Leben und Thaten
des
berühmten Ritters Schnapphahnski.
I.
Schlesien.
Sage mir, Muse, die Thaten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nachdem aus Berlin man verbannt ihn;
Vieler Menschen Städte geseh’n und Sitte gelernt hat,
Auch bei Don Carlos so viel’ unnennbare Leiden erduldet.
Gewiß! Vater Homer, der weißbärtige, griechische Barde würde nicht den edlen Odüsseus, nein, er würde den edlen Ritter Schnapphahnski besungen haben, wenn Vater Homer nicht zufällig in einer Zeit gelebt hätte, wo man weder Klavier spielte, noch Manilla-Cigarren rauchte, wo man weder an Berlin noch an Don Carlos dachte.
Homer ist todt. Ich lebe. Das letztere freut mich am meisten. Was Homer nicht thun konnte: ich thue es. Homer besang den Odüsseus, – ich verherrliche den Ritter Schnapphahnski.
Seltsame Vögel gab es auf Erden – von Adam an bis auf Heinrich Heine. Adam wurde im Paradiese geboren und war ein Mensch; Heine sah das Licht der Welt in Düsseldorf und ist ein Gott – nämlich ein Dichter.
Heine wohnt in Paris – dies wissen alle schönen Frauen. Viel artige poetische Kinder zeugte er. Sein jüngster Sohn ist aber ein Bär. Und dieser Bär heißt Atta Troll. Nächst dem großen und dem kleinen Bären dort oben am Himmel, ist dieser Atta Troll der berühmteste Bär unserer Zeit.
Meine Leser müssen mir nicht zürnen, daß ich von den Griechen plötzlich auf die Bären komme – die Hauptsache ist aber, daß der Atta Troll in genauem Zusammenhange mit dem Ritter Schnapphahnski steht. In zauberisch-poetischen Nebel gehüllt, sehen wir nämlich in Heine’s klingendem Gedichte den Ritter Schnapphahnski zum ersten Male über die Bühne schreiten. Ein komisches zweibeiniges Wesen; in eine Bärin verliebt, der Finanznoth blasse Wehmuth auf den Wangen, beraubt seiner Kriegskasse von zwei und zwanzig Silbergroschen, und die Uhr zurückgelassen im Leihhause von Pampeluna!
Schattenhaft, wie ein Jäger der wilden Jagd, huscht der edle Schnapphahnski an uns vorüber; wir möchten ihn festhalten, einen Augenblick; wir möchten
ihm noch einmal in’s Auge schau’n, ihn noch einmal vom Wirbel bis zur Zehe betrachten, den geisterhaften, den interessanten Mann – aber fort ist er, ehe wir’s uns versehen, und erstaunt fragen wir uns: wer ist dieser Schnapphahnski?
Lieber Leser sei nicht unbescheiden! „Zwar Alles weiß ich nicht, doch Viel ist mir bewußt!“ Höre zu, was ich dir von Schnapphahnski erzählen werde; es ist Zeit, daß der edle Ritter aus seinem zauberisch-poetischen Nimbus heraustritt; an den Zipfeln seines Frackrocks zerre ich ihn vor das große Publikum.
Wie schlafende Riesen liegen hinter uns die verrauschten Jahrhunderte, todt und stumm. Aber alte Historiker, bücherbestaubt und grün bebrillt, und naseweise Poeten prickeln und stacheln sie bisweilen mit ihren spitzigen Federn, und dann fahren sie empor, sie heben ihre Köpfe, sie öffnen den Mund, und halb im Traume erzählen sie uns brockenweis ihre klugen und ihre thörichten Geschichten, – wie es gerade kommt, und bleischwer sinken sie wieder zusammen.
Glücklicherweise habe ich es nicht mit den schlafenden Riesen der Jahrhunderte zu tun. Es handelt sich nur um die Vergangenheit des Ritters Schnapphahnski, und lieblos werde ich sie mit meiner Feder
emporstacheln, damit die Welt doch endlich sieht, was sie an ihrem Ritter hat, damit unser Schnapphahnski doch endlich zur rechten Anerkennung gelangt.
Das Dasein Schnapphahnski’s gleicht einer bunten Arabeske. Manchmal wird es Euch an die Avantüren des Chevalier Faublas erinnern; bald an eine Episode aus der Geschichte des Ritters von der Mancha, bald an die Glanzmomente eines Bosco’schen Taschenspielerlebens.
Zärtlicher, verliebter Schäfer, rasender Raufbold, Spieler, Diplomat, Soldat, Autor – Alles ist dieser Schnapphahnski – ein liebenswürdig frecher Gesell. – Doch zur Sache!
Schnapphahnski ist von Geburt ein Wasserpolacke. Ich bitte meine Leser nicht zu lachen. Schnapphahnski ist ein wunderschöner Mann, den manches allerliebste Frauenzimmerchen recht gern in den kohlschwarzen Bart hineinküssen würde. Der Ritter ist nicht groß, aber er ist hübsch und kräftig gebaut. Ein kleiner, schmaler Fuß, ein rundes Bein, eine gewölbte Brust, ein stolzer Kopf mit schwarzem Knebel- und Schnurrbart, flink und gewandt: das ist der Ritter Schnapphahnski. Ein Mann wie gedrechselt, mit funkelnden Augen, höhnischen Lippen und aristokratisch weißen Händen.
Im Monat Mai seines Lebens war der junge, schöne Wasserpolacke Freiwilliger in dem 4. (braunen) Husarenregimente, dessen Stamm in O. in Schlesien stand.
Das lautet wieder ganz prosaisch. Aber man denke sich den jungen Fant, dessen Fuß nur auf den Teppich oder in den silbernen Bügel trat, in knapper Uniform, die Reitpeitsche in der Hand, den ersten dunklen Flaum des Bartes auf den zarten Wangen, die Gewandtheit eines jungen Katers in jeder Bewegung, und die Lüsternheit blitzend aus beiden Augen – und man wird gestehen müssen, daß es eben kein Wunder war, wenn er einen gewissen Eindruck auf die schöne Gräfin S. machte.
Die schöne Gräfin S. verliebte sich in den braunen Husaren. Weshalb sollte sie nicht? Wär’ ich die Gräfin S., ich hätte es auch gethan. Der jugendliche Freiwillige war gar zu reizend. Schon damals zeigte sich bei ihm die Gabe der Rede, jenes Talent, was ihm später von so unendlichem Nutzen war, mit dem er so manchen stillen Landtagsabgeordneten in haarsträubendes Erstaunen setzte. Die Worte flossen ihm so glatt von den Lippen, und eine jede Phrase begleitete er so ausdrucksvoll mit der schneeweißen Hand, daß die arme Gräfin zuletzt nicht mehr widerstehen konnte und sich ihrem Husaren auf
Gnade und Ungnade ergab. Glücklicher Ritter! Er durfte seinen jungen Schnurrbart auf die kußlichsten Lippen ganz Schlesiens drücken. Kaum der Schule entlaufen und schon ein Alexander, der eine Welt, ein Herz, eroberte!
Soweit war Alles gut. Daß Schnapphahnski ein gräfliches Herz stahl: Niemand wird ihm das verdenken; und daß er seine Gräfin küßte: nun, das war seine verfluchte Schuldigkeit. Denn der Mensch soll küssen! In flammender Frakturschrift steht dies geschrieben in den rosigen Abend- und Morgenwolken. Der Mensch soll küssen! In kleiner Schrift stehet es geschrieben auf dem Blatt jeder Rose, jeder Lilie.
Schnapphahnski küßte und er gehorchte dem Gesetz, das mehr als die Frakturschrift der brennenden Wolken und mehr als die kleine Schrift der Lilien und der Rosen die Lippen einer Gräfin verkündigten, einer liebenswürdigen schlesischen Gräfin.
Wie gesagt, bis zu diesem Augenblicke konnte man Schnapphahnski nicht den geringsten Vorwurf machen: er liebte und er ward geliebt, er küßte und er wurde geküßt.
Der edle Ritter war aber nicht zufrieden mit dem Schicksal gewöhnlicher Sterblicher; abenteuerlich juckte es in seinen Knochen; er überredete die Gräfin
zur Flucht, er entführte sie. – Der Ritter stand also in der dritten Phrase seines Unternehmens. Zuerst geliebt, dann geküßt und nun entführt. – Alle Ehemänner werden ihn des letztern wegen ernstlich tadeln; so etwas ist unhöflich – ein Weib entführen: das ist nicht recht – einen armen Ehemann mit seinen Hörnern und mit seinem Gram allein zurückzulassen, das ist hartherzig und unpolitisch; namentlich unpolitisch, denn wollte man jede Helena entführen, wie viele Städte würden da nicht das Schicksal Trojas theilen? welches Elend würde über die Welt kommen? Paris, Wien und Berlin würden in Rauch und Flammen untergehen – aller Spaß hörte auf, mit den Nationalversammlungen hätte es ein Ende und mancher edle Ritter Schnapphahnski würde vergebens seine Beredsamkeit an den Mann zu bringen suchen.
Aber unser brauner Husar mit den prallen jugendlichen Schenkeln und den lüsternen Augen, dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, als er die schlesische Helena lächelnd hinauf in den Wagen hob, um eiligst das Weite zu suchen.
Weshalb sollte er auch an die Zukunft denken? War die Gegenwart nicht schön genug? Ach, so herrlich fuhr es sich an der Seite des himmlischen Weibes. Die Vögel sangen, die Blumen schauten verwundert zu den Liebenden empor und die Rosse
trabten hinweg ventre-á-terre und ihre Mähnen flatterten im Winde.
Die Küsse, die man in solchen Augenblicken küßt, müssen nicht mit Millionen zu bezahlen sein. Glücklicher Schnapphahnski! Während er die Lust des Daseins schmeckte, lief dem geprellten Ehemanne gewiß bei jedem Kusse, ohne daß er wußte weshalb, ein eisiges Frösteln über den Nacken.
Wo war doch dieser Ehemann? Es ist wirklich merkwürdig, die Ehemänner sind tausendmal zu Hause, wenn es sich um eine wahre Lumperei handelt, aber der Teufel weiß wie es kommt, daß sie stets abwesend sind, wenn es sich um ihre Frisur dreht.
Wer weiß was aus der Frisur des Grafen S. geworden wäre, wenn nicht der Kutscher der Liebenden, ein tressengeschmückter Kerl, mit gewichstem Schnurrbart und schrägsitzendem Hute plötzlich die Zügel der Rosse fest angezogen, und vom Bock hinunter und an den Wagenschlag springend, dem schönen Paris, dem braunen freiwilligen Husaren Schnapphahnski mitgetheilt hätte, daß ganz gegen die Fabel, der ehrenwerthe Ehemann, der Herr Menelaos, der Graf S. so eben im Begriff sei, ihnen auf’s gemächlichste entgegen zu reiten.
Man kann sich die Stimmung Schnapphahnski’s denken; er begriff nicht, wie die unsterblichen Götter
so unverschämt sein konnten, dem lustigsten Husaren ganz Schlesiens auf so erbärmliche Weise in den Weg zu treten. Aber in den gefährlichsten Momenten zeigt sich die Bravour eines sinnreichen Junkers am eklatantesten.
„Gräfin“ – sprach er zu der zitternden Helena – „ich werde dich ewig im Herzen tragen. Aber so wahr ich Schnapphahnski heiße und vom reinsten preußischen Adel bin: höhere Rücksichten gebieten mir, in diesem Augenblicke auf dich zu verzichten, damit nicht aus deinem Raube ein zweiter trojanischer Krieg entspringe, städteverwüstend und hinraffend der Edlen viel aus der preußischen Heerschaar. Steige daher hinab auf die Landstraße, wo dich ein zärtlicher Gatte mit den liebenden Armen umfangen wird um dich zurückzuführen gen O. in Schlesien, wo das 4. Regiment der braunen Husaren steht, ein Regiment, dem ich auf ewig Lebewohl sage.“
Schnapphahnski schwieg und sein Herz klopfte wilder – der Herr Menelaos kam immer näher. Mochte die Thräne von den Wimpern der schönsten aller Frauen rieseln – galant bot ihr der kühne Ritter den schützenden Arm und hob sie hinab.
Schnapphahnski selbst kehrte aber zurück in die
harrende Karosse; der Kutscher strich seinen Bart und:
„Treibend schwang er die Geißel und rasch hin trabten die Rosse“
und Schnapphahnski ward nicht mehr gesehen.
Was sagen meine Leser zu dieser Geschichte? Ist sie nicht werth von einem preußischen Homer besungen zu werden?
Der Raub der Helena unterscheidet sich von dem Raub der Gräfin S. nur durch die Pointe. Der erstere endete damit, daß Troja in Flammen aufging, der andere fand darin seinen Schluß, daß der Graf S., indem er seine Gemahlin nach Hause zurückführte, den jungen Schnapphahnski den – Stöcken seiner Lakaien empfahl.
Armer Schnapphahnski – Rächenden Gespenstern gleich stehen hinfort die Bedienten des Grafen S. vor der Seele des irrenden Ritters. In der Stille des Gemaches, in dem Lärm der Gassen hat er keine Rast und keine Ruh. – O, die Bedienten des Grafen S.! O, die verfluchten Lakaien aus O.! Die Jahre sind geschwunden und glücklich würde Schnapphahnski sein – sitzt er nicht endlich mit den Männern des Jahrhunderts auf ein und derselben Bank? lauscht nicht ein ganzes Volk seinen tönenden Worten? Aber ach, will er sich seines Schicksals freuen, da zuckt er, da schrickt er zusammen,
denn sieh, durch das Wogen der Versammlung, über die Köpfe seiner Bewundrer schaut es plötzlich wie ein Gesicht aus O., wie ein Bedienter des Grafen S. – und tief verhüllt der edle Ritter sein erbleichendes Antlitz.
II.
Troppau.
Zu den Eigenschaften eines Ritters ohne Furcht und Tadel gehört nicht nur ein kleiner Fuß, eine weiße Hand, ein kohlschwarzer Schnurrbart, ein herausforderndes Profil, eine halbe Million, ein Dutzend Liebschaften – nein, auch ein Duell.
Ein glücklich überstandenes Duell verleiht dem Menschen einen eigenthümlichen Reiz. Ich rathe einem Jeden, sich wenigstens ein Mal in seinem Leben auf 14 Schritt mit Pistolen zu schießen. Das
ist eine herrliche Sache. Die Frauen werden ihm artiger, und die Männer werden ihm höflicher entgegenkommen. Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt – kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist?
So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abenteuer mit der Gräfin S. wohlweißlich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnski’s. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige, oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunter kommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregimentes in O. aushalten könne, und mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm reißaus.
Ach! noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nicolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte … Schnapphahnski begriff, daß er die schöne Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am Besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte.
Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Cigarren geraucht, und sich sechs Mal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche glaubhafte Lüge verlegen.
Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vorn herein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel? rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend, und das ganze Firmament messend, mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte
er aus dem Abenteuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt Niemand mehr daraus klug wurde – die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. – Die überstandene Gefahr eines erlogenen aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe – mit einem Worte, Schnapphahnski that Alles, was ein ehrlicher Mann thun kann, um aus einer schlechten Sache eine brillante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt – natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S.
Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm sie natürlich auch an Abenteuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wüthendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war.
Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts gefährlicheres auf Erden giebt, als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen,
und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das Alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden wie du willst, es sitzt dir irgendein Teufelskind im Nacken und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist.
Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der Zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als todt fraß, lieber mit Haut und Haar als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zuthat, als mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist wo möglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppirt, der seine Pistole so sicher schießt, wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte, und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G. hierdurch aufs Höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben.
Graf G. hörte von den Thaten Schnapphahnski’s und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Ueberall wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. gerieth zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte; seine Hengste spornte er blutig, er prügelte Hunde und Bedienten und Alles nur wegen des verfluchten Schnapphahnski.
Am aller Begreiflichsten ist es indeß, daß Graf G. zuletzt keinen andern Wunsch mehr auf Erden kannte, als unserm Ritter einmal auf den Zahn zu fühlen.
Leider wollte sich hierzu aber nie eine Gelegenheit finden. Schnapphahnski war der liebenswürdigste Mensch von der Welt, bethörend bei den Weibern und schlau bei den Männern. Er war allmählig zu der Ueberzeugung gekommen, daß das Leben kostspielig ist, sehr kostenspielig. Trotz aller äußern Bravour glaubte er in der Tiefe seiner Seele an den 10. Vers des neunzigsten Psalms, wo da geschrieben steht, daß unser Leben siebenzig Jahre währt und wenn’s hoch kommt, achtzig und daß es köstlich gewesen ist, wenn es Mühe und Arbeit gewesen und daß es schnell dahin fährt, als flögen wir davon.
Dachte er aber gar an den Grafen G., so ging es ihm nicht anders wie mir: er hätte sich lieber mit dem Pferdefuß des Satans herumgeschlagen, als mit der Klinge jenes fürchterlichsten aller modernen Menschenfresser.
Aber was hilft es, wenn die Unsterblichen nun einmal beschlossen haben, daß einem das Schicksal ein Bein stellen soll?
Schnapphahnski hatte eines Abends die Unvorsichtigkeit begangen, seinem treuesten Freunde unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit mitzutheilen, daß die Schwester des Grafen G. – – meine Leser müssen entschuldigen, wenn ich ihnen eine der galantesten Lügen neuerer Zeit nicht zu wiederholen wage – genug unser Ritter ließ sich durch seine Phantasie zu einer Mittheilung verleiten, die, eben weil sie unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit geschah, auch schon am nächsten Morgen von dem treuesten aller Freunde dem Grafen in ihrer ganzen Frische wieder überbracht wurde.
Graf G. fluchte wie ein Christ und wie ein Preuße. Er nahm seinen Säbel von der Wand und er nahm seine Pistolen – O, armer Schnapphahnski! Doch was soll ich weiter erzählen? Es versteht sich von selbst, daß Graf G. in der Wohnung
unseres Ritters eher den Vater Abraham hätte antreffen können, als den Herrn von Schnapphahnski.
Ja wahrhaftig, wie der edle Ritter einst dem ehrenwerthen schlesischen Menelaos die Landstraße geräumt und die liebenswürdigste Frau überlassen hatte, so ließ er diesmal dem kriegerischen Grafen G. die Ueberzeugung zurück, daß ein Mann wie Schnapphahnski eine viel zu feine Nase hat, um nicht das Pulver auf wenigstens tausend Schritt zu riechen – mit einem Worte: Mensen Ernst hätte nicht schneller davon laufen können, als der berühmte Ritter Schnapphahnski.
Die böse Welt erzählt von einer großen unerbittlichen Hetzjagd, die jetzt ihren Anfang nahm. Fabelhaft war die Wuth des Grafen G., aber noch unglaublicher war die Eile des Ritters Schnapphahnski. Wie die brennende Sonne den bleichen Mond verfolgt, so folgte der zornglühende Graf dem angstblassen Ritter. Da war kein Hotel, kein Salon zwischen Dresden, Berlin und Wien, da war kein Ort in dem ganzen östlichen Deutschland, der nicht untersucht wurde, in dem man sich nicht aufs Angelegentlichste nach Sr. Hochgeboren dem Ritter Schnapphahnski erkundigte. Doch die Distanz wurde immer kleiner; immer näher rückte der Graf auf des Ritters Pelz – in Troppau in Oestreich stehen unsere
Helden endlich mit den krummen Säbeln in den Fäusten einander gegenüber.
Der edle Ritter kann seinem Schicksal nicht mehr entrinnen. Graf G. versteht keinen Spaß. Der Kampf beginnt. Seit Sir John Falstaff auf der Ebene von Shrewsbury mit dem Schotten Douglas aneinander war, gab es kein so famoses Treffen mehr auf der Welt als das unserer Helden in Troppau.
„So fiel ich aus und so führt’ ich meine Klinge!“ hatte der edle Ritter manchmal renommirt, wenn er den Damen seine Abenteuer schilderte. Jetzt war die Stunde gekommen, wo er das in der That und in der Wahrheit durchmachen sollte, was er früher so oft im Geist und in der Lüge erlebte.
Schnapphahnski empfahl sich dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, er setzte den einen Fuß vor, er erhob den Säbel und die Paukerei ging los. Graf G. schlug drein wie der leibhaftige Teufel. So ein Eisenfresser hat kein Mitleid – armer Schnapphahnski! Der edle Ritter fühlt, daß er es mit dem Bruder einer schönen Schwester zu thun hat, aber er wehrt sich so gut er kann. Da fehlt er zum ersten Male und die Klinge seines Gegners fährt ihm über den Leib, so nachdrücklich, so impertinent unhöflich, daß Graf G. nicht anders meint, als
daß der Ritter ins Gras beißen, und das Zeitliche segnen müßte. Schnapphahnski denkt aber nicht daran; ein leises Frösteln rieselt ihm über den Nacken, er schüttelt sich und wiederum steht er da, in der alten Parade: „So fiel ich aus und so führt’ ich meine Klinge!“
Graf G. macht da den zweiten Ausfall; abermals klirren die Säbel und zum zweiten Male besieht unser Schnapphahnski einen Schmiß, der dem besten Chorburschen Heulen und Zähnklappen verursacht haben würde, vor dem unser Ritter aber nur leise stutzt und momentan zurückweicht, um sich sofort wieder zu sammeln und seine frühere Stellung einzunehmen. Graf G. ist über das zähe Leben seines Feindes nicht wenig erstaunt; er kennt doch die Force seines Säbels, er weiß, was in frühern Jahren seinen Hieben zu folgen pflegte und schäumend vor Wuth, daß seine besten Schläge ohne Erfolg bleiben, stürzt er zum dritten Male in den Kampf und wiederum rasseln die Klingen, daß die Lüfte schwirren, daß allen beiden Kämpfern Hören und Sehen vergeht.
Da trifft der Säbel des Grafen zum letzten Male und Schnapphahnski taumelt todtenbleich zu Boden – o armer Mann! Die Klinge hat den Kopf nicht berührt, sie machte eine Reise über Schulter und Brust – die Kleider hängen in Fetzen herunter
– o unglückseliger Ritter! Fallen in der Blüthe der Jugend, ein Mann so schön und so glücklich – es ist hart! Da kniet der Graf an seinem Opfer nieder und reißt die Kleider seines Gegners auf; er erwartet nicht anders, als eine klaffende Wunde von ein bis zwei Zoll, es wundert ihn, daß nicht das Blut schon hervorspritzt. Da ist er mit dem Losknöpfen des Rockes fertig, zu seinem Entsetzen zieht er – ein nasses seidnes Sacktuch aus dem Busen seines Feindes. Er weiß nicht, was dies bedeuten soll; noch immer kein Blut; er greift abermals zu – ein zweiter Foulard! Zum dritten Male untersucht er – ein drittes Sacktuch! und so: ein, zwei, drei, sechs, acht, zieht der erstaunte Graf, einen nassen Lappen nach dem andern vom Körper des Ritters, bis zuletzt unser guter Schnapphahnski, seiner Hülle baar, als ein vollkommen unverletzter, höchst liebenswürdiger junger Mann am Boden liegt. – O Reineke, Reineke! O berühmter Ritter Schnapphahnski! Du hattest Dein zweites Abenteuer überstanden. Zuerst die Gräfin S. und dann der Graf G. O denke an die Lakaien zu O. in Schlesien, o denke an das Duell von Troppau!
Man erzählt, Graf G. sei unwillig aufgesprungen; er habe ausgespuckt, sich auf sein Pferd geworfen und das Weite gesucht. Schnapphahnski gewann
nach einiger Zeit die Besinnung wieder; er sammelte die umherliegenden Tücher und steckte sie vorsichtig in die Taschen. Sein Bedienter brachte ihn, leiblich sehr erschöpft aber geistig ungemein heiter in die nächste Herberge.
III.
Berlin.
Nach dem Abenteuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vortheilhafter an’s Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant – in Berlin ist er Flaneur.
„Salamanca’s Damen glühen,
Wenn er durch die Straßen schreitet:
Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd
Und von Hunden stets begleitet.“
Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugtiere arbeiten müssen.
Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.
Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja, thut es! es ist mir ganz recht – aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski!
Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt,
wenn auch nur für einen Silbergroschen – Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.
Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Kaviar – – ein Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! – es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!
Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war, wie eine kranke Ente.
Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski’s auf die göttliche Carlotta fielen .... Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreichen Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht.
Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme
ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt – –
Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhanges noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna oder eine Donna Maria unter vier Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.
Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was es wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh’s und Ach’s dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend
Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel.
Schnapphahnski belagerte seine Carlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit.
Aber ach, es war alles umsonst. Der edle Ritter seufzte seine besten Seufzer, er warf seine glühendsten Blicke, er erschöpfte „seine ganze Kriegeskasse“ und doch sah Carlotta noch immer von der Bühne hinab in das Parquet, wo stets an derselben Stelle, rein aus Zufall, ein wahrer Adonis von einem Gardeoffizier stand und mit der lebendigen Künstlerin das Kreuzfeuer der verliebtesten Blicke führte.
Da sammelte der edle Ritter seine Gedanken um sich, wie einen Kriegsrath und beschloß, die Belagerung aufzuheben. Man glaube indeß ja nicht, daß Herr von Schnapphahnski ein solcher Narr gewesen wäre, um rein als Geprellter von dannen zu ziehen. Gott bewahre! Der Mann, der die Gräfin S. auf der Landstraße aussetzte und die Hiebe seines Gegners mit nassen Sacktüchern parirte, er wußte auch jetzt seine Ehre zu retten.
Tiefsinnig schritt er unter den Linden auf und ab und nachdem er einen Morgen und einen Nachmittag mit sich zu Rathe gegangen war, ließ er plötzlich am Abend anspannen und seinen leeren Wagen vor das Hotel Carlotten’s fahren.
Der Wagen stand dort den Abend, er stand die Nacht hindurch und er stand bis zum Morgen. Ruhige Bürger, die eben nicht ganz auf den Kopf gefallen waren, stießen einander an, wenn sie die Karosse sahen und blickten dann schmunzelnd hinauf zu dem Fenster der Künstlerin.
Naseweise Literaten und spitzfindige Justizräthe schauten sogar auf das Wappen und die Livrée des Kutschers, indem sie bedenklich die Köpfe schüttelten und dann mit allerlei kuriosen Gesprächen nach Hause schritten. Einige Offiziere stuzten aber erst vollends. – Zufällig war unter ihnen auch jener Adonis aus dem Parquet des Schauspielhauses! Er weiß nicht, was er sieht, er reibt sich die Augen, er fühlt an seinen Kopf, um sich davon zu überzeugen, ob ihn das Schicksal wirklich mit einem jugendlichen Hornschmuck geziert hat und den Säbel in der Faust, dringt er dann in Carlotten’s Wohnung. – –
Er findet die Künstlerin mutterseelen allein in ihrem Zimmer – sie empfängt ihren Adonis, wie es einer Venus zukommt.
Erst mit dem Morgenroth ist die Karosse Schnapphahnski’s verschwunden. Berlin erwacht zu geschäftigem Treiben. Trödler und Eckensteher murren über das Pflaster, Karren und Droschken rasseln vorüber, Handwerker und Kaufleute eilen an ihre Arbeit und
fast der einzige Mensch, der erst sehr spät und äußerst langsam in die Stadt hinunterflanirt, das ist wieder niemand anders, als unser berühmter Ritter Schnapphahnski. – –
Er sieht etwas leidend und angegriffen aus; seine Augen glänzen feucht-melancholisch und der schöne Kopf mit dem feinen Hute hängt sinnend hinab auf die seufzerschwere Brust. Da schleicht der Ritter nachlässig scharwenzelnd in den nächsten Salon und wirft sich gähnend auf den Divan. „Theurer Ritter, auf Ehre, was fehlt Ihnen?“ fragen einige Bekannte, als sie ihren Freund in so weicher, schmerzlicher Stimmung sehen. Keine Antwort. Die Lippen Schnapphahnski’s umspielt ein mildes Lächeln. „Auf Seele, Ritter,“ fährt man fort, „es scheint Ihnen etwas Ungewöhnliches passirt zu sein!“ Schnapphahnski reckt einmal alle Glieder. Eine halbe Stunde verstreicht so, da hat der Ritter die Aufmerksamkeit seiner liebenswürdigen Umgebung bis auf’s Höchste gesteigert; auf’s Neue bestürmt man ihn mit Fragen, er kann nicht mehr widerstehen und gleichgültig wirft er die Worte „die vorige Nacht“ – „bei Carlotta“ hin – und rings entsteht das freudigste, interessanteste Erstaunen!
Man sieht, die Aventüren unseres Ritters werden immer delikater. Zuerst eine wirkliche Liebschaft, die
zwar mit der erbärmlichsten Pointe schließt, deren eine Liebschaft fähig ist, die aber wenigstens bis zum Augenblick der Pointe alle süßen, schauerlichen Phasen durchmacht und den Eindruck bei uns zurückläßt, daß es dem edlen Ritter wenigstens ein Mal in seinem Leben gelang, eine Frau zu erobern, und ein Herz zu besitzen. Schade, daß die Stöcke der Lakaien des Grafen S. sich an dieses erste Abenteuer reihen!
Dann die zweite Aventüre. Sie drehte sich ebenfalls um das schöne Geschlecht. Der Ritter besitzt aber schon nicht mehr, nein, er intriguirt nur. Die Sache läßt sich aber trotz dem noch hören, weil ein Duell daraus entsteht, ein Duell mit einem Grafen G., einem wahren Eisenfresser, ein Duell mit krummen Säbeln, und wir sind schon auf dem Punkte uns mit der Geschichte zu versöhnen, als plötzlich jene erbauliche Wendung mit einem halben Dutzend nasser Sacktücher eintritt und wir nur zu sehr fühlen, daß der Ritter eine bedeutende Stufe gesunken ist.
Doch ach, jetzt die dritte Affaire mit Carlotta! Zu dem Ekel, den uns das galante Malheur Sr. Hochgeboren verursacht, gesellt sich der bedauerliche Eindruck der gewöhnlichsten Lügen, der blaßesten Renommage. Wir sehen den Ritter auf dem Divan liegen, umringt von jungen Offizieren, den physischen
Katzenjammer der Liebe heucheln – und es wird uns traurig zu Muthe!
Aber so war es. Wer weiß, in wie weit es Herrn von Schnapphahnski gelungen wäre, seine Umgebung zu täuschen, und jenes selige Ermatten einer glücklichen Nacht täuschend nachzuahmen, wenn sich nicht plötzlich der süße Adonis Carlottens an der andern Seite des Salons emporgerichtet und den renommirenden Ritter, seiner erbärmlichen Lüge wegen, ohne weiteres auf Pistolen gefordert hätte. Was sollte unser Ritter thun? Er fühlte, daß er wieder einmal eine Stufe sinken müsse; er wußte aus eigener Erfahrung, daß er im Duell eben kein Heros war, und die Lust des Lebens und die Hoffnung einer besseren Zukunft in Erwägung ziehend, entschloß er sich daher, eine gute Miene zu dem bösen Spiel zu machen und in Gegenwart sämmtlicher Offiziere die schriftliche Erklärung abzugeben, daß er der gröbste Lügner sei und aufrichtig bedauere, die Reize der schönen Carlotta durch das Maneuvre mit dem leeren Wagen auf so unnöthige Weise verdächtigt zu haben.
Diese Erklärung des berühmten Ritters Schnapphahnski befindet sich noch heutigen Tages in dem Archiv eines der Berliner Gardeoffizier-Corps.
IV.
Die Diamanten.
Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte Prüfung, die das Schicksal in Folge jenes bekannten Abenteuers mit der göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Garde-Offizier zu spaßen ist, und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll, wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlotten’s, der Gardelieutenant v. W.-M., dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen Betrachtungen jene Ruhe des Gemüthes wiederzufinden, die er auf so leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O. und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die Angst vor dem verhängnißvollen Dokumente der
Berliner Offiziere, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß das Eine oder das Andere manchmal sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann fühlte er allmählich, daß er dem Straßenkothe näher war als den Sternen und daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das Beste an dem ganzen Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indeß nur vorübergehend; der Ritter war von zu guter Raçe, als daß er das Leben nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hatte.
Mag es Dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum allerwenigsten kannst Du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat werden! Dies tröstete Hrn. v. Schnapphahnski.
Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen diplomatischen Gelüsten wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen.
Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt sollte er unter das Corps de Ballet geraten – – zwei leidliche Beine hatten Eindruck auf unsern Ritter
gemacht. Wir bitten unsere Leser wegen dieser ungemeinen Wahrheitsliebe auf’s demüthigste um Verzeihung.
Die Beine des Balletts waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack hatte sich dazu herabgelassen und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn wir nachträglich darüber spötteln wollten. Uebrigens schwärmen wir selbst für den Tanz. Gibt es etwas reizenderes als die süße Musik der Schenkel? Gibt es etwas berauschenderes, als wenn eine Fanny Elsner ihre Bachschen Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien, und eine Grisi ihre weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für werthlos und ich begriff nicht, weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen und weshalb der Kopf nicht nach unten geht – mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine prächtig harmonische Krone – oder ist
es der Schwung des ganzen Körpers, wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all’ unsere Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit – was uns dem Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es nicht, aber ich danke Dir Mutter Natur, daß Du nicht nur Deine Vulkane ihre Flammen gen Himmel schleudern und Deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß du auch Rosen und Lilien geschaffen hast und ich liebe Dich, weil Du so graziös und so bezaubernd bist herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes.
Aehnliche, wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es rieselt uns kalt über den Rücken – – zum ersten Male müssen wir von Geld und zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals eine Stufe hinabrutschen –
was ihm früher die Götter aus freien Händen gegeben: er kauft es!
Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann – ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1. Januar, wie man fälschlich vermuthen möchte, sintemalen die armen nackten Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im Januar sofort wieder erfroren wären – als, wie gesagt, die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich achte dich! Da sprach der Haifisch zu seines Gleichen: Fräulein Haifisch, ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir! und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und Thiere saßen in bunter Reihe und als das Banquett vorüber war, da siedelten sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der Wüste, und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien, Breslau u. s. w. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre Frauen, und die Frauen ihre Männer, was die
vielen artigen Buben und Mädchen bezeugen, die heuer in der Welt herumstreifen, und die Männer und die Frauen nahmen sich einander, wie es gerade kam, so und so.
Als dann aber mit der Zeit die Zahlen und das Geld erfunden wurden und das Wechselrecht und die politische Oekonomie und als die Menschen immer klüger und gescheidter wurden und folglich immer eitler und wählerischer, da hörten sie auch allmählig auf, sich so ohne weiteres zu lieben und Jeder trachtete nur danach, sich eine solche Frau zu verschaffen, wie sie gerade für seinen Beutel, für seine Wechsel oder für seine Oekonomie paßte. Mit einem Worte: Es stellte sich eine durch Interessen geregelte Nachfrage nach Menschen ein, der durch eine angemessene Zufuhr begegnet wurde. Der Weltmarkt der Heirath begann, die Männer und die Frauen fingen an sich gegenseitig zu kaufen! – Von diesem Augenblick an kann man alles Unglück datiren. Die Oekonomie war in die Liebe gefahren, der Mensch wurde ein Artikel, der nun hinfort von der Nachfrage und der Zufuhr abhing und alle Leiden der Ueberproduktion mit der Wolle, der Baumwolle, dem Flachs u. s. w. theilte. Wer nicht ein verheiratheter Gardemajor, ein Landgerichtsrath, ein Banquier, ein Bischof wurde, der sank zu einem Schneider, zu einem Steinklopfer,
zu einem Tagelöhner oder dergleichen hinab und die lieblichen Weiber, die keine Gräfinnen, Hauptmänninnen, Kaufmannsfrauen oder sonst etwas wurden, die endeten als Gemüseweiber, Bajaderen und mitunter auch als Ballettänzerinnen.
Eine solche, aus der Ueberproduktion hervorgegangene Ballettänzerin kaufte sich unser Schnapphahnski. Armes Kind! Wenn du getanzt hattest, so mußtest du lieben – weder aus Liebe tanzen, noch aus Liebe lieben, sondern tanzen und lieben des lieben Brodes wegen – den Brodtanz der Liebe!
Doch unser Ritter hatte ein ritterliches Herz. Eines Tages, als er die Reize seiner Schönen genugsam bewundert, als er ihren Fuß geküßt, ihre Taille umfangen und ihre schwarzen Flechten um die weiße patrizische Hand gewickelt hatte, da schwur er bei allem, was ihm heilig war, bei den Lakaien in O., bei dem Duell in Troppau, und bei dem Hohnlächeln Carlotten’s, daß er ihr, seiner Tänzerin, einen Schmuck kaufen wolle, reich wie ihre Haarwellen, funkelnd wie ihre Augen und ihre schneidigen Zähne.
Hat ein Schnapphahnski je sein Wort gebrochen? Zum nächsten Juwelier ging er und so wahr wie er keinen Friedrichsd’or in seiner Kriegeskasse hatte, kaufte er einen Schmuck, der einer Gräfin S., einer Schwester des Grafen G. oder einer Carlotta würdig
gewesen wäre. Unser Ritter kaufte den Schmuck auf Credit – – meine Leser werden begreifen, daß unser Ritter grade so viel Credit hatte, wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel haben kann – ein Ritter, der noch einmal Deputirter, Diplomat oder noch etwas schlimmeres werden konnte. – – Auf Credit kaufte der Ritter den Schmuck; nur muß ich noch bemerken, daß er ihn nicht auf seinen Namen kaufte, sondern auf den des unsterblichen Gottes Zeus Kronion!
Ja, auf Zeus Kronions Namen kaufte der Ritter die Diamanten und der Hofjuwelier fand nichts arges hierin. Er wußte sehr gut, daß Zeus Kronion die Tänzerinnen liebte. Auf Befehl des Ritters Schnapphahnski sandte der Juwelier den Schmuck, für Rechnung des unsterblichen Gottes, an die lieblichste der Tänzerinnen. Der Juwelier trug den Schmuck zu Lasten des Gottes in seine Bücher ein; die Tänzerin creditirte für den Schmuck den Ritter Schnapphahnski. Kann es ein einfacheres Geschäft geben? Zeus Kronion war der einzige, der dabei zu kurz kam.
Ueberglücklich war aber die Tänzerin. Bisher hatte sie sich nur das liebe Brod ertanzt, jetzt einen demantenen Schmuck erliebt! Der Name Schnapphahnski’s stand leuchtend in ihrem Herzen angeschrieben.
Doch überlassen wir die Tänzerin ihrer Freude an den blitzenden Steinen und den Juwelier seinem festen Vertrauen in die Solvabilität Kronions. Wir müssen nämlich darauf zurückkommen, daß der edle Ritter, während er auf der einen Seite alle Seligkeiten kostete, die ein Engel des Himmels nach dem Schluß der Oper zu bieten im Stande ist, sich auf der andern ernstlich damit beschäftigte: einen Posten im diplomatischen Corps zu erobern. Der edle Ritter sah ein, daß man nicht allein von der Liebe leben kann, sondern daß die Liebe sogar sehr kostspielig ist; selbst wenn man bei dem Hofjuwelier im Namen Gottes den unbeschränktesten Credit genießt. Herr von Schnapphahnski besann sich daher, ob er außer seinen gesunden Lenden, und außer seinem bewunderungswürdigen Schnurrbart nicht auch noch einige andere vortheilhafte Eigenschaften und namentlich soviel Grütze besäße, als man im schlimmsten Falle einem diplomatischen Candidaten zutrauen möchte.
Nachdem er sich mehrere Tage lang den Kopf darüber zerbrochen hatte, fand er endlich, daß die heilige Wissenschaft leider keinen besondern Stapelplatz für ihre Schätze darin angelegt hatte. Sein Schädel war klar und durchsichtig wie eine leere Wasserflasche und auf der kahlen Lüneburger Haide seines Gedächtnisses tummelte sich freilich manche galante Erinnerung
herum, aber leider nichts von alledem, was die Natur dem Menschen zu erobern überlassen hat. Mit jener liebenswürdigen Frechheit, die einem Manne von Adel eigenthümlich ist, griff unser Ritter daher in den großen Haufen der bürgerlichen Kanaillen, in die Reihen jener Lastthiere der Kunst und der Wissenschaft, die die imaginären Goldklumpen ihres Geistes hin und wieder in das preußische Kurant der Wirklichkeit zu verwechseln pflegen. Mit einem Worte, der Studiosus Pl–r war so gefällig, der unsterblichen Seele des Ritters mit einigen Probearbeiten zu Hülfe zu kommen, die sofort an den gehörigen Ort weiter befördert wurden und natürlich für die enormen Kenntnisse des Ritters den unzweideutigsten Beweis lieferten.
