Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

des Fürsten Milosch zum Zwecke hatte, neue Nahrung erhalten. Es sind in Folge dessen abermals Verhaftungen vorgenommen und andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden (wie z. B., daß eine Stunde nach Sonnenuntergang Jeder, der sich auf den Straßen zeigt, festgenommen wird u. s. w.), die um so mehr beunruhigen, als ihnen keine öffentliche Verkündung, selbst nicht die Bekanntmachung ihres Zweckes und ihrer Veranlassung vorausging, und nicht einmal an die fremden Agenten darüber eine Mittheilung erfolgt ist. Man will wissen, der Senatspräsident, Hr. Jephrem Obrenowitsch, Bruder des Fürsten Milosch, sey die Seele des neuen Planes. Zwar hat Hr. Jephrem vielleicht das Meiste zum Sturze seines Bruders beigetragen, wozu ihn vorzugsweise sein ungezügelter Ehrgeiz verleitete. Er war zum Theil der Gründer der Opposition unter Milosch, oder hat wenigstens durch seinen Beitritt diese so gekräftigt, daß sie mit Hülfe eines fremden Einflusses die großen Veränderungen des letzten Jahres in Serbien zu vollbringen vermochte. Ohne Zweifel versprach sich sein Ehrgeiz nach dem Sturze des Bruders - in Anbetracht des physischen Zustandes des bereits verstorbenen Prinzen Milan und des jugendlichen Alters des jetzigen Fürsten Michael - eine große und glänzende Rolle in den öffentlichen Angelegenheiten; allein die kurze Erfahrung hat ihn bereits enttäuscht und der Schmerz hierüber wird nun durch das bittere Gefühl der Reue verschärft. Seine beiden Collegen in der Regentschaft, die er für sich allein zu erlangen gehofft haben mag, haben ihn nämlich überflügelt. A. Petroniewitsch und Wucsitsch sind dermalen die Herren Serbiens, und werden ohne Zweifel ihren vorherrschenden Einfluß auch auf den jungen Fürsten Michael für die Folge geltend zu machen wissen. Diese Einsicht scheint Hrn. Jephrem die Augen geöffnet zu haben über die Unklugheit einer Opposition gegen den eigenen Bruder; er begreift jetzt zu spät, daß er damit nichts gewonnen und, wie es schon geht, ängstigt er sich noch überdieß mit dem Gedanken, daß das Recht der Thronfolge der Familie Obrenowitsch gänzlich entzogen werden könnte. Die Spaltung in der Regentschaft erstreckt sich auch auf den Senat, in welchem Hr. Jephrem ebenfalls seine Partei hat; der Minister des Innern steht auf seiner Seite; allein diese Partei bildet die Minderzahl und wird in allen Fragen von den Gegnern überstimmt, die überdieß der besondern Theilnahme des russischen Consuls sich erfreuen, während Hr. Jephrem, so sehr er sich in frühern Zeiten um Rußland verdient gemacht hat, von den Agenten dieser Macht ganz bei Seite gesetzt wird. So ist sein Wunsch einer Aenderung der gegenwärtigen Verhältnisse erklärbar; indessen scheint die Zeit hiezu noch nicht gekommen, obwohl sich noch verschiedene andere Elemente zum gleichen Ziele vereinigen. So arbeiten insbesondere die regulären Truppen des Fürsten Milosch unermüdet an einer Gegenrevolution, und im gemeinen Volke, wo noch viele Sympathie für Milosch zu finden ist, zeigt sich zu Gunsten eines solchen Unternehmens ebenfalls große Neigung; allein so lange das gegenwärtige Regime Rußland und somit auch die Pforte für sich hat, darf es wohl nichts fürchten. - Die, wie es scheint, bevorstehenden wichtigen Ereignisse werden zeigen, in wie weit diese Behauptung richtig ist. Als solche betrachtet man erstens die nahe Ankunft des Fürsten Michael, welche die Parteifrage in der Regentschaft und dem Senate entscheiden muß. Man hält nicht für unmöglich, daß die herrschende Partei von dem Fürsten Michael, als eclatantes Zeichen seiner Anhänglichkeit an das Statut, die Verbannung seiner beiden Oheime, Hrn. Jephrems und Johann Obrenowitschs, welch' letzterer bekanntlich bei dem Gegenrevolutionsversuche im vorigen Jahre an der Spitze stand, vom heimathlichen Boden fordert. Als zweites wichtiges Ereigniß bezeichnet man die bevorstehende Nationalversammlung, welche von der Regentschaft, die über ihr Thun und Lassen, dann über die Verwendung des öffentlichen Schatzes Rechenschaft ablegen und sich von dem auf ihr lastenden Verdacht der Vergeudung reinigen will, ehestens einberufen werden wird. Man hofft dadurch einer Explosion im Volke, die bei dem geringen Culturzustande desselben von gräßlichen Folgen seyn könnte, am geeignetsten vorzubeugen. - Der russische Consul hat Belgrad gestern ganz in der Stille verlassen, um sich zu dem Fürsten Michael zu begeben, welcher vorgestern die Quarantäne von Alexineze verlassen haben wird.

