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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen
bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand
jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister
das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob
er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der
Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn
er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand
spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang
verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in
beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬
gelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein
Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der
Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu
drei Viertel ausgeleert und der Entschluß noch nicht
gekommen.

Ein Entschluß kostet jedem etwas, wer aber weiß,
wie der beste gefaßte zum übeln ausschlagen kann,
und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewußt,
der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt
haben.

Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬
schlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß
frei zu werden? Es war kein geringes für jemand,
der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her
gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn
diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt,
sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spie¬
les überdrüssig, läßt sie es nur zu ihrem Amüsement,
dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬

den Medoc. Es war mehr als ſtill, ich würde ſagen
bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand
jedesmal unruhig geworden, ſobald der Rittmeiſter
das Glas aus der Flaſche wieder vollſchenkte. Ob
er Gedanken ſchöpfte, ob er ſie verſchluckte? Der
Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn
er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand
ſpiegelte drei Poſitionen, in denen er Minuten lang
verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in
beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬
gelehnt, mit geſunkenen Armen, oder, wenn ein
Entſchluß zu kommen ſchien, ſie plötzlich auf der
Bruſt verſchränkend. Aber die Flaſche war ſchon zu
drei Viertel ausgeleert und der Entſchluß noch nicht
gekommen.

Ein Entſchluß koſtet jedem etwas, wer aber weiß,
wie der beſte gefaßte zum übeln ausſchlagen kann,
und wer nur die Erfahrung des Rittmeiſters gewußt,
der würde ihn um ſeine Unentſchloſſenheit nicht getadelt
haben.

Hatte er ſich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬
ſchloſſen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß
frei zu werden? Es war kein geringes für jemand,
der von zwei unſichtbaren Schutzengeln hin und her
gezogen wird, und in ſich keinen Oberen findet. Wenn
dieſe ihm zuraunten: ſie hat dich eigentlich nie geliebt,
ſie hat nur geſpielt mit dir; nun auch dieſes Spie¬
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[72/0082] den Medoc. Es war mehr als ſtill, ich würde ſagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, ſobald der Rittmeiſter das Glas aus der Flaſche wieder vollſchenkte. Ob er Gedanken ſchöpfte, ob er ſie verſchluckte? Der Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand ſpiegelte drei Poſitionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬ gelehnt, mit geſunkenen Armen, oder, wenn ein Entſchluß zu kommen ſchien, ſie plötzlich auf der Bruſt verſchränkend. Aber die Flaſche war ſchon zu drei Viertel ausgeleert und der Entſchluß noch nicht gekommen. Ein Entſchluß koſtet jedem etwas, wer aber weiß, wie der beſte gefaßte zum übeln ausſchlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeiſters gewußt, der würde ihn um ſeine Unentſchloſſenheit nicht getadelt haben. Hatte er ſich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬ ſchloſſen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für jemand, der von zwei unſichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in ſich keinen Oberen findet. Wenn dieſe ihm zuraunten: ſie hat dich eigentlich nie geliebt, ſie hat nur geſpielt mit dir; nun auch dieſes Spie¬ les überdrüſſig, läßt ſie es nur zu ihrem Amüſement, dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/82>, abgerufen am 23.04.2024.