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Allgemeine Zeitung. Nr. 60. Augsburg, 29. Februar 1840.

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und es ist möglich, daß das Gefühl der Gefahr, von dem sie lebhaft durchdrungen ist, sie wieder auf einen Augenblick vereinigt, aber es ist nicht zu hoffen daß sie ein hinlänglich mächtiges Ministerium bilden könne, um einerseits von dem Hof nicht überwältigt zu werden, andrerseits die Kammer zu beherrschen. Denn welchen Einfluß kann ein Cabinet ausüben, von dem man nach aller Wahrscheinlichkeit voraussehen kann daß es kein Jahr bleiben wird, und an dessen Macht daher Niemand glaubt? Die Geschichte dieses Gesetzes ist ein lehrreicher Vorgeschmack von den Folgen, welche die radicale Reform des Wahlgesetzes haben würde. Das Gesetz ist gefallen, weil aus den Provinzen eine Masse von Briefen von Wählern und Adressen von Nichtwählern dagegen an die Deputirten kam; wenn nun der Census der Wählbaren herabgesetzt, und in Folge desselben den Deputirten eine Besoldung gegeben, ferner das Wahlrecht allen Nationalgardisten ertheilt würde, wie es die Radicalen wollen, so stünden die Deputirten bei jedem Gesetzesvorschlag unter der directen Herrschaft einer unverständigen Masse, welche ihnen ihr Votum vorschreiben würde, ohne die Folgen ihrer Befehle im geringsten beurtheilen zu können. Man hat in den Journalen der letzten Woche Adressen von Fabrikarbeitern gegen den Gesetzesvorschlag gelesen, welche gegen ihn protestirten, als nähme er ihnen und ihren Kindern den letzten Bissen Brod aus der Hand! Sie haben ihren Willen gehabt, aber darauf wahrscheinlich nicht gerechnet, daß die ministerielle Krisis, welche eingetreten ist, das Signal zahlreicher Bankerotte seyn werde, welche Tausende von Arbeitern in einer Zeit un[g]ewöhnlicher Theurung auf die Straße werfen werden. Ich sage dieses nicht, um das Gesetz - das nie hätte vorgelegt werden sollen - zu vertheidigen, sondern um zu zeigen, in welcher verderblichen Linie Frankreich sich durch den Andrang des Pöbels zur directen Ausübung der Macht befindet.

Die gegenwärtige Ministerialkrisis hat in ihrem Beginnen eine wundervolle Aehnlichkeit mit der vorjährigen. Auch dießmal leben die Minister noch nach ihrem Tode; auch dießmal schickt man nach diesem und jenem, um über die Composition des Cabinets hin- und herzureden; auch dießmal weiß Niemand von bestimmten Personen oder Beschlüssen etwas zu sagen; alles wie damals; doch scheint man gegen die Gefahren und Nachtheile eines langen Interregnums im Schloß nicht gleichgültig zu seyn. Schon seit einigen Tagen sind die Truppen in ihre Casernen consignirt, und die Hofblätter stimmen darin überein, daß dieser Krisis so schnell als möglich ein Ende gemacht werden sollte. Nichts sey der öffentlichen Ruhe nachtheiliger, und den Umtrieben der revolutionären Partei förderlicher, sagen sie, als diese Ungewißheit und ihre unheilbringenden Folgen. Gewiß ist man von Seite des Hofs sehr geneigt, der Ungewißheit ein Ende zu machen, aber um welchen Preis und unter welchen Bedingungen geben die Hofjournale deutlich zu verstehen - man will eine Vereinigung des Centrums mit der Linken, ohne das Gouvernement personnel aufzugeben - also Mole und Thiers. Hierauf erklären die Thiers'schen Blätter: an eine so monströse Allianz sey nun und nimmer zu denken, Hr. Thiers sey das Gouvernement parlamentaire. Hr. Mole das Gouvernement personnel; die Personen seyen so wenig zu vereinigen, als die Grundsätze. Würde dagegen der Herzog v. Broglie sich dazu verstehen, an die Spitze des Cabinets zu treten, so sey Hr. Thiers geneigt, das Ministerium des Innern zu übernehmen. Zwischen Mole und Broglie ist der himmelweite Unterschied, daß Hr. Thiers Hoffnung hat, der letztere werde in den wichtigsten Fällen mit ihm gegen den Hof Opposition machen, während er von Hrn. v. Mole voraus weiß, daß er mit dem "System" jederzeit Eines Geistes und Sinnes seyn wird. Oder mit andern Worten: Broglie, wenn gleich Doctrinär, ist ein selbstständiger Staatsmann, Mole ein Höfling. Die Hauptschwierigkeit ist nur, daß der Herzog v. Broglie, die Kämpfe voraussehend, die er zu bestehen haben würde, nicht Premier werden will, und daß es dem Hof nicht Ernst zu seyn scheint, den HH. Broglie und Thiers die Zügel der Gewalt zu überlassen. Eher noch würde derselbe sich zu dieser Combination verstehen, wenn Hr. Guizot mit einträte. Denn Guizot ist tractabler als Broglie, und behauptet über letztern eine Art Vormundschaft. Dazu aber will Hr. Thiers und die Linke sich nicht verstehen; von Guizot wollen sie so wenig wissen als von Mole. Die Abreise Guizots war unabänderlich auf heute bestimmt. Dann ward behauptet, sie sey wieder rückstellig gemacht. Gestern Abend behauptete wieder der Pariser Moniteur, sie werde gleichwohl stattfinden. Heute aber versichert die Presse, sie sey auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Anwesenheit Hrn. Guizots soll nämlich noch nöthig seyn, um dem Herzog v. Broglie seine Bedenklichkeiten auszureden. Nach Andern soll er da bleiben, um dem Hof jedenfalls in Ausführung des beharrlichen Systems beizustehen. Sie sehen, wir stehen wieder, wo wir voriges Jahr um diese Zeit gestanden sind. Ein Ministerium kann nicht zu Stande kommen, ohne daß die eine oder die andere Partei ihren Grundsatz aufgibt.

