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Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg, 8. März 1840.

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Die Wahrscheinlichkeit eines Ministeriums Thiers machte bei der liberalen Partei in England einen sehr guten Eindruck. Der Sun, ein unabhängiges Blatt, bemerkt: "Von allen Staatsmännern Frankreichs begreift Thiers am besten die Wichtigkeit der englischen Allianz, und da es wohl bekannt ist, daß seine Sympathien für das liberale England ihn so lange vom Amt entfernt gehalten, so dürfte sein Wiederauftreten als Minister des Auswärtigen von den Personen in England, welche allein die Macht haben, Verträgen Gehalt und Wirksamkeit zu geben, als der Ausdruck des Wunsches der französischen Nation und Regierung betrachtet werden, die freundlichsten Verhältnisse mit Großbritannien zu pflegen." - Die Bewunderung des ministeriellen M. Chronicle für Thiers und sein Glaube an dessen gute Gesinnung gegen England sind bekannt, doch bescheidet sich dieses Journal, zunächst über Thiers' Stellung in Paris Folgendes zu bemerken: "Gleich manchem andern Sieger scheint Thiers durch seinen letzten Sieg nicht wenig in Verlegenheit gesetzt zu seyn. Das Ministerium Soult ist das dritte oder vierte, das seine Taktik geschlagen und gestürzt hat. Er überwindet seine Feinde auf dem parlamentarischen Feld; aber annoch ist eine Citadelle zurück, ohne deren Eroberung alle seine übrigen Siege nutzlos wären, und die zu bemeistern eine schwere Aufgabe scheint. Diese Festung erbietet sich freilich zu capituliren und ihre Fahne abzunehmen, aber die Uebergabe ist nur eine scheinbare, und der Sieger dürfte finden, daß, wenn er auch die Kriegsehren davon trägt, die soliden Früchte des Siegs ihm doch immer entschlüpfen. Hr. Thiers nimmt in der Deputirtenkammer eine centrale Stellung ein, jedoch mehr gegen die Linke geneigt, zu deren Ansichten und Principien, besonders in der auswärtigen Politik, er sich bekennt. Dadurch, daß er zuerst auf der Amnestie und dem Aufhören der Strenge bestand, brach er mit den Einschüchterungsmännern; gleichwohl ist er den ultrademokratischen Forderungen noch abgeneigt genug, um über die Anhänglichkeit eines großen Theils der rechten Seite zu verfügen. Die Gemäßigten der Rechten und die Gemäßigten der Linken würden sich so auf natürliche Weise unter Hrn. Thiers vereinigen. Die Soldaten sind alle willig, aber die Officiere und kleinen Chefs thun spröd und bedenklich. Alle Männer von Talenten des zweiten und Ansprüchen des ersten Rangs verabscheuen Thiers. Sie möchten in Amt und Gewalt treten unter einer Null von erstem Minister oder unter einem großen und hohlen Namen. Soult ist ihr Minister-Ideal, weil sie für ihn sprechen, ja für ihn denken dürfen. Unter Soult zu agiren, das kränkt ihre Eitelkeit nicht, während sie hingegen die Anwesenheit Thiers' oder Guizots, überhaupt jedes höheren Geistes, giftig wie die Kröte, mit kleinlichem Neide fürchten. Dieß sind die Gesinnungen der HH. Passy, Dufaure, Villemain - lauter geschickte Leute allerdings, treffliche Corporale, wie Jemand gesagt hat, wenn sie nur nicht die Hauptmanns-Epauletten ambitionirten. Die Stümper, die in der Dotationsfrage sich und dem König eine höchst verdrießliche Niederlage zugezogen haben, einzig durch ihre Thorenblindheit und Unfähigkeit! Sieben Knaben, die man aus der Schule auf die Ministerbank versetzt hätte, würden mehr Voraussicht, Talent und Gewandtheit gezeigt haben. - Die große Schwierigkeit auf der Bahn des Hrn. Thiers ist dermalen der Ostracismus, den die Eifersucht dieser Leute des zweiten Rangs, unterstützt von der Abneigung einer hohen Person, gegen ihn verhängt hat. Auch der ungewisse Machtbesitz in einer Zeit, wo Höfe und Publicum besonders launisch und beide mächtig sind, hindert jetzt einen Staatsmann, irgend ein großes Opfer an Stellung oder Meinung zu bringen. Jedermann zieht die Perspective in die Zukunft einem gegenwärtigen kurzen Amtsbesitze vor. So wenn Thiers seine alte Stellung an der Spitze der Rechten wieder einnähme, würde er eine Majorität haben, und unstreitig Minister werden. Aber dann zerreißt er seine Verbindung mit der Linken und dem linken Centrum, und fällt der Gnade des Landes anheim. Bleibt er bei der Linken und dem entschiedneren Theile des linken Centrums, so mag ihm die Majorität für jetzt entgehen, und die Eifersucht in seinen eigenen Reihen ihn Minister zu werden verhindern; aber er macht jeden andern Minister unmöglich und wahrt sich alle die prächtigen Chancen der Zukunft." (Dieser Artikel ist natürlich geschrieben, ehe noch die Nachricht von der wirklich erfolgten Bildung des Ministeriums Thiers nach London gelangt war.) - In einer Pariser Correspondenz des M. Chronicle wird Thiers der "Canning der französischen constitutionell-conservativen Partei" genannt, mit der er wohl nur zu lange Hand in Hand gegangen sey.

