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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Kreise tritt, die sich ihrer Gewöhnlichkeit bewußt sind.
Der Neid, den es hervorruft, zeigt sich in der Regel
erst dann, wenn dies vornehme Wesen seine Eigen¬
schaften geltend machen will. Dies war bei der Ge¬
heimräthin nicht der Fall. Sie konnte nicht liebens¬
würdiger, bescheidener, gewissermaßen harmonischer
zur Gesellschaft auftreten; sie bedauerte so sehr den
Aufstand, den sie erregt.

"Aber warum ist Ihr lieber Mann nicht mit¬
gekommen? Wir sind ihm zwar unendlich verbunden,
daß er sich entschlossen, unsre Frau Geheimräthin uns
zu gönnen, aber es wäre doch hübsch gewesen, wenn
er sich selbst entschlossen. Das hätte erst unsre Freude
vollkommen gemacht."

"Sie thun meinem Manne unrecht, entgegnete
die Angekommene. Wenn es nach ihm gegangen,
wäre ich längst hier. Er kann es nicht sehen, wenn
ich ein Vergnügen seinetwegen entbehre. Aber liebe
Frau Geheimräthin, -- die Wirthin nämlich war
auch eine Geheimräthin -- Sie glauben nicht, wie
er jetzt mit Arbeiten überhäuft ist, und ich sehe mit
wahrer Angst, wie er sich dabei anstrengt, daß sein
Kopfleiden wieder heraustritt. So machte ich mir
ein Gewissen daraus, ihn heut zu verlassen. Aber
er hatte keine Ruhe. Wir wollten Piquet spielen;
da legte er mit dem freundlichen Blicke, dem man
nicht wiederstehen kann, die Karten weg, streichelte
mir über die Backe und sagte: Liebe Ulrike, ich
werde viel mehr Ruhe haben, wenn ich dich in heitrer,

Kreiſe tritt, die ſich ihrer Gewöhnlichkeit bewußt ſind.
Der Neid, den es hervorruft, zeigt ſich in der Regel
erſt dann, wenn dies vornehme Weſen ſeine Eigen¬
ſchaften geltend machen will. Dies war bei der Ge¬
heimräthin nicht der Fall. Sie konnte nicht liebens¬
würdiger, beſcheidener, gewiſſermaßen harmoniſcher
zur Geſellſchaft auftreten; ſie bedauerte ſo ſehr den
Aufſtand, den ſie erregt.

„Aber warum iſt Ihr lieber Mann nicht mit¬
gekommen? Wir ſind ihm zwar unendlich verbunden,
daß er ſich entſchloſſen, unſre Frau Geheimräthin uns
zu gönnen, aber es wäre doch hübſch geweſen, wenn
er ſich ſelbſt entſchloſſen. Das hätte erſt unſre Freude
vollkommen gemacht.“

„Sie thun meinem Manne unrecht, entgegnete
die Angekommene. Wenn es nach ihm gegangen,
wäre ich längſt hier. Er kann es nicht ſehen, wenn
ich ein Vergnügen ſeinetwegen entbehre. Aber liebe
Frau Geheimräthin, — die Wirthin nämlich war
auch eine Geheimräthin — Sie glauben nicht, wie
er jetzt mit Arbeiten überhäuft iſt, und ich ſehe mit
wahrer Angſt, wie er ſich dabei anſtrengt, daß ſein
Kopfleiden wieder heraustritt. So machte ich mir
ein Gewiſſen daraus, ihn heut zu verlaſſen. Aber
er hatte keine Ruhe. Wir wollten Piquet ſpielen;
da legte er mit dem freundlichen Blicke, dem man
nicht wiederſtehen kann, die Karten weg, ſtreichelte
mir über die Backe und ſagte: Liebe Ulrike, ich
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[40/0054] Kreiſe tritt, die ſich ihrer Gewöhnlichkeit bewußt ſind. Der Neid, den es hervorruft, zeigt ſich in der Regel erſt dann, wenn dies vornehme Weſen ſeine Eigen¬ ſchaften geltend machen will. Dies war bei der Ge¬ heimräthin nicht der Fall. Sie konnte nicht liebens¬ würdiger, beſcheidener, gewiſſermaßen harmoniſcher zur Geſellſchaft auftreten; ſie bedauerte ſo ſehr den Aufſtand, den ſie erregt. „Aber warum iſt Ihr lieber Mann nicht mit¬ gekommen? Wir ſind ihm zwar unendlich verbunden, daß er ſich entſchloſſen, unſre Frau Geheimräthin uns zu gönnen, aber es wäre doch hübſch geweſen, wenn er ſich ſelbſt entſchloſſen. Das hätte erſt unſre Freude vollkommen gemacht.“ „Sie thun meinem Manne unrecht, entgegnete die Angekommene. Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich längſt hier. Er kann es nicht ſehen, wenn ich ein Vergnügen ſeinetwegen entbehre. Aber liebe Frau Geheimräthin, — die Wirthin nämlich war auch eine Geheimräthin — Sie glauben nicht, wie er jetzt mit Arbeiten überhäuft iſt, und ich ſehe mit wahrer Angſt, wie er ſich dabei anſtrengt, daß ſein Kopfleiden wieder heraustritt. So machte ich mir ein Gewiſſen daraus, ihn heut zu verlaſſen. Aber er hatte keine Ruhe. Wir wollten Piquet ſpielen; da legte er mit dem freundlichen Blicke, dem man nicht wiederſtehen kann, die Karten weg, ſtreichelte mir über die Backe und ſagte: Liebe Ulrike, ich werde viel mehr Ruhe haben, wenn ich dich in heitrer,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/54>, abgerufen am 19.04.2024.