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Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 31. Januar 1840.

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(Courrier francais.) Die Kammer hat in der Adresse erklärt, daß die französische Herrschaft Algerien nicht mehr verlassen würde. In den Bureaux hat sie sich aber am 24 und 25 Januar für die beschränkte Besetzung, die so viel als ein Preisgeben ist, ausgesprochen... Wie wenige Menschen begreifen doch das Geschick ihres Landes, und was darf man von den Leuten des Juste-Milieu erwarten, wenn Deputirte, denen es weder an Einsicht noch an Patriotismus fehlt, das herrliche Geschenk, welches uns das Glück bescherte, indem es uns ein Reich, ja ein Reich auf der entgegengesetzten Küste des Mittelmeers gegeben, zurückzustoßen scheinen? Sollte man es glauben, daß sich Hr. v. Tracy mit einer Art von Stolz auf den von ihm 1830 gemachten Vorschlag, Afrika zu verlassen und Algier zu schleifen, berufen hat?

Der amtliche Theil des Moniteur enthält einen Bericht des Ministers des Innern an den König über einen merkwürdigen Kampf zwischen einem gewissen Louis Fisse, Einwohner der Gemeinde Cadeilhac-Trachere (niedere Pyrenäen), und einem riesenhaften Bären, der Schrecken im Lande verbreitete, und von Fisse erlegt wurde. Zur Belohnung für seine so muthvolle That ward dem Louis Fisse eine Ehrenmedaille zuerkannt.

Von dem Zustande unsrer Kammerverhandlungen ist es jetzt schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Nichts geschieht, nichts geht voran, als die Zeit, die kostbare, die den Interessen des Landes gewidmet seyn sollte, während man sie auf Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten verwendet. In dieser Beziehung erzählt man sich eine Anekdote, die einen Blick in das innere Uebel thun läßt, das an dem jetzigen Wahlverfahren nagt. Ein Deputirter, wie die große Mehrheit des Publicums, von dem Unheil betroffen, daß so viele Abgeordnete nur nach Aemtern und einträglichen Sinecuren streben, und um diesen Preis des Landes Wohlfahrt auf die letzte Stufe ihrer Sorgen verweisen, hatte den Vorschlag gemacht, daß seine Collegen sich durch einen schriftlichen Revers verpflichten sollten, ihrem volksthümlichen Mandate ganz und zwar in der Art treu zu bleiben, das es keinem unter ihnen erlaubt sey, während der Kammersitzung irgend ein Amt oder einen andern Vortheil von der Regierung anzunehmen. Dieser kecke Neuerer, Lherbette ist sein Name, hatte auch wirklich schon 30 - 40 Unterschriften zusammen gebracht, als sein Beginnen durch ein wahres Hurrah aller Bänke aufgehalten und in das allerentlegenste Reich der Träume verwiesen wurde. Bemerkenswerth ist dabei, daß nicht allein die ministeriellen Deputirten und jene des Centrums sein Begehren als thöricht verspotteten - von ihnen konnte man nichts Anderes erwarten - sondern daß auch seine eigenen Freunde von der Opposition ihn eines Bessern zu belehren und zur "Vernunft" zurückzubringen suchten. Wohl oder übel, er mußte nachgeben, denn als er sich nach seinen getreuen ersten Unterzeichnern umsah, waren auch diese zum Theil wieder zerstoben; sie erklärten ihm, sie, hätten sich "eines Bessern" besonnen; eines Bessern für sie hätten sie beifügen und sich auf die ewige Wandelbarkeit des menschlichen Willens berufen können. Dieser kleine Skandal ergötzt sehr die ministeriellen Salons und nicht ohne Grund; es ist eine späte Erinnerung an Jugurtha's Rom! -- Die afrikanische Frage hat in einem der Bureaux heftige Discussion veranlaßt, es ist das Bureau, in welchem Desjobert ist; nach einer langen, heftigen Rede, in welcher er seine ewige Anklage gegen die Colonisation von Algier vorbrachte, gelang es ihm, in die Commission gewählt zu werden. Im Resultat wird seine Gegenwart keinen Unterschied hervorbringen, in den Verhandlungen aber wird sie größere Lebhaftigkeit, Schärfe und Genauigkeit erzeugen, sie ist also ein wahres Glück. -- Denen, die noch keine Idee haben, in welchem Maaßstabe die öffentlichen Gelder hier verschleudert werden, möge folgende Thatsache dienen, die selbst in der Kammer einiges Aergerniß veranlaßt hat: in den Rechnungen des Ministeriums des Innern kommt vor: 90,000 Fr. für Heizung, der Posten übersteigt um 50,000 Fr. die im Budget vorgesehene Summe.

