Vorwärts!
Es bedarf nur eines Blickes in die ersten Anfänge unserer
Bewegung, um zu erkennen, daß die führenden Geister der
Sozialdemokratie von jeher grundsätzlich auf dem Standpunkt
der Rechtsgleichheit der Frau standen. Aber freilich wurde
es noch lange Zeit einem großen Teil der Partei recht schwer,
die neue Auffassung von der Stellung der Frau sich innerlich
anzueignen. Ja, selbst nach dem Parteitag von Erfurt, der
das gleiche Recht beider Geschlechter im allgemeinen und das
gleiche Wahlrecht im besonderen ausdrücklich in das Partei-
programm schrieb, vermochten noch viele Parteigenossen sich
nicht völlig von den ererbten und ringsumher in der bürger-
lichen Welt geltenden Vorstellung von der Überlegenheit und
dem sich darauf gründenden Vorrecht des Mannes in den öffent-
lichen Angelegenheiten loszumachen.
Dank der Entwicklung der Sozialdemokratie aber und nicht
zuletzt der unermüdlichen Tätigkeit unserer Parteigenossinnen,
Hand in Hand mit der fortschreitenden Revolutionierung der
ganzen wirtschaftlichen Stellung der Frau, hat die Sache des
Frauenrechts seitdem schnelle Fortschritte gemacht. Gewiß geht
uns auch auf diesem Gebiet alles zu langsam, und wenn wir
die Frauen in manchem anderen Lande entscheidende Erfolge
erringen sehen, so fühlen wir mit Beschämung, wie weit ge-
rade wir in Deutschland noch zurück sind.
Und doch – wer die heutige Auffassung über die ganze
Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft mit derjenigen ver-
gleicht, wie sie zu Beginn der achtziger Jahre bei uns herrschte,
der wird erkennen müssen, welche tiefgreifende Veränderung trotz
alledem, und zwar vor allem durch die Sozialdemokratie, wäh-
rend dieser Zeit in der öffentlichen Meinung bewirkt worden
ist. Jch gedenke zum Beispiel des Tages, da meine Kollegen
und ich im bayerischen Landtag zuerst für
Frauenrechte eintraten. Niemand wollte
uns ernst nehmen, und als der Führer des
Zentrums meinte, die Weiber sollten lieber
Hemden nähen, als sich um „solche Sachen“
kümmern, da stimmte die Kammer dieser
Weisheit in allgemeiner Heiterkeit zu, und
die Geschichte schien damit erledigt. Und
als die erste Ärztin in München erschien
– die seitdem längst eine hervorragende
Stellung in der medizinischen Welt er-
rungen hat –, da gab der Führer der
Liberalen, selbst ein Arzt, uns den guten
Rat, die Frau Doktorin möge nur schnell
machen, daß sie wieder weiter käme, weil
man die Ausübung ihres Berufs auf keinen
Fall dulden werde. Heute aber spielt die
Frau nicht nur in steigendem Maße eine
Rolle im ganzen öffentlichen Leben, son-
dern wir sehen sie auch bereits in eine
Reihe von sozialpolitischen, wissenschaft-
lichen und administrativen Stellungen des
Landes und der Gemeinde eingerückt. Und
als wir vor einigen Jahren die Reform
unseres Landtagswahlrechts durchführten,
da war zwar freilich nicht daran zu denken,
das Frauenwahlrecht schon durchzusetzen:
aber als über die Überweisung der darauf bezüglichen Petitionen
an die Regierung zur späteren Würdigung abgestimmt wurde,
befand sich unter den dafür abgegebenen Stimmen neben den
unserigen doch auch eine Anzahl von bürgerlichen, darunter
selbst solche vom Zentrum.
Diese Anfänge mögen im Vergleich zum Ziel winzig er-
scheinen. Aber das Weitere wird mit Sicherheit nachkommen,
so unmöglich dies vielen auch heute noch erscheinen mag. Steht
es doch mit dem Frauenrecht auch nicht schlechter als mit dem
Werk der staatlichen und gesellschaftlichen Befreiung über-
haupt, von der jenes nur ein Teil ist. Und daß die Kräfte, die
uns schon so weit gebracht haben, sich unablässig weiter aus-
spannen werden, bis sie schließlich jeden Widerstand zu über-
winden vermögen, dafür bürgen uns die Gerechtigkeit der Sache
und die Unermüdlichkeit ihrer Kämpfer und Kämpferinnen!
München. Vollmar.