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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827.

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sen, -- ich glaubte zu träumen, ich biß mich in
die Zunge, um mich zu erwecken; aber ich wachte
wirklich. -- Ich schloß die Augen zu, um meine Ge-
danken zusammen zu fassen. -- Ich hörte vor mir
seltsame Sylben durch die Nase zählen; ich blickte
auf: zwei Chinesen, an der asiatischen Gesichtsbil-
dung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung
keinen Glauben beimessen wollte, redeten mich
mit landesüblichen Begrüssungen in ihrer Sprache
an; ich stand auf und trat zwei Schritte zurück.
Ich sah sie nicht mehr, die Landschaft war ganz
verändert: Bäume, Wälder, statt der Reisfel-
der. Ich betrachtete diese Bäume und die Kräu-
ter, die um mich blühten; die ich kannte, waren
südöstlich asiatische Gewächse; ich wollte auf den
einen Baum zugehen, ein Schritt -- und wieder-
um alles verändert. Ich trat nun an, wie ein
Rekrut, der geübt wird, und schritt langsam, ge-
setzt einher. Wunderbar veränderliche Länder, Flu-
ren, Auen, Gebirge, Steppen, Sandwüsten, ent-
rollen sich vor meinem staunenden Blick: es war
kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenstiefeln an den
Füßen.



ſen, — ich glaubte zu träumen, ich biß mich in
die Zunge, um mich zu erwecken; aber ich wachte
wirklich. — Ich ſchloß die Augen zu, um meine Ge-
danken zuſammen zu faſſen. — Ich hörte vor mir
ſeltſame Sylben durch die Naſe zählen; ich blickte
auf: zwei Chineſen, an der aſiatiſchen Geſichtsbil-
dung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung
keinen Glauben beimeſſen wollte, redeten mich
mit landesüblichen Begrüſſungen in ihrer Sprache
an; ich ſtand auf und trat zwei Schritte zurück.
Ich ſah ſie nicht mehr, die Landſchaft war ganz
verändert: Bäume, Wälder, ſtatt der Reisfel-
der. Ich betrachtete dieſe Bäume und die Kräu-
ter, die um mich blühten; die ich kannte, waren
ſüdöſtlich aſiatiſche Gewächſe; ich wollte auf den
einen Baum zugehen, ein Schritt — und wieder-
um alles verändert. Ich trat nun an, wie ein
Rekrut, der geübt wird, und ſchritt langſam, ge-
ſetzt einher. Wunderbar veränderliche Länder, Flu-
ren, Auen, Gebirge, Steppen, Sandwüſten, ent-
rollen ſich vor meinem ſtaunenden Blick: es war
kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenſtiefeln an den
Füßen.



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[110/0140] ſen, — ich glaubte zu träumen, ich biß mich in die Zunge, um mich zu erwecken; aber ich wachte wirklich. — Ich ſchloß die Augen zu, um meine Ge- danken zuſammen zu faſſen. — Ich hörte vor mir ſeltſame Sylben durch die Naſe zählen; ich blickte auf: zwei Chineſen, an der aſiatiſchen Geſichtsbil- dung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen Glauben beimeſſen wollte, redeten mich mit landesüblichen Begrüſſungen in ihrer Sprache an; ich ſtand auf und trat zwei Schritte zurück. Ich ſah ſie nicht mehr, die Landſchaft war ganz verändert: Bäume, Wälder, ſtatt der Reisfel- der. Ich betrachtete dieſe Bäume und die Kräu- ter, die um mich blühten; die ich kannte, waren ſüdöſtlich aſiatiſche Gewächſe; ich wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt — und wieder- um alles verändert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geübt wird, und ſchritt langſam, ge- ſetzt einher. Wunderbar veränderliche Länder, Flu- ren, Auen, Gebirge, Steppen, Sandwüſten, ent- rollen ſich vor meinem ſtaunenden Blick: es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenſtiefeln an den Füßen.

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/140>, abgerufen am 24.04.2024.