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Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg, 8. März 1840.

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Espartero scheint endlich aus seinem Halt aufbrechen, und eine Frühlingspromenade vornehmen zu wollen. Er wird vielleicht ein oder zwei verschanzte Nester nehmen, und dann wieder sechs Monate lang von seinen ungeheuern Strapazen ausruhen. Wenn bei diesem Spiele Cabrera nicht an Krankheit stirbt, so wird er wohl einmal an hohem Alter sterben. Beruhigender für Spanien ist der Erfolg seiner Wahlen, und der gute Geist, welcher im Schoße der Cortes vorzuherrschen scheint. Die Minorität ist dort mehr aufbrausend als gewandt, mehr neckend als furchtbar. Die Emeute der Exaltados im Cortessaal, die in den Straßen keinen Beistand gefunden, ist ein Beweis ihrer Unmacht. An dem Tage, wo Spanien im Stande seyn wird, sich eine starke und intelligente Verwaltung zu geben, seine Sorglosigkeit und sein Hinbrüten zu überwinden, wird es einen weit nützlichern Sieg davon tragen, als alle diejenigen sind, die es am Fuße der Pyrenäen gewinnen kann. So wie es seinen Provinzen den Anblick einer thätigen, regelmäßigen Regierung darbietet, wird sich auch die Pacification der Provinzen bald von selbst einstellen.

So hätten wir endlich ein Ministerium, dem sich, wenn ihm neidische Ränke und das stärkere Verhängniß eigener Schuld nicht tödtlich werden, einige Dauer versprechen läßt. Es enthält wenigstens Männer, von denen Europa schon gehört, und fast keinen Namen, der nicht in irgend einem Fache unter den Ersten seiner Nation stände. Neben Hrn. Thiers, der seit einiger Zeit vielleicht der besprochenste Staatsmann Europa's ist, erblicken wir Cousin, mit dessen Geist und Schriften man in Deutschland vielleicht vertrauter ist, als er selbst mit Deutschland; Roussin, der als Seemann und Diplomat, obwohl nicht immer siegreich, doch stets wacker sich gezeigt; Gouin, dessen parlamentarische Thätigkeit Allen bekannt ist, die nur einigen, wenn auch noch so fernen Antheil an dem jüngsten Rentenkampf in Frankreich nahmen; Jaubert, dessen sarkastische Laune schon oft die Freunde einer lustigen Satyre ergötzte; Cubieres, den friedlichen Heros von Ancona; Vivien, in verschiedenen Zweigen der Geschäfte als Mitglied des Staatsraths bewandert und geübt; Remusat, der den schönen Klang eines schönen Namens, und den Ruf eines salongewandten Geistes, Pelet de la Lozere endlich, einen strengen Protestanten der Cevennen, der den Ruhm seines Vaters und seiner Rechtlichkeit dem Vaterlande wie eine Morgengabe bringt. Ob alle diese Personen ihren rechten Platz in der Verwaltung einnehmen, und jeder den Anforderungen seiner Stelle gewachsen sey, ist eine andere Frage, und hier läßt sich unter Anderm Manches gegen die Anwesenheit des Hrn. Thiers in dem Hotel de la Rue des Capucines einwenden. Vor der Kammer wird Hr. Thiers ohne Zweifel der geeignetste Minister des Auswärtigen seyn: Niemand könnte das angenommene System geschickter entwickeln und verfechten, die Schwierigkeiten und Verwickelungen, die aus der Reibung der Charaktere und Ereignisse entstehen, klarer auseinander setzen, und den Einwürfen der Blindheit oder Leidenschaft rascher und treffender begegnen. Zudem besitzt er, wenn nicht das Vertrauen, doch die Zuneigung der Kammer, denn er hebt sich genug über sie, um sie zu beherrschen, um sie zu erniedrigen jedoch, nicht hoch genug. Allein er, der so ganz der Sprecher seines Postens ist, wird er ihn auch als handelnder Staatsmann mit gleichem Glück ausfüllen können? Wird die Bahn, die er seit bald vier Jahren durchlaufen, bei seinem Verkehr mit dem streng monarchischen Europa nicht für ihn zu einer ärgerlichen Erinnerung, zur Ursache vielfachen Argwohns, und ein Grund von mancherlei Hemmnissen werden? Mit welchem Recht wird der Diplomat die Heiligkeit der Verträge