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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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stieg aus; die Einöde der lithauischen Haide trat ihm in ihrer ganzen Schauerlichkeit entgegen. Kein Geräusch als das Aechzen der windgeworfenen Kiefern; der naßkalte Nebel rieselte durch Pelz und Rock; der moosbewachsene Weg war kaum zehn Schritt weit zu entdecken. Der Kutscher zuckte die Achseln auf seine Frage, ob nicht Nebenwege abgingen und der Mensch sich verirrt haben könne? Es kreuzten wohl hundert Wege, und er, des Ortes kundig, habe schon Mühe den richtigsten zu halten. Er ließ mit der Peitsche knallen und pfeifen. Es kam keine Antwort. Der Kutscher, der überhaupt auf Seiten des blinden Passagiers zu sein schien, warf eine Bemerkung hin, die nicht zur Beruhigung seines Herrn diente, wie mancher einzelne Reisende schon in diesen ausgedehnten unwirthlichen Strichen, von Wölfen, Bären, Auerochsen, Elennthieren und anderm Raubgezücht bevölkert, umgekommen sei. Er rügte die Grille seines Herrn, die ihn keinen Diener weiter mitnehmen ließ, und meinte, die Vorsicht, die er, für solche Gegenden nothwendig, anzuwenden vergessen, sei noch glücklich durch den Zufall, der den Studenten ihnen zugeführt, ausgeglichen gewesen.

Sacken schnürte sich rasch den Pelz zu und hieß den Kutscher die Pferde hüten, er wolle nachsehn, ob der junge Mensch nicht irgend wo am Wege liegen geblieben. -- So ist er immer, dachte der Mann bei sich, als sein Herr ihn verlassen: während er alle Menschen quält, quält er sich am meisten. Wer nur Geduld hat sich von ihm anfahren zu lassen, hat es gut, denn er

stieg aus; die Einöde der lithauischen Haide trat ihm in ihrer ganzen Schauerlichkeit entgegen. Kein Geräusch als das Aechzen der windgeworfenen Kiefern; der naßkalte Nebel rieselte durch Pelz und Rock; der moosbewachsene Weg war kaum zehn Schritt weit zu entdecken. Der Kutscher zuckte die Achseln auf seine Frage, ob nicht Nebenwege abgingen und der Mensch sich verirrt haben könne? Es kreuzten wohl hundert Wege, und er, des Ortes kundig, habe schon Mühe den richtigsten zu halten. Er ließ mit der Peitsche knallen und pfeifen. Es kam keine Antwort. Der Kutscher, der überhaupt auf Seiten des blinden Passagiers zu sein schien, warf eine Bemerkung hin, die nicht zur Beruhigung seines Herrn diente, wie mancher einzelne Reisende schon in diesen ausgedehnten unwirthlichen Strichen, von Wölfen, Bären, Auerochsen, Elennthieren und anderm Raubgezücht bevölkert, umgekommen sei. Er rügte die Grille seines Herrn, die ihn keinen Diener weiter mitnehmen ließ, und meinte, die Vorsicht, die er, für solche Gegenden nothwendig, anzuwenden vergessen, sei noch glücklich durch den Zufall, der den Studenten ihnen zugeführt, ausgeglichen gewesen.

Sacken schnürte sich rasch den Pelz zu und hieß den Kutscher die Pferde hüten, er wolle nachsehn, ob der junge Mensch nicht irgend wo am Wege liegen geblieben. — So ist er immer, dachte der Mann bei sich, als sein Herr ihn verlassen: während er alle Menschen quält, quält er sich am meisten. Wer nur Geduld hat sich von ihm anfahren zu lassen, hat es gut, denn er

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/47>, abgerufen am 29.03.2024.