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Allgemeine Zeitung. Nr. 79. Augsburg, 19. März 1840.

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Reisenotizen.

Es sind Nachrichten von Hrn. James Brooke, der auf der Yacht Royalist Ausflüge im indischen Archipel macht, eingelaufen, die aus Singapur vom 19 Oct. datirt sind. Er hatte drei Monate auf Borneo zugebracht, und darunter zehn Tage im Innern unter dem Dayakstamm der Sibuyaws, mit deren Sitten und Gewohnheiten, und zum Theil auch mit deren Sprache er bekannt wurde. Die Dayaks gehören keineswegs alle zu Einem Stamm, im Gegentheil sollen die Verschiedenheiten sehr auffallend seyn.

Die nach Kurdistan bestimmte Reisegesellschaft der HH. Ainsworth und Rassam sind nach den neuesten Nachrichten, die bis zum 20 Dec. reichen, erst bis Aleppo gekommen, und hoffen, Mosul ohne Schwierigkeiten zu erreichen. (Ausland.)

Ein Besuch beim Vladika von Montenegro.

(Beschluß.)

Wenige Tage vor unserer Ankunft in Czetinje waren zwei Montenegriner, angeblich wegen Bruchs des Waffenstillstandes mit den österreichischen Gränznachbarn und an einem Soldaten begangenen Raubs, vor den Fenstern des Klosters erschossen worden. Dieser Vorwand soll jedoch dem Vladika die erwünschte Gelegenheit geboten haben, Männer aus dem Wege zu räumen, die einer ihm verhaßten Familie angehörten. Derselbe Gewährsmann, auf den ich mich schon weiter oben berief, war einmal Augenzeuge einer Hinrichtungsscene, und die Beschreibung des Verfahrens, das in Montenegro bei Executionen in Anwendung gebracht wird, dürfte hier an ihrem Platze seyn. Mein Gewährsmann hatte die Nacht in Czetinje zugebracht, und nahm eben in Gesellschaft des Vladika sein Frühstück ein, als im Angesichte des Klosters, fast unter seinen Fenstern, die Anstalten zur Hinrichtung zweier, durch den Senat verurtheilten Montenegriner gemacht wurden. Der Vladika sagte lächelnd und seinen Kaffee ungestört schlürfend: "Ich bedaure, Ihnen gerade beim Frühstück dieses Spektakel geben zu müssen." Achtzig bis hundert Mann von der Landguardia waren aufgeboten worden, um den Act der Gerechtigkeit zu vollführen; sie waren in einer langen Linie nach Art unserer Vedettenketten, doch in sehr kleinen Intervallen aufgestellt worden und erwarteten mit geladenem Gewehr und gespanntem Hahn die Delinquenten. In einer Entfernung von etwa vierzig Schritten vor dieser Linie lag ein ziemlich großer Stein, der die Bestimmung hatte, die Entfernung zu markiren, welche die Unglücklichen erreicht haben mußten, bevor es erlaubt war, auf sie Feuer zu geben. Schweigen herrschte in der Reihe der Schützen, welche, wie zu einer Treibjagd versammelt, auf das Wild zu warten schienen. Jetzt wurden die Opfer aus dem alten Kloster herausgeführt, ihre Hände waren auf den Rücken gebunden, der Wind blies durch die langen Haare, welche die bleichen Gesichter überschatteten. Man stellte sie dicht vor die Schützenreihe, drehte sie dann rasch mit dem Rücken gegen dieselbe, und sie in der Richtung nach dem Steine hin stoßend, rief man ihnen zu: "Lauft, was ihr laufen könnt!" Als sie die Entfernung erreicht hatten, in welcher der Stein lag, entluden sich alle Gewehre auf die Fliehenden, und diese stürzten, von zwanzigfacher Todeswunde ereilt, zu Boden. Es soll sich mehr als einmal zugetragen haben, daß es dem Opfer einer solchen Menschenjagd gelang, unverletzt oder nur leicht verwundet zu entkommen und in der Türkei Sicherheit zu finden. Wenn er seines Opfers gewiß seyn will, zumal wenn in den Reihen der Landguardia einige Sympathie für den Verurtheilten zu befürchten ist, theilt der Vladika mehrere seiner verläßlichen Perianiczen unter sie ein, die das Wild dann sicher nicht fehlen. Den Grund zu dem seltsamen Verfahren, das in Montenegro bei Hinrichtungen in Anwendung gebracht wird, ist wohl nicht schwer zu finden. Ein Einzelner, der sich als Werkzeug gebrauchen ließe, würde mit mathematischer Gewißheit als Opfer der Blutrache fallen, welche von den Angehörigen des Hingerichteten als eine heilige Verpflichtung gegen die Manen desselben betrachtet würde, während sich bei der oben beschriebenen Weise durchaus nicht ermitteln läßt, wessen Kugel getroffen hat.

