Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

öffentlich und laut aussprechen, daß wir einmüthig sämmtliche Anträge, welche der Deputationsbericht enthält, an die hohe Staatsregierung stellen wollen." Die Herren Staatsminister v. Könneritz, v. Zeschau und Nostitz-Wallwitz, sowie der königl. Commissär v. Wietersheim verließen den Saal, und bei der nun folgenden Abstimmung durch Namensaufruf erklären 68 anwesende Mitglieder der zweiten Kammer einstimmig ihre Genehmigung des Deputationsgutachtens.

Türkei.

Das Gesetzgebungsconseil ist jetzt mit dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs beschäftigt. Man geht hiebei von dem Gesichtspunkt aus, daß vor dem Gesetze alle zeitlichen wie beständigen Unterthanen der Pforte ohne Unterschied der Religion und des Standes gleich seyn müssen. Dieß ist wichtig, denn an dieser Klippe scheiterten die Unterhandlungen zu dem Abschluß eines Handelsvertrags zwischen der Pforte und Griechenland. Reschid Pascha behauptete nämlich, die in der Türkei sich aufhaltenden Unterthanen Sr. Maj. des Königs von Griechenland müßten in Gesetzübertretungsfällen während ihres Aufenthalts in der Türkei der ottomanischen Jurisdiction unterliegen, da dieß dem in allen Staaten Europa's in Hinsicht der Fremden befolgten Grundsatze gemäß sey, und die Pforte mit der Ausarbeitung eines Pönalcodex sich gegenwärtig beschäftige, der allen Anforderungen des Rechts entsprechen werde, und bei welchem die Strafgesetzbücher der gebildetsten Nationen zum Vorbild genommen worden seyen. Sie können sich wohl denken, daß Hr. Zographos, als seine Gegenvorstellungen kein Gehör fanden, sich dahin erklärte, man müsse abwarten, bis das neue Gesetzbuch erschienen sey, um sich darüber näher verständigen zu können. Diese Vorgänge beschäftigen uns Europäer fast ausschließend, da man allgemein glaubt, daß die Pforte nach Ablauf der jetzt bestehenden Verträge die Gerichtsbarkeit über alle sich hier aufhaltenden Fremden ansprechen werde. Wenn aber das erwartete Gesetzbuch nicht fast immer das Gegentheil von dem anordnet, was Mohammed in seinem Koran vorschreibt, so muß uns die angedrohte osmanische Gerichtsbarkeit nicht wenig um unsre Haut besorgt machen. Ein Gesetz, das oft den Mörder glimpflicher als den Dieb behandelt, das dem Pöbel erlaubt, den auf der That ertappten Ehebrecher zu richten und das Todesurtheil sogleich zu vollziehen (es steht die Strafe der Steinigung darauf), kurz ein Gesetz, das kaum der untersten Stufe der Cultur der arabischen Wüstenbewohner entspricht, dürfte uns Europäer mit gegründetem Schrecken erfüllen. Reschid Pascha versichert freilich, die Pforte wolle bei der Abfassung ihres Pönalcodex die Gesetzbücher gebildeter Nationen zum Muster nehmen; was aber die Ulemas dazu sagen werden, daß man ihnen dadurch einen guten Theil ihres Korans ohne weiteres antiquirt, wollen wir abwarten. Ferner dürfte man schwerlich auch nur Einem Beisitzer des Conseils die Vorkenntnisse zumuthen, die das Verständniß unsrer europäischen Gesetze voraussetzt. Auf der andern Seite muß man gestehen, daß die Pforte gegründete Ursache hätte, sich über das Benehmen der hiesigen europäischen Kanzleien zu beschweren. Sie entbehren gewöhnlich der nöthigen Energie, um den Abschaum ihrer Landsleute, die sich hieher flüchten, um ungestört ihren verbrecherischen Neigungen nachhängen zu können, im Zaum zu halten; sie entbehren auch meistens einer allseitigen juridischen Bildung, selbst um auch nur eine gehörige Voruntersuchung einzuleiten. Daher geschieht es oft, daß durch die Wachsamkeit der türkischen Polizei verhaftete Diebe binnen wenigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden, und daß vorzüglich unter dem Deckmantel wechselseitiger Obligationen die ärgsten Betrügereien verübt werden. In diese, oft sehr verwickelten Geschäfte ist nur dem geübten juridischen Auge die Einsicht möglich. Alle diese Uebelstände werden indessen mehr als hier an andern Handelsplätzen des Orients gefühlt, obwohl auch in Konstantinopel sich bereits häufige Klagen darüber vernehmen ließen.