Chiwa.

Im zweiten Bändchen der vor einigen Tagen von der Akademie der Wissenschaften hier veröffentlichten Beiträge zur Kenntniß des russischen Reichs und der ihm angränzenden Länder Asiens, das Nachrichten über Chiwa, Bochara, Chokand und den nordwestlichen Theil China's enthält, lesen wir unter andern Bemerkungen über Chiwa eine uns jetzt gerade mehr denn sonst interessirende Darstellung über sein Heer und dessen Kriegführung, die den Notizen des Generals Gens, Präsidenten der asiatischen Gränzcommission in Orenburg, entlehnt ist, wie sie dieser nach den mündlichen Berichten der neuerlichst aus Chiwa nach Orenburg zurückgekommenen russischen Gefangenen sich aufzeichnete. - "Im Heer des Chans," heißt es darin, "dienen Usbeken, Turkmenen, Karakalpaken und Sarten; die meisten und besten Krieger liefern die beiden ersten Volksstämme. Wer im Dienst sein eigenes Pferd braucht, erhält jährlich einen Sold von 25 Ducaten, die eine Hälfte in Gold, die andere in Brod. Während eines Feldzugs erhält jeder Fourrage für sein Pferd, für sich selbst täglich eine Portion Grütze, die aber nicht hinreicht, daher jeder noch eigenen Mundvorrath mit sich führen muß. Zwei Soldaten sind verbunden, zusammen ein Kamel zu haben; die Wasserschläuche, die das Thier trägt, gibt der Chan. Officiere beziehen einen Gehalt von 40 bis 70 Ducaten, erhalten überdieß im Kriege Brod, Fisch, Fleisch, und für ihre Pferde Fourrage. Wer kein eigenes Pferd besitzt, erhält vom Chan einen Argamak (turkmenischen Hengst) und 15 Ducaten Gehalt in barem Gelde oder an Brod, nach dem Marktpreis, wie es jeder wünscht. Fällt ein Pferd des Chans, so gibt man dessen Reiter ein anderes, oder Geld um eins zu kaufen; zum Beweis aber, daß das Thier wirklich umkam, muß dessen Schweif dem Mehter (Schatzmeister) vorgezeigt werden. Die Jubaschi sehen täglich nach den Pferden; finden sie, daß ein Reiter für das seinige schlecht sorgt, bestrafen sie ihn mit Ruthenhieben. - Die Soldaten müssen zu jeder Zeit schlagfertig seyn, und dem Chan den Zehnten von der Beute abgeben.

"Außer den eigentlichen Kriegern ziehen auch Freiwillige, die keinen Sold erhalten, ins Feld, in der Hoffnung, durch die Beute und durch eine ergiebige Einnahme für feindliche Ohren und Köpfe entschädigt zu werden. Die Ohren werden nämlich von der Regierung mit fünf Tanga *) das Stück, die Köpfe doppelt so hoch bezahlt. Die Krieger sind sämmtlich beritten, mit Säbel und Lanze, wenige nur mit Flinten, die Turkmenen noch überdieß mit einem langen Messer bewaffnet. Die Anführer tragen Panzerhemde, die ihnen der Chan gibt und die er aus Persien bezieht, die Flinten aber sollen in Chiwa selbst verfertigt werden. Sie sind von kleinerm Kaliber als russische Soldatenflinten, werden meist nur von Usbeken gebraucht und in Friedenszeiten am Hofe des Chans aufbewahrt.

*) 28 Tanga gehen auf einen chiwaischen Ducaten.

