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Allgemeine Zeitung. Nr. 93. Augsburg, 2. April 1840.

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England und China.

Das Charivari witzelt: "Der Pascha von Aegypten hat die Wüste an englische Ingenieurs verkauft, und gegen China wird eine englische Expedition vorbereitet. Die Wüste soll in eine Eisenbahn, China in eine britannische Grafschaft metamorphosirt werden. Der große Lin wird, geächtet, sich nach Paris flüchten, und hier um das liebe Brod unsere Professoren des Chinesischen in seiner Muttersprache unterrichten. Die englische Industrie will die Wüste unterdrücken, das ist die eigentliche orientalische Frage: die Wüste, der Samum, der Sirocco, die Pyramiden sollen sterben. Mit dem Erdharz des Asphaltmeeres pflastert man die Karawanenstraße, Locomotive werden gebaut von 200 Kamelkraft, die Dromedare stürzen sich verzweiflungsvoll in einen Dampfkessel. Binnen fünfzig Jahren werden die Beduinen englisch sprechen, Plumpudding essen und als Heizer auf den Dampfwägen dienen. Was wird aber aus uns werden, wenn wir weder Araber noch Chinesen mehr haben, wenn das Zelt und der Palankin verbrannt sind, Tausend und Eine Nacht verwüstet, Confucius über die Klinge gesprungen, das Porcellanhaus, das man China nennt, zusammenkanonirt ist? Dieses Volk existirt nur, weil man es nicht kennt; es ist eine Tasse Thee, ein Nagot, ein Pantoffel, ein Gericht Hayfischflossen, ein Gelee von Papagaiaugen, ein Salat von Colibrizungen - ein bleibendes Geheimniß, eine phantastische Vision, ein Zauberland. Achten wir also diese spanische Wand von Kaiserreich; wenn wir gesehen haben, was hinter der Tapete ist, werden wir darum glücklicher seyn? O gebt uns unser China wieder, oder laßt uns sterben! Die Industrie tödtet uns, die Industrie langweilt uns; Omnibus fahren die Passagiere von Kairo nach Gaza unter der Leitung eines Abkömmlings von Malek-Adel; zu Suez gibt man ein Journal heraus zur Vertheidigung der landwirthschaftlichen Interessen der Wüste; die englischen Ingenieurs, die den libyschen Sand gekauft, wollen einen Mosesfelsen erfinden, der die künftigen Runkelrüben bewässern soll, und die englischen Ingenieurs sind die Leute, Wort zu halten. Indessen ist es schon eine Weile her, seit Mehemed Ali die Wüste dem humanitarischen Grabscheit *) überantwortet hat, und wir hatten Zeit uns darüber zu beruhigen; aber nun kommt die Reihe an China, an das himmlische Reich, Canton will man nehmen, eine Garnison von Rothröcken nach Peking legen - alles das, weil in Calcutta zwanzig Opiumkrämer sitzen, die mit der Vergiftung China's en detail Millionen gewonnen, und denen die Chinesen jetzt ihr Gift ins Meer geworfen haben. Das ist die angebliche Beleidigung der Victoria I, der englischen Flagge, der englischen Nationalwürde! - Sehet da einen Krieg, wider den man nicht laut genug protestiren kann. Wie ein anderer germanischer Stamm das arme Griechenland, so hat England uns das ferne Indien seines poetischen Reizes entkleidet (depoetise), wir glauben nicht mehr an die Goldbergwerke von Golconda, nicht mehr an die leuchtenden Pagoden, nicht mehr, seit wir sie gesehen haben, an die Bajaderen. (Hier folgt das Bild einer Bajadere nach alter Vorstellung.) Hindern wir die Engländer, uns auch China ins Englische zu übersetzen. Die Interessen der Poesie müssen uns heiliger seyn, als die von zwanzig Großkrämern von Calcutta, die sich den Bauch mästen und in geschlagenem Champagner sich bezechen. (Bild.) Bevor England China tödtet, muß man England tödten. Gestern erschien der Schatten Abel Remusats (schauerliche Vignette) im College de France, und predigte den Britannenmord. Also: marsch nach London und Peking gerettet!" (Der Bajadere gegenüber findet sich eine Abbildung aus dem dießjährigen Pariser Salon: "Luther als Knabe - l'ecolier d'Isenac' - von Lecurieux. Der arme sächsische Bergmannssohn ist in ein zierlich geschlitztes und drapirtes Wams gekleidet wie ein Edelknabe, sitzt auf einer gestickten Ottomane, und ein Hühnerhund liegt ihm zu Füßen. Ebenfalls im "Interesse der Poesie.")

