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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Steile Felsberge wipfeln sich über der Stadt;
die Knaben üben sich im Spiel zu klettern, der Je¬
naer Bursch wagt in kecker Laune den gefährlichen
graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und
Kanonen zu uns herauf? scheinen die kahlen Berge
höhnisch zu fragen. Aber ein siegreiches Kriegsheer
hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht
voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kien¬
scheite erhellten die Berge, die Axtschläge krachten
durch das Thal. Es giebt keine noch so nackte und
steile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wen¬
dungen zu gewinnen ist. Einige hat hier die Natur
oder Vorzeit schon gebildet, der Berg am Mühlthal
heißt die Schnecke, andre kann ein geübter Blick su¬
chen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunst
nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe
der deutschen Wissenschaft. Ein gelehrter Militair in
seiner Suite, welcher einst in Jena studirt, wies den
Ingenieuren die Stege, die er in tollem Uebermuth
der Jugend erklettert. Was man in einer Wette
thut um Kannen Bier, soll man's nicht, wo der
Einsatz die Weltherrschaft ist! Schaufeln und Aexte
halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geschleudert, Baum¬
stämme wurden zu Brücken und das Saalufer von
Jena war kein schneebedeckter Simplon. Wo die
Pferde nicht konnten, zogen Menschenarme das Ge¬
schütz. Napoleon schmähte in dieser Nacht nicht auf
die Ideologie der deutschen Studenten.

Lange ehe der erste Hahn krähte, war es voll¬

V. 18

Steile Felsberge wipfeln ſich über der Stadt;
die Knaben üben ſich im Spiel zu klettern, der Je¬
naer Burſch wagt in kecker Laune den gefährlichen
graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und
Kanonen zu uns herauf? ſcheinen die kahlen Berge
höhniſch zu fragen. Aber ein ſiegreiches Kriegsheer
hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht
voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kien¬
ſcheite erhellten die Berge, die Axtſchläge krachten
durch das Thal. Es giebt keine noch ſo nackte und
ſteile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wen¬
dungen zu gewinnen iſt. Einige hat hier die Natur
oder Vorzeit ſchon gebildet, der Berg am Mühlthal
heißt die Schnecke, andre kann ein geübter Blick ſu¬
chen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunſt
nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe
der deutſchen Wiſſenſchaft. Ein gelehrter Militair in
ſeiner Suite, welcher einſt in Jena ſtudirt, wies den
Ingenieuren die Stege, die er in tollem Uebermuth
der Jugend erklettert. Was man in einer Wette
thut um Kannen Bier, ſoll man's nicht, wo der
Einſatz die Weltherrſchaft iſt! Schaufeln und Aexte
halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geſchleudert, Baum¬
ſtämme wurden zu Brücken und das Saalufer von
Jena war kein ſchneebedeckter Simplon. Wo die
Pferde nicht konnten, zogen Menſchenarme das Ge¬
ſchütz. Napoleon ſchmähte in dieſer Nacht nicht auf
die Ideologie der deutſchen Studenten.

Lange ehe der erſte Hahn krähte, war es voll¬

V. 18
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[273/0283] Steile Felsberge wipfeln ſich über der Stadt; die Knaben üben ſich im Spiel zu klettern, der Je¬ naer Burſch wagt in kecker Laune den gefährlichen graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und Kanonen zu uns herauf? ſcheinen die kahlen Berge höhniſch zu fragen. Aber ein ſiegreiches Kriegsheer hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kien¬ ſcheite erhellten die Berge, die Axtſchläge krachten durch das Thal. Es giebt keine noch ſo nackte und ſteile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wen¬ dungen zu gewinnen iſt. Einige hat hier die Natur oder Vorzeit ſchon gebildet, der Berg am Mühlthal heißt die Schnecke, andre kann ein geübter Blick ſu¬ chen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunſt nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe der deutſchen Wiſſenſchaft. Ein gelehrter Militair in ſeiner Suite, welcher einſt in Jena ſtudirt, wies den Ingenieuren die Stege, die er in tollem Uebermuth der Jugend erklettert. Was man in einer Wette thut um Kannen Bier, ſoll man's nicht, wo der Einſatz die Weltherrſchaft iſt! Schaufeln und Aexte halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geſchleudert, Baum¬ ſtämme wurden zu Brücken und das Saalufer von Jena war kein ſchneebedeckter Simplon. Wo die Pferde nicht konnten, zogen Menſchenarme das Ge¬ ſchütz. Napoleon ſchmähte in dieſer Nacht nicht auf die Ideologie der deutſchen Studenten. Lange ehe der erſte Hahn krähte, war es voll¬ V. 18

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/283>, abgerufen am 29.03.2024.