu ſehn? Eben daß
nicht alle Geiſter ein und daſſelbe wollen,
iſt erfreulich; darum laßt der unſchuldigen
kindiſchen Kunſt ihren Gang. Denn ſie iſt
es doch, in der ſich am reinſten, am lieb¬
lichſten, und auf die unbefangenſte Weiſe
die Hoheit der Menſchenſeele offenbart, ſie
iſt nicht ernſt wie die Weisheit, ſondern ein
frommes Kind, deſſen unſchuldige Spiele
jedes reine Gemüth rühren und erfreuen
müſſen. Sie drückt den Menſchen am deut¬
lichſten aus, ſie iſt Spiel mit Ernſt gemiſcht
und Ernſt durch Lieblichkeit gemildert. Wo¬
zu ſoll ſie dem Staate, der verſammelten
Geſellſchaft nützen? Wann hat ſich je das
Große und Schöne ſo tief erniedrigt, um
zu nützen? Ein neues Feuer facht der große
Mann, die edle That in einem einzelnen
Buſen an; der Haufe ſtaunt dumm, und
begreift nicht und fühlt nicht, er betrachtet
eben ſo ein noch nie geſehenes Thier, er be¬
lächelt die Erhabenheit, und hält ſie für
Fabel. Wen verehrt die Welt, und wel¬
chem Geiſte wird gehuldigt? Nur das Nie¬
drige verſteht der Pöbel, nur das Verächt¬
liche wird von ihm geachtet. Zufälle und
Nichtswürdigkeiten ſind die Wohlthäter des
Menſchengeſchlechts geweſen, wenn Du den
häuslichen Nutzen dieſer armen Welt ſo
hoch anſchlägſt. Und was drückſt Du mit
dem Worte Nutzen aus? Muß denn alles
auf Eſſen, Trinken und Kleidung hinaus¬
laufen? daß ich ſicherer ſchlafe, oder beſſer,
ein Schiff regiere, bequemere Maſchinen er¬
finde, wieder nur um beſſer zu eſſen? Ich
ſage es noch einmal, das wahrhaft Hohe
darf und kann nicht nützen; dieſes Nützlich¬
ſeyn iſt ſeiner göttlichen Natur ganz fremd,
und es fodern, heißt, die Erhabenheit enta¬
deln, und zu den gemeinen Bedürfniſſen der
Menſchheit herüberwürdigen. Denn freilich
bedarf der Menſch vieles, aber er muß ſeinen
Geiſt nicht zum Knecht ſeines Knechtes, des
Körpers erniedrigen: er muß wie ein guter
Hausherr ſorgen, aber dieſe Sorge für den
Unterhalt muß nicht ſein Lebenslauf ſeyn.
So halte ich die Kunſt für ein Unterpfand
unſrer Unſterblichkeit, für ein geheimes Zei¬
chen, an dem die ewigen Geiſter ſich wun¬
derbarlich erkennen; der Engel in uns ſtrebt
ſich zu offenbaren, und trifft nur Menſchen¬
kräfte an, er kann von ſeinem Daſeyn nicht
überzeugen, und wirkt und regiert nun auf
die lieblichſte Weiſe, um uns, wie in einem
ſchönen Traum, den ſüßen Glauben beizu¬
bringen. So entſteht in der Ordnung, in
wirkender Harmonie die Kunſt. Was der
Weiſe durch Weisheit erhärtet, was der
Held durch Aufopferung bewährt, ja, ich
bin kühn genug, es auszuſprechen, was der
Märtyrer durch ſeinen Tod beſiegelt, das
kann der große Mahler durch ſeinen Pinſel
auswirken und bekräftigen. Es iſt der
himmliſche Strahl, der dieſen Geiſtern nicht
die müſſige Ruhe erlaubt, ſondern ſie zu ei¬
ner glänzenden Thätigkeit weckt. Und da¬
her ſind es wohl die ſchönſten, die erhaben¬
ſten Stunden, die ein Meiſter vor ſeinem
Werke zubringt; er legt bildlich die Liebe
hinein, mit der er die ganze Welt an ſein
Herz drücken möchte, die Urſchönheit, das
erhabne Bild der Hoheit, vor dem er nie¬
derkniet; alles dies trifft der verwandte
Geiſt in den lieblichen Zeichen wieder, die dem
Barbaren unverſtändlich ſind, er wird bei die¬
ſen Winken entzückt, er fühlt ſeinen Geiſt in
ſeiner Bruſt emporſteigen, er gedenkt alles
Schönen, alles Großen, das ihn ſchon einſt
bewegt hat, und es iſt nun nicht mehr das
irrdiſche Bild, das ihn entzückt, liebliche
Schatten vom Himmel herab fallen in ſein
Gemüth, und erregen eine bunte Welt von
Wohllaut, und ſüßer Harmonie in ihm.