anrufen können, da doch der Redner in der Sturm- und Drangperiode der Coalition eben diese Heiligkeit mit so vornehmer Geringschätzung behandelt, und sich auf öffentlicher Rednerbühne eines Benehmens als Minister gerühmt hatte, das mit dem genaueren Begriff von Treu' und Glauben nicht leicht zu vereinbaren ist? Denken mochte er als Philosoph über die Kraft, die das gegebene Wort in den Wechselfällen der Politik hat, was er wollte, aber seiner Sprache mußte er einige Verstellung auflegen, denn die Heuchelei, oder um milder zu sprechen, die Verheimlichung der Gedanken, welche das Sittengesetz verdammt, die Dialektik der Interessen aber im Geheimen rechtfertigt, hat mindestens das Gute, daß sie eine Huldigung ist, die man der Majestät des Rechts darbringt. Die Franzosen nennen dieß in ihrer ironischen Sprache ehrbar (honnete), und hielten sonst viel darauf; das berühmte, oder wenn man will, berüchtigte Wort Talleyrands, dem Menschen sey die Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen, war sicher in diesem Sinne gemeint. Jetzt aber scheinen patriotische Gasconnaden bei der Masse mehr Eingang zu finden, als jene heilsame Selbstbeherrschung, die für die Größe der Staaten wie für die Gründung und Bewahrung der Freiheit die sicherste Gewähr ist. Hr. Thiers wird allgemein als der entschiedenste Ausdruck des englischen Bündnisses angesehen; die aber möchten zu weit gehen, die behaupten, er würde Frankreichs Interessen den Forderungen und der Empfindlichkeit brittischer Freundschaft opfern. Thiers ist vor Allem Franzose, und für den Glanz und die Stärke seines Vaterlandes so eingenommen, wie nur irgend einer seiner Landsleute; die Zeugnisse französischen Heldensinns können keinen wärmeren Erzähler, die Hoffnungen seiner Mitbürger auf eine ruhmvolle Zukunft keinen aufrichtigeren Anhänger finden, aber eben deßwegen pflegt und preist er das brittische Bündniß, denn sein heller Geist sieht all die Gefahren, die für Frankreich aus einer offenen oder versteckten Trennung von England erwachsen würden. - Gehört auch Cousin nicht zu den weltberühmten Meistern der Philosophie, so hat er doch das philosophische Bedürfniß der Franzosen seiner Zeit ganz gut begriffen. Indem er ihnen den Rath eklektischer Forschung gab, hatte er unstreitig all die widersprechenden Systeme und Vorschläge, Erinnerungen und Wünsche vor Augen, die sich seit einem halben Jahrhundert in das arme Frankreich theilen, alle Brauchbares und Vortreffliches enthalten, doch alle auch durch ihre hartnäckige Einseitigkeit verderblich und verwerflich werden. Zwischen La Trappe und Broussais, zwischen de Maistre und St. Just, zwischen Alexander Dumas und der Tragödie des Kaiserreichs wogte das französische Leben hin und her, und aus dem Unsinn und Verstand, aus dem Schönen und Häßlichen, das dabei zum Vorschein kam, gilt es vernünftige Auswahl zu treffen. Das hat Cousin sehr richtig erkannt, und - weil die philosophische Form seinem Geiste am meisten zusagte - philosophisch ausgedrückt, dadurch aber wird er denen, die an dem Ihrigen mit ausschließendem Eigensinn hängen, nicht genügen, und weder die eifrigen Katholiken, noch die Schule Voltaire's zufrieden stellen. Graf Jaubert, schon lange ein fleißiger Dilettant in der Sphäre der Eisenbahnen und Canäle, ist an der Spitze der öffentlichen Arbeiten ganz an seinem Platze. Der Witz, den er nie, wo Gelegenheit sich bietet, unterdrücken kann, ist eine Waffe, welche die bisherigen Ministerien so ziemlich entbehren mußten. Cubieres, der sich gleichfalls auf sein Talent für das Epigramm etwas zu gut thut, hat, wie es heißt, während des vorjährigen Interregnums sich als tüchtiger Verwalter erwiesen. Und haben auch Remusat, Gouin, Vivien und Pelet ihre Proben noch zu machen, so hat das Publicum doch von der rednerischen und administrativen Fähigkeit der neuen Minister eine vorwiegend günstige Meinung.

