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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827.

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nige Schritte vor, ich sah mich mitten unter öden
Felsen, die nur mit Moos und Steinbrucharten
bewachsen waren, und zwischen welchen Schnee
und Eisfelder lagen. Die Luft war sehr kalt, ich
sah mich um, der Wald war hinter mir verschwun-
den. Ich machte noch einige Schritte -- um mich
herrschte die Stille des Todes, unabsehbar dehnte
sich das Eis, worauf ich stand, und worauf ein
dichter Nebel schwer ruhte; die Sonne stand blu-
tig am Rande des Horizontes. Die Kälte war un-
erträglich. Ich wußte nicht, wie mir geschehen
war, der erstarrende Frost zwang mich, meine
Schritte zu beschleunigen, ich vernahm nur das
Gebrause ferner Gewässer, ein Schritt, und ich
war am Eisufer eines Oceans. Unzählbare Heer-
den von Seehunden stürzten sich vor mir rauschend
in die Fluth. Ich folgte diesem Ufer, ich sah
wieder nackte Felsen, Land, Birken- und Tannen-
wälder, ich lief noch ein Paar Minuten gerade vor
mir hin. Es war erstickend heiß, ich sah mich um,
ich stand zwischen schön gebauten Reisfeldern un-
ter Maulbeerbäumen, ich setzte mich in deren
Schatten, ich sah nach meiner Uhr, ich hatte vor
nicht einer Viertelstunde den Marktflecken verlas-

nige Schritte vor, ich ſah mich mitten unter öden
Felſen, die nur mit Moos und Steinbrucharten
bewachſen waren, und zwiſchen welchen Schnee
und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr kalt, ich
ſah mich um, der Wald war hinter mir verſchwun-
den. Ich machte noch einige Schritte — um mich
herrſchte die Stille des Todes, unabſehbar dehnte
ſich das Eis, worauf ich ſtand, und worauf ein
dichter Nebel ſchwer ruhte; die Sonne ſtand blu-
tig am Rande des Horizontes. Die Kälte war un-
erträglich. Ich wußte nicht, wie mir geſchehen
war, der erſtarrende Froſt zwang mich, meine
Schritte zu beſchleunigen, ich vernahm nur das
Gebrauſe ferner Gewäſſer, ein Schritt, und ich
war am Eisufer eines Oceans. Unzählbare Heer-
den von Seehunden ſtürzten ſich vor mir rauſchend
in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer, ich ſah
wieder nackte Felſen, Land, Birken- und Tannen-
wälder, ich lief noch ein Paar Minuten gerade vor
mir hin. Es war erſtickend heiß, ich ſah mich um,
ich ſtand zwiſchen ſchön gebauten Reisfeldern un-
ter Maulbeerbäumen, ich ſetzte mich in deren
Schatten, ich ſah nach meiner Uhr, ich hatte vor
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[109/0139] nige Schritte vor, ich ſah mich mitten unter öden Felſen, die nur mit Moos und Steinbrucharten bewachſen waren, und zwiſchen welchen Schnee und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr kalt, ich ſah mich um, der Wald war hinter mir verſchwun- den. Ich machte noch einige Schritte — um mich herrſchte die Stille des Todes, unabſehbar dehnte ſich das Eis, worauf ich ſtand, und worauf ein dichter Nebel ſchwer ruhte; die Sonne ſtand blu- tig am Rande des Horizontes. Die Kälte war un- erträglich. Ich wußte nicht, wie mir geſchehen war, der erſtarrende Froſt zwang mich, meine Schritte zu beſchleunigen, ich vernahm nur das Gebrauſe ferner Gewäſſer, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Oceans. Unzählbare Heer- den von Seehunden ſtürzten ſich vor mir rauſchend in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer, ich ſah wieder nackte Felſen, Land, Birken- und Tannen- wälder, ich lief noch ein Paar Minuten gerade vor mir hin. Es war erſtickend heiß, ich ſah mich um, ich ſtand zwiſchen ſchön gebauten Reisfeldern un- ter Maulbeerbäumen, ich ſetzte mich in deren Schatten, ich ſah nach meiner Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelſtunde den Marktflecken verlaſ-

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/139>, abgerufen am 25.04.2024.