Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Absichten Englands auf das rothe Meer enthüllt - vergeßt ihr dieß Alles? - Wir haben dieß so wenig vergessen, daß wir überzeugt sind, England würde in Kairo lieber einen unmächtigen Pascha sehen, als den wachsamen und energischen alten Mehemed. Trotz all' dem aber wird England in seiner Wahl nicht lange zaudern, wenn ihm nur die Alternative bleibt zwischen der Erhaltung der Macht Aegyptens und dem Einzug der Russen in Konstantinopel. Mehemed in Alexandria ist nur eine Verlegenheit für England, der Kaiser von Rußland in Konstantinopel aber ist eine unheilbare Wunde für Großbritannien. Jedermann wird lieber in seinem Fuß einen Dorn sehen, als ein zerschmettertes Bein haben wollen. Vergebens wird man versuchen, durch Unterhandlungen oder Journalartikel die Wahrheit zu verdrehen, vergebens wird man die gewandtesten und artigsten Diplomaten nach London schicken, vergebens der Eitelkeit und den Leidenschaften dieser oder jener Person schmeicheln, immer wird man wieder auf den Vorschlag zurückkommen: Tretet uns Konstantinopel ab, wir überlassen euch Alexandria. In dem Augenblick, wo die brittische Regierung, mögen Whigs oder Tories am Ruder seyn, hierüber einen Entschluß fassen soll, wird sie immer zurücktreten. Wir bemerken im Vorbeigehen, daß es das torystische England war, welches uns im Jahre 1829 das Ministerium Polignac gab, nicht um den Staatsstreich vom 25 Jul. 1830 auszuführen, sondern um jene Allianz zwischen Frankreich und Rußland zu hindern, von der es einigen Leuten unter der Restauration träumte. Die Bildung des Polignac'schen Ministeriums stimmte mit den politischen Planen Englands im Orient zusammen; man sieht hieraus, daß unsere Allianz mit England weder von den Menschen noch von ihren Leidenschaften bedingt ist. Lord Wellington wünschte, in demselben Grad wie Lord Melbourne, uns am Bosporus als Alliirte zu haben; denn in keines Menschen Macht liegt es, England eine capriciöse oder phantastische Neigung für Rußland einzuflößen, eine Neigung, welche Konstantinopel Rußland überliefern würde, und zwar durch die gefälligen Hände Englands selbst! Es ist dieß vergebliche Mühe. Man mag hundert Missionen, wie die des Hrn. v. Brunnow, abschicken, ihr Loos wird immer dasselbe seyn. Sie werden günstig anfangen, werden dann mühsam sich fortschleppen und am Ende zu nichts führen, so lange Rußland nicht etwa den Engländern den Vorschlag macht, ihnen Alexandria und die Dardanellen zugleich abzutreten. Dann freilich wäre die beiderseitige Allianz möglich. . . Wir können hinsichtlich Aegyptens etwas anderer Meinung seyn, als England, wir können die Ansprüche Mehemed Ali's unterstützen, in so weit dieselben zu rechtfertigen sind, ohne daß es deßhalb zwischen uns und England zu einem Bruch kommen wird. Der Knoten unserer Allianz mit England ist nicht in Alexandria, sondern in Konstantinopel, und diese Allianz wird sicher bestehen, so lange wir zu Konstantinopel gegen Rußland mit England gleiches Interesse haben werden. Mit Einem Wort: es ist wohl möglich, daß wir mit England nicht immer im gutem Hausfrieden leben, aber es wird nie zu einer Scheidung kommen. . . Die französische Regierung dachte, als sie dem Schiedsgericht über die orientalischen Angelegenheiten beitrat, man werde sich mit der Hauptsache befassen, mit der Unabhängigkeit des ottomanischen Reichs gegenüber Rußland. Sie täuschte sich aber. Die Gewandtheit