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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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wertigen Organe respektive dessen überkompensiertem psy-
chischen Feld angehören
.

Es entspricht nur der Eigenart unserer Kultur und ihrer Wider-
spiegelung in der menschlichen Psyche, daß Auge, Ohr und Sprech-
organe zu ganz besonderen Leistungen angehalten werden und dem-
gemäß ganz besondere Ausbildungen ihres psychischen Überbaues auch
innerhalb des Normalen erlangen. Wo Kompensation oder Überkompen-
sation eintritt, werden die dem Organüberbau angehörigen Gedächtnis-
leistungen gesteigert, aber auch all den Gefahren ausgesetzt sein, die
dem gesteigerten Wachstum minderwertiger Organteile drohen, Störungen
der Kompensation in Form von Gedächtnisschwäche, Amnesie, Steige-
rungen als besonders betonte Erinnerungen, assoziative Verstärkungen etc.

Ich kann an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Einer
ähnlichen Betrachtung unterliegen die Ausbildung der kritischen
Fähigkeiten
im Überbau des minderwertigen Organes, die Steige-
rung der Introspektion, die Inspiration, Intuition und ge-
niales Erfassen
, die Ausbildung des halluzinatorischen Charak-
ters
in der Psyche, die Entwicklung der überwertigen Idee auf
Grundlage kompensatorischer Leistungen, die auch die Funktion des
Wollens, die Empfindung von Lust und Unlust in ihren Bereich
ziehen etc. Dem motorischen Anteil des kompensierenden Überbaues
entspringen alle Phänomene der Neurosen, die sich als motorische Ent-
ladungen geltend machen, Tic, Lähmungsformen und Krampf und
Lähmung der Hysterischen, Epilepsie
etc., deren ganzes Krank-
heitsbild der jeweiligen Konstellation im psychomotorischen Überbau
seine Entstehung verdankt, mehr weniger mit dem kompensatorischen
Ausbau des Reflexmechanismus verknüpft ist. Auch die Beschäftigungs-
krämpfe, Schreibkrampf etc. reihen sich als Kompensationsstörungen hier an.

Bei den Kinderfehlern, denen masturbatorischer Charak-
ter
zugeschrieben wird, Daumenlutschen, Lippen saugen, Kitzeln der
Haut, Berührung des Afters und echte Frühmasturbation, ist wieder
die spielerische, auf Lustgewinn berechnete Neigung zu beobachten, die
dem minderwertigen Organ, Mund, Darm, Genitalien eigen. Das Gleiche
gilt von der Enuresis nocturna. Wenn wir uns nun erinnern, daß alle
minderwertigen Organe vielleicht regelmäßig von minderwertigen Se-
xualorganen begleitet werden, denen gleichfalls die Neigung nach Lust-
gewinn in hohem Grade eigen ist, wenn wir hinzunehmen, daß fast
alle mit Kinderfehlern behafteten Kinder auch masturbatorische Be-
rührungen der Genitalien vornehmen, so müssen wir als Ergebnis dieser
Betrachtungen feststellen, daß der Besitz minderwertiger Organe

wertigen Organe respektive dessen überkompensiertem psy-
chischen Feld angehören
.

Es entspricht nur der Eigenart unserer Kultur und ihrer Wider-
spiegelung in der menschlichen Psyche, daß Auge, Ohr und Sprech-
organe zu ganz besonderen Leistungen angehalten werden und dem-
gemäß ganz besondere Ausbildungen ihres psychischen Überbaues auch
innerhalb des Normalen erlangen. Wo Kompensation oder Überkompen-
sation eintritt, werden die dem Organüberbau angehörigen Gedächtnis-
leistungen gesteigert, aber auch all den Gefahren ausgesetzt sein, die
dem gesteigerten Wachstum minderwertiger Organteile drohen, Störungen
der Kompensation in Form von Gedächtnisschwäche, Amnesie, Steige-
rungen als besonders betonte Erinnerungen, assoziative Verstärkungen etc.

Ich kann an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Einer
ähnlichen Betrachtung unterliegen die Ausbildung der kritischen
Fähigkeiten
im Überbau des minderwertigen Organes, die Steige-
rung der Introspektion, die Inspiration, Intuition und ge-
niales Erfassen
, die Ausbildung des halluzinatorischen Charak-
ters
in der Psyche, die Entwicklung der überwertigen Idee auf
Grundlage kompensatorischer Leistungen, die auch die Funktion des
Wollens, die Empfindung von Lust und Unlust in ihren Bereich
ziehen etc. Dem motorischen Anteil des kompensierenden Überbaues
entspringen alle Phänomene der Neurosen, die sich als motorische Ent-
ladungen geltend machen, Tic, Lähmungsformen und Krampf und
Lähmung der Hysterischen, Epilepsie
etc., deren ganzes Krank-
heitsbild der jeweiligen Konstellation im psychomotorischen Überbau
seine Entstehung verdankt, mehr weniger mit dem kompensatorischen
Ausbau des Reflexmechanismus verknüpft ist. Auch die Beschäftigungs-
krämpfe, Schreibkrampf etc. reihen sich als Kompensationsstörungen hier an.

