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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf
und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo-
ren, und zum ersten Mal glaubte ich an meine Se-
ligkeit.

Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be-
täubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; --
wär's nur ganz still in der Welt, und ich brauchte
nichts mehr zu erfahren nach diesem einen Augenblick
der mich schmerzt, und nach dem ich mich immer zu-
rücksehnen werde. -- Ach! und was will ich denn mit
Dir? -- Nicht viel; Dich ansehen oft und warm, Dich
begleiten in Dein stilles Haus, Dich ausfragen in müßi-
gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, so
wie ich Dein Angesicht ausgefragt hab' über seine frü-
here und jetzige Schönheit. -- Auf der Bibliothek da
konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büste
aufzuschwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach-
tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie
Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend
durchbraustest, und jetzt eben ganz still durch Deine
Wiesen zogst; ach, und ich stürzte Dir Felssteine vor;
und wie Du wieder Dich aufthürmtest; wahrlich es
war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein-
gewühlt.


brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf
und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo-
ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se-
ligkeit.

Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be-
täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; —
wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte
nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick
der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu-
rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit
Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich
begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi-
gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo
wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü-
here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da
konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte
aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach-
tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie
Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend
durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine
Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor;
und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es
war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein-
gewühlt.


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[158/0190] brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo- ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se- ligkeit. Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be- täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; — wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu- rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi- gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü- here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach- tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor; und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein- gewühlt.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/190>, abgerufen am 19.04.2024.