O wenn uns die holde Natur lieb iſt, wenn
wir gern die Pracht des Morgens, die
Schimmer des Abends ſehn, wenn die
Schönheit in Menſchengeſtalten uns an¬
ſpricht, wie könnten wir uns dann gegen
die liebliche Kunſt ſo unfreundlich bezeigen?
Gegen die Kunſt, die ſich beſtrebt, uns al¬
les das noch werther und theurer zu ma¬
chen, uns mit uns ſelbſt zu befreunden, die
äußre Welt, die oft ſo hart um uns ſteht,
mit unſerm weichen Herzen zu verſöhnen?
Nein, es iſt unmöglich, daß ſich der Sinn
irgend eines Menſchen freiwillig abwende;
es ſind nur Mißverſtändniſſe, die ihn vom
himmliſchen Genuſſe zurückhalten dürfen.
Zweifelt nicht, daß der Künſtler in ſeinem
ſchönen Wahne, die ganze Welt, und jede
Empfindung ſeines Herzens in ſeine Kunſt
verflicht, er führt ſein Leben nur für die
Kunſt, und wenn die Kunſt ihm abſtürbe,
würde er nicht wiſſen, was er mit ſeinem
übrigen Leben weiter anfangen ſollte. Ihr
erwähnt es als etwas Schändliches, daß
der arme Künſtler ſich genöthigt ſieht, um
Lohn zu arbeiten, daß er das Werk ſeines
Geiſtes fortgeben muß, um ſeinem Körper
dadurch fortzuhelfen; er iſt aber deshalb
eher zu beklagen, als zu verachten. Ihr
kennt die Empfindung nicht, wenn ein
Mann ſein liebſtes Werk, mit dem er ſo
innig vertraut geworden iſt, aus dem ihm
ſein Fleiß, und ſo viele liebe mühevolle
Stunden anlächeln, wenn er es nun auf¬
opfern muß, es verſtoßen, und von ſich ent¬
fremden, daß er es vielleicht niemals wie¬
derſieht, bloß des ſchnöden Gewinnſtes we¬
gen, und weil eine Familie ihn umgiebt, die
Nahrung fordert. Es iſt zu bejammern,
daß in unſerm irrdiſchen Leben der Geiſt
ſo von der Materie abhängig iſt. O war¬
lich, kein größeres Glück könnte ich mir
wünſchen, als wenn mir der Himmel ver¬
gönnte, daß ich arbeiten könnte, ohne an
den Lohn zu denken, daß ich ſo viel Ver¬
mögen beſäße, und ganz ohne weitere Rück¬
ſicht meiner Kunſt zu leben, denn ſchon oft
hat es mir Thränen ausgepreßt, daß ſich
der Künſtler muß bezahlen laſſen, daß er
mit den Ergießungen ſeines Herzens Han¬
del treibt, und oft von kalten Seelen in
ſeiner Noth die Begegnung eines Sklaven
erfahren muß.
