Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 93. Augsburg, 2. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sind die Parteien der Bewegung. Die Extreme berühren sich; das hat man bei der Coalition gesehen, welche die heterogensten Elemente zu gleichem Zwecke vereinte und stets vereinen wird, so oft eine gleiche Krisis eintreten sollte, um sich schnell zu trennen, sobald eine der mitvereinten Fractionen ans Staatsruder gelangt, und auf dem bisher eingeschlagenen Wege fortfährt. Dessen ungeachtet muß man die Legitimisten im Allgemeinen von dem Vorwurf, als conspirirten sie, gänzlich freisprechen. Die legitimistische Partei braucht nicht zu conspiriren: der Gang der Ereignisse, der Weg den die Regierung eingeschlagen, die Tendenz der übrigen Parteien conspirirt für sie, und jeder aufgeklärte, wahre Legitimist ist überzeugt, daß nur durch eine gewaltsame Staatsumwälzung, durch eine große Erschütterung, welche die Tendenz aller Extreme erst zur Schau tragen wird, der Triumph seines Princips herbeigeführt werden kann. Diese Epoche warten die Häupter der legitimistischen Partei ruhig ab; sie steigen nicht auf die Bresche, sie sind aber bereit und gerüstet; jedes lichtscheue Treiben wird von ihnen desavouirt, sie conspiriren offen zu Tage durch ihre Vota in den Kammern; wer auch Ministerium oder Opposition sey, die Legitimisten bilden ewig Opposition, und sobald eine Fraction der Kammer sich vereint, um die bestehende Ordnung der Dinge zu verändern, schließen die Legitimisten sich nothwendig und sogleich ihr an. Die Epoche, wann diese Partei Majorität erlangen kann, ist in weitester Ferne; doch das wissen ihre Häupter, und wollen nichts übereilen; sie wollen keine Recomposition, die unvollkommen, unvollständig wäre, in die sie feindliche Principien mit aufnehmen müßten, die bei ihrer Geburt schon den Samen der Verderbniß in sich trügen; sie wollen keine Restauration, wie die von 1814 und 15; sie können nur nach der Republik, innerer Friede nur nach vollendeter Gährung kommen. Auch stehen sie hinter den Republicanern; die arbeiten und conspiriren für sie; die bewegen Frankreich für sie; sie bereiten ihnen mittelbar den Triumph ihrer Sache, den Thron der Lilien. So sagen sie, und wenn man ihnen die Gräuel der ersten Revolution vorhält, so erwiedern sie: nicht ihre Partei sey es, die den Haß der beweglichen Volksmasse jetzt auf sich ziehe; an die Stelle der Adelsaristokratie sey die Geldaristokratie getreten, die würde den Sturm zu bestehen haben.

Die Partei der großen Bewegung, die ungleiche Majorität in Volk und Kammern, bilden die Republicaner. Sie wissen selbst nicht was sie wollen, doch ist es jedenfalls Veränderung des Bestehenden; sie sind unzufrieden mit der jetzigen Regierung, wie sie es mit allen waren, die seit 50 Jahren über Frankreich gekommen sind. Terrorismus und Directorium, Kaiserreich und Restauration, nichts hat ihnen genügt, und nirgends hat sich das Bild realisirt, das sie sich von einem glücklichen Zustand Frankreichs geschaffen hatten. Da kam die Juliusrevolution und Ludwig Philipp mit ihr; Lafayette rief ihm zu: "Vous etes la meilleure des republiques;" und in blindem Jubel griffen sie nach diesem neuen Eldorado. Je höher sie ihre Erwartungen gespannt, desto größer war die Enttäuschung. Da wollten sie wieder umwerfen was sie aufbauen geholfen, ganz logisch, mit demselben Rechte; große und kleine Aufstände fanden statt; es glimmte überall und kam zum Ausbruch in Lyon, Larochelle, in Mans und mehrmals in Paris. Mit Bajonnetten und Kartätschen wurden sie zur Ordnung gebracht; ein Heer Polizeiagenten überzog Frankreich wie mit einem Netze, und die im Jahre 1830 für Helden und Vaterlandsvertheidiger gegolten hatten, wurden 1834 und 1839 zum warnenden Exempel in Ketten gelegt und auf die Galeren geschickt. Und doch weiß die Regierung sehr gut, daß noch kein Kopf der Hyder gefallen ist. Durch die partiellen Aufstände hat sich nur beurkundet, daß sie lebt und wirkt; nur subalterne Agenten, unvorsichtige Meuterer, die den Wink von oben, den rechten Moment nicht abwarten wollten, brachen zu früh los, ließen sich fangen und mußten büßen. Die Zeit der republicanischen Hauptreaction ist noch nicht