Bei Signor Toni, der Miene machte uns zu verlassen, um sein Bett zu suchen, erkundigten wir uns, ob es denn wahr sey, daß vierzig feindliche Köpfe, welche in dem letzten Scharmützel mit den Türken gefallen, als Siegstrophäen vor dem Kloster aufgepflanzt seyen? Er meinte, wir dürften des Morgens nur unsere Fenster öffnen, um uns durch Augenschein davon zu überzeugen. Dann wünschte er uns eine gute Nacht und entfernte sich. Der Gedanke, den schauerlichen Insignien barbarischer Sitte so nahe zu seyn, verlieh der Nacht, welche wir in Czetinje zubrachten, den Charakter des Abenteuerlichen, und nur der Schlaf, der sich bleiern auf die Wimpern der Ermüdeten senkte, machte unsern Betrachtungen über das Seltsame unserer Lage ein Ende.

Am andern Morgen trieb uns eine sehr begreifliche Neugierde ins Freie; wir sollten ja erst im hellen Tageslicht sehen, was die Nacht der Malerin Phantasie zu eigen gegeben hatte: das alte Kloster, das Castell mit den 40 Türkenköpfen, den neuen Wohnsitz des Vladiken, kurz das Gesammtbild von Czetinje. Wenn die Gebäude, von denen hier die Rede ist, ziemlich ansehnlich erscheinen, so ist's wohl nur für ein durch die Nacktheit und Armseligkeit dieses Felsenlandes vorbereitetes Auge. Der Abstand der Residenz gegen die Hütten des Volkes ist beiläufig nicht größer als der, welchen das Budget von 44,000 fl. gegenüber den armseligen Erwerbsquellen der Unterthanen bildet. Neben dem alten Kloster, das, einem Patricierhause des siebenzehnten Jahrhunderts nicht unähnlich, weder stattlich noch armselig genannt werden kann, steht auf einer Anhöhe eine Art halb ausgebauten runden Thurmes, der mit dem Namen Castell bezeichnet wird, um den türkischen Gränznachbarn, wenn sie davon reden hören, zu imponiren, und ihnen die Lust zu benehmen, die sie etwa verspüren könnten, einen Besuch in Czetinje abzustatten. Der Thurm trägt statt des Daches 40 Holzpfähle, auf denen die Köpfe der erschlagenen Feinde prangen. Aus der Ferne gesehen, gleicht diese wundersame Citadelle einem Nähpolster, welcher mit halbversenkten Stecknadeln verziert ist. Das neue Kloster, in welchem wir übernachtet, ist vom jetzt regierenden Vladiken erbaut worden und hat von außen das Ansehen einer Caserne oder eines Spitals. Es ist nur einen Stock hoch, und der Erbauer scheint weniger die Stattlichkeit der äußern Erscheinung als vielmehr die Bequemlichkeit und Gemächlichkeit im Innern vor Augen gehabt zu haben. Cavaliere Milakovich, der sich zu uns gesellt hatte, schien über unsern Wunsch, die aufgespießten Türkenköpfe in der Nähe zu schauen, höchlich erstaunt, und versicherte mich, als mein Begleiter in der bezeichneten Absicht die Anhöhe erstieg: er begreife nicht, wie man solche Gräuel besehen

Reisenotizen.