Nur unter der Bedingung, daß Hr. v. Broglie das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernähme, hatte sich Thiers entschlossen, als Minister des Innern ins Ministerium zu treten. Aber alle Negociationen mit Broglie scheiterten; derselbe erklärte sich, wegen häuslicher Betrübnisse, zu geistesmüde, um Geschäften solcher Art vorstehen zu können; er bedürfe Ruhe. In diesem Augenblick setzt man nun Himmel und Erde in Bewegung, um Thiers zu bestimmen, statt Broglie den Hrn. v. Mole als Minister der auswärtigen Angelegenheiten anzunehmen, und selbst in der Eigenschaft eines Ministers des Innern mit demselben ein Ministerium zu bilden. Indessen, glaub' ich, werden alle Machinationen an dem schon ausgesprochenen Willen des Thiers scheitern: er könne, ohne inconsequent zu seyn, behauptet er, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten nimmermehr jenem Manne überlassen, dessen Geschäftsführung er als Oppositionsglied am herbsten angegriffen, und dessen tiefstes Wesen noch mehr als die Handlungen der Gegenstand seiner Rüge gewesen.

Deutschland.

Ich komme auf die gestrige Sitzung der Kammer der Abgeordneten zurück, worin sie über den Gesetzesentwurf, betreffend die Ausdehnung des Verbots der Vermögensaushändigung an Unterofficiere und Soldaten, berieth. Nach eröffneter Discussion erhob sich Pfarrer Meyer, um seine Bedenken gegen den Entwurf zu äußern. Die Verordnung vom 21 Aug. 1807, welche nun auch auf jene Gebietstheile ausgedehnt werde, die erst nach dem 21 Oct. 1813 an die Krone Bayerns gekommen, unterwerfe einen Stand, dem die Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde anvertraut sey, einer solchen durchgreifenden Beschränkung, daß der bereits volljährige Soldat wieder in die Reihe der Minderjährigen zurücktreten sollte. Möchte ein Soldat von seinem kleinen väterlichen Erbe einen Theil verwenden, um eine in Dürftigkeit schmachtende Mutter zu unterstützen, oder seine armen Geschwister besser erziehen zu lassen, müßte es nicht ein schmerzliches Gefühl für ihn seyn, durch dieses Gesetz verhindert zu werden, daß er dem Drange seines Herzens folge? Das Motiv, die