Vorgestern war große Abendgesellschaft bei dem Herzog von Orleans; alle Anwesenden bemerkten, daß die HH. Thiers und Mole länger als eine Stunde sich auf einem Sopha allein mit einander unterhielten. Hr. Guizot, der ihnen gegenüber saß, schien sie zu beobachten. Dieses Verhältniß gab natürlich zu pikanten Vergleichungen zwischen der jetzigen Lage der Dinge und der vor einem Jahre Anlaß, wo die HH. Guizot und Thiers sich gegen Hrn. v. Mole coalisirt hatten. Jedoch ist die allgemeine Meinung, daß Hr. Thiers keine Hoffnung zum alsbaldigen Eintritt ins Cabinet habe, und daß die Umänderung desselben, wornach Hr. Guizot hinein träte, jeden Augenblick bevorstehe. Als ein nicht unbedeutender Umstand ist bemerkt worden, daß als verwichenen Sonntag (19) mehrere Deputirte, unter denen sich Hr. Thiers befand, beim Könige zu Tische waren, letzterer sich mit ersterem nach dem Essen nicht unterhielt, wohl aber mit andern Mitgliedern der Opposition, z. B. Hrn. Auguis. - Die Rede des Hrn. Thiers bei der Discussion der Adresse hat in der Kammer sowohl als im Publicum weit weniger Interesse erregt, als einer Ihrer Correspondenten glaubt: Jedermann sieht darin nur seine Bewerbung um ein Ministerium. Alle Parteien legen weit mehr Wichtigkeit auf die Rede des Hrn. Mauguin. - In der Sitzung von gestern hat die Deputirtenkammer alle diejenigen Verfügungen des Gesetzesvorschlags über die Handelsgerichte verworfen, die sich auf die Bildung der Listen der Wähler zur Wahl der Mitglieder dieser Gerichte bezogen: die Opposition sah in den neuen Vorschlägen keine wirklichen Verbesserungen, und zog daher vor, die Sache beim Alten zu belassen, bis sich eine Gelegenheit fände, liberalere Bestimmungen zu erhalten. Heute wurde der Gesetzesentwurf über die Verantwortlichkeit der Schiffseigenthümer für die Handlungen des Capitäns beinahe ohne Debatten angenommen: die Kammer widmete diesem Entwurf weniger Aufmerksamkeit als er verdiente; denn offenbar setzt er den Kaufmannsstand in Nachtheil gegen die Schiffseigenthümer, indem er bejahend die bisher controverse Frage entscheidet, ob letztere sich von allen vom Capitän eingegangenen Verbindlichkeiten durch die Abtretung des Schiffes und der Fracht befreien können.

Bei Gelegenheit der Commission über die Verkäuflichkeit der Stellen von Notaren, Procuratoren, Börsenagenten, Mäklern, Advocaten au conseil etc. sieht man, welche Folgen ein legitimirter Mißbrauch nach und nach mit sich bringt. Man hatte die Unklugheit begangen, diese Stellen im Jahre 1816 für verkäuflich zu erklären; die Zunahme der Geschäfte und die Concurrenz der Käufer hat sie jetzt auf so ungeheure Preise getrieben, daß die Käufer sich nur durch Uebertreibungen ihrer Forderungen an das Publicum, Vervielfältigung der Proceduren etc. entschädigen können. Da die jetzigen Besitzer ihre Stellen größtentheils gekauft haben, so müßte man sie entschädigen, wenn man die Verkäuflichkeit aufheben wollte; da ihr Werth aber 1200 Millionen ist, so ist daran nicht zu denken, und Alles, was sich thun läßt, ist die Proceduren von Processen und Käufer zu vereinfachen, die Rechnungen durch die Gerichte streng zu controliren, und jede Uebertreibung darin durch unerbittliche Strafen zu ahnden. Aber dieß sind lauter Palliativmittel gegen einen radical fehlerhaften