Espartero scheint endlich aus seinem Halt aufbrechen, und eine Frühlingspromenade vornehmen zu wollen. Er wird vielleicht ein oder zwei verschanzte Nester nehmen, und dann wieder sechs Monate lang von seinen ungeheuern Strapazen ausruhen. Wenn bei diesem Spiele Cabrera nicht an Krankheit stirbt, so wird er wohl einmal an hohem Alter sterben. Beruhigender für Spanien ist der Erfolg seiner Wahlen, und der gute Geist, welcher im Schoße der Cortes vorzuherrschen scheint. Die Minorität ist dort mehr aufbrausend als gewandt, mehr neckend als furchtbar. Die Emeute der Exaltados im Cortessaal, die in den Straßen keinen Beistand gefunden, ist ein Beweis ihrer Unmacht. An dem Tage, wo Spanien im Stande seyn wird, sich eine starke und intelligente Verwaltung zu geben, seine Sorglosigkeit und sein Hinbrüten zu überwinden, wird es einen weit nützlichern Sieg davon tragen, als alle diejenigen sind, die es am Fuße der Pyrenäen gewinnen kann. So wie es seinen Provinzen den Anblick einer thätigen, regelmäßigen Regierung darbietet, wird sich auch die Pacification der Provinzen bald von selbst einstellen.

So hätten wir endlich ein Ministerium, dem sich, wenn ihm neidische Ränke und das stärkere Verhängniß eigener Schuld nicht tödtlich werden, einige Dauer versprechen läßt. Es enthält wenigstens Männer, von denen Europa schon gehört, und fast keinen Namen, der nicht in irgend einem Fache unter den Ersten seiner Nation stände. Neben Hrn. Thiers, der seit einiger Zeit vielleicht der besprochenste Staatsmann Europa's ist, erblicken wir Cousin, mit dessen Geist und Schriften man in Deutschland vielleicht vertrauter ist, als er selbst mit Deutschland; Roussin, der als Seemann und Diplomat, obwohl nicht immer siegreich, doch stets wacker sich gezeigt; Gouin, dessen parlamentarische Thätigkeit Allen bekannt ist, die nur einigen, wenn auch noch so fernen Antheil an dem jüngsten Rentenkampf in Frankreich nahmen; Jaubert, dessen sarkastische Laune schon oft die Freunde einer lustigen Satyre ergötzte; Cubieres, den friedlichen Heros von Ancona; Vivien, in verschiedenen Zweigen der Geschäfte als Mitglied des Staatsraths bewandert und geübt; Remusat, der den schönen Klang eines schönen Namens, und den Ruf eines salongewandten Geistes, Pelet de la Lozere endlich, einen strengen Protestanten der Cevennen, der den Ruhm seines Vaters und seiner Rechtlichkeit dem Vaterlande wie eine Morgengabe bringt. Ob alle diese Personen ihren rechten Platz in der Verwaltung einnehmen, und jeder den Anforderungen seiner Stelle gewachsen sey, ist eine andere Frage, und hier läßt sich unter Anderm Manches gegen die Anwesenheit des Hrn. Thiers in dem Hotel de la Rue des Capucines einwenden. Vor der Kammer wird Hr. Thiers ohne Zweifel der geeignetste Minister des Auswärtigen seyn: Niemand könnte das angenommene System geschickter entwickeln und verfechten, die Schwierigkeiten und Verwickelungen, die aus der Reibung der Charaktere und Ereignisse entstehen, klarer auseinander setzen, und den Einwürfen der Blindheit oder Leidenschaft rascher und treffender begegnen. Zudem besitzt er, wenn nicht das Vertrauen, doch die Zuneigung der Kammer, denn er hebt sich genug über sie, um sie zu beherrschen, um sie zu erniedrigen jedoch, nicht hoch genug. Allein er, der so ganz der Sprecher seines Postens ist, wird er ihn auch als handelnder Staatsmann mit gleichem Glück ausfüllen können? Wird die Bahn, die er seit bald vier Jahren durchlaufen, bei seinem Verkehr mit dem streng monarchischen Europa nicht für ihn zu einer ärgerlichen Erinnerung, zur Ursache vielfachen Argwohns, und ein Grund von mancherlei Hemmnissen werden? Mit welchem Recht wird der Diplomat die Heiligkeit der Verträge anrufen können, da doch der Redner in der Sturm- und Drangperiode der Coalition eben diese