und es ist möglich, daß das Gefühl der Gefahr, von dem sie lebhaft durchdrungen ist, sie wieder auf einen Augenblick vereinigt, aber es ist nicht zu hoffen daß sie ein hinlänglich mächtiges Ministerium bilden könne, um einerseits von dem Hof nicht überwältigt zu werden, andrerseits die Kammer zu beherrschen. Denn welchen Einfluß kann ein Cabinet ausüben, von dem man nach aller Wahrscheinlichkeit voraussehen kann daß es kein Jahr bleiben wird, und an dessen Macht daher Niemand glaubt? Die Geschichte dieses Gesetzes ist ein lehrreicher Vorgeschmack von den Folgen, welche die radicale Reform des Wahlgesetzes haben würde. Das Gesetz ist gefallen, weil aus den Provinzen eine Masse von Briefen von Wählern und Adressen von Nichtwählern dagegen an die Deputirten kam; wenn nun der Census der Wählbaren herabgesetzt, und in Folge desselben den Deputirten eine Besoldung gegeben, ferner das Wahlrecht allen Nationalgardisten ertheilt würde, wie es die Radicalen wollen, so stünden die Deputirten bei jedem Gesetzesvorschlag unter der directen Herrschaft einer unverständigen Masse, welche ihnen ihr Votum vorschreiben würde, ohne die Folgen ihrer Befehle im geringsten beurtheilen zu können. Man hat in den Journalen der letzten Woche Adressen von Fabrikarbeitern gegen den Gesetzesvorschlag gelesen, welche gegen ihn protestirten, als nähme er ihnen und ihren Kindern den letzten Bissen Brod aus der Hand! Sie haben ihren Willen gehabt, aber darauf wahrscheinlich nicht gerechnet, daß die ministerielle Krisis, welche eingetreten ist, das Signal zahlreicher Bankerotte seyn werde, welche Tausende von Arbeitern in einer Zeit un[g]ewöhnlicher Theurung auf die Straße werfen werden. Ich sage dieses nicht, um das Gesetz – das nie hätte vorgelegt werden sollen – zu vertheidigen, sondern um zu zeigen, in welcher verderblichen Linie Frankreich sich durch den Andrang des Pöbels zur directen Ausübung der Macht befindet.

Die gegenwärtige Ministerialkrisis hat in ihrem Beginnen eine wundervolle Aehnlichkeit mit der vorjährigen. Auch dießmal leben die Minister noch nach ihrem Tode; auch dießmal schickt man nach diesem und jenem, um über die Composition des Cabinets hin- und herzureden; auch dießmal weiß Niemand von bestimmten Personen oder Beschlüssen etwas zu sagen; alles wie damals; doch scheint man gegen die Gefahren und Nachtheile eines langen Interregnums im Schloß nicht gleichgültig zu seyn. Schon seit einigen Tagen sind die Truppen in ihre Casernen consignirt, und die Hofblätter stimmen darin überein, daß dieser Krisis so schnell als möglich ein Ende gemacht werden sollte. Nichts sey der öffentlichen Ruhe nachtheiliger, und den Umtrieben der revolutionären Partei förderlicher, sagen sie, als diese Ungewißheit und ihre unheilbringenden Folgen. Gewiß ist man von Seite des Hofs sehr geneigt, der Ungewißheit ein Ende zu machen, aber um welchen Preis und unter welchen Bedingungen geben die Hofjournale deutlich zu verstehen – man will eine Vereinigung des Centrums mit der Linken, ohne das Gouvernement personnel aufzugeben – also Molé und Thiers. Hierauf erklären die Thiers'schen Blätter: an eine so monströse Allianz sey nun und nimmer zu denken, Hr. Thiers sey das Gouvernement parlamentaire. Hr. Molé das Gouvernement personnel; die Personen seyen so wenig zu vereinigen, als die Grundsätze. Würde dagegen der Herzog v. Broglie sich dazu verstehen, an die Spitze des Cabinets zu treten, so sey Hr. Thiers geneigt, das Ministerium des Innern zu übernehmen. Zwischen Molé und Broglie ist der himmelweite Unterschied, daß Hr. Thiers Hoffnung hat, der letztere werde in den wichtigsten Fällen mit ihm gegen den Hof Opposition machen, während er von Hrn. v. Molé voraus weiß, daß er mit dem „System“ jederzeit Eines Geistes und Sinnes seyn wird. Oder mit andern Worten: Broglie, wenn gleich Doctrinär, ist ein selbstständiger Staatsmann, Molé ein Höfling. Die Hauptschwierigkeit ist nur, daß der Herzog v. Broglie, die Kämpfe voraussehend, die er zu bestehen haben würde, nicht Premier werden will, und daß es dem Hof nicht Ernst zu seyn scheint, den HH. Broglie und Thiers die Zügel der Gewalt zu überlassen. Eher noch würde derselbe sich zu dieser Combination verstehen, wenn Hr. Guizot mit einträte. Denn Guizot ist tractabler als Broglie, und behauptet über letztern eine Art Vormundschaft. Dazu aber will Hr. Thiers und die Linke sich nicht verstehen; von Guizot wollen sie so wenig wissen als von Molé. Die Abreise Guizots war unabänderlich auf heute bestimmt. Dann ward behauptet, sie sey wieder rückstellig gemacht. Gestern Abend behauptete wieder der Pariser Moniteur, sie werde gleichwohl stattfinden. Heute aber versichert die Presse, sie sey auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Anwesenheit Hrn. Guizots soll nämlich noch nöthig seyn, um dem Herzog v. Broglie seine Bedenklichkeiten auszureden. Nach Andern soll er da bleiben, um dem Hof jedenfalls in Ausführung des beharrlichen Systems beizustehen. Sie sehen, wir stehen wieder, wo wir voriges Jahr um diese Zeit gestanden sind. Ein Ministerium kann nicht zu Stande kommen, ohne daß die eine oder die andere Partei ihren Grundsatz aufgibt.

