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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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an der Hand der schönen Kaisernichte in sein Herzogthum einzuziehen, war eine Leiche zurückgekehrt. Auf der Reise war der achtzehnjährige Herzog in den Armen der jungen Gattin erkrankt und gestorben. Anna Iwanowna, Peter des Großen Nichte, zog in die Thore Mitau's als Wittwe ein. Ihr Brautgefolge war ein Leichenzug. Ihr erster Regierungsact die Bestattung Dessen, der durch sein Leben allein ihr ein gesetzliches Recht zum Herrschen mittheilen konnte. Der Letzte aus dem Herzoggeschlecht der Kettler war in die Gruft gelenkt; was vom Stamme noch übrig blieb, waren dürre Aeste, deren Rechte unbeachtet blieben, weil ihnen die Kraft abging, sie geltend zu machen. Trauerflor, gedämpfte Musik und matter Fackelschein erfüllte die Hauptkirche, und Volk aus allen Ständen drängte baarhäuptig, stumm, um den prachtvollen Katafalk. -- Die Blicke schienen sich zu fragen, was nun aus ihnen, was aus dem Lande werden solle? Laut sprach es Keiner aus. Die gespornten Tritte der moskowitischen Begleiter der Herzogin mochten die Antwort unterdrücken oder sie selbst geben. -- Einer, mit verschränkten Armen am Pfeiler stehend, schien nicht zu bemerken, daß die Menge sich schon verloren hatte. Er trat jetzt vor, und einen Zipfel vom Sargtuche abreißend, sprach er: Das also der Schatz, den ich aus den Händen ließ! Wahrlich ein größerer, als ich wähnte, denn mit dem Sarge versinkt in die Vergessenheit unsere Freiheit, Selbständigkeit, vielleicht unser Vaterland! -- Es war Theosophus

an der Hand der schönen Kaisernichte in sein Herzogthum einzuziehen, war eine Leiche zurückgekehrt. Auf der Reise war der achtzehnjährige Herzog in den Armen der jungen Gattin erkrankt und gestorben. Anna Iwanowna, Peter des Großen Nichte, zog in die Thore Mitau's als Wittwe ein. Ihr Brautgefolge war ein Leichenzug. Ihr erster Regierungsact die Bestattung Dessen, der durch sein Leben allein ihr ein gesetzliches Recht zum Herrschen mittheilen konnte. Der Letzte aus dem Herzoggeschlecht der Kettler war in die Gruft gelenkt; was vom Stamme noch übrig blieb, waren dürre Aeste, deren Rechte unbeachtet blieben, weil ihnen die Kraft abging, sie geltend zu machen. Trauerflor, gedämpfte Musik und matter Fackelschein erfüllte die Hauptkirche, und Volk aus allen Ständen drängte baarhäuptig, stumm, um den prachtvollen Katafalk. — Die Blicke schienen sich zu fragen, was nun aus ihnen, was aus dem Lande werden solle? Laut sprach es Keiner aus. Die gespornten Tritte der moskowitischen Begleiter der Herzogin mochten die Antwort unterdrücken oder sie selbst geben. — Einer, mit verschränkten Armen am Pfeiler stehend, schien nicht zu bemerken, daß die Menge sich schon verloren hatte. Er trat jetzt vor, und einen Zipfel vom Sargtuche abreißend, sprach er: Das also der Schatz, den ich aus den Händen ließ! Wahrlich ein größerer, als ich wähnte, denn mit dem Sarge versinkt in die Vergessenheit unsere Freiheit, Selbständigkeit, vielleicht unser Vaterland! — Es war Theosophus

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/56>, abgerufen am 29.03.2024.