Franz hielt eine kleine Weileein, weil er ſich
wirklich die Thränen abtrocknete; dann fuhr
er fort: Auch kann es der Kunſt zu keinem
Vorwurfe gereichen, daß ihr unwürdige
Menſchen zu nahe treten, und ſich ihr als
Prieſter aufdrängen. Eben daß es Abwege
und Irrthümer geben kann, beweiſt ihre
Erhabenheit. Der Handwerker kann nur
auf eine Art vortreflich ſeyn, in den mecha¬
niſchen Künſten iſt eine Erfindung die beſte;
nicht alſo mit der göttlichen Mahlerey. Je
tiefer einige ſinken, um ſo höher ſteigen an¬
dre: wenn es jenen vergönnt iſt, den Weg
zu verfehlen, ſo dürfen dieſe dafür das
Göttliche erreichen, und uns durch Offenba¬
rung mittheilen.
Ihr habt Eure Sache recht wacker ver¬
theidigt, ſagte der Alte, ob ich gleich noch
Manches dagegen einwenden möchte.
Hier wurde das Geſpräch durch die
Nachricht unterbrochen, daß Vanſens Toch¬
ter plötzlich krank geworden ſey. Der Va¬
ter war in der größten Unruhe, er ſchickte
ſogleich nach eiuemeinem Arzte, und beſuchte ſeine
geliebte Sara. Der Arzt kam, und verſi¬
cherte, daß keine Gefahr zu beſorgen ſey;
es war ſpät, die Geſellſchaft ging ausein¬
ander.
Franz ging nicht nach ſeiner Wohnung,
ſondern begleitete die übrigen. Jezt hatten
ſich alle entfernt, und er war mit dem al¬
ten Manne allein. Ihr vergebt mir wohl,
fing er an, meine Hitze, da ich Euch heute
als ein junger Menſch ſo unbeſonnen wi¬
derſprochen habe; es kam, ohne daß ich ſa¬
gen könnte, wie es geſchah.
Ich habe Euch nichts zu vergeben, ſagte
der Alte, ihr ſeid ein wackrer Menſch, und
das freut mich.
Ihr mögt vielleicht Recht haben, ſagte
Franz —
Laßt das, fiel ihm der Alte ein; haben
nicht alle Zungen Recht und alle Unrecht?
Jeder trachte darnach, daß er es wahr und
redlich mit ſich meine, das iſt die Haupt¬
ſache.
Franz ſagte: wenn Ihr mir alſo nicht
böſe ſeid, ſo reicht mir zum Zeichen Eure
Hand, denn mich gereut meine Heftigkeit.
Der Alte drückte ihm die Hand herzlich;
dann umarmte er ihn, und ſagte: ſey im¬
mer glücklich mein Sohn und bleib bei Deiner
herzlichen Liebe zu allem Guten. Franz ging
hierauf ſehr vergnügt nach ſeiner Her¬
berge.
Fünf¬
Fünftes Kapitel.
Der Winter war beinahe verfloſſen, Ru¬
dolf Floreſtan war indeß nach Antwerpen
zurückgekommen. Franz hatte noch einige
andre Bilder ausgearbeitet, er beſuchte aber
ſeinen Freund Vanſen immer noch ſehr fleiſ¬
ſig; die Tochter war wieder hergeſtellt, doch
blieb ſie immer traurig und mißvergnügt.
An einem Morgen traf er Vanſen al¬
lein, es war ein Sonntag und der Kauf¬
mann hatte daher keine Geſchäfte. Ihr ſeid
mir ſehr willkommen, rief er dem Mahler
entgegen, ich habe ſchon längſt über eine
Sache mit Euch ſprechen wollen, wozu ich
noch immer nicht die gelegene Zeit habe
treffen können.
Sie ſetzten ſich und Vanſen fuhr in ei¬
nem vertraulichen Tone fort: Je mehr ich
Euch kennen lerne, lieber Sternbald, je
Z
mehr muß ich Euch hochſchätzen, denn die
jugendliche Schwärmerei, die Euch zu Zei¬
ten mit ſich fortreißt, wird ſich gewiß mit
den Jahren verlieren. Seht, das iſt das
Einzige, was ich allenfalls gegen Euch
hätte, aber ſonſt lieb' ich Euch ſo ſehr, wie
ich bis jetzt noch keinen Menſchen werth
gehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu
einer Kunſt, die ich von Jugend auf vor¬
züglich verehrt habe. Doch ich will Euch
näher kommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das
ſonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt
habt, ſeit Ihr in unſerm Hauſe bekannt ge¬
worden ſeid; meine Sara war ſonſt nie ſo
melancholiſch, ſondern die Luſtigkeit ſelbſt,
ſeit ſie Euch geſehn hat, iſt ihr ganzer Sinn
umgewandt. Nun ſagt mir aufrichtig, wie
gefällt ſie Euch?
