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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

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Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem
sonnigen Plan, ward uns der Weg durch eine
festlich geschmückte Menge versperrt. Der Wa-
gen hielt. Musik, Glockengeläute, Kanonenschüsse
wurden gehört, ein lautes Vivat durchdrang die
Luft, -- vor dem Schlage des Wagens erschien
in weißen Kleidern ein Chor Jungfrauen von
ausnehmender Schönheit, die aber vor der Einen,
wie die Sterne der Nacht vor der Sonne, ver-
schwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwe-
stern hervor; die hohe zarte Bildung kniete ver-
schämt erröthend vor mir nieder, und hielt mir
auf seidenem Kissen einen aus Lorbeer, Oelzwei-
gen und Rosen geflochtenen Kranz entgegen, in-
dem sie von Majestät, Ehrfurcht und Liebe einige
Worte sprach, die ich nicht verstand, aber deren
zauberischer Silberklang mein Ohr und Herz be-
rauschte, -- es war mir, als wäre schon einmal
die himmlische Erscheinung an mir vorüber ge-
wallt. Der Chor fiel ein und sang das Lob eines
guten Königs und das Glück seines Volkes.

Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten
in der Sonne! -- Sie kniete noch immer zwei
Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte

Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem
ſonnigen Plan, ward uns der Weg durch eine
feſtlich geſchmückte Menge verſperrt. Der Wa-
gen hielt. Muſik, Glockengeläute, Kanonenſchüſſe
wurden gehört, ein lautes Vivat durchdrang die
Luft, — vor dem Schlage des Wagens erſchien
in weißen Kleidern ein Chor Jungfrauen von
ausnehmender Schönheit, die aber vor der Einen,
wie die Sterne der Nacht vor der Sonne, ver-
ſchwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwe-
ſtern hervor; die hohe zarte Bildung kniete ver-
ſchämt erröthend vor mir nieder, und hielt mir
auf ſeidenem Kiſſen einen aus Lorbeer, Oelzwei-
gen und Roſen geflochtenen Kranz entgegen, in-
dem ſie von Majeſtät, Ehrfurcht und Liebe einige
Worte ſprach, die ich nicht verſtand, aber deren
zauberiſcher Silberklang mein Ohr und Herz be-
rauſchte, — es war mir, als wäre ſchon einmal
die himmliſche Erſcheinung an mir vorüber ge-
wallt. Der Chor fiel ein und ſang das Lob eines
guten Königs und das Glück ſeines Volkes.

Und dieſer Auftritt, lieber Freund, mitten
in der Sonne! — Sie kniete noch immer zwei
Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte

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[55/0065] Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem ſonnigen Plan, ward uns der Weg durch eine feſtlich geſchmückte Menge verſperrt. Der Wa- gen hielt. Muſik, Glockengeläute, Kanonenſchüſſe wurden gehört, ein lautes Vivat durchdrang die Luft, — vor dem Schlage des Wagens erſchien in weißen Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmender Schönheit, die aber vor der Einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne, ver- ſchwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwe- ſtern hervor; die hohe zarte Bildung kniete ver- ſchämt erröthend vor mir nieder, und hielt mir auf ſeidenem Kiſſen einen aus Lorbeer, Oelzwei- gen und Roſen geflochtenen Kranz entgegen, in- dem ſie von Majeſtät, Ehrfurcht und Liebe einige Worte ſprach, die ich nicht verſtand, aber deren zauberiſcher Silberklang mein Ohr und Herz be- rauſchte, — es war mir, als wäre ſchon einmal die himmliſche Erſcheinung an mir vorüber ge- wallt. Der Chor fiel ein und ſang das Lob eines guten Königs und das Glück ſeines Volkes. Und dieſer Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne! — Sie kniete noch immer zwei Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/65>, abgerufen am 25.04.2024.