Heiligkeit mit so vornehmer Geringschätzung behandelt, und sich auf öffentlicher Rednerbühne eines Benehmens als Minister gerühmt hatte, das mit dem genaueren Begriff von Treu' und Glauben nicht leicht zu vereinbaren ist? Denken mochte er als Philosoph über die Kraft, die das gegebene Wort in den Wechselfällen der Politik hat, was er wollte, aber seiner Sprache mußte er einige Verstellung auflegen, denn die Heuchelei, oder um milder zu sprechen, die Verheimlichung der Gedanken, welche das Sittengesetz verdammt, die Dialektik der Interessen aber im Geheimen rechtfertigt, hat mindestens das Gute, daß sie eine Huldigung ist, die man der Majestät des Rechts darbringt. Die Franzosen nennen dieß in ihrer ironischen Sprache ehrbar (honnête), und hielten sonst viel darauf; das berühmte, oder wenn man will, berüchtigte Wort Talleyrands, dem Menschen sey die Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen, war sicher in diesem Sinne gemeint. Jetzt aber scheinen patriotische Gasconnaden bei der Masse mehr Eingang zu finden, als jene heilsame Selbstbeherrschung, die für die Größe der Staaten wie für die Gründung und Bewahrung der Freiheit die sicherste Gewähr ist. Hr. Thiers wird allgemein als der entschiedenste Ausdruck des englischen Bündnisses angesehen; die aber möchten zu weit gehen, die behaupten, er würde Frankreichs Interessen den Forderungen und der Empfindlichkeit brittischer Freundschaft opfern. Thiers ist vor Allem Franzose, und für den Glanz und die Stärke seines Vaterlandes so eingenommen, wie nur irgend einer seiner Landsleute; die Zeugnisse französischen Heldensinns können keinen wärmeren Erzähler, die Hoffnungen seiner Mitbürger auf eine ruhmvolle Zukunft keinen aufrichtigeren Anhänger finden, aber eben deßwegen pflegt und preist er das brittische Bündniß, denn sein heller Geist sieht all die Gefahren, die für Frankreich aus einer offenen oder versteckten Trennung von England erwachsen würden. – Gehört auch Cousin nicht zu den weltberühmten Meistern der Philosophie, so hat er doch das philosophische Bedürfniß der Franzosen seiner Zeit ganz gut begriffen. Indem er ihnen den Rath eklektischer Forschung gab, hatte er unstreitig all die widersprechenden Systeme und Vorschläge, Erinnerungen und Wünsche vor Augen, die sich seit einem halben Jahrhundert in das arme Frankreich theilen, alle Brauchbares und Vortreffliches enthalten, doch alle auch durch ihre hartnäckige Einseitigkeit verderblich und verwerflich werden. Zwischen La Trappe und Broussais, zwischen de Maistre und St. Just, zwischen Alexander Dumas und der Tragödie des Kaiserreichs wogte das französische Leben hin und her, und aus dem Unsinn und Verstand, aus dem Schönen und Häßlichen, das dabei zum Vorschein kam, gilt es vernünftige Auswahl zu treffen. Das hat Cousin sehr richtig erkannt, und – weil die philosophische Form seinem Geiste am meisten zusagte – philosophisch ausgedrückt, dadurch aber wird er denen, die an dem Ihrigen mit ausschließendem Eigensinn hängen, nicht genügen, und weder die eifrigen Katholiken, noch die Schule Voltaire's zufrieden stellen. Graf Jaubert, schon lange ein fleißiger Dilettant in der Sphäre der Eisenbahnen und Canäle, ist an der Spitze der öffentlichen Arbeiten ganz an seinem Platze. Der Witz, den er nie, wo Gelegenheit sich bietet, unterdrücken kann, ist eine Waffe, welche die bisherigen Ministerien so ziemlich entbehren mußten. Cubières, der sich gleichfalls auf sein Talent für das Epigramm etwas zu gut thut, hat, wie es heißt, während des vorjährigen Interregnums sich als tüchtiger Verwalter erwiesen. Und haben auch Remusat, Gouin, Vivien und Pelet ihre Proben noch zu machen, so hat das Publicum doch von der rednerischen und administrativen Fähigkeit der neuen Minister eine vorwiegend günstige Meinung.

