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Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840.

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bekannt, und erregte nicht geringe Erwartungen, welche wenigstens nicht getäuscht worden sind. Thiers hat gerade bei dieser Frage den Vortheil einer völlig unabhängigen Stellung, welche noch durch nichts compromittirt ist, wie dieß mit seiner Interventionspolitik in der spanischen Frage der Fall ist, wo ihn die Ereignisse und persönliche Klugheit nun zum Stillschweigen verdammt haben. Thiers hat gestern eine der glänzendsten Seiten seines ausgezeichneten Talents gezeigt, wodurch er in der Kammer fast einzig dasteht, nämlich das einer klaren und doch belebten Darlegung des wahren Standes verwickelter Fragen. Noch nie, am wenigsten auf der Tribune, sind die Interessen der verschiedenen Mächte in den orientalischen Angelegenheiten, und die durch diese bedingten Triebfedern ihrer Politik im Orient mit mehr Klarheit und Bestimmtheit entwickelt worden, und Thiers hat dadurch, selbst in den Kreisen, wo man ihm nicht sehr wohl will, um so mehr wieder gewonnen, je mehr er bewiesen hat, daß er wirklich Herr seines Talents ist, und frei von persönlichen Rücksichten und nationellen Vorurtheilen ohne Leidenschaft sprechen kann. Und dieß ist gerade der beste Weg, auf welchem man dazu gelangen kann, gewisse politische Wahrheiten zu sagen, welche zwar an sich keine Geheimnisse sind, welche aber eben erst mit klaren Worten in bestimmte Form gebracht werden müssen, um sich als Ueberzeugungen zu befestigen und in ihren Wirkungen ein praktisches Gewicht zu erhalten. Eine Wahrheit dieser Art ist z. B. die Darlegung der Politik Rußlands im Oriente, wie sie gestern Thiers mit eben so viel Freimüthigkeit als Gewandtheit versucht hat. Kein Mensch wird jetzt mehr daran zweifeln, daß es sich bei allen Windungen und scheinbaren Wandlungen des Cabinets von St. Petersburg am Ende doch um weiter nichts handelt, als um die Erhaltung des Vertrags von Hunkiar-Skelessi, nur in anderer Form, gerade weil Rußland für den Augenblick noch keine bestimmten Plane in Bezug auf das osmanische Reich hat, und für die Zukunft doch möglichst freie Hand behalten will. Das ist der wahre Zweck jener lächerlichen englischen Allianz, an deren Möglichkeit das Cabinet von St. Petersburg in allem Ernste geglaubt zu haben scheint; hierum drehen sich die Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, und deßhalb macht man jetzt noch dem Cabinet von St. James den unbegreiflichen Vorschlag, daß England zugleich mit Frankreich je vier Schiffe in die Dardanellen einlaufen lassen solle, während Rußland seine Truppen nach Konstantinopel schicke, unter der Bedingung jedoch, daß jene Schiffe nicht das Meer von Marmora überschreiten sollten. Sie würden also eine ziemlich klägliche Rolle zu spielen haben; denn sie würden, wie Thiers sich deutlich genug ausgedrückt hat, von Anfang an "compromittirte Schiffe" seyn. Die höhere politische Bedeutung von Thiers' ganzer Rede liegt eben darin, daß sie diese und einige ähnliche Wahrheiten enthält, welche in den Cabinetten der Großmächte ihr Echo finden dürften, noch ehe sie ihre Kraft verloren haben. Denn selbst da kann man es sich nicht verheimlichen, daß sie auf der Tribune der Deputirtenkammer und von einem Manne gesagt worden, dessen Wort in der europäischen Politik schon oft bedeutendes Gewicht gehabt hat, und in Zukunft noch haben könnte.