gekommen; so lange der König ihrer Wahl mit fester Hand das Scepter führt, wird sie auch nicht kommen. Doch einen Erbkönig wollen sie nicht, die Leute, die das Wort erblich aus allen Registern Frankreichs gestrichen; der Sohn des Pairs soll nicht Pair werden, der Sohn des Financiers nicht die Millionen seines Vaters erben; warum soll der Sohn des Wahlkönigs Erbkönig werden? Durch immerwährende Umwälzungen soll der Fortschritt Frankreichs sich beurkunden; und wie sie glauben, daß die Reichthümer dem Lande nur fruchten können wenn sie in stetem Wechsel durch viele Hände gehen, so soll auch die höchste Gewalt in fortschreitender Vervollkommnung vom Würdigen zum Würdigsten übergehen. Doch nicht auf Frankreich allein soll diese Reaction sich beschränken; die Propaganda will um sich greifen, Frankreich soll einem großen Strome gleichen, der aus seinen Ufern tritt, die benachbarten Ländereien zu befruchten.

Ueber die Form ihrer Republik sind sie unter sich nicht einig: die einen haben sich die nordamerikanischen Freistaaten als Vorbild genommen; viele unter ihnen, reine Theoretiker, sehen in den Republiken des Alterthums den Culminationspunkt menschlicher Vervollkommnung; Freiheit und vorzüglich Gleichheit sind immer die Losungsworte; doch nicht bürgerliche Freiheit noch Gleichheit vor dem Gesetze - es ist die zügelloseste Freiheit zu Unruhen und Excessen aller Art, die sie wollen, und unter Gleichheit ist nur die Gleichheit des Vermögens gemeint: das Recht des Vagabunden auf den Beutel des Possidenten. Doch der größte Theil der beweglichen Volksmasse verlangt den Kaiser als Chef der Republik - dieß Bild lächelt sie alle an; es schmeichelt ihrer Eitelkeit, und nährt ihren Ehrgeiz; die Fibern von Millionen Franzosen zucken beim Namen des großen Kaisers; deßhalb sind sie Bonapartisten. Daß der Kaiser todt und begraben und seine Gebeine auf einem Felsen im Ocean modern, das stört sie nicht, sie sind doch Bonapartisten, und zwar größtentheils in jenen Classen, welche bei Bewegung und Umwälzung den Einschlag geben. Die Armee ist es fast durchaus, ferner jene Classe von Arbeitern, welche von einem Tag zum anderen leben, die man nie auf den Straßen der Hauptstadt sieht, als wenn ein großer Sturm am politischen Horizonte sie den Unken und Molchen gleich auf die Oberfläche der Erde speit: es sind die Buchdrucker, Lithographen und jenes Heer von Fabrikarbeitern. Frägt man sie aber, welchen Bonaparte sie wollen, welches Glied des ehemaligen Kaiserhauses der Erbe ihrer Verehrung sey, so weiß es keiner, und die wenigern, die es zu wissen glauben, sind mit sich selbst und ihren nächsten Verbündeten nicht einig. Eine kleine Partei ist für Louis Bonaparte, seitdem die ungeschickte Wichtigkeit, welche die französische Regierung auf seine Gegenwart in Arenenberg legte, ihn für seine Straßburger Episode rehabilitirt und zum Prätendenten geschaffen. Doch hat er sich in Hände von Abenteurern begeben, und seine nächsten Anhänger fangen an von ihm abzulassen. Andere wenden sich nach dem ältesten Bruder Napoleons, dem kaufmännischen Grafen von Survilliers, noch andere nach andern, und viele nach keinem; doch wollen sie Veränderung und Umsturz des Bestehenden, sind Republicaner und heißen Bonapartisten. So unsinnig dieses klingt, so ist es doch allein diese Partei, die ernstlich Frankreich bedroht; sie haben die meisten Chancen für sich, denn die bewegliche Volksmasse,

sind die Parteien der Bewegung. Die Extreme berühren sich; das hat man bei der Coalition gesehen, welche die heterogensten Elemente zu gleichem Zwecke vereinte und stets vereinen wird, so oft eine gleiche Krisis eintreten sollte, um sich schnell zu trennen, sobald eine der mitvereinten Fractionen ans Staatsruder gelangt, und auf dem bisher eingeschlagenen Wege fortfährt. Dessen ungeachtet muß man die Legitimisten im Allgemeinen von dem Vorwurf, als conspirirten sie, gänzlich freisprechen. Die legitimistische Partei braucht nicht zu conspiriren: der Gang der Ereignisse, der Weg den die Regierung eingeschlagen, die Tendenz der übrigen Parteien conspirirt für sie, und jeder aufgeklärte, wahre Legitimist ist überzeugt, daß nur durch eine gewaltsame Staatsumwälzung, durch eine große