des Fürsten Milosch zum Zwecke hatte, neue Nahrung erhalten. Es sind in Folge dessen abermals Verhaftungen vorgenommen und andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden (wie z. B., daß eine Stunde nach Sonnenuntergang Jeder, der sich auf den Straßen zeigt, festgenommen wird u. s. w.), die um so mehr beunruhigen, als ihnen keine öffentliche Verkündung, selbst nicht die Bekanntmachung ihres Zweckes und ihrer Veranlassung vorausging, und nicht einmal an die fremden Agenten darüber eine Mittheilung erfolgt ist. Man will wissen, der Senatspräsident, Hr. Jephrem Obrenowitsch, Bruder des Fürsten Milosch, sey die Seele des neuen Planes. Zwar hat Hr. Jephrem vielleicht das Meiste zum Sturze seines Bruders beigetragen, wozu ihn vorzugsweise sein ungezügelter Ehrgeiz verleitete. Er war zum Theil der Gründer der Opposition unter Milosch, oder hat wenigstens durch seinen Beitritt diese so gekräftigt, daß sie mit Hülfe eines fremden Einflusses die großen Veränderungen des letzten Jahres in Serbien zu vollbringen vermochte. Ohne Zweifel versprach sich sein Ehrgeiz nach dem Sturze des Bruders – in Anbetracht des physischen Zustandes des bereits verstorbenen Prinzen Milan und des jugendlichen Alters des jetzigen Fürsten Michael – eine große und glänzende Rolle in den öffentlichen Angelegenheiten; allein die kurze Erfahrung hat ihn bereits enttäuscht und der Schmerz hierüber wird nun durch das bittere Gefühl der Reue verschärft. Seine beiden Collegen in der Regentschaft, die er für sich allein zu erlangen gehofft haben mag, haben ihn nämlich überflügelt. A. Petroniewitsch und Wucsitsch sind dermalen die Herren Serbiens, und werden ohne Zweifel ihren vorherrschenden Einfluß auch auf den jungen Fürsten Michael für die Folge geltend zu machen wissen. Diese Einsicht scheint Hrn. Jephrem die Augen geöffnet zu haben über die Unklugheit einer Opposition gegen den eigenen Bruder; er begreift jetzt zu spät, daß er damit nichts gewonnen und, wie es schon geht, ängstigt er sich noch überdieß mit dem Gedanken, daß das Recht der Thronfolge der Familie Obrenowitsch gänzlich entzogen werden könnte. Die Spaltung in der Regentschaft erstreckt sich auch auf den Senat, in welchem Hr. Jephrem ebenfalls seine Partei hat; der Minister des Innern steht auf seiner Seite; allein diese Partei bildet die Minderzahl und wird in allen Fragen von den Gegnern überstimmt, die überdieß der besondern Theilnahme des russischen Consuls sich erfreuen, während Hr. Jephrem, so sehr er sich in frühern Zeiten um Rußland verdient gemacht hat, von den Agenten dieser Macht ganz bei Seite gesetzt wird. So ist sein Wunsch einer Aenderung der gegenwärtigen Verhältnisse erklärbar; indessen scheint die Zeit hiezu noch nicht gekommen, obwohl sich noch verschiedene andere Elemente zum gleichen Ziele vereinigen. So arbeiten insbesondere die regulären Truppen des Fürsten Milosch unermüdet an einer Gegenrevolution, und im gemeinen Volke, wo noch viele Sympathie für Milosch zu finden ist, zeigt sich zu Gunsten eines solchen Unternehmens ebenfalls große Neigung; allein so lange das gegenwärtige Regime Rußland und somit auch die Pforte für sich hat, darf es wohl nichts fürchten. – Die, wie es scheint, bevorstehenden wichtigen Ereignisse werden zeigen, in wie weit diese Behauptung richtig ist. Als solche betrachtet man erstens die nahe Ankunft des Fürsten Michael, welche die Parteifrage in der Regentschaft und dem Senate entscheiden muß. Man hält nicht für unmöglich, daß die herrschende Partei von dem Fürsten Michael, als eclatantes Zeichen seiner Anhänglichkeit an das Statut, die Verbannung seiner beiden Oheime, Hrn. Jephrems und Johann Obrenowitschs, welch' letzterer bekanntlich bei dem Gegenrevolutionsversuche im vorigen Jahre an der Spitze stand, vom heimathlichen Boden fordert. Als zweites wichtiges Ereigniß bezeichnet man die bevorstehende Nationalversammlung, welche von der Regentschaft, die über ihr Thun und Lassen, dann über die Verwendung des öffentlichen Schatzes Rechenschaft ablegen und sich von dem auf ihr lastenden Verdacht der Vergeudung reinigen will, ehestens einberufen werden wird. Man hofft dadurch einer Explosion im Volke, die bei dem geringen Culturzustande desselben von gräßlichen Folgen seyn könnte, am geeignetsten vorzubeugen. – Der russische Consul hat Belgrad gestern ganz in der Stille verlassen, um sich zu dem Fürsten Michael zu begeben, welcher vorgestern die Quarantäne von Alexineze verlassen haben wird.