(Courrier français.) Die Kammer hat in der Adresse erklärt, daß die französische Herrschaft Algerien nicht mehr verlassen würde. In den Bureaux hat sie sich aber am 24 und 25 Januar für die beschränkte Besetzung, die so viel als ein Preisgeben ist, ausgesprochen... Wie wenige Menschen begreifen doch das Geschick ihres Landes, und was darf man von den Leuten des Juste-Milieu erwarten, wenn Deputirte, denen es weder an Einsicht noch an Patriotismus fehlt, das herrliche Geschenk, welches uns das Glück bescherte, indem es uns ein Reich, ja ein Reich auf der entgegengesetzten Küste des Mittelmeers gegeben, zurückzustoßen scheinen? Sollte man es glauben, daß sich Hr. v. Tracy mit einer Art von Stolz auf den von ihm 1830 gemachten Vorschlag, Afrika zu verlassen und Algier zu schleifen, berufen hat?

Der amtliche Theil des Moniteur enthält einen Bericht des Ministers des Innern an den König über einen merkwürdigen Kampf zwischen einem gewissen Louis Fisse, Einwohner der Gemeinde Cadeilhac-Trachere (niedere Pyrenäen), und einem riesenhaften Bären, der Schrecken im Lande verbreitete, und von Fisse erlegt wurde. Zur Belohnung für seine so muthvolle That ward dem Louis Fisse eine Ehrenmedaille zuerkannt.

Von dem Zustande unsrer Kammerverhandlungen ist es jetzt schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Nichts geschieht, nichts geht voran, als die Zeit, die kostbare, die den Interessen des Landes gewidmet seyn sollte, während man sie auf Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten verwendet. In dieser Beziehung erzählt man sich eine Anekdote, die einen Blick in das innere Uebel thun läßt, das an dem jetzigen Wahlverfahren nagt. Ein Deputirter, wie die große Mehrheit des Publicums, von dem Unheil betroffen, daß so viele Abgeordnete nur nach Aemtern und einträglichen Sinecuren streben, und um diesen Preis des Landes Wohlfahrt auf die letzte Stufe ihrer Sorgen verweisen, hatte den Vorschlag gemacht, daß seine Collegen sich durch einen schriftlichen Revers verpflichten sollten, ihrem volksthümlichen Mandate ganz und zwar in der Art treu zu bleiben, das es keinem unter ihnen erlaubt sey, während der Kammersitzung irgend ein Amt oder einen andern Vortheil von der Regierung anzunehmen. Dieser kecke Neuerer, Lherbette ist sein Name, hatte auch wirklich schon 30 - 40 Unterschriften zusammen gebracht, als sein Beginnen durch ein wahres Hurrah aller Bänke aufgehalten und in das allerentlegenste Reich der Träume verwiesen wurde. Bemerkenswerth ist dabei, daß nicht allein die ministeriellen Deputirten und jene des Centrums sein Begehren als thöricht verspotteten – von ihnen konnte man nichts Anderes erwarten – sondern daß auch seine eigenen Freunde von der Opposition ihn eines Bessern zu belehren und zur „Vernunft“ zurückzubringen suchten. Wohl oder übel, er mußte nachgeben, denn als er sich nach seinen getreuen ersten Unterzeichnern umsah, waren auch diese zum Theil wieder zerstoben; sie erklärten ihm, sie, hätten sich „eines Bessern“ besonnen; eines Bessern für sie hätten sie beifügen und sich auf die ewige Wandelbarkeit des menschlichen Willens berufen können. Dieser kleine Skandal ergötzt sehr die ministeriellen Salons und nicht ohne Grund; es ist eine späte Erinnerung an Jugurtha's Rom! — Die afrikanische Frage hat in einem der Bureaux heftige Discussion veranlaßt, es ist das Bureau, in welchem Desjobert ist; nach einer langen, heftigen Rede, in welcher er seine ewige Anklage gegen die Colonisation von Algier vorbrachte, gelang es ihm, in die Commission gewählt zu werden. Im Resultat wird seine Gegenwart keinen Unterschied hervorbringen, in den Verhandlungen aber wird sie größere Lebhaftigkeit, Schärfe und Genauigkeit erzeugen, sie ist also ein wahres Glück. — Denen, die noch keine Idee haben, in welchem Maaßstabe die öffentlichen Gelder hier verschleudert werden, möge folgende Thatsache dienen, die selbst in der Kammer einiges Aergerniß veranlaßt hat: in den Rechnungen des Ministeriums des Innern kommt vor: 90,000 Fr. für Heizung, der Posten übersteigt um 50,000 Fr. die im Budget vorgesehene Summe.