Ostindien.

Die Redaction der Allgem. Zeitung erhielt in diesen Tagen zum erstenmal eine eigene directe Sendung der Bombay Times über Alexandria und Triest, die jedoch nicht weiter als bis zum 1 Jan. reicht, so daß politisch Erhebliches daraus nicht nachzutragen ist. Die Einrichtung dieser ostindischen Zeitung ist ganz nach dem Muster der Londoner. Voranstehen die Ankündigungen: Schiffsgelegenheiten, Verkäufe u. s. w. - ein Bild des großartigsten Handelslebens. Für europäische Comforts aller Art ist reichlich gesorgt; so beweist z. B. eine von Blackwell, Cursetjee u. Comp. angezeigte Auction des Mobiliarnachlasses des Contre-Admirals Sir F. Maitland, daß Küche und Keller desselben mit dem Feinsten und Besten wohl versehen waren. Europäische Weine sind, in Anbetracht des ungeheuren Transportwegs und der durchgängig hohen Preise der Lebensbedürfnisse in Indien, nicht sonderlich theuer, z. B. Champagner-Epernay das Duzend Flaschen 40 Rupien (die Rupie ungefähr 1 fl. 30 kr.); 1822er Hochheimer 25 Rupien u. s. w. Gerichtliche Anzeigen, bei denen Eingeborne betheiligt, sind zugleich in englischer Sprache und dem Landesdialekt gedruckt. Hinter den Annoncen kommen "leitende Artikel" über indische oder überhaupt asiatische Angelegenheiten. So findet sich in einem politischen Rückblick der Nummer vom 1 Jan. folgende Stelle: "Das eben abgelaufene Jahr hat nicht nur Amerika und Europa durch die siegreiche Ausführung der transatlantischen Dampfschifffahrtsverbindung verknüpft, sondern auch Asien Europa nahe gerückt durch die erste regelmäßige Einhaltung monatlicher Dampfschifffahrt, durch die Convergenz aller politischen Zwecke auf die orientalische Frage, durch die Ausdehnung europäischer Politik in das Herz von Asien. Frankreich ist durch sein Werkzeug Mehemed Ali und seine französischen Officiere in Aegypten, Syrien und dem östlichen Arabien gegenwärtig; Rußland spielt den Protector der Türkei, ist in Persien zu Haus, drückt auf die Tartarei; Britannien, in Afghanistan vorrückend und mit einem indischen Heere die Invasion auf das Land zurückwerfend, von wo aus so viele Einfälle in Indien stattgefunden, sitzt in seinem Lager zu Kabul, und bewacht die russischen Vorposten. Im rothen Meer ist Aden weggenommen und befestigt, und regelmäßig geht zwischen dort und hier ein monatliches Dampfboot. Innerhalb Indiens sind Kurnul und Dschudpore genommen, in Sattarah der Sultan entsetzt, Baroda unterwürfig; außerhalb Indiens die Landschaft Sind wohl überwacht und in das brittische Interesse gezogen, der Indus überschritten, Ghisni und Kelat erstürmt, Kandahar und Kabul besetzt, Beludschistan gezüchtigt, der Indus unserm Handel zollfrei geöffnet, das Pendschab unsern Heeren erschlossen: - das ist in der That ein gewichtiges Summarium, in welchem Alles auf das letzte Ziel: die Europäisirung Asiens hindeutet. Und wie um auf dem civilen und moralischen Felde das zu vollenden, was die militärischen Bewegungen auf dem politischen und materiellen Feld geleistet haben, hat zugleich in den Geistern Europa's eine allgemeine Bewegung nach Asien hin begonnen. Die Deutschen und die Schweden schreiben Bücher über Indien, die französische Presse discutirt über Syrien und Indien, und in England

öffentlich und laut aussprechen, daß wir einmüthig sämmtliche Anträge, welche der Deputationsbericht enthält, an die hohe Staatsregierung stellen wollen.“ Die Herren Staatsminister v. Könneritz, v. Zeschau und Nostitz-Wallwitz, sowie der königl. Commissär v. Wietersheim verließen den Saal, und bei der nun folgenden Abstimmung durch Namensaufruf erklären 68 anwesende Mitglieder der zweiten Kammer einstimmig ihre Genehmigung des Deputationsgutachtens.