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Espartero scheint endlich aus seinem Halt aufbrechen, und eine Frühlingspromenade vornehmen zu wollen. Er wird vielleicht ein oder zwei verschanzte Nester nehmen, und dann wieder sechs Monate lang von seinen ungeheuern Strapazen ausruhen. Wenn bei diesem Spiele Cabrera nicht an Krankheit stirbt, so wird er wohl einmal an hohem Alter sterben. Beruhigender für Spanien ist der Erfolg seiner Wahlen, und der gute Geist, welcher im Schoße der Cortes vorzuherrschen scheint. Die Minorität ist dort mehr aufbrausend als gewandt, mehr neckend als furchtbar. Die Emeute der Exaltados im Cortessaal, die in den Straßen keinen Beistand gefunden, ist ein Beweis ihrer Unmacht. An dem Tage, wo Spanien im Stande seyn wird, sich eine starke und intelligente Verwaltung zu geben, seine Sorglosigkeit und sein Hinbrüten zu überwinden, wird es einen weit nützlichern Sieg davon tragen, als alle diejenigen sind, die es am Fuße der Pyrenäen gewinnen kann. So wie es seinen Provinzen den Anblick einer thätigen, regelmäßigen Regierung darbietet, wird sich auch die Pacification der Provinzen bald von selbst einstellen.</p>
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Thiers, der seit einiger Zeit vielleicht der besprochenste Staatsmann Europa's ist, erblicken wir Cousin, mit dessen Geist und Schriften man in Deutschland vielleicht vertrauter ist, als er selbst mit Deutschland; Roussin, der als Seemann und Diplomat, obwohl nicht immer siegreich, doch stets wacker sich gezeigt; Gouin, dessen parlamentarische Thätigkeit Allen bekannt ist, die nur einigen, wenn auch noch so fernen Antheil an dem jüngsten Rentenkampf in Frankreich nahmen; Jaubert, dessen sarkastische Laune schon oft die Freunde einer lustigen Satyre ergötzte; Cubieres, den friedlichen Heros von Ancona; Vivien, in verschiedenen Zweigen der Geschäfte als Mitglied des Staatsraths bewandert und geübt; Remusat, der den schönen Klang eines schönen Namens, und den Ruf eines salongewandten Geistes, Pelet de la Lozere endlich, einen strengen Protestanten der Cevennen, der den Ruhm seines Vaters und seiner Rechtlichkeit dem Vaterlande wie eine Morgengabe bringt. Ob alle diese Personen ihren rechten Platz in der Verwaltung einnehmen, und jeder den Anforderungen seiner Stelle gewachsen sey, ist eine andere Frage, und hier läßt sich unter Anderm Manches gegen die Anwesenheit des Hrn. Thiers in dem Hotel de la Rue des Capucines einwenden. Vor der Kammer wird Hr. Thiers ohne Zweifel der geeignetste Minister des Auswärtigen seyn: Niemand könnte das angenommene System geschickter entwickeln und verfechten, die Schwierigkeiten und Verwickelungen, die aus der Reibung der Charaktere und Ereignisse entstehen, klarer auseinander setzen, und den Einwürfen der Blindheit oder Leidenschaft rascher und treffender begegnen. Zudem besitzt er, wenn nicht das Vertrauen, doch die Zuneigung der Kammer, denn er hebt sich genug über sie, um sie zu beherrschen, um sie zu erniedrigen jedoch, nicht hoch genug. Allein er, der so ganz der Sprecher seines Postens ist, wird er ihn auch als handelnder Staatsmann mit gleichem Glück ausfüllen können? Wird die Bahn, die er seit bald vier Jahren durchlaufen, bei seinem Verkehr mit dem streng monarchischen Europa nicht für ihn zu einer ärgerlichen Erinnerung, zur Ursache vielfachen Argwohns, und ein Grund von mancherlei