Chiwa.

Im zweiten Bändchen der vor einigen Tagen von der Akademie der Wissenschaften hier veröffentlichten Beiträge zur Kenntniß des russischen Reichs und der ihm angränzenden Länder Asiens, das Nachrichten über Chiwa, Bochara, Chokand und den nordwestlichen Theil China's enthält, lesen wir unter andern Bemerkungen über Chiwa eine uns jetzt gerade mehr denn sonst interessirende Darstellung über sein Heer und dessen Kriegführung, die den Notizen des Generals Gens, Präsidenten der asiatischen Gränzcommission in Orenburg, entlehnt ist, wie sie dieser nach den mündlichen Berichten der neuerlichst aus Chiwa nach Orenburg zurückgekommenen russischen Gefangenen sich aufzeichnete. – „Im Heer des Chans,“ heißt es darin, „dienen Usbeken, Turkmenen, Karakalpaken und Sarten; die meisten und besten Krieger liefern die beiden ersten Volksstämme. Wer im Dienst sein eigenes Pferd braucht, erhält jährlich einen Sold von 25 Ducaten, die eine Hälfte in Gold, die andere in Brod. Während eines Feldzugs erhält jeder Fourrage für sein Pferd, für sich selbst täglich eine Portion Grütze, die aber nicht hinreicht, daher jeder noch eigenen Mundvorrath mit sich führen muß. Zwei Soldaten sind verbunden, zusammen ein Kamel zu haben; die Wasserschläuche, die das Thier trägt, gibt der Chan. Officiere beziehen einen Gehalt von 40 bis 70 Ducaten, erhalten überdieß im Kriege Brod, Fisch, Fleisch, und für ihre Pferde Fourrage. Wer kein eigenes Pferd besitzt, erhält vom Chan einen Argamak (turkmenischen Hengst) und 15 Ducaten Gehalt in barem Gelde oder an Brod, nach dem Marktpreis, wie es jeder wünscht. Fällt ein Pferd des Chans, so gibt man dessen Reiter ein anderes, oder Geld um eins zu kaufen; zum Beweis aber, daß das Thier wirklich umkam, muß dessen Schweif dem Mehter (Schatzmeister) vorgezeigt werden. Die Jubaschi sehen täglich nach den Pferden; finden sie, daß ein Reiter für das seinige schlecht sorgt, bestrafen sie ihn mit Ruthenhieben. – Die Soldaten müssen zu jeder Zeit schlagfertig seyn, und dem Chan den Zehnten von der Beute abgeben.

„Außer den eigentlichen Kriegern ziehen auch Freiwillige, die keinen Sold erhalten, ins Feld, in der Hoffnung, durch die Beute und durch eine ergiebige Einnahme für feindliche Ohren und Köpfe entschädigt zu werden. Die Ohren werden nämlich von der Regierung mit fünf Tanga *) das Stück, die Köpfe doppelt so hoch bezahlt. Die Krieger sind sämmtlich beritten, mit Säbel und Lanze, wenige nur mit Flinten, die Turkmenen noch überdieß mit einem langen Messer bewaffnet. Die Anführer tragen Panzerhemde, die ihnen der Chan gibt und die er aus Persien bezieht, die Flinten aber sollen in Chiwa selbst verfertigt werden. Sie sind von kleinerm Kaliber als russische Soldatenflinten, werden meist nur von Usbeken gebraucht und in Friedenszeiten am Hofe des Chans aufbewahrt.