Ein Schreiben aus Algier vom 5 Jan. meldet, daß der Marschall Valee an diesem Tage von Belida zurück in Algier eingetroffen ist. Er begegnete auf seinem Weg keinem Feind mehr. Die Araber sind gänzlich demoralisirt, und seit dem Treffen vom 31 Dec. herrscht Zwiespalt unter ihnen. Das Linienschiff Algier hat auf der Rhede von Algier am 5 Anker geworfen und bei Abgang des Paketboots war man beschäftigt, die angekommenen Truppen auszuschiffen. Die Dampfboote Krokodil und Aetna sind mit Truppen nach Oran abgegangen. Seit 14 Tagen wurde gegen das Lager Fonduk kein Angriff mehr gemacht. Die Wagen der Diligence könnten wohl unter schwacher Escorte bis Bussarik fahren, wagten sich aber doch nicht über Duera hinaus. Täglich sind diese Wagen mit Reisenden angefüllt, welche ihre zerstörten Niederlassungen in der Metidscha besuchen. Unter andern nahmhaften Reisenden, welche in letzter Zeit zu Algier angekommen sind, befindet sich auch Hr. Enfantin, Ex-Papst der St. Simonianer; derselbe ist Mitglied der wissenschaftlichen Commission. - Von einer Expedition nach Scherschel ist keine Rede mehr, doch sind die Kriegsschiffe, welche an diesem Hafen vorüberfahren, beauftragt, jedesmal einige Kugeln gegen diese Stadt zu feuern.

Italien.

Das Auftreten des Herzogs von Bordeaux in Rom hat verschiedenen öffentlichen Blättern Stoff zu mehrfachen Betrachtungen geliefert, von denen einige eine so unrichtige Schilderung seines Charakters, so wie namentlich des Zweckes seines hiesigen Aufenthaltes enthalten, daß es für einen unparteiischen Beobachter, der durch eigene Wahrnehmung und vielfache persönliche Berührungen mit der Sachlage genauer bekannt geworden, Bedürfniß wird, diese Mißdeutungen zu berichtigen. Der Zweck der Reise des Herzogs und seines hiesigen Aufenthalts war lediglich ein wissenschaftlicher, den er bisher unablässig und mit dem besten Erfolge vor Augen gehabt hat; seine politische Stellung hat er vollkommen erkannt, denn er weiß recht gut, daß wenn er durch höhere Fügungen jemals zu einer andern berufen werden sollte, dieß nur durch Ereignisse geschehen könnte, die herbeizuführen außer seiner Macht liegen. Je schwieriger in jeder Beziehung die gesellschaftliche Stellung des Herzogs ist, um so mehr ist der richtige Tact anzuerkennen, mit dem er sich in den verschiedenartigsten Lagen zu benehmen weiß. Von seiner Seite ist nichts geschehen, was die Ruhe der hiesigen Regierung oder das gute Vernehmen des diplomatischen Corps hätte stören können; ist dennoch zwischen einigen Mitgliedern des letzteren eine augenblickliche Spannung eingetreten, so kann wenigstens dem Herzog keinesfalls die Veranlassung zugeschrieben werden. Seine äußere Erscheinung ist geeignet einen angenehmen vertrauenerweckenden Eindruck hervorzubringen. Ein blühendes kräftiges Ansehen, eine würdevolle Haltung und eine Sicherheit des Benehmens zeichnen ihn um so auffallender aus, als sich ihm in dem beschränkten Familienkreise in Görz keine Gelegenheit darbot, die für das öffentliche Auftreten nöthige Festigkeit und Gewandtheit zu erlangen. Hierdurch wird es erklärlich, daß sich in den höheren Kreisen der hiesigen Welt ein lebhaftes immer steigendes Interesse für die Person wie für das Schicksal des Herzogs deutlich aussprach. Einmal in der Woche empfängt er die ihm vorgestellten Personen aller Nationen; bei dem letzten Empfange waren 170, darunter allein über 100 Franzosen gegenwärtig, unter vielen Bekannten und Ausgezeichneten auch der Graf de la Ferronnays, der hier einer großen und allgemeinen Achtung genießt; auch die Zahl der Franzosen aller Classen, die nur in der Absicht den Herzog zu sehen hierher kommen, ist bedeutend. Von Seite der hiesigen Autoritäten haben die Cardinäle Lambruschini und Bernetti dem Herzog ihre Aufwartung gemacht.