Frankreich.

Die Königin, die Herzoge von Orleans und von Nemours und die Prinzessin Clementine sind von Brüssel wieder in Paris eingetroffen, aber nicht, wie Brüsseler Blätter hatten wissen wollen, in Begleitung der Prinzessin Victoria von Coburg.

Der Constitutionnel widerlegt die Angabe eines Journals, daß den HH. Martin (du Nord) und Salvandy Stellen in dem neuen Ministerium angetragen worden seyen. Gewiß scheine, daß eine der ersten Handlungen des neuen Cabinets eine Forderung von Zuschußcrediten für die geheimen Ausgaben seyn werde. Daraus werde man dann erkennen, wie groß die Majorität des neuen Cabinets sey.

Ein Journal meldet, daß General Jacqueminot am 29 Febr. nach Pau zurückgereist sey.

Das Journal des Debats bricht endlich sein Schweigen über das Ministerium, und zwar durch einen dem neuen Conseilspräsidenten entschieden feindseligen Artikel. Es wirft Hrn. Thiers vor, seit zehn Jahren zwei Menschen in sich zu vereinen, einen conservativen und einen zerstörenden; es werde sich zeigen, welchen er jetzt herauskehren werde. Die Lage der Regierung und der Kammer sey so schlimm als möglich; aber die gegenwärtigen Mitglieder des Cabinets haben sie mit herbeigeführt, und nur wenn sie ihr eigenes Werk wieder gut machen, können sie von den redlich Gesinnten Unterstützung erwarten. (Wir kommen darauf zurück.)

Wir lassen hier einige weitere Journalurtheile über das neue Cabinet folgen: "Die Schranken - sagt das Pays (Journal de Paris) - welche seit zehn Jahren durch so viele Kämpfe, so viele Anstrengungen gegen die Emeuten der Worte und Flintenschüsse errichtet worden, sind jetzt aufgehoben. Gestern war es die Staatsgewalt, welcher es oblag, die revolutionäre Ungeduld der Opposition zu mäßigen, heute bedarf es einer Opposition, um die revolutionäre Ungeduld der Staatsgewalt zu zügeln. Heute beginnt das bis jetzt hinausgeschobene furchtbare Spiel zwischen der Krone und der Revolution. Gestern bestanden zwischen dem Königthum und der Republik nur zwei Stufen, heute existirt keine mehr. Das Königthum des Julius hat seine Mitte verloren, es steht am äußersten Rande seines Bewegungskreises. Hr. Odilon-Barrot ist das letzte Wort der Monarchie; nach ihm und vielleicht in nicht langer Zeit kommt die Reihe an die äußerste Linke, was gleichbedeutend mit einer Revolution ist. Eine solche Zukunft bereitet dem Lande die Verblendung des Hrn. Thiers, der lieber die Linke um ihre 110 Stimmen bat, als daß er seine 80 Stimmen mit den 205 Stimmen der conservativen Partei vereinigt hätte. Er allein ist vor der Krone und vor dem Lande verantwortlich."