Türkei.

Das Gesetzgebungsconseil ist jetzt mit dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs beschäftigt. Man geht hiebei von dem Gesichtspunkt aus, daß vor dem Gesetze alle zeitlichen wie beständigen Unterthanen der Pforte ohne Unterschied der Religion und des Standes gleich seyn müssen. Dieß ist wichtig, denn an dieser Klippe scheiterten die Unterhandlungen zu dem Abschluß eines Handelsvertrags zwischen der Pforte und Griechenland. Reschid Pascha behauptete nämlich, die in der Türkei sich aufhaltenden Unterthanen Sr. Maj. des Königs von Griechenland müßten in Gesetzübertretungsfällen während ihres Aufenthalts in der Türkei der ottomanischen Jurisdiction unterliegen, da dieß dem in allen Staaten Europa's in Hinsicht der Fremden befolgten Grundsatze gemäß sey, und die Pforte mit der Ausarbeitung eines Pönalcodex sich gegenwärtig beschäftige, der allen Anforderungen des Rechts entsprechen werde, und bei welchem die Strafgesetzbücher der gebildetsten Nationen zum Vorbild genommen worden seyen. Sie können sich wohl denken, daß Hr. Zographos, als seine Gegenvorstellungen kein Gehör fanden, sich dahin erklärte, man müsse abwarten, bis das neue Gesetzbuch erschienen sey, um sich darüber näher verständigen zu können. Diese Vorgänge beschäftigen uns Europäer fast ausschließend, da man allgemein glaubt, daß die Pforte nach Ablauf der jetzt bestehenden Verträge die Gerichtsbarkeit über alle sich hier aufhaltenden Fremden ansprechen werde. Wenn aber das erwartete Gesetzbuch nicht fast immer das Gegentheil von dem anordnet, was Mohammed in seinem Koran vorschreibt, so muß uns die angedrohte osmanische Gerichtsbarkeit nicht wenig um unsre Haut besorgt machen. Ein Gesetz, das oft den Mörder glimpflicher als den Dieb behandelt, das dem Pöbel erlaubt, den auf der That ertappten Ehebrecher zu richten und das Todesurtheil sogleich zu vollziehen (es steht die Strafe der Steinigung darauf), kurz ein Gesetz, das kaum der untersten Stufe der Cultur der arabischen Wüstenbewohner entspricht, dürfte uns Europäer mit gegründetem Schrecken erfüllen. Reschid Pascha versichert freilich, die Pforte wolle bei der Abfassung ihres Pönalcodex die Gesetzbücher gebildeter Nationen zum Muster nehmen; was aber die Ulemas dazu sagen werden, daß man ihnen dadurch einen guten Theil ihres Korans ohne weiteres antiquirt, wollen wir abwarten. Ferner dürfte man schwerlich auch nur Einem Beisitzer des Conseils die Vorkenntnisse zumuthen, die das Verständniß unsrer europäischen Gesetze voraussetzt. Auf der andern Seite muß man gestehen, daß die Pforte gegründete Ursache hätte, sich über das Benehmen der hiesigen europäischen Kanzleien zu beschweren. Sie entbehren gewöhnlich der nöthigen Energie, um den Abschaum ihrer Landsleute, die sich hieher flüchten, um ungestört ihren verbrecherischen Neigungen nachhängen zu können, im Zaum zu halten; sie entbehren auch meistens einer allseitigen juridischen Bildung, selbst um auch nur eine gehörige Voruntersuchung einzuleiten. Daher geschieht es oft, daß durch die Wachsamkeit der türkischen Polizei verhaftete Diebe binnen wenigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden, und daß vorzüglich unter dem Deckmantel wechselseitiger Obligationen die ärgsten Betrügereien verübt werden. In diese, oft sehr verwickelten Geschäfte ist nur dem geübten juridischen Auge die Einsicht möglich. Alle diese Uebelstände werden indessen mehr als hier an andern Handelsplätzen des Orients gefühlt, obwohl auch in Konstantinopel sich bereits häufige Klagen darüber vernehmen ließen.

