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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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unrecht hat, der von ihnen behauptet, das eine finge ungefähr da an, wo das andre aufhörte, - und daß es auch hier nicht nur an einem mangelhaften Gelingen liegt, vielmehr bereits enthalten ist in zwei grundverschiedenen Methoden des Erlebens der Liebe.

Denn der erotische Affekt vollendet sich darin in der Tat nur in dem Sinn, wie der Fluß im Meer, und sieht damit seine besondere Art von Gefühlsethik, - wonach er allein eine Gemeinsamkeit adelte oder aufhob, - zunichte werden, - von breitern außererotischen Zusammenhängen miteinbegriffen werden. Ein Lebensbund ist erst in dem geschlossen, was das Hinschwinden eines frühern Affekts, das Hinzukommen eines spätem zu überdauern den Willen hat, - was sich wertvoll genug weiß, um auch auf solche Opfer einzugehn: weil ein Leben darin ausgetragen werden will, das der gleichen Sicherung und Schonung, des gleichen Opferwillens bedarf, wie die leiblich gezeugte Frucht. Im Grunde ist das zwar nichts andres, und auch um nichts mehr, als was man ohne weiteres von jedem erwartet, der sich einem Dienst, einer Sache, auf jedeGefahr hin verpflichtet hat, und sich grade da am meisten schämen würde, an ihr zum Überläufer zu werden, wo er selbst sie in Gefahr gebracht hätte. Dieser männlichere Begriff der Treue muß dem gefühlsmäßigen, oder dem auf weiblich-instinkthaftem Triebzusammenhang beruhenden, hinzugefügt werden: das rein persönliche Belieben, das manchmal auslangt, aber letzten Endes alles auf eine Temperamentsfrage basiert, muß darin überwunden sein. Erst das Hinaussein über das Subjektive allein (als wie "sittlich empfunden" es sich auch gab), - ja, wenn man so will, erst das Einbegreifen eines asketischen Moments, unterscheidet Liebesrausch und Lebensbund, und es unterscheidet

unrecht hat, der von ihnen behauptet, das eine finge ungefähr da an, wo das andre aufhörte, – und daß es auch hier nicht nur an einem mangelhaften Gelingen liegt, vielmehr bereits enthalten ist in zwei grundverschiedenen Methoden des Erlebens der Liebe.

Denn der erotische Affekt vollendet sich darin in der Tat nur in dem Sinn, wie der Fluß im Meer, und sieht damit seine besondere Art von Gefühlsethik, – wonach er allein eine Gemeinsamkeit adelte oder aufhob, – zunichte werden, – von breitern außererotischen Zusammenhängen miteinbegriffen werden. Ein Lebensbund ist erst in dem geschlossen, was das Hinschwinden eines frühern Affekts, das Hinzukommen eines spätem zu überdauern den Willen hat, – was sich wertvoll genug weiß, um auch auf solche Opfer einzugehn: weil ein Leben darin ausgetragen werden will, das der gleichen Sicherung und Schonung, des gleichen Opferwillens bedarf, wie die leiblich gezeugte Frucht. Im Grunde ist das zwar nichts andres, und auch um nichts mehr, als was man ohne weiteres von jedem erwartet, der sich einem Dienst, einer Sache, auf jedeGefahr hin verpflichtet hat, und sich grade da am meisten schämen würde, an ihr zum Überläufer zu werden, wo er selbst sie in Gefahr gebracht hätte. Dieser männlichere Begriff der Treue muß dem gefühlsmäßigen, oder dem auf weiblich-instinkthaftem Triebzusammenhang beruhenden, hinzugefügt werden: das rein persönliche Belieben, das manchmal auslangt, aber letzten Endes alles auf eine Temperamentsfrage basiert, muß darin überwunden sein. Erst das Hinaussein über das Subjektive allein (als wie „sittlich empfunden“ es sich auch gab), – ja, wenn man so will, erst das Einbegreifen eines asketischen Moments, unterscheidet Liebesrausch und Lebensbund, und es unterscheidet

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[62/0062] unrecht hat, der von ihnen behauptet, das eine finge ungefähr da an, wo das andre aufhörte, – und daß es auch hier nicht nur an einem mangelhaften Gelingen liegt, vielmehr bereits enthalten ist in zwei grundverschiedenen Methoden des Erlebens der Liebe. Denn der erotische Affekt vollendet sich darin in der Tat nur in dem Sinn, wie der Fluß im Meer, und sieht damit seine besondere Art von Gefühlsethik, – wonach er allein eine Gemeinsamkeit adelte oder aufhob, – zunichte werden, – von breitern außererotischen Zusammenhängen miteinbegriffen werden. Ein Lebensbund ist erst in dem geschlossen, was das Hinschwinden eines frühern Affekts, das Hinzukommen eines spätem zu überdauern den Willen hat, – was sich wertvoll genug weiß, um auch auf solche Opfer einzugehn: weil ein Leben darin ausgetragen werden will, das der gleichen Sicherung und Schonung, des gleichen Opferwillens bedarf, wie die leiblich gezeugte Frucht. Im Grunde ist das zwar nichts andres, und auch um nichts mehr, als was man ohne weiteres von jedem erwartet, der sich einem Dienst, einer Sache, auf jedeGefahr hin verpflichtet hat, und sich grade da am meisten schämen würde, an ihr zum Überläufer zu werden, wo er selbst sie in Gefahr gebracht hätte. Dieser männlichere Begriff der Treue muß dem gefühlsmäßigen, oder dem auf weiblich-instinkthaftem Triebzusammenhang beruhenden, hinzugefügt werden: das rein persönliche Belieben, das manchmal auslangt, aber letzten Endes alles auf eine Temperamentsfrage basiert, muß darin überwunden sein. Erst das Hinaussein über das Subjektive allein (als wie „sittlich empfunden“ es sich auch gab), – ja, wenn man so will, erst das Einbegreifen eines asketischen Moments, unterscheidet Liebesrausch und Lebensbund, und es unterscheidet

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/62>, abgerufen am 25.04.2024.