Franz verſicherte, daß er ſie ſehr lie¬
benswürdig finde, und der Vater fuhr fort:
Seit vielen Jahren habe ich es mir feſt
vorgenommen, und es iſt ein Vorſatz, von
dem ich gewiß nicht weiche, daß Niemand
als ein geſchickter Mahler mein Eidam wer¬
den ſoll. Es kömmt nun bloß auf Euch an,
ob ich in Euch meinen Mann gefunden ha¬
be. Ich weiß alles, was Ihr mir antwor¬
ten könnt, aber laßt mich ausreden. Ich
will Euch damit keineswegs von Eurer Reiſe
zurückhalten, ſondern ich muntre Euch viel¬
mehr ſelber auf, Italien zu beſuchen und
dort zu ſtudiren. Meine Tochter liebt Euch,
Ihr verſprecht Euch mit ihr, und mein
Vermögen macht Euch die Reiſe bequemer
und nützlicher. Ihr kommt dann zurück,
und was ich beſitze, ſichert Euch wenigſtens
vor dem Mangel. Ihr könnt dann Eurer
Kunſt, wie Ihr Euch immer gewünſcht
habt, mit allen Kräften obliegen, Ihr wer¬
det bekannt und berühmt, meine Tochter iſt
Z 2
mit Euch glücklich und alle meine Wünſche
ſind erfüllt.
Franz war heftig bewegt, er dankte in
den wärmſten Ausdrücken dem Kaufmanne
für ſein Wohlwollen, er bat ihn, noch jetzt
keine entſcheidende Antwort zu verlangen
und ſein Zögern nicht übel zu deuten. Er
verließ ihn, und ſchweifte mit tauſend Vor¬
ſtellungen durch die Straßen umher. So
nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben
noch nie getreten, um ſein inneres poeti¬
ſches zu verdrängen; er fühlte ſich angezo¬
gen und zurückgeſtoßen, das ſchöne Bild
ſeiner Phantaſie ſtand bald ganz hell vor
ihm, bald rückte es tief in den Hintergrund
hinab. Hier bot ſich ihm eine ſichre Zukunft
an, ganz unverhoft, eine Lebensweiſe, wie
ſie immer ſein Wunſch geweſen war, und
man forderte nichts weiter von ihm, als ei¬
nen Schatten, ein Traumbild aufzuopfern,
das nicht ſein war. Doch fürchtete er ſich
wieder, ſo ſeinen Lebenslauf zu beſtimmen
und ſich ſelber Gränzen zu ſetzen; die
Sehnſucht rief ihn wieder in die Ferne hin¬
ein, ſeltſame Töne lockten ihn und verſpra¬
chen ihm ein goldenes Glück, das weit ab
ſeiner warte. In dieſer Stimmung beſuchte
er ſeinen Freund Rudolf. So vertraut er
mit dieſem war, ſo konnte er ihm doch nie
ſeine Geſchichte, ſo wie ſeine wunderbare
Liebe entdecken, es war nur Sebaſtian,
dem er dergleichen vertrauen durfte. Aber
er erzählte ihm jetzt Vanſens Vorſchlag und
bat um ſeinen Rath. Wie ſoll ich dir hier¬
inn rathen? rief Rudolf lachend aus; das
Rathgeben iſt überall eine unnütze Sache,
aber vollends bei der Ehe; jeder Menſch
muß ſich ſein eignes Glück machen, und dann
kömmt auch deine Frage viel zu früh, denn
du weißt ja nicht einmahl, ob dich das
Mädchen haben will.
Franz ſtutzte. Das Wort Ehe erweckte
überdem mancherlei Vorſtellungen bei ihm.
