Und alles um einen Schatten! und diesen Schatten hätte mir ein Federzug wieder erworben. Ich überdachte den befremdeten Antrag und mei- ne Weigerung. Es war wüst' in mir, ich hatte weder Urtheil noch Fassungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich stillte meinen Hun- ger mit wilden Früchten, meinen Durst im näch- sten Bergstrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in dem ich mich selber wie im Tode röcheln hörte. Ben- del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un- ter die Menschen zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das scheue Wild des Ge- birges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandigen Ebene, welche die Sonne be- schien, und saß auf Felsentrümmern in ihrem Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich
Und alles um einen Schatten! und dieſen Schatten hätte mir ein Federzug wieder erworben. Ich überdachte den befremdeten Antrag und mei- ne Weigerung. Es war wüſt’ in mir, ich hatte weder Urtheil noch Faſſungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hun- ger mit wilden Früchten, meinen Durſt im näch- ſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem ich mich ſelber wie im Tode röcheln hörte. Ben- del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un- ter die Menſchen zurückkehren, vor welchen ich ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Ge- birges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne be- ſchien, und ſaß auf Felſentrümmern in ihrem Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang’ entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich
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Und alles um einen Schatten! und dieſen
Schatten hätte mir ein Federzug wieder erworben.
Ich überdachte den befremdeten Antrag und mei-
ne Weigerung. Es war wüſt’ in mir, ich hatte
weder Urtheil noch Faſſungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hun-
ger mit wilden Früchten, meinen Durſt im näch-
ſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte
mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen
weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem
ich mich ſelber wie im Tode röcheln hörte. Ben-
del mußte meine Spur verloren haben, und es
freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un-
ter die Menſchen zurückkehren, vor welchen ich
ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Ge-
birges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten
auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne be-
ſchien, und ſaß auf Felſentrümmern in ihrem
Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang’ entbehrten
Anblick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz
mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/97>, abgerufen am 29.03.2023.
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