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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, so klingt's
aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte
von Geistern in eine andre Welt getragen zu sein; und
wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen so wie-
derhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen stände, --
dann schaudre ich vor Freude und Sehnsucht zusammen.
O wie viel hundertmal träumt man, und träumt besser,
als einem je wird. -- Muthwillig und übermüthig bin
ich auch zuweilen, und preise den Mann glücklich, der
so sehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es
in freundlicher Großmuth.

Weh' mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird,
dann werd' ich im Leben das Herrlichste vermissen. Ach,
ist der Wein denn nicht die süßeste und begehrlichste un-
ter allen himmlischen Gaben? daß wer ihn einmal ge-
kostet hat, trunkner Begeistrung nimmer abschwören
möchte. -- Diesen Wein werd' ich vermissen, und alles
andre wird mir sein wie hartes geistloses Wasser, dessen
man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd' ich mich alsdann trösten können? --
mit dem Lied etwa: "Im Arm der Liebe ruht sich's
wohl, wohl auch im Schooß der Erde?" -- oder: "Ich
wollt' ich läg' und schlief zehntausend Klafter tief." --

Ich wollt' ich könnte meinen Brief mit einem Blick

artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, ſo klingt's
aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte
von Geiſtern in eine andre Welt getragen zu ſein; und
wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen ſo wie-
derhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen ſtände, —
dann ſchaudre ich vor Freude und Sehnſucht zuſammen.
O wie viel hundertmal träumt man, und träumt beſſer,
als einem je wird. — Muthwillig und übermüthig bin
ich auch zuweilen, und preiſe den Mann glücklich, der
ſo ſehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es
in freundlicher Großmuth.

Weh' mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird,
dann werd' ich im Leben das Herrlichſte vermiſſen. Ach,
iſt der Wein denn nicht die ſüßeſte und begehrlichſte un-
ter allen himmliſchen Gaben? daß wer ihn einmal ge-
koſtet hat, trunkner Begeiſtrung nimmer abſchwören
möchte. — Dieſen Wein werd' ich vermiſſen, und alles
andre wird mir ſein wie hartes geiſtloſes Waſſer, deſſen
man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd' ich mich alsdann tröſten können? —
mit dem Lied etwa: „Im Arm der Liebe ruht ſich's
wohl, wohl auch im Schooß der Erde?“ — oder: „Ich
wollt' ich läg' und ſchlief zehntauſend Klafter tief.“ —

Ich wollt' ich könnte meinen Brief mit einem Blick

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[117/0149] artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, ſo klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geiſtern in eine andre Welt getragen zu ſein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen ſo wie- derhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen ſtände, — dann ſchaudre ich vor Freude und Sehnſucht zuſammen. O wie viel hundertmal träumt man, und träumt beſſer, als einem je wird. — Muthwillig und übermüthig bin ich auch zuweilen, und preiſe den Mann glücklich, der ſo ſehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es in freundlicher Großmuth. Weh' mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd' ich im Leben das Herrlichſte vermiſſen. Ach, iſt der Wein denn nicht die ſüßeſte und begehrlichſte un- ter allen himmliſchen Gaben? daß wer ihn einmal ge- koſtet hat, trunkner Begeiſtrung nimmer abſchwören möchte. — Dieſen Wein werd' ich vermiſſen, und alles andre wird mir ſein wie hartes geiſtloſes Waſſer, deſſen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf. Wie werd' ich mich alsdann tröſten können? — mit dem Lied etwa: „Im Arm der Liebe ruht ſich's wohl, wohl auch im Schooß der Erde?“ — oder: „Ich wollt' ich läg' und ſchlief zehntauſend Klafter tief.“ — Ich wollt' ich könnte meinen Brief mit einem Blick

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/149>, abgerufen am 28.03.2024.