Erschütterung, welche die Tendenz aller Extreme erst zur Schau tragen wird, der Triumph seines Princips herbeigeführt werden kann. Diese Epoche warten die Häupter der legitimistischen Partei ruhig ab; sie steigen nicht auf die Bresche, sie sind aber bereit und gerüstet; jedes lichtscheue Treiben wird von ihnen desavouirt, sie conspiriren offen zu Tage durch ihre Vota in den Kammern; wer auch Ministerium oder Opposition sey, die Legitimisten bilden ewig Opposition, und sobald eine Fraction der Kammer sich vereint, um die bestehende Ordnung der Dinge zu verändern, schließen die Legitimisten sich nothwendig und sogleich ihr an. Die Epoche, wann diese Partei Majorität erlangen kann, ist in weitester Ferne; doch das wissen ihre Häupter, und wollen nichts übereilen; sie wollen keine Recomposition, die unvollkommen, unvollständig wäre, in die sie feindliche Principien mit aufnehmen müßten, die bei ihrer Geburt schon den Samen der Verderbniß in sich trügen; sie wollen keine Restauration, wie die von 1814 und 15; sie können nur nach der Republik, innerer Friede nur nach vollendeter Gährung kommen. Auch stehen sie hinter den Republicanern; die arbeiten und conspiriren für sie; die bewegen Frankreich für sie; sie bereiten ihnen mittelbar den Triumph ihrer Sache, den Thron der Lilien. So sagen sie, und wenn man ihnen die Gräuel der ersten Revolution vorhält, so erwiedern sie: nicht ihre Partei sey es, die den Haß der beweglichen Volksmasse jetzt auf sich ziehe; an die Stelle der Adelsaristokratie sey die Geldaristokratie getreten, die würde den Sturm zu bestehen haben.

Die Partei der großen Bewegung, die ungleiche Majorität in Volk und Kammern, bilden die Republicaner. Sie wissen selbst nicht was sie wollen, doch ist es jedenfalls Veränderung des Bestehenden; sie sind unzufrieden mit der jetzigen Regierung, wie sie es mit allen waren, die seit 50 Jahren über Frankreich gekommen sind. Terrorismus und Directorium, Kaiserreich und Restauration, nichts hat ihnen genügt, und nirgends hat sich das Bild realisirt, das sie sich von einem glücklichen Zustand Frankreichs geschaffen hatten. Da kam die Juliusrevolution und Ludwig Philipp mit ihr; Lafayette rief ihm zu: „Vous êtes la meilleure des républiques;“ und in blindem Jubel griffen sie nach diesem neuen Eldorado. Je höher sie ihre Erwartungen gespannt, desto größer war die Enttäuschung. Da wollten sie wieder umwerfen was sie aufbauen geholfen, ganz logisch, mit demselben Rechte; große und kleine Aufstände fanden statt; es glimmte überall und kam zum Ausbruch in Lyon, Larochelle, in Mans und mehrmals in Paris. Mit Bajonnetten und Kartätschen wurden sie zur Ordnung gebracht; ein Heer Polizeiagenten überzog Frankreich wie mit einem Netze, und die im Jahre 1830 für Helden und Vaterlandsvertheidiger gegolten hatten, wurden 1834 und 1839 zum warnenden Exempel in Ketten gelegt und auf die Galeren geschickt. Und doch weiß die Regierung sehr gut, daß noch kein Kopf der Hyder gefallen ist. Durch die partiellen Aufstände hat sich nur beurkundet, daß sie lebt und wirkt; nur subalterne Agenten, unvorsichtige Meuterer, die den Wink von oben, den rechten Moment nicht abwarten wollten, brachen zu früh los, ließen sich fangen und mußten büßen. Die Zeit der republicanischen Hauptreaction ist noch nicht gekommen; so lange der König ihrer Wahl mit fester Hand das Scepter führt, wird sie auch nicht kommen. Doch einen Erbkönig wollen sie nicht, die Leute, die das Wort erblich aus allen Registern Frankreichs gestrichen; der Sohn des Pairs soll nicht Pair werden, der Sohn des Financiers nicht die Millionen seines Vaters erben; warum soll der Sohn des Wahlkönigs Erbkönig werden? Durch immerwährende Umwälzungen soll der Fortschritt Frankreichs sich beurkunden; und wie sie glauben, daß die Reichthümer dem Lande nur fruchten können wenn sie in stetem Wechsel durch viele Hände gehen, so soll auch die höchste Gewalt in fortschreitender Vervollkommnung vom Würdigen zum Würdigsten übergehen. Doch nicht auf Frankreich allein soll diese Reaction sich beschränken; die Propaganda will um sich greifen, Frankreich soll einem großen Strome gleichen, der aus seinen Ufern tritt, die benachbarten Ländereien zu befruchten.