Vereinigungsbill für die Canadas.

Folgendes ist der Vortrag, welchen Lord J. Russell in der Unterhaussitzung vom 23 März über den Plan der legislativen Vereinigung, resp. Wiedervereinigung der beiden Canadas hielt: "Nach erfolgtem Einlauf der Vorschläge des Generalstatthalters unserer nordamerikanischen Colonien beeilte ich mich so viel als möglich, die wichtigen Gegenstände, welche diese Vorschläge betreffen, vor das Haus zu bringen. Die Zahl der Unterthanen Ihrer Maj. in Ober- und Nieder-Canada beläuft sich auf mehr als 1 Million Seelen - die Berechnungen schwanken zwischen 1,100,000 und 1,200,000. Sie bilden eine der großen Familien des amerikanischen Continents, und wohnen theils in einem seiner großen Thäler, an den großen Communicationsausläufern nach dem Innern von Amerika, theils jener Reihe prachtvoller Seen entlang, welche die Gränzmarken von Ober-Canada bespülen. Für die Interessen einer solchen Bevölkerung, die nicht nur durch Geburten, sondern auch durch Einwanderungen wächst, zu sorgen und die ihr angemessenste Regierungsform festzusetzen, kann von diesem Hause nur als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden." Der Minister gedenkt hier der frühern Beschwerden des canadischen Volks, dessen was seit Huskissons Zeit in dieser Sache geschehen, der zwei canadischen Empörungen und der Verdienste Lord Seatons (Sir J. Colborne's) um deren Unterdrückung, weßhalb er auch die Botschaft von der Krone, die für diesen Mann noch eine besondere Belohnung anspreche, mit Freuden eingebracht habe. Dann fährt er fort: "Die Maaßregel einer Vereinigung der beiden Provinzen würde nicht rathsam gewesen seyn, wenn sie, wie wohl Manche prophezeit hatten, bei den Canadiern auf entschiedenen Widerwillen gestoßen wäre. Aber, Sir, der jetzige Generalstatthalter hat sich, und zwar auf das allergenaueste, von den Gesinnungen des canadischen Volks in dieser Hinsicht überzeugt. Die Ansichten der Bewohner von Nieder-Canada freilich konnte er, da die Repräsentativ-Verfassung dieser Provinz vorübergehend suspendirt ist, auf eigentlich verfassungsmäßigem Wege nicht erholen, aber er berief das nicht von ihm, sondern von seinem Vorfahr gebildete Conseil zusammen, und erhielt von diesem Resolutionen, welche den Plan der Vereinigung dem Princip nach und im Allgemeinen guthießen, dessen Details aber dem Reichsparlament überließen. In Ober-Canada wurde der Vorschlag sowohl im Assemblyhaus als im legislativen Rath vielfach erwogen und besprochen. Manche, die dem Plane günstig waren, wünschten doch gewisse Bedingungen daran zu knüpfen, bei der Abstimmung über die ganze Frage aber faßten Assembly und Conseil den Beschluß, den Vorschlag des Generalstatthalters auf Vereinigung, ungefesselt durch Restrictionen oder Stipulationen, anzunehmen.

*) Humanitaire ist ein neues, Lamartine'sches Wort.
