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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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unten am Wege und blökten so kläglich, und Diethelm war's wieder, als ob ihn all das neue Besitzthum erdrückte; er hatte außer Medard noch zwei Schäfer in Dienst genommen, und noch hatte jeder mehr als die gewohnte Zahl Vierhundert zu hüten. Aber er that freundlich und wohlgemuth, er half selber die Ballen oben in der Luke einziehen, und einmal schrie Alles laut auf, denn Diethelm hatte sich zu weit hinausgewagt, er hing frei in der Luft am Seil, es war ihm, als schwebte er über dem Abgrund; er wußte nicht, sollte er festhalten oder freiwillig hinabstürzen, daß er zerschmettere und Alles auf Einmal aus sei; aber unwillkürlich hielt er fest, und besonders der Geistesgegenwart und dem entschiedenen Commando des Schäfersoldaten Munde war es zu danken, daß vor lauter Staunen über den möglichen Unfall derselbe nicht in der That eintraf. Die Männer unten ließen leise die Last wieder herabgleiten, und Diethelm stand schwankend auf dem Boden und fühlte, wie er aus Noth und Tod plötzlich wieder ins Leben gestellt war. Die Gefahr, in der Diethelm geschwebt, hatte plötzlich wieder all die Liebe Martha's zu ihm geweckt, sie umhals'te ihn laut weinend und dankte Gott für seine Rettung. Vor einer Stunde noch voll Jähzorn und giftiger Verwünschungen, verfiel sie jetzt in die ganz entgegengesetzte Stimmung, daß sie ihren Diethelm "verkindelte", so daß dieser einst von solcher altmütterlichen Behandlungsart gesagt hatte: es fehle weiter nichts, als daß ihm seine Frau noch Kindchensbrei koche. Martha duldete es nicht mehr, daß Diethelm irgend Hand anlege; sie besorgte selber die Empfangnahme alles Eingekauften, Diethelm mußte in der Stube sitzen, und wie er draußen lärmen und rufen hörte, kam er sich vor, als wäre er im Fieber gefangen, und Alles stürmte auf ihn ein, und er konnte sich nicht wehren und mußte still Alles mit sich geschehen lassen.

Endlich waren die leeren Wagen abgefahren, die Heerden in den weitläufigen, an das Haus angebauten Ställen untergebracht, es war Abend, und Diethelm fühlte sich so

unten am Wege und blökten so kläglich, und Diethelm war's wieder, als ob ihn all das neue Besitzthum erdrückte; er hatte außer Medard noch zwei Schäfer in Dienst genommen, und noch hatte jeder mehr als die gewohnte Zahl Vierhundert zu hüten. Aber er that freundlich und wohlgemuth, er half selber die Ballen oben in der Luke einziehen, und einmal schrie Alles laut auf, denn Diethelm hatte sich zu weit hinausgewagt, er hing frei in der Luft am Seil, es war ihm, als schwebte er über dem Abgrund; er wußte nicht, sollte er festhalten oder freiwillig hinabstürzen, daß er zerschmettere und Alles auf Einmal aus sei; aber unwillkürlich hielt er fest, und besonders der Geistesgegenwart und dem entschiedenen Commando des Schäfersoldaten Munde war es zu danken, daß vor lauter Staunen über den möglichen Unfall derselbe nicht in der That eintraf. Die Männer unten ließen leise die Last wieder herabgleiten, und Diethelm stand schwankend auf dem Boden und fühlte, wie er aus Noth und Tod plötzlich wieder ins Leben gestellt war. Die Gefahr, in der Diethelm geschwebt, hatte plötzlich wieder all die Liebe Martha's zu ihm geweckt, sie umhals'te ihn laut weinend und dankte Gott für seine Rettung. Vor einer Stunde noch voll Jähzorn und giftiger Verwünschungen, verfiel sie jetzt in die ganz entgegengesetzte Stimmung, daß sie ihren Diethelm „verkindelte“, so daß dieser einst von solcher altmütterlichen Behandlungsart gesagt hatte: es fehle weiter nichts, als daß ihm seine Frau noch Kindchensbrei koche. Martha duldete es nicht mehr, daß Diethelm irgend Hand anlege; sie besorgte selber die Empfangnahme alles Eingekauften, Diethelm mußte in der Stube sitzen, und wie er draußen lärmen und rufen hörte, kam er sich vor, als wäre er im Fieber gefangen, und Alles stürmte auf ihn ein, und er konnte sich nicht wehren und mußte still Alles mit sich geschehen lassen.

Endlich waren die leeren Wagen abgefahren, die Heerden in den weitläufigen, an das Haus angebauten Ställen untergebracht, es war Abend, und Diethelm fühlte sich so

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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/58>, abgerufen am 29.03.2024.