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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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der die ewige heilige Rede seines Blickes zuwendet, dann
will ich die Erinnerungen, die aus diesem Blick mir zu-
winken Dir mittheilen. So wird's auch kommen: es ist
nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm
gesunken, dies alles nicht mehr sein oder sich ändern
sollte. Ich will vertrauen und was andre für unmög-
lich halten, das soll mir möglich werden. Was wär'
die Liebe, wenn sie nichts anders wär' als was die un-
regsame Menschheit an sich erfährt: ach sie erfährt nichts
als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir
kühn genug sind, die Ewigkeit zum Zeuge unseres Glük-
kes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr
nicht gewachsen sind, ach und nicht einmal: wir wissen
vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wissen und in
ihr sein ist zweierlei; gewußt hab' ich von ihr wie ich
nicht mehr in ihr war. Dies ist der Unterschied: in ihr
leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Mensch
umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat.
Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man
wird gewahr wie eine höhere Welt uns einst in sich
aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer
göttlicher Berührung -- das was Scherz der Liebe schien,
erkennen wir nun als himmlische Weisheit, wir sind er-
schüttert, daß der Gott uns so nah war, daß unser ir-

der die ewige heilige Rede ſeines Blickes zuwendet, dann
will ich die Erinnerungen, die aus dieſem Blick mir zu-
winken Dir mittheilen. So wird's auch kommen: es iſt
nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm
geſunken, dies alles nicht mehr ſein oder ſich ändern
ſollte. Ich will vertrauen und was andre für unmög-
lich halten, das ſoll mir möglich werden. Was wär'
die Liebe, wenn ſie nichts anders wär' als was die un-
regſame Menſchheit an ſich erfährt: ach ſie erfährt nichts
als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir
kühn genug ſind, die Ewigkeit zum Zeuge unſeres Glük-
kes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr
nicht gewachſen ſind, ach und nicht einmal: wir wiſſen
vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wiſſen und in
ihr ſein iſt zweierlei; gewußt hab' ich von ihr wie ich
nicht mehr in ihr war. Dies iſt der Unterſchied: in ihr
leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Menſch
umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat.
Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man
wird gewahr wie eine höhere Welt uns einſt in ſich
aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer
göttlicher Berührung — das was Scherz der Liebe ſchien,
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[228/0238] der die ewige heilige Rede ſeines Blickes zuwendet, dann will ich die Erinnerungen, die aus dieſem Blick mir zu- winken Dir mittheilen. So wird's auch kommen: es iſt nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm geſunken, dies alles nicht mehr ſein oder ſich ändern ſollte. Ich will vertrauen und was andre für unmög- lich halten, das ſoll mir möglich werden. Was wär' die Liebe, wenn ſie nichts anders wär' als was die un- regſame Menſchheit an ſich erfährt: ach ſie erfährt nichts als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir kühn genug ſind, die Ewigkeit zum Zeuge unſeres Glük- kes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr nicht gewachſen ſind, ach und nicht einmal: wir wiſſen vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wiſſen und in ihr ſein iſt zweierlei; gewußt hab' ich von ihr wie ich nicht mehr in ihr war. Dies iſt der Unterſchied: in ihr leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Menſch umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat. Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man wird gewahr wie eine höhere Welt uns einſt in ſich aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer göttlicher Berührung — das was Scherz der Liebe ſchien, erkennen wir nun als himmliſche Weisheit, wir ſind er- ſchüttert, daß der Gott uns ſo nah war, daß unſer ir-

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/238>, abgerufen am 28.03.2024.