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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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kommen, so wird die Schminke auf ihren Wangen er-
bleicht sein, und die flornen Gewande und die feinen
Empfindungen werden vor deinem sonneverbrannten
Marsantlitz erschaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir
werden soll, so mußt Du deinen Enthusiasmus an den
Krieg setzen, glaub mir, die Mignon wär nicht aus die-
ser schönen Welt geflüchtet, in der sie ja doch ihr Liebstes
zurücklassen mußte, sie hätte gewiß alle Mühseeligkeiten
des Kriegs mit ausgehalten, und auf den rauhen Alpen
in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Kost, das
Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Busen gezündet, und
frisches, gesünderes Blut durch ihre Adern geleitet. --
Ach, willst Du diesem Kind zu Lieb nicht alle diese Men-
schen zu Hauf verlassen? -- die Melancholie erfaßt
Dich, weil keine Welt da ist in der Du handeln kannst.
-- Wenn Du Dich nicht fürchtest vor Menschenblut: --
hier unter den Tyrolern kannst Du handeln für ein
Recht, das eben so gut aus reiner Natur entsprungen
ist, wie die Liebe im Herzen der Mignon. -- Du bist's,
Meister, der den Keim dieses zarten Lebens erstickt un-
ter all dem Unkraut was Dich überwächst. Sag, was
sind sie alle gegen den Ernst der Zeit, wo die Wahrheit
in ihrer reinen Urgestalt emporsteigt, und dem Verder-
ben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet? --

kommen, ſo wird die Schminke auf ihren Wangen er-
bleicht ſein, und die flornen Gewande und die feinen
Empfindungen werden vor deinem ſonneverbrannten
Marsantlitz erſchaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir
werden ſoll, ſo mußt Du deinen Enthuſiasmus an den
Krieg ſetzen, glaub mir, die Mignon wär nicht aus die-
ſer ſchönen Welt geflüchtet, in der ſie ja doch ihr Liebſtes
zurücklaſſen mußte, ſie hätte gewiß alle Mühſeeligkeiten
des Kriegs mit ausgehalten, und auf den rauhen Alpen
in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Koſt, das
Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Buſen gezündet, und
friſches, geſünderes Blut durch ihre Adern geleitet. —
Ach, willſt Du dieſem Kind zu Lieb nicht alle dieſe Men-
ſchen zu Hauf verlaſſen? — die Melancholie erfaßt
Dich, weil keine Welt da iſt in der Du handeln kannſt.
— Wenn Du Dich nicht fürchteſt vor Menſchenblut: —
hier unter den Tyrolern kannſt Du handeln für ein
Recht, das eben ſo gut aus reiner Natur entſprungen
iſt, wie die Liebe im Herzen der Mignon. — Du biſt's,
Meiſter, der den Keim dieſes zarten Lebens erſtickt un-
ter all dem Unkraut was Dich überwächſt. Sag, was
ſind ſie alle gegen den Ernſt der Zeit, wo die Wahrheit
in ihrer reinen Urgeſtalt emporſteigt, und dem Verder-
ben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet? —

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[35/0045] kommen, ſo wird die Schminke auf ihren Wangen er- bleicht ſein, und die flornen Gewande und die feinen Empfindungen werden vor deinem ſonneverbrannten Marsantlitz erſchaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir werden ſoll, ſo mußt Du deinen Enthuſiasmus an den Krieg ſetzen, glaub mir, die Mignon wär nicht aus die- ſer ſchönen Welt geflüchtet, in der ſie ja doch ihr Liebſtes zurücklaſſen mußte, ſie hätte gewiß alle Mühſeeligkeiten des Kriegs mit ausgehalten, und auf den rauhen Alpen in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Koſt, das Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Buſen gezündet, und friſches, geſünderes Blut durch ihre Adern geleitet. — Ach, willſt Du dieſem Kind zu Lieb nicht alle dieſe Men- ſchen zu Hauf verlaſſen? — die Melancholie erfaßt Dich, weil keine Welt da iſt in der Du handeln kannſt. — Wenn Du Dich nicht fürchteſt vor Menſchenblut: — hier unter den Tyrolern kannſt Du handeln für ein Recht, das eben ſo gut aus reiner Natur entſprungen iſt, wie die Liebe im Herzen der Mignon. — Du biſt's, Meiſter, der den Keim dieſes zarten Lebens erſtickt un- ter all dem Unkraut was Dich überwächſt. Sag, was ſind ſie alle gegen den Ernſt der Zeit, wo die Wahrheit in ihrer reinen Urgeſtalt emporſteigt, und dem Verder- ben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet? —

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/45>, abgerufen am 25.04.2024.