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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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klären, doch weiß ich, man nennt in der Weltsprache
diese innere Entwicklung der Sinne, Einbildung.

Wessen Geistesauge Licht auffängt, der sieht dem
Andern unsichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus
diesem innern Sinn sind die Religionen hervorgegan¬
gen, und so manche Apokalipsen alter und neuer Zeit.
Aus dieser Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen,
die andere, deren Geistesauge verschlossen ist, nicht fassen,
entsteht die prophetische Gabe, Gegenwart und Ver¬
gangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den noth¬
wendigen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen
zu sehen, Prophezeihung ist Sinn für die Zukunft.
Man kann die Wahrsagerkunst nicht erlernen, der
Sinn für sie ist geheimnißvoll, er entwickelt sich ge¬
heimnißvoller Art; er offenbart sich oft nur wie ein
schneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder be¬
graben wird. Man kann Geister nicht durch Beschwö¬
rung rufen, aber sie können dem Geist sich offenbaren,
das Empfängliche kann sie empfangen, dem inneren
Sinn können sie erscheinen. --

Der Lehrer schwieg und sein Zuhörer verließ ihn.
Mancherlei Gedanken bewegten sein Inneres, und seine
ganze Seele strebte, sich das Gehörte zum Eigenthum
zu machen.

klären, doch weiß ich, man nennt in der Weltſprache
dieſe innere Entwicklung der Sinne, Einbildung.

Weſſen Geiſtesauge Licht auffängt, der ſieht dem
Andern unſichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus
dieſem innern Sinn ſind die Religionen hervorgegan¬
gen, und ſo manche Apokalipſen alter und neuer Zeit.
Aus dieſer Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen,
die andere, deren Geiſtesauge verſchloſſen iſt, nicht faſſen,
entſteht die prophetiſche Gabe, Gegenwart und Ver¬
gangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den noth¬
wendigen Zuſammenhang der Urſachen und Wirkungen
zu ſehen, Prophezeihung iſt Sinn für die Zukunft.
Man kann die Wahrſagerkunſt nicht erlernen, der
Sinn für ſie iſt geheimnißvoll, er entwickelt ſich ge¬
heimnißvoller Art; er offenbart ſich oft nur wie ein
ſchneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder be¬
graben wird. Man kann Geiſter nicht durch Beſchwö¬
rung rufen, aber ſie können dem Geiſt ſich offenbaren,
das Empfängliche kann ſie empfangen, dem inneren
Sinn können ſie erſcheinen. —

Der Lehrer ſchwieg und ſein Zuhörer verließ ihn.
Mancherlei Gedanken bewegten ſein Inneres, und ſeine
ganze Seele ſtrebte, ſich das Gehörte zum Eigenthum
zu machen.

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[11/0027] klären, doch weiß ich, man nennt in der Weltſprache dieſe innere Entwicklung der Sinne, Einbildung. Weſſen Geiſtesauge Licht auffängt, der ſieht dem Andern unſichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus dieſem innern Sinn ſind die Religionen hervorgegan¬ gen, und ſo manche Apokalipſen alter und neuer Zeit. Aus dieſer Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen, die andere, deren Geiſtesauge verſchloſſen iſt, nicht faſſen, entſteht die prophetiſche Gabe, Gegenwart und Ver¬ gangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den noth¬ wendigen Zuſammenhang der Urſachen und Wirkungen zu ſehen, Prophezeihung iſt Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrſagerkunſt nicht erlernen, der Sinn für ſie iſt geheimnißvoll, er entwickelt ſich ge¬ heimnißvoller Art; er offenbart ſich oft nur wie ein ſchneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder be¬ graben wird. Man kann Geiſter nicht durch Beſchwö¬ rung rufen, aber ſie können dem Geiſt ſich offenbaren, das Empfängliche kann ſie empfangen, dem inneren Sinn können ſie erſcheinen. — Der Lehrer ſchwieg und ſein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten ſein Inneres, und ſeine ganze Seele ſtrebte, ſich das Gehörte zum Eigenthum zu machen.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/27>, abgerufen am 29.03.2024.