Wer weiß, zu welchem Posten man den gelehrten Ritter sofort erhoben hätte, wenn nicht plötzlich die frühern Aventüren Sr. Hochwohlgeboren auf eine sehr schauerliche Weise bekannt geworden wären! Schon ging man mit dem Gedanken um, den Ritter der Weltgeschichte zu übergeben, da ragten mit einem Male die Stöcke der Bedienten aus O. in Schlesien in die Scene hinein, da erklang der Hohn des Grafen G. und das glückliche Lachen Carlottens und da kam ach, auch der Juwelier und reichte allerhöchsten Ortes seine Rechnung ein und die schöne Arbeit des Studenten
Pl–r hatte wieder allen Werth verloren und unser armer Ritter erhielt eine eben so zarte als demüthigend abgefaßte Zurückweisung.
Ja, die Diamanten-Geschichte des Ritters Schnapphahnski wurde stadtkundig; sie machte die Runde in den höchsten Kreisen. Die ewigen Götter zürnten erschrecklich. Zeus Kronion drohte mit Donner und Blitz, mit Magdeburg und Spandau, und wäre die arme Ballettänzerin, der verrauschten Liebe gedenkend, nicht so artig gewesen, den verhängnißvollen Schmuck, aus übertriebener, künstlerischer Hochherzigkeit, freiwillig zurückzuerstatten, so hätte unser Ritter sehr wahrscheinlich einen Huissier ins Haus bekommen, und ach, seines Bleibens wäre vielleicht gewesen, wo da ist Heulen und Zähnklappen, Hafergrütze, Brod und Wasser.
Unser Ritter war jetzt wirklich „ein armer Ritter;“ wie eine Brodscheibe, geröstet, in verdrießlichen Runzeln aus der Pfanne kommt, so taumelte unser Schnapphahnski vom Unglück gebraten, höchst ärgerlichen Antlitzes zurück von dem Orte alles Heils, von dem Quell aller Aemter und Stellen. Finster schritt er nach Hause: er packte seinen Koffer und sieh’, ehe die Morgenröthe kam, lag auch schon Berlin hinter ihm, mit seinen Kirchen und Palästen, mit
seinen Geheimräthen und Eckenstehern, mit seinen Ballettänzerinnen und Juwelieren.
Die Franzosen würden in Betreff dieses Diamanten-Abenteuers sagen: „Monsieur le Chevalier de Schnapphahnski avait frisé le code pénal.“ Schnapphahnski reiste nach Spanien.
V.
Spanien.
„Madrid, Du Licht von Spaniens Thalen,
In Deinen tausend Feldern strahlen
Viel tausend Augen, schwarz und blau.
Du weiße Stadt der Serenaden
Viel tausend kleine Füße baden
Sich Nachts in Deines Prado’s Thau!“
So sang es einst „der lose Spötter“ Alfred de Musset und so hat es Freiligrath in’s Deutsche hinübergedichtet. Seit ich dies zum ersten Male las, kann ich Madrid nicht nennen hören, ohne an ein paar tausend kleine, weiße Füße zu denken, die durch
das grüne, thauige Gras hüpfen, bald sittsam verschwindend, bald lüstern wieder emportauchend und immer reizend verführerisch.
Es versteht sich von selbst, daß ich mir einbilde, alle schönen Frauen gingen barfuß in Spanien.
In das Land der tausend kleinen Füße, in das Land der spitzen Filzhüte, in das Land der spanischen Fliegen und der spanischen Erdbeeren, kurz, in das Land Spanien muß ich jetzt meine Leser führen, denn schon hat unser Ritter Schnapphahnski Berlin im Rücken, schon hat er Belgien und Frankreich passirt und schon steht er auf den Pyrenäen, um hinunterzuscharwenzeln in das Reich, wo jetzt der unschuldige König Paquo herrscht, der Niemandem etwas zuleide thut, am wenigsten seiner – Frau.
Man reist nicht billiger und nicht schneller als in Gedanken. Ohne Kostenaufwand und ohne Zeitverlust habe ich meine Leser nach Spanien gebracht. Meine Leser sind mir für diese rasche Beförderung aufrichtigen Dank schuldig. Wie würden sie sich gelangweilt haben, wenn sie von deutschen Eisenbahnen auf die französischen Postwägen und dann von den französischen Postwägen auf die spanischen Maul-Esel gekommen wären – ja, meine Leser würden auf den Hund gekommen sein, wenn ich sie nicht vermöge meiner unendlichen Geschicklichkeit auf den Flügeln
des Gedankens hinübergewiegt hätte in das Reich, wo außer Paquo auch jetzt die unschuldige Königin Isabella herrscht, die sich über Niemanden zu beklagen hat, ausgenommen über ihren – Mann.
Paquo und Isabella, Isabella und Paquo, sie waren noch kein seliges Paar, als unser Schnapphahnski seine Reise antrat. Die unschuldige Isabella hatte damals den Hrn. Paquo noch nicht von seiner schwachen Seite her kennen gelernt; sie meinte nicht anders, als daß sie eben so glücklich sein würde wie ihre Mutter, die Frau Munoz, die wirklich mit allen Ehren zu ihren neun Kindern gekommen ist – arme Isabella! armer Paquo! Sie saßen noch nicht auf dem Throne, denn noch ras’te der grause Don Carlos, der bleiche Aristokrat mit dem grimmigen Schnurrbart, durch Wälder und Auen, ein unerbittlicher Jäger auf der großen altspanischen Kronjagd. Don Carlos führte Krieg; er brauchte daher Soldaten. Konnte ihm etwas erwünschter sein, als daß sich eines Morgens schön wie ein Engel und keck wie der Teufel, im schwarzen Frack und in weißer Weste, und duftend nach allen Wohlgerüchen der Levante: Se. Hochwohlgeboren der Ritter Schnapphahnski bei ihm präsentierte, um seine Dienste anzubieten? Don Carlos strich seinen grimmigen Schnurrbart und besah den deutschen Lanzknecht von oben bis unten. Der Ritter
sah zwar aus, als ob er eben vom Friseur käme, aber: Kanonenfutter! Kanonenfutter! dachte der Spanier und es versteht sich von selbst, daß er Sr. Hochgeboren auch nicht das geringste Hinderniß in den Weg legte, sich bei der nächsten Bataille vor den Kopf schießen zu lassen.
Deutsche Lanzknechte waren tapfer zu allen Zeiten. Dieselben großen Lümmel, die zu Hause in Filzschuhen, in gestrickten Kamisölern und in baumwollenen Nachtmützen faul wie alt gewordene Hunde und feige wie weibliche Hasen hinter den Oefen oder auf den Wirthshausbänken herumlungerten, sie haben sich im Auslande, für fremde Fürsten stets mit einer Gewissenhaftigkeit und mit einer Ausdauer geprügelt, die wirklich alle Gränzen übersteigt. Wer daheim ein Kaninchen war, er wurde draußen ein Tiger; die Träumer verwandelten sich in Raufbolde; die blonden, sentimentalen Schlingel: in Todtschläger; die sanften blassen Heinriche und Gottfriede in donnerwetternde Generäle und Feldwebel, die ihre Feinde so gemüthlich um’s Leben brachten, wie sie seiner Zeit Korn mähten oder Spargel stachen.
Auf allen Schlachtfeldern aller Jahrhunderte haben sich Deutsche für ihren pünktlich ausbezahlten Sold auch pünktlich todtschlagen lassen. Mit ihren frommen, blauen Augen schauten sie so gutmüthig in
die kohlschwarzen Schlünde der Kanonen, als sollten ihnen gebratene Tauben statt kopfdicker Kugeln daraus entgegenfliegen und wenn sie die Gewehre umdrehten und mit den Kolben dreinfegten, da schnitten sie keine schlimmern Grimassen als unsere Dorfschulmeister in Hessen oder in Nassau, wenn sie den Bauernjungen das Ein-mal-eins, oder das Christenthum einbläuen.
Gott weiß, wie Schnapphahnski sich in Spanien benahm! Da wir aber im Laufe unserer Erzählung in jedem Punkte streng bei der Wahrheit geblieben sind, so wollen wir auch hier gestehen, daß derselbe Mund, der die Abenteuer in Schlesien, Troppau und in Berlin erzählte, uns in Betreff der spanischen Fahrten die Versicherung gab, daß der edle Ritter, wider alles Erwarten, als sehr ritterlicher Lanzknecht dabei erschienen sei und den Ruhm unserer Tapferkeit im Auslande nicht im Geringsten in Frage gestellt habe. Mit dieser einfachen Erklärung mußten wir aber auch zufrieden sein, denn alle Details über die spanischen Erlebnisse unseres Ritters fehlen; zwischen Troppau und Spanien liegen die Pyrenäen und wohlmeinende Freunde unseres Helden waren nicht mehr im Stande, dem braunen Freiwilligen aus O. in Schlesien auf Schritt und Tritt zu folgen. Deutlicher wird erst die Historie des Ritters:
„Als Don Carlos fliehen mußte
Mit der ganzen Tafelrunde,
Und die meisten Paladine
Nach honettem Handwerk griffen –“
mit einem Worte, als der Krieg wieder zu Ende war und unser Odüsseus sich nach seiner Ballettänzerin zurücksehnte, die nach der Abreise ihres schönen Wasserpolaken zu einer wahren Tragödie hinabgetrauert war.
Man kann sich leicht denken, wie sehr der edle Ritter nach der Heimath verlangte, nach Berlin, wo man seiner so liebend gedachte, wo er so gut angeschrieben stand bei Zeus Kronion, bei den Offizieren der Garde, bei seinem Juwelier und bei seiner Tänzerin. Doch nicht unangefochten sollte er zu der letztern zurückkehren, denn sieh, die Enkelin Heinrich Heine’s, die liebliche Tochter Atta Troll’s, des Bären, verliebte sich in den göttergleichen Schnapphahnski, wie uns der Dichter selbst erzählt in seinem Werke, das bei Hoffmann und Campe erschienen, in Hamburg, im Jahre des Herrn 47.
In der Höhle, bei seinen Jungen, liegt nämlich Atta Troll, der Bär, und er schläft:
„Mit dem Schnarchen des Gerechten;
Endlich wacht er gähnend auf;
Neben ihm hockt Junker Einohr,
Und er kratzt sich an dem Kopfe
Wie ein Dichter, der den Reim sucht;
Auch scandirt er an den Tatzen.
Gleichfalls an des Vaters Seite,
Liegen träumend auf dem Rücken,
Unschuldrein, vierfüß’ge Liljen,
Atta Troll’s geliebte Töchter. –
Ganz besonders scheint die Jüngste
Tiefbewegt. In ihrem Herzen
Fühlt sie schon ein sel’ges Jucken,
Ahndet sie die Macht Cupido’s.
Ja, der Pfeil des kleinen Gottes
Ist ihr durch den Pelz gedrungen,
Als sie ihn erblickt – o Himmel,
Den sie liebt, der ist ein Mensch!
Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski“
Da haben wir’s! Es geht nun einmal nicht anders; wir treffen den edlen Ritter immer bei der Liebe. Er verfolgt sie und sie verfolgt ihn. Von der Gräfin S. und der Gräfin O. gerieth er auf Carlotta; von Carlotta auf die Tänzerin; von der Tänzerin auf die Bärin! O, es ist kein Wunder, daß alle Berliner und Frankfurter Damen in Herrn von Schnapphahnski vernarrt waren, da sogar einst eine Bärin vor dem prächtigen Barte des Ritters anbetend zusammensank.
O, diese Bärin hatte einen scharfen Blick, eine gute Schnauze! Sie schnüffelte es schon vor Jahren, sie roch es schon zu Don Carlos Zeiten, daß unser Ritter einst ein gewaltiger Redner, ein großer Staatsmann werden würde und schwärmerische Blicke richtete
sie nach dem herrlichen Manne – die zarte Bärenlilie. – –
„Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski.
Auf der großen Retirade
Kam er ihr vorbeigelaufen
Eines Morgens im Gebirge.
Heldenunglück rührt die Weiber,
Und im Antlitz unsers Helden
Lag, wie immer, der Finanznoth
Blasse Wehmuth, düstre Sorge.
Kann man sich wichtigere Aufschlüsse über die Rückkehr unseres Helden denken?
Auf der Retirade sehen wir ihn, laufend, im Gebirge. Wunderbarer Anblick! Aecht spanischer Landstraßendreck spritzte ihm hinauf in den unsterblichen Bart, seine Augen funkeln verdächtig, seine Kniee schlottern. Der kühne Ritter gleicht durchaus dem Manne, der einst in O. in Schlesien vor dem Grafen S. ausriß, nach verlorener Liebesschlacht.
„Heldenunglück rührt die Weiber. –“ Die Bärin seufzt vor Liebe, daß ihr die Schnauze zittert. Die Tochter Atta Troll’s ist außer sich vor brennender Zuneigung – doch nicht der landstraßendreckbespritzte Bart, nicht das funkelnde Auge, nicht das schlotternde Knie ist es, was sie wimmern und schmachten läßt, nein, die Blässe des unübertroffenen Ritters rührt sie vor allen Dingen, ja, die Blässe
die interessante Blässe kann es etwas bezeichnenderes geben?
Unsere Verwunderung erreicht indeß erst ihren Gipfel, als wir sogar die Natur dieser Blässe, den tiefern Grund dieser herzbethörenden Kouleure angegeben finden.
Bisher glaubten wir, der Ritter sei nur blaß aus Liebe, aus Furcht, aus Aerger, der Mode wegen – aber wie irrten wir uns! es ist die Blässe der Finanznoth – ein neues Licht geht über dem Leben Schnapphahnski’s auf; der Ritter ist blaß vor Schulden – armer Ritter!
„Seine ganze Kriegeskasse,
Zwei und zwanzig Silbergroschen,
Die er mitgebracht nach Spanien,
Ward die Beute Espartero’s.“
So etwas ist hart – zwei und zwanzig Silbergroschen – das ist bitter!
„Nicht einmal die Uhr gerettet!
Blieb zurück zu Pampeluna
In dem Leihhaus. War ein Erbstück
Kostbar und von ächtem Silber.“
Das Schicksal unseres Helden wird immer lanzknechtartiger. Die Uhr der Familie Schnapphahnski im Leihhause von Pampeluna! das ist tragisch, das ist rührend. Das Nürenberger Ei, das vom Urgroßvater Schnapphahnski, von dem alten ehrwürdigen Wasserpolacken auf den galanten Sohn vererbt wurde:
der galante, frivole Sohn hat dieses Erbstück versetzt im Leihhause von Pampeluna, vielleicht ohne einmal zu erröthen, ohne Herzklopfen, ohne schüchternes Hin- und Herschauen als er die Pforte des Lombard durchschritt und ohne verlegen zu stottern, als er dem Pfand-Commissär sein Anliegen vortrug. „Wie viel Uhr haben Sie?“ fragte bisweilen ein Mauleseltreiber des Gebirges und mit Pathos erwiderte dann Se. Hochgeboren: „Bemühe er sich in das Leihhaus von Pampeluna, werther Freund, dort wird er ein Erbstück finden, kostbar und von ächtem Silber, dort wird er das Nürenberger Ei der Familie Schnapphahnski antreffen, das ihm Zeit und Stunde so genau verkünden wird wie jene berühmte Uhr des morgenländischen Kalifen, die einst Charlemagne zum Geschenk erhielt und die er hoffentlich nie so schmählich auf den Mont de piété getragen haben wird, wie ich die meinige, Sela!“
Armer Schnapphahnski! nicht mehr erfreut ihn in der Stille der Nacht die süße Musik seiner alten Gefährtin, das trauliche „Tick-Tack“ der Uhr, das einen daran erinnert, wie man doch noch nicht ganz unter die Füße gekommen ist, daß man wenigstens noch etwas zu versetzen hat, daß man wenigstens noch ein lebendes Wesen hat, das man sein nennen kann.
„Wo ist Ihre Uhr?“ – „chex ma tante“! O es ist traurig, wenn man also antworten muß. Unwillkürlich greift man noch oft in die Westentasche, in die einsame Wohnung der geschiedenen Gefährtin: aber ach, diese Wohnung ist wüst und leer geworden. Die Stürme des Jahrhunderts sind durch sie hindurchgefahren, und wenn nun der Abend kommt und die Nacht und die Sterne emporziehen und die riesigen Schatten sich breiten über Berge und Thäler wie die Geister der Ossianischen Helden, und man die Unterhose auszieht um nach Bett zu gehen und den Uhrschlüssel ergreift um das althergebrachte Geschäft zu vollziehen, so pünktlich wie der Onkel Toby oder der Vater Tristrams – ach, da schrickt man zurück, denn o, die alte Genossin:
„– blieb zurück zu Pampeluna
In dem Leihhaus. War ein Erbstück,
Kostbar und von echtem Silber.“
Heldenunglück rührt die Weiber – die Tochter Atta Trolls möchte weinen, Seufzer entringen sich ihrem zottigen Busen, als sie die Blässe des fahrenden Ritters bemerkt; sie glaubt natürlich nur einen welthistorischen Schmerz zu sehen; die tragischen Züge des Heldenantlitzes scheinen ihr nur das Resultat jenes riesigen Grames zu sein, der einst auf den Zügen des Priamus lag, oder in Deinem Antlitz, Du
herrlicher Dulder Odüsseus – denn O, die treffliche Bärin, die vierfüßige Lilie der Pyrenäen, sie ist zu arglos, zu unerfahren, um daran zu denken, daß ein Herr von Schnapphahnski in der trivialen Wehmuth der Finanznoth stecken könnte, im Kummer um seine Uhr, von ächtem Silber, zurückgelassen im Leihhause von Pampeluna.
Ja, Eva liebte ihren Adam, Venus ihren Adonis, Julchen ihren Romeo, Gretchen ihren Faust – aber die vierfüßige Lilie, die Bärenjungfrau, liebt den berühmten Ritter Schnapphahnski!
Zärtlich brummend erhebt sie ihre rosige Schnauze und die lieblichen Tatzen und den zottigen Busen, und schon meint man, daß der edle Ritter zu ihr hinabsinken werde, mit jener hohen Grazie eines galanten Aristokraten, ein neues Geschlecht zu zeugen, das da alle Vorzüge vereinige, der Bären und der Wasserpolacken: da rennt der Undankbare von dannen und überläßt die arme Bärin ihrem Schmerze, den Tag verfluchend, wo sie die Blüthe der Menschheit gesehen, und von Gram überwältigt sinkt sie klagend zusammen.
Ein vernünftiger Bär wird hoffentlich so gescheid gewesen sein, die Unglückliche zu trösten. – –
Als unser Ritter auf dem Gipfel der Pyrenäen stand, da machte er Halt und steckte die Hände tiefsinnig
in die Hosentaschen. Er schnitt ein Gesicht wie ein beschnittener Dukaten; er wünschte, daß ihn die Götter in einen Dudelsack verwandelten, oder daß sie ihm tausend Stück Friedrichsd’or schenkten – doch das letztere wäre ihm am liebsten gewesen. – „Don Carlos ist besiegt, was sollst Du beginnen?“ fragte sich Schnapphahnski und sah verlegen nach seinem schäbigen Frackrock. „Deine Kriegeskasse nahm Espartero, Deine Uhr hängt im Leihhause zu Pampeluna und Dein Herz fiel in die Hose. – Geld, Uhr und Herz, es ist Alles verloren! Sollst Du nach England gehen, und mit Lord Brougham Brandy und Wasser trinken? Sollst Du nach Italien wandern und Dich unter die Lazzaroni legen, oder sollst Du nach O. in Schlesien eilen, und Dich von den Lakaien des Grafen S. durchprügeln lassen?“ – Herr von Schnapphahnski wurde immer ernsthafter; er ließ den Hut tiefer in’s Gesicht fallen; er steckte die Fäuste gründlicher in die Taschen und er sah steifer zu Boden.
Unser Ritter war in jener Stimmung, in der der Mensch anfängt, sich ungeheuer lächerlich vorzukommen. Se. Hochgeboren litt an jener fatalen Krankheit, die einst die Göttin der Langenweile, Mittags nach dem Essen mit einem dünnen, schlottrigen Engländer zeugte. – Herr von Schnapphahnski litt
am Spleen. Unser Held hätte gern für vier gute Groschen seine Seele dem Teufel verkauft, ja, was noch schlimmer ist, es wäre ihm einerlei gewesen, wenn man ihm ohne Grund einen Backenzahn ausgezogen hätte – mit einem Worte: Se. Hochgeboren war kaduck an Witz und Beutel.
„Was habe ich nun davon, daß ich Don Carlos diente?“ fuhr der Ritter fort. „Was nutzt es mir, daß ich mich als Lanzknecht ehrlich gehauen, und was bracht es mir ein, daß ich nach Ruhm und Ehre jagte, nach den zwei substanzlosesten Sachen, die es auf Erden gibt? O Sir John, Du hattest Recht: man kann den Ruhm weder essen noch trinken; ja, man kann ihn nicht einmal in die Pistole stopfen, um sich den Schädel damit einzuschießen. Wär’ ich als gewöhnlicher Bauer auf die Welt gekommen, da pflügte ich meinen Acker und freute mich meines Lebens. Wär’ ich ein simpler Bürger geworden, da schüttete ich all meine Zerwürfnisse stockprügelnd auf meinen Lehrjungen aus, und hätte ich endlich die Wissenschaft gewählt, da verlöre ich Prozesse, machte Kranke todt, spräche Blödsinn vom Katheder hinab und wäre ein glücklicher Mann dabei! Aber der Durst nach Ruhm war’s, der mich hinauszog. Ich glaubte die ewige Sonne zu packen, und ich packte ein Irrlicht. Ist der Ruhm nicht wie ein falsches
Geldstück in der Hand eines Kindes? Es glaubt alle Schätze der Welt dafür kaufen zu können, da kommt der pfiffige Krämer und lacht, und ergreift den Hammer und nagelt den falschen Dreier auf den Tisch. – O, der Ruhm ist ein bildschöner Henker, der sein Opfer scherzend hinauf an den Galgen zerrt und dann die Leiter umstößt, daß der arme Teufel an des Ruhmes Galgen baumelt, weder mit den Füßen auf der Erde noch mit dem Kopf im Himmel. O, über den Wahnwitz!
So faselte der edle Ritter, und wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn die Götter nicht Mitleid mit ihm gehabt und einen milden Regen gesandt hätten, der allmählig zum Schauer und zum Guß anschwellend, Berge und Thäler benetzte, und schließlich auch auf höchst erfrischende Weise in Schnapphahnski’s alte Stiefel trat.
Wohler ward ihm, und hinunter schritt er nach Frankreich.
VI.
Brüssel.
Von den Pyrenäen stieg der edle Ritter hinab nach Frankreich, und von Frankreich eilte er nach Belgien. „Herr Schnapphahnski wurde Autor.“ Ja, wahrhaftig, wir sehen den sinnreichen Junker in Brüssel sitzen und seine Memoiren schreiben.
Alle großen Männer machten es so; wenn sie des Lebens Last und Hitze getragen hatten, da verkrochen sie sich in irgendeinen kühlen Winkel, und die Hand, die bisher den Säbel, den Kommandostab oder das Scepter geführt hatte, sie griff dann zur Feder und brachte das Erlebte zu Papier. Wir brauchen unsern Lesern nicht zu versichern, daß sich von unsern Skizzen über Herrn von Schnapphahnski auch nicht eine Spur in den Memoiren des edlen Ritters findet. Se. Hochgeboren waren viel zu bescheiden, als daß sie alle glorreichen Aventüren der Bewunderung der Nachwelt aufbewahrt hätten.
Die Liebe, die den edlen Ritter nie verließ, zieht ihren rothen Faden auch durch den Brüsseler Aufenthalt
unseres Helden. Die Weiber müssen nun einmal lieben; Schnapphahnski wußte dies. Sie können nicht anders, es ist ihre Bestimmung. Ein Weib liebt nicht allein lange, nein, ein Weib liebt unendlich, bis auf die Hefen. Ein Weib kann dich lieben, wenn deine Hose zerrissen ist, wenn dein Rock in Fetzen hinabhängt, und wenn die ewige Sonne durch die Löcher deines Hutes auf dein verwildertes Landstreichergesicht scheint, ja, noch immer wird eine schöne Frau dich lieben können, denn sie wird um dich weinen, und sie wird dich küssen, und du wirst glücklich sein!
Wie meine Leser bemerkt haben werden, sucht Herr von Schnapphahnski stets die Frauen auf. Um junge Mädchen ist es ihm selten zu thun. In Brüssel machte sich der edle Ritter an die Frau eines bekannten belgischen Künstlers. Die junge Dame hatte ihren frommen Gemahl total unter dem Pantoffel.
Die Pantoffelknechtschaft ist jedenfalls noch eine süße Knechtschaft. Sie hat nur das Unangenehme, daß der zärtliche Gatte zum Lohn für seine liebevolle Unterwürfigkeit in den meisten Fällen, nicht etwa mit einer Königs- oder einer Bürgerkrone, sondern mit jenem Kopfschmuck gekrönt wird, den auch des Waldes flüchtige Gebieter tragen. Man könnte in der That bei den Ehemännern dieselben Benennungen
anbringen, wie bei den Hirschböcken. Nach Vollendung des ersten Jahres der gekrönten Pantoffelknechtschaft würde man einen Ehemann: Spießer tituliren; nach Vollendung des zweiten Jahres hieße man ihn: Gabler. Hierauf träte dann die Bezeichnung nach Enden ein, so daß man einen Ehemann bald einen Sechsender, einen Zehnender, einen Sechzehnender und so weiter nennen würde. Bei recht stattlichen Ehemännern könnte man sogar die Benennung des Dam- und Elenn-Wildes eintreten lassen, ja, bis zu dem Namen Schaufler gehen.
„Was schadet es, wenn ein Ehemann ein Paar Hörner trägt!“ hatte der edle Ritter oft zu sich selbst gesagt, wenn er wohl einmal in die untergeordneten Schichten der Gesellschaft hinabstieg. „So ein zweibeiniger Sechzehnender kann immerhin noch nachmittags auf die Börse und abends in’s Kasino gehen, ohne daß man ihn auslacht, denn fast überall findet er ja Leidensgefährten, wehmüthig lächelnde Böcke, die gelebt und geliebet haben und die recht gut wissen, was es für ein Malheur ist, wenn man eine junge Frau hat, mit funkelnden Augen, mit wogendem Busen und mit kleinen alabasterweißen Füßen, recht ein Wesen wie ein üppiges Räthsel, das nur die Liebe lösen kann, die Liebe eines flinken Gesellen, der weder auf die Börse, noch in’s Kasino
geht und der sich den Henker schiert um alle Ehemänner, und ein flotter Edelmann ist wie ich, der Ritter Schnapphahnski!“
Die Frau des Künstlers hatte Mitleid mit unserem Ritter. Zu jenem melancholischen Blick, den Herr von Schnapphahnski mitunter anzunehmen pflegte, wenn er an die Lakaien des Grafen S. in O. in Schlesien dachte und zu der interessanten Blässe der Finanznoth, die unseren Helden eigentlich nie verließ, gesellte sich nun noch die wichtige Miene eines Autors, in daß der edle Ritter wirklich eine interessante Figur ausmachte und die Frau des Künstlers immer mehr dazu veranlaßte, einmal ernstlich mit sich zu Rathe zu gehen, ob sie ihrem Gemahl nicht bald die Dulderkrone aufsetzen könne. Herr von Schnapphahnski verfolgte seine Leute mit aller Hartnäckigkeit eines Ritters ohne Furcht und Tadel.
Wenn man bedenkt, welche Vorstudien der edle Abenteurer schon in der Liebe gemacht hatte, so ist es zu begreifen, daß er täglich mehr Terrain gewann. In der Liebe geht es aber wie in den Träumen; wenn man gerade im besten Zuge ist, da kommt gewöhnlich etwas dazwischen. Das Rencontre, welches dieses Mal die süßesten Hoffnungen unsres Helden vereitelte, gehörte wieder zu den aller unangenehmsten.
Es war um die Karnevalszeit auf einem Maskenballe. Die gute Stadt Brüssel hatte Alles aufgeboten, um auch durch den Ball der Oper den Beweis zu liefern, daß man in Belgien jede französische Sitte nachahmen könne, wenigstens so gut, als es dem kleinen Belgien überhaupt möglich ist. Die wenigen schönen Frauen, die es in Brüssel giebt, waren in ihrem besten Staate gegenwärtig. Ich glaube, in keinem Lande der Welt ist das „schöne Geschlecht“ mehr vernachlässigt, als in Belgien. Man gehe in jedes beliebige Theater und man überzeuge sich davon, daß der Rand der Logen mit einer wahren Perlenschnur von Medusenköpfen gesäumt ist. Die eigentlichen Vlamländerinnen haben Gliedmaßen, wie sie sich nie ein weibliches Wesen erlauben sollte. Die Walloninnen, schwarzäugig und lebendig zwar, wie Französinnen, verlieren sehr durch ihren mangelhaften Taint. Fragt man in Lüttich nach schönen Frauen, so heißt es: O, gehen Sie nur par exemple nach Brügge, dort finden Sie noch viel spanisches Blut. Erkundigt man sich in Brügge nach hübschen Damen, so heißt es: O, gehen Sie nur nach Lüttich, dort herrscht die französische Raçe vor. Leider fand ich weder Spanier noch Franzosen in Belgien – nur Belgier; rien que cela. Jedenfalls sind die Belgier schöner als die Belgierinnen.
In Holland ist dies gerade umgekehrt, wenigstens in dem eigentlichen Holland, dem klassischen Lande des Kaffee- und Zucker-Schachers. Die Männer sind dort entweder, in Folge eines wüsten Lebens der Hafenstädte, zu wahren Skeletten, zu windhundartigen Figuren abgemagert, oder im reifern Alter zu so enormen Wänsten aufgeschwemmt, daß man erst einige Zeit suchen muß, ehe man in jenen Fleischkolossen ein menschliches Wesen findet. Die holländischen Frauen sind dagegen fast durchgängig hübsch; sie haben blondes Haar, himmelblaue Augen, eine sehr weiße Haut; nur leider durch den Gebrauch der unterirdischen Kohlenpfannen und Feuerstübchen bisweilen entsetzlich – große Füße. Aber eine Holländerin kann sehr schön und liebenswürdig sein, und wenn sie mit ihren rothen Lippen jene fürchterliche Sprache lispelt, welche in dem Munde der Männer wie das Grunzen und Brummen einer Walkemühle klingt, da bleibt man verwundert stehn und sieht auf’s Neue, daß von schönen Lippen: Alles schön klingt, sogar holländisch.
Es verstand sich von selbst, daß Herr von Schnapphahnski auf dem Ball der Brüsseler Oper im vollen Glanze seiner Ritterlichkeit umherspazirte und nicht wenig damit beschäftigt war, jede einigermaßen erbauliche Maske Zoll für Zoll zu studiren.
Tanzende zu beschauen, ist ein Kunst- und Natur-Genuß zu gleicher Zeit. Der Tanz enthüllt nicht nur manchen Körpertheil, den wir bei der Prüderie unsres Jahrhunderts selten en masse zu bewundern Gelegenheit haben, nein, die melodisch dahinfluthende Bewegung der Gestalten, zeigt uns, daß diese und jene Glieder auch noch einer ganz andern, als der gewöhnlichen Thätigkeit fähig sind und unwillkührlich söhnen wir uns mit unsern alltäglichen Erinnerungen aus, wenn wir die Menschen wieder einmal so kindlich-sonntäglich vor unsrer Nase herumspringen sehen.
Die Kunst- und Naturstudien auf einem Brüsseler Balle haben freilich ihre Gränzen und unser Ritter würde mit seinen Forschungen bald zu Ende gewesen sein, wenn nicht eine ungemein lebendige und graziöse Maske seine Aufmerksamkeit stets von Neuem in Anspruch genommen hätte. Bald einen entzückend kleinen Fuß, bald eine zierliche Hand und bald einen Nacken zeigend, der durch seine herrlichen Formen alle übrigen Gestalten des Balles hinter sich ließ, wußte die Geheimnisvolle unsern Ritter stundenlang zu fesseln. Vergebens suchte er aus der Verschleierten irgend ein bekanntes Wesen herauszufinden: sie widerstand seinen genauesten Beobachtungen durch so räthselhafte Gebärden und seinen kühnsten Fragen durch so zweideutige Antworten, daß er zuletzt davon überzeugt
war, von einer durchaus Fremden intriguirt zu werden.
Der Reiz eines derartigen Spieles wird durch den Widerstand, den man findet, nur erhöht. Ein zahmes Roß zu reiten, ist keine Kunst; ein wildes zu bändigen: die höchste Lust. Der Schwache wünscht Nachgiebigkeit und Kapitulation; der Kühne: Widerstand und Sieg. Der Schwache genießt nur einmal; der Kühne tausendmal, denn jede Stufe des Widerstandes wird durch ihr Ueberwundensein eine Stufe der Glückseligkeit, die nur der letzte Sieg an Wonne überbietet. Suche Widerstand und du wirst ein Mann sein; lerne Weiber besiegen und du wirst die Welt erobern!
Herr von Schnapphahnski war zufällig nicht in der Stimmung, seinen Liebesfeldzug auch nur durch eine Nacht hin auszudehnen. Sei es, daß er alle Hoffnung aufgeben zu müssen glaubte, oder daß er an ähnlichen Orten rascheren Erfolg gewohnt war – genug, es ennuyirte ihn mit der Zeit, sich so den ganzen Abend für nichts und wieder nichts an der Nase herumführen zu lassen; und als die verhängnisvolle Maske wiederum mit sehr spöttischem Gruße an ihm vorüberhuschte, da vergaß unser Held plötzlich, daß er nicht in der Wasserpolackei, und auf dem Ball einer zwar belgischen, aber nichts desto weniger
civilisirten Stadt sei und – es ist kaum zu glauben – ja, unser Ritter griff der Vorübereilenden mitten in die Maske – –
Die so brutal Angegriffene stutzt, stößt einen Schrei aus und vierzig bis funfzig andre Masken stellen sich rings um den Ritter und die Dame. Der Schleier der Schönen ist indeß gefallen und der Ritter erkennt zu seinem nicht geringen Schrecken die Gattin des belgischen Künstlers.
Der unglückliche Ehemann, „deguisé en quelqu’un, qui s’embête à mort,“ ist ebenfalls herbeigesprungen. Er beobachtete den fremden Ritter und die eigne Gattin den ganzen Abend hindurch; seit einigen Stunden schon fühlte er seine Hörner wachsen und mit der freudigen Wuth eines erretteten Familienvaters stürzt er sich auf unsern Ritter.
Eine Scene entspinnt sich, wie man sie in Brüssel vielleicht noch nicht erlebt hatte. Herr von Schnapphahnski begreift gar nicht, wie ihn die Brüsseler Bourgeois so langweilen können. Er nennt seinen Namen, seine Titel – –
„Je m’en f “ brüllt der entrüstete Ehemann wie ein Hirsch in der Brunstzeit, und: „Oui Monsieur! Oui Monsieur!“ schreit der Chor, wie im ersten Akt des Barbiers von Sevilla.
Schnapphahnski giebt seine Karte – –
J’aurai ta carte dans ma poche et toi la mienne sur la figure –“
Oui Monsieur! Oui Monsieur! und immer toller wird der Scandal, bis sich zuletzt hundert zierliche Hände erheben, um unsern Ritter zu zerreißen, die Faust des Ehemanns an ihrer Spitze – ach, und nur durch die schleunigste Flucht rettete sich unser Held von der unangenehmsten Pointe, die ein Abenteuer haben kann.
VII.
Herzog C.
In Brüssel verfolgte unserm Helden ein eigenes Mißgeschick. Kaum den Händen eines erboßten bürgerlichen Ehemannes entronnen, fiel er in die Riesenfäuste eines noch weit erbitterteren Aristokraten. Der Ritter war an seinem Malheur selbst schuld, denn durch seinen Hochmuth, durch seine Arroganz, kurz
durch seinen Schnapphahnskismus brachte er Jedermann gegen sich auf. Ganz besonders haßte ihn damals ein Franzose, ein gewisser Herzog von C… und mehr als einmal ließ er die bedeutungsvollen Worte fallen: „Nun, wenn mir der Mensch einmal in die Hände gerät – –“ der Herzog begleitete diese Phrase stets mit dem verständlichsten Gestus.
Herzog C., dem unser Ritter zu mißfallen das Unglück hatte, war ein sehr liebenswürdiger und durchaus anständiger Mann, beiläufig bemerkt, in Besitz einer Taille von weit über 6 Fuß; ungefähr die Hälfte im Durchmesser – –
Die Abneigung des Herzogs war unserm Ritter keineswegs entgangen; mogte er aber glauben, daß die großen Hunde die kleinen niemals beißen, oder daß sie gar feige sind: genug, er suchte den herzoglichen Riesen durch Arroganz einzuschüchtern und verdoppelte sie daher stets in seiner Gegenwart.
Eines Tages treffen sie in einer Gesellschaft zusammen. Sie sprechen von Kriegen, Campagnen, Schlachten und zuletzt von Duellen. „Wie viel Duelle haben Sie schon gehabt, Ritter?“ fragte der Herzog gleichgültig. – – „„Die Masse –!““ erwiderte Schnapphahnski – „„Aber ich müßte mich eigentlich nie schlagen, denn wer so sicher ist, seinen Gegner stets zu tödten, wie ich es bin, der begeht
fast einen Mord. Nichtsdestoweniger macht es mir aber Vergnügen, mich zu schlagen –““ „Bah!“ sagt der Herzog – „wie so?“ – „„Sehn Sie,““ versetzt der Ritter, – „„wenn ich mich rächen will, so fordre ich meinen Gegner auf Säbel et il est un homme mort. Will ich ihn dagegen nur strafen, so fordre ich ihn auf Pistolen, car je suis sûr de loger ma balle ou je veux –““ „Bah –“ erwiedert nochmals der Herzog und empfiehlt sich ganz unterthänigst.
Kurze Zeit nach dieser Unterredung kam eine sehr berühmte Pianistin, Madame P., nach Brüssel, und tous les beaux der Hauptstadt wetteiferten um die Gunst der schönen Virtuosin. Ein gewisser Gesandter Graf …, der damals noch nicht verheirathet war, stellte sich in die ersten Reihen.
Eines Tages wurden die Salons der Gesandtschaft prächtig mit Blumen verziert, glänzend illuminirt – ein lucullisches Mahl angerichtet. Wer sollte dazu erscheinen? Eine Hoheit, eine Majestät? Nein – – die schöne Conzertgeberin. Alle Dandys, Lions, Tigres – kurz, die ganze fashionable Menagerie der Hauptstadt wurde zu diesem Feste eingeladen. Unter ihnen befand sich auch unser Ritter, der Herzog und ein gewisser Oberst C. ein alter Haudegen, der unter Soldaten erzogen, und auf
Schlachtfeldern ergraut, sich bei weitem behaglicher in einem Corps de Garde als in einem Salon fühlte.
Nach Tische, als der Champagner bereits das Blut im Kreise trieb und der Kaffe der Vernunft den letzten Stoß geben sollte, entfernten sich die Damen. Die Herrengesellschaft begab sich in einen Rauchsalon. – Der Herzog, den diese Gesellschaft ziemlich langweilen mogte, setzte sich an’s Klavier und präludirte darauf. Schnapphahnski’s unglücklicher Stern brachte ihn ganz in seine Nähe.
Unglücklicher Schnapphahnski! – Der Hafer stach ihn mehr als gewöhnlich und keine fünf Minuten verstrichen, da machte er auch schon über das Spiel des Herzogs einige ebenso kecke als boshafte Bemerkungen, indem er namentlich hervorhob, wie es fast unbegreiflich sei, daß man mit einer so großen Hand spielen könne, ohne zu fürchten, alle Tasten gleich zu zertrümmern. Der Pianist L., der voraussah, daß die Geschichte eine üble Wendung nehmen könne, beeilte sich unserm Ritter zu erwidern, daß man mit einer großen Hand recht gut spiele, daß er viele Virtuosen kenne u. s. w. – – aber Schnapphahnski wollte nicht ruhen. Den schöngelockten Kopf coquettirend auf die Schulter legend, die Cigarre nachlässig an die Lippen führend, und mit der höchsten Nonchalance über dem Klavier hängend, fuhr er fort
seiner Laune den Zügel schießen zu lassen, indem er sich durch jeden freundlichen Einwurf der umherstehenden Gäste nur zu neuen beißendern Bemerkungen hinreißen ließ.
