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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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als Adelheid sie entkleidete; sie hatte nie die Fürstin
zittern gesehen. Auch war sie seit lange nicht so
zärtlich gewesen. Als sie ihr zum Schlafengehen die
Hand drückte, sprach sie: "A propos, ich vergaß Ihnen
zu sagen, die Königin hat sich wieder durch die Voß
nach Ihnen erkundigen lassen. Bereiten Sie sich vor,
bei nächster passender Gelegenheit werde ich Sie der
Majestät vorstellen. Sie werden ihr sehr gefallen."

Die aufsteigende Sonne konnte nicht durch
die schweren Jalousieläden in das dunkle Zimmer
dringen, sonst hätte sie auf dem Sopha ein sehr
frohes Gesicht gesehen. Das Lächeln blieb, als Adel¬
heid einschlief. Sie hatte sich bis heut vor der an¬
gekündigten und immer wieder aufgeschobenen Vor¬
stellung vor der Königin gescheut. Heut träumte sie,
daß Engel sie zu ihr führten.

Als Louis Bovillard in sein Zimmer trat, goß
die Tageskönigin ihr erstes volles Roth durch das
Fenster. Alle Gegenstände waren purpurn, am leuch¬
tendsten aber sein Gesicht, als er in dem Goldschein
Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerst
glauben, es sei ein Traum. -- Er zerdrückte eine
Thräne, die sich über die Wimpern schleichen wollte,
riß das Fenster auf, schlürfte die wonnige Morgen¬
luft ein und warf sich dann lächelnd auf's Sopha.
Es war am späten Vormittag, als er erwachte, aber
sein Gesicht lächelte noch immer.


als Adelheid ſie entkleidete; ſie hatte nie die Fürſtin
zittern geſehen. Auch war ſie ſeit lange nicht ſo
zärtlich geweſen. Als ſie ihr zum Schlafengehen die
Hand drückte, ſprach ſie: „A propos, ich vergaß Ihnen
zu ſagen, die Königin hat ſich wieder durch die Voß
nach Ihnen erkundigen laſſen. Bereiten Sie ſich vor,
bei nächſter paſſender Gelegenheit werde ich Sie der
Majeſtät vorſtellen. Sie werden ihr ſehr gefallen.“

Die aufſteigende Sonne konnte nicht durch
die ſchweren Jalouſieläden in das dunkle Zimmer
dringen, ſonſt hätte ſie auf dem Sopha ein ſehr
frohes Geſicht geſehen. Das Lächeln blieb, als Adel¬
heid einſchlief. Sie hatte ſich bis heut vor der an¬
gekündigten und immer wieder aufgeſchobenen Vor¬
ſtellung vor der Königin geſcheut. Heut träumte ſie,
daß Engel ſie zu ihr führten.

Als Louis Bovillard in ſein Zimmer trat, goß
die Tageskönigin ihr erſtes volles Roth durch das
Fenſter. Alle Gegenſtände waren purpurn, am leuch¬
tendſten aber ſein Geſicht, als er in dem Goldſchein
Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerſt
glauben, es ſei ein Traum. — Er zerdrückte eine
Thräne, die ſich über die Wimpern ſchleichen wollte,
riß das Fenſter auf, ſchlürfte die wonnige Morgen¬
luft ein und warf ſich dann lächelnd auf's Sopha.
Es war am ſpäten Vormittag, als er erwachte, aber
ſein Geſicht lächelte noch immer.


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[297/0307] als Adelheid ſie entkleidete; ſie hatte nie die Fürſtin zittern geſehen. Auch war ſie ſeit lange nicht ſo zärtlich geweſen. Als ſie ihr zum Schlafengehen die Hand drückte, ſprach ſie: „A propos, ich vergaß Ihnen zu ſagen, die Königin hat ſich wieder durch die Voß nach Ihnen erkundigen laſſen. Bereiten Sie ſich vor, bei nächſter paſſender Gelegenheit werde ich Sie der Majeſtät vorſtellen. Sie werden ihr ſehr gefallen.“ Die aufſteigende Sonne konnte nicht durch die ſchweren Jalouſieläden in das dunkle Zimmer dringen, ſonſt hätte ſie auf dem Sopha ein ſehr frohes Geſicht geſehen. Das Lächeln blieb, als Adel¬ heid einſchlief. Sie hatte ſich bis heut vor der an¬ gekündigten und immer wieder aufgeſchobenen Vor¬ ſtellung vor der Königin geſcheut. Heut träumte ſie, daß Engel ſie zu ihr führten. Als Louis Bovillard in ſein Zimmer trat, goß die Tageskönigin ihr erſtes volles Roth durch das Fenſter. Alle Gegenſtände waren purpurn, am leuch¬ tendſten aber ſein Geſicht, als er in dem Goldſchein Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerſt glauben, es ſei ein Traum. — Er zerdrückte eine Thräne, die ſich über die Wimpern ſchleichen wollte, riß das Fenſter auf, ſchlürfte die wonnige Morgen¬ luft ein und warf ſich dann lächelnd auf's Sopha. Es war am ſpäten Vormittag, als er erwachte, aber ſein Geſicht lächelte noch immer.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/307>, abgerufen am 29.03.2024.