Ueber die Unterhandlungen mit Portugal vernimmt man aus sicherer Quelle, daß die begründetsten Hoffnungen vorhanden sind, durch sie zu einem gewünschten Resultat zu gelangen. Dagegen ist hinsichtlich Spaniens an eine Regulirung der kirchlichen Angelegenheiten fürs erste nicht

bekannt, und erregte nicht geringe Erwartungen, welche wenigstens nicht getäuscht worden sind. Thiers hat gerade bei dieser Frage den Vortheil einer völlig unabhängigen Stellung, welche noch durch nichts compromittirt ist, wie dieß mit seiner Interventionspolitik in der spanischen Frage der Fall ist, wo ihn die Ereignisse und persönliche Klugheit nun zum Stillschweigen verdammt haben. Thiers hat gestern eine der glänzendsten Seiten seines ausgezeichneten Talents gezeigt, wodurch er in der Kammer fast einzig dasteht, nämlich das einer klaren und doch belebten Darlegung des wahren Standes verwickelter Fragen. Noch nie, am wenigsten auf der Tribune, sind die Interessen der verschiedenen Mächte in den orientalischen Angelegenheiten, und die durch diese bedingten Triebfedern ihrer Politik im Orient mit mehr Klarheit und Bestimmtheit entwickelt worden, und Thiers hat dadurch, selbst in den Kreisen, wo man ihm nicht sehr wohl will, um so mehr wieder gewonnen, je mehr er bewiesen hat, daß er wirklich Herr seines Talents ist, und frei von persönlichen Rücksichten und nationellen Vorurtheilen ohne Leidenschaft sprechen kann. Und dieß ist gerade der beste Weg, auf welchem man dazu gelangen kann, gewisse politische Wahrheiten zu sagen, welche zwar an sich keine Geheimnisse sind, welche aber eben erst mit klaren Worten in bestimmte Form gebracht werden müssen, um sich als Ueberzeugungen zu befestigen und in ihren Wirkungen ein praktisches Gewicht zu erhalten. Eine Wahrheit dieser Art ist z. B. die Darlegung der Politik Rußlands im Oriente, wie sie gestern Thiers mit eben so viel Freimüthigkeit als Gewandtheit versucht hat. Kein Mensch wird jetzt mehr daran zweifeln, daß es sich bei allen Windungen und scheinbaren Wandlungen des Cabinets von St. Petersburg am Ende doch um weiter nichts handelt, als um die Erhaltung des Vertrags von Hunkiar-Skelessi, nur in anderer Form, gerade weil Rußland für den Augenblick noch keine bestimmten Plane in Bezug auf das osmanische Reich hat, und für die Zukunft doch möglichst freie Hand behalten will. Das ist der wahre Zweck jener lächerlichen englischen Allianz, an deren Möglichkeit das Cabinet von St. Petersburg in allem Ernste geglaubt zu haben scheint; hierum drehen sich die Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, und deßhalb macht man jetzt noch dem Cabinet von St. James den unbegreiflichen Vorschlag, daß England zugleich mit Frankreich je vier Schiffe in die Dardanellen einlaufen lassen solle, während Rußland seine Truppen nach Konstantinopel schicke, unter der Bedingung jedoch, daß jene Schiffe nicht das Meer von Marmora überschreiten sollten. Sie würden also eine ziemlich klägliche Rolle zu spielen haben; denn sie würden, wie Thiers sich deutlich genug ausgedrückt hat, von Anfang an „compromittirte Schiffe“ seyn. Die höhere politische Bedeutung von Thiers' ganzer Rede liegt eben darin, daß sie diese und einige ähnliche Wahrheiten enthält, welche in den Cabinetten der Großmächte ihr Echo finden dürften, noch ehe sie ihre Kraft verloren haben. Denn selbst da kann man es sich nicht verheimlichen, daß sie auf der Tribune der Deputirtenkammer und von einem Manne gesagt worden, dessen Wort in der europäischen Politik schon oft bedeutendes Gewicht gehabt hat, und in Zukunft noch haben könnte.