der Einen, der Eigensinn der Andern, einigermaßen von der Furcht, die alle hatten, unterstützt, verrückte die Debatte von der Hauptsache, die um so mehr zurückschreckt, je mehr sie an Wichtigkeit gewinnt, auf die Nebensache, deren Entscheidung nichts entscheidet und nichts löst, die aber den Vortheil hat, daß sie weniger gefährlich zu berathen ist. Sie erhielt den Vorzug und seit sechs Monaten beschäftigt man sich nur mit Alexandria; während der eigentliche Knoten in Konstantinopel liegt. Jeder weiß indessen, was er davon zu halten hat, obwohl er es sich nicht anmerken läßt. Wir wollen nur Eine Bemerkung machen, um zu beweisen, daß in Europa Niemand über die orientalische Frage sich täuscht, Niemand die Episode für das Stück selbst hält. Die Flotten Englands und Frankreichs ankern nicht vor Alexandria, sondern im Golf von Smyrna, zu Tenedos, am Eingang der Dardanellen, weil dort die eigentliche Frage liegt. Nach Alexandria schickt man diplomatische Noten, nach dem Eingang der Dardanellen Kriegsschiffe, denn dort ist die Gefahr. Ueber Adana, Syrien, die Erblichkeit der von Mehemed Ali beherrschten Paschaliks wird viel geschrieben, das Auge aber bleibt dem Bosporus, den Dardanellen, dem schwarzen Meer zugewendet. Niemand also macht sich eine Illusion. Rußland versucht in diesem Augenblick, während der Unterhandlungen hinsichtlich Aegyptens, dem schwarzen Meer das Privilegium einer geschlossenen See zu geben. Es weiß, daß es Europa durch das schwarze Meer bedrohen kann, so lange dasselbe geschlossen bleibt; durch dasselbe Meer ist es auch verwundbar, wenn es den Linienschiffen geöffnet wird. Daher die Beschränkungen, welche die Pforte den englischen oder französischen Kriegsschiffen auferlegt, die durch den Bosporus ins schwarze Meer einlaufen wollen. Die Pforte bewilligt ihnen Fermane, um in den Hellespont, in das Marmorameer und in den Hafen von Konstantinopel einzulaufen, ohne zu fordern, daß sie ihren Charakter als Kriegsschiffe im mindesten verläugnen. Sobald die Schiffe aber in das schwarze Meer einlaufen wollen, macht die Pforte mehr Schwierigkeiten, obwohl es sich dort nicht mehr um ihre Sicherheit handelt. Sie verlangt, daß die Kriegsschiffe dort wenigstens ihre Kanonen maskiren. Wir beklagen uns nicht über diese Beschränkungen, denn sie werden früher oder später die Frage hinsichtlich der Sperre des Bosporus für die Kriegsschiffe und seiner Neutralität, die künftig in der freien Passage bestehen muß, wie sie früher in der Sperre bestand, zur Sprache bringen."

Absichten Englands auf das rothe Meer enthüllt – vergeßt ihr dieß Alles? – Wir haben dieß so wenig vergessen, daß wir überzeugt sind, England würde in Kairo lieber einen unmächtigen Pascha sehen, als den wachsamen und energischen alten Mehemed. Trotz all' dem aber wird England in seiner Wahl nicht lange zaudern, wenn ihm nur die Alternative bleibt zwischen der Erhaltung der Macht Aegyptens und dem Einzug der Russen in Konstantinopel. Mehemed in Alexandria ist nur eine Verlegenheit für England, der Kaiser von Rußland in Konstantinopel aber ist eine unheilbare Wunde für Großbritannien. Jedermann wird lieber in seinem Fuß einen Dorn sehen, als ein zerschmettertes Bein haben wollen. Vergebens wird man versuchen, durch Unterhandlungen oder Journalartikel die Wahrheit zu verdrehen, vergebens wird man die gewandtesten und artigsten Diplomaten nach London schicken, vergebens der Eitelkeit und den