Der Herzog, der sich bis zum letzten Augenblick sehr ruhig benahm, spürte doch mit der Zeit Lust, dem Gespräche ein Ende zu machen. Mehrere leise Andeutungen waren schon in dem Humor des Ritters verlorengegangen: er sah sich daher genöthigt, etwas verständlicher zu werden und als unser Held wiederum eine Phrase hinwarf, die durch ihre liebenswürdige Unverschämtheit alles Frühere hinter sich ließ, hob er den Kopf etwas feierlicher empor und versetzte mit sehr bestimmtem Tone: „Wissen Sie, Ritter, ich kann auch einen gewissen Walzer spielen, dem Niemand wiedersteht. Ja, wenn ich den spiele, so muß man tanzen, wie ich es befehle!“
Herr von Schnapphahnski hatte die Bonhomie, auch dieses nicht zu verstehen. Der Herzog verstummte. Der Ritter setzte seine Bemerkungen fort und auf den Gesichtern der Zunächstweilenden konnte man deutlich lesen, daß sie sich in einer ziemlich peinlichen Stimmung befanden. Wer weiß, wie lange indeß die Katastrophe des Abends noch hinausgeschoben worden wäre, wenn der arme, alte Oberst, dessen Anwesenheit wir früher schon erwähnten, nicht
plötzlich zum Losplatzen des Sturmes auf eine ebenso unvorhergesehene, als höchst komische Weise Veranlassung gegeben hätte.
Wir müssen bekennen, wir sind in einiger Verlegenheit: wir werden die Geschichte schwerlich so erbaulich erzählen können, wie sie in der Wirklichkeit geschehen sein mag. Die Verlegenheit der Menschen verräth sich auf verschiedene Weise. Der Eine erröthet, der Andre schlägt die Augen nieder, der Dritte hustet, der Vierte nimmt eine Prise. Unsere Verlegenheit verräth sich dadurch, daß wir plötzlich den Faden der Erzählung verlieren ....
Ein Westphale reiste nach England. Er war sehr unglücklich, wie alle Westphalen auf Reisen. In Köln verlor er seinen Regenschirm; in Ostende wurde ihm der Mantel gestohlen, in Dover fiel er beim Ausschiffen in’s Meer, auf der Douane confiscirte man ihm den cigarrengefüllten Koffer, der Droschkenkutscher prellte ihn entsetzlich, und höchst kalt und unkomfortabel langte unser Westphale in Norfolk street Strand London, an. Norfolk street ist eine todtenstille Nebenstraße. Nachdem er um das schlechteste Zimmer gebeten hatte, – für das er natürlich grade so viel bezahlen mußte, wie für das allerbeste – und nachdem er, mehr aus ökonomischen, als aus Gesundheitsrücksichten, von dem aufgetragenen Beef und Mutton
weniger als ein Kanarienvogel gegessen hatte, – um natürlich grade so viel dafür zu zahlen, wie für ein Mittagsmahl des Riesen Goliath – legte sich unser Westphale in sein theures, aber schlechtes Bett, faltete die Hände, betete zu Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, und schlief schnarchend dabei ein, wie mancher Gerechte vor ihm. Als er am nächsten Tage erwachte und nach seiner Uhr griff, überzeugte er sich davon, daß die Uhr mit dem Regenschirm, dem Mantel, dem Koffer u. s. w. bereits den Weg alles Irdischen gegangen sei und schüchtern schlich unser Freund daher an den Rand der Treppe und fragte mit zitternder Stimme: „Könnten Sie mir nicht sagen, Herr Kellner, was die Glocke gefälligst geschlagen hat?“ „„Three o’ clock!““ rief der Kellner in barschem Tone. Es war 3 Uhr nachmittags. Bei dem abscheulichen Nebel, der verfinsternd über der Stadt lag, meinte der gute Westphale aber nicht anders, als daß es 3 Uhr morgens sei und es verstand sich von selbst, daß er als rücksichtsvoller Fremder zurück in’s Zimmer kroch, um, nach einigen Unterbrechungen und schweren Träumen, abermals bis zu einem nächsten Tage im Bette zu liegen wo er, da der Nebel noch immer fortdauerte, gewiß bis zu einem dritten Tage geweilt hätte, wenn er nicht durch den Hunger so sehr gepeinigt worden
wäre, daß er sich schließlich ein Herz faßte und hinunter in die Gaststube stolperte.
Hier angekommen, betrachtete man den foreign Gentleman mit so sonderbaren Augen, daß er, an seinen Mantel, an den Regenschirm, an das Koffer und an die Uhr gedenkend, plötzlich auf die gerechtesten Befürchtungen für seinen Frack und die Hosen empfand. Er faßte daher den heroischen Entschluß, lieber das heiß ersehnte Frühstück im Stich zu lassen, gleich zu bezahlen und dann rasch das Haus zu verlassen. Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste. Nicht ohne Bangen, näherte er sich daher einem andern Fremden, den er für den Wirth hielt, und fragte mit möglichster Fassung, indem er das Gold schon in den Händen hielt: „How much? –“
„„God-dam!““ erwiederte dieser und streifte die Aermel empor und würde gewiß auf unsern Westphalen losgeboxt haben, wenn sich der land lord nicht noch zur rechten Zeit in’s Mittel gelegt und dem erschrockenen Westphalen die Nota überreicht hätte. Die Rechnung war short and sweet; kurz und süß, wie folgt:
1 supper . . . . . . . . . | £ | – | 3 | S. | 6 | d |
2 board and lodging . . . . | „ | – | 9 | „ | 10 | „ |
Waiter . . . . . . . . . | „ | – | 2 | „ | – | „ |
boots and chambermaid . . . | „ | – | 3 | „ | – | „ |
–––––––––––––– |
| £ | – | 18 | S. | 4 | d |
Der Westphale hatte den Verlust des Regenschirms, der Uhr, des Mantels und Koffers verschmerzen können. „Gestohlen und verloren werden, kann Alles –“ sagte er sich. Daß man ihm aber für ein Abendessen und für einen Schlaf 18 Shillinge und 4 Pence, mit andern Worten: Sechs Thaler, drei Silbergroschen und sechs Pfennige Preußisch Courant anrechnete, nein, das war zu stark, das beleidigte die Seele eines Biedermannes zu tief und mit einiger Entrüstung bemerkte er daher:
„Aber nein, Herr Wirth, sagen Sie mal, das ist denn doch gefälligst ein bischen zuviel –"
„„Very moderate, Sir!““
„Aber nein, ich habe ja nur eine Nacht geschlafen.“
„„Two nights, if you please Sir.““
„Aber nein ich habe ja gar nichts mehr gegessen.“
„„All included, Sir.““
„Aber nein, das kann ich unmöglich bezahlen – –“
Aber der Wirth hatte das einzige und letzte Goldstück seines Gastes schon in der Hand und ärgerlich den Ueberschuß von 1 Schilling und 8 Pence auf den Tisch werfend, überließ er den Westphalen seinem Nachdenken, der noch immer nicht begreifen konnte, wie man für 6 Thaler, 3 Groschen und
6 Pfennig: in einer Nacht, zwei Nächte schlafen könne – und endlich trübselig davon schritt.
Von Norfolk street bis zu St. Paul’s sind es nach Londoner Maaß, nur wenige Schritte, d.h. es ist noch ziemlich weit. Unser Westphale stand daher erst nach geraumer Zeit vor der gewaltigen Kirche und da er sein Morgengebet noch nicht gestammelt hatte, so schritt er mit brünstiger Seele die große Treppe hinauf und trat durch die offene Tür unter Meister Wren’s herrliche Wölbung.
„Four pence, if you please, Sir!“ sagte da Jemand, indem er unserm Freund auf die Schulter klopfte. Der Westphale blickte erschrocken zurück:
„„Aber nein, dies ist ja eine Kirche –““
„Four pence to be paid, Sir!“
„„Aber nein, ich habe noch nie in Münster entrée in der Kirche bezahlt.““
„Four pence!“ wiederholte der Küster zum dritten Male und so gewiß, wie der Wirth in Norfolk street 2 Nächte auf die Note gesetzt hatte, so gewiß mußte der Westphale schließlich vier Pence entrée bezahlen. Mit seinem letzten Schilling und mit einem so heißen Gebete, wie es je ein Gläubiger gesprochen hat, knieete da der Westphale auf den Marmorboden nieder. Wer weiß, wie lange er sich mit Gott unterhalten haben würde, wenn nicht plötzlich der Küster
mit einem Bund Schlüssel in der Hand und mit einem Schweif von vielen Herren und Damen quer durch die Kirche gerannt wäre. Der Betende sah aufmerksam empor. Was soll das bedeuten? Schließt man die Kirche zu? Mit dem Schrei des Entsetzens sprang er empor und der Gesellschaft nachlaufend, war er bald der nächste hinter dem Küster. Richtig! Die Riegel knarrten, die erste Thüre fiel rasselnd ins Schloß.
„One Shilling, if you please, Sir!“
Der Westphale war abermals wie vom Donner gerührt.
„„Aber nein, bezahlt man hier auch beim hinausgehn?““
„One Shilling to be paid, Sir!“
„„Aber nein, ich habe noch nie in Münster bezahlt, wenn ich aus der Kirche ging.““
„One Shilling!“
Der Küster sprach dies mit so viel anglikanischer Würde und mit so unendlich kathegorischem Episkopalernst, daß der arme Westphale vor Schrecken in den Boden zu sinken meinte und unwillkürlich in die Tasche der grün-plüschenen Weste griff und ach, seinen letzten Schilling herausholte. Es mußte wohl so sein, denn alle Uebrigen bezahlten ebenfalls. Nachdem die Sache berichtigt war, schritt der Küster
vorwärts. Der Westphale folgte ihm auf dem Fuße, seine Knie zitterten, er schnappte nach Luft und in der Angst und Verwirrung achtete er gar nicht darauf, daß man, statt die Treppe hinunter nach der Straße zu gehen, die Treppe hinauf nach dem Turm schritt. Erst in der Mitte der ersten Windung bleibt er entsetzt stehen. Ein neuer Betrug! Er will zurück, er macht kehrt – aber ach, wenigstens 20 Menschen sind schon hinter ihm; keiner kann an dem andern vorüber, zu schmal ist der Gang, und „Follow me!“ ruft der Küster vor ihm und: „Go on!“ schreit die Menge hinter ihm und weiter muß der Unglückselige, von einem Tritt zum andern, immer vorwärts, immer hinauf, unter Aechzen und Stöhnen, bis er endlich schweißtriefend oben in der Kuppel der Kirche anlangt.
Herren und Damen sind indeß nachgerückt; immer voller wird der Raum, der Eine drängt den Andern und unser Westphale sieht sich genöthigt eine kleine Erhöhung zu besteigen, von der man zu der höchsten Oeffnung der Kuppel hinaufreichen kann. So wie die Gesellschaft das Innere der Kuppel betrat, hatte sie alle Fenster und Luken in Beschlag genommen. Die Oeffnung, welcher unser Freund zunächst stand, war bald allein noch unbesetzt und man winkte ihm hinauszusehen, und dann für Andre Platz zu machen. Unwillkürlich faßte er daher
rechts und links an die Seiten der Oeffnung und vom Boden emporspringend hob er sich mit dem Oberkörper über das Dach hinaus, auf die Hände gestützt, die Beine noch immer baumeln lassend.
Welch ein Anblick! Aus dem stillen Westphalen plötzlich auf die Spitze der St. Pauls Kirche! Ein kalter Schauder durchfuhr unsres Freundes Rücken: vor ihm ausgebreitet lag die Riesin London, im heitersten Sonnenglanze. Des dichten Nebels wegen hatte der Westphale nur das bemerkt, was auf sechs Schritt zu bemerken war.
Während er unten auf den Marmorstufen der Kirche betete, hatte aber der Wind den Nebel zerstreut und alle Gegenstände der unermeßlichen Stadt traten jetzt aus dem Dunkel hervor und leuchteten in grandiosen Umrissen am entwölkten Horizonte. Dort die Yorksäule, die Nelsonsäule, die Thürme der Westminster Abtei, St. James, die Bäume von Hayde Park, und Pallast an Pallast bis hinaus in die weiteste Ferne. Nach der andern Seite die City, mit ihren tausend und aber tausend verschlungenen und verworrenen Gassen und Gängen, mit den hochgegiebelten Häusern, vollgepfropft mit allen Schätzen des Erdballs, halb noch in bläulichen Rauch gehüllt, der sich in düstern Massen hinauswälzt bis in die entlegensten Felder. Und die Themse dann.
Auf bläulicher Fluth die schneeweißen Segel und Mast an Mast so weit das Auge reichte vom Tower bis hinab zur wogenden See. Dazu das Rasseln der Wagen, das Lärmen der Fußgänger, das Geräusch der Werkstätten und hunderterlei stöhnen, schreien, murren, brummen und poltern, das in tollem Gemisch zu der Kuppel der Kirche emporklang – es schwindelte den armen Westphalen, krampfhaft faßte er den Rahmen der Luke, er dachte nicht mehr an den verlorenen Schirm, an den gestohlenen Mantel, an die verschwundene Uhr, an den confiscirten Koffer, an die Rechnung des Wirths, an das entrée der Kirche und an den letzten Schilling – nein, er dachte an nichts mehr, er sah nur, mit aufgerissenen Augen, mit offenem Munde, mit Nase und Ohren, er staunte, er glotzte, und wie seine Kraft durch die schwebende Haltung immer mehr schwand, und wie er zuletzt nicht mehr wußte, ob er sich nach hinten zurückfallen lassen sollte, um irgendeiner Dame auf den Kopf zu stürzen, oder ob er nach vorn springen sollte um selbst den Hals zu brechen und wie es ihm plötzlich gelb und grün vor den Augen wurde, und wie der kalte Schweiß auf seine Stirn trat und ein Zittern durch alle Glieder fuhr: O, da preßte ihm die Mutter Natur plötzlich einen jener heimischen Laute aus, der wie ein Pistolenschuß in der Kuppel
der Kirche wiederklang und einer Leiche ähnlich sank der Unglückliche hinab, zwischen die nach allen Seiten auseinanderstiebenden Genossen, deren er sicher im Niedersinken mehrere zerschmettert hätte, wäre der Laut nicht so herrlich à propos gekommen, so voll, so donnernd – doch kehren wir zurück zu Schnapphahnski. Der alte Oberst C. war in demselben Falle wie unser Westphale. Das herrliche Diner, der Wein, die Lichter, Hitze, Musik, alles das hatte ihn schon in eine Schwulität versetzt, wie sie ihm in der mörderischsten Schlacht nicht vorgekommen war. Als er nun aber gar noch in das Rauchzimmer gerieth, um die Conversation des Ritters und des Herzogs anzuhören, eine Conversation, die jeden Augenblick pikanter und beißender wurde; als er die Verlegenheit der übrigen Gesellschaft bemerkte, eine Verlegenheit, die er selbst nicht recht begriff und als es ihm immer mehr einleuchtete, daß er sich eigentlich gar nicht an seinem Platze befinde – nun, da wurde ihm geradeso zu Muth wie dem Westphalen auf dem Gipfel der Paulskirche; es schwindelte ihm, es wurde ihm rosenroth vor den alten Augen; wie der Westphale meinte er die Themse zu sehen und den Tower und die Westminster Abtei, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn und ach, was der Westphale hoch
oben über ganz London riskirt hatte, das riskirte der alte Oberst in dem Salon der höchsten Brüsseler Gesellschaft:
Brrrrr – um! und Alles fuhr erschrocken zusammen.
Es war geschehn. Aber man hatte zuviel bon sens, um den armen Alten für seinen Verstoß büßen zu lassen und schon machte man Miene das Unglück des ehrwürdigen Mannes mit lächelndem Stillschweigen zu übergehen, als Herr von Schnapphahnski plötzlich so unvorsichtig war, dem Beispiele des alten Oberst mit einem ähnlichen Laute im raschesten Tempo zu folgen – –
Die Katastrophe des Abends war gekommen. Der Herzog endete sein Klavierspiel mit der schrecklichsten Dissonanz, und rasch emporfahrend, wandte er sich zu dem Oberst und dem Ritter. „Ihnen, Herr Oberst, verzeiht man Manches, denn man muß es Ihnen verzeihen; Sie, Ritter, sind einer der erbärmlichsten Burschen, welche die Welt je getragen hat!“ – Eine Totenstille entsteht.
Der Ritter, so direkt interpellirt, setzt den Hut auf den Kopf, um sich recht das Ansehen eines Marquis léger zu geben, tritt dem Herzog gerade unter die Nase und fragt: „„Ist das Ernst oder Spaß?““
„Ich bin nicht gewohnt, daß man mit dem Hut auf dem Kopfe zu mir spricht!“ erwidert der Herzog und seine Hand berührt die Wange des Ritters zu gleicher Zeit in so unsanfter Weise, daß der Hut des Getroffenen hoch in die Luft fliegt. Doch damit nicht zufrieden, ergreift er den taumelnden Ritter auch noch beim Kragen, hebt ihn mit eiserner Faust empor, rüttelt und schüttelt ihn, daß ihm Hören und Sehen vergeht, spricht: „Nun beginnt der Walzer!“ öffnet dann die Thür, trägt den Unglücklichen wie eine Katze hinaus und schleudert ihn die Treppe hinab, um dann ruhig, als wenn nichts geschehen sei, ins Zimmer zurückzukehren, wo die Gäste stumm und bestürzt einander anschauen.
Wir müssen gestehen, unser Herz beschleicht ein inniges Bedauern indem wir dieses niederschreiben. Unser Schmerz ist gerechtfertigt, denn mit seinem Helden soll der Autor fühlen und empfinden.
Fast wörtlich haben wir den Hauptinhalt dieses Kapitels aus den uns vorliegenden Manuskripten wiedergegeben. Geben wir jetzt nur noch einfach den Schluß. „Kaum in den Salon zurückgekehrt – heißt es in unsern Notizen weiter – erblickt der Herzog den Hut des Ritters. Er hebt ihn vom Boden auf, und indem er avec toute la courtoisie
possible hinzusetzt: „Aber mein Gott, der Ritter kann ja nicht ohne Hut nach Hause gehn“ – wirft er ihn auf die Treppe seinem Eigenthümer nach.
Sie glauben vielleicht, daß nach solch’ einer Katastrophe der Herzog am andern Tage nicht mehr zu den Lebenden zu zählen war – – Sie irren sich. Er lebt noch bis auf den heutigen Tag. Aber pro forma kam der Secundant des Ritters, um die Bedingungen des Zweikampfes zu ordnen. „Mein Gott“ – sagt der Herzog gleichgültig – „der Ritter sagte mir vor wenigen Tagen, daß er den Degen wählt, wenn er Jemanden mit dem Tode bestrafen will. – – Nun, ich glaube, daß er alle Ursache hat, mich zu bestrafen. – –“
Bedenken Sie nur, daß des Herzogs Arm übermenschlich lang war, und daß acht Menschen denselben nicht biegen konnten – – armer Schnapphahnski! Aber es sagt bei uns ein altes Sprichwort: Wer hängen soll, der wird nicht ertrinken. Wer weiß, welches Loos unserm Ritter reservirt ist!
Vor allen Dingen erschien am selben Tage auch noch der Gesandte, Graf … beim Herzog C.
„„O mon dieu, que faire? Was wird man sagen, wenn es heißt, daß man in dem ... Gesandtschafts
-Hotel Fêten für Personen zweideutigen Rufes giebt, bei denen man sich betrinkt, f.... und sich ohrfeigt – – Was wird Sr. Majestät sagen! Was der Premier! Ich bin verloren – –““
„Aber lieber Graf, was wollen Sie, daß ich dabei thue?“ erwiderte der Herzog mit der größten Höflichkeit.
„Liebster, bester Herzog, erklären Sie dem Ritter, daß Sie ihn nicht beleidigen wollten – –“
„Aber kann ich das?“ sagte der Herzog, berstend vor Lachen.
„Es ist nur der Form wegen – –“
„Nun gut, wenn der Ritter damit zufrieden ist – mir ist es einerlei.“
Und so geschah’s.
Am anderen Morgen kommen die beiden Kämpfer zu einer heldenmütigen Versöhnung zusammen. Schnapphahnski tritt dem Herzog mit der ritterlichsten Miene und mit allen seinen Orden, wie ein spanischer Maulesel behangen entgegen. „„Unter Männern so hohen Standes können keine Beleidigungen vorkommen““ – sagt der Ritter – „„und kommen sie vor, so dürfen sie nicht als solche angesehen werden.““
Der Herzog macht eine ironische Verbeugung.
Die Memoiren des berühmten Ritters Schnapphahnski waren fast vollendet. Er verließ Brüssel ....
Zunächst finden wir ihn in Aachen. Tiefsinnig sitzt er am Grabe Karls des Großen und spielt – Roulette.
VIII.
München.
Das Spiel ist eine schöne Sache.
Als acht- oder zehnjähriger Knabe nimmt man die Karten gewöhnlich zum ersten Male in die Hand – an langen Winterabenden, wenn draußen der Schnee auf den Bergen liegt und die Flamme räthselhaft im Kamine emporsteigt, flackernd und knisternd. Man spielt „schwarzen Peter.“ – Agnes, Bertha, Paul und Mathilde sitzen um den runden Tisch und wer verliert, der bekommt einen schwarzen Strich und
wenn Paul drei Mal verliert, da bekommt er auch drei Striche und fängt er an zu weinen: da lacht man ihn aus und Agnes fällt ihm um den Hals und küßt ihn, trotz seines Schnurrbarts und der Abend verstreicht unter Scherz und Jubel und es giebt kein schöneres Spiel als der „schwarze Peter.“
Herr von Schnapphahnski trieb es nicht so unschuldig. Wie wir schon erzählten, saß er in Aachen, am Grabe Karls des Großen und spielte Roulette – –
Beiläufig bemerkt, war Aachen bis in die neueste Zeit hinein ein höchst unbekannter Ort. Erst vor kurzem wurde er durch Heinrich Heine entdeckt und nach Verdienst besungen. Die Schönheiten Aachens sind erst durch Heine recht ans Licht gekommen. Man hatte früher nur eine dunkle Ahnung davon. Man wußte nur, daß Karl der Große seliger, dort verstorben und vergraben sei, daß die Bauern der Umgegend alle sieben Jahre zu der Kunstausstellung des heiligen Hemdes und die Bonner Studenten jeden Sonntag zu dem natur-grünen Tische der Redoute wallfahrteten – die Bauern, um mit reuigem Herzen, mit verzückten Augen und gebeugten Knieen vor dem wunderthätigen Hemde ihre Andacht zu verrichten und von Noth und Fegefeuer erlöst zu werden – die Studenten, um im Schmuck der goldenen
Locken an den grünen Altar der Croupiers zu treten und erst recht in Noth und Fegefeuer hineinzugerathen. Das war indeß auch Alles, was jedem Kinde von Aachen bekannt war. Aber jetzt? Man kennt jeden Lieutenant auf der Straße, man kennt den Adler über dem Posthause, man weiß genau, womit sich die Hunde, die armen langweiligen Hunde in Aachen beschäftigen. Genug, man kennt die winzigsten Kleinigkeiten und wenn der ehrwürdigen Stadt jemals etwas Menschliches passiren sollte, wenn sie je einmal unterginge durch Pestilenz, Brand und Hunger: da wird man nur Heine’s Wintermährchen aufzuschlagen haben, um den Feuer- oder Lebens-Versicherungs-Gesellschaften die beste Anleitung zu geben, in welcher Weise sie das Zerstörte zu ersetzen haben, sei es an Häusern, Menschen oder Vieh.
Nie hatte Aachen glänzendere Tage, als bei der Anwesenheit des Herrn von Schnapphahnski. Der edle Ritter ließ die Aachener Bank aber auch gehörig für die Ehre seines Besuches zahlen und mit gefüllter Kriegeskasse reiste er dann nach München.
Nicht ohne Zittern und Zagen geschah indeß diese Reise. Denn wenn in München auch nicht wie in Berlin, jeder Gardelieutenant mit dem Finger auf unseren Ritter zeigen und seinen Kameraden
fragen konnte, ob jener Herr von Schnapphahnski derselbe Schnapphahnski sei, der einst die schriftliche Erklärung gab, daß er sich in der berühmten Liebesaffaire mit Carlotta höchst unzweideutig benommen habe, so war doch wenigstens immer die Möglichkeit vorhanden, daß dem edlen Ritter selbst in dem bairischen Babylon ein Lakai des Grafen S. aus O. in Schlesien begegnete und Herr von Schnapphahnski hatte nun einmal eine entschiedene Abneigung vor den Haselstöcken dieser Ungeschlachten. „Und nähmst du die Flügel der Morgenröthe und bettetest dich am äußersten Meere, die Arme der Lakaien aus O. in Schlesien können dich doch noch erreichen!“ – Also dachte unser Ritter und es versteht sich von selbst, daß er auch in München nicht auf der Stelle mit der alten Keckheit aufzutreten wagte.
Jedenfalls that er das, was auch jeder andere vernünftige Mensch in seinem eignen wohlverstandenen Interesse gethan haben würde. Er suchte nämlich seinem Erscheinen in München vor allen Dingen einen angenehmen Geruch vorhergehen zu lassen, um auf diese Weise jeder möglichen Gefahr wenigstens in etwas vorzubeugen.
Der sinnreiche Junker hatte bereits durch die Herausgabe seiner Memoiren ein gewaltiges Stück in diesem Punkte vorgearbeitet. Indem er nämlich
seine spanischen Abenteuer schilderte und sich dabei von Gottes und Rechtswegen in ein ungemein günstiges Licht stellte, hatte er wirklich die trostlosen Ereignisse früherer Jahre vortheilhaft zu balanciren gewußt. Gewöhnliche Vergehen, würden gänzlich durch die spanischen Lorbeeren unsres Helden gesühnt worden sein; aber Herr von Schnapphahnski begriff, daß er ein zu interessanter Sünder sei, als daß nicht noch einige außerordentliche Mittel zu seinem Heile angewandt werden müßten.
Er miethete daher einige seiner alten spanischen Genossen, mehrere seiner Kameraden unter Don Carlos, die nach ihrer Rückkehr aus Spanien an der Wüsten-Leere der Taschen litten, und sandte sie als die Herolde seines Ruhmes, oder besser als die Rosenöl-Flaschen, die ihm den erwünschten guten Geruch bereiten mögten, voraus nach München. Die zwei hauptsächlichsten dieser Ruhm- und Rosenölflaschen waren der Königl. … Oberst Graf K. und der frühere Königl. … General von R.; zwei Leute die des blanken Geldes gerade so dringend bedurften, wie Herr von Schnapphahnski des guten Geruches.
Einmal engagirt, waren Graf K. und General von R. viel zu ehrliche und gewissenhafte Spießgesellen, als daß sie nicht alles aufgeboten hätten, um
den Sold ihres Meisters auch wirklich zu verdienen. Sie zogen von Haus zu Haus agitirend und intriguirend und als vierzehn Tage herum waren, da duftete auch schon ganz München nach dem Ruhme des trefflichsten aller Ritter, nach den Lorbeern des Herrn von Schnapphahnski.
Endlich erschien unser Held in eigner Person und es war nicht anders als ob ein zweiter Frühling über der Bier-Metropole emporstiege. – Die Männer zitterten, die Weiber errötheten und gewandt wie ein Wiesel wedelte und scharwenzelte der edle Ritter durch alle Salons. Man kann wirklich sagen daß unser Held in diesem Augenblicke seine schönsten Triumphe feierte.
Meine Leser werden es mir hoffentlich erlassen, dieselben weitläufig zu schildern. Es wäre auch unmöglich den edlen Ritter ganz naturgetreu zu zeichnen. Herr von Schnapphahnski strahlte von Anmuth und Lügenhaftigkeit; nach Kurzem war er schon wieder ganz der Alte und wenn er Morgens, Mittags und Abends in den Spiegel sah, da verbeugte er sich vor seinem eignen Antlitz und gestand sich die Hand auf’s Herz legend, daß er der schönste Mann seines Jahrhunderts sei.
In München weilte damals in der Nähe des kunstsinnigsten aller christlichen Germanen ein gewisser
Herzog von ……, ein Mann den die Mainzer und Coblenzer Bajaderen besser als alle züchtigen Weiber der Gegenwart zu schätzen wissen werden. Wenn sie ihren Freund auch einst incognito an die frische Luft setzten, so machte dies wenig aus. Der Herzog versöhnte sich wieder mit seinen alten Bekanntinnen und die guten Mainzer und Coblenzer wissen von dem freudenfreundlichen Manne viel galante Affentheuer zu erzählen.
Es konnte nicht fehlen, daß der Herzog bei seinem Münchener Aufenthalt auch auf den Ritter Schnapphahnski stieß … Tagtäglich hörte er von der ruhmreichen Vergangenheit unsres Helden erzählen und es versteht sich von selbst, daß er schließlich vor Eifersucht zu zerspringen meinte. Als man daher einst seinen trefflichen Rivalen wieder bis in den Himmel erhob, strich der Herzog nachlässig den Schnurrbart und meinte, daß er nach den Antecedentien des edlen Ritters nicht leicht an seine hohe Bravour glauben könne. Wie ein Nadelstich traf diese Aeußerung das fröhliche Herz unsres armen Ritters und kaum davon in Kenntnis gesetzt, läßt er den Herzog auch schon wegen seiner unerquicklichen Aeußerung zur Rede stellen. Er bemerkt ihm, daß Alles nur auf Unkenntnis beruhen könne, und daß er, der edle Ritter Schnapphahnski, sich wegen seines unvergleichlichen
Heldenthums auf das Zeugniß des – Generals von R. berufe, den der Herzog jedenfalls als competent anerkennen werde … vor allen Dingen möge der Herzog seine Aeußerung zurücknehmen.
Der Freund der Mainzer und der Coblenzer Bajaderen weigert dies, und im Nu verbreitet sich die Geschichte durch alle Salons.
Herr von Schnapphahnski sieht sich daher in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, dem Herzoge mit der ganzen unerbittlichen Frechheit eines Ritters ohne Furcht und Tadel auf den Hals zu steigen und als er ihn furchtsam findet: fordert er ihn.
Selten hatte unserm Helden der Stern des Glückes heller gestrahlt als dieses Mal. Der Herzog will sich nämlich nicht schlagen; er verkriecht sich hinter seine Souveränität und behauptet, daß im unglücklichen Falle alle Bäche und Flüsse von den Thränen seiner Unterthanen zu reißenden Strömen angeschwemmt, Häuser und Weingärten hinwegreißen würden, daß sein etwaiger Tod das europäische Gleichgewicht stören könne u. s. w., kurz, jemehr sich der Herzog weigert, auf ein Duell einzugehen, desto gewaltiger schwillt unserm Falstaff-Schnapphahnski der Kamm und als der Herzog endlich sein letztes Wort gegeben, da erklärt ihm der edle Ritter, daß der Herzog, wenn er sich wirklich dauernd hinter seiner
Souveränetät verstecke, auch in seinem Herzogthum bleiben und sich mit einer chinesischen Mauer umgeben müsse, denn an jedem andern Orte werde Se. Hochgeboren so frei sein, den unübertrefflichen Souverän mit der Hundspeitsche zu bedienen.
Münchens kunstsinnigster Barde, dem diese Aeußerung überbracht wurde, nahm sie im höchsten Grade übel und unser Ritter hatte das Pech, zwar nicht in ein Kirchenfenster des Kölner Doms, wohl aber aus den heiligen Bierstaaten Sr. Majestät für immer verbannt zu werden.
IX.
Wien.
Ich habe mir oft im Leben Feinde gewünscht, bitter böse Feinde in Menge. Nichts schien mir langweiliger, als mit der ganzen Welt auf gutem Fuße zu stehen. Nun ich älter werde, begreife ich allmählig, daß mein Wunsch in Erfüllung gehen
mag, ja, ich glaube an Vater Göthes Worte und sinnend schaue ich hinaus in die Zukunft.
Was wird sie bringen? Wer wird mein Feind sein? Schütze mich Gott vor den Weibern!
Ja, ihr unsterblichen Götter, beschützt mich vor dem Haß der Weiber! Kränkt mich mit falschen Freunden, plagt mich mit tobenden Gläubigern; hetzt mir alle Windhunde der Literatur auf den Leib und alle Erzengel der Gerechtigkeit – es wird mir einerlei sein; nur bringt mich nicht um die Liebe der Weiber! – O, ein Weib kann entsetzlich sein.
Wehe, wenn eine schöne Frau dir Rache geschworen! Du bist verloren; sie wird dich verderben. Lachen magst du, wenn sie mit dem kleinen Fuße den Boden stampft; lachen, wenn sie die Lilienfinger zu zorniger Faust ballt; lachen, wenn sie erröthet bis über den Busen; lachen, wenn ihre Augen Schmerz und Erbitterung funkeln; lachen, wenn sie gebrochnen Lautes dich verflucht und verdammt, und lachen, wenn sie groß, schlank und gebieterisch sich erhebt, um dir höhnisch die blendenden Zähne zu zeigen. Ja, lachen magst du für einen Augenblick, für einen Monat, für ein Jahr; aber kommen wird endlich der Tag, wo ihr Zorn dich erreicht, wo sie mit grausamen Händen dein zitterndes Herz packt, wo sie dein Herz aus der ruchlosen Brust reißt und das
bluthrothe Herz hell-jubelnd in die Luft wirft und es wieder auffängt wie einen Ball, ja Ball mit deinem Herzen spielt, bis es gebrochen und verblutet ist dein armes bluthrothes Herz …
Herr von Schnapphahnski hatte nicht das Glück, von einer schönen jungen Frau gehaßt zu werden, was aber noch weit schlimmer war: es haßte ihn eine Frau, die früher einmal schön und jung gewesen.
Von München hatte sich unser Ritter nach Wien gewandt. Es war im Februar 1840. Voran eilten ihm wieder Graf K. und General R., die bankerotten Genossen der spanischen Kriege, um ihrem Herrn und Meister den Weg zu bereiten. Wenn sie den Ruhm unseres Helden in München ausgeflüstert hatten, so suchten sie ihn in Wien auszuposaunen. Alle Springfedern wurden wieder in Bewegung gesetzt. Graf K. und General R. wetteiferten in Erfindung der mährchenhaftesten Aventüren. Ein Louvet hat seinem Chevalier keine interessanteren Streiche angedichtet, als die beiden Landsknechte des Don Carlos unserem trefflichen Junker.
Weit vor den Gasconaden der beiden sinnreichen Herolde, flog indeß unserm Ritter ein solcher Ruf von Unausstehlichkeit und Impertinenz, von Indiskretion und Effronterie vorher, daß sich schon längst, ehe er in Wien eintraf, eine wahre Ligue in der
Wiener Gesellschaft gebildet hatte, die fest entschlossen war, unsern Helden weder zu sehen noch zu empfangen. Die Geschichte mit der Gräfin S., die Jedermann bekannt war, trug viel zu dieser allgemeinen Abneigung bei. Man fragte sich erstaunt, wie es ein Edelmann noch wagen könne, öffentlich aufzutreten, wenn er sich jeden Augenblick den Stöcken der gräflichen Lakaien aussetzen müsse, und mit stillem Hohngelächter sah man der Ankunft des Ritters entgegen. Endlich erschien er, schön wie immer.
„Zierlich saß ihm Rock und Höschen,
Doch noch zierlicher die Binde. –“
Beau Brummel, der Dandy König Georg’s IV., tändelte nicht koketter durch das Drawing-room seines Herrn, als Hr. v. Schnapphahnski durch die Wiener Gassen. Aber ach, vergebens war alle Liebenswürdigkeit unseres Ritters. Umsonst ließ er alle Minen springen. Das ganze Pulver seiner Frechheit verschoß er Schuß auf Schuß; aber er schoß keine Bresche in die Wiener Gesellschaft.
Ein einziger Mann, ein Löwe der Wiener Salons, Fürst H… nahm sich zuletzt aus Mitleid seiner an und vielleicht hätte der große Credit dieses Mannes ihn „durchgesetzt,“ wenn sich nicht plötzlich wieder eine andere Jugendsünde unseres Helden, ganz
im Style seines Abenteuers mit Carlotten, auf eine schreckliche Weise an ihm gerächt hätte.
Die kleine Historie, die wir jetzt erzählen werden, greift so tief in das Wiener Leben ein, und berührt so weltbekannte Personen, daß wir uns, um nicht indiskret zu werden, lieber aller Ausschmückungen enthalten wollen, um uns rein an die vorliegenden von sehr guter Hand geschriebenen Aktenstücke zu halten.
Prahlend hatte nämlich einst ein Herr von Schnapphahnski bei seinem Aufenthalt in Paris einigen Freunden das Porträt der Fürstin …, der Gemahlin jenes Mannes, vorgezeigt, der noch bis vor kurzem die Geschicke so vieler Völker in seinen Händen hatte, und der vielleicht in diesem Augenblicke mit dem alten Usurier der Tuilerien auf dem Schachbrett jenes Spielchen wieder aufnimmt, was er auf dem Felde der Politik jüngst so schmählich verlor.
Herr von Schnapphahnski rühmte sich, daß er in der Gunst dieser Dame gestanden habe.
„Die Fürstin, hinlänglich blasirt darüber, wenn man sich ihrer Liebesgunst rühmte, wo diese wirklich gespendet wurde, wollte es gleichwohl nicht dulden, daß ihr Ruf leide, wo sie keine Gegenleistung erhalten hatte.“ – Ich führe diese Passage wörtlich aus den vorliegenden Manuscripten an, da sie von zu köstlicher Naivität ist, als daß auch nur ein Jota
daran verändert werden dürfte. Wohl zu merken: die Fürstin will ihrem Gemahle nur deswegen keine Hörner von unserm Ritter aufgesetzt wissen, weil sie keine „Gegenleistung“ von ihm erhalten hat!
Giebt es eine feinere Wendung des Styles? Gegenleistung, ja, Herr von Schnapphahnski, Gegenleistung! Prägen Sie sich das tief in’s Gedächtnis. Gegenleistung! that’s thejob! Leisten Sie etwas, Herr von Schnapphahnski. Um Gottes willen, leisten Sie etwas, ehe Sie sich Ihrer Eroberungen rühmen, sonst wird man auf allerlei seltsame Vermuthungen kommen. Man verlangt nicht von Ihnen, daß Sie ein Maximin sind, ein Mann wie jener kräftige Jüngling in goldener Rüstung, von dem alle römischen Damen Mutter zu werden wünschten, und der auch viele Schmachtende zu trösten wußte, ehe sein abgeschlagenes Haupt, gleich einem „schönen Gespenste“ von dem Gitter seines Palastes sah. Man verlangt auch nicht, daß sie dem Stuhlrichter Warga, jenem Graner Repräsentanten, gleichen, gegen dessen Zulassung zum ungarischen Parlamente man im verflossenen Juli in Pesth so sehr protestierte, weil der glückliche Mann während seiner 10jährigen Amtsdauer 4000 Mädchen verführte …, nein, auch mit den handfesten Lakaien des Grafen S. aus O. in Schlesien will man Ihnen gern den Wettstreit
erlassen; aber lieber, theurer Ritter, leisten Sie etwas, etwas! etwas! denn bei all’ Ihren Liebschaften, die wir erzählten, sind Sie noch nicht bis zu dem Punkte gekommen, der gerade die Pointe jeder Liebschaft ist … weder bei der Gräfin S., noch bei der Schwester des Grafen G., noch bei Carlotten, ja leisten Sie etwas, und das recht bald, sonst werden Ihnen alle Ihre trefflichen Reden nichts nützen, sonst werden trotz aller Ihrer angenehmen Manieren, die Geister der Unweisen auf der Galerie sitzen und über Sie lachen, sonst wird man trotz alledem jenen hübschen Vers auf Sie anwenden, daß sehr oft die
„… gens d’esprit, d’ailleurs très estimables
Ont fort peu de talent à former leurs semblables.“
Die Fürstin … wollte also nicht, daß unser Held sich ihrer Liebe rühme, ohne ihr Gegenleistung gewährt zu haben. Armer Schnapphahnski, das war Pech! – Gott weiß es, heißt es in den betreffenden Dokumenten weiter, wie der Ritter zu dem Porträt der Fürstin gekommen war. Sicher ist, daß er die Gunst jener hohen Frau nie genossen, und daß er sich derselben mit vollkommenem Ungrund rühmte. Uebrigens ist die Fürstin seine … und er kann daher auf verwandtschaftlichem Wege leicht zu dem Miniatur-Porträt gekommen sein, das er als Beweis-pièce vorzeigte.
Madame…, der die freche und grundlose Kompromittirung von Seiten unsres Helden längst zu Ohren gekommen war, wurde natürlich sehr lebhaft daran erinnert, als sie den edlen Ritter plötzlich in eigner Person nach Wien hinüber voltigiren sah und es war hauptsächlich durch ihre Vermittlung, daß jene League entstand, welche Sr. Hochgeboren den Zutritt zu der Wiener Gesellschaft à tout prix zu verbarrikadiren suchte.
Man verbrüderte sich förmlich, um ihn weder zu empfangen, noch um irgendein Haus zu besuchen, wo er empfangen wurde. Einer Dame, bei welcher er seinen Besuch durch den Fürsten H… bewerkstelligte, wurde ohne weiteres notifizirt, daß sie auf alle andern Besuche verzichten müsse, wenn sie den Ritter Schnapphahnski bei sich empfange.