Ein Schreiben aus Algier vom 5 Jan. meldet, daß der Marschall Valée an diesem Tage von Belida zurück in Algier eingetroffen ist. Er begegnete auf seinem Weg keinem Feind mehr. Die Araber sind gänzlich demoralisirt, und seit dem Treffen vom 31 Dec. herrscht Zwiespalt unter ihnen. Das Linienschiff Algier hat auf der Rhede von Algier am 5 Anker geworfen und bei Abgang des Paketboots war man beschäftigt, die angekommenen Truppen auszuschiffen. Die Dampfboote Krokodil und Aetna sind mit Truppen nach Oran abgegangen. Seit 14 Tagen wurde gegen das Lager Fonduk kein Angriff mehr gemacht. Die Wagen der Diligence könnten wohl unter schwacher Escorte bis Bussarik fahren, wagten sich aber doch nicht über Duera hinaus. Täglich sind diese Wagen mit Reisenden angefüllt, welche ihre zerstörten Niederlassungen in der Metidscha besuchen. Unter andern nahmhaften Reisenden, welche in letzter Zeit zu Algier angekommen sind, befindet sich auch Hr. Enfantin, Ex-Papst der St. Simonianer; derselbe ist Mitglied der wissenschaftlichen Commission. – Von einer Expedition nach Scherschel ist keine Rede mehr, doch sind die Kriegsschiffe, welche an diesem Hafen vorüberfahren, beauftragt, jedesmal einige Kugeln gegen diese Stadt zu feuern.

Italien.

Das Auftreten des Herzogs von Bordeaux in Rom hat verschiedenen öffentlichen Blättern Stoff zu mehrfachen Betrachtungen geliefert, von denen einige eine so unrichtige Schilderung seines Charakters, so wie namentlich des Zweckes seines hiesigen Aufenthaltes enthalten, daß es für einen unparteiischen Beobachter, der durch eigene Wahrnehmung und vielfache persönliche Berührungen mit der Sachlage genauer bekannt geworden, Bedürfniß wird, diese Mißdeutungen zu berichtigen. Der Zweck der Reise des Herzogs und seines hiesigen Aufenthalts war lediglich ein wissenschaftlicher, den er bisher unablässig und mit dem besten Erfolge vor Augen gehabt hat; seine politische Stellung hat er vollkommen erkannt, denn er weiß recht gut, daß wenn er durch höhere Fügungen jemals zu einer andern berufen werden sollte, dieß nur durch Ereignisse geschehen könnte, die herbeizuführen außer seiner Macht liegen. Je schwieriger in jeder Beziehung die gesellschaftliche Stellung des Herzogs ist, um so mehr ist der richtige Tact anzuerkennen, mit dem er sich in den verschiedenartigsten Lagen zu benehmen weiß. Von seiner Seite ist nichts geschehen, was die Ruhe der hiesigen Regierung oder das gute Vernehmen des diplomatischen Corps hätte stören können; ist dennoch zwischen einigen Mitgliedern des letzteren eine augenblickliche Spannung eingetreten, so kann wenigstens dem Herzog keinesfalls die Veranlassung zugeschrieben werden. Seine äußere Erscheinung ist geeignet einen angenehmen vertrauenerweckenden Eindruck hervorzubringen. Ein blühendes kräftiges Ansehen, eine würdevolle Haltung und eine Sicherheit des Benehmens zeichnen ihn um so auffallender aus, als sich ihm in dem beschränkten Familienkreise in Görz keine Gelegenheit darbot, die für das öffentliche Auftreten nöthige Festigkeit und Gewandtheit zu erlangen. Hierdurch wird es erklärlich, daß sich in den höheren Kreisen der hiesigen Welt ein lebhaftes immer steigendes Interesse für die Person wie für das Schicksal des Herzogs deutlich aussprach. Einmal in der Woche empfängt er die ihm vorgestellten Personen aller Nationen; bei dem letzten Empfange waren 170, darunter allein über 100 Franzosen gegenwärtig, unter vielen Bekannten und Ausgezeichneten auch der Graf de la Ferronnays, der hier einer großen und allgemeinen Achtung genießt; auch die Zahl der Franzosen aller Classen, die nur in der Absicht den Herzog zu sehen hierher kommen, ist bedeutend. Von Seite der hiesigen Autoritäten haben die Cardinäle Lambruschini und Bernetti dem Herzog ihre Aufwartung gemacht.