*) 28 Tanga gehen auf einen chiwaischen Ducaten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0011" n="0667"/>
des Fürsten Milosch zum Zwecke hatte, neue Nahrung erhalten. Es sind in Folge dessen abermals Verhaftungen vorgenommen und andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden (wie z. B., daß eine Stunde nach Sonnenuntergang Jeder, der sich auf den Straßen zeigt, festgenommen wird u. s. w.), die um so mehr beunruhigen, als ihnen keine öffentliche Verkündung, selbst nicht die Bekanntmachung ihres Zweckes und ihrer Veranlassung vorausging, und nicht einmal an die fremden Agenten darüber eine Mittheilung erfolgt ist. Man will wissen, der Senatspräsident, Hr. Jephrem Obrenowitsch, Bruder des Fürsten Milosch, sey die Seele des neuen Planes. Zwar hat Hr. Jephrem vielleicht das Meiste zum Sturze seines Bruders beigetragen, wozu ihn vorzugsweise sein ungezügelter Ehrgeiz verleitete. Er war zum Theil der Gründer der Opposition unter Milosch, oder hat wenigstens durch seinen Beitritt diese so gekräftigt, daß sie mit Hülfe eines fremden Einflusses die großen Veränderungen des letzten Jahres in Serbien zu vollbringen vermochte. Ohne Zweifel versprach sich sein Ehrgeiz nach dem Sturze des Bruders &#x2013; in Anbetracht des physischen Zustandes des bereits verstorbenen Prinzen Milan und des jugendlichen Alters des jetzigen Fürsten Michael &#x2013; eine große und glänzende Rolle in den öffentlichen Angelegenheiten; allein die kurze Erfahrung hat ihn bereits enttäuscht und der Schmerz hierüber wird nun durch das bittere Gefühl der Reue verschärft. Seine beiden Collegen in der Regentschaft, die er für sich allein zu erlangen gehofft haben mag, haben ihn nämlich überflügelt. A. Petroniewitsch und Wucsitsch sind dermalen die Herren Serbiens, und werden ohne Zweifel ihren vorherrschenden Einfluß auch auf den jungen Fürsten Michael für die Folge geltend zu machen wissen. Diese Einsicht scheint Hrn. Jephrem die Augen geöffnet zu haben über die Unklugheit einer Opposition gegen den eigenen Bruder; er begreift jetzt zu spät, daß er damit nichts gewonnen und, wie es schon geht, ängstigt er sich noch überdieß mit dem Gedanken, daß das Recht der Thronfolge der Familie Obrenowitsch gänzlich entzogen werden könnte. Die Spaltung in der Regentschaft erstreckt sich auch auf den Senat, in welchem Hr. Jephrem ebenfalls seine Partei hat; der Minister des Innern steht auf seiner Seite; allein diese Partei bildet die Minderzahl und wird in allen Fragen von den Gegnern überstimmt, die überdieß der besondern Theilnahme des russischen Consuls sich erfreuen, während Hr. Jephrem, so sehr er sich in frühern Zeiten um Rußland verdient gemacht hat, von den Agenten dieser Macht ganz bei Seite gesetzt wird. So ist sein Wunsch einer Aenderung der gegenwärtigen Verhältnisse erklärbar; indessen scheint die Zeit hiezu noch nicht gekommen, obwohl sich noch verschiedene andere Elemente zum gleichen Ziele vereinigen. So arbeiten insbesondere die regulären Truppen des Fürsten Milosch unermüdet an einer Gegenrevolution, und im gemeinen Volke, wo noch viele Sympathie für Milosch zu finden ist, zeigt sich zu Gunsten eines solchen Unternehmens ebenfalls große Neigung; allein so lange das gegenwärtige Regime Rußland und somit auch die Pforte für sich hat, darf es wohl nichts fürchten. &#x2013; Die, wie es scheint, bevorstehenden wichtigen Ereignisse werden zeigen, in wie weit diese Behauptung richtig ist. Als solche betrachtet man erstens die nahe Ankunft des Fürsten Michael, welche die Parteifrage in der Regentschaft und dem Senate entscheiden muß. Man hält nicht für unmöglich, daß die herrschende Partei von dem Fürsten Michael, als eclatantes Zeichen seiner Anhänglichkeit an das Statut, die Verbannung seiner beiden Oheime, Hrn. Jephrems und Johann Obrenowitschs, welch' letzterer