Die Anstrengungen des Grafen K. und des Generals v. R. waren nutzlos; ihre besten Anekdoten blieben ohne Erfolg; der Ruf unsres Helden war für immer untergraben, und unerbittlich schlossen sich vor ihm alle Thüren.
Herr von Schnapphahnski überzeugte sich davon, was es heißt, mit wüthenden Frauen zu thun zu haben. Gegen ein feindlich gesinntes Weib helfen weder Säbel noch Pistolen; ein Weib, das dich vernichten will, ist gefährlicher als alle falschen Freunde,
als alle wüthenden Gläubiger, als alle bezahlten literarischen Windhunde, als tausend Sbirren; eine Frau, die dich haßt, wird dich eher nieder werfen, als ein Regiment Dragoner, als eine Batterie Vierundzwanzigpfünder, ein Weib ist allmächtig. Wehe dir, wenn sie mit ihren schwachen Händen in die Räder deines Schicksals greift: zitternd wirst du zum Stillstand kommen! Und wäre auch bei der Dauer des Kampfes das Roth ihrer Lippen verblichen, der Glanz ihres Auges erloschen und das Braun ihrer Haare silberweiß geworden: kommen wird die Stunde, wo sie ihren Fuß auf deinen Nacken setzt, wo sie sich königlich schön erhebt, wo sie in der Majestät des Glückes mitleidig auf dich hinablächelt und wo du fühlst, daß du ein Leben der Schmach hinter dir hast, ein Leben der Schande, weil du dich vergingst, ja, weil du gesündigt hast an einem Weibe. –
Wie gesagt, Herr von Schnapphahnski machte in Wien vollständig Fiasco. Aus München hatte man ihn ausgewiesen, weil er so heroisch war, sich an einer furchtsamen Souveränität zu vergreifen; aus Wien wurde er durch die Abneigung der Damen verjagt, die alle bei dem Gedanken zitterten, daß sie sich bei der geringsten Berührung mit dem herrlichen Ritter, auch schon nach Kurzem in ein süßes Verhältniß mit ihm verwickelt hören müßten.
Ingrimmig verließ Se. Hochgeboren Wien. Aber wie er nie damit zufrieden war, eine einfache Niederlage erlitten zu haben, so konnte er auch dieses Mal nicht umhin, einem Unglück noch eine Jämmerlichkeit hinzuzufügen. Er suchte nämlich die Fürstin … dadurch zu strafen, daß er über den wirklichen Geliebten derselben, über den spanischen Chevalier … eine Infamie erdichtete und veröffentlichte, eine Infamie, von der er seinen Bekannten selbst eingestand, daß er sie nur fingirt habe, um sich an der Fürstin zu rächen. Glücklicherweise brachte ihm diese Niederträchtigkeit eine wohlverdiente Züchtigung.
X.
Die Huldigung.
Es ging Herrn von Schnapphahnski wie den jungen Katzen, die sechs Mal aus der Dachrinne in die Straße hinunterpurzeln können ohne den Hals zu brechen. Unser Ritter besaß wirklich vor allem
Andern die Eigenschaft, daß er ein unbeschreiblich zähes Leben hatte.
Nach so fatalen Niederlagen, wie sie unser Held in München und Wien erfuhr, würde jeder andere Mensch nach Indien, nach Amerika, oder nach einem Eiland des Stillen Oceans gereist sein. Nur ein Schnapphahnski durfte noch hoffen, auch an einem andern Orte eine Rolle spielen zu können.
Der Ritter konnte sich gratuliren, daß er deutscher Abkunft war, oder eigentlich wasserpolakischer. Wäre er als Pariser oder Londoner einmal in recht Schnapphahnski’scher Weise durchgefallen, so würde er sich schwerlich so schnell wieder erholt haben. Bei den vielen Höfen des deutschen Vaterlandes wußte sich der erfinderische Mann aber schon eher zu retten, und Gott weiß es, zu welchen verwünschten Prinzessen er sich noch hinabgelassen hätte, wenn nicht um die Mitte des Jahres 1840 durch den Tod eines großen Monarchen plötzlich so viele Hindernisse für unsern Helden aus dem Wege geräumt worden wären, daß er schnell wieder den Plan aufgab, sich einstweilen nur in den mehr verborgenen Sphären des germanischen Adels herumzutreiben, und es abermals wagen zu können glaubte, sogar in Berlin sein holdes Antlitz von Neuem sehen zu lassen.
Sollte man es glauben? Schnapphahnski wieder in Berlin! – Man wird über die Keckheit unseres Helden lachen, wenn man bedenkt, wie schmählich er das dortige Feld einst räumen mußte. Wurde nicht das Abenteuer aus O. in Schlesien und das Duell aus Troppau noch manchmal bei Hofe erzählt? Lächelte nicht Carlotta noch immer so selig von der Bühne hinab in das Parquett, wo der Adonis der Garde stand, und wußte man nicht noch allerwärts die rührende Geschichte jener armen Tänzerin, die sich geradeso großmüthig von des Ritters Diamanten trennte, wie der Ritter die Tänzerin ungroßmüthig im Stiche ließ? Aber alles das machte nichts. Der Ritter war davon überzeugt, daß noch etwas aus ihm werden könne. Sein gewaltigster Feind war dahin; neue Gesichter verdrängten die alten, und unser Held hätte nicht Schnapphahnski heißen müssen, wenn er nicht versucht hätte, die Wendung der Dinge auch für sich zu exploitiren. Keck setzte er den Fuß wieder in das Berliner Leben.
Schnapphahnski mußte etwas wagen, denn er hatte drei Sachen nöthig, drei Dinge, die man ungern im Leben zu entbehren pflegt. Unser Ritter bedurfte des Vergnügens, der Ehre und des Geldes; nach dem letzteren sehnte er sich am meisten. Für das Vergnügen war in Berlin schon gesorgt; Ehre konnte
der Umschwung der politischen Zustände mit sich bringen; mit dem Gelde sah es am schlimmsten aus, und kopfschüttelnd dachte unser Ritter bisweilen an das alte Sprüchwort: „Wo Geld ist, da ist der Teufel; aber wo kein’s ist, da ist er zwei Mal.“
Über die Geldverhältnisse unseres Helden finden wir in den schon erwähnten Dokumenten die genauesten und wichtigsten Aufschlüsse. Wir würden unserm Freunde gern die Demüthigungen ersparen, so vor allem Volke seine Tasche umzukehren. Leider sehen wir uns aber gewissermaßen dazu gezwungen, denn die spätem Liebesabenteuer unsers Ritters stehen in so genauem Zusammenhange mit seinem Beutel, daß wir wirklich das Eine nicht ohne das Andere schildern können.
„Die in der Wasserpolackei gelegenen Güter Schnapphahnski’s“ – heißt es in unsern Notizen – „waren fast gänzlich ertraglos, da enorme Schulden auf ihnen lasteten; Schulden, die dadurch täglich stiegen, daß der edle Ritter auch nicht im entferntesten nur soviel Einkünfte besaß, als zur Bezahlung der Hypothekenzinsen nöthig waren. Der Vater Schnapphahnski’s schaffte sich einen Theil dieser Schulden auf höchst geniale Weise vom Halse, indem er sich seinerzeit freiwillig interdiciren ließ. Die Güter gingen durch dieses Manoeuvre auf den damals
noch blutjungen Ritter über, der die Schulden des Vaters nicht bezahlte, da Majorate nicht angreifbar sind und selbst auf die Revenuen derselben nur so lange von den Gläubigern gerechter Anspruch gemacht werden kann, als der eigentliche Schuldner Herr des Majorates ist.
Durch dieses feine Finanzkunststück der Familie Schnapphahnski war zwar mit den Schulden großentheils tabula rasa gemacht und manche bürgerliche Canaille ruiniert worden. Aus Mangel an jedem Betriebskapitale geriethen indeß die Güter sehr bald wieder in die alte Lage. Alle ihre Einkünfte wurden abermals verpfändet und der ganze Besitz war wiederum von Hypotheken erdrückt. An und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend.
Tzztzztzzt – hier trägt das Manuscript einen unaussprechlich schönen wasserpolackischen Namen, den wir dem Scharfsinn unserer Leser zu buchstabiren überlassen – also, an und für sich sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend. Tzztzztzzt hat in ganz Deutschland die beste Zucht von Merino-Mutterschaafen und Böcken – „ich bitte meine freundlichen Leserinnen höchst aufmerksam zu sein, da meine Skizzen über Herrn von Schnapphahnski in diesem Augenblicke sehr belehrend werden“ – „diese Merino-Mutterschaafe und Böcke werfen allein jährlich einen
Ertrag von 60,000 Thalern Revenue ab, von denen Se. Hochgeboren indeß damals nicht einen Heller besah.“ –
Armer Schnapphahnski! Für 60,000 Thaler Schaafe und Böcke und dann nicht einmal einen Pfennig Einkommen. – Das ist unbegreiflich, das ist entsetzlich! Uebrigens hat die Geschichte etwas sehr patriarchalisches. Man denke sich den kleinen Schnapphahnski „sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd“ mitten zwischen seine Schafe und Böcke tretend. Zu seiner Rechten stehen die Schafe, zu seiner Linken die Böcke. „Verehrte Mutterschafe und Böcke,“ beginnt Schnapphahnski – „ich bin im höchsten Grade erfreut Euch wieder zu sehen. Ich habe viel gereis’t und außerordentliche Thaten bezeichnen meine Laufbahn. In O. in Schlesien, setzte ich dem Grafen S. ein Paar Hörner auf.„ – hier unterbrach den Redner das freudige Geblöck sämtlicher Böcke – In Troppau erschlug ich den wilden Menschenfresser, den Grafen G. (allgemeines Erstaunen). In Berlin kostete ich den Lilienleib Carlottens (alle Schaafe schlagen verschämt die Augen nieder). In Spanien erwarb ich mir unsterblichen Ruhm unter Don Carlos (Schaafe und Böcke brechen in Oho und Bravo aus). In München erschoß ich den Herzog von …… und wurde deswegen verbannt (schmerzliche Rührung
auf allen Gesichtern). In Wien drohte mich die Liebe der Damen zu erdrücken – (die Böcke wedeln und beißen einander in die Ohren). Verehrte Heerde, theure Majorats-Mutterschafe und Böcke! Ihr begreift, daß mich ein wehmüthig süßes Gefühl beschleichen muß, wenn ich nach so ungewöhnlichen Fahrten und Schicksalen endlich in Euren stillfriedlichen Kreis zurückkehre (stilles Einverständniß aller Seelen). O, es ist mir zu Muthe wie einem jener alten Nomaden, die uns das Buch der Bücher in so trefflichen, arabeskenhaften Mährchen zu schildern sucht. Gleiche ich nicht einem Joseph, einem Benjamin oder lieber jenem
– – – Sohne des Hethiten,
Der einst die Maulthier’ in der Wüst’ erfand,
Als er des Vaters Esel mußte hüten?
(Allgemeines Interesse.)
O, ihr Gespielen meiner Jugend, ihr lieben Angehörigen der Familie Schnapphahnski, seid mir gegrüßt, ja, seid mir von Herzen willkommen! Mit Euch aufgewachsen bin ich, ihr unvergleichlichen Mutterschaafe, und gern denke ich noch daran, wie ich Euch oft so zärtlich an die Lämmerschwänzchen faßte. Ja, mit Euch habe ich mich entwickelt, ihr herrlichen Böcke und nie werde ich vergessen, daß ich von Euch alle meine tollen Sprünge lernte, bis ich
endlich älter und erfahrener wurde, und zu einem großen Sündenbock gedieh (Rauschender Beifall.) Ihr Schafe zur Rechten und ihr Böcke zur Linken, hört meine Rede! Beide liebe ich euch, und es ist nur aus altadliger Courtoisie, daß ich mich gewöhnlich mehr der Rechten zuwende, ja, Euch ihr trefflichen Mutterschaafe, da ihr der Stamm und der Hort der ganzen Race seid. (Bravo! Bravo! auf der Rechten.) O, mein Enthusiasmus für Euch und für diese Versammlung kennt keine Gränzen. Mit euch, ihr Schaafe und Böcke, will ich schaffen und wirken für alle Schaafe und Böcke außerhalb dieser Versammlung. (Stürmische Jubelunterbrechung.) Groß ist unsere Aufgabe, aber nichts wird uns erschüttern. Einer der kühnsten Streiter stehe ich unter Euch, heiter das Haupt erhebend, und nur eins, ach, kränkt mich und schnürt mir das Herz zusammen (peinliche Aufmerksamkeit und lautlose Stille). Ja, eins nur thut mir weh, daß ihr herrlichen Merino-Mutterschaafe und Böcke all miteinander hypothezirt seid, und daß ihr nicht geschoren werdet – für mich.“
Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß die Beredsamkeit unsres Helden namentlich in einer tieftraurigen elegischen Wehmuth ihren Hauptreiz hat. Viele der ausgezeichnetsten Schaafe und Böcke haben mir versichert, daß sie bei verschiedenen
Gelegenheiten wahrhaft davon bezaubert gewesen seien und sich schon bereit gehalten hätten, den Demosthenes der Wasserpolakei mit einem Donner des Applauses auf seinen Sitz zu begleiten, wenn nicht wider Erwarten, trotz aller adlig-patriarchalischen Phrasen, schließlich der Finanznoth blasse Wehmuth, tiefe Trauer zum Vorschein gekommen wäre und der ganze Sermon in einem unsterblichen Gelächter sein Ende erreicht hätte.
Ja, die Finanznoth! Sie spielt in dem Leben unseres Helden eine eben so große Rolle als die Liebe. Die Finanznoth war es auch, welche Sr. Hochgeboren vor allen Dingen wieder nach Berlin trieb.
Es wäre hier die Stelle, näher auf die Festlichkeiten einzugehen, die bei der Huldigung im Spätjahre 1840 in Berlin statthatten. Wir unterlassen dies aber. Herr von Schnapphahnski hatte sich natürlich sehr darauf gefreut. Er hoffte, daß man bei dem allgemeinen Tumult nicht mehr an seine seltsame Vergangenheit denken würde. Mit der angebornen liebenswürdigen Frechheit glaubte er das Verlorene wieder erobern zu können und dann auch schnell zu Amt, Ehre und Credit, kurz, zu Allem zu gelangen was das Dasein wünschenswerth macht.
„In Berlin“ – heißt es in unsern Manuscripten – „wartete Sr. Hochgeboren aber ein äußerst schlechter Empfang von Seiten der schlesischen Ritterschaft. Nach langen Debatten beschloß dieselbe nämlich, zu einem Diner, das sie als Korporation gab, Hrn. von Schnapphahnski nicht zuzulassen. Unser Ritter fand sich aber dennoch ein und setzte sich mit zu Tische. Da erhob sich die ganze Ritterschaft ...“
XI.
Die Nordsee.
Die Gelehrten, die in keinem Punkte übereinstimmen, sind natürlich auch darüber uneinig, was aus Sr. Hochgeboren dem Ritter Schnapphahnski wurde, nachdem er in Berlin so glänzend fiasco gemacht hatte. Einige behaupten, er sei sofort auf seine Güter nach der Wasserpolackei gereist; Andere lassen ihn dagegen nach Norden ziehen und schwören
darauf, daß er plötzlich auf einer Insel der Nordsee, unter dem Namen eines Grafen G. v. W. zum Vorschein gekommen sei, um eins der trefflichsten Abenteuer seines Lebens zu bestehen.
Schnapphahnski, oder vielmehr Graf G. v. W. – erzählt uns einer dieser Herrn – war des Lebens müd und matt, als er von dem Huldigungsfestmahl aufstand. Er sprach kein Wort mehr, er ließ seine Sachen packen, und bestellte Postpferde in die weite Welt – zunächst nach Hamburg.
In Hamburg hatte unser Ritter nicht im geringsten etwas Böses vor – denn ach, unser Held war zu kaduck. Er fühlte, daß er sehr unglücklich sei und da gegen alles Unglück nichts besser ist, als eine ausgezeichnete Zigarre, so hielt sich der hohe Reisende nur deswegen einige Tage in der liebenswürdigsten aller deutschen Städte auf, um die besten Importirten zu kaufen, die je die Magazine des Jungfernstieg durchduftet.
Als aber nun Koffer, Taschen und Büchsen mit den braunen Kindern der Havanna reichlich gefüllt waren, bestieg unser Held den Dampfer und fuhr die Elbe hinab, hinaus in die dicke blaue Meerfluth.
In der frischen, freien Natur, dachte der Ritter, wirst du all dein Mißgeschick vergessen. Verflucht sei das Land! Gesegnet sei das Wasser! Wenn die
Wellen dich schaukelnd dahintragen, und die Wolken wie geflügelte Gletscher das Blau des Himmels durcheilen und wenn dich endlich ein Eiland aufnimmt, wo nur fromme, robuste Fischer wohnen, und stämmige Nereiden und wohlmeinende Austern: O, da wird dein krankes Herz gesunden und du wirst ein Glücklicher unter Glücklichen sein und ein billiges, gottgefälliges Leben führen in Ewigkeit. –
Wie in so manchen Sachen, irrte sich der Ritter auch in diesem Punkte, denn nichts kurirt einen vernünftigen Menschen weniger als die reine Natur, als eine sogenannte schöne Gegend.
Mit unserm kleinen, süßen Gewohnheitsplunder befinden wir uns in der finstersten Gasse einer lärmenden Stadt auf die Dauer besser, als vom Frühroth umstrahlt auf dem Gipfel der Alpen unter Gemsböcken und dummen Kuhhirten. Ich lasse es mir gefallen, daß man sich alle Jahre einmal auf den Rigi setzt, auf den Snowdon oder den Blocksberg, um sich davon zu überzeugen, daß unser Herr Gott auf eine wahrhaft geniale Weise seine großen Bergklötze durcheinander würfelte – eine Stunde, einen Tag lang mag man Alles beschauen; aber dann auch hinab zu der ersten besten verwünschten Prinzessin!
Was geht mich die ganze Schweiz an, wenn ich in ein Paar schöne Augen sehe?
Unser Held war daher auf einem ganz gewaltigen Irrwege, wenn er durch ein dauerndes Schwelgen in der schönen Natur zu gesunden dachte.
Hätte ich nur die Pläne des Ritters gewußt, und wäre ich damals in St. Petersburg gewesen, so würde ich meinem Freunde auf der Stelle geschrieben haben: liebster Ritter, kommen Sie wenigstens nach St. Petersburg. Beschauen Sie sich die Paläste Sr. Majestät, des großen Bären. Amüsiren Sie sich an der steifen Parade der kaiserlichen Truppen. Suchen Sie vergebens einige hungrige russische Beamten zu bestechen und fahren Sie auf einem abscheulich guten Wagen nach Moskau, oder zu Schlitten nach Sibirien – Sie werden wie gerädert dort ankommen; Hören und Sehen wird Ihnen vergehen und Moses und die Propheten werden Sie vergessen und folglich auch Ihr Unglück.
Oder reisen Sie nach London! Ich gebe Ihnen ein Empfehlungsschreiben mit an meine Freunde in Eastcheap. Dort treffen Sie den unvergleichlichen Sir John Falstaff. Er frühstückt bei Frau Hurtig und wird Sie mit Dortchen Lackenreißer bekannt machen und mit Bardolph und Pistol und andern hervorragenden Persönlichkeiten des Jahrhunderts.
Mancher wird Ihnen freilich versichern, daß dies nicht die beste Gesellschaft sei: aber das ist reine Verläumdung. Ein englischer Literat, Namens Shakspeare, ist schuld daran. Er hat in seinen verwerflichen Dramen die nachteiligsten Dinge über den wahrheitsliebenden Sir John und über das tugendhafte Dortchen erzählt. Aber dafür erscheint er denn auch vor der Sternkammer, d. h. vor dem Zuchtpolizeigericht; die Klage lautet auf Kalomnie und da der unglückselige Angeklagte in dem rothnasigen Lord Brougham einen sehr schlechten Advokaten hat, so hofft man, daß besagter Herr Shakspeare wenigstens zu drei Monate Arrest und zu fünf Jahr Verlust der bürgerlichen Rechte verdonnert wird. Was können Sie also Besseres thun, als nach London reisen, um diesen famosen Prozeß mit anzuhören?
Oder reisen Sie nach Paris! Paris ist der einzige Ort, wo ein vernünftiger Mensch auf die Dauer leben kann. Stellen Sie sich auf die Place de la Concorde, und wenn die Springbrunnen rings um Sie plätschern, und wenn seitwärts der Duft aus tausend Orangenblüthen emporsteigt, und wenn die Hieroglyphen des Obelisks von Luxor im Abendgolde brennen und der Blick sich rechts in dem Lindengrün des Tuilerien Gartens und links in der Weite der Elyseischen Felder und in dem Duft verliert,
der geisterhaft über die Höhe des Arc de Triomphe einherwogt – und wenn sich nun der Abendwind aufmacht und das Tönen der Musik aus entfernten Gärten in leisverhallenden Klängen zu Ihnen herüberträgt und die reizenden Franzosen mit ihrer ganzen Lebendigkeit an Ihnen vorübertanzen und jetzt die sinkende Sonne ihren letzten Purpur, ihre flammensten Rosenlichter auf die Wipfel der Bäume, auf die Perlen der Springbrunnen, auf das Blau der Wolken und auf die Wangen der lieblichsten Frauen der Welt wirft und endlich die ganze ungeheure Stadt, wie im Bewußtsein ihrer Schönheit, noch einmal im Rausche der Liebe und der Wollust emporzujauchzen scheint – nun, lieber Ritter, da will ich ein Dromedar sein, wenn Sie sich nicht wie ein Gott fühlen, wenn Sie nicht Ihre Leiden vergessen, wenn Sie nicht gern die ganze Welt für einen Pariser Pflasterstein verkaufen, für einen einzigen dieser heiligen Steine, die heller durch die Geschichte leuchten, als alle Kronjuwelen, so den Schädel eines Fürsten zierten, von Salomo bis auf Reuß LXXII.
Doch was hilft es, daß ich mir vorleiere, wie ich zu dem unglücklichen Ritter gesprochen haben würde? Unser Freund sehnte sich weder nach den Eispalästen Sr. Majestät des großen Bären, noch nach der Taverne in Eastcheap, noch nach dem
Obelisken von Luxor – traurig saß er auf dem Verdeck des schwankenden Dämpfers, die Möwen schrieen, die Wolken zogen und „stop!“ rief der Kapitain, da landeten sie auf einer Insel der Nordsee.
Ich mag es nicht unternehmen, meinen Lesern diese weltbekannte Insel näher zu schildern. Hunderte der geistreichsten Schriftsteller haben sich schon an diesem Stoffe versucht und es hieße wirklich Wasser in den Rhein tragen, wenn ich den trefflichen Reisebeschreibungen jener guten Leute noch meine unvollkommenen Notizen hinzufügen wollte.
Beschränken wir uns daher auf die Mittheilung, daß das Leben auf der fraglichen Insel möglichst langweilig ist und daß es wirklich ein Wunder gewesen wäre, wenn der arme, melancholische Graf G. v. W. nicht schon nach kurzem recht eigentlich mit sich zu Rathe gegangen wäre, wie er durch irgend einen tollen Streich die Einförmigkeit eines Daseins brechen könne, das gewiß am allerwenigsten geeignet war, um ihn die Stürme der Vergangenheit vergessen zu lassen.
Aber wie sollte man auf dieser einsamen Insel einen tollen Streich begehen?
Sollst du mit den Fischern auf’s Meer ziehen? fragte sich der Graf. Sollst du dich mit dem ersten besten Engländer herumboxen? Sollst du dich in
eine Auster verlieben, oder sollst du gar zum Zeitvertreib heirathen? – –
O, ihr unsterblichen Götter: heirathen! welch’ eine Idee! Uebrigens wäre die Geschichte doch nicht so übel, dachte der Graf. In der Ehe langweilt man sich wenigstens nicht mehr ganz allein: man langweilt sich zu zweien; und dies ist schon ein Vorzug, ein sehr großer Vorzug! O, himmlischer Vater, du weißt es, wozu die Langeweile einen Menschen verleiten kann – –
Ja, du weißt Alles. Auch meine geheimsten Gedanken kennst du und gewiß werden dir bei deinem vortrefflichen Gedächtniß, noch jene ausgezeichneten Gebete, oder wie der alte Kant sagt, jene „oratorischen Uebungen“ erinnerlich sein, die ich manchmal in stiller Mitternacht, „aus einem Rest von kindlichem Gefühle“ zu dir emporlallte, wenn ich mit des Jahrhunderts lieblichen Töchtern des Vergänglichen viel genossen hatte und nun plötzlich auf den närrischen Gedanken kam, daß ein treues Eheweib am Ende doch noch besser sei, als alle jene undankbaren, unersättlichen Loretten, die der böse Herr Teufel gezeugt hat, mit der schönen Frau Venus.
Du hast sie gehört, jene rührenden Gebete, und du wirst sie gnädig verziehen haben.
Sieh, o Vater der Götter, Zeus du Wolkenversammler – sieh Jehovah oder Odin, oder wie du dich nennen willst: auch heute befinde ich mich wieder in dieser heirathslustigen Stimmung. Ich langweile mich auf dieser einsamen Insel; es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei; drum erhöre mein Gebet und nimm mir, wie weiland unserm Ur-Groß-Onkel Adam, eine Rippe aus der Seite, auf das ich morgen früh ein holdes, häusliches Wesen an meiner Brust finde, im leichten Nachtkleid, eine Rose in Steifleinen. Also betete der Graf und wenn er nicht wirklich der Ritter Schnapphahnski war, so werden meine Leser doch gestehen müssen, daß die „oratorischen Uebungen“ unsres Helden eine frappante Aehnlichkeit mit den Herzensergüssen Schnapphahnski’s hatten.
Wie dem aber auch sei, soviel ist gewiß, daß der Himmel das Gebet des unglücklichen Grafen erhörte – wenn auch gerade nicht in streng-alttestamentlichem Sinne.
Denn sieh, als unser Graf einst, mit mehreren gleichgesinnten Badeseelen in dem hübschen Gemache seines Hotels saß und eben damit beschäftigt war, statt der Diamanten des reinsten Wassers, die Perlen des vorzüglichsten Champagners in die Nacht seines gramvollen Lebens hereinstrahlen zu lassen, da
wurden plötzlich die Thüren geöffnet und herein trat – – –
Die schöne Insulanerin war ein liebenswürdiges Mädchen. Sie zählte etwa 24 Jahre, als sie der Herr Graf kennenlernte. Prächtig schwarzes Haar umfloß die blendend weißen Schultern und der üppige Busen, die schlanke Taille und der kleine Fuß, doch vor Allem der Liebreiz ihres seligen Lächelns: Alles das hatte schon manchen Nordsee-Sohn halb toll gemacht.
Ja, schon mancher wilde Bursche war zahm und liebegefoltert vor ihr in den Staub gesunken; aber keck hatte sie noch immer den Fuß auf ihrer Verehrer Nacken gesetzt und der alte Ocean war der einzige, der sich rühmen konnte, daß er den Lilienleib der Schönen umschlungen und ihn im Gekräusel der Wogen davongetragen habe.
Da betrat Graf G. den Strand der Insel – – aber ich sehe zu meinem Schrecken, daß ich in vollem Zuge bin, eine Liebesgeschichte zu schreiben!
Genug, die schöne Insulanerin verliebte sich in den „reichen“ Grafen; und der „bankerotte“ Graf freute sich nicht wenig über sein rasches Glück. Die guten Eltern des armen Kindes waren zu sehr von den noblen Gesinnungen ihres Schwiegersohnes überzeugt, als daß sie seinen Werbungen etwas in den
Weg gelegt hätten und wer sonst von den einfachen Fischern den edlen Herrn mit so unendlichem Anstand Champagner trinken sah, der mußte sich gestehen, daß die jugendliche Insulanerin einen Gemahl bekomme, der überirdisch vornehm und liebenswürdig sei.
Se. Hochgeboren spielten die Farçe ausnehmend gut, ja sie spielten sie schließlich von der Nordsee-Insel hinüber nach Hamburg, wo sich wunderbarerweise ein katholischer Geistlicher fand, der nicht die geringsten Schwierigkeiten machte das abenteuerliche Paar zu trauen.
Bei einem Hamburger Advokaten existiren noch heutigen Tages die Akten über diese Vermählung, die später zu einer der interessantesten gerichtlichen Untersuchungen Veranlassung gab. Es geht daraus hervor, daß der schöne, abenteuerliche Graf G. eigentlich durch nichts bewies, daß er wirklich der eheliche Sohn des Grafen G. v. W. u. s. w. sei. Da der Herr Pfarrer aber so gefällig war, den Akt der Trauung mit seinem Gewissen zu vereinbaren, so konnte sich die schöne Insulanerin nichtsdestoweniger bald Comtesse de G. nennen, und erschien unter diesem Titel mit ihrem Gemahle wieder auf der heimischen Insel, angestaunt von den nachbarlichen Fischern und vielfach bewundert von dem Schwarm
neugieriger Gäste, den die Dämpfer von Hamburg aus nach dem felsigen Eiland hinüberbrachten.
Wochen und Monate flossen so dahin, da trat eines Morgens der Herr Graf zu der liebenswürdigsten aller Gräfinnen und kündigte ihr an, daß er trotz der interessantesten Umstände, in denen sich die jugendliche Comtesse befand, einmal hinüberreisen müsse nach dem Vaterlande um einige finanzielle Angelegenheiten zu ordnen, die lange genug vernachlässigt worden wären. Vergebens bat die junge Dame, daß der Herr Gemahl so freundlich sein möge, sie mit sich zu nehmen. Der Graf war unerbittlich und als am folgenden Tage Eos mit Rosenfingern emporstieg und der Schlott des „Patrioten“ in die frische Seeluft hinaus dampfte, da wurden zum Abschied die Tücher geschwenkt und die arme Comtesse sah ihren Gemahl – zum letzten Male.
Ja, der Herr Graf hat sich seitdem nicht wieder auf der Insel sehen lassen. Umsonst waren alle Nachforschungen. Vergebens arbeiteten Advokaten und Pfaffen und stille Verehrer skandalöser Geschichten Jahrelang daran, das Dunkel des gräflichen Verschwindens aufzuhellen.
Keine Spur hat sich entdecken lassen wollen –
Sollte der Herr Graf vielleicht einige Aehnlichkeit mit unserm Ritter Schnapphahnski gehabt haben?
Doch nein, es ist nicht möglich! Auf Helgoland sah man aber in jenen Jahren oft beim Sinken der Sonne eine hohe schwarz-gekleidete Dame das Ufer entlang wandeln. Sie führte ein reizendes Mädchen an ihrer Hand und wenn der Abendwind den dunkeln Schleier der seltsamen Frau emporhob, da sah man in ein schönes, todtenbleiches Angesicht.
XII.
Die Herzogin.
Wie ein begossener Pudel, bleich, zitternd, kaduck verließ unser Ritter Berlin. Es war ihm zu Muthe, wie weiland in den Pyrenäen, als er, ein flüchtiger Lanzknecht, bespritzt von altspanischem Landstraßendrecke, das Weite suchte und aus Verzweiflung Autor wurde, ja, Schriftsteller – das Schlimmste, was einem Menschen im Leben passiren kann.
Es fröstelte unsern Helden. Die Zukunft dehnte sich vor seinen Blicken, wie ein langer trüber Regentag. Gläsernen Auges stierte er hinaus in die Leere seines Daseins, einem zerlumpten Auswanderer gleich der müßig über das wüste, einförmige Wogen des Meeres schaut und mit sich zu Rathe geht, ob er die Reise in eine neue Welt wagen oder ob er sich lieber hinter einander ersäufen soll.
Die ekelhafteste, hündischste Phase des Unglücks ist die, in der man gleichgültig und dumm wird. Ein Unglücklicher, der weint und wimmert wie ein verliebter arkadischer Schäfer, er kann schön sein, man wird ihn lieben können, und blonde Poeten werden ihn besingen und Stanzen und Sonnette auf ihn dichten, und blauäugige Mädchen werden an ihn denken noch manchen stillen Sonntag Nachmittag. Ein Mensch, der sich, wie ein Laokoon, schmerzgefoltert durch die Schlangen des Mißgeschickes windet: er wird unsere Herzen mit sich fortreißen, und ein großer Meister wird ihn in Marmor hauen, und ein zweiter Lessing wird vielleicht eine unsterbliche Kritik darüber schreiben, und kunstsinnige Könige und klassische Schulmeister werden sich daran erbauen bis an den jüngsten Tag. Und ein Mann endlich, der, jenem Römer gleich, mit kalt-heroischer Trauer auf den Trümmern einer Welt sitzt: er wird uns
fesseln durch die Ruhe seines Adlerauges, durch die Allgewalt seines Schicksals. – Herr von Schnapphahnski schnitt aber leider weder ein Gesicht wie ein arkadischer Schäfer, noch wie der große Laokoon, noch wie ein alter Römer; er glich einem Unglücklichen, den man zehn Jahre lang in einem Zellengefängnisse marterte, der sich allmählig für den einzigen Menschen auf der Welt hielt, weil er Niemand anders als sich sah; ja, der sich endlich einbildete, daß er längst gestorben wäre und daß der Tod nur in dem Leben eines Zellengefängnisses bestehe, und der sich immer mehr mit seinem Schicksale aussöhnte, bis er zuletzt vor freudigem Wahnsinne stupide lachte, ja, bis seine Seele so gespenstisch durch die eingefallenen Augen schaute wie eine verwelkte Rose durch das zerbrochene Fenster eines Hauses, das morsch und menschenverlassen ist und über Nacht zusammenstürzen wird in Staub und Asche.
Genug, unser Ritter war ein verlorener Mann; eine leichtsinnige Fliege, die in’s Licht flog und sich Kopf, Beine und Flügel verbrannte. Ja, noch mehr. Unser Held hatte sich blamirt; er hatte sich lächerlich gemacht; er war „unmöglich“ geworden, in jeder Beziehung (ridicule et impossible).
Wir wollen es nicht versuchen, die Monologe unseres Helden wiederzugeben – die Monologe, die
er zwischen Berlin und der Wasserpolackei hielt, wenn er bald die Götter bat, ihn in das räudigste Schaf zu verwandeln, das hypothezirt auf seinen Triften ging, und bald wieder wünschte, seinen Kopf in beide Hände nehmen zu können, um ihn gleich einer Bombe in den Olymp zu schleudern, daß der alte Olympos platze mit all’ seinen Göttern.
Schuldbeladen saß unser Held auf seinen verschuldeten Gütern. Seine Häuser, seine Felder, seine Schafe hatte er den Juden und den Christen verpfändet. Ihn selbst hypothezirte das Schicksal. Schnapphahnski war nicht mehr der alte Schnapphahnski. Man sagt, er habe in jenen Tagen manchmal in der Bibel gelesen – – erst nach geraumer Zeit sollte aus der melancholischen Puppe wieder der lustige Schmetterling springen. Diese Wendung in dem Trauerweiden-Leben unseres Ritters trat dadurch ein, daß ihm einst ein guter Freund aus alten Tagen ermunternd auf die Schulter klopfte und ihn darauf aufmerksam machte, daß er durch die Liebe unglücklich geworden sei und daß er folglich auch suchen müsse, durch die Liebe wieder auf den Strumpf zu kommen. Ein tiefer Sinn lag in diesen Worten, und als der wohlmeinende Freund unseres Ritters noch hinzusetzte, daß sich ganz in der Nähe eine gewisse steinreiche Herzogin aufhalte, die zwar ein höchst dornenvolles,
jedenfalls aber ein ungemein ergiebiges Feld der Eroberung darbiete, da erwachte unser Held plötzlich aus seiner Lethargie und faßte den Entschluß, seinen letzten großen Coup zuwagen – –
Ich komme jetzt im Laufe meiner Erzählung zum ersten Male an eine Stelle, wo ich unwillkürlich stutze und zurückschrecke. Die Feder versagt mir fast den Dienst; ich möchte sie gern wegwerfen; ich bin unschlüssig, ob ich überhaupt noch fortfahren soll: ich bin in der peinlichsten Verlegenheit. Meine freundlichen Leserinnen werden meine Noth begreifen, wenn ich ihnen rund heraus sage, daß ich dazu gezwungen bin, mich über eine Dame auszulassen, deren Schicksale so wenig an das Leben einer Heiligen erinnern, daß ich wirklich nicht weiß, ob nicht manche Lilienwange über meine Schilderung leise erröthen und manche kleine Hand diese Blätter zornig zerreißen wird in tausend Stücke. – Was soll ich thun?
Bin ich nicht bisher immer höflich gegen die Frauen gewesen? Suchte ich nicht die Ehre der trefflichen Gräfin S., jener schönen edlen Frau, in jeder Weise zu wahren? Vertheidigte ich nicht die Schwester des Grafen G.? Habe ich nicht von Carlotta die lautere Wahrheit gesagt? Nahm ich nicht die Tänzerin in Schutz und schilderte ich nicht
die Wiener Damen in ihrer ganzen sonnigen Hoheit? – Ach, und nun soll ich mit Einem Male von einer Frau erzählen, deren Reize so unendlich zweideutig sind, daß ich durch meine Schilderung bei’m besten Willen und bei der äußersten Zartheit doch mitunter gegen das Gefühl des Anstandes und der Galanterie auf’s Gröbste verstoßen muß, wenn ich nur einigermaßen der Wahrheit getreu bleiben will, der Göttin der Wahrheit, die bisher meine Feder führte mit unerbittlicher Strenge.
Doch wage ich es! Es sei! Möge der Styl meinen Gegenstand retten! Die Form ist Alles!
Die Dame, auf welche Herr von Schnapphahnski sein Augenmerk richtet, ist die achtundfünfzigjährige Herzogin … meine Leser müssen verzeihen; ich werde dies später erzählen.
Die Herzogin ist 58 Jahre alt, – also fast zweimal „schier dreißig“. Man muß gestehen, unser Ritter hatte plötzlich sehr seltsame Gelüste bekommen. „Unser Leben währet kurze Zeit; siebenzig Jahre, wenn’s hoch kommt: achtzig –“ meint der Psalmist; 58 Jahre ist schon ein hübsches Alter; ohne unhöflich zu sein, darf man von einer 58jährigen sagen: „c’est une dame, d’un certain âge.“ – Die Herzogin ist klein. Sie ist äußerst zart gebaut; ja, man könnte sie – mager nennen, wenn dieser Ausdruck nicht
gar zu unangenehm wäre. Unter vier Augen würde man sich sogar gestehen, daß die Herzogin mager wie ein – Skelett ist.
Ich bitte sehr um Entschuldigung! Die Herzogin trägt falsche Waden – ich stoße immer wieder auf Schwierigkeiten. Falsche Hüften – ich verwickle mich immer mehr. Einen falschen Cul – aber jetzt höre ich auf. Mit der Toilette einer Dame ist nicht zu spaßen. Die Toilette ist etwas sehr Ernstes. Die Toilette ist Alles! Namentlich bei der Herzogin.
„Die Herzogin gleicht einem ausgestopften Raubvogel.“
Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe dies nicht gesagt. Es steht wörtlich so in meinen Manuscripten. Die Herzogin gehört also nach dieser Aussage in das britische oder in das Leydener Museum. „Die Herzogin trägt auch die Physiognomie desselben, nämlich des Raubvogels: enorme, geierartige Nase, Geier-Augen, groß wie ein Teller – in früheren Zeiten von hoher Schönheit.“ – Die holde Persönlichkeit der Frau Herzogin wird immer deutlicher. „Seh’n Sie hier, meine Herren und Damen –“ würde etwa ein Wärter des britischen oder des Leydener Museums sagen – „hier sehen Sie den großen Raubvogel (jetzt käme irgendein lateinischer Name), jenes berühmte Thier, das auf den höchsten Höhen
der menschlichen Gesellschaft nistet. Der Zahn der Zeit hat sehr merklich an diesem Vogel gerupft. Trotzdem werden Sie aber an der großen gebogenen Nase und an den grimmigen Augen dieses Thieres bemerken können, daß er von außerordentlich rein adeliger Raçe ist. In seiner Jugend machte dieser Vogel die kühnsten Flüge; er horstete mit den männlichen Raubvögeln des Jahrhunderts in der Nähe aller europäischen Throne, auf allen Ambassaden moderner Völker. Er lebte mit Adlern, mit Steinadlern, mit Geiern, mit Lämmergeiern, mit Falken und Kranichen; ja, er ließ sich später sogar zu Raben und Elstern herab, zu gewöhnlichen Haushähnen und ähnlichem gemein-bürgerlichem Geflügel. In jüngster Zeit associirte sich unser Vogel aber noch einmal mit einem Männchen aus dem berühmten Geschlechte der Schnapphahnski, und Gott weiß, welch’ ein naturhistorischer Druckfehler aus dieser liaison hervorgegangen wäre, wenn nicht ein naseweiser Schriftsteller, das alte Thier plötzlich mit seinem Geschosse erlegt hätte, so daß es nun hier in dem Kasten des Museums prangt, ein wahres Kabinettstück, bewundert von allen reisenden Engländern und vielfach besucht von allen wißbegierigen Bürgerschulen.“
Die Herzogin ist also eine geiernasige und geieräugige, aus Kunst und Natur zusammengesetzte, achtundfünfzigjährige kleine Dame. Wir wünschen Herrn von Schnapphahnski von ganzem Herzen Glück. „Der Teint der Herzogin ist gelb verwittert,“ setzt das Manuscript hinzu, „die Herzogin hat höchst scharfe Züge. Ihr ganzes Angesicht gleicht aber der Brandstätte der Leidenschaften.“
Brandstätte der Leidenschaften!