Ueber die Unterhandlungen mit Portugal vernimmt man aus sicherer Quelle, daß die begründetsten Hoffnungen vorhanden sind, durch sie zu einem gewünschten Resultat zu gelangen. Dagegen ist hinsichtlich Spaniens an eine Regulirung der kirchlichen Angelegenheiten fürs erste nicht

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bekannt, und erregte nicht geringe Erwartungen, welche wenigstens nicht getäuscht worden sind. Thiers hat gerade bei dieser Frage den Vortheil einer völlig unabhängigen Stellung, welche noch durch nichts compromittirt ist, wie dieß mit seiner Interventionspolitik in der spanischen Frage der Fall ist, wo ihn die Ereignisse und persönliche Klugheit nun zum Stillschweigen verdammt haben. Thiers hat gestern eine der glänzendsten Seiten seines ausgezeichneten Talents gezeigt, wodurch er in der Kammer fast einzig dasteht, nämlich das einer klaren und doch belebten Darlegung des wahren Standes verwickelter Fragen. Noch nie, am wenigsten auf der Tribune, sind die Interessen der verschiedenen Mächte in den orientalischen Angelegenheiten, und die durch diese bedingten Triebfedern ihrer Politik im Orient mit mehr Klarheit und Bestimmtheit entwickelt worden, und Thiers hat dadurch, selbst in den Kreisen, wo man ihm nicht sehr wohl will, um so mehr wieder gewonnen, je mehr er bewiesen hat, daß er wirklich Herr seines Talents ist, und frei von persönlichen Rücksichten und nationellen Vorurtheilen ohne Leidenschaft sprechen kann. Und dieß ist gerade der beste Weg, auf welchem man dazu gelangen kann, gewisse politische Wahrheiten zu sagen, welche zwar an sich keine Geheimnisse sind, welche aber eben erst mit klaren Worten in bestimmte Form gebracht werden müssen, um sich als Ueberzeugungen zu befestigen und in ihren Wirkungen ein praktisches Gewicht zu erhalten. Eine Wahrheit dieser Art ist z. B. die Darlegung der Politik Rußlands im Oriente, wie sie gestern Thiers mit eben so viel Freimüthigkeit als Gewandtheit versucht hat. Kein Mensch wird jetzt mehr daran zweifeln, daß es sich bei allen Windungen und scheinbaren Wandlungen des Cabinets von St. Petersburg am Ende doch um weiter nichts handelt, als um die Erhaltung des Vertrags von Hunkiar-Skelessi, nur in anderer Form, gerade weil Rußland für den Augenblick noch keine bestimmten Plane in Bezug auf das osmanische Reich hat, und für die Zukunft doch möglichst freie Hand behalten will. Das ist der wahre Zweck jener lächerlichen englischen Allianz, an deren Möglichkeit das Cabinet von St. Petersburg in allem Ernste geglaubt zu haben scheint; hierum drehen sich die Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, und deßhalb macht man jetzt noch dem Cabinet von St. James den unbegreiflichen Vorschlag, daß England zugleich mit Frankreich je vier Schiffe in die Dardanellen einlaufen lassen solle, während Rußland seine Truppen nach Konstantinopel schicke, unter der Bedingung jedoch, daß jene Schiffe nicht das Meer von Marmora überschreiten sollten. Sie würden also eine ziemlich klägliche Rolle zu spielen haben; denn sie würden, wie Thiers sich deutlich genug ausgedrückt hat, von Anfang an &#x201E;compromittirte Schiffe&#x201C; seyn. Die höhere politische Bedeutung von Thiers' ganzer Rede liegt eben darin, daß sie diese und einige ähnliche Wahrheiten enthält, welche in den Cabinetten der Großmächte ihr Echo finden dürften, noch ehe sie ihre Kraft verloren haben. Denn selbst da kann man es sich nicht verheimlichen, daß sie auf der Tribune der Deputirtenkammer und von einem Manne gesagt worden, dessen Wort in der europäischen Politik schon oft bedeutendes Gewicht gehabt hat, und in Zukunft noch haben könnte.</p>