Leidenschaften dieser oder jener Person schmeicheln, immer wird man wieder auf den Vorschlag zurückkommen: Tretet uns Konstantinopel ab, wir überlassen euch Alexandria. In dem Augenblick, wo die brittische Regierung, mögen Whigs oder Tories am Ruder seyn, hierüber einen Entschluß fassen soll, wird sie immer zurücktreten. Wir bemerken im Vorbeigehen, daß es das torystische England war, welches uns im Jahre 1829 das Ministerium Polignac gab, nicht um den Staatsstreich vom 25 Jul. 1830 auszuführen, sondern um jene Allianz zwischen Frankreich und Rußland zu hindern, von der es einigen Leuten unter der Restauration träumte. Die Bildung des Polignac'schen Ministeriums stimmte mit den politischen Planen Englands im Orient zusammen; man sieht hieraus, daß unsere Allianz mit England weder von den Menschen noch von ihren Leidenschaften bedingt ist. Lord Wellington wünschte, in demselben Grad wie Lord Melbourne, uns am Bosporus als Alliirte zu haben; denn in keines Menschen Macht liegt es, England eine capriciöse oder phantastische Neigung für Rußland einzuflößen, eine Neigung, welche Konstantinopel Rußland überliefern würde, und zwar durch die gefälligen Hände Englands selbst! Es ist dieß vergebliche Mühe. Man mag hundert Missionen, wie die des Hrn. v. Brunnow, abschicken, ihr Loos wird immer dasselbe seyn. Sie werden günstig anfangen, werden dann mühsam sich fortschleppen und am Ende zu nichts führen, so lange Rußland nicht etwa den Engländern den Vorschlag macht, ihnen Alexandria und die Dardanellen zugleich abzutreten. Dann freilich wäre die beiderseitige Allianz möglich. . . Wir können hinsichtlich Aegyptens etwas anderer Meinung seyn, als England, wir können die Ansprüche Mehemed Ali's unterstützen, in so weit dieselben zu rechtfertigen sind, ohne daß es deßhalb zwischen uns und England zu einem Bruch kommen wird. Der Knoten unserer Allianz mit England ist nicht in Alexandria, sondern in Konstantinopel, und diese Allianz wird sicher bestehen, so lange wir zu Konstantinopel gegen Rußland mit England gleiches Interesse haben werden. Mit Einem Wort: es ist wohl möglich, daß wir mit England nicht immer im gutem Hausfrieden leben, aber es wird nie zu einer Scheidung kommen. . . Die französische Regierung dachte, als sie dem Schiedsgericht über die orientalischen Angelegenheiten beitrat, man werde sich mit der Hauptsache befassen, mit der Unabhängigkeit des ottomanischen Reichs gegenüber Rußland. Sie täuschte sich aber. Die Gewandtheit der Einen, der Eigensinn der Andern, einigermaßen von der Furcht, die alle hatten, unterstützt, verrückte die Debatte von der Hauptsache, die um so mehr zurückschreckt, je mehr sie an Wichtigkeit gewinnt, auf die Nebensache, deren Entscheidung nichts entscheidet und nichts löst, die aber den Vortheil hat, daß sie weniger gefährlich zu berathen ist. Sie erhielt den Vorzug und seit sechs Monaten beschäftigt man sich nur mit Alexandria; während der eigentliche Knoten in Konstantinopel liegt. Jeder weiß indessen, was er davon zu halten hat, obwohl er es sich nicht anmerken läßt. Wir wollen nur Eine Bemerkung machen, um zu beweisen, daß in Europa Niemand über die orientalische Frage sich täuscht, Niemand die Episode für das Stück selbst hält. Die Flotten Englands und Frankreichs ankern nicht vor Alexandria, sondern im Golf von Smyrna, zu Tenedos, am Eingang der Dardanellen, weil dort die eigentliche Frage liegt. Nach Alexandria schickt man