Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 140. Augsburg, 19. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

was sein vorenthaltenes Eigenthum sey, um dadurch den Rang in Europa wieder einzunehmen, der ihm gebührt, d. i. mit deutschen Worten, um durch Abtrennung einer Bevölkerung von sechs Millionen Deutschen von ihrem Vaterlande über den Rest, sofort aber über den Rest von Europa das Uebergewicht oder die Herrschaft auszuüben, mit Einem Worte, wenn man Neigung und Entschluß zu einem neuen Versuche zeigt, auf unsere Rechnung die politischen Träume oder Plane zu verwirklichen, an welche Ludwig der Große und Napoleon der Große ihre und ihres Volkes Kraft und Thätigkeit vergeblich gesetzt hatten.

Wird uns, sag' ich, in dieser oder ähnlicher Form die künftige oder gehoffte Größe von Frankreich als eine auf die Demüthigung und den Untergang von deutscher Unabhängigkeit zu bauende Verherrlichung in Aussicht gestellt; wird zu diesem Behuf einerseits das Bild der französischen Nation mit allen wünschenswerthen Vorzügen, Eigenschaften und Glorien der Selbstgefälligkeit ausgestattet und auf der andern Seite Deutschland als der politisch unfähige, als der in Verfall und Lethargie versunkene bon homme und Träumer von Europa hingestellt, damit bei jener Erhebung des alten deutschen Erbfeindes und bei unserer Herabdrückung die übrigen Völker und am Ende wir selbst es ganz als zu Fug und Recht bestehend erkennen sollen, wenn der ruhmreiche Nachbar über unserm Nacken zu dem fortschreitet, was er seinen Einfluß oder seine Rolle in Europa nennt: so ist es, meinen wir, ganz natürlich, wenn wir nach Grund und Titel jener Ansprüche uns etwas näher erkundigen, und, ehe es zum Handgemenge kommt, für uns, unser Land und unsere Fürsten nach dem Belang und der Rechtsgültigkeit der Pergamente, Diplome und Decorationen fragen, mit denen man sich als den natürlichen Herrn und Meister schmückt, oder uns die Decoration etwas unsanft verbitten, in der eitle Unwissenheit und Hoffart des Nachbars uns erblicken und zeigen möchten. Kein Sophisma der patriotischen Schmuckredner aber wird bewirken, daß Frankreich 1813 und 1815 nicht besiegt worden ist.

Es ist nichts als der Mißbrauch einer rhetorischen Figur, wenn man jenseits unserer westlichen Gränze die Nation von ihrem Führer, das Heer von seinem Feldherrn und Kaiser trennen will, dessen Geist in seine Kriegsmacht übergegangen war, wie er von ihr beflügelt und gehoben wurde. Man sagte zur Zeit seines Glücks in Paris: "wir sind über den Niemen gegangen, wir sind in Moskau eingerückt", und hatte Recht, es zu sagen. Darum sagen wir aber ganz folgerecht: ihr seyd bei Leipzig wie auf eurem Grund und Boden geschlagen und überwältigt worden. Es ist auch wenig dankbar gegen den ersten Helden der neuesten Geschichte, der Frankreich mit seinem Ruhm und seiner Größe geistig durchdrang, ja es ist unrühmlich und des "Ritters ohne Furcht und Tadel" unwürdig, nachdem er aus großen Unternehmungen, in welche die Nation ihm folgte, mit ihr herabgestürzt ist, seinen Namen und sein Schicksal von dem französischen Namen und dem Schicksal zu trennen und, damit dem Vorurtheil geschmeichelt werde, zu sagen: er ist überwunden und zu Boden geschlagen worden, nicht wir. Wahrer und edler zugleich wäre es, die Worte, welche der nationale Dichter dem braven Bertrand in den Mund legt, sich anzueignen:

J'ai partage sa gloire et sa puissance,
Je dois aussi partager ses malheurs.

Frankreich wurde unter Napoleon so gut und so entschieden besiegt, wie unter Ludwig XIV, und ist man in Folge davon der Eroberungen entkleidet worden, welche die Revolution über Deutschland gemacht hatte, so hat man nur das Recht und Gesetz des Krieges erfahren: man hat durch die Waffen verloren, was man durch die Waffen gewonnen und behauptet hatte: quae armis tenuerat, armis amisit.