Vorgestern war große Abendgesellschaft bei dem Herzog von Orleans; alle Anwesenden bemerkten, daß die HH. Thiers und Molé länger als eine Stunde sich auf einem Sopha allein mit einander unterhielten. Hr. Guizot, der ihnen gegenüber saß, schien sie zu beobachten. Dieses Verhältniß gab natürlich zu pikanten Vergleichungen zwischen der jetzigen Lage der Dinge und der vor einem Jahre Anlaß, wo die HH. Guizot und Thiers sich gegen Hrn. v. Molé coalisirt hatten. Jedoch ist die allgemeine Meinung, daß Hr. Thiers keine Hoffnung zum alsbaldigen Eintritt ins Cabinet habe, und daß die Umänderung desselben, wornach Hr. Guizot hinein träte, jeden Augenblick bevorstehe. Als ein nicht unbedeutender Umstand ist bemerkt worden, daß als verwichenen Sonntag (19) mehrere Deputirte, unter denen sich Hr. Thiers befand, beim Könige zu Tische waren, letzterer sich mit ersterem nach dem Essen nicht unterhielt, wohl aber mit andern Mitgliedern der Opposition, z. B. Hrn. Auguis. – Die Rede des Hrn. Thiers bei der Discussion der Adresse hat in der Kammer sowohl als im Publicum weit weniger Interesse erregt, als einer Ihrer Correspondenten glaubt: Jedermann sieht darin nur seine Bewerbung um ein Ministerium. Alle Parteien legen weit mehr Wichtigkeit auf die Rede des Hrn. Mauguin. – In der Sitzung von gestern hat die Deputirtenkammer alle diejenigen Verfügungen des Gesetzesvorschlags über die Handelsgerichte verworfen, die sich auf die Bildung der Listen der Wähler zur Wahl der Mitglieder dieser Gerichte bezogen: die Opposition sah in den neuen Vorschlägen keine wirklichen Verbesserungen, und zog daher vor, die Sache beim Alten zu belassen, bis sich eine Gelegenheit fände, liberalere Bestimmungen zu erhalten. Heute wurde der Gesetzesentwurf über die Verantwortlichkeit der Schiffseigenthümer für die Handlungen des Capitäns beinahe ohne Debatten angenommen: die Kammer widmete diesem Entwurf weniger Aufmerksamkeit als er verdiente; denn offenbar setzt er den Kaufmannsstand in Nachtheil gegen die Schiffseigenthümer, indem er bejahend die bisher controverse Frage entscheidet, ob letztere sich von allen vom Capitän eingegangenen Verbindlichkeiten durch die Abtretung des Schiffes und der Fracht befreien können.

Bei Gelegenheit der Commission über die Verkäuflichkeit der Stellen von Notaren, Procuratoren, Börsenagenten, Mäklern, Advocaten au conseil etc. sieht man, welche Folgen ein legitimirter Mißbrauch nach und nach mit sich bringt. Man hatte die Unklugheit begangen, diese Stellen im Jahre 1816 für verkäuflich zu erklären; die Zunahme der Geschäfte und die Concurrenz der Käufer hat sie jetzt auf so ungeheure Preise getrieben, daß die Käufer sich nur durch Uebertreibungen ihrer Forderungen an das Publicum, Vervielfältigung der Proceduren etc. entschädigen können. Da die jetzigen Besitzer ihre Stellen größtentheils gekauft haben, so müßte man sie entschädigen, wenn man die Verkäuflichkeit aufheben wollte; da ihr Werth aber 1200 Millionen ist, so ist daran nicht zu denken, und Alles, was sich thun läßt, ist die Proceduren von Processen und Käufer zu vereinfachen, die Rechnungen durch die Gerichte streng zu controliren, und jede Uebertreibung darin durch unerbittliche Strafen zu ahnden. Aber dieß sind lauter Palliativmittel gegen einen radical fehlerhaften