Ostindien.

Die Redaction der Allgem. Zeitung erhielt in diesen Tagen zum erstenmal eine eigene directe Sendung der Bombay Times über Alexandria und Triest, die jedoch nicht weiter als bis zum 1 Jan. reicht, so daß politisch Erhebliches daraus nicht nachzutragen ist. Die Einrichtung dieser ostindischen Zeitung ist ganz nach dem Muster der Londoner. Voranstehen die Ankündigungen: Schiffsgelegenheiten, Verkäufe u. s. w. – ein Bild des großartigsten Handelslebens. Für europäische Comforts aller Art ist reichlich gesorgt; so beweist z. B. eine von Blackwell, Cursetjee u. Comp. angezeigte Auction des Mobiliarnachlasses des Contre-Admirals Sir F. Maitland, daß Küche und Keller desselben mit dem Feinsten und Besten wohl versehen waren. Europäische Weine sind, in Anbetracht des ungeheuren Transportwegs und der durchgängig hohen Preise der Lebensbedürfnisse in Indien, nicht sonderlich theuer, z. B. Champagner-Epernay das Duzend Flaschen 40 Rupien (die Rupie ungefähr 1 fl. 30 kr.); 1822er Hochheimer 25 Rupien u. s. w. Gerichtliche Anzeigen, bei denen Eingeborne betheiligt, sind zugleich in englischer Sprache und dem Landesdialekt gedruckt. Hinter den Annoncen kommen „leitende Artikel“ über indische oder überhaupt asiatische Angelegenheiten. So findet sich in einem politischen Rückblick der Nummer vom 1 Jan. folgende Stelle: „Das eben abgelaufene Jahr hat nicht nur Amerika und Europa durch die siegreiche Ausführung der transatlantischen Dampfschifffahrtsverbindung verknüpft, sondern auch Asien Europa nahe gerückt durch die erste regelmäßige Einhaltung monatlicher Dampfschifffahrt, durch die Convergenz aller politischen Zwecke auf die orientalische Frage, durch die Ausdehnung europäischer Politik in das Herz von Asien. Frankreich ist durch sein Werkzeug Mehemed Ali und seine französischen Officiere in Aegypten, Syrien und dem östlichen Arabien gegenwärtig; Rußland spielt den Protector der Türkei, ist in Persien zu Haus, drückt auf die Tartarei; Britannien, in Afghanistan vorrückend und mit einem indischen Heere die Invasion auf das Land zurückwerfend, von wo aus so viele Einfälle in Indien stattgefunden, sitzt in seinem Lager zu Kabul, und bewacht die russischen Vorposten. Im rothen Meer ist Aden weggenommen und befestigt, und regelmäßig geht zwischen dort und hier ein monatliches Dampfboot. Innerhalb Indiens sind Kurnul und Dschudpore genommen, in Sattarah der Sultan entsetzt, Baroda unterwürfig; außerhalb Indiens die Landschaft Sind wohl überwacht und in das brittische Interesse gezogen, der Indus überschritten, Ghisni und Kelat erstürmt, Kandahar und Kabul besetzt, Beludschistan gezüchtigt, der Indus unserm Handel zollfrei geöffnet, das Pendschab unsern Heeren erschlossen: – das ist in der That ein gewichtiges Summarium, in welchem Alles auf das letzte Ziel: die Europäisirung Asiens hindeutet. Und wie um auf dem civilen und moralischen Felde das zu vollenden, was die militärischen Bewegungen auf dem politischen und materiellen Feld geleistet haben, hat zugleich in den Geistern Europa's eine allgemeine Bewegung nach Asien hin begonnen. Die Deutschen und die Schweden schreiben Bücher über Indien, die französische Presse discutirt über Syrien und Indien, und in England

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="0557"/>
öffentlich und laut aussprechen, daß wir einmüthig sämmtliche Anträge, welche der Deputationsbericht enthält, an die hohe Staatsregierung stellen wollen.&#x201C; Die Herren Staatsminister v. Könneritz, v. Zeschau und Nostitz-Wallwitz, sowie der königl. Commissär v. Wietersheim verließen den Saal, und bei der nun folgenden Abstimmung durch Namensaufruf erklären 68 anwesende Mitglieder der zweiten Kammer einstimmig ihre Genehmigung des Deputationsgutachtens.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 19 Febr.</dateline>