diplomatische Noten, nach dem Eingang der Dardanellen Kriegsschiffe, denn dort ist die Gefahr. Ueber Adana, Syrien, die Erblichkeit der von Mehemed Ali beherrschten Paschaliks wird viel geschrieben, das Auge aber bleibt dem Bosporus, den Dardanellen, dem schwarzen Meer zugewendet. Niemand also macht sich eine Illusion. Rußland versucht in diesem Augenblick, während der Unterhandlungen hinsichtlich Aegyptens, dem schwarzen Meer das Privilegium einer geschlossenen See zu geben. Es weiß, daß es Europa durch das schwarze Meer bedrohen kann, so lange dasselbe geschlossen bleibt; durch dasselbe Meer ist es auch verwundbar, wenn es den Linienschiffen geöffnet wird. Daher die Beschränkungen, welche die Pforte den englischen oder französischen Kriegsschiffen auferlegt, die durch den Bosporus ins schwarze Meer einlaufen wollen. Die Pforte bewilligt ihnen Fermane, um in den Hellespont, in das Marmorameer und in den Hafen von Konstantinopel einzulaufen, ohne zu fordern, daß sie ihren Charakter als Kriegsschiffe im mindesten verläugnen. Sobald die Schiffe aber in das schwarze Meer einlaufen wollen, macht die Pforte mehr Schwierigkeiten, obwohl es sich dort nicht mehr um ihre Sicherheit handelt. Sie verlangt, daß die Kriegsschiffe dort wenigstens ihre Kanonen maskiren. Wir beklagen uns nicht über diese Beschränkungen, denn sie werden früher oder später die Frage hinsichtlich der Sperre des Bosporus für die Kriegsschiffe und seiner Neutralität, die künftig in der freien Passage bestehen muß, wie sie früher in der Sperre bestand, zur Sprache bringen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0014" n="0150"/>
Absichten Englands auf das rothe Meer enthüllt &#x2013; vergeßt ihr dieß Alles? &#x2013; Wir haben dieß so wenig vergessen, daß wir überzeugt sind, England würde in Kairo lieber einen unmächtigen Pascha sehen, als den wachsamen und energischen alten Mehemed. Trotz all' dem aber wird England in seiner Wahl nicht lange zaudern, wenn ihm nur die Alternative bleibt zwischen der Erhaltung der Macht Aegyptens und dem Einzug der Russen in Konstantinopel. Mehemed in Alexandria ist nur eine Verlegenheit für England, der Kaiser von Rußland in Konstantinopel aber ist eine unheilbare Wunde für Großbritannien. Jedermann wird lieber in seinem Fuß einen Dorn sehen, als ein zerschmettertes Bein haben wollen. Vergebens wird man versuchen, durch Unterhandlungen oder Journalartikel die Wahrheit zu verdrehen, vergebens wird man die gewandtesten und artigsten Diplomaten nach London schicken, vergebens der Eitelkeit und den Leidenschaften dieser oder jener Person schmeicheln, immer wird man wieder auf den Vorschlag zurückkommen: Tretet uns Konstantinopel ab, wir überlassen euch Alexandria. In dem Augenblick, wo die brittische Regierung, mögen Whigs oder Tories am Ruder seyn, hierüber einen Entschluß fassen soll, wird sie immer zurücktreten. Wir bemerken im Vorbeigehen, daß es das torystische England war, welches uns im Jahre 1829 das Ministerium Polignac gab, nicht um den Staatsstreich vom 25 Jul. 1830 auszuführen, sondern um jene Allianz zwischen Frankreich und Rußland zu hindern, von der es einigen Leuten unter der Restauration träumte. Die Bildung des Polignac'schen Ministeriums stimmte mit den politischen Planen Englands im Orient zusammen; man sieht hieraus, daß unsere Allianz mit England weder von den Menschen noch von ihren Leidenschaften bedingt ist. Lord Wellington wünschte, in