Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter
Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei diesen ein-
bilderischen Träumen. Warum muß ich verzagen da
noch nichts verloren ist? -- ich hab ein Fieber so glüht
mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des
Kofels, Speckbachers Horst der schlaflos, keiner Speise
bedürfend, mit besserer Hoffnung beflügelt, leicht wie
ein Vogel schwebt über dem Augenblick da es Zeit ist.
Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth
die Geschicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet.
Am Berge Ischel wo der Kapuziner den weisen Stecken
in der Hand, alles errathend und vorbeugend sich allen
voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt
über die Saaten niederjagt in's Thal. Da seh ich auch
mich unter diesen, die kurze grün und weiße Standarte
schwingend weit voran auf steilstem Gipfel, und der
Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der
böse Traum und haut mit geschwungener Axt mir die
feste Hand ab, die niederstürzt mit sammt der Fahne
in den Abgrund, und dann ist alles so öde und stumm,
und die Finsterniß bricht ein und alles verschwunden,
nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne
Hand, verzeih's daß ich so rase aber so ist's.

Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat

auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter
Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein-
bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da
noch nichts verloren iſt? — ich hab ein Fieber ſo glüht
mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des
Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe
bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie
ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt.
Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth
die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet.
Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken
in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen
voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt
über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch
mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte
ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der
Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der
böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die
feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne
in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm,
und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden,
nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne
Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's.

Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0080" n="70"/>
auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter<lb/>
Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei die&#x017F;en ein-<lb/>
bilderi&#x017F;chen Träumen. Warum muß ich verzagen da<lb/>
noch nichts verloren i&#x017F;t? &#x2014; ich hab ein Fieber &#x017F;o glüht<lb/>
mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des<lb/>
Kofels, Speckbachers Hor&#x017F;t der &#x017F;chlaflos, keiner Spei&#x017F;e<lb/>
bedürfend, mit be&#x017F;&#x017F;erer Hoffnung beflügelt, leicht wie<lb/>
ein Vogel &#x017F;chwebt über dem Augenblick da es Zeit i&#x017F;t.<lb/>
Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth<lb/>
die Ge&#x017F;chicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet.<lb/>
Am Berge I&#x017F;chel wo der Kapuziner den wei&#x017F;en Stecken<lb/>
in der Hand, alles errathend und vorbeugend &#x017F;ich allen<lb/>
voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt<lb/>
über die Saaten niederjagt in's Thal. Da &#x017F;eh ich auch<lb/>
mich unter die&#x017F;en, die kurze grün und weiße Standarte<lb/>
&#x017F;chwingend weit voran auf &#x017F;teil&#x017F;tem Gipfel, und der<lb/>
Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der<lb/>&#x017F;e Traum und haut mit ge&#x017F;chwungener Axt mir die<lb/>
fe&#x017F;te Hand ab, die nieder&#x017F;türzt mit &#x017F;ammt der Fahne<lb/>
in den Abgrund, und dann i&#x017F;t alles &#x017F;o öde und &#x017F;tumm,<lb/>
und die Fin&#x017F;terniß bricht ein und alles ver&#x017F;chwunden,<lb/>
nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne<lb/>
Hand, verzeih's daß ich &#x017F;o ra&#x017F;e aber &#x017F;o i&#x017F;t's.</p><lb/>
          <p>Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0080] auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein- bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts verloren iſt? — ich hab ein Fieber ſo glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt. Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet. Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm, und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's. Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/80
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/80>, abgerufen am 25.04.2024.