Nur unter der Bedingung, daß Hr. v. Broglie das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernähme, hatte sich Thiers entschlossen, als Minister des Innern ins Ministerium zu treten. Aber alle Negociationen mit Broglie scheiterten; derselbe erklärte sich, wegen häuslicher Betrübnisse, zu geistesmüde, um Geschäften solcher Art vorstehen zu können; er bedürfe Ruhe. In diesem Augenblick setzt man nun Himmel und Erde in Bewegung, um Thiers zu bestimmen, statt Broglie den Hrn. v. Molé als Minister der auswärtigen Angelegenheiten anzunehmen, und selbst in der Eigenschaft eines Ministers des Innern mit demselben ein Ministerium zu bilden. Indessen, glaub' ich, werden alle Machinationen an dem schon ausgesprochenen Willen des Thiers scheitern: er könne, ohne inconsequent zu seyn, behauptet er, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten nimmermehr jenem Manne überlassen, dessen Geschäftsführung er als Oppositionsglied am herbsten angegriffen, und dessen tiefstes Wesen noch mehr als die Handlungen der Gegenstand seiner Rüge gewesen.

Deutschland.

Ich komme auf die gestrige Sitzung der Kammer der Abgeordneten zurück, worin sie über den Gesetzesentwurf, betreffend die Ausdehnung des Verbots der Vermögensaushändigung an Unterofficiere und Soldaten, berieth. Nach eröffneter Discussion erhob sich Pfarrer Meyer, um seine Bedenken gegen den Entwurf zu äußern. Die Verordnung vom 21 Aug. 1807, welche nun auch auf jene Gebietstheile ausgedehnt werde, die erst nach dem 21 Oct. 1813 an die Krone Bayerns gekommen, unterwerfe einen Stand, dem die Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde anvertraut sey, einer solchen durchgreifenden Beschränkung, daß der bereits volljährige Soldat wieder in die Reihe der Minderjährigen zurücktreten sollte. Möchte ein Soldat von seinem kleinen väterlichen Erbe einen Theil verwenden, um eine in Dürftigkeit schmachtende Mutter zu unterstützen, oder seine armen Geschwister besser erziehen zu lassen, müßte es nicht ein schmerzliches Gefühl für ihn seyn, durch dieses Gesetz verhindert zu werden, daß er dem Drange seines Herzens folge? Das Motiv, die