demselben Grad wie Lord Melbourne, uns am Bosporus als Alliirte zu haben; denn in keines Menschen Macht liegt es, England eine capriciöse oder phantastische Neigung für Rußland einzuflößen, eine Neigung, welche Konstantinopel Rußland überliefern würde, und zwar durch die gefälligen Hände Englands selbst! Es ist dieß vergebliche Mühe. Man mag hundert Missionen, wie die des Hrn. v. Brunnow, abschicken, ihr Loos wird immer dasselbe seyn. Sie werden günstig anfangen, werden dann mühsam sich fortschleppen und am Ende zu nichts führen, so lange Rußland nicht etwa den Engländern den Vorschlag macht, ihnen Alexandria und die Dardanellen zugleich abzutreten. Dann freilich wäre die beiderseitige Allianz möglich. . . Wir können hinsichtlich Aegyptens etwas anderer Meinung seyn, als England, wir können die Ansprüche Mehemed Ali's unterstützen, in so weit dieselben zu rechtfertigen sind, ohne daß es deßhalb zwischen uns und England zu einem Bruch kommen wird. Der Knoten unserer Allianz mit England ist nicht in Alexandria, sondern in Konstantinopel, und diese Allianz wird sicher bestehen, so lange wir zu Konstantinopel gegen Rußland mit England gleiches Interesse haben werden. Mit Einem Wort: es ist wohl möglich, daß wir mit England nicht immer im gutem Hausfrieden leben, aber es wird nie zu einer Scheidung kommen. . . Die französische Regierung dachte, als sie dem Schiedsgericht über die orientalischen Angelegenheiten beitrat, man werde sich mit der Hauptsache befassen, mit der Unabhängigkeit des ottomanischen Reichs gegenüber Rußland. Sie täuschte sich aber. Die Gewandtheit der Einen, der Eigensinn der Andern, einigermaßen von der Furcht, die alle hatten, unterstützt, verrückte die Debatte von der Hauptsache, die um so mehr zurückschreckt, je mehr sie an Wichtigkeit gewinnt, auf die Nebensache, deren Entscheidung nichts entscheidet und nichts löst, die aber den Vortheil hat, daß sie weniger gefährlich zu berathen ist. Sie erhielt den Vorzug und seit sechs Monaten beschäftigt man sich nur mit Alexandria; während der eigentliche Knoten in Konstantinopel liegt. Jeder weiß indessen, was er davon zu halten hat, obwohl er es sich nicht anmerken läßt. Wir wollen nur Eine Bemerkung machen, um zu beweisen, daß in Europa Niemand über die orientalische Frage sich täuscht, Niemand die Episode für das Stück selbst hält. Die Flotten Englands und Frankreichs ankern nicht vor Alexandria, sondern im Golf von Smyrna, zu Tenedos, am Eingang der Dardanellen, weil dort die eigentliche Frage liegt. Nach Alexandria schickt man diplomatische Noten, nach dem Eingang der Dardanellen Kriegsschiffe, denn dort ist die Gefahr. Ueber Adana, Syrien, die Erblichkeit der von Mehemed Ali beherrschten Paschaliks wird viel geschrieben, das Auge aber bleibt dem Bosporus, den Dardanellen, dem schwarzen Meer zugewendet. Niemand also macht sich eine Illusion. Rußland versucht in diesem Augenblick, während der Unterhandlungen hinsichtlich Aegyptens, dem schwarzen Meer das Privilegium einer geschlossenen See zu geben. Es weiß, daß es Europa durch das schwarze Meer bedrohen kann, so lange dasselbe geschlossen bleibt; durch dasselbe Meer ist es auch verwundbar, wenn es den Linienschiffen geöffnet wird. Daher die Beschränkungen, welche die Pforte den englischen oder französischen Kriegsschiffen auferlegt, die durch den Bosporus ins schwarze Meer einlaufen wollen. Die Pforte bewilligt ihnen Fermane, um in den Hellespont, in