Es sind Nachrichten von Hrn. James Brooke, der auf der Yacht Royalist Ausflüge im indischen Archipel macht, eingelaufen, die aus Singapur vom 19 Oct. datirt sind. Er hatte drei Monate auf Borneo zugebracht, und darunter zehn Tage im Innern unter dem Dayakstamm der Sibuyaws, mit deren Sitten und Gewohnheiten, und zum Theil auch mit deren Sprache er bekannt wurde. Die Dayaks gehören keineswegs alle zu Einem Stamm, im Gegentheil sollen die Verschiedenheiten sehr auffallend seyn.

Die nach Kurdistan bestimmte Reisegesellschaft der HH. Ainsworth und Rassam sind nach den neuesten Nachrichten, die bis zum 20 Dec. reichen, erst bis Aleppo gekommen, und hoffen, Mosul ohne Schwierigkeiten zu erreichen. (Ausland.)

Ein Besuch beim Vladika von Montenegro.

(Beschluß.)

Wenige Tage vor unserer Ankunft in Czetinje waren zwei Montenegriner, angeblich wegen Bruchs des Waffenstillstandes mit den österreichischen Gränznachbarn und an einem Soldaten begangenen Raubs, vor den Fenstern des Klosters erschossen worden. Dieser Vorwand soll jedoch dem Vladika die erwünschte Gelegenheit geboten haben, Männer aus dem Wege zu räumen, die einer ihm verhaßten Familie angehörten. Derselbe Gewährsmann, auf den ich mich schon weiter oben berief, war einmal Augenzeuge einer Hinrichtungsscene, und die Beschreibung des Verfahrens, das in Montenegro bei Executionen in Anwendung gebracht wird, dürfte hier an ihrem Platze seyn. Mein Gewährsmann hatte die Nacht in Czetinje zugebracht, und nahm eben in Gesellschaft des Vladika sein Frühstück ein, als im Angesichte des Klosters, fast unter seinen Fenstern, die Anstalten zur Hinrichtung zweier, durch den Senat verurtheilten Montenegriner gemacht wurden. Der Vladika sagte lächelnd und seinen Kaffee ungestört schlürfend: „Ich bedaure, Ihnen gerade beim Frühstück dieses Spektakel geben zu müssen.“ Achtzig bis hundert Mann von der Landguardia waren aufgeboten worden, um den Act der Gerechtigkeit zu vollführen; sie waren in einer langen Linie nach Art unserer Vedettenketten, doch in sehr kleinen Intervallen aufgestellt worden und erwarteten mit geladenem Gewehr und gespanntem Hahn die Delinquenten. In einer Entfernung von etwa vierzig Schritten vor dieser Linie lag ein ziemlich großer Stein, der die Bestimmung hatte, die Entfernung zu markiren, welche die Unglücklichen erreicht haben mußten, bevor es erlaubt war, auf sie Feuer zu geben. Schweigen herrschte in der Reihe der Schützen, welche, wie zu einer Treibjagd versammelt, auf das Wild zu warten schienen. Jetzt wurden die Opfer aus dem alten Kloster herausgeführt, ihre Hände waren auf den Rücken gebunden, der Wind blies durch die langen Haare, welche die bleichen Gesichter überschatteten. Man stellte sie dicht vor die Schützenreihe, drehte sie dann rasch mit dem Rücken gegen dieselbe, und sie in der Richtung nach dem Steine hin stoßend, rief man ihnen zu: „Lauft, was ihr laufen könnt!“ Als sie die Entfernung erreicht hatten, in welcher der Stein lag, entluden sich alle Gewehre auf die Fliehenden, und diese stürzten, von zwanzigfacher Todeswunde ereilt, zu Boden. Es soll sich mehr als einmal zugetragen haben, daß es dem Opfer einer solchen Menschenjagd gelang, unverletzt oder nur leicht verwundet zu entkommen und in der Türkei Sicherheit zu finden. Wenn er seines Opfers gewiß seyn will, zumal wenn in den Reihen der Landguardia einige Sympathie für den Verurtheilten zu befürchten ist, theilt der Vladika mehrere seiner verläßlichen Perianiczen unter sie ein, die das Wild dann sicher nicht fehlen. Den Grund zu dem seltsamen Verfahren, das in Montenegro bei Hinrichtungen in Anwendung gebracht wird, ist wohl nicht schwer zu finden. Ein Einzelner, der sich als Werkzeug gebrauchen ließe, würde mit mathematischer Gewißheit als Opfer der Blutrache fallen, welche von den Angehörigen des Hingerichteten als eine heilige Verpflichtung gegen die Manen desselben betrachtet würde, während sich bei der oben beschriebenen Weise durchaus nicht ermitteln läßt, wessen Kugel getroffen hat.