Die Wahrscheinlichkeit eines Ministeriums Thiers machte bei der liberalen Partei in England einen sehr guten Eindruck. Der Sun, ein unabhängiges Blatt, bemerkt: „Von allen Staatsmännern Frankreichs begreift Thiers am besten die Wichtigkeit der englischen Allianz, und da es wohl bekannt ist, daß seine Sympathien für das liberale England ihn so lange vom Amt entfernt gehalten, so dürfte sein Wiederauftreten als Minister des Auswärtigen von den Personen in England, welche allein die Macht haben, Verträgen Gehalt und Wirksamkeit zu geben, als der Ausdruck des Wunsches der französischen Nation und Regierung betrachtet werden, die freundlichsten Verhältnisse mit Großbritannien zu pflegen.“ – Die Bewunderung des ministeriellen M. Chronicle für Thiers und sein Glaube an dessen gute Gesinnung gegen England sind bekannt, doch bescheidet sich dieses Journal, zunächst über Thiers' Stellung in Paris Folgendes zu bemerken: „Gleich manchem andern Sieger scheint Thiers durch seinen letzten Sieg nicht wenig in Verlegenheit gesetzt zu seyn. Das Ministerium Soult ist das dritte oder vierte, das seine Taktik geschlagen und gestürzt hat. Er überwindet seine Feinde auf dem parlamentarischen Feld; aber annoch ist eine Citadelle zurück, ohne deren Eroberung alle seine übrigen Siege nutzlos wären, und die zu bemeistern eine schwere Aufgabe scheint. Diese Festung erbietet sich freilich zu capituliren und ihre Fahne abzunehmen, aber die Uebergabe ist nur eine scheinbare, und der Sieger dürfte finden, daß, wenn er auch die Kriegsehren davon trägt, die soliden Früchte des Siegs ihm doch immer entschlüpfen. Hr. Thiers nimmt in der Deputirtenkammer eine centrale Stellung ein, jedoch mehr gegen die Linke geneigt, zu deren Ansichten und Principien, besonders in der auswärtigen Politik, er sich bekennt. Dadurch, daß er zuerst auf der Amnestie und dem Aufhören der Strenge bestand, brach er mit den Einschüchterungsmännern; gleichwohl ist er den ultrademokratischen Forderungen noch abgeneigt genug, um über die Anhänglichkeit eines großen Theils der rechten Seite zu verfügen. Die Gemäßigten der Rechten und die Gemäßigten der Linken würden sich so auf natürliche Weise unter Hrn. Thiers vereinigen. Die Soldaten sind alle willig, aber die Officiere und kleinen Chefs thun spröd und bedenklich. Alle Männer von Talenten des zweiten und Ansprüchen des ersten Rangs verabscheuen Thiers. Sie möchten in Amt und Gewalt treten unter einer Null von erstem Minister oder unter einem großen und hohlen Namen. Soult ist ihr Minister-Ideal, weil sie für ihn sprechen, ja für ihn denken dürfen. Unter Soult zu agiren, das kränkt ihre Eitelkeit nicht, während sie hingegen die Anwesenheit Thiers' oder Guizots, überhaupt jedes höheren Geistes, giftig wie die Kröte, mit kleinlichem Neide fürchten. Dieß sind die Gesinnungen der HH. Passy, Dufaure, Villemain – lauter geschickte Leute allerdings, treffliche Corporale, wie Jemand gesagt hat, wenn sie nur nicht die Hauptmanns-Epauletten ambitionirten. Die Stümper, die in der Dotationsfrage sich und dem König eine höchst verdrießliche Niederlage zugezogen haben, einzig durch ihre Thorenblindheit und Unfähigkeit! Sieben Knaben, die man aus der Schule auf die Ministerbank versetzt hätte, würden mehr Voraussicht, Talent und Gewandtheit gezeigt haben. – Die große Schwierigkeit auf der Bahn des Hrn. Thiers ist dermalen der Ostracismus, den die Eifersucht dieser Leute des zweiten Rangs, unterstützt von der Abneigung einer hohen Person, gegen ihn verhängt hat. Auch der ungewisse Machtbesitz in einer Zeit, wo Höfe und Publicum besonders launisch und beide mächtig sind, hindert jetzt einen Staatsmann, irgend ein großes Opfer an Stellung oder Meinung zu bringen. Jedermann zieht die Perspective in die Zukunft einem gegenwärtigen kurzen Amtsbesitze vor. So wenn Thiers seine alte Stellung an der Spitze der Rechten wieder einnähme, würde er eine Majorität haben, und unstreitig Minister werden. Aber dann zerreißt er seine Verbindung mit der Linken und dem linken Centrum, und fällt der Gnade des Landes anheim. Bleibt er bei der Linken und dem entschiedneren Theile des linken Centrums, so mag ihm die Majorität für jetzt entgehen, und die Eifersucht in seinen eigenen Reihen ihn Minister zu werden verhindern; aber er macht jeden andern Minister unmöglich und wahrt sich alle die prächtigen Chancen der Zukunft.“ (Dieser Artikel ist natürlich geschrieben, ehe noch die Nachricht von der wirklich erfolgten Bildung des Ministeriums Thiers nach London gelangt war.) – In einer Pariser Correspondenz des M. Chronicle wird Thiers der „Canning der französischen constitutionell-conservativen Partei“ genannt, mit der er wohl nur zu lange Hand in Hand gegangen sey.