England und China.

Das Charivari witzelt: „Der Pascha von Aegypten hat die Wüste an englische Ingenieurs verkauft, und gegen China wird eine englische Expedition vorbereitet. Die Wüste soll in eine Eisenbahn, China in eine britannische Grafschaft metamorphosirt werden. Der große Lin wird, geächtet, sich nach Paris flüchten, und hier um das liebe Brod unsere Professoren des Chinesischen in seiner Muttersprache unterrichten. Die englische Industrie will die Wüste unterdrücken, das ist die eigentliche orientalische Frage: die Wüste, der Samum, der Sirocco, die Pyramiden sollen sterben. Mit dem Erdharz des Asphaltmeeres pflastert man die Karawanenstraße, Locomotive werden gebaut von 200 Kamelkraft, die Dromedare stürzen sich verzweiflungsvoll in einen Dampfkessel. Binnen fünfzig Jahren werden die Beduinen englisch sprechen, Plumpudding essen und als Heizer auf den Dampfwägen dienen. Was wird aber aus uns werden, wenn wir weder Araber noch Chinesen mehr haben, wenn das Zelt und der Palankin verbrannt sind, Tausend und Eine Nacht verwüstet, Confucius über die Klinge gesprungen, das Porcellanhaus, das man China nennt, zusammenkanonirt ist? Dieses Volk existirt nur, weil man es nicht kennt; es ist eine Tasse Thee, ein Nagot, ein Pantoffel, ein Gericht Hayfischflossen, ein Gelée von Papagaiaugen, ein Salat von Colibrizungen – ein bleibendes Geheimniß, eine phantastische Vision, ein Zauberland. Achten wir also diese spanische Wand von Kaiserreich; wenn wir gesehen haben, was hinter der Tapete ist, werden wir darum glücklicher seyn? O gebt uns unser China wieder, oder laßt uns sterben! Die Industrie tödtet uns, die Industrie langweilt uns; Omnibus fahren die Passagiere von Kairo nach Gaza unter der Leitung eines Abkömmlings von Malek-Adel; zu Suez gibt man ein Journal heraus zur Vertheidigung der landwirthschaftlichen Interessen der Wüste; die englischen Ingenieurs, die den libyschen Sand gekauft, wollen einen Mosesfelsen erfinden, der die künftigen Runkelrüben bewässern soll, und die englischen Ingenieurs sind die Leute, Wort zu halten. Indessen ist es schon eine Weile her, seit Mehemed Ali die Wüste dem humanitarischen Grabscheit *) überantwortet hat, und wir hatten Zeit uns darüber zu beruhigen; aber nun kommt die Reihe an China, an das himmlische Reich, Canton will man nehmen, eine Garnison von Rothröcken nach Peking legen – alles das, weil in Calcutta zwanzig Opiumkrämer sitzen, die mit der Vergiftung China's en detail Millionen gewonnen, und denen die Chinesen jetzt ihr Gift ins Meer geworfen haben. Das ist die angebliche Beleidigung der Victoria I, der englischen Flagge, der englischen Nationalwürde! – Sehet da einen Krieg, wider den man nicht laut genug protestiren kann. Wie ein anderer germanischer Stamm das arme Griechenland, so hat England uns das ferne Indien seines poetischen Reizes entkleidet (depoétisé), wir glauben nicht mehr an die Goldbergwerke von Golconda, nicht mehr an die leuchtenden Pagoden, nicht mehr, seit wir sie gesehen haben, an die Bajaderen. (Hier folgt das Bild einer Bajadere nach alter Vorstellung.) Hindern wir die Engländer, uns auch China ins Englische zu übersetzen. Die Interessen der Poesie müssen uns heiliger seyn, als die von zwanzig Großkrämern von Calcutta, die sich den Bauch mästen und in geschlagenem Champagner sich bezechen. (Bild.) Bevor England China tödtet, muß man England tödten. Gestern erschien der Schatten Abel Rémusats (schauerliche Vignette) im Collége de France, und predigte den Britannenmord. Also: marsch nach London und Peking gerettet!“ (Der Bajadere gegenüber findet sich eine Abbildung aus dem dießjährigen Pariser Salon: „Luther als Knabe – l'écolier d'Isenac' – von Lecurieux. Der arme sächsische Bergmannssohn ist in ein zierlich geschlitztes und drapirtes Wams gekleidet wie ein Edelknabe, sitzt auf einer gestickten Ottomane, und ein Hühnerhund liegt ihm zu Füßen. Ebenfalls im „Interesse der Poesie.“)

Vereinigungsbill für die Canadas.