          <p> Das Gesetzgebungsconseil ist jetzt mit dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs beschäftigt. Man geht hiebei von dem Gesichtspunkt aus, daß vor dem Gesetze alle zeitlichen wie beständigen Unterthanen der Pforte ohne Unterschied der Religion und des Standes gleich seyn müssen. Dieß ist wichtig, denn an dieser Klippe scheiterten die Unterhandlungen zu dem Abschluß eines Handelsvertrags zwischen der Pforte und Griechenland. Reschid Pascha behauptete nämlich, die in der Türkei sich aufhaltenden Unterthanen Sr. Maj. des Königs von Griechenland müßten in Gesetzübertretungsfällen während ihres Aufenthalts in der Türkei der ottomanischen Jurisdiction unterliegen, da dieß dem in allen Staaten Europa's in Hinsicht der Fremden befolgten Grundsatze gemäß sey, und die Pforte mit der Ausarbeitung eines Pönalcodex sich gegenwärtig beschäftige, der allen Anforderungen des Rechts entsprechen werde, und bei welchem die Strafgesetzbücher der gebildetsten Nationen zum Vorbild genommen worden seyen. Sie können sich wohl denken, daß Hr. Zographos, als seine Gegenvorstellungen kein Gehör fanden, sich dahin erklärte, man müsse abwarten, bis das neue Gesetzbuch erschienen sey, um sich darüber näher verständigen zu können. Diese Vorgänge beschäftigen uns Europäer fast ausschließend, da man allgemein glaubt, daß die Pforte nach Ablauf der jetzt bestehenden Verträge die Gerichtsbarkeit über alle sich hier aufhaltenden Fremden ansprechen werde. Wenn aber das erwartete Gesetzbuch nicht fast immer das Gegentheil von dem anordnet, was Mohammed in seinem Koran vorschreibt, so muß uns die angedrohte osmanische Gerichtsbarkeit nicht wenig um unsre Haut besorgt machen. Ein Gesetz, das oft den Mörder glimpflicher als den Dieb behandelt, das dem Pöbel erlaubt, den auf der That ertappten Ehebrecher zu richten und das Todesurtheil sogleich zu vollziehen (es steht die Strafe der Steinigung darauf), kurz ein Gesetz, das kaum der untersten Stufe der Cultur der arabischen Wüstenbewohner entspricht, dürfte uns Europäer mit gegründetem Schrecken erfüllen. Reschid Pascha versichert freilich, die Pforte wolle bei der Abfassung ihres Pönalcodex die Gesetzbücher gebildeter Nationen zum Muster nehmen; was aber die Ulemas dazu sagen werden, daß man ihnen dadurch einen guten Theil ihres Korans ohne weiteres antiquirt, wollen wir abwarten. Ferner dürfte man schwerlich auch nur Einem Beisitzer des Conseils die Vorkenntnisse zumuthen, die das Verständniß unsrer europäischen Gesetze voraussetzt. Auf der andern Seite muß man gestehen, daß die Pforte gegründete Ursache hätte, sich über das Benehmen der hiesigen europäischen Kanzleien zu beschweren. Sie entbehren gewöhnlich der nöthigen Energie, um den Abschaum ihrer Landsleute, die sich hieher flüchten, um ungestört ihren verbrecherischen Neigungen nachhängen zu können, im Zaum zu halten; sie entbehren auch meistens einer allseitigen juridischen Bildung, selbst um auch nur eine gehörige Voruntersuchung einzuleiten. Daher geschieht es oft, daß durch die Wachsamkeit der türkischen Polizei verhaftete Diebe binnen wenigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden, und daß vorzüglich unter dem Deckmantel wechselseitiger Obligationen die ärgsten Betrügereien verübt werden. In diese, oft sehr verwickelten Geschäfte ist nur dem geübten juridischen Auge die Einsicht möglich. Alle diese Uebelstände werden indessen mehr als hier an andern Handelsplätzen des Orients gefühlt, obwohl auch in Konstantinopel sich bereits häufige Klagen darüber vernehmen ließen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Ostindien.</hi> </head><lb/>
