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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Man hätte jetzt eine Röthe sehn können über
ihr blasses Gesicht steigen. Und um eine solche
Familie Sorge und Anstrengung, darum Intriguen,
damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme!
Sie kam sich selbst in dem Augenblick so ordinair vor.

Die Kutsche hielt vor ihrem Hause. Der Diener
öffnete den Schlag. Er schien aus ihren Mienen
ihre Bestimmung lesen zu wollen. Sie warf einen
Blick auf die erleuchteten Fenster: "Herr Geheimrath
erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet." -- Sie
hatte schon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen
kurzen Augenblick stehen als thue der Regen, der in
unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf
sie sich in den Wagen zurück und befahl: "In die
Komödie!"

Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem
Schauspiel am Mittage. Es war seit lange keine
Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kehrten
erst jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei
Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutscher
zog es, der tobenden Menschenschwärme wegen, vor,
durch eine der Quergassen zu fahren, welche herr¬
schaftliche Equipagen sonst vermeiden. Auch hier stopften
sich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit
durch die Kutschenfenster ein Schauspiel zu betrachten,
was Frauen ihres Standes sonst nicht aufsuchen --
an den hell erleuchteten und grell drappirten Fenstern
der kleinen Häuser die Schönheiten, welche sich den
Vorübergehenden zur Schau stellen.

Man hätte jetzt eine Röthe ſehn können über
ihr blaſſes Geſicht ſteigen. Und um eine ſolche
Familie Sorge und Anſtrengung, darum Intriguen,
damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme!
Sie kam ſich ſelbſt in dem Augenblick ſo ordinair vor.

Die Kutſche hielt vor ihrem Hauſe. Der Diener
öffnete den Schlag. Er ſchien aus ihren Mienen
ihre Beſtimmung leſen zu wollen. Sie warf einen
Blick auf die erleuchteten Fenſter: „Herr Geheimrath
erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet.“ — Sie
hatte ſchon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen
kurzen Augenblick ſtehen als thue der Regen, der in
unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf
ſie ſich in den Wagen zurück und befahl: „In die
Komödie!“

Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem
Schauſpiel am Mittage. Es war ſeit lange keine
Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kehrten
erſt jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei
Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutſcher
zog es, der tobenden Menſchenſchwärme wegen, vor,
durch eine der Quergaſſen zu fahren, welche herr¬
ſchaftliche Equipagen ſonſt vermeiden. Auch hier ſtopften
ſich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit
durch die Kutſchenfenſter ein Schauſpiel zu betrachten,
was Frauen ihres Standes ſonſt nicht aufſuchen —
an den hell erleuchteten und grell drappirten Fenſtern
der kleinen Häuſer die Schönheiten, welche ſich den
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[34/0048] Man hätte jetzt eine Röthe ſehn können über ihr blaſſes Geſicht ſteigen. Und um eine ſolche Familie Sorge und Anſtrengung, darum Intriguen, damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme! Sie kam ſich ſelbſt in dem Augenblick ſo ordinair vor. Die Kutſche hielt vor ihrem Hauſe. Der Diener öffnete den Schlag. Er ſchien aus ihren Mienen ihre Beſtimmung leſen zu wollen. Sie warf einen Blick auf die erleuchteten Fenſter: „Herr Geheimrath erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet.“ — Sie hatte ſchon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen kurzen Augenblick ſtehen als thue der Regen, der in unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf ſie ſich in den Wagen zurück und befahl: „In die Komödie!“ Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem Schauſpiel am Mittage. Es war ſeit lange keine Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kehrten erſt jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutſcher zog es, der tobenden Menſchenſchwärme wegen, vor, durch eine der Quergaſſen zu fahren, welche herr¬ ſchaftliche Equipagen ſonſt vermeiden. Auch hier ſtopften ſich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit durch die Kutſchenfenſter ein Schauſpiel zu betrachten, was Frauen ihres Standes ſonſt nicht aufſuchen — an den hell erleuchteten und grell drappirten Fenſtern der kleinen Häuſer die Schönheiten, welche ſich den Vorübergehenden zur Schau ſtellen.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/48>, abgerufen am 29.03.2024.