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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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auf in deinen Schooß; laß den Strahl der Liebe, der
aus meinem Aug' hervorbricht, in deinem Busen spielen,
wie dieser Morgensonnenstrahl.


Gestern hab' ich mich gesehnt; ich dachte jeden Au-
genblick, er sei mir verloren, weil ich Dich nicht hatte.

Dich haben einen Augenblick; wie selig könnte mich
das machen.

Wie reich bist Du, da Du so beseligen kannst,
Ewigkeiten hindurch mit jedem Augenblick!

Gestern war es früher Morgen, da ich Dir schrieb;
ich hatte Buch und Schreibzeug mit, und ging noch vor
Tag dem Thal entlang, das von beiden Seiten eng in
Bergwände eingelagert ist; da rieseln die Bäche nieder
ins sanfte Gras, und lallen wie Wiegenkindchen. Was
sollt' ich machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe,
und im thränenschwellenden Auge; ich mußte Dir's kla-
gen, ich mußte Dir's wehmüthig vorhalten, daß ich Dich
nicht habe, und da war die Sonne so freundlich; da
rauschte es, da bewegte sich's hinter mir; -- war es ein
Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich stieg
rasch aufwärts, ich wollte Dich ereilen, und auf der

auf in deinen Schooß; laß den Strahl der Liebe, der
aus meinem Aug' hervorbricht, in deinem Buſen ſpielen,
wie dieſer Morgenſonnenſtrahl.


Geſtern hab' ich mich geſehnt; ich dachte jeden Au-
genblick, er ſei mir verloren, weil ich Dich nicht hatte.

Dich haben einen Augenblick; wie ſelig könnte mich
das machen.

Wie reich biſt Du, da Du ſo beſeligen kannſt,
Ewigkeiten hindurch mit jedem Augenblick!

Geſtern war es früher Morgen, da ich Dir ſchrieb;
ich hatte Buch und Schreibzeug mit, und ging noch vor
Tag dem Thal entlang, das von beiden Seiten eng in
Bergwände eingelagert iſt; da rieſeln die Bäche nieder
ins ſanfte Gras, und lallen wie Wiegenkindchen. Was
ſollt' ich machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe,
und im thränenſchwellenden Auge; ich mußte Dir's kla-
gen, ich mußte Dir's wehmüthig vorhalten, daß ich Dich
nicht habe, und da war die Sonne ſo freundlich; da
rauſchte es, da bewegte ſich's hinter mir; — war es ein
Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich ſtieg
raſch aufwärts, ich wollte Dich ereilen, und auf der

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[12/0022] auf in deinen Schooß; laß den Strahl der Liebe, der aus meinem Aug' hervorbricht, in deinem Buſen ſpielen, wie dieſer Morgenſonnenſtrahl. Geſtern hab' ich mich geſehnt; ich dachte jeden Au- genblick, er ſei mir verloren, weil ich Dich nicht hatte. Dich haben einen Augenblick; wie ſelig könnte mich das machen. Wie reich biſt Du, da Du ſo beſeligen kannſt, Ewigkeiten hindurch mit jedem Augenblick! Geſtern war es früher Morgen, da ich Dir ſchrieb; ich hatte Buch und Schreibzeug mit, und ging noch vor Tag dem Thal entlang, das von beiden Seiten eng in Bergwände eingelagert iſt; da rieſeln die Bäche nieder ins ſanfte Gras, und lallen wie Wiegenkindchen. Was ſollt' ich machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe, und im thränenſchwellenden Auge; ich mußte Dir's kla- gen, ich mußte Dir's wehmüthig vorhalten, daß ich Dich nicht habe, und da war die Sonne ſo freundlich; da rauſchte es, da bewegte ſich's hinter mir; — war es ein Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich ſtieg raſch aufwärts, ich wollte Dich ereilen, und auf der

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/22>, abgerufen am 19.04.2024.