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Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742.

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§. 1.

ALle Menschen müssen sterben. Ein schlechter Trost.
Muß ist ein bitter Kraut. Wollen sterben klingt
schon etwas besser. Aber man muß unter denen
Personen, welche dergleichen von sich sagen, einen
gewaltigen Unterschied machen. Jch kan mir
nicht vorstellen, daß ein Heyde, Jüde oder böser
Christ gern sterbe. Alles, was man sagt, ist
Eitelkeit und Windmacherey. Wer, als ein natürlicher Mensch,
sein Leben nicht lieb hat, der ist nicht recht bey Sinnen. Und wer
spricht, daß er gern sterbe, da er nicht weiß, wie es um seine Seele
stehet, der redet nicht die Wahrheit. Vor ohngefehr dreyßig Jah-
ren kam in Holland eine Frantzösische Schrift heraus, darin Ex-
empel solcher Leute erzehlet werden, welche (en plaisantant) mit
Schertzen und Kurtzweilen Todes verblichen. Jch halte, daß sie
alle Narren gewesen. Denn bey einer so grossen Veränderung
läßt sichs nicht Possen treiben.

§. 2.

Also gehöret dieser Vorzug, gern zu sterben, und mit Appe-
tit zu sterben, allein für rechtschaffene Christen. Andere, welche
auch davon reden, machens wie ein Pavegoy, welcher seine ge-
wöhnliche Worte redet, sie mögen sich reimen oder nicht. Chri-
sten, sage ich, sterben mit Vergnügen, sie haben Lust abzuschei-
den. Nicht so wol, weil sie die Welt nicht viel achten, sondern
viel mehr, weil sie Verlangen tragen, bey ihrem HERRN und

GOTT
A 2


§. 1.

ALle Menſchen muͤſſen ſterben. Ein ſchlechter Troſt.
Muß iſt ein bitter Kraut. Wollen ſterben klingt
ſchon etwas beſſer. Aber man muß unter denen
Perſonen, welche dergleichen von ſich ſagen, einen
gewaltigen Unterſchied machen. Jch kan mir
nicht vorſtellen, daß ein Heyde, Juͤde oder boͤſer
Chriſt gern ſterbe. Alles, was man ſagt, iſt
Eitelkeit und Windmacherey. Wer, als ein natuͤrlicher Menſch,
ſein Leben nicht lieb hat, der iſt nicht recht bey Sinnen. Und wer
ſpricht, daß er gern ſterbe, da er nicht weiß, wie es um ſeine Seele
ſtehet, der redet nicht die Wahrheit. Vor ohngefehr dreyßig Jah-
ren kam in Holland eine Frantzoͤſiſche Schrift heraus, darin Ex-
empel ſolcher Leute erzehlet werden, welche (en plaiſantant) mit
Schertzen und Kurtzweilen Todes verblichen. Jch halte, daß ſie
alle Narren geweſen. Denn bey einer ſo groſſen Veraͤnderung
laͤßt ſichs nicht Poſſen treiben.

§. 2.

Alſo gehoͤret dieſer Vorzug, gern zu ſterben, und mit Appe-
tit zu ſterben, allein fuͤr rechtſchaffene Chriſten. Andere, welche
auch davon reden, machens wie ein Pavegoy, welcher ſeine ge-
woͤhnliche Worte redet, ſie moͤgen ſich reimen oder nicht. Chri-
ſten, ſage ich, ſterben mit Vergnuͤgen, ſie haben Luſt abzuſchei-
den. Nicht ſo wol, weil ſie die Welt nicht viel achten, ſondern
viel mehr, weil ſie Verlangen tragen, bey ihrem HERRN und

GOTT
A 2
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[[3]/0003] §. 1. ALle Menſchen muͤſſen ſterben. Ein ſchlechter Troſt. Muß iſt ein bitter Kraut. Wollen ſterben klingt ſchon etwas beſſer. Aber man muß unter denen Perſonen, welche dergleichen von ſich ſagen, einen gewaltigen Unterſchied machen. Jch kan mir nicht vorſtellen, daß ein Heyde, Juͤde oder boͤſer Chriſt gern ſterbe. Alles, was man ſagt, iſt Eitelkeit und Windmacherey. Wer, als ein natuͤrlicher Menſch, ſein Leben nicht lieb hat, der iſt nicht recht bey Sinnen. Und wer ſpricht, daß er gern ſterbe, da er nicht weiß, wie es um ſeine Seele ſtehet, der redet nicht die Wahrheit. Vor ohngefehr dreyßig Jah- ren kam in Holland eine Frantzoͤſiſche Schrift heraus, darin Ex- empel ſolcher Leute erzehlet werden, welche (en plaiſantant) mit Schertzen und Kurtzweilen Todes verblichen. Jch halte, daß ſie alle Narren geweſen. Denn bey einer ſo groſſen Veraͤnderung laͤßt ſichs nicht Poſſen treiben. §. 2. Alſo gehoͤret dieſer Vorzug, gern zu ſterben, und mit Appe- tit zu ſterben, allein fuͤr rechtſchaffene Chriſten. Andere, welche auch davon reden, machens wie ein Pavegoy, welcher ſeine ge- woͤhnliche Worte redet, ſie moͤgen ſich reimen oder nicht. Chri- ſten, ſage ich, ſterben mit Vergnuͤgen, ſie haben Luſt abzuſchei- den. Nicht ſo wol, weil ſie die Welt nicht viel achten, ſondern viel mehr, weil ſie Verlangen tragen, bey ihrem HERRN und GOTT A 2

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Zitationshilfe: Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/386596/3>, abgerufen am 19.04.2024.