Ueber die Form ihrer Republik sind sie unter sich nicht einig: die einen haben sich die nordamerikanischen Freistaaten als Vorbild genommen; viele unter ihnen, reine Theoretiker, sehen in den Republiken des Alterthums den Culminationspunkt menschlicher Vervollkommnung; Freiheit und vorzüglich Gleichheit sind immer die Losungsworte; doch nicht bürgerliche Freiheit noch Gleichheit vor dem Gesetze – es ist die zügelloseste Freiheit zu Unruhen und Excessen aller Art, die sie wollen, und unter Gleichheit ist nur die Gleichheit des Vermögens gemeint: das Recht des Vagabunden auf den Beutel des Possidenten. Doch der größte Theil der beweglichen Volksmasse verlangt den Kaiser als Chef der Republik – dieß Bild lächelt sie alle an; es schmeichelt ihrer Eitelkeit, und nährt ihren Ehrgeiz; die Fibern von Millionen Franzosen zucken beim Namen des großen Kaisers; deßhalb sind sie Bonapartisten. Daß der Kaiser todt und begraben und seine Gebeine auf einem Felsen im Ocean modern, das stört sie nicht, sie sind doch Bonapartisten, und zwar größtentheils in jenen Classen, welche bei Bewegung und Umwälzung den Einschlag geben. Die Armee ist es fast durchaus, ferner jene Classe von Arbeitern, welche von einem Tag zum anderen leben, die man nie auf den Straßen der Hauptstadt sieht, als wenn ein großer Sturm am politischen Horizonte sie den Unken und Molchen gleich auf die Oberfläche der Erde speit: es sind die Buchdrucker, Lithographen und jenes Heer von Fabrikarbeitern. Frägt man sie aber, welchen Bonaparte sie wollen, welches Glied des ehemaligen Kaiserhauses der Erbe ihrer Verehrung sey, so weiß es keiner, und die wenigern, die es zu wissen glauben, sind mit sich selbst und ihren nächsten Verbündeten nicht einig. Eine kleine Partei ist für Louis Bonaparte, seitdem die ungeschickte Wichtigkeit, welche die französische Regierung auf seine Gegenwart in Arenenberg legte, ihn für seine Straßburger Episode rehabilitirt und zum Prätendenten geschaffen. Doch hat er sich in Hände von Abenteurern begeben, und seine nächsten Anhänger fangen an von ihm abzulassen. Andere wenden sich nach dem ältesten Bruder Napoleons, dem kaufmännischen Grafen von Survilliers, noch andere nach andern, und viele nach keinem; doch wollen sie Veränderung und Umsturz des Bestehenden, sind Republicaner und heißen Bonapartisten. So unsinnig dieses klingt, so ist es doch allein diese Partei, die ernstlich Frankreich bedroht; sie haben die meisten Chancen für sich, denn die bewegliche Volksmasse,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="0740"/>
sind die Parteien der Bewegung. Die Extreme berühren sich; das hat man bei der Coalition gesehen, welche die heterogensten Elemente zu gleichem Zwecke vereinte und stets vereinen wird, so oft eine gleiche Krisis eintreten sollte, um sich schnell zu trennen, sobald eine der mitvereinten Fractionen ans Staatsruder gelangt, und auf dem bisher eingeschlagenen Wege fortfährt. Dessen ungeachtet muß man die Legitimisten im Allgemeinen von dem Vorwurf, als conspirirten sie, gänzlich freisprechen. Die legitimistische Partei braucht nicht zu conspiriren: der Gang der Ereignisse, der Weg den die Regierung eingeschlagen, die Tendenz der übrigen Parteien conspirirt für sie, und jeder aufgeklärte, wahre Legitimist ist überzeugt, daß nur durch eine gewaltsame Staatsumwälzung, durch eine große Erschütterung, welche die Tendenz aller Extreme erst zur Schau tragen wird, der Triumph seines Princips herbeigeführt werden kann. Diese Epoche warten die Häupter der legitimistischen Partei ruhig ab; sie steigen nicht auf die Bresche, sie sind aber bereit und