Er ſah alle die Scenen einer ruhigen Häus¬
lichkeit vor ſich, Kinder die ihn umgaben,
er hörte die Geſpräche ſeines Schwiegerva¬
ters und der Freunde, er fühlte ſeine friſche
Jugend verſchwunden und ſich eingelernt in
die ernſteren Verhältniſſe des Lebens; ſeine
wunderbaren Gefühle und Wünſche, das
zauberiſche Bild ſeiner Geliebten, alles hat¬
te Abſchied genommen und ſein Herz hing
an nichts mehr glühend. Es war wie ein
klarer geſchäftiger Tag, der nach der Pracht
des Morgenroths erwacht; wie eine Rede
nach einem ausgeklungenen Liede. Seine
Bruſt war beängſtigt, er wußte ſich nicht
zu laſſen und verließ unmuthig den lachen¬
den Floreſtan. Wie iſt es mit dem Leben?
dachte er bei ſich ſelber; irgend einmahl iſt
dieſer Taumel der Jugend doch verflogen,
endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben
in Empfang, dem ich jetzt ſo ſcheu aus dem
Wege trete. Wie wird mir ſeyn, wenn
meine ſchönen Träume hinter mir liegen?
Er kam in Vanſens Haus zurück. Die
Tochter war allein und ſpielte auf der Zit¬
ter. Er nahte ihr mit großer Verlegenheit;
das Mädchen bemerkte ſeine Angſt und
fragte ihn, ob er krank ſei. Franz war im
Begriff, alles zu erzählen, was ihm der
Vater vertraut hatte, als Sara von der
Magd heimlich eine Bothſchaft erhielt,
über die ſie ſehr zu erſchrecken ſchien.
Die Magd entfernte ſich wieder und Sara
ging weinend auf Sternbald zu und ſagte:
Nein, mein liebſter Freund, ich habe mich
nicht mehr in meiner Gewalt, ich muß Euch
mein Leiden klagen, Euch vertraue ich al¬
lein, und Ihr werdet mein Vertrauen nicht
mißbrauchen. O Sternbald, ſeit acht Wo¬
chen leide ich unausſprechlich. Ihr ſeid gut,
Ihr habt Mitleiden mit mir getragen,
ich habe es wohl bemerkt, und darum will
ich Euch alles ſagen. Nicht weit von uns
wohnt ein junger Schmid, den ich ſchon
ſeit lange kenne, der mich liebt und der
jetzt krank liegt. Es ſoll mit ſeiner Krank¬
heit immer ſchlimmer werden; er fürchtet
jetzt, mein Vater will mich verheirathen, er
iſt arm, ein Handwerker und nun der Ver¬
zweiflung nahe. O wollt Ihr ſo gütig
gegen mich ſeyn und ihn beſuchen und trö¬
ſten? Ihr glaubt nicht, wie gut, wie brav
er iſt. Ihr würdet gewiß ſein Freund wer¬
den, wenn Ihr ihn kennen ſolltet, denn je¬
dermann muß ihn lieben, der ihm nahe
kömmt.
Franz war gerührt; er ließ ſich das
Haus bezeichnen und ging ſogleich hin. Er
kam in eine armſelige Stube, in der der
Kranke in einem Bette lag, und vor ſich
Papiere hatte, auf denen er zeichnete. Als
Sternbald näher kam, erſtaunte er, denn
es war derſelbe Schmid, mit dem er vor
Nürnberg am Tage ſeiner Auswanderung
geſprochen hatte. O mein lieber Freund,
rief er aus, wie werfe ich es mir vor, daß
ich Euch ſo vergeſſen und nicht früher auf¬
geſucht habe! Der junge Schmiedegeſell er¬
kannte ihn ebenfalls und nun eröffnete ihm
Franz, aus welcher Abſicht er zu ihm ge¬
kommen ſei. Meſſys weinte, als er hörte,
wie zärtlich ſeine Sara für ihn beſorgt ſei.