Hemmnissen werden? Mit welchem Recht wird der Diplomat die Heiligkeit der Verträge anrufen können, da doch der Redner in der Sturm- und Drangperiode der Coalition eben diese Heiligkeit mit so vornehmer Geringschätzung behandelt, und sich auf öffentlicher Rednerbühne eines Benehmens als Minister gerühmt hatte, das mit dem genaueren Begriff von Treu' und Glauben nicht leicht zu vereinbaren ist? Denken mochte er als Philosoph über die Kraft, die das gegebene Wort in den Wechselfällen der Politik hat, was er wollte, aber seiner Sprache mußte er einige Verstellung auflegen, denn die Heuchelei, oder um milder zu sprechen, die Verheimlichung der Gedanken, welche das Sittengesetz verdammt, die Dialektik der Interessen aber im Geheimen rechtfertigt, hat mindestens das Gute, daß sie eine Huldigung ist, die man der Majestät des Rechts darbringt. Die Franzosen nennen dieß in ihrer ironischen Sprache ehrbar (honnête), und hielten sonst viel darauf; das berühmte, oder wenn man will, berüchtigte Wort Talleyrands, dem Menschen sey die Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen, war sicher in diesem Sinne gemeint. Jetzt aber scheinen patriotische Gasconnaden bei der Masse mehr Eingang zu finden, als jene heilsame Selbstbeherrschung, die für die Größe der Staaten wie für die Gründung und Bewahrung der Freiheit die sicherste Gewähr ist. Hr. Thiers wird allgemein als der entschiedenste Ausdruck des englischen Bündnisses angesehen; die aber möchten zu weit gehen, die behaupten, er würde Frankreichs Interessen den Forderungen und der Empfindlichkeit brittischer Freundschaft opfern. Thiers ist vor Allem Franzose, und für den Glanz und die Stärke seines Vaterlandes so eingenommen, wie nur irgend einer seiner Landsleute; die Zeugnisse französischen Heldensinns können keinen wärmeren Erzähler, die Hoffnungen seiner Mitbürger auf eine ruhmvolle Zukunft keinen aufrichtigeren Anhänger finden, aber eben deßwegen pflegt und preist er das brittische Bündniß, denn sein heller Geist sieht all die Gefahren, die für Frankreich aus einer offenen oder versteckten Trennung von England erwachsen würden. &#x2013; Gehört auch <hi rendition="#g">Cousin</hi> nicht zu den weltberühmten Meistern der Philosophie, so hat er doch das philosophische Bedürfniß der Franzosen seiner Zeit ganz gut begriffen. 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[0541/0005] Espartero scheint endlich aus seinem Halt aufbrechen, und eine Frühlingspromenade vornehmen zu wollen. Er wird vielleicht ein oder zwei verschanzte Nester nehmen, und dann wieder sechs Monate lang von seinen ungeheuern Strapazen ausruhen. Wenn bei diesem Spiele Cabrera nicht an Krankheit stirbt, so wird er wohl einmal an hohem Alter sterben. Beruhigender für Spanien ist der Erfolg seiner Wahlen, und der gute Geist, welcher im Schoße der Cortes vorzuherrschen scheint. Die Minorität ist dort mehr aufbrausend als gewandt, mehr neckend als furchtbar. Die Emeute der Exaltados im Cortessaal, die in den Straßen keinen Beistand gefunden, ist ein Beweis ihrer Unmacht. An dem Tage, wo Spanien im Stande seyn wird, sich eine starke und intelligente Verwaltung zu geben, seine Sorglosigkeit und sein Hinbrüten zu überwinden, wird es einen weit nützlichern Sieg davon tragen, als alle diejenigen sind, die es am Fuße der Pyrenäen gewinnen kann. So wie es seinen Provinzen den Anblick einer