Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

wir immer noch Zeit. Die Straße hier längs dem Gebirge,
ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, ist doch die
einzige, die Sie vernünftiger Weise einschlagen können;
hinab in das Thal dürfen Sie nicht, und über das Gebirg
werden Sie noch weniger zurückkehren wollen, von wo
Sie hergekommen sind -- diese ist auch gerade meine
Straße. -- Ich sehe Sie schon vor der aufgehenden Sonne
erblassen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit
unserer Gesellschaft leihen, und Sie dulden mich dafür in
Ihrer Nähe; Sie haben so Ihren Bendel nicht mehr
bei sich; ich will Ihnen gute Dienste leisten. Sie lieben
mich nicht, das ist mir leid. Sie können mich darum
doch benutzen. Der Teufel ist nicht so schwarz, als man
ihn malt. Gestern haben Sie mich geärgert, das ist
wahr, heute will ich's Ihnen nicht nachtragen, und ich
habe Ihnen schon den Weg bis hieher verkürzt, das müssen
Sie selbst gestehen -- Nehmen Sie doch nur einmal Ih-
ren Schatten auf Probe wieder an."

Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen
uns Menschen entgegen; ich nahm, obgleich mit innerlichem
Widerwillen, den Antrag an. Er ließ lächelnd meinen
Schatten zur Erde gleiten, der alsbald seine Stelle auf
des Pferdes Schatten einnahm und lustig neben mir her-
trabte. Mir war sehr seltsam zu Muth. Ich ritt an
einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden
Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten.
Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden
Herzens seitwärts vom Pferde herab auf diesen sonst mei-

wir immer noch Zeit. Die Straße hier laͤngs dem Gebirge,
ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, iſt doch die
einzige, die Sie vernuͤnftiger Weiſe einſchlagen koͤnnen;
hinab in das Thal duͤrfen Sie nicht, und uͤber das Gebirg
werden Sie noch weniger zuruͤckkehren wollen, von wo
Sie hergekommen ſind — dieſe iſt auch gerade meine
Straße. — Ich ſehe Sie ſchon vor der aufgehenden Sonne
erblaſſen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit
unſerer Geſellſchaft leihen, und Sie dulden mich dafuͤr in
Ihrer Naͤhe; Sie haben ſo Ihren Bendel nicht mehr
bei ſich; ich will Ihnen gute Dienſte leiſten. Sie lieben
mich nicht, das iſt mir leid. Sie koͤnnen mich darum
doch benutzen. Der Teufel iſt nicht ſo ſchwarz, als man
ihn malt. Geſtern haben Sie mich geaͤrgert, das iſt
wahr, heute will ich’s Ihnen nicht nachtragen, und ich
habe Ihnen ſchon den Weg bis hieher verkuͤrzt, das muͤſſen
Sie ſelbſt geſtehen — Nehmen Sie doch nur einmal Ih-
ren Schatten auf Probe wieder an.〞

Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen
uns Menſchen entgegen; ich nahm, obgleich mit innerlichem
Widerwillen, den Antrag an. Er ließ laͤchelnd meinen
Schatten zur Erde gleiten, der alsbald ſeine Stelle auf
des Pferdes Schatten einnahm und luſtig neben mir her-
trabte. Mir war ſehr ſeltſam zu Muth. Ich ritt an
einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden
Mann ehrerbietig mit entbloͤßtem Haupte Platz machten.
Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden
Herzens ſeitwaͤrts vom Pferde herab auf dieſen ſonſt mei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0091" n="303"/>
wir immer noch Zeit. Die Straße hier la&#x0364;ngs dem Gebirge,<lb/>
ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, i&#x017F;t doch die<lb/>
einzige, die Sie vernu&#x0364;nftiger Wei&#x017F;e ein&#x017F;chlagen ko&#x0364;nnen;<lb/>
hinab in das Thal du&#x0364;rfen Sie nicht, und u&#x0364;ber das Gebirg<lb/>
werden Sie noch weniger zuru&#x0364;ckkehren wollen, von wo<lb/>
Sie hergekommen &#x017F;ind &#x2014; die&#x017F;e i&#x017F;t auch gerade meine<lb/>
Straße. &#x2014; Ich &#x017F;ehe Sie &#x017F;chon vor der aufgehenden Sonne<lb/>
erbla&#x017F;&#x017F;en. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit<lb/>
un&#x017F;erer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft leihen, und Sie dulden mich dafu&#x0364;r in<lb/>
Ihrer Na&#x0364;he; Sie haben &#x017F;o Ihren <hi rendition="#g">Bendel</hi> nicht mehr<lb/>
bei &#x017F;ich; ich will Ihnen gute Dien&#x017F;te lei&#x017F;ten. Sie lieben<lb/>
mich nicht, das i&#x017F;t mir leid. Sie ko&#x0364;nnen mich darum<lb/>
doch benutzen. Der Teufel i&#x017F;t nicht &#x017F;o &#x017F;chwarz, als man<lb/>
ihn malt. Ge&#x017F;tern haben Sie mich gea&#x0364;rgert, das i&#x017F;t<lb/>
wahr, heute will ich&#x2019;s Ihnen nicht nachtragen, und ich<lb/>
habe Ihnen &#x017F;chon den Weg bis hieher verku&#x0364;rzt, das mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;tehen &#x2014; Nehmen Sie doch nur einmal Ih-<lb/>
ren Schatten auf Probe wieder an.&#x301E;</p><lb/>
          <p>Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen<lb/>
uns Men&#x017F;chen entgegen; ich nahm, obgleich mit innerlichem<lb/>
Widerwillen, den Antrag an. Er ließ la&#x0364;chelnd meinen<lb/>
Schatten zur Erde gleiten, der alsbald &#x017F;eine Stelle auf<lb/>
des Pferdes Schatten einnahm und lu&#x017F;tig neben mir her-<lb/>
trabte. Mir war &#x017F;ehr &#x017F;elt&#x017F;am zu Muth. Ich ritt an<lb/>
einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden<lb/>
Mann ehrerbietig mit entblo&#x0364;ßtem Haupte Platz machten.<lb/>
Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden<lb/>
Herzens &#x017F;eitwa&#x0364;rts vom Pferde herab auf die&#x017F;en &#x017F;on&#x017F;t mei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0091] wir immer noch Zeit. Die Straße hier laͤngs dem Gebirge, ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, iſt doch die einzige, die Sie vernuͤnftiger Weiſe einſchlagen koͤnnen; hinab in das Thal duͤrfen Sie nicht, und uͤber das Gebirg werden Sie noch weniger zuruͤckkehren wollen, von wo Sie hergekommen ſind — dieſe iſt auch gerade meine Straße. — Ich ſehe Sie ſchon vor der aufgehenden Sonne erblaſſen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit unſerer Geſellſchaft leihen, und Sie dulden mich dafuͤr in Ihrer Naͤhe; Sie haben ſo Ihren Bendel nicht mehr bei ſich; ich will Ihnen gute Dienſte leiſten. Sie lieben mich nicht, das iſt mir leid. Sie koͤnnen mich darum doch benutzen. Der Teufel iſt nicht ſo ſchwarz, als man ihn malt. Geſtern haben Sie mich geaͤrgert, das iſt wahr, heute will ich’s Ihnen nicht nachtragen, und ich habe Ihnen ſchon den Weg bis hieher verkuͤrzt, das muͤſſen Sie ſelbſt geſtehen — Nehmen Sie doch nur einmal Ih- ren Schatten auf Probe wieder an.〞 Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen uns Menſchen entgegen; ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an. Er ließ laͤchelnd meinen Schatten zur Erde gleiten, der alsbald ſeine Stelle auf des Pferdes Schatten einnahm und luſtig neben mir her- trabte. Mir war ſehr ſeltſam zu Muth. Ich ritt an einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entbloͤßtem Haupte Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens ſeitwaͤrts vom Pferde herab auf dieſen ſonſt mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/91
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/91>, abgerufen am 25.04.2024.