Seit wir diesen Vergleich haben, brauchen wir unsere Herzogin weiter nicht mehr zu schildern. Es ist unnöthig, wenn wir noch hinzusetzen, daß unsere Heldin sich stets sehr jugendlich kleidet, daß sie eine zweireihige Garnitur falscher Zähne besitzt und daß sie einen total haarlosen Kopf hat und deshalb auch schon seit undenklichen Zeiten eine vollständige Perrücke trägt …
Die kahlen Köpfe waren in der Familie der Herzogin von jeher en vogue. Die älteste Schwester unserer Heldin, eine ausgezeichnete Dame, die sich von vier Männern scheiden ließ und eigentlich in der ganzen Familie einzig und unerreicht dasteht, beschäftigte sich während der zweiten Hälfte ihres schönen Lebens fast ununterbrochen mit der Auffindung irgend eines Mittels, das die letzten Reste des herzoglichen Familienhaares konserviren könne.
Pythagoras entdeckte seinen Lehrsatz; Columbus entdeckte Amerika und die Herzogin von … entdeckte die berühmte schwarze Haar-Tinktur. Ich weiß nicht, ob die Herzogin den Göttern Hekatomben schlachtete, nachdem sie die Tinktur erfunden hatte; jedenfalls ist es aber für gewiß anzunehmen, daß sie den Augenblick der Entdeckung für den wichtigsten ihres Lebens hielt.
Das Unglück, keine Haare mehr auf dem Kopfe zu besitzen, ist so groß, daß es eigentlich nur dann zu ertragen ist, wenn man Haare auf den Zähnen hat. Ein Mensch, der sie weder da noch dort trägt, ist sehr zu bedauern. Er ist ein kahles Feld, ein entlaubter Baum; die Sonne seines Lebens hat sich in einen Mond verwandelt. Der Abend ist hereingebrochen und bald wird die Nacht kommen, und am andern Morgen wird der arme Mond todt sein, mausetodt. Wenn man seinen kahlen, schneeweißen Kopf mit einer vollen kohlschwarzen Perrücke krönt, so erlebt man mit seinem Monde gewissermaßen eine Mondfinsterniß. Aber eine Mondfinsterniß ist vergänglich. Der Wind kann eine Perrücke davontragen und man hat eigentlich den Vortheil davon, daß der Tod vielleicht einst nur die Perrücke faßt, wenn er uns nach dem Schopf greift und daß der wirkliche
Kerl davonläuft – à revoir – sterben Sie wohl, Herr Tod!
Wie ich bereits bemerkte, trägt unsere Heldin eine Perrücke … Dies schien mir von hoher Wichtigkeit zu sein; ich sah darin den bedauerlichsten Widerspruch mit der von der älteren Schwester erfundenen Tinktur. Pflichtgetreu stellte ich die genauesten Nachforschungen an und leider hat sich dadurch herausgestellt, daß der Schädel unserer Heldin sogar der berühmten herzoglichen Familien-Tinktur siegreich widerstanden hat, und daß sich unsere Freundin dabei beruhigen muß, eine Perrücke auf dem kahlen Kopf und kein Haar auf den falschen Zähnen zu besitzen. Es thut mir leid, daß ich nicht näher auf die Tinktur eingehen darf. Man könnte Bände darüber schreiben. Es kommt unendlich viel auf das Haar an. Einer der ersten Künstler der Welt bezeichnete seine hinterlassenen Perrücken mit vollem Recht, als den Hauptschatz seines Nachlasses.
Doch nun noch etwas über den Fuß der Herzogin!
Goethe behauptete stets, ein schöner Fuß sei der einzig dauernd schöne Theil an einem Weibe; er bleibe immer reizend, wenn er einmal reizend sei; er verändere selten seine Form. Der alte Herr hatte von jeher gern mit den Füßen zu thun; er hörte
nichts lieber, als eine Frau in Pantoffeln, mit hohen Absätzen klipp klapp, einen langen hallenden Korridor hinunterschreiten. Ich bin natürlich mit dieser hohen Autorität durchaus einverstanden. Auch unsere Herzogin hatte aus den Tagen der Jugend einen Fuß gerettet, der wenigstens zu einem schönen Schuh Veranlassung gab. In vielen Fällen wird man nach der Form des Fußes den ganzen Menschen beurtheilen können; auf die Raçe kann man stets danach schließen. Es verhält sich mit den Füßen, wie mit den Zähnen und den Fingerspitzen. Ich mache mich verbindlich, nach der Weiße und der Reinheit der Zähne und der Fingerspitzen eines Menschen genau zu sagen, wie viel Mal er in der Woche ein reines Hemd anzieht. Die Fingerspitze steht aber in genauem Zusammenhange mit dem Zahne; der Zahn mit dem Hemde und das Hemd mit dem ganzen Menschen.
Seit Benvenuto Cellini aus den schönen Zähnen seines erschlagenen Nebenbuhlers eine Kette für die lächelnde Herrin arbeitete, hat es wohl keine bessern Kinnladen gegeben, als die der neulich am Kap verunglückten englischen Offiziere. Sie wurden von den Kaffern ermordet; nach einigen Tagen fand man sie in der Tiefe des Waldes. Geld, Uhr und Waffen: alles hatte man ihnen gelassen. Man nahm ihnen nur das Leben und die – Zähne. Die Engländer
sind die reinlichsten Leute. Nach Liebig verbrauchen die Engländer die meiste Seife; dann kommen die Franzosen, dann die Deutschen u. s. w., zuletzt die Russen. Die Engländer haben die reinsten Hände, die saubersten Zähne und die weißeste Wäsche. Die Engländer sind die Herren der Welt.
Geier-Augen, Geier-Nase, ein ausgestopfter Raubvogel, und im Antlitz die Brandstätte aller Leidenschaften: Das ist unsere Herzogin. In unsern Notizen finden wir noch ausdrücklich bemerkt, daß die Herzogin nur Leute, die in der engsten Intimität mit ihr stehen, bei Tage empfängt. In den meisten Fällen nimmt sie nur abends Besuche an, wie sie sich denn überhaupt auch nur bei Abend zeigt, da sie nur zu wohl weiß, wie sehr sie des Lampenlichtes bedürftig ist.
Armer Schnapphahnski! Theurer Mann, Du gehst mit einem heroischen Entschluß um!
„Und würfst du die Krone selber hinein,
Und spräch’st: Wer mir holet die Kron’,
Der soll sie tragen und König sein –
Mich gelüstete nicht nach dem theuern Lohn!“
Ja, armer Schnapphahnski.
Unsere Herzogin ist Niemand Anders als die Herzogin von S., die jüngste Tochter des Herzogs von K., die Gespielin eines „talentvollen“ Königs, mit dem sie erzogen wurde und mit dem sie sich dutzt.
Die Herzogin heirathete den Prince de D., den Neffen jenes berüchtigten Diplomaten, der gerade soviel Eide brach, als er Eide schwur. Nach einigen Jahren trennte sie sich aber, zwar nicht auf gerichtlichem Wege, von ihrem jetzt noch lebenden Manne und zog zu eben dem alten Fuchs, den wir in diesem Augenblick erwähnten, mit dem sie ein Verhältniß hatte, und machte in seinem Hause die Honneurs etc. Da ihr indeß die Anwesenheit des Fürsten D. in Paris lästig war, so mußte der alte T. ihm unter der Bedingung Geld geben, daß er sich sofort entferne und nach Florenz gehe. Nachdem dies geschehen, zog unsere Heldin mit T. auf allen seinen Ambassaden herum, bekannt wegen ihres Verstandes unendlich mehr berühmt aber wegen ihres ausschweifenden Lebenswandels. Ja, der Flug ihrer raffinirten Phantasie verleitete sie zu so abenteuerlichen Spaziergängen der Wollust, daß ihr unter Karl X. der Hof verboten wurde.
Bemerken muß ich noch, daß die Herzogin beim Einrücken der Alliirten in Paris dem ersten Kosacken hinten aufs Pferd sprang und frohlockend über den Sturz Napoleons, die ganze Parade der Truppen mitmachte. Sie soll bei dieser Gelegenheit vor Freude außer sich gewesen sein und ihren Kosacken mit Liebkosungen überhäuft haben.
Schon lange getrennt von ihrem Manne, fühlt sie sich einst Mutter werden. Es schien eine Unmöglichkeit, das Kind noch auf Rechnung des abwesenden Gemahls zu bringen. Und doch war sein Name für dasselbe nothwendig. Die Herzogin ist in keiner kleinen Verlegenheit; sie besinnt sich hin und her, zuletzt entschließt sie sich kurz; sie faßt ein Herz und reist zu ihrem Gemahle. Spät am Abend läßt sie sich bei ihm melden; er ist nicht zu Hause. Ohne weiteres läßt sie sich daher auf sein Zimmer führen. Um Mitternacht kommt der harmlose Gemahl endlich zurück, nicht ahnend, was ihm bevorsteht. Er ist natürlich im höchsten Grade überrascht über den unerwarteten Besuch und sucht seinem Erstaunen in den trefflichsten Ehemanns-Phrasen Luft zu machen.
Das eine Wort gibt das andere und bald sind sie im besten Zuge sich recht gemüthlich zu zanken. Der holde Gatte merkt gar nicht, daß das Antlitz der Herzogin immer freudiger zu strahlen beginnt, während sein eigenes immer länger und länger wird. Mit jeder Minute wachsen die Hörner des zärtlichen Mannes; da ist eine Stunde herum und die Herzogin springt plötzlich auf indem sie erklärt, daß sie jetzt gehen werde. Vor ihrer Abreise, setzt sie hinzu, wolle sie ihm indeß sagen, welches der Grund ihres Besuches gewesen sei – – der ehrenwerthe Gatte
erhebt seinen Hornschmuck und spitzt die Ohren. Nichts ist interessanter, als das Bekenntniß einer schönen Seele. Vertraulich legt die Herzogin ihre Hand auf den Arm des horchenden Mannes und theilt ihm leise flüsternd mit, daß sie sich Mutter fühle – – sie habe getrennt von ihm gelebt, jetzt könne sie durch alle Hausleute beweisen, eine Stunde in der Nacht bei ihm gewesen zu sein. Ihr sei geholfen. Adieu mon ami!
„Den Seinen schenkt’s der Herr im Traum. Weiß nicht wie dir geschah.“ –
Der Gemahl der Herzogin legte sich mit dem beruhigenden Bewußtsein zu Bette auch nicht im Geringsten etwas Böses gethan zu haben. Die Herzogin entfernte sich aber so rasch als möglich und hell klang ihr glückliches Lachen.
„Das Kind, für dessen Legitimität so weise gesorgt wurde, war eine Tochter, die später den Grafen C. heirathete. Der alte T. hielt sich für den Vater dieser Tochter und vermachte derselben bei seinem Tode 80,000 Franken Revenue. Sein ganzes übriges Vermögen vermachte er der Herzogin, die, so glänzend bezahlt, nun selbst zu bezahlen anfing.“ –
Auf das Gerücht hin, daß die Herzogin bezahle: erscheint Schnapphahnski.
XIII.
Der Professor.
Ritter Schnapphahnski war in demselben Falle wie Professor N in Berlin – – es stand ihm etwas ganz Außerordentliches bevor. Doch erzählen wir zuerst die Geschichte des Professors.
Der Herr Professor war krank. Er ließ den Doktor kommen. Der Doktor kam. Arzt und Professor standen einander gegenüber. Der Erstere mit jenem heidnisch frohen Lächeln, welches den meisten Medicinern eigenthümlich ist; der Professor: lang, dürr, einer ausgetrunkenen Flasche ähnlich, mit sehr miserablem Antlitz.
„„Doktor, ich bin krank –““ begann der Professor.
„Das freut mich –“ erwiederte der Doktor.
„„Ich glaube, ich habe die Schwindsucht, Doktor. –““
„Sehr leicht möglich, Herr Professor –“
„„Nicht wahr, ich bin sehr krank?““
„Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen –“
„„Glauben Sie, daß die Sache gefährlich ist? –““
„Zeigen Sie mir Ihre Zunge –“
„„Meinen Sie nicht, daß ich bald sterben werde?““
„Wann gehen Sie Abends zu Bett?“
„„Soll ich nicht lieber mein Testament machen?““
„Wie sieht es mit Ihrem Appetit aus?“
„„Soll ich nicht die Verwandten von meiner traurigen Lage benachrichtigen?““
„Haben Sie regelmäßigen Stuhlgang?“
„„Doktor, retten Sie mich!““
„Herr Professor, antworten Sie auf meine Frage!“
Eine Pause entstand. Der Professor schaute auf den Doktor wie ein krankes Fohlen auf seine Mutter. Der Doktor fuhr fort:
„Antworten Sie mir also klar und bestimmt, Herr Professor.“
„„Ich bin ganz zu Ihren Diensten, Herr Doktor.““
„Schildern Sie mir Ihren Zustand – – haben Sie Beschwerden?“
„„Der Beschwerden habe ich manche – –““
„Und welche, Herr Professor? Haben Sie z. B. eine gewisse Schwere in den Gliedern?“
„„Ganz recht – es liegt mir wie Blei in den Gliedern –““
„„Haben Sie Kongestionen nach dem Kopfe, oder nach andern Theilen des Körpers?““
„„Kongestionen – ganz recht, ich habe Kongestionen – fast nach allen Theilen.““
„Lassen Sie mich doch Ihre Augen sehen – Sie scheinen ganz rothe Augen zu haben.“
„„Ach, allerdings, Herr Doktor. Das kommt von dem vielen Arbeiten in der Nacht.““
„Schlafen Sie Nachts auf dem Rücken?“
„„Ich schlafe selten, Herr Doktor.““
„Also träumen Sie?“
„„Ach, ich habe schwere Träume -“
Der Professor schlug verschämt die Augen nieder. Wiederum entstand eine Pause. Der Doktor blickte auf den Professor, wie der Teufel auf einen armen Sünder.
„Setzen wir unsere Konversation fort – nicht wahr, Sie sind unverheirathet Herr Professor?“
„„Allerdings, Herr Doktor!““
„Sie haben auch sonst keinen Umgang mit Frauen?“
„„Herr Doktor, das ist eine Gewissensfrage.““
„Verzeihen Sie, eine reine Gesundheitsfrage.“
„„Aber wie soll ich Ihnen darauf antworten?““
„Nun, ganz einfach mit Ja oder Nein; haben Sie Umgang mit Frauen oder nicht?“
„„Nein, Herr Doktor! das ist durchaus gegen mein Prinzip.““
„Aber es wäre gut für Ihre Gesundheit –“
„„Mein Prinzip geht über die Gesundheit.““
„Aber Ihr Prinzip kann Sie in’s Grab bringen.“
„„Mit meinem Princip will ich sterben.““
„Nun, so sterben Sie wohl, Herr Professor“ – der Doktor griff nach seinem Hute, um sich zu entfernen. Der Professor trat ihm in den Weg.
„„Lieber Herr Doktor – –““
„Verehrter Herr Professor – –“
„„Bleiben Sie um Gottes Willen!““
„Aber, gehorchen Sie meinen Befehlen!“
„„Ich will alles thun, was Sie wünschen.““
„Meine Befehle werden Ihnen nur angenehm sein.“
„„Ich will Moschus und Rhabarber fressen.““
„Würde Ihnen wenig helfen.“
„„Ich will Balsam und Fliederthee trinken.““
„Könnte von gar keinem Nutzen sein.“
„„Aber was wünschen Sie denn?““
„Ich wünsche nur das allermenschlichste, das allererfreulichste von Ihnen!“
„„Sprechen Sie also!““
„Und gehorchen Sie mir.“
„„Was soll ich thun?““
„Sie soll’n sich verlieben – ein Weib nehmen!“
– Der Kopf des Professors sank auf die Brust, die Tabackspfeife entfiel seiner Hand und Wolken der tiefsten Verlegenheit, des innigsten Schmerzes verdunkelten die Stirn des unglückseligsten Mannes.“
„„Herr Doktor““ fuhr endlich der Gepeinigte in sehr gedrücktem, schleppendem Tone fort – „„Herr Doktor, Sie wissen, ich bin Theologe. Ihr Befehl widerspricht meinem ganzen System, meiner ganzen Anschauungsweise. Ein viertel Jahrhundert lang, bin ich der Stimme meines Innern, meiner Ueberzeugung treu geblieben und glaube auch heute noch an das, was uns der Apostel sagt im 8ten Verse des 7ten Kapitel seiner Epistel an die Corinther, wo da geschrieben steht, daß es besser ist, wenn die Ledigen bleiben, wie der Apostel, nemlich ebenfalls ledig und unbeweibt – –““
„Narrenspossen, nichts als Narrenspossen!“ – unterbrach hier der Doktor – „und außerdem vergessen Sie Herr Professor, daß es im 9ten Verse heißt: „„So sie aber sich nicht enthalten können, so laß sie freien. Es ist besser freien, denn – –““
Der Professor seufzte tief auf – „„Sie verlangen also in vollem Ernst, daß ich mich verheirathe?““
„Das habe ich nicht gesagt.“
„„Aber Sie wollen ja, daß ich mich verliebe.““
„Man kann lieben, ohne zu heirathen.“
„„Aber Herr Doktor, das wäre Sünde.““
„Herr Professor, Sie sind von wahrhaft biblischer Unschuld.“
„„Und eine Sünde werde ich nie begehen.““
„Herr Professor, es giebt nur eine Sünde, das ist die Sünde gegen das eigene Fleisch.“
„„Nun, so will ich mit dem Apostel sündigen.““
„Vielleicht war der Apostel aber nicht in so krankhaftem Zustande, wie Sie Herr Professor.“
„„Wie meinen Sie das, Herr Doktor?““
„Vielleicht konnte der Apostel seinem Verlangen widerstehen. Sie werden darüber zugrunde geh’n.“
„„Nun es sei! Ich werde heirathen!““
„In vierundzwanzig Stunden!“
Die letzten Worte waren für den armen Professor ein neuer Donnerschlag. Er taumelte rücklings in seinen Sessel, und bedeckte das fahle Antlitz mit beiden Händen. Der Doktor spielte gelassen mit seinem Hute.
„„Sie sind grausam, Doktor!““ nahm endlich der Professor das Gespräch wieder auf. – „„Ich soll in vier und zwanzig Stunden heirathen: das ist unmöglich!““
„Beim Menschen ist nichts unmöglich!“
„„Ich kenne alle Kirchenväter, aber ich kenne kein einziges Weib.““
„So lassen Sie die Kirchenväter laufen, und lernen Sie die Weiber kennen!“
„„Ich will mich verbindlich machen, in vier und zwanzig Stunden eine neue Sprache kennen zu lernen aber ein Weib lieben lernen – bedenken Sie Herr Doktor!““
„Die Sprache der Liebe lernt man in fünf Minuten.“
„„Sie sind unerbittlich, Herr Doktor!““
„Unerbittlich, Herr Professor!“
„„O Gott, errette mich von diesem Doktor!““
Der Doktor wurde ungeduldig. Er schritt der Thüre zu. „Thun Sie, was Sie wollen, Herr Professor. Ich bin hierher gekommen, um für Ihren Leib zu sorgen, nicht für Ihre Seele. Suchen Sie meine Rathschläge mit Ihrem Gewissen zu vereinbaren, das ist Ihre Sache. – – Ich gebe zu, daß es mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, in vier und zwanzig Stunden ein eh’lich Weib zu finden, Hochzeit zu machen und so weiter – – aber es fällt
mir im Traume nicht ein, Sie zu diesem extremen Schritte zu treiben. Richten Sie die Sache anders ein – – Sie werden mich verstehen. – – Ich stelle Ihnen einfach die beiden Chancen: entweder eine Konzession Ihres Gewissens, oder ein früher Tod. Wählen Sie zwischen einem Gewissensmord und einem Selbstmord. Wählen Sie von zwei Sünden eine; wählen Sie!“
Von der Stirn des Professors perlte der Angstschweiß. Der Doktor machte seine Auseinandersetzungen aber mit so viel Präzision und mit so unendlicher Bonhomie, daß der geplagte Mann Gottes endlich langsam das Haupt erhob, und nach einigem Stottern und Erröthen mit einer wahrhaft naiven Unerschrockenheit die Frage wagte:
„„Aber, lieber Herr Doktor, wie würde man diese Mordgeschichte einzurichten haben?““
Hier konnte sich der Doktor nicht länger halten. Er lachte laut auf –
„Theuerster Professor – –“
„„Allerdings, Herr Doktor! Sagen Sie mir aufrichtig, wie ich mich dabei benehmen soll!““
„Aktiv sollen Sie sich dabei benehmen!“
„„Aber bedenken Sie doch, daß ich durchaus Neuling in der Sünde bin!““
„Tant mieux, Herr Professor.“
„„Tant pis, Herr Doktor! –““
Das Dilemma wollte kein Ende nehmen. Der Doktor sah ein, daß er seinem Patienten zu Hülfe kommen mußte:
„Wenn Sie den alten Jesuiten Escobar gründlich studirt hätten, Herr Professor, so würden alle weiteren Explikationen unnöthig sein. Aber ich merke, daß Sie von der verstocktesten Unschuld sind. Sie sind ein wahrer Sankt Aloysus – doch trösten Sie sich! Morgen Abend zwischen 7 und 8 Uhr wird Jemand vernehmlich an Ihrer Hausthür schellen. Sie werden Ihre Hausbewohner, Ihren Knecht und Ihre Mägde hinausgeschickt haben und Sie werden gütigst selbst die Thüre öffnen. Sie werden die Thüre behutsam öffnen, ohne allen Eclat, damit Niemand der Vorübergehenden etwas bemerkt, und Sie werden die liebenswürdige Person, die Ihnen eine der interessantesten Visiten abstatten wird, eben so artig als zuvorkommend empfangen und sie ohne Umstände sofort in Ihr Studierzimmer führen. Sie werden dort die Fenster verhängt und das Sopha von Bibeln und Kirchenvätern gereinigt haben. Sie werden ein gehöriges Feuer im Ofen unterhalten und für die geeignete Beleuchtung sorgen. Sie werden sich leicht und comfortable gekleidet haben, Sie werden eben so höflich als zutraulich und hingebend sein,
kurz, Sie werden sich ganz den Freuden Ihres Besuches hingeben – – nun Adieu, Herr Professor! für den Rest werde ich sorgen. Adieu! Bedenken Sie, daß Ihr Leben auf dem Spiel steht – –“
Da war der Doktor verschwunden.
Von der Angst, die der Professor nach dem Fortgehen des Doktors ausstand, kann sich nur Der eine richtige Idee machen, der überhaupt die Qualen eines Gerechten zu würdigen versteht. Der gelehrte Herr war außer sich. Zwanzig Mal in Zeit von zehn Minuten erlosch ihm die Pfeife. Vierzig Mal rieb er die Stirn und achtzig Mal sah er mit frommen Augen andächtig gen Himmel, innerlich flehend, daß dieser Kelch der Freude an ihm vorübergehe. Vor allen Dingen suchte er nach irgend einer Entschuldigung für seine bevorstehende Sünde, denn das Wagniß seines Lebens schien ihm ein keineswegs ausreichender Grund zu sein. Er schlug den Irenaeus nach, den Augustinus, den Eusebius, den Lactantius, den Chrysostomus und einige dreißig andere Schweinslederbände, um nachzuforschen, ob denn nicht irgend ein Kirchenvater weiland in demselben Falle gewesen sei, und ob nicht Einer von ihnen auch nur ein Wörtlein über diesen kitzlichen Punkt habe fallen lassen – aber vergebens!
Der Professor überzeugte sich davon, daß nie ein Heiliger der Art vom Teufel versucht worden sei, und an Allem verzweifelnd, warf er sich schließlich auf das Lager seiner Leiden, um schlimmer zu träumen als je vorher.
Der kommende Tag brachte nur neue und immer wildere Seelenstürme für den gelehrten Herrn, denn mit jedem Augenblicke rückte ja die Stunde näher, wo die Schelle von unbekannter Hand gerührt, und wo der Herr Professor den Beweis ablegen sollte daß er als Mann und Meisterstück aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sei. Wir brauchen nicht zu versichern, daß der Herr Professor die Vorschriften des Doktors genau befolgte. Schon um 2 Uhr Nachmittags war das Haus des Gelehrten wie ausgestorben. Die Schwester des Unglücklichen, die Mägde, der Knecht: Alle waren vertrieben. Die Seufzer, welche sich der Studierstube entrangen, zeigten, daß nur ein einziges Wesen in dem verödeten Raume zurückgeblieben sei.
Es schlug vier Uhr: der Herr Professor zitterte. Es schlug fünf: der Herr Professor trocknete den Schweiß von Stirn und Wangen. Es schlug sechs: der Herr Professor schnappte nach Luft. Es schlug sieben: da tönte die Schelle der Hausthür und der Gelehrte stüzte hinab. – –
Lassen wir ihn stürzen.
Meine Leser werden mir verzeihen, daß ich sie so lange mit dem alten Professor ennuyire – – die Sage geht, daß der unglückliche Mann, statt einer reizenden Bajadere die bejahrte Freundin seiner Schwester umarmte – der Herr Professor war mit Blindheit geschlagen; er versicherte, daß sein Leben auf dem Spiel stehe; er hielt den Besuch, welcher der Schwester galt, für den Besuch, den er erwartete, und die herzzerreißendste Scene entwickelte sich zwischen Kirchenvater und Matrone, eine Scene, der Feder eines Swift, eines Sterne, eines Smollet würdig, – werth, von einem andern Hogarth gezeichnet zu werden, zur Lust aller kommenden Geschlechter.
Herr von Schnapphahnski verlebte vor seiner ersten Unterredung mit der Herzogin von S. einen ähnlichen Tag, wie der Berliner Professor. Der Kirchenvater umarmte statt einer Grazie: eine Matrone. Sehen wir, wie es dem edlen Ritter mit der Herzogin erging.
XIV.
Der Graf.
Ich führe meine Leser in das geräumige Gemach eines alten schlesischen Schlosses. Es ist Abend geworden. Der letzte Strahl des Tages bricht durch die schweren seidenen Vorhänge und treibt sein Spiel mit den Flammen des Kamins, der immer lustigere Streiflichter auf den grünen Teppich wirft, auf die kolossalen Spiegel der Wände und auf eine Reihe vornehm adliger Köpfe, die aus goldenen Rahmen ernst und feierlich niedersehen.
Die Luft des Gemaches ist duftig warm. Der Rauch der besten Havana-Cigarren zieht in blauen Wölkchen vorüber und auf dem Marmorgesims des Kamins dampft Punsch und Grog aus krystallenen Gläsern. Zur Rechten und zur Linken des Feuers bemerken wir in zwei großen Sesseln zwei junge Männer, die Beine dem Feuer behaglich entgegen streckend.
Der Eine, den Ellenbogen in die Lehne des Sessels drückend, stützt den schönen schwarzgelockten
Kopf auf die schneeweiße Hand. Die Flammen des Kamins spiegeln sich in seinem dunklen Auge. Er scheint in tiefes Sinnen versunken. Minutenlang liegt er regungslos da; aber plötzlich fährt er zusammen, er streicht die Locken von der Stirn und die halberloschene Cigarre aufs Neue an die Lippen führend, lacht er und zeigt unter dem kohlschwarzen Schnurrbart, eine Perlenreihe der schönsten Zähne.
Der zweite der jungen Raucher bildet den besten Kontrast zu dem Ersteren. Er ist lang, dünn, trocken, blondharig, mit kahler Glatze – eine etwas ruinirte Erscheinung, die durch fashionable Manieren den frühen Verlust aller übrigen körperlichen Reize wieder gut zu machen strebt. Der Blonde weiß sehr graziös zu rauchen, aber nur selten greift er nach seinem Grog, den er, statt zu trinken, wie aus Langerweile, nachläßig in den Kamin schüttet. Mit einem ironischen Lächeln blickt er auf den sinnenden Freund.
„Trösten Sie sich“ – beginnt endlich der Blonde – „trösten Sie sich, Ritter, Sie werden die Herzogin jedenfalls noch heute Abend zu Gesichte bekommen. Sie werden eine geistreiche Dame kennen lernen.“
Der Schwarzgelockte hebt sich langsam im Sessel empor: „„Sagen Sie mir zum zwanzigsten Male, Graf, glauben Sie wirklich, daß ich reussiren werde?““
„Das hängt einzig und allein von Ihnen ab; übrigens werde ich Sie nach Kräften unterstützen –“
„„Ich schenke Ihnen meinen schönsten Hengst!““
„Einen Hengst für eine Herzogin! Es thut mir nur leid, daß ich nicht mehr so gut wie früher mit ihr stehe.“
„„Wie so, Graf?““
„Ich sagte der Herzogin einst, daß ich aus reiner Sympathie eine kahle Glatze trüge: und sehen Sie, das konnte sie mir nie vergessen.“
„„Armer Mann – –““
„Ja, wahrhaftig, hüten Sie sich davor, die leiblichen Schönheiten der Herzogin näher zu besprechen. Loben Sie nur ja nicht ihre glänzenden schwarzen Haare, ihre herrlichen Zähne, oder ihren eleganten Wuchs, – die Herzogin würde dies für die abscheulichste Ironie halten, denn alles Lob fiele auf den Perruquier zurück, auf den Zahnarzt und auf ähnliche nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft.“
„„Aber was soll ich thun –?““
„Ich setze voraus, daß Sie nicht von der Herzogin benutzt zu werden wünschen, sondern daß Sie die Herzogin benutzen wollen?“
„„Allerdings!““
„Sie müssen daher die Herzogin zu unterjochen suchen.“
„„Sehr richtig!““
„Und es stehen Ihnen zwei Wege zu diesem Ziele offen.“
„„Welche?““
„Entweder müssen Sie als Tyrann auftreten – oder als harmloser Schäfer. Das eine Mal werden Sie durch Ihre Keckheit, durch Ihre Unverschämtheit, die Eitelkeit der Herzogin in so barbarischer Weise aufstacheln, daß sie es sich zur Ehrensache macht, Ihnen nur nach dem fürchterlichsten Kampfe das Feld zu räumen. Ein wahres Gemetzel von Blicken, Worten, Ränken und Intriguen wird sich zwischen Ihnen entwickeln. Sie werden, ohne die Eitelkeit der Herzogin zu verletzen, jede ihrer Frechheiten durch eine eklatantere Bosheit zu überbieten wissen. Ihre List, werden Sie durch List umgehen, ihre Lüge, werden Sie durch noch größere Lügen imponiren, die Renommage mit ihren galantesten Sünden werden Sie durch die Erzählung galanterer Abenteuer zu paralisiren suchen. Malt die Herzogin grau, so malen Sie schwarz; malt sie roth, so malen Sie purpurroth, und ist es zuletzt nicht mehr möglich, sie im Raffinirtsein zu überbieten, da schlagen Sie plötzlich in das ganz Entgegengesetzte um, und vernichten Ihre Gegnerin
durch das Einfache. Sie treiben die Herzogin bis auf den Chimborazzo des Unerhörten und lassen sie plötzlich in die Sahara des Allergewöhnlichsten fallen, und ich bin gewiß, daß Sie zuletzt siegen, daß das raffinirte Alter der raffinirten Jugend weichen muß, daß die Herzogin zum Rückzug bläst, ja daß sie enttäuscht zusammen sinkt, daß sie ächzt und winselt – aber dann erst ist der Augenblick gekommen, wo Sie Ihrem Feldzuge die Krone aufsetzen.
Denn statt den Fuß siegend auf ihren Nacken zu setzen, verzichten Sie plötzlich auf den Ruhm der gewonnenen Schlacht; statt zu triumphiren, machen Sie Ihren Triumph zu den Triumph der Herzogin; während sie Ihnen zu Füßen fallen will, kommen Sie der Herzogin zuvor, und fallen ihr zu Füßen, ein sentimentaler Satan, ein verliebter Nero, so daß Sie Ihre fallende Gegnerin mit den Armen auffangen, und sie emporrichten, sie maßlos erstaunend durch Ihre Ueberlegenheit, und zum Danke rührend durch Ihre unbeschreibliche Galanterie. Seien Sie versichert, Ritter, durch ein solches Spiel werden Sie die Herzogin durchaus gewinnen – sie wird alle Ihre Schulden bezahlen – –“
„„Und den andern Weg?““ fragte der Ritter, indem er sich aufmerksamer emporrichtete.
„Nun, der ist bei weitem einfacher, vielleicht zu einfach, als daß Sie sicher und gewiß damit zum Ziele kommen. So weit ich Sie zu beurtheilen verstehe, werden Sie die Rolle eines Roué’s besser spielen können, als die eines Gimpels; die zweite Manier, die Herzogin zu erobern, besteht nämlich wie gesagt darin, daß Sie eben als harmloser, unerfahrener Jüngling auftreten um die Herzogin durch Ihre Naivetät zu besiegen, durch das Reizende einer unerhörten Unbefangenheit, durch eine bis zum Exzeß getriebene Heuchelei der tugendhaftesten, uneigennützigsten Liebe. Sie wissen, in welcher Verlegenheit sich die Herzogin befindet, wie sie alle Ressourcen des Vergnügens erschöpft hat, wie sie längst von ihren erträglichsten Anbetern im Stich gelassen wurde – – Sie wissen Alles. Jede neue Aventüre würde ihr willkommen sein, aber schwärmen, schwärmen wie früher, würde sie nur für den, der den Frühling des Lebens wieder in ihr Alter hineinzauberte, der durch die jugendlichste Hingebung, wenn auch nicht das Reelle eines jugendlichen Umgangs, so doch wenigstens die Erinnerung an die Lust der Vergangenheit bei ihr heraufbeschwöre, um sie auf diese Weise das durchlebte scheinbar aufs Neue erleben zu lassen. Brächten Sie diese Täuschung bei der Herzogin zu Wege, so glaube ich, daß sie wahnsinnig vor Freude
würde. Die Herzogin würde nicht nur Ihre Schulden bezahlen, nein, sie würde ihre Schlösser in Brand stecken und ihre Diamanten in’s Meer werfen, wenn Sie es wünschten; Alles, Alles würde sie Ihnen zu Gefallen thun – wählen Sie, lieber Ritter!“
„„Ich wähle das Letztere!““ rief der Ritter, indem er das eben gefaßte Krystallglas zu tausend Scherben an die nächste Wand schleuderte und seinen blonden Freund so stürmisch umarmte, daß der unglückliche Graf wie von dem Stich einer Tarantel laut schreiend zusammen fuhr. „„Ich wähle das Letztere! Mein Plan ist gefaßt!““
Arm in Arm wandelten Graf und Ritter über den Teppich des weiten Gemaches.
Herr von Schnapphahnski – denn Niemand anders war der schwarzgelockte Gast des blonden Grafen – war jetzt in demselben Falle wie unser Berliner Professor: es stand ihm etwas sehr Außerordentliches bevor. Nichts hätte ihn mehr aufregen können, als das bevorstehende Zusammentreffen mit der Herzogin von S. Die bösen Geister der Vergangenheit zankten sich in seinem Innern mit der Hoffnung eines endlichen Triumphes. Alle Wunden, die ihm das Mißgeschick in Berlin, in Wien, in München und an zwanzig andern Orten schlug, sollte das Glück bei der Herzogin wieder gut machen. Nach
wochenlanger Niedergeschlagenheit fühlte er auf’s Neue alle seine Muskeln und Nerven in fieberhafter Bewegung. Er war endlich wieder der alte Schnapphahnski, er war wieder ein schöner Mann vom Scheitel bis zur Zehe, doppelt schön, weil er etwas wagte – er glich einem Spieler, der nach tausend Verlusten, aus seiner Lethargie erwacht und die letzte Goldrolle hohnlachend auf den grünen Tisch wirft.
„„Machen Sie die Herzogin, ich werde den jugendlichen Verliebten spielen!““ rief der erfindungsreiche Ritter, indem er plötzlich im Gehen inne hielt, den Arm des Freundes fahren ließ und sich mit der zierlichsten Verbeugung vor den Grafen pflanzte. „„Ich weiß nicht mehr recht, wie ich mich seiner Zeit als brauner Husar in O. in Schlesien betragen habe. Ich muß mich einmal darin üben. Damals war ich wirklich ein harmlose Junge, ein schönes Kind, und alle alten Damen wollten mich auf den Schooß nehmen mit Stiefeln und Sporen, um mich zu küssen. Wenn ich vor der Herzogin nur halb so naiv erscheine, wie einst vor der Gräfin S., da haben wir gewonnenes Spiel und ich versetze meiner Dulcinea in einem einzigen Jahre, die Hälfte ihrer Waldungen – alle meine Schaafe werden enthypothecirt.““
Der Ritter riß die Decke von dem nächsten Tisch und hing sie nolens volens über die Schulter
des Grafen. – Uhr und Vasen rollten auf den Boden.
„„Drapiren Sie Ihre Reize so hübsch als möglich mit diesem Lappen! Sie sind die Herzogin, ich bin der sechzehnjährige Schnapphahnski!““
Ritter und Graf standen einander gegenüber.
„„Gnädige Frau – –““ begann der Ritter.
„Ach, guten Tag, Herr Ritter!“ erwiederte der Graf.
„„Gnädige Frau, in tiefer Demuth beuge ich mich vor Ihrer welthistorischen Persönlichkeit.““
„Es freut mich von Herzen, Sie kennen zu lernen, Herr Ritter – ich habe schon viele lose Streiche von Ihnen gehört.“
„„Halten Sie die losen Streiche meiner Jugend zu gut, aber seien Sie versichert, gnädige Frau, daß ich nur dem Ideale entgegenstrebe, welches mir in diesem wichtigen Momente vor Augen schwebt.““
„Sie haben Ihre Laufbahn jedenfalls früh begonnen; schon als brauner Husar in O. in Schlesien, parodirten Sie die Iliade mit so viel Glück, daß die Bauern des Gebirges bereits eine Sage aus Ihnen gemacht haben.“
„„Allerdings, gnädige Frau! Ich hatte gehört, daß Sie, kaum verheirathet, schon den Kosaken hinten auf’s Pferd sprangen – ich glaubte in der
Romantik nicht hinter Ihnen zurückbleiben zu dürfen. Ihr Bild wollte nicht aus des feurigen Knaben Gedächtniß.““
„Und in Troppau hatten Sie dann Ihr famoses Duell: die Säbel schwirrten und der Ruf des jungen Helden verbreitete sich durch alle Lande.“
„„In demselben Lebensjahre war es, wo Sie sich, gnädige Frau, zum ersten Male mit Ihrem Gemahl so eklatant brouillirten. Die Locken flogen und die Geschichte machte Furore in allen Pariser Salons.““
„Und nach Berlin eilten Sie dann.“
„„Sie machten Ihre diplomatische Reise.““
„Daß Sie unglücklich mit Carlotten waren, Herr Ritter, ich habe es nie geglaubt.“
„„Und wenn Ihre Untergebenen oft seltsame Dinge erzählten, gnädige Frau, so war es reine Verläumdung.““
„Jedenfalls wurden Sie aus Berlin durch den Zorn der Götter vertrieben –“
„„Und Ihnen wurde unter Karl X. der Hof untersagt.““
„Aber Sie machten sich nichts daraus; Sie gingen nach Spanien, Lorbeern zu pflücken unter Don Karlos.“
„„Sie, gnädige Frau, reisten unter den interessantesten Umständen nach Florenz, ihren unschuldigen Gatten aufzusuchen, und schon nach wenigen Monaten beschenkten Sie die Welt mit der lieblichsten Tochter –““
„Verzeihen Sie, Herr Ritter – –“
„„Entschuldigen Sie, gnädige Frau – –““
„Aber Sie werden anzüglich, Herr Ritter!“
„„Aber Sie werden verletzend, gnädige Frau!““
„Ich glaubte einen anspruchslosen Knaben in Ihnen zu finden –“
Beide Freunde lachten laut auf und sanken einander in die Arme.
„Wir sind aus der zweiten in die erste Rolle gefallen!“ rief der Graf.
„„Aus der harmlosen in die maliziöse!““ erwiderte der Ritter.
Da wurde die Thüre geöffnet. Man meldete die Ankunft der Herzogin von S.
XV.
Der Baron.