Folgendes ist der Vortrag, welchen Lord J. Russell in der Unterhaussitzung vom 23 März über den Plan der legislativen Vereinigung, resp. Wiedervereinigung der beiden Canadas hielt: „Nach erfolgtem Einlauf der Vorschläge des Generalstatthalters unserer nordamerikanischen Colonien beeilte ich mich so viel als möglich, die wichtigen Gegenstände, welche diese Vorschläge betreffen, vor das Haus zu bringen. Die Zahl der Unterthanen Ihrer Maj. in Ober- und Nieder-Canada beläuft sich auf mehr als 1 Million Seelen – die Berechnungen schwanken zwischen 1,100,000 und 1,200,000. Sie bilden eine der großen Familien des amerikanischen Continents, und wohnen theils in einem seiner großen Thäler, an den großen Communicationsausläufern nach dem Innern von Amerika, theils jener Reihe prachtvoller Seen entlang, welche die Gränzmarken von Ober-Canada bespülen. Für die Interessen einer solchen Bevölkerung, die nicht nur durch Geburten, sondern auch durch Einwanderungen wächst, zu sorgen und die ihr angemessenste Regierungsform festzusetzen, kann von diesem Hause nur als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden.“ Der Minister gedenkt hier der frühern Beschwerden des canadischen Volks, dessen was seit Huskissons Zeit in dieser Sache geschehen, der zwei canadischen Empörungen und der Verdienste Lord Seatons (Sir J. Colborne's) um deren Unterdrückung, weßhalb er auch die Botschaft von der Krone, die für diesen Mann noch eine besondere Belohnung anspreche, mit Freuden eingebracht habe. Dann fährt er fort: „Die Maaßregel einer Vereinigung der beiden Provinzen würde nicht rathsam gewesen seyn, wenn sie, wie wohl Manche prophezeit hatten, bei den Canadiern auf entschiedenen Widerwillen gestoßen wäre. Aber, Sir, der jetzige Generalstatthalter hat sich, und zwar auf das allergenaueste, von den Gesinnungen des canadischen Volks in dieser Hinsicht überzeugt. Die Ansichten der Bewohner von Nieder-Canada freilich konnte er, da die Repräsentativ-Verfassung dieser Provinz vorübergehend suspendirt ist, auf eigentlich verfassungsmäßigem Wege nicht erholen, aber er berief das nicht von ihm, sondern von seinem Vorfahr gebildete Conseil zusammen, und erhielt von diesem Resolutionen, welche den Plan der Vereinigung dem Princip nach und im Allgemeinen guthießen, dessen Details aber dem Reichsparlament überließen. In Ober-Canada wurde der Vorschlag sowohl im Assemblyhaus als im legislativen Rath vielfach erwogen und besprochen. Manche, die dem Plane günstig waren, wünschten doch gewisse Bedingungen daran zu knüpfen, bei der Abstimmung über die ganze Frage aber faßten Assembly und Conseil den Beschluß, den Vorschlag des Generalstatthalters auf Vereinigung, ungefesselt durch Restrictionen oder Stipulationen, anzunehmen.

*) Humanitaire ist ein neues, Lamartine'sches Wort.