gerüstet; jedes lichtscheue Treiben wird von ihnen desavouirt, sie conspiriren offen zu Tage durch ihre Vota in den Kammern; wer auch Ministerium oder Opposition sey, die Legitimisten bilden ewig Opposition, und sobald eine Fraction der Kammer sich vereint, um die bestehende Ordnung der Dinge zu verändern, schließen die Legitimisten sich nothwendig und sogleich ihr an. Die Epoche, wann diese Partei Majorität erlangen kann, ist in weitester Ferne; doch das wissen ihre Häupter, und wollen nichts übereilen; sie wollen keine Recomposition, die unvollkommen, unvollständig wäre, in die sie feindliche Principien mit aufnehmen müßten, die bei ihrer Geburt schon den Samen der Verderbniß in sich trügen; sie wollen keine Restauration, wie die von 1814 und 15; sie können nur <hi rendition="#g">nach</hi> der Republik, innerer Friede nur nach vollendeter Gährung kommen. Auch stehen sie <hi rendition="#g">hinter</hi> den Republicanern; die arbeiten und conspiriren für sie; die bewegen Frankreich für sie; sie bereiten ihnen mittelbar den Triumph ihrer Sache, den Thron der Lilien. So sagen sie, und wenn man ihnen die Gräuel der ersten Revolution vorhält, so erwiedern sie: nicht ihre Partei sey es, die den Haß der beweglichen Volksmasse jetzt auf sich ziehe; an die Stelle der Adelsaristokratie sey die Geldaristokratie getreten, die würde den Sturm zu bestehen haben.</p><lb/>
        <p>Die Partei der großen Bewegung, die ungleiche Majorität in Volk und Kammern, bilden die Republicaner. Sie wissen selbst nicht was sie wollen, doch ist es jedenfalls Veränderung des Bestehenden; sie sind unzufrieden mit der jetzigen Regierung, wie sie es mit allen waren, die seit 50 Jahren über Frankreich gekommen sind. Terrorismus und Directorium, Kaiserreich und Restauration, nichts hat ihnen genügt, und nirgends hat sich das Bild realisirt, das sie sich von einem glücklichen Zustand Frankreichs geschaffen hatten. Da kam die Juliusrevolution und Ludwig Philipp mit ihr; Lafayette rief ihm zu: &#x201E;Vous êtes la meilleure des républiques;&#x201C; und in blindem Jubel griffen sie nach diesem neuen Eldorado. Je höher sie ihre Erwartungen gespannt, desto größer war die Enttäuschung. Da wollten sie wieder umwerfen was sie aufbauen geholfen, ganz logisch, mit demselben Rechte; große und kleine Aufstände fanden statt; es glimmte überall und kam zum Ausbruch in Lyon, Larochelle, in Mans und mehrmals in Paris. Mit Bajonnetten und Kartätschen wurden sie zur Ordnung gebracht; ein Heer Polizeiagenten überzog Frankreich wie mit einem Netze, und die im Jahre 1830 für Helden und Vaterlandsvertheidiger gegolten hatten, wurden 1834 und 1839 zum warnenden Exempel in Ketten gelegt und auf die Galeren geschickt. Und doch weiß die Regierung sehr gut, daß noch kein Kopf der Hyder gefallen ist. Durch die partiellen Aufstände hat sich nur beurkundet, daß sie lebt und wirkt; nur subalterne Agenten, unvorsichtige Meuterer, die den Wink von oben, den rechten Moment nicht abwarten wollten, brachen zu früh los, ließen sich fangen und mußten büßen. Die Zeit der republicanischen Hauptreaction ist noch nicht gekommen; so lange der König ihrer Wahl mit fester Hand das Scepter führt, wird sie auch nicht kommen. Doch einen <hi rendition="#g">Erb</hi>könig wollen sie nicht, die Leute, die das Wort <hi rendition="#g">erblich</hi> aus allen Registern Frankreichs gestrichen; der Sohn des Pairs soll nicht Pair werden, der Sohn des Financiers nicht die Millionen seines Vaters erben; warum soll der Sohn des Wahlkönigs Erbkönig werden? Durch immerwährende Umwälzungen soll der Fortschritt Frankreichs sich beurkunden; und wie sie glauben, daß die Reichthümer dem Lande nur fruchten können wenn sie in stetem Wechsel durch viele Hände gehen, so soll auch die höchste Gewalt in fortschreitender Vervollkommnung vom Würdigen zum Würdigsten übergehen. Doch nicht auf Frankreich allein soll diese Reaction sich beschränken; die Propaganda will um sich greifen, Frankreich soll einem großen Strome gleichen, der aus seinen Ufern tritt, die benachbarten Ländereien zu befruchten.</p><lb/>
