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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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sobald Sie es befehlen, sagte Charlotte, die ihrerseits
die Ruhe wieder gewonnen hatte. Denn ich kenne
meine Schuldigkeit. Aber erst werde ich vors
Hallesche Thor gehen, aufs Grab der seligen Frau
Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da
werde ich mit ihnen weinen, und sie sollen die klei¬
nen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß sie
ihnen einen lieben Engel vom Himmel schickt, der sie
in Schutz nimmt. Denn wissen Sie noch, Herr
Geheimrath, wie die selige Frau Geheimräthin auf
dem Todtenbette lagen! Kreideweis das Gesicht!
Ach Jesus was wird nun aus meinen Kindern! ja
das hat sie gesagt!

"Charlotte! sagte der Geheimerath, Sie weiß,
daß ich meine selige Frau innigst geliebt habe, aber
die Welt gehört den Lebendigen, sagt der Dichter,
und die Todten soll man ruhen lassen."

"Die selige Frau Geheimräthin sollen wohl Ruhe
haben, wenn Sie aus dem Grabe sehen, wie's hier
oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwä¬
gerin, kommt auch nicht umsonst wieder so oft ins
Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir
die Zunge verbrennen wie damals, und sagen was
ich denke. Aber was die selige Frau Geheimräthin
denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Klei¬
nen Zuckerbrod bringt und sie über den Kopf strei¬
chelt, das weiß ich."

"Meine Schwägerin ist eine sehr respectable
Frau, Charlotte."

ſobald Sie es befehlen, ſagte Charlotte, die ihrerſeits
die Ruhe wieder gewonnen hatte. Denn ich kenne
meine Schuldigkeit. Aber erſt werde ich vors
Halleſche Thor gehen, aufs Grab der ſeligen Frau
Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da
werde ich mit ihnen weinen, und ſie ſollen die klei¬
nen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß ſie
ihnen einen lieben Engel vom Himmel ſchickt, der ſie
in Schutz nimmt. Denn wiſſen Sie noch, Herr
Geheimrath, wie die ſelige Frau Geheimräthin auf
dem Todtenbette lagen! Kreideweis das Geſicht!
Ach Jeſus was wird nun aus meinen Kindern! ja
das hat ſie geſagt!

„Charlotte! ſagte der Geheimerath, Sie weiß,
daß ich meine ſelige Frau innigſt geliebt habe, aber
die Welt gehört den Lebendigen, ſagt der Dichter,
und die Todten ſoll man ruhen laſſen.“

„Die ſelige Frau Geheimräthin ſollen wohl Ruhe
haben, wenn Sie aus dem Grabe ſehen, wie's hier
oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwä¬
gerin, kommt auch nicht umſonſt wieder ſo oft ins
Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir
die Zunge verbrennen wie damals, und ſagen was
ich denke. Aber was die ſelige Frau Geheimräthin
denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Klei¬
nen Zuckerbrod bringt und ſie über den Kopf ſtrei¬
chelt, das weiß ich.“

„Meine Schwägerin iſt eine ſehr reſpectable
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[4/0018] ſobald Sie es befehlen, ſagte Charlotte, die ihrerſeits die Ruhe wieder gewonnen hatte. Denn ich kenne meine Schuldigkeit. Aber erſt werde ich vors Halleſche Thor gehen, aufs Grab der ſeligen Frau Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da werde ich mit ihnen weinen, und ſie ſollen die klei¬ nen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß ſie ihnen einen lieben Engel vom Himmel ſchickt, der ſie in Schutz nimmt. Denn wiſſen Sie noch, Herr Geheimrath, wie die ſelige Frau Geheimräthin auf dem Todtenbette lagen! Kreideweis das Geſicht! Ach Jeſus was wird nun aus meinen Kindern! ja das hat ſie geſagt! „Charlotte! ſagte der Geheimerath, Sie weiß, daß ich meine ſelige Frau innigſt geliebt habe, aber die Welt gehört den Lebendigen, ſagt der Dichter, und die Todten ſoll man ruhen laſſen.“ „Die ſelige Frau Geheimräthin ſollen wohl Ruhe haben, wenn Sie aus dem Grabe ſehen, wie's hier oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwä¬ gerin, kommt auch nicht umſonſt wieder ſo oft ins Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir die Zunge verbrennen wie damals, und ſagen was ich denke. Aber was die ſelige Frau Geheimräthin denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Klei¬ nen Zuckerbrod bringt und ſie über den Kopf ſtrei¬ chelt, das weiß ich.“ „Meine Schwägerin iſt eine ſehr reſpectable Frau, Charlotte.“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/18>, abgerufen am 25.04.2024.