Frankreich.

Die Königin, die Herzoge von Orleans und von Nemours und die Prinzessin Clementine sind von Brüssel wieder in Paris eingetroffen, aber nicht, wie Brüsseler Blätter hatten wissen wollen, in Begleitung der Prinzessin Victoria von Coburg.

Der Constitutionnel widerlegt die Angabe eines Journals, daß den HH. Martin (du Nord) und Salvandy Stellen in dem neuen Ministerium angetragen worden seyen. Gewiß scheine, daß eine der ersten Handlungen des neuen Cabinets eine Forderung von Zuschußcrediten für die geheimen Ausgaben seyn werde. Daraus werde man dann erkennen, wie groß die Majorität des neuen Cabinets sey.

Ein Journal meldet, daß General Jacqueminot am 29 Febr. nach Pau zurückgereist sey.

Das Journal des Débats bricht endlich sein Schweigen über das Ministerium, und zwar durch einen dem neuen Conseilspräsidenten entschieden feindseligen Artikel. Es wirft Hrn. Thiers vor, seit zehn Jahren zwei Menschen in sich zu vereinen, einen conservativen und einen zerstörenden; es werde sich zeigen, welchen er jetzt herauskehren werde. Die Lage der Regierung und der Kammer sey so schlimm als möglich; aber die gegenwärtigen Mitglieder des Cabinets haben sie mit herbeigeführt, und nur wenn sie ihr eigenes Werk wieder gut machen, können sie von den redlich Gesinnten Unterstützung erwarten. (Wir kommen darauf zurück.)

Wir lassen hier einige weitere Journalurtheile über das neue Cabinet folgen: „Die Schranken – sagt das Pays (Journal de Paris) – welche seit zehn Jahren durch so viele Kämpfe, so viele Anstrengungen gegen die Emeuten der Worte und Flintenschüsse errichtet worden, sind jetzt aufgehoben. Gestern war es die Staatsgewalt, welcher es oblag, die revolutionäre Ungeduld der Opposition zu mäßigen, heute bedarf es einer Opposition, um die revolutionäre Ungeduld der Staatsgewalt zu zügeln. Heute beginnt das bis jetzt hinausgeschobene furchtbare Spiel zwischen der Krone und der Revolution. Gestern bestanden zwischen dem Königthum und der Republik nur zwei Stufen, heute existirt keine mehr. Das Königthum des Julius hat seine Mitte verloren, es steht am äußersten Rande seines Bewegungskreises. Hr. Odilon-Barrot ist das letzte Wort der Monarchie; nach ihm und vielleicht in nicht langer Zeit kommt die Reihe an die äußerste Linke, was gleichbedeutend mit einer Revolution ist. Eine solche Zukunft bereitet dem Lande die Verblendung des Hrn. Thiers, der lieber die Linke um ihre 110 Stimmen bat, als daß er seine 80 Stimmen mit den 205 Stimmen der conservativen Partei vereinigt hätte. Er allein ist vor der Krone und vor dem Lande verantwortlich.“