        <p>Die Redaction der Allgem. Zeitung erhielt in diesen Tagen zum erstenmal eine eigene directe Sendung der <hi rendition="#g">Bombay Times</hi> über Alexandria und Triest, die jedoch nicht weiter als bis zum 1 Jan. reicht, so daß politisch Erhebliches daraus nicht nachzutragen ist. Die Einrichtung dieser ostindischen Zeitung ist ganz nach dem Muster der Londoner. Voranstehen die Ankündigungen: Schiffsgelegenheiten, Verkäufe u. s. w. &#x2013; ein Bild des großartigsten Handelslebens. Für europäische Comforts aller Art ist reichlich gesorgt; so beweist z. B. eine von Blackwell, Cursetjee u. Comp. angezeigte Auction des Mobiliarnachlasses des Contre-Admirals Sir F. Maitland, daß Küche und Keller desselben mit dem Feinsten und Besten wohl versehen waren. Europäische Weine sind, in Anbetracht des ungeheuren Transportwegs und der durchgängig hohen Preise der Lebensbedürfnisse in Indien, nicht sonderlich theuer, z. B. Champagner-Epernay das Duzend Flaschen 40 Rupien (die Rupie ungefähr 1 fl. 30 kr.); 1822er Hochheimer 25 Rupien u. s. w. Gerichtliche Anzeigen, bei denen Eingeborne betheiligt, sind zugleich in englischer Sprache und dem Landesdialekt gedruckt. Hinter den Annoncen kommen &#x201E;leitende Artikel&#x201C; über indische oder überhaupt asiatische Angelegenheiten. So findet sich in einem politischen Rückblick der Nummer vom 1 Jan. folgende Stelle: &#x201E;Das eben abgelaufene Jahr hat nicht nur Amerika und Europa durch die siegreiche Ausführung der transatlantischen Dampfschifffahrtsverbindung verknüpft, sondern auch Asien Europa nahe gerückt durch die erste regelmäßige Einhaltung monatlicher Dampfschifffahrt, durch die Convergenz aller politischen Zwecke auf die orientalische Frage, durch die Ausdehnung europäischer Politik in das Herz von Asien. Frankreich ist durch sein Werkzeug Mehemed Ali und seine französischen Officiere in Aegypten, Syrien und dem östlichen Arabien gegenwärtig; Rußland spielt den Protector der Türkei, ist in Persien zu Haus, drückt auf die Tartarei; Britannien, in Afghanistan vorrückend und mit einem indischen Heere die Invasion auf das Land zurückwerfend, von wo aus so viele Einfälle in Indien stattgefunden, sitzt in seinem Lager zu Kabul, und bewacht die russischen Vorposten. Im rothen Meer ist Aden weggenommen und befestigt, und regelmäßig geht zwischen dort und hier ein monatliches Dampfboot. Innerhalb Indiens sind Kurnul und Dschudpore genommen, in Sattarah der Sultan entsetzt, Baroda unterwürfig; außerhalb Indiens die Landschaft Sind wohl überwacht und in das brittische Interesse gezogen, der Indus überschritten, Ghisni und Kelat erstürmt, Kandahar und Kabul besetzt, Beludschistan gezüchtigt, der Indus unserm Handel zollfrei geöffnet, das Pendschab unsern Heeren erschlossen: &#x2013; das ist in der That ein gewichtiges Summarium, in welchem Alles auf das letzte Ziel: die Europäisirung Asiens hindeutet. Und wie um auf dem civilen und moralischen Felde das zu vollenden, was die militärischen Bewegungen auf dem politischen und materiellen Feld geleistet haben, hat zugleich in den Geistern Europa's eine allgemeine Bewegung nach Asien hin begonnen. Die Deutschen und die Schweden schreiben Bücher über Indien, die französische Presse discutirt über Syrien und Indien, und in England<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557/0013] öffentlich und laut aussprechen, daß wir einmüthig sämmtliche Anträge, welche der Deputationsbericht enthält, an die hohe Staatsregierung stellen wollen.