Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

alle Abend die Sterne, die auf mein Grab scheinen wer-
den und das freut mich," sagte sie, "ich habe Friede
geschlossen mit allen Menschen und mit allem Schicksal,
der Wind mag brausend daher fahren, wie in der Bi-
bel stehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, --
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht
den Geist mächtig -- der wahre Friede hat Flügel, und
trägt den Menschen noch bei Leibes Leben hoch über
die Erde dem Himmel zu, denn er ist ein himmlischer
Bote und zeigt den kürzesten Weg; er sagt, wir sollen
uns nirgend wo aufhalten, denn das ist Unfriede; der
grade Weg zum Himmel ist Geist, das ist die Straße,
die hinüber führt, daß man alles versteht und begreift,
wer gegen sein Schicksal murrt, der begreift es nicht,
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch
bald verstehen; was man erfahren und gelernt hat, das
ist allemal eine Station, die man auf der Himmels-
straße zurückgelegt; ja, ja! das Schicksal des Menschen
enthält alle Erkenntniß, und wenn man erst alles ver-
standen hat auf dieser irdischen Welt, dann wird man
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom
heiligen Geist, durch eigne Offenbarung lernt man fremde

alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer-
den und das freut mich,“ ſagte ſie, „ich habe Friede
geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal,
der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi-
bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, —
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht
den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und
trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über
die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher
Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen
uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der
grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße,
die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift,
wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht,
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch
bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das
iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels-
ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen
enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver-
ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom
heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="163"/>
alle Abend die Sterne, die auf mein Grab &#x017F;cheinen wer-<lb/>
den und das freut mich,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;ich habe Friede<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en mit allen Men&#x017F;chen und mit allem Schick&#x017F;al,<lb/>
der Wind mag brau&#x017F;end daher fahren, wie in der Bi-<lb/>
bel &#x017F;tehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,<lb/>
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, &#x2014;<lb/>
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht<lb/>
den Gei&#x017F;t mächtig &#x2014; der wahre Friede hat Flügel, und<lb/>
trägt den Men&#x017F;chen noch bei Leibes Leben hoch über<lb/>
die Erde dem Himmel zu, denn er i&#x017F;t ein himmli&#x017F;cher<lb/>
Bote und zeigt den kürze&#x017F;ten Weg; er &#x017F;agt, wir &#x017F;ollen<lb/>
uns nirgend wo aufhalten, denn das i&#x017F;t Unfriede; der<lb/>
grade Weg zum Himmel i&#x017F;t Gei&#x017F;t, das i&#x017F;t die Straße,<lb/>
die hinüber führt, daß man alles ver&#x017F;teht und begreift,<lb/>
wer gegen &#x017F;ein Schick&#x017F;al murrt, der begreift es nicht,<lb/>
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch<lb/>
bald ver&#x017F;tehen; was man erfahren und gelernt hat, das<lb/>
i&#x017F;t allemal eine Station, die man auf der Himmels-<lb/>
&#x017F;traße zurückgelegt; ja, ja! das Schick&#x017F;al des Men&#x017F;chen<lb/>
enthält alle Erkenntniß, und wenn man er&#x017F;t alles ver-<lb/>
&#x017F;tanden hat auf die&#x017F;er irdi&#x017F;chen Welt, dann wird man<lb/>
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.<lb/>
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom<lb/>
heiligen Gei&#x017F;t, durch eigne Offenbarung lernt man fremde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0173] alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer- den und das freut mich,“ ſagte ſie, „ich habe Friede geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal, der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi- bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, — ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße, die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift, wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht, wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels- ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver- ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/173
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/173>, abgerufen am 29.03.2024.