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[0149/0005] bekannt, und erregte nicht geringe Erwartungen, welche wenigstens nicht getäuscht worden sind. Thiers hat gerade bei dieser Frage den Vortheil einer völlig unabhängigen Stellung, welche noch durch nichts compromittirt ist, wie dieß mit seiner Interventionspolitik in der spanischen Frage der Fall ist, wo ihn die Ereignisse und persönliche Klugheit nun zum Stillschweigen verdammt haben. Thiers hat gestern eine der glänzendsten Seiten seines ausgezeichneten Talents gezeigt, wodurch er in der Kammer fast einzig dasteht, nämlich das einer klaren und doch belebten Darlegung des wahren Standes verwickelter Fragen. Noch nie, am wenigsten auf der Tribune, sind die Interessen der verschiedenen Mächte in den orientalischen Angelegenheiten, und die durch diese bedingten Triebfedern ihrer Politik im Orient mit mehr Klarheit und Bestimmtheit entwickelt worden, und Thiers hat dadurch, selbst in den Kreisen, wo man ihm nicht sehr wohl will, um so mehr wieder gewonnen, je mehr er bewiesen hat, daß er wirklich Herr seines Talents ist, und frei von persönlichen Rücksichten und nationellen Vorurtheilen ohne Leidenschaft sprechen kann. Und dieß ist gerade der beste Weg, auf welchem man dazu gelangen kann, gewisse politische Wahrheiten zu sagen, welche zwar an sich keine Geheimnisse sind, welche aber eben erst mit klaren Worten in bestimmte Form gebracht werden müssen, um sich als Ueberzeugungen zu befestigen und in ihren Wirkungen ein praktisches Gewicht zu erhalten. Eine Wahrheit dieser Art ist z. B. die Darlegung der Politik Rußlands im Oriente, wie sie gestern Thiers mit eben so viel Freimüthigkeit als Gewandtheit versucht hat. Kein Mensch wird jetzt mehr daran zweifeln, daß es sich bei allen Windungen und scheinbaren Wandlungen des Cabinets von St. Petersburg am Ende doch um weiter nichts handelt, als um die Erhaltung des Vertrags von Hunkiar-Skelessi, nur in anderer Form, gerade weil Rußland für den Augenblick noch keine bestimmten Plane in Bezug auf das osmanische Reich hat, und für die Zukunft doch möglichst freie Hand behalten will. Das ist der wahre Zweck jener lächerlichen englischen Allianz, an deren Möglichkeit das Cabinet von St. Petersburg in allem Ernste geglaubt zu haben scheint; hierum drehen sich die Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, und deßhalb macht man jetzt noch dem Cabinet von St. James den unbegreiflichen Vorschlag, daß England zugleich mit Frankreich je vier Schiffe in die Dardanellen einlaufen lassen solle, während Rußland seine Truppen nach Konstantinopel schicke, unter der Bedingung jedoch, daß jene Schiffe nicht das Meer von Marmora überschreiten sollten. Sie würden also eine ziemlich klägliche Rolle zu spielen haben; denn sie würden, wie Thiers sich deutlich genug ausgedrückt hat, von Anfang an „compromittirte Schiffe“ seyn. Die höhere politische Bedeutung von Thiers' ganzer Rede liegt eben darin, daß sie diese und einige ähnliche Wahrheiten enthält, welche in den Cabinetten der Großmächte ihr Echo finden dürften, noch ehe sie ihre Kraft verloren haben. Denn selbst da kann man es sich nicht verheimlichen, daß sie auf der Tribune der Deputirtenkammer und von einem Manne gesagt worden, dessen Wort in der europäischen Politik schon oft bedeutendes Gewicht gehabt hat, und in Zukunft noch haben könnte. _ Toulon, 10 Jan. Ein Schreiben aus Algier vom 5 Jan. meldet, daß der Marschall Valée an diesem Tage von Belida zurück in Algier eingetroffen ist. Er begegnete auf seinem Weg keinem Feind mehr. Die Araber sind gänzlich demoralisirt, und seit dem Treffen vom 31 Dec. herrscht Zwiespalt unter ihnen. Das Linienschiff Algier hat auf der Rhede von Algier am 5 Anker geworfen und bei Abgang des Paketboots war man beschäftigt, die angekommenen Truppen auszuschiffen. Die Dampfboote Krokodil und Aetna