        <p>Ueber die Form ihrer Republik sind sie unter sich nicht einig: die einen haben sich die nordamerikanischen Freistaaten als Vorbild genommen; viele unter ihnen, reine Theoretiker, sehen in den Republiken des Alterthums den Culminationspunkt menschlicher Vervollkommnung; Freiheit und vorzüglich Gleichheit sind immer die Losungsworte; doch nicht bürgerliche Freiheit noch Gleichheit vor dem Gesetze &#x2013; es ist die zügelloseste Freiheit zu Unruhen und Excessen aller Art, die sie wollen, und unter Gleichheit ist nur die Gleichheit des Vermögens gemeint: das Recht des Vagabunden auf den Beutel des Possidenten. Doch der größte Theil der beweglichen Volksmasse verlangt den Kaiser als Chef der Republik &#x2013; dieß Bild lächelt sie alle an; es schmeichelt ihrer Eitelkeit, und nährt ihren Ehrgeiz; die Fibern von Millionen Franzosen zucken beim Namen des großen Kaisers; deßhalb sind sie Bonapartisten. Daß der Kaiser todt und begraben und seine Gebeine auf einem Felsen im Ocean modern, das stört sie nicht, sie sind doch Bonapartisten, und zwar größtentheils in jenen Classen, welche bei Bewegung und Umwälzung den Einschlag geben. Die Armee ist es fast durchaus, ferner jene Classe von Arbeitern, welche von einem Tag zum anderen leben, die man nie auf den Straßen der Hauptstadt sieht, als wenn ein großer Sturm am politischen Horizonte sie den Unken und Molchen gleich auf die Oberfläche der Erde speit: es sind die Buchdrucker, Lithographen und jenes Heer von Fabrikarbeitern. Frägt man sie aber, welchen Bonaparte sie wollen, welches Glied des ehemaligen Kaiserhauses der Erbe ihrer Verehrung sey, so weiß es keiner, und die wenigern, die es zu wissen glauben, sind mit sich selbst und ihren nächsten Verbündeten nicht einig. Eine kleine Partei ist für Louis Bonaparte, seitdem die ungeschickte Wichtigkeit, welche die französische Regierung auf seine Gegenwart in Arenenberg legte, ihn für seine Straßburger Episode rehabilitirt und zum Prätendenten geschaffen. Doch hat er sich in Hände von Abenteurern begeben, und seine nächsten Anhänger fangen an von ihm abzulassen. Andere wenden sich nach dem ältesten Bruder Napoleons, dem kaufmännischen Grafen von Survilliers, noch andere nach andern, und viele nach keinem; doch wollen sie Veränderung und Umsturz des Bestehenden, sind Republicaner und heißen Bonapartisten. So unsinnig dieses klingt, so ist es doch allein diese Partei, die ernstlich Frankreich bedroht; sie haben die meisten Chancen für sich, denn die bewegliche Volksmasse,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0740/0012] sind die Parteien der Bewegung. Die Extreme berühren sich; das hat man bei der Coalition gesehen, welche die heterogensten Elemente zu gleichem Zwecke vereinte und stets vereinen wird, so oft eine gleiche Krisis eintreten sollte, um sich schnell zu trennen, sobald eine der mitvereinten Fractionen ans Staatsruder gelangt, und auf dem bisher eingeschlagenen Wege fortfährt. Dessen ungeachtet muß man die Legitimisten im Allgemeinen von dem Vorwurf, als conspirirten sie, gänzlich freisprechen. Die legitimistische Partei braucht nicht zu conspiriren: der Gang der Ereignisse, der