bekanntlich bei dem Gegenrevolutionsversuche im vorigen Jahre an der Spitze stand, vom heimathlichen Boden fordert. Als zweites wichtiges Ereigniß bezeichnet man die bevorstehende Nationalversammlung, welche von der Regentschaft, die über ihr Thun und Lassen, dann über die Verwendung des öffentlichen Schatzes Rechenschaft ablegen und sich von dem auf ihr lastenden Verdacht der Vergeudung reinigen will, ehestens einberufen werden wird. Man hofft dadurch einer Explosion im Volke, die bei dem geringen Culturzustande desselben von gräßlichen Folgen seyn könnte, am geeignetsten vorzubeugen. &#x2013; Der russische Consul hat Belgrad gestern ganz in der Stille verlassen, um sich zu dem Fürsten Michael zu begeben, welcher vorgestern die Quarantäne von Alexineze verlassen haben wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Chiwa.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">St. Petersburg,</hi> 6 März.</dateline>
          <p> Im zweiten Bändchen der vor einigen Tagen von der Akademie der Wissenschaften hier veröffentlichten Beiträge zur Kenntniß des russischen Reichs und der ihm angränzenden Länder Asiens, das Nachrichten über Chiwa, Bochara, Chokand und den nordwestlichen Theil China's enthält, lesen wir unter andern Bemerkungen über Chiwa eine uns jetzt gerade mehr denn sonst interessirende Darstellung über sein Heer und dessen Kriegführung, die den Notizen des Generals Gens, Präsidenten der asiatischen Gränzcommission in Orenburg, entlehnt ist, wie sie dieser nach den mündlichen Berichten der neuerlichst aus Chiwa nach Orenburg zurückgekommenen russischen Gefangenen sich aufzeichnete. &#x2013; &#x201E;Im Heer des Chans,&#x201C; heißt es darin, &#x201E;dienen Usbeken, Turkmenen, Karakalpaken und Sarten; die meisten und besten Krieger liefern die beiden ersten Volksstämme. Wer im Dienst sein eigenes Pferd braucht, erhält jährlich einen Sold von 25 Ducaten, die eine Hälfte in Gold, die andere in Brod. Während eines Feldzugs erhält jeder Fourrage für sein Pferd, für sich selbst täglich eine Portion Grütze, die aber nicht hinreicht, daher jeder noch eigenen Mundvorrath mit sich führen muß. Zwei Soldaten sind verbunden, zusammen ein Kamel zu haben; die Wasserschläuche, die das Thier trägt, gibt der Chan. Officiere beziehen einen Gehalt von 40 bis 70 Ducaten, erhalten überdieß im Kriege Brod, Fisch, Fleisch, und für ihre Pferde Fourrage. Wer kein eigenes Pferd besitzt, erhält vom Chan einen Argamak (turkmenischen Hengst) und 15 Ducaten Gehalt in barem Gelde oder an Brod, nach dem Marktpreis, wie es jeder wünscht. Fällt ein Pferd des Chans, so gibt man dessen Reiter ein anderes, oder Geld um eins zu kaufen; zum Beweis aber, daß das Thier wirklich umkam, muß dessen Schweif dem Mehter (Schatzmeister) vorgezeigt werden. Die Jubaschi sehen täglich nach den Pferden; finden sie, daß ein Reiter für das seinige schlecht sorgt, bestrafen sie ihn mit Ruthenhieben. &#x2013; Die Soldaten müssen zu jeder Zeit schlagfertig seyn, und dem Chan den Zehnten von der Beute abgeben.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Außer den eigentlichen Kriegern ziehen auch Freiwillige, die keinen Sold erhalten, ins Feld, in der Hoffnung, durch die Beute und durch eine ergiebige Einnahme für feindliche Ohren und Köpfe entschädigt zu werden. Die Ohren werden nämlich von der Regierung mit fünf Tanga <note place="foot" n="*)"> 28 Tanga gehen auf einen chiwaischen Ducaten.</note> das Stück, die Köpfe doppelt so hoch bezahlt. Die Krieger sind sämmtlich beritten, mit Säbel und Lanze, wenige nur mit Flinten, die Turkmenen noch überdieß mit einem langen Messer bewaffnet. Die Anführer tragen Panzerhemde, die ihnen der Chan gibt und die er aus Persien bezieht, die Flinten aber sollen in Chiwa selbst verfertigt werden. Sie sind von kleinerm Kaliber als russische Soldatenflinten, werden meist nur von Usbeken gebraucht und in Friedenszeiten am Hofe des Chans aufbewahrt.