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[0477/0005] und es ist möglich, daß das Gefühl der Gefahr, von dem sie lebhaft durchdrungen ist, sie wieder auf einen Augenblick vereinigt, aber es ist nicht zu hoffen daß sie ein hinlänglich mächtiges Ministerium bilden könne, um einerseits von dem Hof nicht überwältigt zu werden, andrerseits die Kammer zu beherrschen. Denn welchen Einfluß kann ein Cabinet ausüben, von dem man nach aller Wahrscheinlichkeit voraussehen kann daß es kein Jahr bleiben wird, und an dessen Macht daher Niemand glaubt? Die Geschichte dieses Gesetzes ist ein lehrreicher Vorgeschmack von den Folgen, welche die radicale Reform des Wahlgesetzes haben würde. Das Gesetz ist gefallen, weil aus den Provinzen eine Masse von Briefen von Wählern und Adressen von Nichtwählern dagegen an die Deputirten kam; wenn nun der Census der Wählbaren herabgesetzt, und in Folge desselben den Deputirten eine Besoldung gegeben, ferner das Wahlrecht allen Nationalgardisten ertheilt würde, wie es die Radicalen wollen, so stünden die Deputirten bei jedem Gesetzesvorschlag unter der directen Herrschaft einer unverständigen Masse, welche ihnen ihr Votum vorschreiben würde, ohne die Folgen ihrer Befehle im geringsten beurtheilen zu können. Man hat in den Journalen der letzten Woche Adressen von Fabrikarbeitern gegen den Gesetzesvorschlag gelesen, welche gegen ihn protestirten, als nähme er ihnen und ihren Kindern den letzten Bissen Brod aus der Hand! Sie haben ihren Willen gehabt, aber darauf wahrscheinlich nicht gerechnet, daß die ministerielle Krisis, welche eingetreten ist, das Signal zahlreicher Bankerotte seyn werde, welche Tausende von Arbeitern in einer Zeit ungewöhnlicher Theurung auf die Straße werfen werden. Ich sage dieses nicht, um das Gesetz – das nie hätte vorgelegt werden sollen – zu vertheidigen, sondern um zu zeigen, in welcher verderblichen Linie Frankreich sich durch den Andrang des Pöbels zur directen Ausübung der Macht befindet. _ Paris, 24 Febr. Die gegenwärtige Ministerialkrisis hat in ihrem Beginnen eine wundervolle Aehnlichkeit mit der vorjährigen. Auch dießmal leben die Minister noch nach ihrem Tode; auch dießmal schickt man nach diesem und jenem, um über die Composition des Cabinets hin- und herzureden; auch dießmal weiß Niemand von bestimmten Personen oder Beschlüssen etwas zu sagen; alles wie damals; doch scheint man gegen die Gefahren und Nachtheile eines langen Interregnums im Schloß nicht gleichgültig zu seyn. Schon seit einigen Tagen sind die Truppen in ihre Casernen consignirt, und die Hofblätter stimmen darin überein, daß dieser Krisis so schnell als möglich ein Ende gemacht werden sollte. Nichts sey der öffentlichen Ruhe nachtheiliger, und den Umtrieben der revolutionären Partei förderlicher, sagen sie, als diese Ungewißheit und ihre unheilbringenden Folgen. Gewiß ist man von Seite des Hofs sehr geneigt, der Ungewißheit ein Ende zu machen, aber um welchen Preis und unter welchen Bedingungen geben die Hofjournale deutlich zu verstehen – man will eine Vereinigung des Centrums mit der Linken, ohne das Gouvernement personnel aufzugeben – also Molé und Thiers. Hierauf erklären die Thiers'schen Blätter: an eine so monströse Allianz sey nun und nimmer zu denken, Hr. Thiers sey das Gouvernement parlamentaire. Hr. Molé das Gouvernement personnel; die Personen seyen so wenig zu vereinigen, als die Grundsätze. Würde dagegen der Herzog v. Broglie sich dazu verstehen, an die Spitze des Cabinets zu treten, so sey Hr. Thiers geneigt, das Ministerium des Innern zu übernehmen. Zwischen Molé und Broglie ist der himmelweite Unterschied, daß Hr. Thiers Hoffnung hat, der letztere werde in den wichtigsten Fällen mit ihm gegen den Hof Opposition machen, während er von Hrn. v. Molé voraus weiß, daß er mit dem „System“ jederzeit Eines