Weg den die Regierung eingeschlagen, die Tendenz der übrigen Parteien conspirirt für sie, und jeder aufgeklärte, wahre Legitimist ist überzeugt, daß nur durch eine gewaltsame Staatsumwälzung, durch eine große Erschütterung, welche die Tendenz aller Extreme erst zur Schau tragen wird, der Triumph seines Princips herbeigeführt werden kann. Diese Epoche warten die Häupter der legitimistischen Partei ruhig ab; sie steigen nicht auf die Bresche, sie sind aber bereit und gerüstet; jedes lichtscheue Treiben wird von ihnen desavouirt, sie conspiriren offen zu Tage durch ihre Vota in den Kammern; wer auch Ministerium oder Opposition sey, die Legitimisten bilden ewig Opposition, und sobald eine Fraction der Kammer sich vereint, um die bestehende Ordnung der Dinge zu verändern, schließen die Legitimisten sich nothwendig und sogleich ihr an. Die Epoche, wann diese Partei Majorität erlangen kann, ist in weitester Ferne; doch das wissen ihre Häupter, und wollen nichts übereilen; sie wollen keine Recomposition, die unvollkommen, unvollständig wäre, in die sie feindliche Principien mit aufnehmen müßten, die bei ihrer Geburt schon den Samen der Verderbniß in sich trügen; sie wollen keine Restauration, wie die von 1814 und 15; sie können nur nach der Republik, innerer Friede nur nach vollendeter Gährung kommen. Auch stehen sie hinter den Republicanern; die arbeiten und conspiriren für sie; die bewegen Frankreich für sie; sie bereiten ihnen mittelbar den Triumph ihrer Sache, den Thron der Lilien. So sagen sie, und wenn man ihnen die Gräuel der ersten Revolution vorhält, so erwiedern sie: nicht ihre Partei sey es, die den Haß der beweglichen Volksmasse jetzt auf sich ziehe; an die Stelle der Adelsaristokratie sey die Geldaristokratie getreten, die würde den Sturm zu bestehen haben. Die Partei der großen Bewegung, die ungleiche Majorität in Volk und Kammern, bilden die Republicaner. Sie wissen selbst nicht was sie wollen, doch ist es jedenfalls Veränderung des Bestehenden; sie sind unzufrieden mit der jetzigen Regierung, wie sie es mit allen waren, die seit 50 Jahren über Frankreich gekommen sind. Terrorismus und Directorium, Kaiserreich und Restauration, nichts hat ihnen genügt, und nirgends hat sich das Bild realisirt, das sie sich von einem glücklichen Zustand Frankreichs geschaffen hatten. Da kam die Juliusrevolution und Ludwig Philipp mit ihr; Lafayette rief ihm zu: „Vous êtes la meilleure des républiques;“ und in blindem Jubel griffen sie nach diesem neuen Eldorado. Je höher sie ihre Erwartungen gespannt, desto größer war die Enttäuschung. Da wollten sie wieder umwerfen was sie aufbauen geholfen, ganz logisch, mit demselben Rechte; große und kleine Aufstände fanden statt; es glimmte überall und kam zum Ausbruch in Lyon, Larochelle, in Mans und mehrmals in Paris. Mit Bajonnetten und Kartätschen wurden sie zur Ordnung gebracht; ein Heer Polizeiagenten überzog Frankreich wie mit einem Netze, und die im Jahre 1830 für Helden und Vaterlandsvertheidiger gegolten hatten, wurden 1834 und 1839 zum warnenden Exempel in Ketten gelegt und auf die Galeren geschickt. Und doch weiß die Regierung sehr gut, daß noch kein Kopf der Hyder gefallen ist. Durch die partiellen Aufstände hat sich nur beurkundet, daß sie lebt und wirkt; nur subalterne Agenten, unvorsichtige Meuterer, die den Wink von oben, den rechten Moment nicht abwarten wollten, brachen zu früh los, ließen sich fangen und mußten büßen. Die Zeit der republicanischen Hauptreaction ist noch nicht gekommen; so lange der König ihrer Wahl mit fester Hand das Scepter führt, wird sie auch nicht kommen. Doch einen