das Marmorameer und in den Hafen von Konstantinopel einzulaufen, ohne zu fordern, daß sie ihren Charakter als Kriegsschiffe im mindesten verläugnen. Sobald die Schiffe aber in das schwarze Meer einlaufen wollen, macht die Pforte mehr Schwierigkeiten, obwohl es sich dort nicht mehr um ihre Sicherheit handelt. Sie verlangt, daß die Kriegsschiffe dort wenigstens ihre Kanonen maskiren. Wir beklagen uns nicht über diese Beschränkungen, denn sie werden früher oder später die Frage hinsichtlich der Sperre des Bosporus für die Kriegsschiffe und seiner Neutralität, die künftig in der freien Passage bestehen muß, wie sie früher in der Sperre bestand, zur Sprache bringen.&#x201C;</p>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150/0014] Absichten Englands auf das rothe Meer enthüllt – vergeßt ihr dieß Alles? – Wir haben dieß so wenig vergessen, daß wir überzeugt sind, England würde in Kairo lieber einen unmächtigen Pascha sehen, als den wachsamen und energischen alten Mehemed. Trotz all' dem aber wird England in seiner Wahl nicht lange zaudern, wenn ihm nur die Alternative bleibt zwischen der Erhaltung der Macht Aegyptens und dem Einzug der Russen in Konstantinopel. Mehemed in Alexandria ist nur eine Verlegenheit für England, der Kaiser von Rußland in Konstantinopel aber ist eine unheilbare Wunde für Großbritannien. Jedermann wird lieber in seinem Fuß einen Dorn sehen, als ein zerschmettertes Bein haben wollen. Vergebens wird man versuchen, durch Unterhandlungen oder Journalartikel die Wahrheit zu verdrehen, vergebens wird man die gewandtesten und artigsten Diplomaten nach London schicken, vergebens der Eitelkeit und den Leidenschaften dieser oder jener Person schmeicheln, immer wird man wieder auf den Vorschlag zurückkommen: Tretet uns Konstantinopel ab, wir überlassen euch Alexandria. In dem Augenblick, wo die brittische Regierung, mögen Whigs oder Tories am Ruder seyn, hierüber einen Entschluß fassen soll, wird sie immer zurücktreten. Wir bemerken im Vorbeigehen, daß es das torystische England war, welches uns im Jahre 1829 das Ministerium Polignac gab, nicht um den Staatsstreich vom 25 Jul. 1830 auszuführen, sondern um jene Allianz zwischen Frankreich und Rußland zu hindern, von der es einigen Leuten unter der Restauration träumte. Die Bildung des Polignac'schen Ministeriums stimmte mit den politischen Planen Englands im Orient zusammen; man sieht hieraus, daß unsere Allianz mit England weder von den Menschen noch von ihren Leidenschaften bedingt ist. Lord Wellington wünschte, in demselben Grad wie Lord Melbourne, uns am Bosporus als Alliirte zu haben; denn in keines Menschen Macht liegt es, England eine capriciöse oder phantastische Neigung für Rußland einzuflößen, eine Neigung, welche Konstantinopel Rußland überliefern würde, und zwar durch die gefälligen Hände Englands selbst! Es ist dieß vergebliche Mühe. Man mag hundert Missionen, wie die des Hrn. v. Brunnow, abschicken, ihr Loos wird immer dasselbe seyn. Sie werden günstig anfangen, werden dann mühsam sich fortschleppen und am Ende zu nichts führen, so lange Rußland nicht etwa den Engländern den Vorschlag macht, ihnen Alexandria und die Dardanellen zugleich abzutreten. Dann freilich wäre die beiderseitige Allianz möglich. . . Wir können hinsichtlich Aegyptens etwas anderer Meinung seyn, als England, wir können die Ansprüche Mehemed Ali's unterstützen, in so weit dieselben zu rechtfertigen