Der Graf hatte Alles aufgeboten, um die Herzogin glänzend zu empfangen. Vor allen Dingen hatte er für die Gesellschaft der hervorragendsten Häupter des benachbarten Adels gesorgt, die entweder für einige Tage bei ihrem Wirthe verweilten, oder am Abend von ihren Landsitzen zu der Wohnung des Grafen hinübereilten, um sich dann erst spät in der Nacht wieder zu entfernen.
Baron von ... war einer von den Gästen, die immer nur wenige Stunden blieben. – Er war ein Fünfundvierziger, und ein hoher, breitschultriger, robuster Mann, mit braunem Schnurrbart und einem Backenbart, der in wilden Büscheln bis hoch hinauf auf die Wangen wuchs. Nase, Füße und Hände des Barons waren sehr gewöhnlich; zwei große lebendige Augen verliehen ihm aber einiges Interesse. In seinen Manieren war der Baron im höchsten Grade ungeschlacht; die geräumigsten Zimmer waren zu klein für seine grotesken Bewegungen; er zerbrach
bei jeder Soirée einige Tassen, einen Stuhl, oder irgend ein anderes unschuldiges Möbel, so daß seine Freunde ihn ein für allemal als den kostspieligsten Gast bezeichneten. Im Gespräche war der Baron sehr verständlich; er führte die undiplomatischsten Redensarten und drückte sich sogar sehr derb aus, wenn er in Eifer gerieth. Nichtsdestoweniger war er bei den Damen gern gesehn, denn der Baron war jedenfalls eine zu ehrliche Erscheinung, als daß man ihm hätte zürnen sollen. Er ließ sich auch so willig von den jungen Comtessen an der Nase herumführen, daß man ihm schon der komischen Scenen wegen, zu denen er Veranlassung gab, mit Freuden alle Extravaganzen verzieh. Schrecklich blieb er freilich für die meisten Damen, durch den mehr als pikanten Duft des Pferdestalles, den er fortwährend in seinen Kleidern trug. Die Röcke und Beinkleider des adligen Herrn waren dergestalt von diesem durchdringenden Parfum gesättigt, daß die Fürstin X. einst ohnmächtig wurde, als sie den Baron näher beroch. Ein wahrer Kampf entspann sich zwischen der Atmosphäre des Salons und der Atmosphäre des Stalls, wenn der Baron zur Thüre hineintrat, und Fürstin X. behauptete, sie glaube auch jedesmal nichts anderes als daß ein leibhaftiger, vierfüßiger Hengst hereinspaziere. Das Eigenthümliche und Charakteristische
des Barons hatte sich aus seiner täglichen Beschäftigung, aus seinem stündlichen Umgang entwickelt. Der Baron war nämlich nicht nur ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Reiter, sondern er trieb auch in eigner Person den bedeutendsten Roßhandel. Besonders Vergnügen machte es ihm stets, von wahrhaft fabelhaften Gewinnsten zu erzählen, die er bei seinem Schacher realisirt zu haben meinte. Kein Roßkamm, versicherte er, habe ihn je betrogen; er sei dagegen der Mann, der alle Welt überliste, und halbtod wollte er sich oft über diesen und jenen Israeliten lachen, den er bei dem letzten Geschäft hintergangen zu haben vorgab. Gut unterrichtete Freunde wußten indeß besser, wie es mit der Liebhaberei des Barons aussah. Sie hatten meistens schon selbst davon profitirt, und hüteten sich wohl, ihren enthusiastischen Bekannten in seinen Illusionen zu stören. Sie wußten, daß der Baron nur der Lust des Kaufens und des Verkaufens wegen den Roßhandel trieb, und daß er sich wenig daraus machte, wenn die Summe seiner Verluste jährlich einen nicht unbeträchtlichen Ausfall in seinen sonstigen Revenüen hervorbrachte. Vor allen andern zeichnete sich der Baron als Mitglied eines Reitjagd-Klubs aus, der nach englischem Muster, bei dem schlesischen Adel seiner Zeit viel Furore machte. Dieser Klub
existirte nur für den Adel und für wenige auserlesene Bürgerliche; er sollte die Freuden des Reitens und der Jagd miteinander verbinden, „um die preußische Jugend wieder zu stählen.“
Dieses „Stählens“ bedurfte der Baron freilich nicht, denn trotz mancher Ausschweifungen mit den Landschönheiten seiner Umgebung, führte er im Ganzen ein sehr regelmäßiges Leben, und konservirte seinen eisernen Körper. Er stand Morgens mit der Sonne auf und schlief deswegen auch Abends im Salon, in der besten Gesellschaft, oft laut schnarchend auf seinem Stuhle ein. In den von den Landräthen ausgeschriebenen Kreisversammlungen, die in Schlesien gewöhnlich aus 50 adligen Gutsbesitzern und aus nur 6 oder 8 bürgerlichen und bäuerlichen Deputirten bestehen, fehlte der Baron selten. Noch pünktlicher fand er sich indeß auf den in allen benachbarten Orten regelmäßig statthabenden Wochenmärkten ein; nicht nur um Pferdehandel zu treiben und als Schaafzüchter seine Wolle an den Mann zu bringen, sondern namentlich der Annehmlichkeit wegen, viele Leute seines Gelichters beim Trunk oder Spiel zusammen anzutreffen. Diese Wochenmärkte bildeten für den schlesischen Adel lange Zeit einen besuchteren Sammelplatz, als die gegen das Ende der dreißiger Jahre gestifteten Adels-Reunionen, die zuerst nach den Freiheitskriegen
auftauchten, dann aber für einige Jahre wieder verschwanden. Die Krone aller Vergnügungen war für den Baron der jährlich gleich nach Pfingsten stattfindende große Wollmarkt in Breslau. Es ist hinlänglich bekannt, daß der ganze schaafzüchtende schlesische Adel um diese Zeit nach der Hauptstadt der Provinz pilgert. Der Baron war von jeher einer der hervorragendsten Besucher dieses Marktes. Er schlug bei solchen Gelegenheiten mehr Geld todt als jeder andere, und es war ihm schon mehr als einmal passirt, daß er eine gehörige Portion Schulden machte, statt einen Haufen Geldes für die verkaufte Wolle mit nach Hause zurückzubringen. Außer dem unvermeidlichen Pferde- und Wollhandel, trieb der Baron auch noch die Runkelrüben-Kultur und die Schnapsbrennerei, so daß er also in seiner Person fast alle „nobeln Passionen“ des schlesischen Landadels vereinigte.
Diesen robusten, schaafzüchtenden und schnapsbrennenden Edelmann finden wir als bestes Pendant zu seinem Wirthe, dem in Bädern und großen Städten frühzeitig zerrütteten und entnervten Grafen: in der Gesellschaft einer durch ihre Liederlichkeit weltgeschichtlich gewordenen Herzogin v. S. und eines Ritters Schnapphahnski. Der Baron legitimirte sich zu
solchem Umgange durch seinen uralten Adel und durch sein kolossales Vermögen.
Wie meine Leser wissen, war die Herzogin bereits auf dem Landsitze des Grafen angekommen. Zu ermüdet und zu ängstlich, sich gleich den Blicken vieler ihr noch unbekannter Leute auszusetzen, hatte sie aber am ersten Abend ihre Gemächer noch nicht verlassen wollen, so daß also Ritter Schnapphahnski abermals 24 Stunden in der peinlichsten Erwartung zubringen mußte.
Wie sie es stets in Schlössern that, deren Einrichtung ihr noch nicht geläufig war, hatte die Herzogin auch dieses Mal vor ihrem Erscheinen erst mit dem Grafen in Betreff der Beleuchtung des Salons Rücksprache genommen. Es war dies einer der wichtigsten Punkte für die Herzogin. Sie befand sich nämlich in der umgekehrten Lage, wie weiland der selige Peter Schlemihl. Der arme Schlemihl hatte keine Schattenseite; die arme Herzogin hatte deren zu viele. Wenn Schlemihl daher seinen Freund Bendel voranschickte, um die Beleuchtung zu arrangiren, daß ihn alle Lichter trafen, so befahl die Herzogin dem Grafen, die Sache so einzurichten, daß sie möglicherweise von keinem getroffen werde. Der Graf war in die Geheimnisse der herzoglichen Toilette eingeweiht, und er leitete denn auch Alles in so
umfassender Weise, daß die Konstellation der Lampen am nächsten Abend die günstigste werden mußte.
Von der Nacht, die der Ritter und die Herzogin vor ihrem ersten Zusammentreffen zubrachten, kann man sich leicht eine Idee machen. Während ihre Körper noch durch kalte Mauern getrennt waren, schlangen sich ihre Seelen schon ineinander und führten jenen lustigen Tanz der Träume auf jenen Elfentanz der Gedanken, den alle Liebenden kennen.
O, das ist der Teufel, daß wir von dem Ziele unserer Wünsche oft nur durch eine Mauer getrennt sind, durch eine Bretterwand, durch einen Vorhang. Wir hören ihn seufzen und lachen, und husten und singen: den Gegenstand unserer Verehrung. Aber die Mauer steht wie eine Mauer vor unserm Glück; die Welt unserer Sehnsucht ist mit Brettern vernagelt und der Vorhang bleibt verhängt. Während die Dame unsers Herzens vielleicht von uns träumt und gebrochenen Lautes die seltsamsten Worte murmelt und mit den nackten kleinen Füßen in des Bettes Linnen wühlt und die weißen Arme emporstreckt, um ihren Traum zu ergreifen und ihn festzuhalten und an die Brust zu drücken mit Thränen und Küssen – ja, während unser ganzes Sein aufgeht in dem ihrigen: müssen wir vielleicht mit kalten Beinen bei einer Tasse schwarzen Kaffe’s sitzen, um über eine Civilklage
nachzudenken, über ein philosophisches Problem oder dergleichen Lappalien.
Aber alles das liegt an der schlechten Bauart unserer Häuser und an der schlechten Bauart unserer schlechten Gesellschaft. Wie in Menagerien leben wir in Käfigen und in Vogelbauern. Die Löwen verlernen das Brüllen, die Adler das Fliegen und die Nachtigallen das Singen. Unser halbes Leben verstreicht mit nichtsnutziger Arbeit, bei unbefriedigter Sehnsucht. Aus Titanen werden Philister und aus himmlischen Huris: hysterische, alte Jungfern. Zu erbärmlichen, rücksichtsvollen Pedanten hat uns die gute Sitte gemacht, zu rechten Geizhälsen, die ihre Schätze so lange konserviren, bis sie rostig und schimmelich sind. Wir faseln wie der König Salomo, als er 70 Jahr war und meinen wir etwas Neues gesagt oder gethan zu haben, da war es doch nur altes, abgetackeltes Zeug, was die Griechen schon besser sagten und thaten als wir, was längst im Homeros steht, zugänglich für jeden Tertianer.
Ach, nach Kaffe riechen wir, nach Wolle, nach alten Büchern und nach schmutzigen Akten – nur nicht nach Menschen! Schöne Kerls sind wir. Wenn die alten Götter noch leben, so werden sie sich hübsch über uns mokiren, daß wir mit all’ unserm Scharfsinn, mit unserer immensen Klugheit doch nur so
züchtige Krämer geworden sind, so zahme Tagelöhner. Throne werfen wir um und jagen die armen Könige über’s Meer aber unsern sittsamen Zopf, den Rattenschwanz des Aberwitzes behalten wir im Nacken. Möchte uns das Schicksal daran erhängen!
O, es ist Zeit, daß ihr die Mauern einrennt, und die Bretterwände zerschlagt und die Vorhänge zerreißt. Wie die Kinder sollt ihr wieder werden – die Kinder nennen sich Du und Du, und betrügen sich selten, und lachen miteinander und weinen und küssen sich und schlafen sorglos in einem Bette und die Kinder sind die einzigen vernünftigen Menschen auf Erden.
XVI.
Der Baron und der Ritter.
„Nicht wahr, Baron, Sie kennen die Herzogin?“ fragte der Ritter Schnapphahnski.
„„Die Babylonierin, meinen Sie?““ erwiederte der pferdekundige Edelmann.
„Nun, die Herzogin von S.!“
„„Allerdings kenne ich sie. Ich verkaufte ihr einst zwei Schimmel, für 90 Friedrichsd’or, – zwei Schimmel, sage ich Ihnen, wie zwei Engel; zwei Gäule, die ich liebte, die ich vergötterte. Wenn ich an diese zwei Schimmel denke, da werde ich weich, da kommen mir die Thränen in die Augen. Und nur 90 Friedrichsd’or – O, es war entsetzlich!““
„Aber weshalb verkauften Sie so billig?“
„„Weil ich die armen Thiere total zu Schanden gefahren hatte; weil sie keinen Schuß Pulver mehr werth waren.““
„Aber, beim Teufel, da bezahlte die Herzogin noch theuer genug!“
„„Allerdings, Ritter! Aber wer konnte mir meinen Kummer um die armen Thiere bezahlen? Wer bezahlte mir meinen Schmerz, daß ich die herrlichen Gäule so früh ruinirte?““
„Sie sind sehr naiv, Herr Baron!“
„„Ich bin ein Edelmann, Ritter. Seit ich der Herzogin die Schimmel verkaufte, machten wir keine Geschäfte mehr miteinander. Vergebens bot ich ihr das Auserlesenste meines Stalles an. Schecken zum küssen, Füchse zum umarmen, Rappen zum Anbeten – die Herzogin wollte sich auf nichts einlassen. Sie berief sich immer auf die Schimmel; von Neuem
riß sie stets die kaum vernarbte Wunde meines Kummers auf.““
„Aber ich finde, daß die Herzogin alle Ursache dazu hatte.“
„„Ganz natürlich, Ritter; aber als galante Dame hatte sie eben so sehr Ursache, die Geschichte nie wieder zu berühren, nie wieder an die Schimmel zu denken und mir mein Unrecht ein für allemal zu verzeihen. Wenn ich mir als leichtsinniger Mann in meiner Betrübniß, das Vergnügen machte, die Herzogin für lumpige neunzig Friedrichsd’or hineinzureiten, da mußte sie sich als geniale Frau, das Vergnügen machen, mir diesen Trost zu gönnen – jedenfalls ist dies logisch – –““
„Die Logik des Pferdehandels.“
„„Uebrigens werde ich mich mit der Herzogin aussöhnen. Ich werde ihr täglich den Hof machen; denn ich verehre die Herzogin, ich verehre das Gespann, mit dem sie gestern Abend heranfuhr, und ich werde ihr den höchsten Preis dafür bieten, den je ein Standesherr geboten hat.““
„Ist dies Gespann vielleicht ebenfalls zu Schanden gejagt?“
„„Ich bitte sehr um Verzeihung: nicht im Geringsten! Vier Gäule die ihres Gleichen suchen – –““
„Aber wenn die Herzogin nicht verkaufen will?“
„„Nun, da werde ich thun, als ob ich halb verrückt würde.““
„Und hilft auch das nichts?“
„„Da werde ich mich todtzuschießen drohen.““
„Und kommen Sie noch immer nicht zum Ziel?“
„„Nun da werde ich bis zum äußersten gehen, ich werde der Herzogin zu Füßen fallen, ich werde ihre Kniee umfassen, ich werde ihr eine – Liebeserklärung machen.““
Herr von Schnapphahnski taumelte drei Schritte zurück, als ob er plötzlich in der Person des Barons einen der gefährlichsten Konkurrenten sähe.
„Eine Liebeserklärung –?“ erwiderte er endlich mit besonderem Nachdruck.
„„Allerdings, lieber Ritter, denn ich kann nicht länger leben, ohne die vier Hengste der Herzogin.““
„Aber wissen Sie auch, daß die Herzogin fast sechzig Jahre alt ist?“
„„Ich weiß, daß ihre Hengste die schönsten auf der Welt sind.““
„Wissen Sie, daß die Herzogin falsche Waden trägt, falsche Zähne, falsche Haare?“
„„Ich weiß, daß ihre Hengste echte Schweife, echte Mähnen und echte Hufe haben.““
„Wissen Sie, daß Sie sich vor der ganzen Welt lächerlich machen werden?“
„„Ich weiß, daß ihre Hengste Stück für Stück hundert Pistolen werth sind.““
„Wissen Sie, daß es ein Verrath an Ihrer Jugend sein würde, wenn Sie sich mit einer so alten Person einließen?“
„„Ich weiß, daß die Hengste der Herzogin meinen Stall ungemein zieren würden –““
Doch der Baron lachte plötzlich laut auf:
„„Ich wollte Sie nur auf die Probe stellen, lieber Ritter. Es freut mich, daß wir einerlei Meinung über die Herzogin sind. Man sagte mir gestern, daß Sie wirklich mit ernstlichen Absichten auf die Herzogin losrückten. Ich konnte mir dies nicht denken. Nach dem was Sie mir eben von der Herzogin sagen, ist es unmöglich: Nicht wahr, Herr Ritter, die Herzogin ist eine alte Runkelrübe?““ – Herr von Schnapphahnski biß sich die Lippen. – „Eine alte Runkelrübe, die einst der Berggeist Rübezahl in ein Weib verwandelte?“ – Herr von Schnapphahnski blickte verschämt zu Boden. – „„Ein junger Mann wie Sie, sich in eine alte Runkelrübe verlieben – ich wußte es gleich, es war reine Verläumdung!““ Es wurde Herrn von Schnapphahnski sehr unheimlich zu Muthe.
„Aber lassen Sie die Herzogin –“ erwiederte er endlich.
„„Verzeihen Sie, Herr Ritter, Sie selbst haben die Herzogin aufs Tapet gebracht!““
„Jedenfalls ist die Herzogin eine geistreiche Dame!“
„„Eine geistreiche Runkelrübe!““
„Sie ist eine berühmte Frau.“
„„Eine berühmte Runkelrübe.““
„Herr Baron, ich verstehe Sie nicht.“
„„Aber ich verstehe mich auf diese Runkelrübe.““
„Sie scheinen sich über mich lustig zu machen.“
„„Ich mache mich lustig über die Runkelrübe.““
„Herr Baron, ich muß Ihre Redensarten als eine Provokation ansehen!“
Der Baron sah den Ritter erstaunt an.
„„Also Sie interessiren sich dennoch für die Herzogin –?““ Herr von Schnapphahnski sah, daß er besiegt war – „„Beruhigen Sie sich –““ fuhr der Baron fort, „„ich werde ganz in Ihrem Interesse arbeiten – aber als Gegendienst müssen Sie so gut sein, und der Herzogin versichern, daß ihre vier Gäule den – Spath haben – –““ Der Ritter nickte beifällig und der Handel war geschlossen.
XVII.
Der Ritter und die Herzogin.
Der Ritter stand vor der Herzogin, und zierlich bog er sich hinab, ihre Hand zu küssen. Der Handkuß ist die beste Ouvertüre zu dem Gespräch mit einer Dame. Die Adligen kultiviren den Handkuß – wir Bürgerlichen höchstens die Kußhand. Die Adligen haben den Handkuß vor uns voraus; es giebt nichts passenderes und graziöseres als einer schönen Dame passend und graziös die Hand zu küssen. Während sich die Dame majestätisch emporrichtet und den Kopf in den seeligen Nacken wirft, daß die kohlschwarzen Locken wie verliebte Schlangen um den alabasternen Hals flattern: beugt der Ritter seinen unterthänigen Rücken und drückt den Kuß auf die zierliche, souveräne Rechte, höfliche Grüße winselnd, süße Betheuerungen und galante Lügen. Giebt es etwas liebenswürdigeres als den Handkuß? Wenn man mit der Hand anfängt, wer weiß, wo man aufhört!
Als Ritter Schnapphahnski der Herzogin Hand geküßt hatte, hob er sich langsam empor und ließ die erwartungsvolle Dame in ein Antlitz schauen, auf dem der Reiz der jugendlichsten Schüchternheit sich so geschickt mit der Frivolität der Erfahrung zu vereinigen wußte, daß der Herzogin unwillkührlich ein Seufzer entfuhr, ein Seufzer, wie sie ihn lange nicht geseufzt hatte, einer jener Seufzer, für die man gern eine Million giebt, für die man sich in Fetzen schießen läßt, für die man tausend Eide schwört, aber auch tausend Eide bricht!
Aus ihren besten Zeiten hatte sich die Herzogin diesen Seufzer aufbewahrt. Herr von Schnapphahnski erschrak ordentlich, daß die Herzogin noch so natürlich seufzen könne, und schnell die Hand auf’s Herz legend, fragte er in so naivem Tone als nur irgend möglich: „Gilt dieser Seufzer Ihnen oder mir, gnädige Frau? Ihnen kann er unmöglich gelten, denn in heiterer Hoheit sehe ich Sie vor mir thronen, erhaben über allen Seufzern, über jenen Lauten des Schmerzes und der Sehnsucht, die nur mir gehören – ja, gnädige Frau, Ihr Seufzer gehörte mir, er war mein Seufzer, er war die Huldigung, mit der ich Ihnen nahte, mit der ich mich über die Seufzerbrücke des Lebens zu Ihnen hinüberrettete!“
Jedenfalls weiß dieser Schnapphahnski seine Phrasen abscheulich zu verdrechseln – sagte der Baron, indem er den Grafen mehr in die Tiefe des Gemaches zog. Doch der Ritter war bereits im besten Zuge: „Am ersten Tage,“ fuhr er fort, lachte Gott und machte das Licht; am zweiten wurde er noch heiterer und schuf den Himmel. Am dritten Tage wurde er ernst und trocken und schuf die trockne solide Erde; doch am vierten wurde er phantastisch und erfand den Mond und die Sterne, und am fünften wandelte ihn endlich der Humor an und er erschuf, was sich regt in den Höh’n und den Tiefen – am sechsten Tage seufzte er aber und erfand den Menschen, er erfand die Liebe, und seit Jahrtausenden weht nun dieser Schöpfungsseufzer des sechsten Tages durch die Herzen aller Erschaffenen, einem ewigen Echo gleich, das von einer Seele zu der andern wiedertönt, immer neue Töne schaffend, Töne der Freude und Töne des Schmerzes, harmonische und herzzerreißende.“
Es ist schade, daß der Ritter kein Pastor wurde – murmelte der Baron in das Ohr des Grafen. Seh’n Sie nur, wie er gestikulirt: wie ein verrückt gewordener Telegraph! Hat man je etwas Tolleres erlebt?
Die Herzogin hatte sich indeß aufmerksamer emporgerichtet. Sie warf den rothen Kaschmirshawl in geheimnisvollere Falten, und dem Ritter das adlige Profil zeigend, den Handschuh der zierlichen Hand und den kleinen Fuß, erwiederte Sie mit freundlichem Lächeln: „„Aber, in der That, Herr Ritter, Sie führen eine wahre Seufzer-Konversation; Sie müssen entsetzlich unglücklich sein –““
„Entsetzlich! gnädige Frau –“
„„Aber geistreiche Leute sollten nie unglücklich sein; wenigstens sollten sie nie so sehr an ihrem Glück verzweifeln, daß sie sich länger als einen Tag lang ärgerten, oder ennuyirten. – Sagen Sie mir aufrichtig, Herr Ritter, sind Sie seit gestern unglücklich, oder seit heute?““
„Seit zehn Minuten, gnädige Frau!“ – Der Ritter faltete die Hände und sah die Herzogin mit schwärmerischen Augen an. Die Herzogin hätte tausend Louisd’or darum gegeben, wenn es ihr möglich gewesen wäre, in diesem Augenblick leise zu erröthen.
– Seh’n Sie nur, wie er wedelt und scharwenzelt murmelte der Graf. – Wie ein junger Hund vor einer alten Katze, erwiederte der Baron. – Ich hätte ihn nie für einen so großen Komödianten gehalten. – Er hat sich 10 Jahre lang jeden Tag vor dem Spiegel im Gestikuliren geübt. – Es ist gar
kein Zweifel mehr, daß er die Herzogin erobert. – Gott sei gedankt, so erobere ich die vier Hengste! – Graf und Baron zogen sich etwas zurück und unser Schnapphahnski fuhr fort, seine Liebesleiden so rührend zu entwickeln, wie noch nie ein Ritter vor ihm.
Mit jeder Sekunde wurde seine Beredsamkeit blumenreicher und ergreifender; seine Worte galoppirten wie geflügelte Rosse über die Hindernisse der kitzlichsten aller Unterredungen: Wie ein Dichter in dem windstillen Raume seines Studierzimmers sich so lebhaft in den fürchterlichsten Sturm auf offener See versetzen kann, daß er während der Schilderung desselben unwillkürlich nach dem Kopfe greift, um den Hut festzuhalten, so wußte Herr von Schnapphahnski in der Nähe einer fast sechzigjährigen Dame, der Art die Gegenwart eines blutjungen unschuldigen Kindes heraufzubeschwören, daß er wahre Wunder der Naivetät beging und die Herzogin unwillkührlich in den Strudel der süßesten Liebesraserei mit sich fortriß.
„Unglücklich bin ich –“ rief der Ritter, „unglücklich geworden seit zehn Minuten, weil ich noch daran verzweifeln muß, ob ich je wieder glücklich werde. Eine Rose fand ich – darf ich sie brechen? Eine Perle fand ich – darf ich sie an meine Brust drücken? –“
Aehnliche Phrasen entschlüpften dem Ritter zu Dutzenden. Die Herzogin gestand sich, daß sie schon viel dummes Zeug im Leben gehört habe, gewiß aber nicht so viele verliebte Schnörkel, wie sie der Ritter in Zeit von einer halben Stunde produzirte.
„„Reisen Sie, Ritter! Suchen Sie Trost und Zerstreuung auf Reisen –““
„Gnädige Frau, verstoßen Sie mich nicht.“
„„Jagen Sie, Ritter! Suchen Sie Zerstreuung auf der Jagd –““
„Gnädige Frau, verjagen Sie mich nicht.“
„„Treiben Sie Künste und Wissenschaften, Ritter, zerstreuen Sie sich!““
„Lassen Sie mich das nicht in der Kunst suchen, was ich im Leben vor mir habe –“
So dauerte die Unterredung fort, und immer schwärmerischer schaute der Ritter auf die Dame und immer entzückter blickte die Dame auf den Ritter.
Doch ich kann von meinen Freunden nicht erwarten, daß sie die Liebesduselei zweier alter Sünder bis zu Ende lesen sollen. Das Geschwätz zweier Liebenden ist unter allen Umständen langweilig, und wenn auch eine Konversation, wie die der Herzogin und des Ritters, schon ihrer Heuchelei wegen interessanter ist, als eine wirkliche, aufrichtige, jugendliche Aventüre, so bleiben die mehr oder weniger abgedroschenen
Phrasen doch immer dieselben. „Der süße Gram“ und die „holde Noth“ machen sich in schlechtstylisirten Briefen und in erbärmlichen Rede-Floskeln Luft und die Faseleien der Liebe sind unerträglich. Erst da wird die Liebe interessant, wo sie rein-sinnlich auftritt. Die sinnlichen Engel auf Erden sind ganz leidliche und interessante Geschöpfe, aber die geschlechtslosen Engel im Himmel wollen wir dem lieben Gotte überlassen.
Alle Leute, heißt es in unsern Manuscripten, die seinerzeit auf dem Schlosse des Grafen anwesend waren, und die Manöver des Ritters, der Herzogin gegenüber, zu beobachten Gelegenheit hatten, meinten vor Lachen zu sterben. Der Ritter betrug sich wie der sentimentalste Affe und er führte diese Rolle mit einer solchen Konsequenz durch, daß die Herzogin sich immer mehr täuschen ließ, und wunderbarer Weise zuletzt gar nicht mehr daran zweifelte, daß der Ritter ihr mit demselben Verlangen entgegeneile, wie sie sich zu ihm hinübersehnte. Die Herzogin gestand sich, daß sie noch nie so geliebt worden sei. Alle ihre Jugendträume kehrten wieder; Alles was sie genossen, wurde auf’s Neue bei ihr lebendig. Sie glaubte sich in jene Tage zurückversetzt, wo einst die Blüthe der französischen Jugend zu ihren Füßen lag, und in der Gestalt unseres Ritters erschienen ihr alle Männer,
von denen sie Liebes erfuhr. Dem Ritter war es gelungen, was ihm der Graf als die schwierigste Aufgabe geschildert hatte. Es war ihm gelungen, die Jugend der Herzogin in ihr Alter zurückzuzaubern.
Als der Ritter aber so weit gelangt war, da kannte die Dankbarkeit der Herzogin keine Gränzen mehr. Wäre es Schnapphahnski’s Wunsch gewesen: sie hätte wirklich mit Freuden ihre Schlösser in Brand gesteckt und ihre Demanten ins Meer geschleudert. Diese Dankbarkeit der alten, unverwüstlichen Dame soll etwas rührendes gehabt haben. In dem abscheulichen Gewirr der Lügen, der Heuchelei, der widerwärtigsten Eitelkeit und der schamlosesten Intriguen, tauchte diese Dankbarkeit, dem geschmolzenen Gold in seinen Schlacken ähnlich, als das einzig erquickliche Gefühl auf, und versöhnte gewissermaßen das bizarre und ekelerregende des ganzen Umgangs.
Auf unsern Ritter wirkte dies zurück. Zum ersten Male in seinem Leben schämte er sich. Er hatte zu sehr gesiegt, um sich nicht zu schämen. Aus der ersten unnatürlichen Annäherung wurde ein jahrelanges, zärtliches Verhältniß.
Nach dem Besuch auf dem Landsitze des Grafen kehrte damals die Herzogin nach ihrem Schlosse zurück und es verstand sich von selbst, daß sie unsern Ritter mitnahm. Es erfolgte nun ein Zusammenleben,
daß man unmöglich hinlänglich beschreiben kann. Ein griechischer Kultus wird eingerichtet; die Herzogin läßt die Badegrotte mit asiatischem Luxus neu möbliren und hier weilen die Liebenden halbe Tage lang. Odüsseus und Kalypso.
Also geschah’s; da sank die Sonne, und Dunkel erhob sich.
Beide gingen zur Kammer der schöngewölbten Grotte
Und genossen der Lieb’, und ruheten neben einander.
Todtmüde und nach Luft schnappend zieht sich der Ritter endlich nach seinem Gute zurück. Aber hierhin folgt ihm die Schöne, voll ungestillten Verlangens, in Mannskleidern – – –
Groß wie der Dienst, war auch schließlich der Lohn. Auf einen Schlag erhält der Ritter 200,000 Thaler.
XVIII.
Das Resultat.
Komisch würde es sich ausnehmen, wenn man auf unsern heutigen Bühnen, bei hellem lichtem Tage Theater spielen wollte. Unter der ganzen gemalten
Herrlichkeit würde das Eselsohr der Wirklichkeit hervorschauen. Blumen und Bäume würden ihren Glanz verlieren und Salons und prächtige Hallen würden zu wahren Ställen und schofeln Korridoren hinabsinken. Auch die Künstler würden sich ganz anders ausnehmen. Unter einem Almaviva würde man trotz der besten Maske, den Herrn Meyer erkennen, Marquis Posa käme als Herr Fischer zum Vorschein und so würde man einen Jeden an seinen Blatternarben erkennen, an seinem schlechten Schnurrbart oder an irgendeiner andern Vernachlässigung der Schöpfung, und der Herr Direktor würde bald vergebens sein Haus zu füllen suchen.
Wie es dem Direktor mit dem Theater geht, so ging es mir mit der Herzogin von S. Meine letzten Schilderungen würden ebenfalls hübscher geworden sein, wenn ich sie bei Lampenlicht hätte geben können. Aber nur in trocknen Worten, bei unzweifelhaftem Tageslichte mußte ich die Schönheiten jener hohen Dame zergliedern; da half kein Bitten und kein Flehen, die Sache wollte nun einmal beschrieben sein, so oder so, jedenfalls aber gemäß der Wahrheit, und leider mußte ich gehorchen. Meine Leser werden bemerkt haben, daß dies nur mit großem Widerstreben geschah, ich zog die Sache soviel wie möglich in die Länge, und würde mich durch das Zwischenschieben
anderer fremdartiger Geschichten wohl noch länger dagegen gesträubt haben, wenn mich mein Gewissen nicht daran erinnert hätte, daß es besser sei, lieber um kein Haar breit von meinem Texte abzuweichen, und allein der Wahrheit die Ehre zu geben.
Ich blieb bei der Wahrheit und ich war deshalb zehnmal weniger interessant, als wenn ich die Göttin der Lüge umarmt hätte. Wahrheit und Lüge! Die Göttin der Wahrheit ist wie ein sechs Fuß hohes Mädchen, mit blonden Haaren und mit kaltem aber schneeweißem Teint. Aus zwei großen blauen Augen, die wie zwei Himmel in ruhig heiterer Herrlichkeit zu dir niederlächeln, schaut dich die Seele der reinen keuschen Göttin, so unbefangen und doch so feierlich an, daß du nur schüchtern zu nahen wagst, um ihr höchstens die Stirn zu küssen, die hohe, olympische Stirn, und dann eines Befehles zu harren in banger Unterwürfigkeit, den langen, lieben, langweiligen Tag. Es geht uns mit der Wahrheit wie Cupido mit den sämtlichen Musen. Ich entsinne mich nämlich gelesen zu haben, sagt Meister Alcofribas, daß einst Cupido, den seine Mutter Venus frug, warum er nicht die Musen anfiel, zur Antwort gab, er fände sie so schön, rein, ehrbar, sittsam und stets beschäftigt, die eine mit Betrachtung der Sterne, die andere mit Berechnung der Zahlen, die dritte mit geometrischen
Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung u. s. w., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß, und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu thun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören, dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmuth und Lieblichkeit, ja, in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. – So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.
O wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge, oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit, ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare – nein, eine kleine schwarz oder braun gelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege gerathen würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre, wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig,
beweglich; sie tanzt und singt und schmückt ihre Locken mit lustigen Blumen, lachend und weinend, wie es ihr gerade einfällt und immer bleibt sie graziös. Der Wahrheit mußt du huldigen wie einer Königin, und was sie dir giebt, das giebt sie dir aus Gnade. Nicht so die Phantasie. Statt ihr nachzulaufen, läuft sie mitunter dir nach, und bist du ein hübscher Junge, da besucht sie dich in den Nächten des Frühlings und schlingt ihre weichen Arme um deinen Nacken und küßt dich und am Morgen wachst du verwundert auf. Die nackte Wahrheit ist eine englische Ehefrau; die schöne Lüge eine französische Grisette.
Doch zurück zu Schnapphahnski!
Es war die höchste Zeit, daß unser Ritter in seinen Unternehmungen reussirte; er siegte noch gerade zur rechten Zeit über die Herzogin; ihre Großmuth konnte ihn noch retten. Die bedeutenden Besitzungen der Schnapphahnski’schen Familie im östreichischen Schlesien, sollten nämlich öffentlich verkauft werden, da der Ritter nicht mehr imstande war, sie zu halten. Schon war der Versteigerungstermin bestimmt, und ein Bevollmächtigter des K. von H. präsentirte sich, um die enorme Besitzung zu erstehen. Da trat jene Wendung in dem Leben unseres Ritters ein .... Die Herzogin von S. schwärmte für Schnapphahnski und kein Opfer war ihr zu groß,
um dem unglücklichen Manne zu helfen. Durch ihren Einfluß wußte sie es dahin zu bringen, daß der K. von H. seinen Bevollmächtigten zurückzog, und die Idee des Kaufes fahren ließ – – Andere Bieter waren bei der ungemeinen Beträchtlichkeit der Herrschaft nicht zu fürchten, und nicht vorhanden und die Herzogin gab dann dem Ritter 200,000 Thaler, damit er die ganze Geschichte halten konnte. Hiermit nicht zufrieden, veranlaßte der Ritter seine Gönnerin außerdem noch, nach und nach die Hypotheken, welche auf den andern Gütern lasteten, abzulösen und so mit seinen bedeutendsten Schulden tabula rasa zu machen – unser Freund war einer der Glücklichsten unter der Sonne.
Ihr erinnert euch jener Sage von einem verwünschten Schlosse? Disteln und Dornen waren hoch um die alten Mauern gewachsen und bildeten mit den epheuberankten Bäumen des Waldes einen undurchdringlichen Kranz, der die ganze Feste einschloß. Todtenstille herrschte in dem prächtigen Raume. Auf dem Hofe schlummerten Hunde und Katzen; regungslos standen im Stalle die edlen Rosse, eben noch bedient von rüstigen Knechten, die plötzlich bei der Arbeit eingeschlafen waren und mit halb geschlossenen Augen träumerisch an den Krippen lehnten.
In der Küche nickten Koch und Küchenjunge, und da und dort saßen die anderen Dienstboten, alle
wie vom Schlage gerührt. In den Hallen des Saales ruhten aber auf weichen Polstern: Herren und Damen, beim Bankett vom Schlafe überrascht, die Becher noch in Händen, mit gesenkten Häuptern.
Kurz, alle lebenden Wesen des Schlosses, von den Helden des Saales an bis zu der Fliege an der Wand, waren behext und vom Zauber berückt und schlafen würden sie vielleicht noch heute, wenn sich nicht einst ein jugendlicher Ritter mit dem Schwerte Bahn durch die Disteln und Dornen geschlagen hätte und keck hinein in den verwünschten Raum gedrungen wäre.
Er sah sich verwundert um und er begriff, daß dieser Zauber nur auf ganz eigenthümliche Weise gelöst werden könne. Wochen lang hätte er die Herren und die Diener rütteln und schütteln können: sie würden doch nicht wach geworden sein. Er schritt daher die Wendeltreppe des Thurmes hinauf und als er hoch oben in ein kleines Gemach trat, da fand er auf weiche Kissen hingegossen: die schönste Jungfrau. Die Locken ruhten neben dem lieblichen Köpfchen und die Lippen leuchteten in rosiger Frische.
Entzückt war der Ritter und lange schwelgte er in dem seligen Anblick. Als er sich aber genug erquickt hatte, da bog er sich hinab und es verstand sich von selbst, daß er die Schöne mitten auf ihren rothen Mund küßte – da war der Zauber gelöst!
Im Hofe erwachten Hunde und Katzen; im Stall die Rosse samt ihren Knechten; in der Küche fuhr Koch und Küchenjunge empor und erwachend reckten die übrigen Dienstboten ihre steif gewordenen Glieder. Die Herren und Damen des Saales regten sich nicht minder: sie fuhren in ihrem Bankett fort und ahnten kaum, daß sie ein Paar hundert Jahre lang geschlafen hatten.
Kurz, alles wurde lebendig, von den Helden des Saales an, bis zu der Fliege an der Wand, dann oben im Erker küßte der Ritter die Jungfrau, und vom Traume erwachend, sank sie liebeseufzend an seine Brust.
Gelehrte Leute behaupten, der ganze Zauber rühre von dem Stich einer Spindel her und nur durch einen Kuß könne so etwas wieder gut gemacht werden – –
Ich weiß nicht, wie es darum steht, soviel ist aber gewiß, daß die Umarmung des Ritters Schnapphahnski und der Herzogin von S. denselben Einfluß auf die verschuldeten Güter des erstern hatte, wie der Kuß des Ritters der Sage und der schlafenden Jungfrau, auf das verwünschte Waldschloß. Der Kuß des Ritters entzauberte das Schloß; die Umarmung unseres Schnapphahnski enthypothesirte seine sämtlichen Besitzungen.
Wie die Rosse des Waldschlosses froh in die Luft hinauswieherten, daß endlich der Spuk gelöst sei, so huben sich auch die Merino Mutterschaafe und Böcke der Schnapphahnski’schen Güter freudig empor und blöckten ihrem schuldenfreien Herrn ein lustiges Willkommen.
Schnapphahnski hatte keine Schulden mehr.
Jeder, der einmal Schulden hatte, wird die Seligkeit dieses Gefühles zu begreifen wissen. Schulden gehören zu den unangenehmsten Rückerinnerungen; Schulden sind gewissermaßen der Katzenjammer längst verrauschter Genüsse. Alle dummen Streiche, die wir im Leben begingen, treten in den steifen Ziffern unserer Schulden noch einmal ärgerlich vor unser Gedächtniß und mit widerlichen Grimassen grins’t die Vergangenheit in unsere Gegenwart herein.
Das Schlimmste bei den Schulden ist indeß, daß wir mit den Schulden Gläubiger bekommen! Diese ernsten, mürrischen Leute, die uns auf der Straße mit Nasenrümpfen anschauen, die schon in der goldenen Frühe an unsere Thür pochen, um uns all ihren Jammer vorzuleiern, ja, die uns gar bei der Arbeit überraschen, wenn wir mit den höchsten Weltinteressen beschäftigt sind, um uns von dem Sinai unserer Gedanken in das todte Meer ihrer kleinbürgerlichen Misere hinabzuziehen – O es ist entsetzlich!
Aber das ist die Ironie des Schicksals, daß schon mancher Titate, der für das Heil der Menschheit schwärmte, nicht einmal seine Hosen bezahlen konnte – –
Mensch mache keine Schulden! Ein Gläubiger ist erboster als eine Hornisse, beständiger wie der Teufel und langweiliger als ein Engel.