thätigen, regelmäßigen Regierung darbietet, wird sich auch die Pacification der Provinzen bald von selbst einstellen. ♂ Paris, 2 März. So hätten wir endlich ein Ministerium, dem sich, wenn ihm neidische Ränke und das stärkere Verhängniß eigener Schuld nicht tödtlich werden, einige Dauer versprechen läßt. Es enthält wenigstens Männer, von denen Europa schon gehört, und fast keinen Namen, der nicht in irgend einem Fache unter den Ersten seiner Nation stände. Neben Hrn. Thiers, der seit einiger Zeit vielleicht der besprochenste Staatsmann Europa's ist, erblicken wir Cousin, mit dessen Geist und Schriften man in Deutschland vielleicht vertrauter ist, als er selbst mit Deutschland; Roussin, der als Seemann und Diplomat, obwohl nicht immer siegreich, doch stets wacker sich gezeigt; Gouin, dessen parlamentarische Thätigkeit Allen bekannt ist, die nur einigen, wenn auch noch so fernen Antheil an dem jüngsten Rentenkampf in Frankreich nahmen; Jaubert, dessen sarkastische Laune schon oft die Freunde einer lustigen Satyre ergötzte; Cubieres, den friedlichen Heros von Ancona; Vivien, in verschiedenen Zweigen der Geschäfte als Mitglied des Staatsraths bewandert und geübt; Remusat, der den schönen Klang eines schönen Namens, und den Ruf eines salongewandten Geistes, Pelet de la Lozere endlich, einen strengen Protestanten der Cevennen, der den Ruhm seines Vaters und seiner Rechtlichkeit dem Vaterlande wie eine Morgengabe bringt. Ob alle diese Personen ihren rechten Platz in der Verwaltung einnehmen, und jeder den Anforderungen seiner Stelle gewachsen sey, ist eine andere Frage, und hier läßt sich unter Anderm Manches gegen die Anwesenheit des Hrn. Thiers in dem Hotel de la Rue des Capucines einwenden. Vor der Kammer wird Hr. Thiers ohne Zweifel der geeignetste Minister des Auswärtigen seyn: Niemand könnte das angenommene System geschickter entwickeln und verfechten, die Schwierigkeiten und Verwickelungen, die aus der Reibung der Charaktere und Ereignisse entstehen, klarer auseinander setzen, und den Einwürfen der Blindheit oder Leidenschaft rascher und treffender begegnen. Zudem besitzt er, wenn nicht das Vertrauen, doch die Zuneigung der Kammer, denn er hebt sich genug über sie, um sie zu beherrschen, um sie zu erniedrigen jedoch, nicht hoch genug. Allein er, der so ganz der Sprecher seines Postens ist, wird er ihn auch als handelnder Staatsmann mit gleichem Glück ausfüllen können? Wird die Bahn, die er seit bald vier Jahren durchlaufen, bei seinem Verkehr mit dem streng monarchischen Europa nicht für ihn zu einer ärgerlichen Erinnerung, zur Ursache vielfachen Argwohns, und ein Grund von mancherlei Hemmnissen werden? Mit welchem Recht wird der Diplomat die Heiligkeit der Verträge anrufen können, da doch der Redner in der Sturm- und Drangperiode der Coalition eben diese Heiligkeit mit so vornehmer Geringschätzung behandelt, und sich auf öffentlicher Rednerbühne eines Benehmens als Minister gerühmt hatte, das mit dem genaueren Begriff von Treu' und Glauben nicht leicht zu vereinbaren ist? Denken mochte er als Philosoph über die Kraft, die das gegebene Wort in den Wechselfällen der Politik hat, was er wollte, aber seiner Sprache mußte er einige Verstellung auflegen, denn die Heuchelei, oder um milder zu sprechen, die Verheimlichung der Gedanken, welche das Sittengesetz verdammt, die Dialektik der Interessen aber im Geheimen rechtfertigt, hat