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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Hermann Eduard Jahn.
Sie.

"Verwehte Blätter".

Ein The dansant -- langweilige Gesichter,
Langweilig plump ist auch ein jeder Fuß --
Schon brennen am Klavier die Schreckenslichter,
Man ahnt gequält den kommenden Genuß.
Da sah ich sie -- die Fee der Mondenstrahlen --
Die rosig unter allen Basen stand --
Ich wett', die Stiefelchen sind Wallnußschalen,
Und Spinnweb ist das duftige Gewand!
Hin huschte sie -- da schien es mir, es biegen
Die Stühle sich der Zauberkönigin -- -- --
Die beiden Füßchen, sieh zwei lose Fliegen
Die huschen neckisch über'm Teppich hin.
Zwei wilde Fliegen hasten sie vorüber,
Purr -- surr, so tönt's dem bleichen Träumer zu --
Da seufzt er auf, sein blaues Aug' wird trüber,
Sie fing sein Herz in ihrem kleinen Schuh.
Und Hochzeit ward's. O süße, flücht'ge Stunde,
Da endlich man zum ersten Mal allein!
Die alte Wanduhr schnarrt' mit rauhem Munde
Mißmuthig just ein lautes "Ein." --
Da klopfte er an seines Himmels Pforte,
Ein leises Husten scholl zu ihm heraus -- --
O schöner wohl als alle leeren Worte
Sagt dieser Klang: "Tritt ein, du bist zu Haus" --
Schnell trat er ein -- vom Kissen fast bedecket
So lag sie da, ein wildes Vögelein --
Ein Mäuschen, das sich zitternd hat verstecket,
Da just der graue Kater tritt herein.
Da warf er sich, sie stürmisch küssend, nieder.
Sie küßte wieder, doch so bang, so scheu -- --
Kehrt auch die schöne Stunde nimmer wieder,
Sie schaffet schöne Stunden immer neu!


Hermann Eduard Jahn.
Sie.

„Verwehte Blätter“.

Ein Thé dansant — langweilige Geſichter,
Langweilig plump iſt auch ein jeder Fuß —
Schon brennen am Klavier die Schreckenslichter,
Man ahnt gequält den kommenden Genuß.
Da ſah ich ſie — die Fee der Mondenſtrahlen —
Die roſig unter allen Baſen ſtand —
Ich wett’, die Stiefelchen ſind Wallnußſchalen,
Und Spinnweb iſt das duftige Gewand!
Hin huſchte ſie — da ſchien es mir, es biegen
Die Stühle ſich der Zauberkönigin — — —
Die beiden Füßchen, ſieh zwei loſe Fliegen
Die huſchen neckiſch über’m Teppich hin.
Zwei wilde Fliegen haſten ſie vorüber,
Purr — ſurr, ſo tönt’s dem bleichen Träumer zu —
Da ſeufzt er auf, ſein blaues Aug’ wird trüber,
Sie fing ſein Herz in ihrem kleinen Schuh.
Und Hochzeit ward’s. O ſüße, flücht’ge Stunde,
Da endlich man zum erſten Mal allein!
Die alte Wanduhr ſchnarrt’ mit rauhem Munde
Mißmuthig juſt ein lautes „Ein.“ —
Da klopfte er an ſeines Himmels Pforte,
Ein leiſes Huſten ſcholl zu ihm heraus — —
O ſchöner wohl als alle leeren Worte
Sagt dieſer Klang: „Tritt ein, du biſt zu Haus“ —
Schnell trat er ein — vom Kiſſen faſt bedecket
So lag ſie da, ein wildes Vögelein —
Ein Mäuschen, das ſich zitternd hat verſtecket,
Da juſt der graue Kater tritt herein.
Da warf er ſich, ſie ſtürmiſch küſſend, nieder.
Sie küßte wieder, doch ſo bang, ſo ſcheu — —
Kehrt auch die ſchöne Stunde nimmer wieder,
Sie ſchaffet ſchöne Stunden immer neu!


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[239/0257] Hermann Eduard Jahn. Sie. „Verwehte Blätter“. Ein Thé dansant — langweilige Geſichter, Langweilig plump iſt auch ein jeder Fuß — Schon brennen am Klavier die Schreckenslichter, Man ahnt gequält den kommenden Genuß. Da ſah ich ſie — die Fee der Mondenſtrahlen — Die roſig unter allen Baſen ſtand — Ich wett’, die Stiefelchen ſind Wallnußſchalen, Und Spinnweb iſt das duftige Gewand! Hin huſchte ſie — da ſchien es mir, es biegen Die Stühle ſich der Zauberkönigin — — — Die beiden Füßchen, ſieh zwei loſe Fliegen Die huſchen neckiſch über’m Teppich hin. Zwei wilde Fliegen haſten ſie vorüber, Purr — ſurr, ſo tönt’s dem bleichen Träumer zu — Da ſeufzt er auf, ſein blaues Aug’ wird trüber, Sie fing ſein Herz in ihrem kleinen Schuh. Und Hochzeit ward’s. O ſüße, flücht’ge Stunde, Da endlich man zum erſten Mal allein! Die alte Wanduhr ſchnarrt’ mit rauhem Munde Mißmuthig juſt ein lautes „Ein.“ — Da klopfte er an ſeines Himmels Pforte, Ein leiſes Huſten ſcholl zu ihm heraus — — O ſchöner wohl als alle leeren Worte Sagt dieſer Klang: „Tritt ein, du biſt zu Haus“ — Schnell trat er ein — vom Kiſſen faſt bedecket So lag ſie da, ein wildes Vögelein — Ein Mäuschen, das ſich zitternd hat verſtecket, Da juſt der graue Kater tritt herein. Da warf er ſich, ſie ſtürmiſch küſſend, nieder. Sie küßte wieder, doch ſo bang, ſo ſcheu — — Kehrt auch die ſchöne Stunde nimmer wieder, Sie ſchaffet ſchöne Stunden immer neu!

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/257>, abgerufen am 23.04.2024.