Mit dem Bezahlen der Schnapphahnski’schen Schulden glaubte die Herzogin indeß noch nicht genug gethan zu haben. Vor allen Dingen wollte sie ihm wieder Bahn in die Berliner Gesellschaft brechen. Nur eine Herzogin von S. konnte eine solche Aufgabe übernehmen. Eine Frau, die alle Intriguen des ancien regime und der Revolution kannte, die alle Wechselfälle des Kaiserreichs, der Restauration und der Dynastie mit durchgemacht hatte, schrak vor nichts zurück. Imponirend durch ihre Kühnheit, durch ihre Erfahrung und durch ihren kolossalen Reichthum, sehen wir sie zugleich mit unserem Ritter in Berlin auftreten. Die alten Feinde Schnapphahnski’s regen sich an hundert Orten; aber ohnmächtig sind sie gegen die Energie der Herzogin; die heillosesten Geschichten ihres Freundes werden zu den liebenswürdigsten Abenteuern; Haß, Spott, Gelächter: Alles weiß sie zu besiegen. In einer Audienz bei dem Gespiel ihrer Jugend, weiß sie Schnapphahnski’s
Zulassung zu den höchsten Kreisen durchzusetzen. Der Ritter wird wieder „möglich,“ er faßt Fuß, er bekommt eine Stellung und – muß geduldet werden.
Schnapphahnski’s politische Laufbahn beginnt.
XIX.
Die Römerfahrt.
Ehe wir unserm Ritter auf dem dornenvollen Pfade der Politik folgen, müssen wir noch eine Episode seines Lebens berühren, die zu merkwürdig ist, als daß sie übergangen werden dürfte. Es thut uns nur leid, daß wir etwas weit von dem bisherigen Schauplatz der Begebenheiten abschweifen müssen. Schon einmal begleiteten wir unsern Helden bis nach Spanien; heute müssen wir ihm nach Italien folgen. Damals begleiteten wir ihn bis in das Leihhaus von Pampeluna; heute folgen wir ihm bis zu den Füßen des Heiligen Vaters.
Wir haben nämlich nichts mehr und nichts weniger zu erzählen als die Römerfahrt unsres Ritters.
Alle großen Sünder verrauschter Jahrhunderte hielten es für ihre Pflicht, wenigstens einmal im Leben, wenn auch nicht nach dem Heiligen Grabe, so doch nach Rom zu wallfahrten, um dort von allen Skrupeln erlöst, desto ruhiger in einen neuen Sündenabschnitt ihres Lebens hineinzusteuern.
Jede Zeit hatte ihre Sitte; so auch die damalige. Die Griechen brachten den Göttern Hekatomben; das Mittelalter pilgerte nach Rom; wir sündigen Menschen der Jetztzeit pilgern höchstens nach Paris.
Nach Paris, dem welschen Babylon! Nach der heiligen Stadt der schönen Babylonierinnen! Auf den Boulevards zu spazieren, zu tanzen in den Champs Elisées, und zu Mittag speisen bei Very für 48 Fr. – O welches Vergnügen! Wie ein Araber in Mecca, wenn er die Arme kreuzend und blumenreiche Gebete murmelnd in die heilige Kaaba tritt, so trat ich Mabille in Deinen Garten und neigte mich, o Babylon, vor deinen Frauen!
Die Rosen dufteten, die Seide rauschte.
„Hörner, Pauken und Trompeten
Tönten jubelnd die Fanfare
Und wir riefen Alle: Heil!
Heil der Königin Pomare!“
Herr von Schnapphahnski hielt aber fest an
den Sitten der Väter; Sr. Hochgeboren waren ein guter Katholik – Niemand wird ihm dies verdenken.
Die protestantische Religion ist eine Religion für Kaufleute und Fabrikanten – – Herr von Schnapphahnski war weder Kaufmann noch Fabrikant sondern, wie gesagt, ein guter Katholik. Nichtsdestoweniger machte er aber von Zeit zu Zeit seine Bilanz, d. h. seine geistige, oder Seelen-Bilanz, indem er sich dann jedes Mal den Saldo seiner Sünden von der guten Mutter Kirche quittiren ließ. Eine materielle Bilanz brauchte der Ritter um so weniger zu machen, da ja die Herzogin von S. seine sämmtlichen Schulden bezahlt hatte.
Mit der geistigen, oder Seelen-Bilanz unseres Helden sah es diesmal schlimm aus. Der edle Ritter hatte viel auf dem Herzen. Seit mehreren Jahren hatte er die Sünden-Conti seines Gewissens nicht abgeschlossen, und wenn er die Folio-Seiten seines Gedächtnisses durchblätterte, so fand er nur gar zu viele dittos in seinem Debet – höchst wenige im Credit.
Unser Ritter ging daher eines Tages sehr ernstlich mit sich zu Rathe; er zerbrach fünf Federmesser und zerschnitt zehn Bleistifte. Nachdem er aber die fünf Federmesser zerbrochen und die zehn Bleistifte zerschnitten hatte, schnitt er mit dem sechsten Federmesser den eilften Bleistift und entwarf die folgende:
Geistige oder Seelen-Bilanz
des berühmten Ritters Schnapphahnski.
| | | | Soll | | Haben |
Abenteuer | in | O. in Schlesien | 1 | Sünde | Tugenden | 00 |
" | " | Troppau | 1 | " | Saldo der Sünden | 30 Sünden |
" | mit | Carlotten | 1 | " | | |
" | " | den Diamanten | 1 | " | | |
" | " | der Tochter Atta Trolls | 1 | " | | |
" | in | Brüssel | 1 | " | | |
" | " | München | 1 | " | | |
" | " | Wien | 1 | " | | |
" | " | Berlin | 1 | " | | |
" | auf | einer Insel der Nordsee | 1 | " | | |
" | Verschiedene | 20 | " | | |
| | Summa: | 30 | Sünden | Summa: | 30 Sünden |
Saldo Vortrag | 30 | Sünden | Mögliche Absolution | 30 Sünden |
Unsere Leser werden gestehen, daß diese Abrechnung eben nicht sehr günstig für unsern Ritter ausfiel. Wenn nicht der Pabst ebenso großmüthig war, wie die Herzogin von S., so ließen sich die geistigen Angelegenheiten unseres Helden bei weitem nicht so leicht ordnen, als es eben erst mit seinen materiellen Verhältnissen geschah. Herr von Schnapphahnski wollte aber nichts unversucht lassen, und so trat er denn eines Morgens in das Zimmer der Herzogin und sprach in der Weise Ritter Tannhäusers die folgenden berühmten Worte:
„Mein Leben das ist worden krank,
ich mag nit lenger pleiben;
nun gebt mir urlob, frewlin zart,
von eurem stolzen leibe!“
Die Herzogin erschrak natürlich im höchsten Grade und begriff nicht gleich, was die Geschichte zu bedeuten hatte. Sie war erst eben so gefällig gewesen, die Schulden ihres Freundes mit baaren 200,000 Thalern zu bezahlen, die Ablösung vieler kleinen Hypotheken ungerechnet; und nun wollte der Ritter schon wieder fortziehn: das war nicht recht! Es fiel ihr im Traume nicht ein, daß der Ritter zur Buße seiner Sünden nach Rom pilgern wollte – – Ohne sich daher an die altdeutsche Sprachweise ihres Freundes zu stören, fuhr die Herzogin in der Manier der Frau Venus fort zu reden und erwiederte:
„Danhäuser, nit reden also!
ir tund euch nit wol besinnen;
so gen wir in ain kemerlein
und spilen der edlen minne!“
Die Herzogin lispelte diese Worte gerade so verführerisch, wie sie einst Frau Venus gesprochen haben mag. Der Ritter schien aber wenig davon erbaut zu sein; er schüttelte mit dem schönen schwarzlockigen Kopfe und ohne von den Thränen Notiz zu nehmen, die aus den Augen der hohen Dame in den rothen Kaschmirshawl rieselten, öffnete er zum zweiten Male den holdseligen Mund und antwortete, indem er die Hände in die Hosentaschen steckte, mit sehr accentuirtem Tone:
„Eur minne ist mir worden laid,
ich hab in meinem Sinne:
fraw Venus, edle fraw so zart!
ir seind ain teufelinne.“
Hierüber entsetzte sich die Herzogin nur um so mehr, so daß sie unwillkürlich ein Kreuz schlug, was sie seit dem Einzug der Alliirten in Paris nicht mehr gethan hatte. Tödtlich wäre es der Herzogin gewesen, ihren Schnapphahnski zu verlieren; hätte sie nicht ihren kahlen Kopf gefürchtet, sie würde die Perrücke vor Verzweiflung unter die Decke geschleudert haben. Mit den Zähnen konnte sie ebenfalls nicht knirschen, denn, wie unsern Lesern bekannt ist, waren sie mehr ein Produkt des Zahnarztes als der Mutter
Natur. Das Rollen der gewaltigen Augen durfte daher einzig und allein den Zorn ihres Innern zu erkennen geben und dies Augengeroll war entsetzlich: zwei Roulettescheiben glaubte man in wilder Bewegung zu sehn.
Vergebens waren aber alle Anstrengungen: der Ritter beharrte auf seinem Vorhaben und die Herzogin würde sich gewiß mit einer Haarnadel den Tod gegeben haben, wenn der muntere Schnapphahnski nicht plötzlich den Schluß des berühmten Tannhäuser Liedes gesprochen und ihr erklärt hätte:
„Ich will gen Rom wol in die statt
gott well mein immer walten!
zu einem bapst der haist Urban
ob er mich möcht behalten – –“
Als nemlich der Ritter diesen Vers citirt hatte, trocknete die Herzogin ihre Thränen aus beiden Roulettescheiben und sprang empor mit dem Schrei des Entzückens.
„Ja, zum Pabst! zum Pabst Urban!“ rief sie – „wenn er dich auch nicht behalten soll, so soll er dich wenigstens erlösen. Ja, nach Rom, zum Pabst! ich werde dich begleiten – –“ mit beiden Armen umschlang die Herzogin ihren geliebten Ritter.
Am nächsten Morgen waren sie auf dem Wege nach Italien.
Meine Leser können unmöglich verlangen, daß ich ihnen die Abenteuer dieser italienischen Reise haarklein erzähle. Ich dachte damals noch nicht an den Ritter Schnapphahnski, und bestach daher weder einen Kutscher noch eine Kammerfrau, um mir alle die süßen Geheimnisse mitzutheilen, die zwischen der kalten Jungfrau und dem feurigen Vesuv vorgefallen sein mögen. Genug, unser glückliches Paar reiste von der Jungfrau bis fast an den Vesuv, d. h. bis nach Rom. – Es versteht sich von selbst, daß unsere Pilger nicht wie die Pilger von ehedem, zu Fuß in härenem Gewande, ihre Straße zogen. Nein, sowohl Frau Venus als Ritter Tannhäuser stimmten in der Ansicht überein, daß der religiöse Fanatismus mit einer bequemen Karosse wohl zu vereinbaren sei. Indem sie nicht nur bequem, sondern höchst elegant reisten, befolgten sie sogar recht eigentlich das Prinzip des Katholizismus, denn die Katholische Religion ist die Religion des Glanzes und der Pracht.
Gerade das macht den Katholizismus liebenswürdig, daß er ein Auge für das Schöne, für das Sinnliche hat. Alles was sinnlich ist, ist aber ewig und so glaube ich auch an die Ewigkeit des Katholizismus. Man lache mich ja nicht aus! In keinem Falle muß man mir aber mit den Griechen kommen. Man könnte mir nämlich vorwerfen, die Griechen
seien auch im höchsten Grade sinnlich gewesen, und trotzdem wären ihre Götter verschwunden und Niemand denke und Niemand glaube mehr an sie – – dummes Zeug! die Griechengötter leben bis auf den heutigen Tag.
O, ich habe das einem meiner alten Lehrer an der Nase angesehen. Am Morgen gab er uns nämlich den nüchternen protestantischen Religionsunterricht und dann war er ledern, zum verzweifeln. Steif wie ein Stockdegen stand er vor uns, seine Ohren waren länger als gewöhnlich, seine Gesichtsfarbe war bleiern fahl und die Worte haspelten sich aus seinem Munde los, wie ein dünner langweiliger Zwirnsfaden von einer unbeholfenen Spuhle – o, es war entsetzlich, wie man uns peinigte! Da kam der Abend; und derselbe Mann, der uns Morgens den Katechismus einpaukte, er schlug den Homer auf und las uns einen Gesang der Odüsse vor. Anfangs holprig und poltrig. Man merkte, daß der arme Mann erst das Christentum vergessen mußte, um ganz wieder Heide zu werden. Aber allmälig ging es besser, mit jeder Strophe gewann seine Stimme an Wohlklang. Es war, als wenn der ganze Mensch von Minute zu Minute anders geworden wäre. Der Rücken hörte auf steif zu sein, die Ohren wurden kleiner, sein Gesicht belebte sich,
seine Augen funkelten; der Schulmeister war ein Mensch geworden, ja, der arme Teufel war plötzlich ein schöner Mann und er riß uns fort und athemlos horchten wir, und war er zu Ende und blitzten Freudenthränen in seinen Wimpern, da stürzten wir auf ihn los und warm drückte er uns die Hände und heiter eilten wir in die Nacht hinaus, wo die Sterne am dunkeln Himmel heraufzogen, feierlich, prächtig – ach, und wir glaubten an die alten Götter.
Der Mann, der uns zu Christen machen sollte, er machte uns zu Heiden. Ich werde ihm das nie vergessen. Dankbar will ich seiner gedenken.
Herrn von Schnapphahnski erwartete in Rom der beste Empfang. Frau Venus protegirte ihn herrlich und zum Lohn für seine Sünden schmückte man seine Brust mit einem der höchsten Orden der Christenheit.
XX.
Die Politik.
Von Rom kehrte unser Ritter zurück nach Berlin. Er trat jetzt bei weitem anders auf als früher, denn die Herzogin hatte ja alle Schwierigkeiten seines Daseins aus dem Wege geräumt. Herr von Schnapphahnski konnte sich nicht nur wieder auf der Straße sehen lassen, nein, er hatte auch wieder Zutritt zu den besten Kreisen und allerhöchsten Ortes stand er von Neuem sehr gut angeschrieben. Zu allen diesen Errungenschaften kam jetzt noch die Huld des Pabstes und der Nimbus, die ihm die ganze italienische Reise verlieh - in der That, es gab nicht leicht einen Menschen, der in so kurzer Zeit mehr auf den Strumpf gekommen wäre, als unser Ritter.
Alles drängte sich an ihn heran, um ihn zu protegiren und um von ihm protegirt zu werden. So machte man Schnapphahnski z. B. zum Direktor eines großen industriellen Unternehmens; eine Stellung, die er dadurch geschickt zu seinem Vortheile zu benutzen wußte, daß er die ganze Anlage auf
den Namen einer der höchstgestellten Personen des Landes taufen ließ, und sich natürlich dadurch die besondere Gunst derselben sicherte. Vor allen andern war es aber stets die Herzogin, die unserm Ritter getreu blieb. Sie konnte nicht mehr ohne ihn leben. Ging er von seinen Gütern nach Berlin, so folgte sie ihm; reiste sie nach Berlin, so mußte er ihr folgen. Schnapphahnski beutete diese Anhänglichkeit ganz in seinem Interesse aus. Wenn die Herzogin nämlich ihren Liebling einlud, so weigerte er sich gewöhnlich ihrem Rufe zu folgen, unter dem Vorgeben: seine Vermögensverhältnisse zwängen ihn, den Luxus, den er als Er (!) in Berlin machen müsse, zu vermeiden und auf dem Lande zu bleiben. Dies Argument konnte dann stets nur auf eine Weise aus dem Wege geräumt werden, nämlich durch baare Zahlung. Regelmäßig schickte ihm die Herzogin für eine vierwöchentliche Reise nach Berlin 20,000 Thaler; allermindestens 10,000 Thaler.
Die Herzogin war reich genug, um allen ihren, wie allen Launen ihres Ritters genügen zu können. Denn, wie wir früher schon erzählten, hatte sie nicht nur, mit Ausnahme von 80,000 Francs Revenue, welche an die Gemahlin des Grafen C., die vermeintliche Tochter des alten T. gingen, das ganze Vermögen jenes berüchtigten französischen Diplomaten
geerbt, sondern auch noch seit 1839 den Besitz der sämmtlichen Güter ihrer ältern Schwester angetreten.
Diese ihre älteste Schwester, welche wir schon früher, als die Erfinderin der berühmten schwarzen Haar-Tinktur erwähnten, war nämlich plötzlich gestorben. Ob sie, wie die alte Mars, eben an der Tinktur starb: haben wir nie ergründen können. Die Mars, die viele Jahre lang an unsäglichen Kopfschmerzen litt, soll nämlich dadurch zu Grunde gegangen sein, daß die Tinktur allmählig durch die Poren in das Innere des Körpers drang, und diesen langsam vergiftete.
Genug, die alte Herzogin starb und ihr Tod erregte große Sensation, da man die Herzogin allgemein für unsterblich hielt.
Es ist nicht zu verwundern, wenn die englische Aristokratie, bei ihrer gesunden, vernünftigen Lebensweise, in den meisten Fällen ein wahrhaft alttestamentliches Alter erreicht; wenn aber der lasterhaftere französische oder deutsche Adel sich bis in die achtzig oder neunzig versteigt, so heißt dies wirklich dem lieben Gotte einen Streich spielen.
Die Herzogin hatte sich, wie gesagt, den Tod länger vom Halse zu halten gewußt, als dies die kühnsten Sterndeuter für möglich hielten. Ein fünfzigjähriges Genießen, im weitesten Sinne des Wortes,
hatte vergeblich an ihrem schönen Körper gerüttelt. Vom Jahre 1800 bis 1819 zu drei verschiedenen Malen vermählt, wiegte sie nicht nur nebenbei die glänzendsten Persönlichkeiten der damaligen Zeit - darunter auch den damals jugendlich reizenden, jetzt gefallenen Fürsten M. auf ihrem Schooße: nein, sie wußte auch noch bis in die dreißiger Jahre hinein, eine solche Virtuosität zu behaupten, daß ihr endlicher Tod in der That durchaus unvermuthet kam und als sonderbares Faktum in der galanten Welt betrauert wurde.
Einmal mit ihren irdischen Resten unter der Erde, verfielen ihre irdischen Besitzungen über der Erde, den hinterlassenen tiefbetrübten Schwestern, und zwar in der Weise, daß die zweite und die dritte Schwester auf jene Besitzungen als auf das Majorat des schon längst verstorbenen Vaters, des Herzogs von K., noch vor der jüngsten Tochter, der von uns so genau geschilderten Herzogin von S., Anspruch machen konnten.
Die zweite Schwester, die Herzogin von H. und die dritte, die Herzogin von A., lebten aber in zu wenig vortheilhaften Umständen, als daß sie den Besitz des verschuldeten Majorats hätten antreten können, und verkauften ihre Ansprüche daher an die jüngste Schwester, an unsere Herzogin von S., eine
Abtretung, die gehörigen Ortes bestätigt wurde, und durch ihre eigenthümlich mittelalterliche Form seinerzeit viel Furore in der juristischen Welt machte.
Die Freundin unseres Ritters, nachdem sie so alle Güter der Familie ihren sonstigen Besitzungen hinzugefügt hatte, richtete sich dann in S. eine Art von Hofstaat ein, die Crême der Aristokratie um sich versammelnd und abwechselnd da und in Berlin lebend, im besten Einverständniß mit einem Herrn und einer Dame, deren hohe Stellung es uns verbietet, mehr Worte über dieses Verhältniß fallen zu lassen.
Die Erlebnisse unsres Ritters gewinnen inzwischen auch ein so allgemeines Interesse, daß wir ihm wirklich unsre ausschließliche Aufmerksamkeit schuldig sind.
Nach der bei der Herzogin gemachten Eroberung, nach der italienischen Reise und nach der Wiedererlangung einer Stellung in der Berliner Gesellschaft, beginnt nämlich, wie wir bereits bemerkten, die politische Laufbahn unsres Helden.
Schnapphahnski: Politiker! Sollte es möglich sein! Aber unser Held ist zu Allem fähig. Deswegen auch zur Politik.
Die ewig denkwürdige Epoche der Provinzial-Landtage, mit ihren großen Erfolgen: Der Emancipation
der Nachtigallen u. s. w. ging zu Ende. Das Patent des 3. Februar 1847 erschien und am 11. April eröffnete Se. Majestät der König von Preußen, mit einer Rede „ohne Gleichen“, „ohne Beispiel“ den Vereinigten Landtag.
Es verstand sich von selbst, daß der politische Ehrgeiz aller gesellschaftlichen Klassen durch dieses Ereigniß in die lebendigste Bewegung gerieth und es konnte nicht ausbleiben, daß auch unser Ritter von diesem Fieber angesteckt, das Bedürfniß fühlte, dem Vaterlande einmal als großer Mann gegenüber zu treten.
Die Herzogin hatte unsern Helden oft darauf aufmerksam gemacht, daß er sich à tout prix in die Politik hineinstürzen müsse. Die Krautjunkerei pure et simple, die der Ritter bisher trieb, konnte natürlich der ausgezeichneten Dame wenig gefallen. Sie war geistreich genug, um zu begreifen, daß die compakte, hausbackene Liebe erst dann ihren rechten Reiz erhält, wenn sie mit den „strong emotions“ des öffentlichen Lebens Hand in Hand geht. Einen Krautjunker zu umarmen, einen harmlosen, schönen Wasserpolacken, dessen Abenteuer, so wunderlich sie auch sein mogten, doch keineswegs den Horizont des schon oft dagewesenen passirten: konnte ihr unmöglich auf die Dauer genügen.
Die Herzogin war zu sehr an den Umgang mit weltgeschichtlichen Persönlichkeiten gewöhnt, als daß sie nicht in unserm Ritter, außer dem bel homme auch noch den Politiker, den Staatsmann, den Redner zu umfangen gewünscht hätte. Ihre in diesem Sinne gemachten Andeutungen waren denn auch unserm Helden nicht entgangen, und wenn ihn schon seine eigne Eitelkeit zu einer politischen Karriére trieb, so sah er schließlich nur einen doppelten Nutzen, wenn er daran dachte, daß ihn auch der geringste Erfolg immer vortheilhafter mit der Herzogin verbinden würde.
Du willst als Staatsmann auftreten – – sagte Schnapphahnski daher eines Morgens zu sich selbst, indem er den Kopf auf die Hand stützte – Eh bien! und er besann sich auf Alles, was er je von berühmten Rednern gehört, gesehen und gelesen hatte. Die Alten lagen unserm Helden zu fern. Ein Römer und Schnapphahnski – – der Ritter fühlte, daß er nie ein Römer werden würde.
Ohne Weiteres wandte er sich daher der neuen Zeit zu und gewiß würde er sich der Heroen der Constituante und des Konvents erinnert haben, wenn er nicht bei dem Gedanken an diese „blutdürstigen Ungeheuer“ ein solches Herzklopfen bekommen hätte, daß er sich schleunigst der allerneuesten Zeit zuwandte
– – da war unser Ritter zu Hause! Denn bis in die kleinsten Details hinein war ihm das parlamentarische Leben der Franzosen und Briten gegenwärtig.
Sollst du ein Montalembert werden, hinreißend durch Beredtsamkeit, imponirend durch altadlige Kühnheit und unterjochend durch jene mystisch-katholischen Wendungen, die wie ein riesiger Trauerflor seiner Rede nachwallen? Oder ein Larochejacquelin, lebendig, auf seinem Thema reitend wie auf geflügeltem Rosse, frech und herausfordernd, sarkastisch-witzig und erobernd durch die ritterliche Keckheit eines ungebändigten Edelmanns? Oder sollst du Lamartine nachahmen, bald vornehm durch die Nase sprechen und bald in blumenreichen Redensarten dich ergießen, von der Vorsehung säuseln und durch den Namen Gottes Effekt zu machen suchen; ja, historische und literarische Reminiscenzen auskramen, und deine Zuhörer mit dir fortziehen in das rosenduftende Paradies der Rhetorik, wo da wenige praktische Wege und Stege sind, aber desto mehr weiche Mooshügel, Palmen, Trauerweiden und ähnliche wohlfeile dichterische Gegenstände? Oder sollst du dir den Herrn Guizot zum Muster nehmen, den kalten, tugendhaften Mann, oder gar den kleinen bethörenden Thiers, der sich wie eine Schlange auf die Tribüne hinaufwindet
und so allerliebst von Allem spricht, was er weiß und was er nicht weiß – –? Unser Ritter wurde immer tiefsinniger.
Aber auch die Geister des britischen Parlaments stiegen vor unserem Helden herauf. Sollst du dich naiv ausdrücken wie der alte Wellington? Sollst du den Rufer im Streit, den Lord Stanley spielen? Sollst du dich Lord Campbell nähern und behaupten, du sei’st ein großer Rechtsgelehrter? Oder sollst du dir gar Henry, den unvergleichlichen Lord Brougham zum Vorbild nehmen? Das wäre eine Rolle!
Ja, und im Unterhaus, wen nimmst du dir da zum Muster? Sollst du ein Sir Robert Peel, in weißer Weste und im blauen Frack, vor deine Zuhörer treten, jetzt die Rechte feierlich erhebend, und jetzt rasselnd die grüne Papierdose schlagend? Oder sollst du wüthen wie Roebuck, der ewige Krakehler, oder die Interessen der Tory’s vertreten wie ein Lord George oder ein Ferrand? O göttlicher Lord George, der du aus dem Jockey-Klub kamst und im Parlamente dich erhobst, als der Erste deiner Partei, o, wenn ich dir nicht gleichen kann, so laß mich wenigstens deinem Freunde Disraeli ähnlich sehn, wenn er im Wirbelwinde der Beredsamkeit seine Feinde zu Boden wirft, ihren alten Ruhm entwurzelnd und tabula rasa machend mit ihrem ganzen Einfluß!
Was sind die Lorbeeren der Literatur, was die Lorbeeren des Schlachtfelds gegen die Lorbeeren der Tribüne!
Staunen soll man, wenn ich mich einst erhebe! Schnapphahnski, o Schnapphahnski! was steht dir bevor! In wenigen Worten wirst du z. B. bei irgend einer Debatte auseinandersetzen, wie es eigentlich gar nicht von Nöthen sei, so vielen herrlichen Reden noch die deine folgen zu lassen, und wie nur die Wichtigkeit des vorliegenden Gegenstandes dich zu einigen einfachen Bemerkungen veranlassen könne – einfache Bemerkungen, die sich durch zwei oder drei Stunden hinwinden. Kurz und bündig ziehst du dann die Gränzen deiner etwaigen Rede – um natürlich nie innerhalb dieser Gränzen zu bleiben, sondern abzuschweifen und dich über Spanien und Portugal zu ergehen, über die heilige Allianz zu sprechen und über die Noth der arbeitenden Klasse, über deine Zuneigung zu Don Carlos und über englische Wettrennen und über Alles, nur nicht über das, was ursprünglich zum Ziele gesteckt wurde.
Bist du mit deiner Exposition fertig, so gibst du dich an die Argumentation und argumentirst mit Händen und Füßen, bis es deinen Zuhörern gelb und grün vor den Augen wird, ja, bis sie zu gähnen anfangen aus reinem Erstaunen vor deiner entsetzlichen
Gelehrsamkeit. Dann aber brichst du plötzlich ab und rüstest dich zu der ersten Attaque auf deine Gegner, ein Uebergang, der nie seine Wirkung verfehlt, der die Einschlafenden emporrüttelt und sie unwillkührlich in einen neuen Strom deiner Beredsamkeit hineinreißt. Mit Keulen schlägst du anfangs um dich, mit dem Morgenstern echt adliger Unverschämtheit; dann ziehst du den krummen Säbel des Humors und zuletzt spielst du mit dem Dolche des Witzes, der spitz die Herzen trifft und tödtet, wo bisher nur verwundet wurde.
Schrecken, Lachen und lustige Thränen folgen deinen Worten – doch da änderst du plötzlich deinen Ton, und wie du bisher als gewandter Gladiator deinen Gegenstand tief im Staube behandeltest: so schwingst du dich jetzt auf das stolze, hochtrabende Schlachtroß des Pathos und galoppirst zermalmend über die Kadaver deiner Feinde, die Posaune des Sieges an die Lippen drückend, um unter dem kaum verhaltenen Jubel der Versammlung in wenigen mystischen Worten den Schluß zu sprechen, wo die Stenographen sich den Schweiß von der Stirn trocknen, und das Haus „is ringing with cheers for several minutes“.
Schnapphahnski sprach’s. Er ging hin, und wenn er auch kein Montalembert wurde, kein Larochejacquelein,
kein Lamartine, kein Guizot, kein Thiers, kein Redner des Unterhauses oder des Oberhauses, so wurde er wenigstens – – nun was wurde er denn?
XXI.
Das Domfest.
Ueber die Zeiten des vereinigten Landtags und der Revolution setzen wir uns rasch hinweg und springen mitten in die heilige Stadt Köln, wo eben der Dom am 14. August 1848 seinen sechshundertjährigen Geburtstag feiert.
Große Erinnerungen ließ dies Ereigniß zurück und manchen erhabenen Schnupfen. In der That die Kölner konnten sagen, daß sie für ihren König zwar nicht in’s Feuer gegangen seien, wohl aber in’s Wasser.
Gab es je ein trefflicheres Regenwetter als das, welches den Tag verherrlichte, wo der Protekter des Doms, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, und der Erzherzog Reichsverweser die riesige Säulenhalle gemeinschaftlich besuchten? In die konstitutionellen Könige der Erde vertieft, hatte das Volk die absoluten Monarchen des Himmels vergessen, den Wolkenversammler Zeus, der ärgerlich darüber, plötzlich seine Schleusen öffnete und die gottvergessene Menge in so nachdrücklicher Weise von aller Unsauberkeit reinigte, daß wirklich an den meisten Menschen kein einziger sündhafter Zoll mehr zu waschen übrig blieb.
Man muß gestehen, das Schicksal hat den Göttern nicht nur den Nektar gegeben, sondern auch das Regenwasser und das letztere in so großer Menge, daß es ihnen eben nicht darauf ankommt, sich gerade dann ihres Ueberflusses zu entledigen, wenn die armen trocknen Menschenkinder des Befeuchtens am Allerwenigsten bedürfen.
Leider sollte ich dem berühmten Festregen der Dombautage eben nicht aus einem sichern Versteck zusehen. Tollkühn genug, hatte ich mich gerade vor das Portal des Domes gepflanzt, fest entschlossen meinen Posten zu behaupten, denn ich sollte ja auf drei Schritt den Reichsverweser sehen und den König – ich muß gestehen, ich befand mich in einer eigenthümlich
schwarz-weiß und schwarz-roth-golden gemischten Stimmung. Der Regen floß hinab; ich stand wie eine Mauer. Ich habe da zum ersten Male für einen König gelitten; ich bin stolz darauf. Ich wartete eine halbe Stunde, im Regen nämlich. Ein Verliebter kann nur so thöricht sein oder Jemand der einen König sehen will. Weder der König noch der Reichsverweser wollte indeß aus dem Dome hinaus in’s Freie treten.
So gequält von banger Erwartung und gepeitscht vom Regen legte ich mich auf den süßen Zeitvertreib des Gedankenspiels. Ist der König von Preußen nicht wirklich ein vortrefflicher König? Ja, wahrhaftig, er ist es! Wenn je ein Fürst rücksichtsvoll und artig mit einer Stadt verfuhr, so war es Friedrich Wilhelm. War ich nicht selbst dabei, als ihm die guten Kölner in ihrer Naivetät einst zur Karnevalszeit eine bunte Schellenkappe überreichten? Gott weiß, wie man zu dieser Kühnheit kam! Ein Nero oder ein Tiberius würde uns gleich haben köpfen lassen – Friedrich Wilhelm nahm die Narrenkappe aber lächelnd entgegen und seit der Zeit bin ich fest davon überzeugt, daß er ein geistreicher Mann und kein Nero ist – –
Die kölnischen Funken setzen ihre Schellenkappen eigentlich nie ab, das ganze Jahr hindurch klingelt
es ihnen in den Ohren wie Römergeklirr und „O Jerum! O Jerum!“ Man ist verrathen und verkauft, wenn man mit diesen Leuten in ernster Weise anbinden will. Der Spaß ist der Grundzug ihres Charakters und dieser Spaß kitzelt sie auch bei jeder Gelegenheit, die ganze Welt existirt nur für sie, damit Späße darüber gerissen werden. Ein Kölner ist mit seinem alten holprigen Köln so liebend verwachsen wie ein Großvater mit seinem Schlafrock. Ein humoristischer Großvater und ein humoristischer Schlafrock. Ein Kölner ist ganz unglücklich, wenn er nicht außer seinem Karneval jedes Jahr wenigstens zwei oder drei recht gründliche Feste in seinen Mauern feiert. Ein Musikfest, der Empfang eines hohen Geistlichen oder eines Künstlers, eine Erinnerungsfeier vergangener Herrlichkeit, ein politisches Fest, die Ankunft des neuen Weißen, ein Bockessen u. s. w. man ist wahrhaftig nicht verlegen um irgend einen denkwürdigen Gegenstand. Für alle möglichen Feierlichkeiten ist man vorbereitet. Wenigstens zwei oder drei Mal im Jahre läutet man zu irgend einer Feier mit allen Glocken und mit allen Römergläsern; wenigstens zwei oder drei Mal schießt man aus Kanonen und Böllern und läßt Raketen aufsteigen und steckt die Giebel der Häuser voll Fahnen und schmückt die Thüren mit Eichenlaub und die eignen Rücken mit
Sonntagsröcken; wenigstens zwei oder drei Mal öffnet man die Kirchen, damit alle Welt die lieblichen Heiligenbilder sehe und läßt die Wirthshäuser wagenweit offen stehen, damit jeder Fremde sich davon überzeuge, wie die Kölner so fromme und so lustige Leute sind; wenigstens zwei oder drei Mal läßt man die Lokalgrößen ihre wundervollsten Reden halten, die Mädchen und Frauen ihre schönsten Kleider spazieren führen, alle Stadtmusikanten zu irgend einem stillen Vergnügen ihre Waldhörner blasen und zwei oder drei Mal im Jahre läßt man den alten Gürzenich bis in seine basaltenen Grundfesten zittern von dem Tanz oder dem Gelage seiner heitersten Bürger. So war es bisher und so wird es in Zukunft sein; der Feste wird es geben in Köln, so lange Groß-Martin und der Baienthurm in den Rhein schauen, und so lange über dem Rhein das alte Banner weht mit den drei Kronen und den elf Funken und den Farben weiß und roth, die gewissermaßen das Sinnbild des vielen weißen und rothen Weines sind, der in Köln getrunken wird.
So mit Erinnerungen spielend und zitternd vor Nässe und süßer Erwartung mogte ich eine halbe Stunde im furchtbarsten Gedränge gestanden haben, da entstand vor der Thüre des Domes eine unruhige Bewegung; die Mäuler flüsterten, die Hälse reckten
sich, die Regenschirme wurden geschlossen und Federbüsche und lange Schnurrbärte und kriegerische Figuren nickten in den Domhof hinaus.
Voran der Erzherzog Reichsverweser und der König von Preußen. Der Reichsverweser ist ein kleiner, alter Mann mit gutmüthigem Gesichte und mit großem kahlem Schädel. In der That, dieser ernste Schädel hängt über dem freundlichen Antlitz wie ein Gletscher über einem friedlichen Alpenthale. Der alte Herr nahm sich ganz liebenswürdig in dem grauen Soldatenmäntelchen aus; nach der frommen Hitze des Domes schien es ihm in der feuchten Außenwelt zu frösteln; er hielt die Krämpe des Mantels fest aneinander und trippelte vorsichtig über die glatten Steine. Wenn ich nicht den tiefsten Respekt vor dem Reichsverweser hätte, so glaube ich, daß mir das Lachen näher gewesen wäre, als das Weinen. Es ist nämlich ein Fehler meiner Einbildungskraft, daß ich mir einen Kaiser oder einen Reichsverweser, noch immer wenigstens 7 Fuß hoch denke, mit furchtbaren Lenden, breiter Brust, schrecklichem Barte – mit einem Worte, ein Kaiser mußte meiner Meinung nach ein Eisenfresser sein, ein Mann, der bei jedem Ritt ein oder zwei Hengste zu Schanden reitet, der die Türken lebendig frißt und, allezeit Mehrer des Reiches mit einem Säbel über das Pflaster rasselt,
bei dem einem alle Schrecken des jüngsten Gerichtes einfallen. Wie freute ich mich daher, als ich das friedliche Antlitz des alten Johann erblickte. Es wurde mir ganz familiär zu Muthe, ich würde den Hut vom Kopfe gerissen und ihn bewillkommend geschwenkt haben, wenn nicht meine Hände in den Taschen gesessen hätten und dergestalt von meinen schaulustigen Nachbarn zusammengepreßt worden wären, daß nur eine Herzensregung nicht zu den Unmöglichkeiten gehörte und an ein Schwingen des Hutes vollends gar nicht zu denken war.
Se. Majestät, den König von Preußen kannte ich schon von früher. Er ist noch immer derselbe wohlaussehende Mann, mit den jugendlich rothen Wangen und dem pfiffigen Lächeln. Manche meiner Nachbarn behaupteten freilich, er sei etwas mager geworden, man sähe Spuren der Sorge und der Betrübniß in seinen Zügen und sein Auge strahle nicht mehr so volksvertrauend wie früher – –
Ich muß gestehen, ich halte diese Ansicht für grundfalsch. Ich habe noch nie eine so heitere Majestät gesehen – und ist nicht alle Ursache dazu vorhanden? geht nicht Alles nach Wunsch? „Es lebe der König!“ rief ich und ich mäßigte erst meinen Jubel als einige alte Generäle mit grausen erregenden Gesichtern den beiden Fürsten auf dem Fuße
folgten und mich mit so komischen Augen ansahen, als merkten sie trotz meiner loyalen Jubelausbrüche einigen Unrath und als wollten sie sagen: „Kerl, du bist doch ein Kryptorepublikaner und der Teufel soll dich holen! – –“ Da saßen die Fürsten in der Tiefe des schützenden Wagens und hinter ihnen her wogte das Volk, lange Gymnasiasten und duftende Hofräthe, Flegel vom Lande und gebildete Städter, Soldaten und Handwerker, Gemüseweiber und Taschendiebe, und in dem steinernen Laubgewinde des Domes fingen die Glocken an zu brummen und zu summen, gleich riesigen Käfern in den Zweigen einer Linde und unter Lachen und Fluchen, unter Boxen, Beten, Grunzen und Hurrahrufen stürzte der Strom der Menge in die Gassen hinunter, daß man seinen besten Feinden auf die Hühneraugen trat und an den Wänden der Häuser hinauf zu fliegen meinte vor lauter Lust und Begeisterung.
Wer weiß, wie weit ich mit fortgerissen wäre, wenn nicht ein seltsames Ereigniß meine Schritte aufgehalten hätte. An einer der nächsten Straßenecken hatte nämlich auf dem Rand einer Treppe ein fliegender Buchhändler Posto gefaßt. Wenig kehrten sich die vorüberstürzenden Fremden an den armen Gesellen. Da rollte plötzlich eine brillante Karosse hart an der Treppe vorüber; der Junge erhebt seine Bilder und
Zeitungen und: „Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!“ schreit er und der Wagen hält und empor richtet sich ein eleganter, hübscher Mann, der sich über den Wagenschlag hinaus in die Straße biegt.
Das Wort „Schnapphahnski“ scheint ihn zum Stutzen gebracht zu haben; rasch greift er in die Tasche und wirft dem frohen Buchhändler ein Geldstück in den Hut; noch hastiger streckt er die Hand nach der gekauften Zeitung aus und wie er das Blatt auseinanderfaltet und hinunter auf den Titel des feuilleton blickt, da schrickt er zusammen und – aber die Rosse schlagen schon wieder auf’s Pflaster und der Wagen rollt weiter und verschwunden ist der schöne Fremde und: „Fortsetzung von Schnapphahnski! Fortsetzung des Ritters Schnapphahnski!“ beginnt der Junge von Neuem und tönend verliert sich sein Ruf in dem Getöse der Gassen.
In den Kölner Straßen wurde an jenem Tage die „Neue Rheinische Zeitung“ verkauft. Als feuilleton Aufsatz enthielt sie ein Kapitel aus dem „Leben und den Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.“
XXII.
Der Gürzenich.