Erbkönig wollen sie nicht, die Leute, die das Wort erblich aus allen Registern Frankreichs gestrichen; der Sohn des Pairs soll nicht Pair werden, der Sohn des Financiers nicht die Millionen seines Vaters erben; warum soll der Sohn des Wahlkönigs Erbkönig werden? Durch immerwährende Umwälzungen soll der Fortschritt Frankreichs sich beurkunden; und wie sie glauben, daß die Reichthümer dem Lande nur fruchten können wenn sie in stetem Wechsel durch viele Hände gehen, so soll auch die höchste Gewalt in fortschreitender Vervollkommnung vom Würdigen zum Würdigsten übergehen. Doch nicht auf Frankreich allein soll diese Reaction sich beschränken; die Propaganda will um sich greifen, Frankreich soll einem großen Strome gleichen, der aus seinen Ufern tritt, die benachbarten Ländereien zu befruchten. Ueber die Form ihrer Republik sind sie unter sich nicht einig: die einen haben sich die nordamerikanischen Freistaaten als Vorbild genommen; viele unter ihnen, reine Theoretiker, sehen in den Republiken des Alterthums den Culminationspunkt menschlicher Vervollkommnung; Freiheit und vorzüglich Gleichheit sind immer die Losungsworte; doch nicht bürgerliche Freiheit noch Gleichheit vor dem Gesetze – es ist die zügelloseste Freiheit zu Unruhen und Excessen aller Art, die sie wollen, und unter Gleichheit ist nur die Gleichheit des Vermögens gemeint: das Recht des Vagabunden auf den Beutel des Possidenten. Doch der größte Theil der beweglichen Volksmasse verlangt den Kaiser als Chef der Republik – dieß Bild lächelt sie alle an; es schmeichelt ihrer Eitelkeit, und nährt ihren Ehrgeiz; die Fibern von Millionen Franzosen zucken beim Namen des großen Kaisers; deßhalb sind sie Bonapartisten. Daß der Kaiser todt und begraben und seine Gebeine auf einem Felsen im Ocean modern, das stört sie nicht, sie sind doch Bonapartisten, und zwar größtentheils in jenen Classen, welche bei Bewegung und Umwälzung den Einschlag geben. Die Armee ist es fast durchaus, ferner jene Classe von Arbeitern, welche von einem Tag zum anderen leben, die man nie auf den Straßen der Hauptstadt sieht, als wenn ein großer Sturm am politischen Horizonte sie den Unken und Molchen gleich auf die Oberfläche der Erde speit: es sind die Buchdrucker, Lithographen und jenes Heer von Fabrikarbeitern. Frägt man sie aber, welchen Bonaparte sie wollen, welches Glied des ehemaligen Kaiserhauses der Erbe ihrer Verehrung sey, so weiß es keiner, und die wenigern, die es zu wissen glauben, sind mit sich selbst und ihren nächsten Verbündeten nicht einig. Eine kleine Partei ist für Louis Bonaparte, seitdem die ungeschickte Wichtigkeit, welche die französische Regierung auf seine Gegenwart in Arenenberg legte, ihn für seine Straßburger Episode rehabilitirt und zum Prätendenten geschaffen. Doch hat er sich in Hände von Abenteurern begeben, und seine nächsten Anhänger fangen an von ihm abzulassen. Andere wenden sich nach dem ältesten Bruder Napoleons, dem kaufmännischen Grafen von Survilliers, noch andere nach andern, und viele nach keinem; doch wollen sie Veränderung und Umsturz des Bestehenden, sind Republicaner und heißen Bonapartisten. So unsinnig dieses klingt, so ist es doch allein diese Partei, die ernstlich Frankreich bedroht; sie haben die meisten Chancen für sich, denn die bewegliche Volksmasse,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_093_18400402
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_093_18400402/12
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 93. Augsburg, 2. April 1840, S. 0740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_093_18400402/12>, abgerufen am 25.04.2024.