sind mit Truppen nach Oran abgegangen. Seit 14 Tagen wurde gegen das Lager Fonduk kein Angriff mehr gemacht. Die Wagen der Diligence könnten wohl unter schwacher Escorte bis Bussarik fahren, wagten sich aber doch nicht über Duera hinaus. Täglich sind diese Wagen mit Reisenden angefüllt, welche ihre zerstörten Niederlassungen in der Metidscha besuchen. Unter andern nahmhaften Reisenden, welche in letzter Zeit zu Algier angekommen sind, befindet sich auch Hr. Enfantin, Ex-Papst der St. Simonianer; derselbe ist Mitglied der wissenschaftlichen Commission. – Von einer Expedition nach Scherschel ist keine Rede mehr, doch sind die Kriegsschiffe, welche an diesem Hafen vorüberfahren, beauftragt, jedesmal einige Kugeln gegen diese Stadt zu feuern. Italien. _ Rom, 2 Jan. Das Auftreten des Herzogs von Bordeaux in Rom hat verschiedenen öffentlichen Blättern Stoff zu mehrfachen Betrachtungen geliefert, von denen einige eine so unrichtige Schilderung seines Charakters, so wie namentlich des Zweckes seines hiesigen Aufenthaltes enthalten, daß es für einen unparteiischen Beobachter, der durch eigene Wahrnehmung und vielfache persönliche Berührungen mit der Sachlage genauer bekannt geworden, Bedürfniß wird, diese Mißdeutungen zu berichtigen. Der Zweck der Reise des Herzogs und seines hiesigen Aufenthalts war lediglich ein wissenschaftlicher, den er bisher unablässig und mit dem besten Erfolge vor Augen gehabt hat; seine politische Stellung hat er vollkommen erkannt, denn er weiß recht gut, daß wenn er durch höhere Fügungen jemals zu einer andern berufen werden sollte, dieß nur durch Ereignisse geschehen könnte, die herbeizuführen außer seiner Macht liegen. Je schwieriger in jeder Beziehung die gesellschaftliche Stellung des Herzogs ist, um so mehr ist der richtige Tact anzuerkennen, mit dem er sich in den verschiedenartigsten Lagen zu benehmen weiß. Von seiner Seite ist nichts geschehen, was die Ruhe der hiesigen Regierung oder das gute Vernehmen des diplomatischen Corps hätte stören können; ist dennoch zwischen einigen Mitgliedern des letzteren eine augenblickliche Spannung eingetreten, so kann wenigstens dem Herzog keinesfalls die Veranlassung zugeschrieben werden. Seine äußere Erscheinung ist geeignet einen angenehmen vertrauenerweckenden Eindruck hervorzubringen. Ein blühendes kräftiges Ansehen, eine würdevolle Haltung und eine Sicherheit des Benehmens zeichnen ihn um so auffallender aus, als sich ihm in dem beschränkten Familienkreise in Görz keine Gelegenheit darbot, die für das öffentliche Auftreten nöthige Festigkeit und Gewandtheit zu erlangen. Hierdurch wird es erklärlich, daß sich in den höheren Kreisen der hiesigen Welt ein lebhaftes immer steigendes Interesse für die Person wie für das Schicksal des Herzogs deutlich aussprach. Einmal in der Woche empfängt er die ihm vorgestellten Personen aller Nationen; bei dem letzten Empfange waren 170, darunter allein über 100 Franzosen gegenwärtig, unter vielen Bekannten und Ausgezeichneten auch der Graf de la Ferronnays, der hier einer großen und allgemeinen Achtung genießt; auch die Zahl der Franzosen aller Classen, die nur in der Absicht den Herzog zu sehen hierher kommen, ist bedeutend. Von Seite der hiesigen Autoritäten haben die Cardinäle Lambruschini und Bernetti dem Herzog ihre Aufwartung gemacht. _ Rom, 7 Jan. Ueber die Unterhandlungen mit Portugal vernimmt man aus sicherer Quelle, daß die begründetsten Hoffnungen vorhanden sind, durch sie zu einem gewünschten Resultat zu gelangen. Dagegen ist hinsichtlich Spaniens an eine Regulirung der kirchlichen Angelegenheiten fürs erste nicht

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840, S. 0149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119/5>, abgerufen am 29.03.2024.