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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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An Goethe.

Lieber Goethe! viel tausend Dank für deine zehn
Zeilen, in denen Du Dich tröstend zu mir neigst, so mag
denn diese Periode abgeschlossen sein; dieses Jahr von
1809 hat mich sehr turbirt; nun sind wir an einem
Wendepunkt: in wenig Tagen verlassen wir Landshut
und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht
zu nennen weiß. -- Die Studenten packen eben Savig-
ny's Bibliothek ein, man klebt Nummern und Zettel
an die Bücher legt sie in Ordnung in Kisten, läßt sie
an einem Flaschenzug durch's Fenster hinab wo sie un-
ten von den Studenten mit einem lauten Halt empfan-
gen werden, alles ist Lust und Leben, obschon man sehr
betrübt ist den geliebten Lehrer zu verlieren; Savigny
mag so gelehrt sein wie er will, so übertrifft seine kind-
liche Freundesnatur dennoch seine glänzendsten Eigen-
schaften, alle Studenten umschwärmen ihn, es ist keiner
der nicht die Überzeugung hätte auch außer dem gro-
ßen Lehrer noch seinen Wohlthäter zu verlieren; so ha-
ben auch die meisten Professoren ihn lieb, besonders die
Theologen. Sailer gewiß sein bester Freund. Man sieht
sich hier täglich und zwar mehr wie einmal, Abends
begleitet der Wirth vom Hause leichtlich seine Gäste

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An Goethe.

Lieber Goethe! viel tauſend Dank für deine zehn
Zeilen, in denen Du Dich tröſtend zu mir neigſt, ſo mag
denn dieſe Periode abgeſchloſſen ſein; dieſes Jahr von
1809 hat mich ſehr turbirt; nun ſind wir an einem
Wendepunkt: in wenig Tagen verlaſſen wir Landshut
und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht
zu nennen weiß. — Die Studenten packen eben Savig-
ny's Bibliothek ein, man klebt Nummern und Zettel
an die Bücher legt ſie in Ordnung in Kiſten, läßt ſie
an einem Flaſchenzug durch's Fenſter hinab wo ſie un-
ten von den Studenten mit einem lauten Halt empfan-
gen werden, alles iſt Luſt und Leben, obſchon man ſehr
betrübt iſt den geliebten Lehrer zu verlieren; Savigny
mag ſo gelehrt ſein wie er will, ſo übertrifft ſeine kind-
liche Freundesnatur dennoch ſeine glänzendſten Eigen-
ſchaften, alle Studenten umſchwärmen ihn, es iſt keiner
der nicht die Überzeugung hätte auch außer dem gro-
ßen Lehrer noch ſeinen Wohlthäter zu verlieren; ſo ha-
ben auch die meiſten Profeſſoren ihn lieb, beſonders die
Theologen. Sailer gewiß ſein beſter Freund. Man ſieht
ſich hier täglich und zwar mehr wie einmal, Abends
begleitet der Wirth vom Hauſe leichtlich ſeine Gäſte

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[171/0181] An Goethe. Lieber Goethe! viel tauſend Dank für deine zehn Zeilen, in denen Du Dich tröſtend zu mir neigſt, ſo mag denn dieſe Periode abgeſchloſſen ſein; dieſes Jahr von 1809 hat mich ſehr turbirt; nun ſind wir an einem Wendepunkt: in wenig Tagen verlaſſen wir Landshut und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht zu nennen weiß. — Die Studenten packen eben Savig- ny's Bibliothek ein, man klebt Nummern und Zettel an die Bücher legt ſie in Ordnung in Kiſten, läßt ſie an einem Flaſchenzug durch's Fenſter hinab wo ſie un- ten von den Studenten mit einem lauten Halt empfan- gen werden, alles iſt Luſt und Leben, obſchon man ſehr betrübt iſt den geliebten Lehrer zu verlieren; Savigny mag ſo gelehrt ſein wie er will, ſo übertrifft ſeine kind- liche Freundesnatur dennoch ſeine glänzendſten Eigen- ſchaften, alle Studenten umſchwärmen ihn, es iſt keiner der nicht die Überzeugung hätte auch außer dem gro- ßen Lehrer noch ſeinen Wohlthäter zu verlieren; ſo ha- ben auch die meiſten Profeſſoren ihn lieb, beſonders die Theologen. Sailer gewiß ſein beſter Freund. Man ſieht ſich hier täglich und zwar mehr wie einmal, Abends begleitet der Wirth vom Hauſe leichtlich ſeine Gäſte 8*

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/181>, abgerufen am 28.03.2024.