Es ist ein ergreifendes Schauspiel, wenn der Vesuv seine rothen Feuerblöcke in die tiefblaue See wirft; es ist ein erhabener Anblick, wenn die Lawine von den Alpen hinab in das Thal rollt und es muß großartig aussehn, wenn der Niagara seinem Bette entgegenschäumt – aber noch viel ergreifender, erhabener und großartiger ist es, wenn auf dem Gürzenich-Saal der heiligen Stadt Köln Zwölfhundert hungrige Gäste zur Feier des Dombau’s über einen Häringsalat herfallen. Ich habe in meinem Leben nichts Imposanteres gesehen. Unvergeßlich wird mir diese Scene bleiben. Als ein Mann, der den Dom und den Häringsalat liebt, hatte ich mir für schweres Geld auf dem Sekrätariate des Central-Dombau-Vereins eine Festmahlkarte gekauft. Ich habe nie eine Portion Häringsalat theurer und mit mehr Vergnügen gezahlt als dies Mal; ich bin sogar einen halben Tag lang dahinter hergelaufen und wäre Herr Schnitzler nicht ein so überaus artiger Mann,
ich liefe noch – und Alles um eine Portion Häringssalat! Man sollte sagen, daß ich den schrecklichsten Katzenjammer haben müßte.
Aber wie meine Leser wissen, war dem nicht so. Ich hatte den ganzen Morgen mit meinem beschränkten Unterthanen-Humor an den Pforten des Domes gestanden und mich mehr des wohlfeilen Regenwassers als des kostspieligen Weines erfreut. Endlich war der Reichsverweser und der König erschienen, endlich hatte ich beide bewundert und endlich konnte ich naß wie ein Pudel nach Hause gehen, um für das bevorstehende Diner Toilette zu machen.
Schön wie ein Gott und hungrig wie ein Wolf trat ich in den Saal. Schon auf der Schwelle hätte ich vor Erstaunen fast einen Purzelbaum geschlagen. War das der Gürzenich? O. seltsame Aendrung!
Ach, ich kenne den Gürzenich aus meinen Jugendjahren, aus jener Zeit, wo ich in der Sternengasse, nicht weit von dem berühmten Hause wohnte, von dem mir einst ein todt ernster Kölner erzählte, daß der Herr Peter Paul Rubens darin geboren und daß die Medicäische Venus darin gestorben sei! – Ach, damals hatte ich noch meine fünf Sinne beieinander und hielt es für meine Pflicht, jedesmal um die Karnevalszeit Schulden zu machen und meine Uhr zu verkaufen, um hinter dem Rücken meiner
alten grausamen Freunde die schönste Maske zu machen, welche je durch die Straßen der heiligen Stadt Köln sprang. Hab’ ich nicht einmal den Don Quixote gespielt, in gelben Stiefeln, in schwarzer Trikko-Hose, den Panzer vor der Brust, den Spitzenkragen um den Hals, das Barbierbecken auf dem Kopfe und den fürchterlichen Speer in der Rechten?
Zog nicht mein Sancho hinter mir her, mit weltkugelrundem Bauche, in ländlicher Tracht, und forderte ich nicht auf dem Gürzenich wenigstens ein Schock der holdseligsten Dulcineen zum Tanze heraus, bis mir zuletzt die Beine unterm Leibe fortliefen und bis ich einer blassen Leiche ähnlich, an die Brust meines mir ewig theuern und unvergeßlichen, damals als Bär verkleideten Freundes Klütsch sank?
O, wie hatte sich Alles geändert! In demselben Saale, in dem ich früher nur der heiligen Stadt Köln vortrefflichste Narren in buntem Gemisch durcheinander wogen sah, in demselben Freudensaale erblickte ich jetzt an unendlich langen Tischen, ach Gott, der Politik geweihte Köpfe, Deputirte aus Hessen, aus Oesterreich, aus Schwaben, aus Bayern, aus Ungarn, aus Oldenburg und mitten zwischen ihnen nichts als kohlschwarze Pastöre, Geheimräthe, Kaufleute und andere nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft – ich glaubte weinen zu müssen.
Aus den Deckenfeldern des Saales, aus denen früher Rosen und Reben nickten, schauten jetzt grimmige schwarze Reichsadler; an den Säulen, die früher die ausgezeichnetsten Geckenköpfe schmückten, hingen jetzt die Wappenschilde der verschiedenen deutschen Staaten und an den Wänden des Saales hieß es statt: „Es leben alle Narren!“ „Ein einiges Deutschland“ und statt: „Allen wohl und Keinem weh!“ „Eintracht und Ausdauer.“
Eine unendliche Wehmuth erfaßte mich; ich fühlte zum ersten Male, daß die leidige Revolution, und noch dazu eine Revolution, die die guten Kölner gar nicht einmal gemacht haben, uns um allen Spaß zu bringen droht. Durch die Reihen der Tische an den unheimlich unverständlich redenden Volksvertretern schritt ich so traurig vorüber, wie vielleicht der Geist eines alten verkommenen Griechengottes an den glattgerittenen Bänken einer protestantischen Kirche vorüberspukt und ich konnte erst wieder recht herzlich lachen, als ich auf der Erhöhung des gewaltigen Raumes, an derselben Stelle, wo ich seiner Reit als Don Quixote meiner Dulcinea nachjagte, den edlen Gagern hinter der deutschen Einheit herlaufen sah und den Sancho Soiron erblickte, wie er seinem berühmten Ritter im purzelnden Eselstrab zu folgen strebte.
Das Spaßhafte dieser Erscheinung tröstete mich in etwas; ich überzeugte mich davon, daß wenigstens noch nicht aller Humor aus der Welt verschwunden ist und da gerade an die Stelle des Häringsalates einige höchst einladende Salme auf die Tafel schwammen, so bemächtigte ich mich, nicht ohne Lebensgefahr, eines Couvertes und drückte mich zwischen einige unbekannte Versammelte und stammelte mein Tischgebet. Wie immer betete ich aus dem Homer, in Hexametern:
Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brod auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrath.
Und ich erhob die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Mit den Gerichten und dem leckerbereiteten Mahle muß ich indeß meine Leser erst noch genauer bekannt machen. Die Speisen sind keineswegs eine Nebensache bei einem Essen. Wie meine Leser wissen, folgte dem Häringssalat der Salm. Aber das war noch keineswegs Alles. Ich greife daher zu dem Küchenzettel, den jeder Gast in Groß-Folio-Format neben seinem Teller fand, und den ich wohlweißlich mit nach Hause nahm, um mich noch nachträglich davon zu überzeugen, ob ich auch gewissenhaft das ganze Verzeichniß durchgekaut hatte. Ich that dies zu meiner besonderen Beruhigung.
Der Speisezettel heißt aber treu kopirt, wie folgt:
Festmahl
der Dombau-Vereinsgenossen
auf dem Saale Gürzenich,
bei Gelegenheit der 6. Säkularfeier
der Domgrundsteinlegung.
15. August 1848.
Italienischer Salade.
Rhein-Salm.
Westerwalder Ochsen-Rücken.
Festlied von Inkermann.
Westphälischer Schinken mit Saladbohnen.
Preiset die Reben etc.
Gefülltes Geflügel.
Wildpasteten.
Bekränzt mit Laub etc.
Süße Speise. Nachtisch.
Zeltinger 10 Sgr. Moselblümchen 20 Sgr. Scharzhofberger 40 Sgr. Liebfrauenmilch 25 Sgr. Ahrbleichant 10 Sgr. Bordeaux 25 Sgr. Champagner Giessler-Mumm oder Loisson 2 Thaler.
Das Ganze ist umringt von Arabesken und allegorischen Figuren: ein Käfer, ein unentzifferbares Wesen,
ein Kerl mit einem höchst christlich germanischen Gesichte mit dem Reichsadler und viertens ein dito mit dem preußischen Adler.
Ich kann es mir nicht versagen, noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß die guten deutschen Blätter, und namentlich die Kölnische Zeitung in ihren sonst so reichhaltigen und schön stylisirten Berichten über die Festlichkeiten, dieses Dokument nicht mit aufgeführt haben. Die Gründe zu dieser Weglassung habe ich beim besten Willen nicht ermitteln können, so viel ich aber höre, soll keine böswillige Absicht dabei zu Grunde gelegen haben, was natürlich auch nicht anders zu erwarten war.
Nachdem ich den Speisezettel auf’s sorgfältigste studirt und meinem Salm – dem Fisch, nicht dem Fürsten Salm – mit Messer und Gabel angekündigt hatte, daß seine letzte Stunde gekommen sei, schaute ich mich zum ersten Male nach meinen Nachbarn um. Lauter fremde Gesichter, alle in ihre Atzung vertieft. Es ist traurig, wenn man unter 1200 Menschen sitzt und sich mit Niemandem unterhalten soll. Man kommt sich wie ein Zellengefangener vor. Ich schüttete daher meinem Nebenmanne ein Glas Champagner über den Arm um mich dann bei ihm auf’s unterthänigste zu entschuldigen und auf diese Weise die Konversation zu beginnen.
Der gute Mann schien Lebensart zu haben, denn er ging in die Falle und theilte mir sofort mit, daß er ein Oesterreicher sei und der Frankfurter Nationalversammlung angehöre. „Ich bin ganz entzückt darüber -“ bemerkte er – daß Sie unsern Erzherzog so freundlich empfangen haben. Das hat mir in der Seele wohlgethan. Ich werde die Artigkeiten der Kölner nicht genug zu loben wissen. Einen solchen Enthusiasmus und ein solches Hurrahrufen habe ich selten gehört – man empfing den Erzherzog-Reichsverweser fast günstiger wie Se. Majestät den König –
Das Gespräch wurde mir zu ernsthaft: „Verzeihen Sie mein Herr – Sie irren sich; der Luftschiffer Corwell, der bei der Ankunft des Reichsverwesers über Köln emporstieg und der daher den ganzen Empfang aus der Vogelperspektive, oder so zu sagen von einem höhern Standpunkt aus betrachtete, hat mir versichert, daß die Feier viel zu wünschen übrig gelassen habe; die Sonne habe nicht einmal geschienen, es sei das häßlichste Regenwetter gewesen –“ der Oesterreicher sah mich verwundert an – „Aber jedenfalls“ – fuhr ich fort – „haben wir uns sehr über den Reichsverweser gefreut; wir glaubten eine Geißel Gottes zu bekommen und wir fanden einen alten freundlichen Mann, der im schäbigen
Röckchen, mit weißer Weste und mit entblößtem Haupte in unsere Stadt einzog, ein trauliches Mährchen aus alter Zeit – aber haben Sie Ihren Speisezettel schon einmal durchgesehen?
Der Oesterreicher sah auf seine Groß-Folio-Liste: „Den italienischen Salade haben wir genossen.“ Allen Irrthümern vorzubeugen, zog er indeß noch einen Bleistift aus der Westentasche und machte ein Kreuz vor die betreffende Speise. „Ist dieser Salat nicht so vortrefflich, als ob ihn Radetzky selbst angemengt hätte?“ der Oesterreicher blickte mich zum zweiten Male sehr erstaunt an. „Den Salat –“ begann er aufs Neue, – „und den Salm verstehe ich schon, auch der Westerwalder Ochsenrücken ist mir bekannt, aber bitte, sagen Sie mir doch, was verstehen Sie unter dem Festlied von Inkermann – es steht mitten unter den Speisen, es wird ein Gericht sein?“
„Allerdings! ein politisches Gericht, ein echt germanisches Ragout, in drei Versen oder Schüsseln.“ – „Soll mich wundern“, versetzte der wißbegierige Mann, „dann kommen westphälische Schinken und Salatbohnen; wiederum zwei unzweideutige Dinge; ferner aber: Preiset die Reben?“
„Dies ist eine höchst poetische Ente mit einer Weinsauce und Trüffeln.“ „Was Sie sagen!“ rief
der Oesterreicher und leckte die Finger. „Dann haben wir gefülltes Geflügel und Wildpasteten; darüber kann kein Zweifel sein; beides zwei auserlesene Sachen. Aber schließlich wieder: Bekränzt mit Laub – was ist das?“ Ich schnitt ein Gesicht, wie ein todtes Kameel. „Bekränzt mit Laub ist ein wahres National-Fressen. Die Studenten lieben es vor allen Dingen; bei jedem Kommers wird es aufgetischt und mit Bier angefeuchtet, hinuntergeschluckt; außerdem findet man es im Munde aller fröhlichen Zecher; Harfenmädchen goutiren es ebenfalls. Wenn ich mich nicht sehr irre, so erfand es der alte Asmus, als er eines Abends mit der Frau vor der Hausthüre saß und die Sterne beschaute. Es scheint, der Central-Dombauverein hat dieses Gericht direkt durch den Wandsbecker Boten kommen lassen.“ – „Das ist sehr artig!“ meinte der Oesterreicher. Da überließ ich ihn den süßen Speisen, dem Nachtisch, der Weinkarte und für die Zukunft der Paulskirche.
Von meinem Nachbar zur Rechten, wandte ich mich zu meinem Tischgenossen vis-à-vis, der sich durch seinen rein uckermärkischen Accent bereits als ein Stock-Preuße und durch verschiedene erhabene Festbemerkungen als ein Mann von ungewöhnlicher Bildung beurkundet hatte. Er war wiederum ein Nationalversammelter. Ich machte sofort die Honneurs
und bot ihm das Salz meines Geistes und den Senf meiner Konversation an. Er behauptete aber, Rheinsalm schmecke besser mit Oel und Essig. „Sie essen selten einen Salm in Berlin?“ – fragte ich ihn. „Selten!“ – erwiederte er lakonisch, – „aber wir essen viel Teltower Rüben –“ Es wurde mir traurig zu Muthe. Ich sah schon bei den ersten Versuchen, daß ich die unsterbliche Seele meines Preußen nicht ohne entsetzliche Anstrengung über den Horizont eines Rübenfeldes zu erheben vermogte. Ich griff daher zu einem Mittel, welches die Zeitverhältnisse zu dem stimulirensten der Gegenwart machen. „Der Erzherzog Reichsverweser ist wirklich bei weitem freudiger empfangen worden als der König –“ rief ich nemlich dem Oesterreicher zu, und sagte es so laut, daß es ringsum verstanden wurde.
Dies wirkte. Der Preuße ließ Gabel und Messer sinken und: „Sie irren sich!“ rief er mit dem Ausdruck der tiefsten Entrüstung. – Mein Plan war gelungen. Ich hatte den Schwarz-weißen und den Schwarz-roth-goldenen aneinandergehetzt.
Vergebens strengte sich jetzt der letztere an, unserm Teltower noch einmal alle Hochs und alle Hurrahs auf den alten Erzherzog ins Gedächtniß zurückzurufen: der Schwarzweiße wußte seine Stimme sofort zu einem solchen durchdringenden Diskant emporzuschrauben,
daß er schnell den Oesterreicher übertönte und die Unterredung im Nu beherrschte.
„Sie irren sich! –“ begann er von Neuem – „als der König von Deutz nach Köln hinüberfuhr, krachten da nicht die Kanonen, als ob die ganze Stadt bis in ihre Grundfesten zusammenschaudre, als ob der Dom ineinanderbrechen wolle? Ja, Se. Majestät war gerührt über diesen Empfang. Die Augen des Königs leuchteten Lust und Seligkeit. Etwas bleich und schüchtern hatte er die Eisenbahn verlassen, aber rosig und glücklich zog er ein in die donnernde Freudenstadt!“
Oesterreicher und Preuße schwiegen, denn an der andern Seite des Saales erhob sich plötzlich ein solcher Sturm des Begrüßens, des Trampelns und des Serviettenschwenkens, daß der alte Gürzenich in eine schwingende Bewegung gerieth und daß ich nicht anders meinte, als daß wir jeden Augenblick in den untern Raum des Gebäudes, in die Syroptöpfe und in die Butterfässer des Kaufhauses hinabstürzen würden. – –
Es war kein Zweifel mehr, eben erschien der König und der Reichsverweser und einmüthig sang man das bereits erwähnte ächt germanische Ragout von Inkermann.
Freundlich lächelten die hohen Herren auf die singende Menge hinab. Als aber der Heuler der Inkermann’schen Poesie wie mit fernem Nachtwächtergedudel in den letzten Winkeln des Riesen-Saales verklungen war, da sprang empor von der Bank der Fürsten, in strahlender Uniform und mit geistreichem Antlitz: Se. Majestät der König, jetzt mit der Linken Ruhe gebietend und jetzt die Rechte mit gefülltem Römer erhebend, zu begeisterndem Toaste:
„Ich trinke auf das Wohlsein eines deutschen Mannes, auf das Wohlsein eines meiner treuesten Freunde. Wie er Ihr Vertrauen besitzt, so besitzt er auch Mein Vertrauen und Meine Liebe. Möge er uns einige und freie Völker geben; gebe er uns einige und freie Fürsten. Hoch lebe Erzherzog Johann, der Reichsverweser!“
So ungefähr sprach Se. Majestät und leerte den Römer bis auf den Grund und machte die Nagelprobe mit unendlicher Grazie! – Das letztere schien vor allen Dingen einen berauschenden Eindruck auf die Zuschauer hervorzubringen. Mehrere meiner Nachbarn ras’ten vor Wollust. Sie fühlten sich in die Zeiten des Kaisers Max zurückversetzt, der auch wohl mit den Leuten derlei harmlose Späße trieb. So z. B. in Nüremberg. Der dumme Magistrat
hatte nämlich damals für die Dauer der Reichsfestlichkeiten alle schönen unverheiratheten Frauenzimmer aus der Stadt verbannt, weil ihm die ungesetzliche Liebe als ein Gräuel vor dem Herrn erschien. Vor den Thoren standen nun die armen lüsternen Dinger und ennuyrten sich à mort. Da kam der Kaiser und ehe er sich’s versah, umlagerten ihn ein Dutzend der hübschesten Bajaderen und sagten ihm, er sei ein vernünftiger Mann, der Magistrat bestehe aber aus Eseln, und er, der Kaiser, möge doch seine bessere Einsicht bei diesen Blödsinnigen geltend machen und dafür sorgen, daß sie, die Bajaderen, dennoch Erlaubniß erhielten, das Fest durch ihre Locken, Lippen und wogenden Busen verherrlichen zu dürfen.
Max hörte die liebenswürdigen Geschöpfe ruhig an und lächelte. Ehe er aber weiter ritt, befahl er, statt aller Versprechungen, dem zunächst stehenden jungen Kinde, einmal hinter das kaiserliche Roß zu treten und des Pferdes Schweif zu fassen, und der zweiten gebot er, sich wieder hinter ihre Genossin zu stellen und deren Rock zu ergreifen und als nun die Erste den Schwanz des Gaules in der Hand hielt und die Zweite den Rock der Erstern faßte und die dritte den Rock der Zweiten und so fort, da gab Kaiser Max seinem Pferde die Sporen und mit ein
zwei, drei, vier, acht, zwanzig, ja, wer weiß mit wie viel braunen und blonden kichernden Weibern im Schlepptau ritt er fürbaß gen Nüremberg, wo der Magistrat schon an den Thoren stand, um den Kaiser zu empfangen und aus Schaam und Wuth schier verrückt zu werden meinte, als er zugleich mit dem Einzug des Kaisers auch das süße Gefolge seines Roßschwanzes passiren lassen mußte.
Die Nüremberger Chronik setzt hinzu, daß die damaligen Festlichkeiten zu den „verteufelt-fidelsten“ gehört hätten.
Wie es der ehrliche Max mit den Weibern machte, so machte es König Friedrich Wilhelm mit dem Wein. Mit der Nagelprobe entzückte er den ganzen Gürzenich und dieselbe Rolle, die der steife Magistrat in Nüremberg spielte, sie wurde in Köln von den unbeholfenen Liberalen gespielt, die mit Schrecken sahen, wie ein König sogar im Stande ist, nur durch eine Nagelprobe alle Herzen wieder zu gewinnen und Alles vergessen zu machen, ja, Alles, Alles, vom 18. März an bis auf den heutigen Tag. O, geht und laßt Euch hängen ihr Demokraten, ihr dummen Republikaner! Was ist all’ Eure Berserkerwuth gegen die Nagelprobe eines klugen Königs?
Dem Könige folgte der Erzherzog Reichsverweser. Das Glas erhebend sprach er:
„Dem Fürsten, der eben meine Gesundheit ausbrachte, dem Könige von Preußen! und dem was an unserm Dom geschrieben steht: Eintracht und Ausdauer!“
Die beiden Fürsten umarmten sich und küßten sich; laut schallte der Jubel der Versammlung und ihre schwarz-weißen und schwarz-roth-goldnen Leidenschaften flutheten in einander. Was wollt ihr mehr? Preußen ging in Deutschland, und Deutschland in Preußen auf, in diesem Kuß vor allem Volke, in dieser versöhnenden Umarmung. Was wollt ihr mehr, die ihr noch immer das Gespenst des Bürgerkrieges zwischen den beiden Kokarden seht? Ist es nicht offenbar, daß es mit aller Zwietracht aus ist? O, aber ihr seid kalte, berechnende Menschen, ihr finstern Volkssouveränen. Ihr glaubt weder an Küsse noch an Umarmungen. Heilig ist Euch nichts mehr – heilig nur euer kalter Egoismus! O, wär’t ihr doch in Köln gewesen, auf dem Gürzenich, auf dem Dombaufestmahle, ihr würdet eure revolutionären Ideen dran gegeben, ihr würdet gelernt haben, was Fürsten über Völker vermögen, und wie man sich vor Fürsten beugen muß. Ja, herrlich hast du dich bewährt, mein altes Köln, mein treffliches Rheinland, als eine Stadt, als ein Land der Treue, der Loyalität und Niemand wird hinfort
mehr von Euch sagen können, daß ihr der Heerd des Aufruhrs wärt, der Revolution und der Anarchie.
Wir übergehen den Toast eines loyalen Kölners und wenden uns zu dem Präsidenten der Frankfurter National-Versammlung, von Gagern. Auftrat dieser große Mann. Ich muß gestehen, ich war im höchsten Grade neugierig, den Zeus mit der Schelle, von dem ich schon so viel hören und lesen mußte, einmal in der Nähe zu sehen und mit eignen Ohren zu belauschen. Hatten mir doch wenigstens schon hundert Männer, alte und junge, aufzubinden versucht, Gagern sei ein Halb-Gott, er stamme direkt aus dem Olymp her, Jupiter habe ihn auf einer Ferienreise mit einer oberländischen Nymphe gezeugt? – Ich wollte es immer nicht glauben; auf das Geschwätz von Männern gebe ich nichts; sie sind fast immer schief gewickelt; wenn Männer über Männer urtheilen, so steht es noch immer so und so um das Resultat; auf Männer ist nicht zu bauen. Erst seit mir neulich ein hübsches Weib mit schneeweißen Zähnen und mit verliebten Augen die feste Versicherung gab, daß Gagern ein ausgezeichneter Mann sei, und daß sie für ihn schwärmen könne, ja, schwärmen trotz alledem und alledem, seit jenem Augenblick fing ich an, die Wahrheit der verschiedenen Gerüchte weniger als bisher zu bezweifeln, denn die Aussage einer schönen
Frau ist maßgebend in allen Dingen, einer Frau muß man mehr glauben, als dem Evangelium; was eine Nachtigall singt, und was auf Rosen und Lilien geschrieben steht, und was ein Engel in Menschengestalt spricht, das ist die lautere Wahrheit, das soll man glauben, dafür soll man leben und sterben und auferstehn. Ja, was ist ein Sokrates und ein Hegel gegen eine kleine Person mit kohlschwarzen Locken, die dir an den Hals springt und dich küßt und darauf flucht mit dem liebenswürdigsten Fluche, daß sie Recht habe, und daß sie Recht behalten wolle, ihr Leben lang.
„Wen Frauen loben der wird bekannt,
Er hat den Ruhm an seiner Hand,
Dazu seines Herzens Wonne.“
So sagt schon der alte Wolfram von Eschenbach und in der That, Gagern hat alle Aussicht einer der glücklichsten Menschen seiner Zeit zu werden. Gagern ist eine gesunde Erscheinung. Junge Mädchen werden sich schwerlich für ihn begeistern; hübsche Frauen werden ihn stets zu schätzen wissen. –
Gagern brachte einen Toast auf ein „einiges, freies und starkes Deutschland“ aus. Wiederum bebte der Saal von Applaus. Alle Patrioten und alle Gläser wackelten. Se. Majestät der König erhob sich hierauf zum zweiten Male und ich muß gestehen,
daß ich ihn für einen weit größern Redner als den Jupiter der Paulskirche halte.
„Schon zwei Mal“ – sprach der König, – „hat man auf die Erfüllung meines schönsten Jugendtraumes, auf ein einiges und starkes Deutschland angestoßen; Ich lade Sie jetzt ein, auch auf das Wohl der Werkleute am Baue dieses einigen Deutschlands zu trinken – es leben die anwesenden und abwesenden Mitglieder der National-Versammlung in Frankfurt!“
Der Erzherzog Reichsverweser folgte wieder Se. Majestät mit einem Toaste auf das Wohlsein der Stadt Köln. Die stotternde Beredsamkeit des verwitterten Mannes war rührend komisch. Der alte Fürst und die alte Stadt – sie grüßten einander wie zwei graue Kirchthürme. Es war als ob der Domkrahnen und der Thurm der Stephanskirche sich umarmt hätten.
Unter den übrigen Rednern fiel mir noch von Soiron, der Vice-Präsident aus Frankfurt auf. Ich muß den Mann schon früher einmal gesehen haben. In Brüssel, in Liverpool, in Hamburg – ich weiß es nicht. Aber ich möchte darauf wetten, daß ich ihn schon einmal auf einem Droschkenbock sah; ja wahrhaftig, ich will mich hängen lassen, Herr v. Soiron
war schon einmal Droschkenkutscher! Ist das nicht derselbe Kutscherbart, dieselbe Kutscherwürde, derselbe Kutscherpathos? Was für eine Nummer hatten Sie Herr Soiron?
„Hohe Versammlung!“ begann Sancho-Soiron: „Gönnen Sie einem einfachen Manne ein einfaches Wort, ein Wort, das aus dem Herzen kommt. Reichen wir uns die Hände durch alle Gaue des deutschen Vaterlandes, auf daß Brüderlichkeit zwischen uns herrsche bis an die äußersten Gränzen. Hoch lebe die Brüderlichkeit des deutschen Volkes!“
Kann ein patriotischer Kutscher besser sprechen? Hohe Versammlung – einfacher Mann – Händereichen des deutschen Vaterlandes – äußerste Gränzen – es lebe die Brüderlichkeit. Wunderschön! Es lebe Sancho, der einfache Mann! –
Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und der Fürsten ausgesprochen hatte, sprach auch noch der kölnische Deputirte Franz Raveaux, der Mann mit dem melancholischen Schnurrbart, der nicht so berühmt ist, wie der Kölner Dom, der fast so bekannt ist, wie der Kölnische Karneval und der jedenfalls die Unsterblichkeit mit der Eau de Cologne theilen wird. Die Heroen des Tages hatten indeß geredet, das
Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen; der König und der Reichsverweser verließen den Saal und mein Oesterreicher rückte in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des Wandsbecker Boten vor.
Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlichen Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unsres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß, wie lange ich dort fest gebannt worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westphälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Rede-Enthusiasmus bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombau-Deputirte, der von Hamm, Soest, Dortmund, oder von irgend einer andern sabbathstillen Stadt der rothen Erde nach Köln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der
ehrenwerthe Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog-Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päbstlichen Nuntius – er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes.
„Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte mich der gute Westphale mit dem AnsdruckAusdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. „Mit dem größten Vergnügen!“ erwiederte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westphale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau, oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westphale schien zu glauben, daß ich seine tiefern Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen, der da drischt das Maul nicht verbinden soll? – Ich blieb aber unerbittlich. „Lieber
Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte da der Sohn der rothen Erde zum zweiten Male und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. „Mit dem größten Vergnügen!“ rief ich abermals – „Sie scheinen nicht gut sehen zu können – wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?“
Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westphale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer, oder ein höchst impertinenter Mensch sein – schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmüthigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: „Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe 1 Thaler 20 Silbergroschen für mein Billet bezahlt – Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! – es verlangt mich nach jener Torte – –“
Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah, wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte;
ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch Niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit den Raub zu vollbringen. Den Westphalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen.
Da konnte ich nicht länger wiederstehen; ich wandte mich seitwärts und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der gewandtere Nebenbuhler des armen Westphalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputirten, den Ritter von der Teltower Rübe und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit sammt der eroberten Torte davon rennen sah.
Der arme Westphale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein und: „Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!“ schien er noch einmal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getödtet mit Messer und mit Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnißvollsten aller Torten.
Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigenthümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl auf’s empfindlichste verletzte und mich eben so sehr an die Menagerie eines van Aaken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man Nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört.
Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerthen Vice-Präsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich auf’s Neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämmtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Gränzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen, wie es die Droschkenkutscher bei schlechtem Wetter thun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen.
Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte, und schrie Sancho – mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen,
oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indeß keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputirte um sich und stieg wie Zeus umgeben von seinen Olympiern von der für die Fürsten und die auserlesenen Abgeordneten reservirten Erhöhung hinab in die Reihen des patriotischen Volkes.
Es war ein imposanter Anblick. Voran der edle Gagern, in der ganzen gesunden Fülle seiner irdischen Erhabenheit. Hinter ihm eine nicht weniger bemerkenswerthe Figur, einem Apollo ähnlich, der am Herunterkommen ist – dem die ambrosischen Locken anfangen auszufallen, der aber noch immer Anmuth und Manneswürde verräth, in Gang und Geberde. Ich fragte den ersten besten Nachbar, ob er den bedeutenden Herrn kenne. „Das ist der Herr Müller!“ antwortete er mir mit besonderem Nachdruck und ich muß mich schämen, ich hätte beinah gelacht.
Kann es ein größeres Unglück für Jemanden, der berühmt werden will – und von jedem ehrenwerthen Deputirten kann man doch gewiß erwarten, daß er wenigstens in etwa den verwerflichen Durst nach Ruhm besitzt – kann es, sage ich, etwas schlimmeres für einen solchen Ruhmdurstigen geben,
als wenn er Müller heißt, wenn er gerade den Namen trägt, unter dem schon so viele ausgezeichnete Männer bekannt sind, daß man den einen oft nicht mehr von dem andern zu unterscheiden weiß und den Wald nicht mehr vor lauter Bäumen sieht? Müller! Müller! ein solcher Name ist entsetzlich; von der Geburt an, hat einem schon das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht! Giebt es nicht schon einen Johannes Müller, einen Wilhelm Müller, ja, sogar einen Wolfgang Müller?
Was sollen wir noch mit einem neuen Müller anfangen? Armer Herr Müller!
Außer Herrn Müller gewahrte man indeß auch noch einen dritten Versammelten, der es für seine Pflicht hielt, sich zu den übrigen Gästen herabzulassen. Es war dies der stille Dulder, es war dies der Mann, der achtzehn Jahre lang für die deutsche Freiheit „gedarbet“ hat, es war derselbe Mann, dem die Republik nur über den Leib, über die Leiche geht und der so sehr von der glorreichen Zukunft Deutschland’s überzeugt ist, daß er schon jetzt die Kaperprämien für unsre zukünftigen Admiräle bestimmt haben will – es war mit einem Worte niemand anders als der Hiob der National-Versammlung, es war der herrliche Dulder Jacobus Venedey.
Zeus, Müller und Hiob schritten von Tisch zu Tisch und es verstand sich von selbst, daß alle Kehlen jubelten und alle Römer klirrten.
Heiterkeit thronte auf Kronions Stirn. Er hatte die Donnerkeile seiner Rede in die Taschen des schwarzen Fracks gesteckt und spielte nur leicht mit dem unschädlichen Wetterleuchten seines unerforschlichen Geistes. Müller suchte seinem Gotte durch eine freundlich-würdige Gelassenheit den rechten Hintergrund zu geben; er war gewissermaßen die schöne Abendwolke, auf der die Blitze seines Meisters hin- und herzuckten. Hiob, mit einem schmerzlich-süßen Lächeln säuselte hinter den Beiden her wie ein milder Westwind. Gern wäre ich den Dreien mit dem Auge gefolgt, um zuzuschauen, wie sie schwetzend, nickend und händeschüttelnd von Tisch zu Tisch zogen; aber sie verschwanden bald im Gewühle und ich verfügte mich daher zurück an meinen Platz. – Es freute mich nicht wenig, dort meine alten Tafelgenossen, den Oesterreicher und den Preußen wiederzufinden. Der Letztere war so eben, nach unsäglichen Anstrengungen, mit seiner Torte eingetroffen und der Schwarz-weiße und der Schwarz-roth-goldne schickte sich auch sofort an, ihre Beute in vollkommener deutscher Einigkeit zu theilen.
Polen wurde nicht gewissenhafter getheilt als diese Torte. Man bot mir natürlich sofort an, daß ich die Rolle Rußland’s bei der Theilung übernehmen und der Dritte in dem schönen Bunde sei solle. Ich verweigerte dies aber, mehr aus innerlichen als aus politischen Gründen, indem ich versicherte, daß mir die Geschichte zu schwer im Magen liegen dürfte.
Da hinten, setzte ich hinzu, befindet sich aber ein Mann, der mich gerne remplaziren wird. Er ist ein Westphale und deshalb nicht viel besser als ein Kosacke. Der Mann liebt die Torten über Alles. Sollen wir ihn nicht einladen? „Allerdings!“ rief der Preuße und: „Ich halte es sogar für sehr nöthig, ihn hinzuzuziehen!“ bemerkte der Oesterreicher. Da erhob ich mich, um meinen hungrigen Cerberus herbeizuschleifen. Aber ach, ich hatte kaum zwei Schritte gethan, da nahte unser Freund schon ungerufen. Sein Kopf glühte von Wein, Zorn und Gesundheit; er bemerkte mich gar nicht, denn steif war sein Auge auf die Torte gerichtet. Mit einem schmunzelnden Lächeln schmiegte sich der westphälische Russe zwischen Oesterreicher und Preuße; ich winkte sofort, daß dies der rechte Mann sei und keine Minute verstrich, da waren sie auch schon am Fressen nach Herzenslust, alle drei, und die hübschen Verzierungen des armen Kuchens brachen knisternd zusammen.
Als ich aber die drei so glücklich essen sah und als mir bei der Torte, Gott weiß wie, plötzlich das arme Polen in den Sinn kam, da fing es an, mir in den Adern zu sieden und zu kochen. Hat denn der allmächtige Bäcker, der große Schöpfer, diese hübsche Torte, dieses schöne Polen nur deshalb geschaffen, damit ihr mit Gabeln und Messern, mit Kartätschen und Shrappnell’s darüber herfallen sollt, um Alles ineinander zu schlagen und um es für ewig zu vertilgen? Mein Herz pochte rascher. Und als der vielfräßig-absolutistische, der westphälische Russe und als der konstitutionelle Preuße und der etwas demokratischere Oesterreicher sich nun erhoben, um wieder auf irgend eine Lumperei anzustoßen – da griff ich nach meinem Glase und: Es lebe die Republik! rief ich, daß es bis hinauf unter die Decke des Gürzenich klang – –
Ich hatte nicht mehr die Zeit, um nach dem Eindruck zu sehen, den mein unerhörter Frevel auf die Theiler der Torte hervorbringen mußte, denn in demselben Augenblick, wo ich mit der Rechten den Römer erhob und wo das verhängnißvolle Wort meinen Lippen entfloh, fühlte ich meine nach hinten fahrende Linke von eiserner Faust gefaßt und entsetzt wandte ich mich um.
Zeus Kronion, der große Gagern, stand vor mir.
Auf seiner Wanderung durch den Saal war er mit seinem Gefolge auch zu unserm Tisch gekommen – jawohl, Zeus hatte mich gefaßt mit eigner Faust. Kalt lief mir’s über den Rücken. Jetzt geht’s dir schlecht. Wie Jupiter der Erste den Prometheus an den Kaukasus schmieden ließ, damit ihm ein Geier die Leber aushacke, so wird jetzt Jupiter der Zweite, der edle Gagern, dich an den Domkrahnen hängen, damit die dummen Konstitutionellen ihre schlechten Witze über dich reißen! – Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf flog. Ja, baumeln wirst du da oben, schon in aller Herrgotts Frühe und alle deine Feinde werden kommen und lachen über dich. Da wird der Herr Inkermann kommen und rufen: Seht, dort hängt der Kerl, der über meine Verse gespottet hat; und da wird Herr von Soiron herbeieilen und schreien: Seht, das ist der Schurke, welcher sagte: ich sähe aus wie ein Kutscher! und der Herr Venedey wird gelaufen kommen und jauchzen: Seht, das ist die Lästerzunge, die mich einen Dulder und einen Hiob nannte! und der Herr Müller wird herzuspringen und lamentiren: Seht, das ist der Mensch, der nicht einmal meinen ehrlichen Namen zufrieden lassen konnte! und so werden sie alle miteinander erscheinen und sticheln und spötteln und werden mir sogar noch die Weiber unter die
Augen setzen, damit ich sie immer sehe, ohne sie je küssen zu können – daß Gott erbarm!
Doch erst dann wird es mir gelb und grün werden vor den Augen, ja erst dann wird mir der Angstschweiß ausbrechen aus allen Poren und erst dann werde ich wünschen, daß ich in dem Mittelpunkt der Erde säße, sicher und verborgen wie ein antediluvianischer Hamster: wenn nun endlich der schlimmste meiner Ankläger erscheint, wenn „sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd“ ein junger, elegantgekleideter Herr auf mich losschreitet, ja, wenn derselbe Fremdling naht, der am Morgen des Domfestes die verhängnißvolle Zeitung kaufte, um sie so rasch auseinander zu falten, um sie so erschrocken mit dem Blick zu durchfliegen – – denn zornig werden seine Augen funkeln, und mahnend wird er seine weiße aristokratische Hand erheben, und Wehe! wird er ausrufen. Wehe über diesen profanen Scribenten, der alle preußischen Junker, ja, der den ganzen deutschen Adel verhöhnt hat, indem er ach, so treu mein Leben schilderte, ja, indem er das Leben und die Thaten beschrieb: „des berühmten Ritters Schnapphahnski! – –“
So blitzte es mir durch den Schädel und noch immer hielt mich Gagerns Hand gefaßt; und wie ich jeden Augenblick erwartete, daß er Tod und Verdammniß
auf mich herabdonnern würde und in furchtbarer Spannung, weder sitzend noch stehend, abermals zu ihm emporschaute, da wäre ich fast von dem zweiten Schrecken mehr gepackt worden als von dem ersten, denn sieh, das Antlitz des großen Mannes, welches mir aber noch voll schrecklicher Wolken erschien, es schaute mit den Ausdruck der freudigsten Zufriedenheit auf mich herab; nicht zum Hängen, nein, zum Gruße hielt mich der Donnerer gefaßt und es war kein Zweifel mehr, er hatte meinen republikanischen Ruf für einen höchst konstitutionellen gehalten und ja, beim Teufel, ehe ich mich’s versah, wurde ich mit hineingerissen in das fatale Gewoge, so daß ich bald den Westphalen, den Oesterreicher und den Preußen sammt ihren Tortenresten aus dem Auge verlor und endlich von Gagerns Hand befreit, mit hinweggeschwemmt wurde von der schwarz-roth-goldnen Sündfluth, über Tische und Bänke, bis daß ich endlich an der andern Seite des Saales, auf die Schwelle der Thür gerieth, und von der Schwelle auf die Treppe und von der Treppe auf die Straße – Alaaf Köln! und vorüber war das Fest des Gürzenich.
Ja, vorüber war die große kölnische Domfarçe, bei der all’ die hohen Herrn, mit den schönsten Phrasen im Munde, aber den Groll im Herzen,
unter dem Jubel des törichten Volkes all’ die feinen Pläne ersannen, welche bald in den standrechtlichen Erschießungen Wiens, in der Octroyirung der preußischen und österreichischen Verfassung und in dem Lächerlichwerden der frankfurter Versammlung so treffliche Früchte tragen sollten.
Ja, vorüber war dies Fest des widerlichsten Kokettirens mit dem dummen souveränen Michel, und wir würden vielleicht noch darüber lachen, wenn uns durch den schimmernden Haufen dieser „volksfreundlichen“ Fürsten, dieser feilen Knechte und dieser düpirten Volksrepräsentanten nicht die kugelzerrissenen Leichen der Proletarier von Paris, von Wien und Berlin angrinsten, wenn durch dieses Gewirr der heuchlerischsten Versicherungen, der schamlosesten Lügen nicht die Sterbeseufzer der zertretenen Polen, der Hülferuf der gefolterten Ungarn und der Racheschrei der verwüsteten Lombardei zu uns herübertönten, wenn nicht das blutige Haupt eines Robert Blum vor unsre Füße rollte – doch genug! der Humor ist versiegt; das Buch ist zu Ende.
Nachspiel.
Aber was wurde aus Schnapphahnski? Lebt er, oder ist er todt?
Schnapphahnski lebt und nimmer wird er sterben. Mein Schnapphahnski ist unsterblich!