ben. Ich überdachte den befremdeten Antrag und meine Weigerung. Es war wüst in mir, ich hatte weder Urtheil noch Fassungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich stillte meinen Hun- ger mit wilden Früchten, meinen Durst im näch- sten Bergstrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in dem ich mich selber wie im Tode röcheln hörte. Ben- del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un- ter die Menschen zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das scheue Wild des Gebir- ges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandigen Ebene, welche die Sonne beschien, und saß auf Felsentrümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang' entbehrten An- blick zu genießen. Ich nährte still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises Geräusch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich sah Niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir vorbei ge-
ben. Ich überdachte den befremdeten Antrag und meine Weigerung. Es war wüſt in mir, ich hatte weder Urtheil noch Faſſungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hun- ger mit wilden Früchten, meinen Durſt im näch- ſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem ich mich ſelber wie im Tode röcheln hörte. Ben- del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un- ter die Menſchen zurückkehren, vor welchen ich ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebir- ges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf Felſentrümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang’ entbehrten An- blick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein leiſes Geräuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es kam auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei ge-
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ben. Ich überdachte den befremdeten Antrag und
meine Weigerung. Es war wüſt in mir, ich hatte
weder Urtheil noch Faſſungsvermögen mehr.
Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hun-
ger mit wilden Früchten, meinen Durſt im näch-
ſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte
mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen
weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem
ich mich ſelber wie im Tode röcheln hörte. Ben-
del mußte meine Spur verloren haben, und es
freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un-
ter die Menſchen zurückkehren, vor welchen ich
ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebir-
ges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf
einer ſandigen Ebene, welche die Sonne beſchien,
und ſaß auf Felſentrümmern in ihrem Strahl,
denn ich liebte jetzt, ihren lang’ entbehrten An-
blick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz
mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein
leiſes Geräuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit,
den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/99>, abgerufen am 30.03.2023.
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