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[0539/0003] Die Wahrscheinlichkeit eines Ministeriums Thiers machte bei der liberalen Partei in England einen sehr guten Eindruck. Der Sun, ein unabhängiges Blatt, bemerkt: „Von allen Staatsmännern Frankreichs begreift Thiers am besten die Wichtigkeit der englischen Allianz, und da es wohl bekannt ist, daß seine Sympathien für das liberale England ihn so lange vom Amt entfernt gehalten, so dürfte sein Wiederauftreten als Minister des Auswärtigen von den Personen in England, welche allein die Macht haben, Verträgen Gehalt und Wirksamkeit zu geben, als der Ausdruck des Wunsches der französischen Nation und Regierung betrachtet werden, die freundlichsten Verhältnisse mit Großbritannien zu pflegen.“ – Die Bewunderung des ministeriellen M. Chronicle für Thiers und sein Glaube an dessen gute Gesinnung gegen England sind bekannt, doch bescheidet sich dieses Journal, zunächst über Thiers' Stellung in Paris Folgendes zu bemerken: „Gleich manchem andern Sieger scheint Thiers durch seinen letzten Sieg nicht wenig in Verlegenheit gesetzt zu seyn. Das Ministerium Soult ist das dritte oder vierte, das seine Taktik geschlagen und gestürzt hat. Er überwindet seine Feinde auf dem parlamentarischen Feld; aber annoch ist eine Citadelle zurück, ohne deren Eroberung alle seine übrigen Siege nutzlos wären, und die zu bemeistern eine schwere Aufgabe scheint. Diese Festung erbietet sich freilich zu capituliren und ihre Fahne abzunehmen, aber die Uebergabe ist nur eine scheinbare, und der Sieger dürfte finden, daß, wenn er auch die Kriegsehren davon trägt, die soliden Früchte des Siegs ihm doch immer entschlüpfen. Hr. Thiers nimmt in der Deputirtenkammer eine centrale Stellung ein, jedoch mehr gegen die Linke geneigt, zu deren Ansichten und Principien, besonders in der auswärtigen Politik, er sich bekennt. Dadurch, daß er zuerst auf der Amnestie und dem Aufhören der Strenge bestand, brach er mit den Einschüchterungsmännern; gleichwohl ist er den ultrademokratischen Forderungen noch abgeneigt genug, um über die Anhänglichkeit eines großen Theils der rechten Seite zu verfügen. Die Gemäßigten der Rechten und die Gemäßigten der Linken würden sich so auf natürliche Weise unter Hrn. Thiers vereinigen. Die Soldaten sind alle willig, aber die Officiere und kleinen Chefs thun spröd und bedenklich. Alle Männer von Talenten des zweiten und Ansprüchen des ersten Rangs verabscheuen Thiers. Sie möchten in Amt und Gewalt treten unter einer Null von erstem Minister oder unter einem großen und hohlen Namen. Soult ist ihr Minister-Ideal, weil sie für ihn sprechen, ja für ihn denken dürfen. Unter Soult zu agiren, das kränkt ihre Eitelkeit nicht, während sie hingegen die Anwesenheit Thiers' oder Guizots, überhaupt jedes höheren Geistes, giftig wie die Kröte, mit kleinlichem Neide fürchten. Dieß sind die Gesinnungen der HH. Passy, Dufaure, Villemain – lauter geschickte Leute allerdings, treffliche Corporale, wie Jemand gesagt hat, wenn sie nur nicht die Hauptmanns-Epauletten ambitionirten. Die Stümper, die in der Dotationsfrage sich und dem König eine höchst verdrießliche Niederlage zugezogen haben, einzig durch ihre Thorenblindheit und Unfähigkeit! Sieben Knaben, die man aus der Schule auf die Ministerbank versetzt hätte, würden mehr Voraussicht, Talent und Gewandtheit gezeigt haben. – Die große Schwierigkeit auf der Bahn des Hrn. Thiers ist dermalen der Ostracismus, den die Eifersucht dieser Leute des zweiten Rangs, unterstützt von der Abneigung einer hohen Person, gegen ihn verhängt hat. Auch der ungewisse Machtbesitz in einer Zeit, wo Höfe und Publicum besonders launisch und beide mächtig sind, hindert jetzt einen Staatsmann, irgend ein großes Opfer an Stellung oder Meinung zu