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[0737/0009] England und China. _ Paris, 24 März. Das Charivari witzelt: „Der Pascha von Aegypten hat die Wüste an englische Ingenieurs verkauft, und gegen China wird eine englische Expedition vorbereitet. Die Wüste soll in eine Eisenbahn, China in eine britannische Grafschaft metamorphosirt werden. Der große Lin wird, geächtet, sich nach Paris flüchten, und hier um das liebe Brod unsere Professoren des Chinesischen in seiner Muttersprache unterrichten. Die englische Industrie will die Wüste unterdrücken, das ist die eigentliche orientalische Frage: die Wüste, der Samum, der Sirocco, die Pyramiden sollen sterben. Mit dem Erdharz des Asphaltmeeres pflastert man die Karawanenstraße, Locomotive werden gebaut von 200 Kamelkraft, die Dromedare stürzen sich verzweiflungsvoll in einen Dampfkessel. Binnen fünfzig Jahren werden die Beduinen englisch sprechen, Plumpudding essen und als Heizer auf den Dampfwägen dienen. Was wird aber aus uns werden, wenn wir weder Araber noch Chinesen mehr haben, wenn das Zelt und der Palankin verbrannt sind, Tausend und Eine Nacht verwüstet, Confucius über die Klinge gesprungen, das Porcellanhaus, das man China nennt, zusammenkanonirt ist? Dieses Volk existirt nur, weil man es nicht kennt; es ist eine Tasse Thee, ein Nagot, ein Pantoffel, ein Gericht Hayfischflossen, ein Gelée von Papagaiaugen, ein Salat von Colibrizungen – ein bleibendes Geheimniß, eine phantastische Vision, ein Zauberland. Achten wir also diese spanische Wand von Kaiserreich; wenn wir gesehen haben, was hinter der Tapete ist, werden wir darum glücklicher seyn? O gebt uns unser China wieder, oder laßt uns sterben! Die Industrie tödtet uns, die Industrie langweilt uns; Omnibus fahren die Passagiere von Kairo nach Gaza unter der Leitung eines Abkömmlings von Malek-Adel; zu Suez gibt man ein Journal heraus zur Vertheidigung der landwirthschaftlichen Interessen der Wüste; die englischen Ingenieurs, die den libyschen Sand gekauft, wollen einen Mosesfelsen erfinden, der die künftigen Runkelrüben bewässern soll, und die englischen Ingenieurs sind die Leute, Wort zu halten. Indessen ist es schon eine Weile her, seit Mehemed Ali die Wüste dem humanitarischen Grabscheit *) überantwortet hat, und wir hatten Zeit uns darüber zu beruhigen; aber nun kommt die Reihe an China, an das himmlische Reich, Canton will man nehmen, eine Garnison von Rothröcken nach Peking legen – alles das, weil in Calcutta zwanzig Opiumkrämer sitzen, die mit der Vergiftung China's en detail Millionen gewonnen, und denen die Chinesen jetzt ihr Gift ins Meer geworfen haben. Das ist die angebliche Beleidigung der Victoria I, der englischen Flagge, der englischen Nationalwürde! – Sehet da einen Krieg, wider den man nicht laut genug protestiren kann. Wie ein anderer germanischer Stamm das arme Griechenland, so hat England uns das ferne Indien seines poetischen Reizes entkleidet (depoétisé), wir glauben nicht mehr an die Goldbergwerke von Golconda, nicht mehr an die leuchtenden Pagoden, nicht mehr, seit wir sie gesehen haben, an die Bajaderen. (Hier folgt das Bild einer Bajadere nach alter Vorstellung.) Hindern wir die Engländer, uns auch China ins Englische zu übersetzen. Die Interessen der Poesie müssen uns heiliger seyn, als die von zwanzig Großkrämern von Calcutta, die sich den Bauch mästen und in geschlagenem Champagner sich bezechen. (Bild.) Bevor England China tödtet, muß man England tödten. Gestern erschien der Schatten Abel Rémusats (schauerliche Vignette) im Collége de France, und predigte den Britannenmord. Also: marsch nach London und Peking gerettet!