Bei Signor Toni, der Miene machte uns zu verlassen, um sein Bett zu suchen, erkundigten wir uns, ob es denn wahr sey, daß vierzig feindliche Köpfe, welche in dem letzten Scharmützel mit den Türken gefallen, als Siegstrophäen vor dem Kloster aufgepflanzt seyen? Er meinte, wir dürften des Morgens nur unsere Fenster öffnen, um uns durch Augenschein davon zu überzeugen. Dann wünschte er uns eine gute Nacht und entfernte sich. Der Gedanke, den schauerlichen Insignien barbarischer Sitte so nahe zu seyn, verlieh der Nacht, welche wir in Czetinje zubrachten, den Charakter des Abenteuerlichen, und nur der Schlaf, der sich bleiern auf die Wimpern der Ermüdeten senkte, machte unsern Betrachtungen über das Seltsame unserer Lage ein Ende.

Am andern Morgen trieb uns eine sehr begreifliche Neugierde ins Freie; wir sollten ja erst im hellen Tageslicht sehen, was die Nacht der Malerin Phantasie zu eigen gegeben hatte: das alte Kloster, das Castell mit den 40 Türkenköpfen, den neuen Wohnsitz des Vladiken, kurz das Gesammtbild von Czetinje. Wenn die Gebäude, von denen hier die Rede ist, ziemlich ansehnlich erscheinen, so ist's wohl nur für ein durch die Nacktheit und Armseligkeit dieses Felsenlandes vorbereitetes Auge. Der Abstand der Residenz gegen die Hütten des Volkes ist beiläufig nicht größer als der, welchen das Budget von 44,000 fl. gegenüber den armseligen Erwerbsquellen der Unterthanen bildet. Neben dem alten Kloster, das, einem Patricierhause des siebenzehnten Jahrhunderts nicht unähnlich, weder stattlich noch armselig genannt werden kann, steht auf einer Anhöhe eine Art halb ausgebauten runden Thurmes, der mit dem Namen Castell bezeichnet wird, um den türkischen Gränznachbarn, wenn sie davon reden hören, zu imponiren, und ihnen die Lust zu benehmen, die sie etwa verspüren könnten, einen Besuch in Czetinje abzustatten. Der Thurm trägt statt des Daches 40 Holzpfähle, auf denen die Köpfe der erschlagenen Feinde prangen. Aus der Ferne gesehen, gleicht diese wundersame Citadelle einem Nähpolster, welcher mit halbversenkten Stecknadeln verziert ist. Das neue Kloster, in welchem wir übernachtet, ist vom jetzt regierenden Vladiken erbaut worden und hat von außen das Ansehen einer Caserne oder eines Spitals. Es ist nur einen Stock hoch, und der Erbauer scheint weniger die Stattlichkeit der äußern Erscheinung als vielmehr die Bequemlichkeit und Gemächlichkeit im Innern vor Augen gehabt zu haben. Cavaliere Milakovich, der sich zu uns gesellt hatte, schien über unsern Wunsch, die aufgespießten Türkenköpfe in der Nähe zu schauen, höchlich erstaunt, und versicherte mich, als mein Begleiter in der bezeichneten Absicht die Anhöhe erstieg: er begreife nicht, wie man solche Gräuel besehen