O Mahler, rief er aus, Ihr glaubt nicht,
was ich ausgeſtanden habe, ſeitdem ich Euch
damals geſprochen hatte. Seit ich Euren
Dürer ſah, hatte ich keine Ruhe mehr in
mir ſelber, es war, als wenn es an allen
meinen Sinnen zöge und arbeitete, daß ich
immer an Mahlereien, an Zeichnungen den¬
ken mußte; an nichts in der Welt fand ich
mehr Gefallen, die Schmiedearbeit war mir
zur Laſt. Ich zeichnete täglich etwas, und
ſelbſt in der Krankheit kann ich es nicht laſ¬
ſen; ſeht, da habe ich eine herrliche Figur
von Lukas Leyden.
Franz betrachtete ſie; der junge Menſch
hatte ſie ſehr gut kopirt und Franz ver¬
wunderte ſich darüber, daß er es ohne al¬
len Unterricht ſo weit habe bringen können.
Meſſys fuhr fort: So kam ich nach Ant¬
werpen zurück und nichts war mir hier
recht. Ich hatte immer noch den Dürer und
ſeine Werkſtätte im Kopf, es kam ſo weit,
daß ich mich meines Hammers ſchämte, ich
verdarb die Arbeit, ich konnte nicht mehr
fort. Schon lange hatte ich die Tochter un¬
ſers Nachbars gekannt, aber es war mir
nie eingefallen, ſie als ein reiches und vor¬
nehmes Mädchen ſo anzuſehen, als ob ich
ſie lieben könnte. Aber als ob ein böſer
Geiſt recht darauf ausginge, mich zu Grun¬
de zu richten, ſo kam nun alles zuſammen.
Ich konnte die Augen nicht mehr von ihr
abwenden; wenn ich an's Zeichnen dachte,
wollte ich ihr Geſicht nur immer auf dem
Papiere entwerfen. Ich ging auf's Feld,
ich kam zurück, ich wollte ſie nicht anſehen,
o ich hatte es nicht nöthig, denn allenthal¬
ben war ſie mir vor die Augen wie hinge¬
bannt, ich ſah nichts anders als ſie. Bei
jedem Geſichte dacht' ich an das ihrige, alle
Menſchen ſah ich darauf an, ob ſie ihr
ähnlich wären. Sie bemerkte meine Leiden¬
ſchaft, ſie ſah mich freundlich an, ſie ſah
mir nach, wenn ich vorbeiging; da war
mir, als wenn mich der Blitz angerührt
hätte, ſo oft es geſchah, wußte ich nicht,
ob ich es glauben ſollte. Ihr Vater hatte
in Leyden Geſchäfte und reiſte dorthin; ich
weiß nicht, wie ich mich unterfing, ſie eines
Abends anzureden, ich konnt' es nicht laſ¬
ſen, ich ſprach lange mit ihr und nachher
ſchallte mir nur der Ton ihrer Rede, nur
einzelne Worte in den Ohren, aber ich wu߬
te nicht, was ſie geſagt hatte. So ſah ich
ſie öfter; wir gingen heimlich mit einander
ſpatzieren, ich wurde vertraulicher, ſie ge¬
ſtand mir, daß ſie mir gut ſei und nun
war ich im Himmel. Da fing ich an aus
allen Kräften zu arbeiten; des Abends wenn
ich ſie nicht ſprechen konnte, zeichnete ich
ihr Bild, oder ſtellte mich dem Hauſe ge¬
genüber und ließ ſo die Nacht heranrücken.
O ich bin geſchwätzig wie ein Kind. Ehe
wir es uns verſahen kam der Vater zurück.