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0667/0011] des Fürsten Milosch zum Zwecke hatte, neue Nahrung erhalten. Es sind in Folge dessen abermals Verhaftungen vorgenommen und andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden (wie z. B., daß eine Stunde nach Sonnenuntergang Jeder, der sich auf den Straßen zeigt, festgenommen wird u. s. w.), die um so mehr beunruhigen, als ihnen keine öffentliche Verkündung, selbst nicht die Bekanntmachung ihres Zweckes und ihrer Veranlassung vorausging, und nicht einmal an die fremden Agenten darüber eine Mittheilung erfolgt ist. Man will wissen, der Senatspräsident, Hr. Jephrem Obrenowitsch, Bruder des Fürsten Milosch, sey die Seele des neuen Planes. Zwar hat Hr. Jephrem vielleicht das Meiste zum Sturze seines Bruders beigetragen, wozu ihn vorzugsweise sein ungezügelter Ehrgeiz verleitete. Er war zum Theil der Gründer der Opposition unter Milosch, oder hat wenigstens durch seinen Beitritt diese so gekräftigt, daß sie mit Hülfe eines fremden Einflusses die großen Veränderungen des letzten Jahres in Serbien zu vollbringen vermochte. Ohne Zweifel versprach sich sein Ehrgeiz nach dem Sturze des Bruders – in Anbetracht des physischen Zustandes des bereits verstorbenen Prinzen Milan und des jugendlichen Alters des jetzigen Fürsten Michael – eine große und glänzende Rolle in den öffentlichen Angelegenheiten; allein die kurze Erfahrung hat ihn bereits enttäuscht und der Schmerz hierüber wird nun durch das bittere Gefühl der Reue verschärft. Seine beiden Collegen in der Regentschaft, die er für sich allein zu erlangen gehofft haben mag, haben ihn nämlich überflügelt. A. Petroniewitsch und Wucsitsch sind dermalen die Herren Serbiens, und werden ohne Zweifel ihren vorherrschenden Einfluß auch auf den jungen Fürsten Michael für die Folge geltend zu machen wissen. Diese Einsicht scheint Hrn. Jephrem die Augen geöffnet zu haben über die Unklugheit einer Opposition gegen den eigenen Bruder; er begreift jetzt zu spät, daß er damit nichts gewonnen und, wie es schon geht, ängstigt er sich noch überdieß mit dem Gedanken, daß das Recht der Thronfolge der Familie Obrenowitsch gänzlich entzogen werden könnte. Die Spaltung in der Regentschaft erstreckt sich auch auf den Senat, in welchem Hr. Jephrem ebenfalls seine Partei hat; der Minister des Innern steht auf seiner Seite; allein diese Partei bildet die Minderzahl und wird in allen Fragen von den Gegnern überstimmt, die überdieß der besondern Theilnahme des russischen Consuls sich erfreuen, während Hr. Jephrem, so sehr er sich in frühern Zeiten um Rußland verdient gemacht hat, von den Agenten dieser Macht ganz bei Seite gesetzt wird. So ist sein Wunsch einer Aenderung der gegenwärtigen Verhältnisse erklärbar; indessen scheint die Zeit hiezu noch nicht gekommen, obwohl sich noch verschiedene andere Elemente zum gleichen Ziele vereinigen. So arbeiten insbesondere die regulären Truppen des Fürsten Milosch unermüdet an einer Gegenrevolution, und im gemeinen Volke, wo noch viele Sympathie für Milosch zu finden ist, zeigt sich zu Gunsten eines solchen Unternehmens ebenfalls große Neigung; allein so lange das gegenwärtige Regime Rußland und somit auch die Pforte für sich hat, darf es wohl nichts fürchten. – Die, wie es scheint, bevorstehenden wichtigen Ereignisse werden zeigen, in wie weit diese Behauptung richtig ist. Als solche betrachtet man erstens die nahe Ankunft des Fürsten Michael, welche die Parteifrage in der Regentschaft und dem Senate entscheiden muß. Man hält nicht für unmöglich, daß die herrschende Partei von dem Fürsten Michael, als eclatantes Zeichen seiner Anhänglichkeit an das Statut, die Verbannung seiner beiden Oheime, Hrn. Jephrems und Johann Obrenowitschs, welch' letzterer