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[0625/0009] Reisenotizen. Es sind Nachrichten von Hrn. James Brooke, der auf der Yacht Royalist Ausflüge im indischen Archipel macht, eingelaufen, die aus Singapur vom 19 Oct. datirt sind. Er hatte drei Monate auf Borneo zugebracht, und darunter zehn Tage im Innern unter dem Dayakstamm der Sibuyaws, mit deren Sitten und Gewohnheiten, und zum Theil auch mit deren Sprache er bekannt wurde. Die Dayaks gehören keineswegs alle zu Einem Stamm, im Gegentheil sollen die Verschiedenheiten sehr auffallend seyn. Die nach Kurdistan bestimmte Reisegesellschaft der HH. Ainsworth und Rassam sind nach den neuesten Nachrichten, die bis zum 20 Dec. reichen, erst bis Aleppo gekommen, und hoffen, Mosul ohne Schwierigkeiten zu erreichen. (Ausland.) Ein Besuch beim Vladika von Montenegro. (Beschluß.) Wenige Tage vor unserer Ankunft in Czetinje waren zwei Montenegriner, angeblich wegen Bruchs des Waffenstillstandes mit den österreichischen Gränznachbarn und an einem Soldaten begangenen Raubs, vor den Fenstern des Klosters erschossen worden. Dieser Vorwand soll jedoch dem Vladika die erwünschte Gelegenheit geboten haben, Männer aus dem Wege zu räumen, die einer ihm verhaßten Familie angehörten. Derselbe Gewährsmann, auf den ich mich schon weiter oben berief, war einmal Augenzeuge einer Hinrichtungsscene, und die Beschreibung des Verfahrens, das in Montenegro bei Executionen in Anwendung gebracht wird, dürfte hier an ihrem Platze seyn. Mein Gewährsmann hatte die Nacht in Czetinje zugebracht, und nahm eben in Gesellschaft des Vladika sein Frühstück ein, als im Angesichte des Klosters, fast unter seinen Fenstern, die Anstalten zur Hinrichtung zweier, durch den Senat verurtheilten Montenegriner gemacht wurden. Der Vladika sagte lächelnd und seinen Kaffee ungestört schlürfend: „Ich bedaure, Ihnen gerade beim Frühstück dieses Spektakel geben zu müssen.“ Achtzig bis hundert Mann von der Landguardia waren aufgeboten worden, um den Act der Gerechtigkeit zu vollführen; sie waren in einer langen Linie nach Art unserer Vedettenketten, doch in sehr kleinen Intervallen aufgestellt worden und erwarteten mit geladenem Gewehr und gespanntem Hahn die Delinquenten. In einer Entfernung von etwa vierzig Schritten vor dieser Linie lag ein ziemlich großer Stein, der die Bestimmung hatte, die Entfernung zu markiren, welche die Unglücklichen erreicht haben mußten, bevor es erlaubt war, auf sie Feuer zu geben. Schweigen herrschte in der Reihe der Schützen, welche, wie zu einer Treibjagd versammelt, auf das Wild zu warten schienen. Jetzt wurden die Opfer aus dem alten Kloster herausgeführt, ihre Hände waren auf den Rücken gebunden, der Wind blies durch die langen Haare, welche die bleichen Gesichter überschatteten. Man stellte sie dicht vor die Schützenreihe, drehte sie dann rasch mit dem Rücken gegen dieselbe, und sie in der Richtung nach dem Steine hin stoßend, rief man ihnen zu: „Lauft, was ihr laufen könnt!