mindestens das Gute, daß sie eine Huldigung ist, die man der Majestät des Rechts darbringt. Die Franzosen nennen dieß in ihrer ironischen Sprache ehrbar (honnête), und hielten sonst viel darauf; das berühmte, oder wenn man will, berüchtigte Wort Talleyrands, dem Menschen sey die Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen, war sicher in diesem Sinne gemeint. Jetzt aber scheinen patriotische Gasconnaden bei der Masse mehr Eingang zu finden, als jene heilsame Selbstbeherrschung, die für die Größe der Staaten wie für die Gründung und Bewahrung der Freiheit die sicherste Gewähr ist. Hr. Thiers wird allgemein als der entschiedenste Ausdruck des englischen Bündnisses angesehen; die aber möchten zu weit gehen, die behaupten, er würde Frankreichs Interessen den Forderungen und der Empfindlichkeit brittischer Freundschaft opfern. Thiers ist vor Allem Franzose, und für den Glanz und die Stärke seines Vaterlandes so eingenommen, wie nur irgend einer seiner Landsleute; die Zeugnisse französischen Heldensinns können keinen wärmeren Erzähler, die Hoffnungen seiner Mitbürger auf eine ruhmvolle Zukunft keinen aufrichtigeren Anhänger finden, aber eben deßwegen pflegt und preist er das brittische Bündniß, denn sein heller Geist sieht all die Gefahren, die für Frankreich aus einer offenen oder versteckten Trennung von England erwachsen würden. – Gehört auch Cousin nicht zu den weltberühmten Meistern der Philosophie, so hat er doch das philosophische Bedürfniß der Franzosen seiner Zeit ganz gut begriffen. Indem er ihnen den Rath eklektischer Forschung gab, hatte er unstreitig all die widersprechenden Systeme und Vorschläge, Erinnerungen und Wünsche vor Augen, die sich seit einem halben Jahrhundert in das arme Frankreich theilen, alle Brauchbares und Vortreffliches enthalten, doch alle auch durch ihre hartnäckige Einseitigkeit verderblich und verwerflich werden. Zwischen La Trappe und Broussais, zwischen de Maistre und St. Just, zwischen Alexander Dumas und der Tragödie des Kaiserreichs wogte das französische Leben hin und her, und aus dem Unsinn und Verstand, aus dem Schönen und Häßlichen, das dabei zum Vorschein kam, gilt es vernünftige Auswahl zu treffen. Das hat Cousin sehr richtig erkannt, und – weil die philosophische Form seinem Geiste am meisten zusagte – philosophisch ausgedrückt, dadurch aber wird er denen, die an dem Ihrigen mit ausschließendem Eigensinn hängen, nicht genügen, und weder die eifrigen Katholiken, noch die Schule Voltaire's zufrieden stellen. Graf Jaubert, schon lange ein fleißiger Dilettant in der Sphäre der Eisenbahnen und Canäle, ist an der Spitze der öffentlichen Arbeiten ganz an seinem Platze. Der Witz, den er nie, wo Gelegenheit sich bietet, unterdrücken kann, ist eine Waffe, welche die bisherigen Ministerien so ziemlich entbehren mußten. Cubières, der sich gleichfalls auf sein Talent für das Epigramm etwas zu gut thut, hat, wie es heißt, während des vorjährigen Interregnums sich als tüchtiger Verwalter erwiesen. Und haben auch Remusat, Gouin, Vivien und Pelet ihre Proben noch zu machen, so hat das Publicum doch von der rednerischen und administrativen Fähigkeit der neuen Minister eine vorwiegend günstige Meinung.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg, 8. März 1840, S. 0541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_068_18400308/5>, abgerufen am 28.04.2024.