sind, ohne daß es deßhalb zwischen uns und England zu einem Bruch kommen wird. Der Knoten unserer Allianz mit England ist nicht in Alexandria, sondern in Konstantinopel, und diese Allianz wird sicher bestehen, so lange wir zu Konstantinopel gegen Rußland mit England gleiches Interesse haben werden. Mit Einem Wort: es ist wohl möglich, daß wir mit England nicht immer im gutem Hausfrieden leben, aber es wird nie zu einer Scheidung kommen. . . Die französische Regierung dachte, als sie dem Schiedsgericht über die orientalischen Angelegenheiten beitrat, man werde sich mit der Hauptsache befassen, mit der Unabhängigkeit des ottomanischen Reichs gegenüber Rußland. Sie täuschte sich aber. Die Gewandtheit der Einen, der Eigensinn der Andern, einigermaßen von der Furcht, die alle hatten, unterstützt, verrückte die Debatte von der Hauptsache, die um so mehr zurückschreckt, je mehr sie an Wichtigkeit gewinnt, auf die Nebensache, deren Entscheidung nichts entscheidet und nichts löst, die aber den Vortheil hat, daß sie weniger gefährlich zu berathen ist. Sie erhielt den Vorzug und seit sechs Monaten beschäftigt man sich nur mit Alexandria; während der eigentliche Knoten in Konstantinopel liegt. Jeder weiß indessen, was er davon zu halten hat, obwohl er es sich nicht anmerken läßt. Wir wollen nur Eine Bemerkung machen, um zu beweisen, daß in Europa Niemand über die orientalische Frage sich täuscht, Niemand die Episode für das Stück selbst hält. Die Flotten Englands und Frankreichs ankern nicht vor Alexandria, sondern im Golf von Smyrna, zu Tenedos, am Eingang der Dardanellen, weil dort die eigentliche Frage liegt. Nach Alexandria schickt man diplomatische Noten, nach dem Eingang der Dardanellen Kriegsschiffe, denn dort ist die Gefahr. Ueber Adana, Syrien, die Erblichkeit der von Mehemed Ali beherrschten Paschaliks wird viel geschrieben, das Auge aber bleibt dem Bosporus, den Dardanellen, dem schwarzen Meer zugewendet. Niemand also macht sich eine Illusion. Rußland versucht in diesem Augenblick, während der Unterhandlungen hinsichtlich Aegyptens, dem schwarzen Meer das Privilegium einer geschlossenen See zu geben. Es weiß, daß es Europa durch das schwarze Meer bedrohen kann, so lange dasselbe geschlossen bleibt; durch dasselbe Meer ist es auch verwundbar, wenn es den Linienschiffen geöffnet wird. Daher die Beschränkungen, welche die Pforte den englischen oder französischen Kriegsschiffen auferlegt, die durch den Bosporus ins schwarze Meer einlaufen wollen. Die Pforte bewilligt ihnen Fermane, um in den Hellespont, in das Marmorameer und in den Hafen von Konstantinopel einzulaufen, ohne zu fordern, daß sie ihren Charakter als Kriegsschiffe im mindesten verläugnen. Sobald die Schiffe aber in das schwarze Meer einlaufen wollen, macht die Pforte mehr Schwierigkeiten, obwohl es sich dort nicht mehr um ihre Sicherheit handelt. Sie verlangt, daß die Kriegsschiffe dort wenigstens ihre Kanonen maskiren. Wir beklagen uns nicht über diese Beschränkungen, denn sie werden früher oder später die Frage hinsichtlich der Sperre des Bosporus für die Kriegsschiffe und seiner Neutralität, die künftig in der freien Passage bestehen muß, wie sie früher in der Sperre bestand, zur Sprache bringen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119/14
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840, S. 0150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119/14>, abgerufen am 19.04.2024.