Geistes und Sinnes seyn wird. Oder mit andern Worten: Broglie, wenn gleich Doctrinär, ist ein selbstständiger Staatsmann, Molé ein Höfling. Die Hauptschwierigkeit ist nur, daß der Herzog v. Broglie, die Kämpfe voraussehend, die er zu bestehen haben würde, nicht Premier werden will, und daß es dem Hof nicht Ernst zu seyn scheint, den HH. Broglie und Thiers die Zügel der Gewalt zu überlassen. Eher noch würde derselbe sich zu dieser Combination verstehen, wenn Hr. Guizot mit einträte. Denn Guizot ist tractabler als Broglie, und behauptet über letztern eine Art Vormundschaft. Dazu aber will Hr. Thiers und die Linke sich nicht verstehen; von Guizot wollen sie so wenig wissen als von Molé. Die Abreise Guizots war unabänderlich auf heute bestimmt. Dann ward behauptet, sie sey wieder rückstellig gemacht. Gestern Abend behauptete wieder der Pariser Moniteur, sie werde gleichwohl stattfinden. Heute aber versichert die Presse, sie sey auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Anwesenheit Hrn. Guizots soll nämlich noch nöthig seyn, um dem Herzog v. Broglie seine Bedenklichkeiten auszureden. Nach Andern soll er da bleiben, um dem Hof jedenfalls in Ausführung des beharrlichen Systems beizustehen. Sie sehen, wir stehen wieder, wo wir voriges Jahr um diese Zeit gestanden sind. Ein Ministerium kann nicht zu Stande kommen, ohne daß die eine oder die andere Partei ihren Grundsatz aufgibt. _ Paris, 22 Febr. Nur unter der Bedingung, daß Hr. v. Broglie das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernähme, hatte sich Thiers entschlossen, als Minister des Innern ins Ministerium zu treten. Aber alle Negociationen mit Broglie scheiterten; derselbe erklärte sich, wegen häuslicher Betrübnisse, zu geistesmüde, um Geschäften solcher Art vorstehen zu können; er bedürfe Ruhe. In diesem Augenblick setzt man nun Himmel und Erde in Bewegung, um Thiers zu bestimmen, statt Broglie den Hrn. v. Molé als Minister der auswärtigen Angelegenheiten anzunehmen, und selbst in der Eigenschaft eines Ministers des Innern mit demselben ein Ministerium zu bilden. Indessen, glaub' ich, werden alle Machinationen an dem schon ausgesprochenen Willen des Thiers scheitern: er könne, ohne inconsequent zu seyn, behauptet er, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten nimmermehr jenem Manne überlassen, dessen Geschäftsführung er als Oppositionsglied am herbsten angegriffen, und dessen tiefstes Wesen noch mehr als die Handlungen der Gegenstand seiner Rüge gewesen. Deutschland. _ München, 25 Febr. Ich komme auf die gestrige Sitzung der Kammer der Abgeordneten zurück, worin sie über den Gesetzesentwurf, betreffend die Ausdehnung des Verbots der Vermögensaushändigung an Unterofficiere und Soldaten, berieth. Nach eröffneter Discussion erhob sich Pfarrer Meyer, um seine Bedenken gegen den Entwurf zu äußern. Die Verordnung vom 21 Aug. 1807, welche nun auch auf jene Gebietstheile ausgedehnt werde, die erst nach dem 21 Oct. 1813 an die Krone Bayerns gekommen, unterwerfe einen Stand, dem die Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde anvertraut sey, einer solchen durchgreifenden Beschränkung, daß der bereits volljährige Soldat wieder in die Reihe der Minderjährigen zurücktreten sollte. Möchte ein Soldat von seinem kleinen väterlichen Erbe einen Theil verwenden, um eine in Dürftigkeit schmachtende Mutter zu unterstützen, oder seine armen Geschwister besser erziehen zu lassen, müßte es nicht ein schmerzliches Gefühl für ihn seyn, durch dieses Gesetz verhindert zu werden, daß er dem Drange seines Herzens folge? Das Motiv, die

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Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 60. Augsburg, 29. Februar 1840, S. 0477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_060_18400229/5>, abgerufen am 18.04.2024.