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[0244/0004] (Courrier français.) Die Kammer hat in der Adresse erklärt, daß die französische Herrschaft Algerien nicht mehr verlassen würde. In den Bureaux hat sie sich aber am 24 und 25 Januar für die beschränkte Besetzung, die so viel als ein Preisgeben ist, ausgesprochen... Wie wenige Menschen begreifen doch das Geschick ihres Landes, und was darf man von den Leuten des Juste-Milieu erwarten, wenn Deputirte, denen es weder an Einsicht noch an Patriotismus fehlt, das herrliche Geschenk, welches uns das Glück bescherte, indem es uns ein Reich, ja ein Reich auf der entgegengesetzten Küste des Mittelmeers gegeben, zurückzustoßen scheinen? Sollte man es glauben, daß sich Hr. v. Tracy mit einer Art von Stolz auf den von ihm 1830 gemachten Vorschlag, Afrika zu verlassen und Algier zu schleifen, berufen hat? Der amtliche Theil des Moniteur enthält einen Bericht des Ministers des Innern an den König über einen merkwürdigen Kampf zwischen einem gewissen Louis Fisse, Einwohner der Gemeinde Cadeilhac-Trachere (niedere Pyrenäen), und einem riesenhaften Bären, der Schrecken im Lande verbreitete, und von Fisse erlegt wurde. Zur Belohnung für seine so muthvolle That ward dem Louis Fisse eine Ehrenmedaille zuerkannt. = Paris, 25 Jan. Von dem Zustande unsrer Kammerverhandlungen ist es jetzt schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Nichts geschieht, nichts geht voran, als die Zeit, die kostbare, die den Interessen des Landes gewidmet seyn sollte, während man sie auf Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten verwendet. In dieser Beziehung erzählt man sich eine Anekdote, die einen Blick in das innere Uebel thun läßt, das an dem jetzigen Wahlverfahren nagt. Ein Deputirter, wie die große Mehrheit des Publicums, von dem Unheil betroffen, daß so viele Abgeordnete nur nach Aemtern und einträglichen Sinecuren streben, und um diesen Preis des Landes Wohlfahrt auf die letzte Stufe ihrer Sorgen verweisen, hatte den Vorschlag gemacht, daß seine Collegen sich durch einen schriftlichen Revers verpflichten sollten, ihrem volksthümlichen Mandate ganz und zwar in der Art treu zu bleiben, das es keinem unter ihnen erlaubt sey, während der Kammersitzung irgend ein Amt oder einen andern Vortheil von der Regierung anzunehmen. Dieser kecke Neuerer, Lherbette ist sein Name, hatte auch wirklich schon 30 - 40 Unterschriften zusammen gebracht, als sein Beginnen durch ein wahres Hurrah aller Bänke aufgehalten und in das allerentlegenste Reich der Träume verwiesen wurde. Bemerkenswerth ist dabei, daß nicht allein die ministeriellen Deputirten und jene des Centrums sein Begehren als thöricht verspotteten – von ihnen konnte man nichts Anderes erwarten – sondern daß auch seine eigenen Freunde von der Opposition ihn eines Bessern zu belehren und zur „Vernunft“ zurückzubringen suchten. Wohl oder übel, er mußte nachgeben, denn als er sich nach seinen getreuen ersten Unterzeichnern umsah, waren auch diese zum Theil wieder zerstoben; sie erklärten ihm, sie, hätten sich „eines Bessern“ besonnen; eines Bessern für sie hätten sie beifügen und sich auf die ewige Wandelbarkeit des menschlichen Willens berufen können. Dieser kleine Skandal ergötzt sehr die ministeriellen Salons und nicht ohne Grund; es ist eine späte Erinnerung an Jugurtha's Rom! — Die afrikanische Frage hat in einem der Bureaux heftige Discussion veranlaßt, es ist das Bureau, in welchem Desjobert ist; nach einer langen, heftigen Rede, in welcher er seine ewige Anklage gegen die Colonisation von Algier vorbrachte, gelang es ihm, in die Commission gewählt zu werden. Im Resultat wird seine Gegenwart keinen Unterschied hervorbringen, in den Verhandlungen aber wird sie größere Lebhaftigkeit, Schärfe und Genauigkeit erzeugen, sie ist also ein wahres Glück. — Denen, die