Nun war es mit unſern Zuſammenkünften
aus; ich konnte ſie nur manchmal im Vor¬
beigehn grüßen. Wie eine Decke fiel es
mir von den Augen und mein Herz wollte
ſpringen. Ich ſah nun wieder den Unter¬
ſchied unter uns beiden, wie mich der reiche
Vater verachten müße, wie ich in meinem
Stande ſo nichts gegen ihn ſei. Nun hörte
ich noch dazu, Sara würde bald verheira¬
thet werden; ach! und es geſchieht auch ge¬
wiß. Was ſoll ich anfangen? Mein Hand¬
werk war mir ein Abſcheu, alles, worauf
ich mich ſonſt wohl freuen konnte, Meiſter
zu werden und bei Gelegenheit eine künſt¬
liche Arbeit, einen Springbrunnen, Gitter¬
werk, oder dergleichen zu unternehmen, kam
mir nun kläglich vor. Ich wußte gar nicht,
was ich in der Welt ſollte. Ein Mahler zu
werden, dazu bin ich nun zu alt; die Sara
darf ich nicht ſehen, nichts hoffen, ſo geh'
ich zu Grunde. Alles das zuſammen hat
mich ſo krank und ſchwach gemacht, daß ich
bald zu ſterben hoffe.
Franz ſagte weinend: Nein, das dürft
Ihr nicht hoffen; glaubt mir, daß Ihr ge¬
wiß noch Zeit genug habt, ein guter Mah¬
ler zu werden, wenn Ihr dieſe Liebe zur
Kunſt behaltet. Ihr zeichnet ſchon ſo gut,
als wenn Ihr lange in der Lehre geweſen
wäret, und es kommt alſo nur auf Euch
an, ein Mahler zu werden. Dann dürft
Ihr auch auf Eure Geliebte hoffen, denn
der Vater achtet die Mahlerei und will nur
einen Mahlerkünſtler zum Eidam haben;
darum hat er mir noch heut, ſo arm ich
auch bin, ſeine Tochter angetragen. Darum
tröſtet Euch, ſammelt wieder Luſt zum Le¬
ben und Kräfte, denn Ihr könnt noch recht
glücklich werden.
Meſſys ſchüttelte mit dem Kopfe, als
wenn er nicht daran glauben könne, doch
Franz fuhr ſo lange fort, ihn zu tröſten,
bis jener etwas beruhigt war. Sternbald
eilte ſogleich zu Vanſen, den er bei einer
Flaſche Wein und bei guter Laune antraf.
Jetzt will ich Euch meine Antwort bringen,
ſagte Franz, aber Ihr müßt mir mit Ge¬
duld zuhören. Er erzählte hierauf die Ge¬
ſchichte ſeines Freundes und ſprach von der
gegenſeitigen Liebe der beiden jungen Leute.
Ihr wolltet mir, ſchloß er, als einem ar¬
men Menſchen, der nicht mehr, als dieſer
Schmid beſitzt, Eure Tochter geben, Ihr
wolltet auf meine Zurückkunft warten, nun
ſo thut es mit dieſem, um das Glück Eurer
einzigen Tochter zu begründen; ſie iſt jung,
ich verſichere Euch, Meſſys iſt in wenigen
Jahren ein guter Mahler, der Euch Ehre
macht, und ſo ſind alle Eure Wünſche er¬
füllt.
Und Ihr ſeid überzeugt, daß er mit der
Zeit gut mahlt? fragte Vanſen.
Gewiß, ſagte Sternbald, ſeht nur dieſe
Zeichnungen, die warlich einen guten Süch
ler verrathen.
Er zeigte ihm hierauf einige Bilder, die
er von Meſſys Hand mitgebracht hatte, und
Vanſen betrachtete ſie lange mit prüfenden
Blicken; doch ſchien er endlich mit ihnen
zufrieden zu ſeyn. Ihr ſeid ein braver jun¬
ger Menſch, rief er aus, Ihr könntet mich
zu allem bewegen, es iſt viel, daß Ihr ſo
uneigennützig ſeid. So geht alſo zu dem
armen Teufel und grüßt ihn von mir, ſagt,
er ſoll nur geſund werden und wir wollen
dann weiter mit einander ſprechen.
Franz ſprang auf. Im Vorſaal begeg¬
nete ihm Sara, der er mit wenigen Wor¬
ten alles erzählte; dann eilte er zu Meſſys.
Seid getroſt, rief er aus, alles iſt gut, der
Vater bewilligt Euch die Tochter, wenn Ihr
Euch auf die Mahlerei legt. Darum wer¬
det geſund, damit Ihr ihn ſelber beſuchen
könnt.