“ Als sie die Entfernung erreicht hatten, in welcher der Stein lag, entluden sich alle Gewehre auf die Fliehenden, und diese stürzten, von zwanzigfacher Todeswunde ereilt, zu Boden. Es soll sich mehr als einmal zugetragen haben, daß es dem Opfer einer solchen Menschenjagd gelang, unverletzt oder nur leicht verwundet zu entkommen und in der Türkei Sicherheit zu finden. Wenn er seines Opfers gewiß seyn will, zumal wenn in den Reihen der Landguardia einige Sympathie für den Verurtheilten zu befürchten ist, theilt der Vladika mehrere seiner verläßlichen Perianiczen unter sie ein, die das Wild dann sicher nicht fehlen. Den Grund zu dem seltsamen Verfahren, das in Montenegro bei Hinrichtungen in Anwendung gebracht wird, ist wohl nicht schwer zu finden. Ein Einzelner, der sich als Werkzeug gebrauchen ließe, würde mit mathematischer Gewißheit als Opfer der Blutrache fallen, welche von den Angehörigen des Hingerichteten als eine heilige Verpflichtung gegen die Manen desselben betrachtet würde, während sich bei der oben beschriebenen Weise durchaus nicht ermitteln läßt, wessen Kugel getroffen hat. Bei Signor Toni, der Miene machte uns zu verlassen, um sein Bett zu suchen, erkundigten wir uns, ob es denn wahr sey, daß vierzig feindliche Köpfe, welche in dem letzten Scharmützel mit den Türken gefallen, als Siegstrophäen vor dem Kloster aufgepflanzt seyen? Er meinte, wir dürften des Morgens nur unsere Fenster öffnen, um uns durch Augenschein davon zu überzeugen. Dann wünschte er uns eine gute Nacht und entfernte sich. Der Gedanke, den schauerlichen Insignien barbarischer Sitte so nahe zu seyn, verlieh der Nacht, welche wir in Czetinje zubrachten, den Charakter des Abenteuerlichen, und nur der Schlaf, der sich bleiern auf die Wimpern der Ermüdeten senkte, machte unsern Betrachtungen über das Seltsame unserer Lage ein Ende. Am andern Morgen trieb uns eine sehr begreifliche Neugierde ins Freie; wir sollten ja erst im hellen Tageslicht sehen, was die Nacht der Malerin Phantasie zu eigen gegeben hatte: das alte Kloster, das Castell mit den 40 Türkenköpfen, den neuen Wohnsitz des Vladiken, kurz das Gesammtbild von Czetinje. Wenn die Gebäude, von denen hier die Rede ist, ziemlich ansehnlich erscheinen, so ist's wohl nur für ein durch die Nacktheit und Armseligkeit dieses Felsenlandes vorbereitetes Auge. Der Abstand der Residenz gegen die Hütten des Volkes ist beiläufig nicht größer als der, welchen das Budget von 44,000 fl. gegenüber den armseligen Erwerbsquellen der Unterthanen bildet. Neben dem alten Kloster, das, einem Patricierhause des siebenzehnten Jahrhunderts nicht unähnlich, weder stattlich noch armselig genannt werden kann, steht auf einer Anhöhe eine Art halb ausgebauten runden Thurmes, der mit dem Namen Castell bezeichnet wird, um den türkischen Gränznachbarn, wenn sie davon reden hören, zu imponiren, und ihnen die Lust zu benehmen, die sie etwa verspüren könnten, einen Besuch in Czetinje abzustatten. Der Thurm trägt statt des Daches 40 Holzpfähle, auf denen die Köpfe der erschlagenen Feinde prangen. Aus der Ferne gesehen, gleicht diese wundersame Citadelle einem Nähpolster, welcher mit halbversenkten Stecknadeln verziert ist. Das neue Kloster, in welchem wir übernachtet, ist vom jetzt regierenden Vladiken erbaut worden und hat von außen das Ansehen einer Caserne oder eines Spitals. Es ist nur einen Stock hoch, und der Erbauer scheint weniger die Stattlichkeit der äußern Erscheinung als vielmehr die Bequemlichkeit und Gemächlichkeit im Innern vor Augen gehabt zu haben. Cavaliere Milakovich, der sich zu uns gesellt hatte, schien über unsern Wunsch, die aufgespießten Türkenköpfe in der Nähe zu schauen, höchlich erstaunt, und versicherte mich, als mein Begleiter in der bezeichneten Absicht die Anhöhe erstieg: er begreife nicht, wie man solche Gräuel besehen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 79. Augsburg, 19. März 1840, S. 0625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_079_18400319/9>, abgerufen am 28.04.2024.