noch keine Idee haben, in welchem Maaßstabe die öffentlichen Gelder hier verschleudert werden, möge folgende Thatsache dienen, die selbst in der Kammer einiges Aergerniß veranlaßt hat: in den Rechnungen des Ministeriums des Innern kommt vor: 90,000 Fr. für Heizung, der Posten übersteigt um 50,000 Fr. die im Budget vorgesehene Summe. ∸ Paris, 25 Jan. Vorgestern war große Abendgesellschaft bei dem Herzog von Orleans; alle Anwesenden bemerkten, daß die HH. Thiers und Molé länger als eine Stunde sich auf einem Sopha allein mit einander unterhielten. Hr. Guizot, der ihnen gegenüber saß, schien sie zu beobachten. Dieses Verhältniß gab natürlich zu pikanten Vergleichungen zwischen der jetzigen Lage der Dinge und der vor einem Jahre Anlaß, wo die HH. Guizot und Thiers sich gegen Hrn. v. Molé coalisirt hatten. Jedoch ist die allgemeine Meinung, daß Hr. Thiers keine Hoffnung zum alsbaldigen Eintritt ins Cabinet habe, und daß die Umänderung desselben, wornach Hr. Guizot hinein träte, jeden Augenblick bevorstehe. Als ein nicht unbedeutender Umstand ist bemerkt worden, daß als verwichenen Sonntag (19) mehrere Deputirte, unter denen sich Hr. Thiers befand, beim Könige zu Tische waren, letzterer sich mit ersterem nach dem Essen nicht unterhielt, wohl aber mit andern Mitgliedern der Opposition, z. B. Hrn. Auguis. – Die Rede des Hrn. Thiers bei der Discussion der Adresse hat in der Kammer sowohl als im Publicum weit weniger Interesse erregt, als einer Ihrer Correspondenten glaubt: Jedermann sieht darin nur seine Bewerbung um ein Ministerium. Alle Parteien legen weit mehr Wichtigkeit auf die Rede des Hrn. Mauguin. – In der Sitzung von gestern hat die Deputirtenkammer alle diejenigen Verfügungen des Gesetzesvorschlags über die Handelsgerichte verworfen, die sich auf die Bildung der Listen der Wähler zur Wahl der Mitglieder dieser Gerichte bezogen: die Opposition sah in den neuen Vorschlägen keine wirklichen Verbesserungen, und zog daher vor, die Sache beim Alten zu belassen, bis sich eine Gelegenheit fände, liberalere Bestimmungen zu erhalten. Heute wurde der Gesetzesentwurf über die Verantwortlichkeit der Schiffseigenthümer für die Handlungen des Capitäns beinahe ohne Debatten angenommen: die Kammer widmete diesem Entwurf weniger Aufmerksamkeit als er verdiente; denn offenbar setzt er den Kaufmannsstand in Nachtheil gegen die Schiffseigenthümer, indem er bejahend die bisher controverse Frage entscheidet, ob letztere sich von allen vom Capitän eingegangenen Verbindlichkeiten durch die Abtretung des Schiffes und der Fracht befreien können. * Paris, 23 Jan. Bei Gelegenheit der Commission über die Verkäuflichkeit der Stellen von Notaren, Procuratoren, Börsenagenten, Mäklern, Advocaten au conseil etc. sieht man, welche Folgen ein legitimirter Mißbrauch nach und nach mit sich bringt. Man hatte die Unklugheit begangen, diese Stellen im Jahre 1816 für verkäuflich zu erklären; die Zunahme der Geschäfte und die Concurrenz der Käufer hat sie jetzt auf so ungeheure Preise getrieben, daß die Käufer sich nur durch Uebertreibungen ihrer Forderungen an das Publicum, Vervielfältigung der Proceduren etc. entschädigen können. Da die jetzigen Besitzer ihre Stellen größtentheils gekauft haben, so müßte man sie entschädigen, wenn man die Verkäuflichkeit aufheben wollte; da ihr Werth aber 1200 Millionen ist, so ist daran nicht zu denken, und Alles, was sich thun läßt, ist die Proceduren von Processen und Käufer zu vereinfachen, die Rechnungen durch die Gerichte streng zu controliren, und jede Uebertreibung darin durch unerbittliche Strafen zu ahnden. Aber dieß sind lauter Palliativmittel gegen einen radical fehlerhaften

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 31. Januar 1840, S. 0244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_031_18400131/4>, abgerufen am 28.03.2024.