Bei den Kinderfehlern, denen masturbatorischer Charak-
ter
zugeschrieben wird, Daumenlutschen, Lippen saugen, Kitzeln der
Haut, Berührung des Afters und echte Frühmasturbation, ist wieder
die spielerische, auf Lustgewinn berechnete Neigung zu beobachten, die
dem minderwertigen Organ, Mund, Darm, Genitalien eigen. Das Gleiche
gilt von der Enuresis nocturna. Wenn wir uns nun erinnern, daß alle
minderwertigen Organe vielleicht regelmäßig von minderwertigen Se-
xualorganen begleitet werden, denen gleichfalls die Neigung nach Lust-
gewinn in hohem Grade eigen ist, wenn wir hinzunehmen, daß fast
alle mit Kinderfehlern behafteten Kinder auch masturbatorische Be-
rührungen der Genitalien vornehmen, so müssen wir als Ergebnis dieser
Betrachtungen feststellen, daß der Besitz minderwertiger Organe

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[70/0082] wertigen Organe respektive dessen überkompensiertem psy- chischen Feld angehören. Es entspricht nur der Eigenart unserer Kultur und ihrer Wider- spiegelung in der menschlichen Psyche, daß Auge, Ohr und Sprech- organe zu ganz besonderen Leistungen angehalten werden und dem- gemäß ganz besondere Ausbildungen ihres psychischen Überbaues auch innerhalb des Normalen erlangen. Wo Kompensation oder Überkompen- sation eintritt, werden die dem Organüberbau angehörigen Gedächtnis- leistungen gesteigert, aber auch all den Gefahren ausgesetzt sein, die dem gesteigerten Wachstum minderwertiger Organteile drohen, Störungen der Kompensation in Form von Gedächtnisschwäche, Amnesie, Steige- rungen als besonders betonte Erinnerungen, assoziative Verstärkungen etc. Ich kann an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Einer ähnlichen Betrachtung unterliegen die Ausbildung der kritischen Fähigkeiten im Überbau des minderwertigen Organes, die Steige- rung der Introspektion, die Inspiration, Intuition und ge- niales Erfassen, die Ausbildung des halluzinatorischen Charak- ters in der Psyche, die Entwicklung der überwertigen Idee auf Grundlage kompensatorischer Leistungen, die auch die Funktion des Wollens, die Empfindung von Lust und Unlust in ihren Bereich ziehen etc. Dem motorischen Anteil des kompensierenden Überbaues entspringen alle Phänomene der Neurosen, die sich als motorische Ent- ladungen geltend machen, Tic, Lähmungsformen und Krampf und Lähmung der Hysterischen, Epilepsie etc., deren ganzes Krank- heitsbild der jeweiligen Konstellation im psychomotorischen Überbau seine Entstehung verdankt, mehr weniger mit dem kompensatorischen Ausbau des Reflexmechanismus verknüpft ist. Auch die Beschäftigungs- krämpfe, Schreibkrampf etc. reihen sich als Kompensationsstörungen hier an. Bei den Kinderfehlern, denen masturbatorischer Charak- ter zugeschrieben wird, Daumenlutschen, Lippen saugen, Kitzeln der Haut, Berührung des Afters und echte Frühmasturbation, ist wieder die spielerische, auf Lustgewinn berechnete Neigung zu beobachten, die dem minderwertigen Organ, Mund, Darm, Genitalien eigen. Das Gleiche gilt von der Enuresis nocturna. Wenn wir uns nun erinnern, daß alle minderwertigen Organe vielleicht regelmäßig von minderwertigen Se- xualorganen begleitet werden, denen gleichfalls die Neigung nach Lust- gewinn in hohem Grade eigen ist, wenn wir hinzunehmen, daß fast alle mit Kinderfehlern behafteten Kinder auch masturbatorische Be- rührungen der Genitalien vornehmen, so müssen wir als Ergebnis dieser Betrachtungen feststellen, daß der Besitz minderwertiger Organe

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/82>, abgerufen am 29.03.2024.