Der Kranke wußte nicht, ob er recht höre
und
und ſehe. Franz mußte ihm die Verſiche¬
rung öfters wiederholen. Als er ſich end¬
lich überzeugte, ſprang er auf und kleidete
ſich ſchnell an. Dann ſprang und tanzte er
in der Stube herum, wobei er alte nieder¬
ländiſche Bauernlieder ſang, umarmte bald
und küßte Sternbald, dann weinte er wie¬
der und trieb ein ſeltſames Spiel mit ſeiner
Freude, das den jungen Mahler innig
bewegte. Sie machten ſich hierauf auf
den Weg nach Vanſens Hauſe. Auf
der Straße taumelte der Kranke, als
ihn die ungewohnte freye Luft umfing;
Franz unterſtützte ihn und ſo kamen ſie
hin. Das erſte was ſie im Hauſe ſahen,
war Sara, und Meſſys geberdete ſich wie
ein Verrückter; ſie ſchrie laut auf, da ſie
ihn ſo unvermuthet und ſo blaß ſah. Sie
kamen in des Vaters Zimmer, der ſehr
freundlich war. Meſſys war gegen dieſen
A a
verlegen und blöde. Ihr liebt meine Toch¬
ter, ſagte der Kaufmann, und Ihr ver¬
ſprecht, Euch auf die Mahlerei zu legen, ſo
daß Ihr Euch in einigen Jahren als ein
geſchickter Mann zeigen könnt; unter dieſer
Bedingung verſpreche ich ſie Euch, aber da¬
zu müßt Ihr reiſen und trefflich ſtudiren,
ich will Euch zu dieſem Endzweck auf alle
Weiſe unterſtützen. Vor allen Dingen müßt
Ihr ſuchen geſund zu werden.
Die beiden Liebenden kamen hierauf in
Gegenwart ihres Vaters zuſammen und
fühlten ſich unausſprechlich glücklich. Meſ¬
ſys mußte eine beſſere Wohnung beziehen
und nach einigen Tagen war er faſt ganz
hergeſtellt. Er wußte nicht, wie er unſerm
Freunde genug danken ſollte.
Es waren jetzt die letzten Tage des Fe¬
bruars und die erſte Sonnenwärme brach
durch die neblichte Luft. Franz und Rudolf
machten ſich auf die Reiſe. Ehe ſie Ant¬
werpen verließen, erhielt Franz von Van¬
ſen ein anſehnliches Geſchenk; der Kauf¬
mann liebte den jungen Mahler zärtlich.
Sternbald und Floreſtan halten jetzt ſchon
die Thore der Stadt weit hinter ſich, ſie
hörten die Kloken aus der Ferne ſchlagen
und Rudolf ſang mit lauter Stimme:
Wohlauf! es ruft der Sonnenſchein
Hinaus in Gottes freie Welt:
Geht munter in das Land hinein
Und wandelt über Berg und Feld!
Es bleibt der Strom nicht ruhig ſtehn
Gar luſtig rauſcht er fort;
Hörſt du des Windes muntres Wehn?
Er brauſt von Ort zu Ort.
Es reiſt der Mond wohl hin und her,
Die Sonne ab und auf,
Guckt übern Berg und geht in's Meer,
Nie matt in ihrem Lauf.
A a 2
Und Menſch, du ſitzeſt ſtets daheim
Und ſehnſt dich nach der Fern,
Sei friſch und wandle durch den Hain
Und ſieh die Fremde gern.
Wer weiß wo dir dein Glücke blüht,
So geh und ſuch es nur,
Der Abend kömmt, der Morgen flieht,
Betrete bald die Spur.
Laß Sorgen ſeyn und Bangigkeit
Iſt doch der Himmel blau,
Es wechſelt Freude ſtets mit Leid,
Dem Glücke nur verttau.
So weit dich ſchließt der Himmel ein,
Geräth der Liebe Frucht,
Und jeglich Herz bekömmt das Sein
Wenn es nur ämſig ſucht.
Ende des erſten Theils.