“ Die Herren Staatsminister v. Könneritz, v. Zeschau und Nostitz-Wallwitz, sowie der königl. Commissär v. Wietersheim verließen den Saal, und bei der nun folgenden Abstimmung durch Namensaufruf erklären 68 anwesende Mitglieder der zweiten Kammer einstimmig ihre Genehmigung des Deputationsgutachtens. Türkei. _ Konstantinopel, 19 Febr. Das Gesetzgebungsconseil ist jetzt mit dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs beschäftigt. Man geht hiebei von dem Gesichtspunkt aus, daß vor dem Gesetze alle zeitlichen wie beständigen Unterthanen der Pforte ohne Unterschied der Religion und des Standes gleich seyn müssen. Dieß ist wichtig, denn an dieser Klippe scheiterten die Unterhandlungen zu dem Abschluß eines Handelsvertrags zwischen der Pforte und Griechenland. Reschid Pascha behauptete nämlich, die in der Türkei sich aufhaltenden Unterthanen Sr. Maj. des Königs von Griechenland müßten in Gesetzübertretungsfällen während ihres Aufenthalts in der Türkei der ottomanischen Jurisdiction unterliegen, da dieß dem in allen Staaten Europa's in Hinsicht der Fremden befolgten Grundsatze gemäß sey, und die Pforte mit der Ausarbeitung eines Pönalcodex sich gegenwärtig beschäftige, der allen Anforderungen des Rechts entsprechen werde, und bei welchem die Strafgesetzbücher der gebildetsten Nationen zum Vorbild genommen worden seyen. Sie können sich wohl denken, daß Hr. Zographos, als seine Gegenvorstellungen kein Gehör fanden, sich dahin erklärte, man müsse abwarten, bis das neue Gesetzbuch erschienen sey, um sich darüber näher verständigen zu können. Diese Vorgänge beschäftigen uns Europäer fast ausschließend, da man allgemein glaubt, daß die Pforte nach Ablauf der jetzt bestehenden Verträge die Gerichtsbarkeit über alle sich hier aufhaltenden Fremden ansprechen werde. Wenn aber das erwartete Gesetzbuch nicht fast immer das Gegentheil von dem anordnet, was Mohammed in seinem Koran vorschreibt, so muß uns die angedrohte osmanische Gerichtsbarkeit nicht wenig um unsre Haut besorgt machen. Ein Gesetz, das oft den Mörder glimpflicher als den Dieb behandelt, das dem Pöbel erlaubt, den auf der That ertappten Ehebrecher zu richten und das Todesurtheil sogleich zu vollziehen (es steht die Strafe der Steinigung darauf), kurz ein Gesetz, das kaum der untersten Stufe der Cultur der arabischen Wüstenbewohner entspricht, dürfte uns Europäer mit gegründetem Schrecken erfüllen. Reschid Pascha versichert freilich, die Pforte wolle bei der Abfassung ihres Pönalcodex die Gesetzbücher gebildeter Nationen zum Muster nehmen; was aber die Ulemas dazu sagen werden, daß man ihnen dadurch einen guten Theil ihres Korans ohne weiteres antiquirt, wollen wir abwarten. Ferner dürfte man schwerlich auch nur Einem Beisitzer des Conseils die Vorkenntnisse zumuthen, die das Verständniß unsrer europäischen Gesetze voraussetzt. Auf der andern Seite muß man gestehen, daß die Pforte gegründete Ursache hätte, sich über das Benehmen der hiesigen europäischen Kanzleien zu beschweren. Sie entbehren gewöhnlich der nöthigen Energie, um den Abschaum ihrer Landsleute, die sich hieher flüchten, um ungestört ihren verbrecherischen Neigungen nachhängen zu können, im Zaum zu halten; sie entbehren auch meistens einer allseitigen juridischen Bildung, selbst um auch nur eine gehörige Voruntersuchung einzuleiten. Daher geschieht es oft, daß durch die Wachsamkeit der türkischen Polizei verhaftete Diebe binnen wenigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden, und daß vorzüglich unter dem Deckmantel wechselseitiger Obligationen die ärgsten Betrügereien verübt werden. In diese, oft sehr verwickelten Geschäfte ist nur dem geübten juridischen Auge die Einsicht möglich. Alle diese Uebelstände werden