bringen. Jedermann zieht die Perspective in die Zukunft einem gegenwärtigen kurzen Amtsbesitze vor. So wenn Thiers seine alte Stellung an der Spitze der Rechten wieder einnähme, würde er eine Majorität haben, und unstreitig Minister werden. Aber dann zerreißt er seine Verbindung mit der Linken und dem linken Centrum, und fällt der Gnade des Landes anheim. Bleibt er bei der Linken und dem entschiedneren Theile des linken Centrums, so mag ihm die Majorität für jetzt entgehen, und die Eifersucht in seinen eigenen Reihen ihn Minister zu werden verhindern; aber er macht jeden andern Minister unmöglich und wahrt sich alle die prächtigen Chancen der Zukunft.“ (Dieser Artikel ist natürlich geschrieben, ehe noch die Nachricht von der wirklich erfolgten Bildung des Ministeriums Thiers nach London gelangt war.) – In einer Pariser Correspondenz des M. Chronicle wird Thiers der „Canning der französischen constitutionell-conservativen Partei“ genannt, mit der er wohl nur zu lange Hand in Hand gegangen sey. Frankreich. Paris, 3 März. Die Königin, die Herzoge von Orleans und von Nemours und die Prinzessin Clementine sind von Brüssel wieder in Paris eingetroffen, aber nicht, wie Brüsseler Blätter hatten wissen wollen, in Begleitung der Prinzessin Victoria von Coburg. Der Constitutionnel widerlegt die Angabe eines Journals, daß den HH. Martin (du Nord) und Salvandy Stellen in dem neuen Ministerium angetragen worden seyen. Gewiß scheine, daß eine der ersten Handlungen des neuen Cabinets eine Forderung von Zuschußcrediten für die geheimen Ausgaben seyn werde. Daraus werde man dann erkennen, wie groß die Majorität des neuen Cabinets sey. Ein Journal meldet, daß General Jacqueminot am 29 Febr. nach Pau zurückgereist sey. Das Journal des Débats bricht endlich sein Schweigen über das Ministerium, und zwar durch einen dem neuen Conseilspräsidenten entschieden feindseligen Artikel. Es wirft Hrn. Thiers vor, seit zehn Jahren zwei Menschen in sich zu vereinen, einen conservativen und einen zerstörenden; es werde sich zeigen, welchen er jetzt herauskehren werde. Die Lage der Regierung und der Kammer sey so schlimm als möglich; aber die gegenwärtigen Mitglieder des Cabinets haben sie mit herbeigeführt, und nur wenn sie ihr eigenes Werk wieder gut machen, können sie von den redlich Gesinnten Unterstützung erwarten. (Wir kommen darauf zurück.) Wir lassen hier einige weitere Journalurtheile über das neue Cabinet folgen: „Die Schranken – sagt das Pays (Journal de Paris) – welche seit zehn Jahren durch so viele Kämpfe, so viele Anstrengungen gegen die Emeuten der Worte und Flintenschüsse errichtet worden, sind jetzt aufgehoben. Gestern war es die Staatsgewalt, welcher es oblag, die revolutionäre Ungeduld der Opposition zu mäßigen, heute bedarf es einer Opposition, um die revolutionäre Ungeduld der Staatsgewalt zu zügeln. Heute beginnt das bis jetzt hinausgeschobene furchtbare Spiel zwischen der Krone und der Revolution. Gestern bestanden zwischen dem Königthum und der Republik nur zwei Stufen, heute existirt keine mehr. Das Königthum des Julius hat seine Mitte verloren, es steht am äußersten Rande seines Bewegungskreises. Hr. Odilon-Barrot ist das letzte Wort der Monarchie; nach ihm und vielleicht in nicht langer Zeit kommt die Reihe an die äußerste Linke, was gleichbedeutend mit einer Revolution ist. Eine solche Zukunft bereitet dem Lande die Verblendung des Hrn. Thiers, der lieber die Linke um ihre 110 Stimmen bat, als daß er seine 80 Stimmen mit den 205 Stimmen der conservativen Partei vereinigt hätte. Er allein ist vor der Krone und vor dem Lande verantwortlich.“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg, 8. März 1840, S. 0539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_068_18400308/3>, abgerufen am 29.04.2024.