bekanntlich bei dem Gegenrevolutionsversuche im vorigen Jahre an der Spitze stand, vom heimathlichen Boden fordert. Als zweites wichtiges Ereigniß bezeichnet man die bevorstehende Nationalversammlung, welche von der Regentschaft, die über ihr Thun und Lassen, dann über die Verwendung des öffentlichen Schatzes Rechenschaft ablegen und sich von dem auf ihr lastenden Verdacht der Vergeudung reinigen will, ehestens einberufen werden wird. Man hofft dadurch einer Explosion im Volke, die bei dem geringen Culturzustande desselben von gräßlichen Folgen seyn könnte, am geeignetsten vorzubeugen. – Der russische Consul hat Belgrad gestern ganz in der Stille verlassen, um sich zu dem Fürsten Michael zu begeben, welcher vorgestern die Quarantäne von Alexineze verlassen haben wird. Chiwa. _ St. Petersburg, 6 März. Im zweiten Bändchen der vor einigen Tagen von der Akademie der Wissenschaften hier veröffentlichten Beiträge zur Kenntniß des russischen Reichs und der ihm angränzenden Länder Asiens, das Nachrichten über Chiwa, Bochara, Chokand und den nordwestlichen Theil China's enthält, lesen wir unter andern Bemerkungen über Chiwa eine uns jetzt gerade mehr denn sonst interessirende Darstellung über sein Heer und dessen Kriegführung, die den Notizen des Generals Gens, Präsidenten der asiatischen Gränzcommission in Orenburg, entlehnt ist, wie sie dieser nach den mündlichen Berichten der neuerlichst aus Chiwa nach Orenburg zurückgekommenen russischen Gefangenen sich aufzeichnete. – „Im Heer des Chans,“ heißt es darin, „dienen Usbeken, Turkmenen, Karakalpaken und Sarten; die meisten und besten Krieger liefern die beiden ersten Volksstämme. Wer im Dienst sein eigenes Pferd braucht, erhält jährlich einen Sold von 25 Ducaten, die eine Hälfte in Gold, die andere in Brod. Während eines Feldzugs erhält jeder Fourrage für sein Pferd, für sich selbst täglich eine Portion Grütze, die aber nicht hinreicht, daher jeder noch eigenen Mundvorrath mit sich führen muß. Zwei Soldaten sind verbunden, zusammen ein Kamel zu haben; die Wasserschläuche, die das Thier trägt, gibt der Chan. Officiere beziehen einen Gehalt von 40 bis 70 Ducaten, erhalten überdieß im Kriege Brod, Fisch, Fleisch, und für ihre Pferde Fourrage. Wer kein eigenes Pferd besitzt, erhält vom Chan einen Argamak (turkmenischen Hengst) und 15 Ducaten Gehalt in barem Gelde oder an Brod, nach dem Marktpreis, wie es jeder wünscht. Fällt ein Pferd des Chans, so gibt man dessen Reiter ein anderes, oder Geld um eins zu kaufen; zum Beweis aber, daß das Thier wirklich umkam, muß dessen Schweif dem Mehter (Schatzmeister) vorgezeigt werden. Die Jubaschi sehen täglich nach den Pferden; finden sie, daß ein Reiter für das seinige schlecht sorgt, bestrafen sie ihn mit Ruthenhieben. – Die Soldaten müssen zu jeder Zeit schlagfertig seyn, und dem Chan den Zehnten von der Beute abgeben. „Außer den eigentlichen Kriegern ziehen auch Freiwillige, die keinen Sold erhalten, ins Feld, in der Hoffnung, durch die Beute und durch eine ergiebige Einnahme für feindliche Ohren und Köpfe entschädigt zu werden. Die Ohren werden nämlich von der Regierung mit fünf Tanga *) das Stück, die Köpfe doppelt so hoch bezahlt. Die Krieger sind sämmtlich beritten, mit Säbel und Lanze, wenige nur mit Flinten, die Turkmenen noch überdieß mit einem langen Messer bewaffnet. Die Anführer tragen Panzerhemde, die ihnen der Chan gibt und die er aus Persien bezieht, die Flinten aber sollen in Chiwa selbst verfertigt werden. Sie sind von kleinerm Kaliber als russische Soldatenflinten, werden meist nur von Usbeken gebraucht und in Friedenszeiten am Hofe des Chans aufbewahrt. *) 28 Tanga gehen auf einen chiwaischen Ducaten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840, S. 0667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324/11>, abgerufen am 27.04.2024.