indessen mehr als hier an andern Handelsplätzen des Orients gefühlt, obwohl auch in Konstantinopel sich bereits häufige Klagen darüber vernehmen ließen. Ostindien. Die Redaction der Allgem. Zeitung erhielt in diesen Tagen zum erstenmal eine eigene directe Sendung der Bombay Times über Alexandria und Triest, die jedoch nicht weiter als bis zum 1 Jan. reicht, so daß politisch Erhebliches daraus nicht nachzutragen ist. Die Einrichtung dieser ostindischen Zeitung ist ganz nach dem Muster der Londoner. Voranstehen die Ankündigungen: Schiffsgelegenheiten, Verkäufe u. s. w. – ein Bild des großartigsten Handelslebens. Für europäische Comforts aller Art ist reichlich gesorgt; so beweist z. B. eine von Blackwell, Cursetjee u. Comp. angezeigte Auction des Mobiliarnachlasses des Contre-Admirals Sir F. Maitland, daß Küche und Keller desselben mit dem Feinsten und Besten wohl versehen waren. Europäische Weine sind, in Anbetracht des ungeheuren Transportwegs und der durchgängig hohen Preise der Lebensbedürfnisse in Indien, nicht sonderlich theuer, z. B. Champagner-Epernay das Duzend Flaschen 40 Rupien (die Rupie ungefähr 1 fl. 30 kr.); 1822er Hochheimer 25 Rupien u. s. w. Gerichtliche Anzeigen, bei denen Eingeborne betheiligt, sind zugleich in englischer Sprache und dem Landesdialekt gedruckt. Hinter den Annoncen kommen „leitende Artikel“ über indische oder überhaupt asiatische Angelegenheiten. So findet sich in einem politischen Rückblick der Nummer vom 1 Jan. folgende Stelle: „Das eben abgelaufene Jahr hat nicht nur Amerika und Europa durch die siegreiche Ausführung der transatlantischen Dampfschifffahrtsverbindung verknüpft, sondern auch Asien Europa nahe gerückt durch die erste regelmäßige Einhaltung monatlicher Dampfschifffahrt, durch die Convergenz aller politischen Zwecke auf die orientalische Frage, durch die Ausdehnung europäischer Politik in das Herz von Asien. Frankreich ist durch sein Werkzeug Mehemed Ali und seine französischen Officiere in Aegypten, Syrien und dem östlichen Arabien gegenwärtig; Rußland spielt den Protector der Türkei, ist in Persien zu Haus, drückt auf die Tartarei; Britannien, in Afghanistan vorrückend und mit einem indischen Heere die Invasion auf das Land zurückwerfend, von wo aus so viele Einfälle in Indien stattgefunden, sitzt in seinem Lager zu Kabul, und bewacht die russischen Vorposten. Im rothen Meer ist Aden weggenommen und befestigt, und regelmäßig geht zwischen dort und hier ein monatliches Dampfboot. Innerhalb Indiens sind Kurnul und Dschudpore genommen, in Sattarah der Sultan entsetzt, Baroda unterwürfig; außerhalb Indiens die Landschaft Sind wohl überwacht und in das brittische Interesse gezogen, der Indus überschritten, Ghisni und Kelat erstürmt, Kandahar und Kabul besetzt, Beludschistan gezüchtigt, der Indus unserm Handel zollfrei geöffnet, das Pendschab unsern Heeren erschlossen: – das ist in der That ein gewichtiges Summarium, in welchem Alles auf das letzte Ziel: die Europäisirung Asiens hindeutet. Und wie um auf dem civilen und moralischen Felde das zu vollenden, was die militärischen Bewegungen auf dem politischen und materiellen Feld geleistet haben, hat zugleich in den Geistern Europa's eine allgemeine Bewegung nach Asien hin begonnen. Die Deutschen und die Schweden schreiben Bücher über Indien, die französische Presse discutirt über Syrien und Indien, und in England

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_070_18400310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_070_18400310/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840, S. 0557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_070_18400310/13>, abgerufen am 19.04.2024.