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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Ich mußte in aufgeregter Eifersucht doch anerkennen, ich
sei nichts. "Man berührt nichts umsonst," sagtest Du,
diese langjährige Verbindung, dieser ernste, tiefe Ver-
kehr, der ist ein Theil meiner selbst geworden; und wenn
ich jetzt ins Theater komme und seh' nach seinem Platz,
und muß es glauben, daß er in dieser Welt nicht mehr
da ist, daß diese Augen mich nicht mehr suchen, dann
verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber
nicht mehr da sein."

Lieber Goethe, Du hast mich sehr hochgestellt, daß
Du damals so köstliche Gefühle und Gesinnungen vor
mir aussprachst. Es war zum erstenmal, daß jemand
sein innerstes Herz vor mir aussprach, und Du warst
es! -- ja Du nahmst keinen Anstoß, und ergabst Dich
diesen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich
hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärt-
lich und weich gestimmt, daß Du lange an mir gelehnt
bliebst, und mich endlich fest an Dich drücktest!

Ich bin müde; ich habe geschrieben von halb 3 bis
jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden --
es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden
wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren.
Du solltest nur das Getümmel von Nebel sehen auf
dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt!

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Ich mußte in aufgeregter Eiferſucht doch anerkennen, ich
ſei nichts. „Man berührt nichts umſonſt,“ ſagteſt Du,
dieſe langjährige Verbindung, dieſer ernſte, tiefe Ver-
kehr, der iſt ein Theil meiner ſelbſt geworden; und wenn
ich jetzt ins Theater komme und ſeh' nach ſeinem Platz,
und muß es glauben, daß er in dieſer Welt nicht mehr
da iſt, daß dieſe Augen mich nicht mehr ſuchen, dann
verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber
nicht mehr da ſein.“

Lieber Goethe, Du haſt mich ſehr hochgeſtellt, daß
Du damals ſo köſtliche Gefühle und Geſinnungen vor
mir ausſprachſt. Es war zum erſtenmal, daß jemand
ſein innerſtes Herz vor mir ausſprach, und Du warſt
es! — ja Du nahmſt keinen Anſtoß, und ergabſt Dich
dieſen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich
hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärt-
lich und weich geſtimmt, daß Du lange an mir gelehnt
bliebſt, und mich endlich feſt an Dich drückteſt!

Ich bin müde; ich habe geſchrieben von halb 3 bis
jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden —
es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden
wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren.
Du ſollteſt nur das Getümmel von Nebel ſehen auf
dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt!

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[273/0305] Ich mußte in aufgeregter Eiferſucht doch anerkennen, ich ſei nichts. „Man berührt nichts umſonſt,“ ſagteſt Du, dieſe langjährige Verbindung, dieſer ernſte, tiefe Ver- kehr, der iſt ein Theil meiner ſelbſt geworden; und wenn ich jetzt ins Theater komme und ſeh' nach ſeinem Platz, und muß es glauben, daß er in dieſer Welt nicht mehr da iſt, daß dieſe Augen mich nicht mehr ſuchen, dann verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber nicht mehr da ſein.“ Lieber Goethe, Du haſt mich ſehr hochgeſtellt, daß Du damals ſo köſtliche Gefühle und Geſinnungen vor mir ausſprachſt. Es war zum erſtenmal, daß jemand ſein innerſtes Herz vor mir ausſprach, und Du warſt es! — ja Du nahmſt keinen Anſtoß, und ergabſt Dich dieſen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärt- lich und weich geſtimmt, daß Du lange an mir gelehnt bliebſt, und mich endlich feſt an Dich drückteſt! Ich bin müde; ich habe geſchrieben von halb 3 bis jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden — es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren. Du ſollteſt nur das Getümmel von Nebel ſehen auf dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt! 12**

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/305>, abgerufen am 24.04.2024.