“ (Der Bajadere gegenüber findet sich eine Abbildung aus dem dießjährigen Pariser Salon: „Luther als Knabe – l'écolier d'Isenac' – von Lecurieux. Der arme sächsische Bergmannssohn ist in ein zierlich geschlitztes und drapirtes Wams gekleidet wie ein Edelknabe, sitzt auf einer gestickten Ottomane, und ein Hühnerhund liegt ihm zu Füßen. Ebenfalls im „Interesse der Poesie.“) Vereinigungsbill für die Canadas. Folgendes ist der Vortrag, welchen Lord J. Russell in der Unterhaussitzung vom 23 März über den Plan der legislativen Vereinigung, resp. Wiedervereinigung der beiden Canadas hielt: „Nach erfolgtem Einlauf der Vorschläge des Generalstatthalters unserer nordamerikanischen Colonien beeilte ich mich so viel als möglich, die wichtigen Gegenstände, welche diese Vorschläge betreffen, vor das Haus zu bringen. Die Zahl der Unterthanen Ihrer Maj. in Ober- und Nieder-Canada beläuft sich auf mehr als 1 Million Seelen – die Berechnungen schwanken zwischen 1,100,000 und 1,200,000. Sie bilden eine der großen Familien des amerikanischen Continents, und wohnen theils in einem seiner großen Thäler, an den großen Communicationsausläufern nach dem Innern von Amerika, theils jener Reihe prachtvoller Seen entlang, welche die Gränzmarken von Ober-Canada bespülen. Für die Interessen einer solchen Bevölkerung, die nicht nur durch Geburten, sondern auch durch Einwanderungen wächst, zu sorgen und die ihr angemessenste Regierungsform festzusetzen, kann von diesem Hause nur als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden.“ Der Minister gedenkt hier der frühern Beschwerden des canadischen Volks, dessen was seit Huskissons Zeit in dieser Sache geschehen, der zwei canadischen Empörungen und der Verdienste Lord Seatons (Sir J. Colborne's) um deren Unterdrückung, weßhalb er auch die Botschaft von der Krone, die für diesen Mann noch eine besondere Belohnung anspreche, mit Freuden eingebracht habe. Dann fährt er fort: „Die Maaßregel einer Vereinigung der beiden Provinzen würde nicht rathsam gewesen seyn, wenn sie, wie wohl Manche prophezeit hatten, bei den Canadiern auf entschiedenen Widerwillen gestoßen wäre. Aber, Sir, der jetzige Generalstatthalter hat sich, und zwar auf das allergenaueste, von den Gesinnungen des canadischen Volks in dieser Hinsicht überzeugt. Die Ansichten der Bewohner von Nieder-Canada freilich konnte er, da die Repräsentativ-Verfassung dieser Provinz vorübergehend suspendirt ist, auf eigentlich verfassungsmäßigem Wege nicht erholen, aber er berief das nicht von ihm, sondern von seinem Vorfahr gebildete Conseil zusammen, und erhielt von diesem Resolutionen, welche den Plan der Vereinigung dem Princip nach und im Allgemeinen guthießen, dessen Details aber dem Reichsparlament überließen. In Ober-Canada wurde der Vorschlag sowohl im Assemblyhaus als im legislativen Rath vielfach erwogen und besprochen. Manche, die dem Plane günstig waren, wünschten doch gewisse Bedingungen daran zu knüpfen, bei der Abstimmung über die ganze Frage aber faßten Assembly und Conseil den Beschluß, den Vorschlag des Generalstatthalters auf Vereinigung, ungefesselt durch Restrictionen oder Stipulationen, anzunehmen. *) Humanitaire ist ein neues, Lamartine'sches Wort.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 93. Augsburg, 2. April 1840, S. 0737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_093_18400402/9>, abgerufen am 24.04.2024.