Der Gegner sagt ferner, nicht Furcht, sondern die kleinlichen Interessen der neuen Dynastie haben Frankreich 1831 und 1832 gehindert, an den Rhein vorzurücken. Hier liegt dieselbe Trennung der Regierung und der Nation zu Grunde, und sie wird so gern zur Theorie und zu einer alten historischen Thatsache erhoben, deren Bestand und Belang nicht erkannt zu haben ich beschuldigt werde. Nun habe ich zwar keinen Grund zu einer solchen Beschuldigung gegeben, eine Thatsache übersehen zu haben, die wenigstens unter uns bei Niemanden, der Geschichte kennt, im Zweifel gestanden hat. Wir wissen, von welcher frühen Zeit jene Spaltung zwischen der Meinung und der Macht von Frankreich datirt, von welcher Natur und Richtung sie ist und welche Folgen sie gehabt hat; aber wir wissen auch, daß eine Nation, von der Energie und Einsicht der französischen, Mittel und Wege hat, auf Meinung und Handlung ihrer Regierung bestimmenden und gestaltenden Einfluß auszuüben, und daß bei der Beweglichkeit der Nation dort weniger noch als anderwärts eine Regierung möglich und dauernd ist, die sich nicht auf eine Masse von Interessen, Wünsche, Sympathien und Kräfte in dem Lande und der Nation stützt, von der sie Stärke und Dauer empfängt. Diese, insofern sie sich zu einem Ganzen und zu einer Macht vermitteln, gelten als national, und die Regierung, welche nicht anders denn als die Vertreterin derselben gedacht werden kann, als ihr Ausdruck. Beide identificiren sich, und erscheinen als Ganzes mit Haupt und Gliedern, so viele Gründe man übrigens auch haben mag, mit der Lage der Dinge oder der Macht unzufrieden zu seyn. Waren also die Interessen der Dynastie Orleans kleinlich, wie konnten sie die Entschließungen und die Geschicke einer Nation von der Größe und der Bedeutung der französischen bestimmen? Daß sie es konnten und unter den erschütterndsten Umständen bis jetzt vermochten, ist der Beweis, daß jene groß und mächtig war, und daß sie den Willen der Nation ausdrückte, als sie die Juliusrevolution in den Gang leitete, den sie vor unsern Augen genommen hat. Auch ist es allgemein bekannt, welches die großen und nationalen Interessen waren, die hier entschieden, und die der Gegner mit solcher Geringschätzung behandelt. Allerdings gab es der Kriegslustigen so viele als es Militäre gab, denen die Ruhe lästig und die Hoffnung auf Leben und Ehre der Lager und Schlachtfelder erwünscht war. Unter sie gehört wohl auch der Sprecher, und er sieht in ihnen die Nation; aber die Armee ist nirgends die Nation gewesen, außer zu den Zeiten der römischen Kaiser, wo sie das Reich vergab oder verkaufte, und man weiß, wohin das geführt hat.

Auch schlossen sich viele, besonders junge Leute und die ganze republicanische Partei des eigentlichen jungen Frankreichs an, aber ihnen gegenüber stand die ganze Classe der Gewerbtreibenden, Handelnden, Wissenschaftlichen, der Besitzstand im weitesten Sinne des Worts, den die Revolution geschaffen, die Restauration befestigt und der Frieden seit fünfzehn Jahren gestärkt hatte, mit seinen Gütern vor Augen, mit seinen Erfahrungen in der Vergangenheit, mit seinen Besorgnissen in der Zukunft. Er gab den Ausschlag. Man mag sich aber drehen und wenden wie man will, man wird die Nation nirgend anderswo finden als in ihm. Ludwig Philipp erkannte sein Bedürfniß wie seinen Willen. Die Größe dieses reichbegabten Monarchen beruht darauf, daß er beides erkannt und dem gemäß zu handeln gewußt hat. Er ist, indem er der Dolmetsch des nationalen Willens und der Vollstrecker seines Spruches ward,

was sein vorenthaltenes Eigenthum sey, um dadurch den Rang in Europa wieder einzunehmen, der ihm gebührt, d. i. mit deutschen Worten, um durch Abtrennung einer Bevölkerung von sechs Millionen Deutschen von ihrem Vaterlande über den Rest, sofort aber über den Rest von Europa das Uebergewicht oder die Herrschaft auszuüben, mit Einem Worte, wenn man Neigung und Entschluß zu einem neuen Versuche zeigt, auf unsere Rechnung die politischen Träume oder Plane zu verwirklichen, an welche Ludwig der Große und Napoleon der Große ihre und ihres Volkes Kraft und Thätigkeit vergeblich gesetzt hatten.

Wird uns, sag' ich, in dieser oder ähnlicher Form die künftige oder gehoffte Größe von Frankreich als eine auf die Demüthigung und den Untergang von deutscher Unabhängigkeit zu bauende Verherrlichung in Aussicht gestellt; wird zu diesem Behuf einerseits das Bild der französischen Nation mit allen wünschenswerthen Vorzügen, Eigenschaften und Glorien der Selbstgefälligkeit ausgestattet und auf der andern Seite Deutschland als der politisch unfähige, als der in Verfall und Lethargie versunkene bon homme und Träumer von Europa hingestellt, damit bei jener Erhebung des alten deutschen Erbfeindes und bei unserer Herabdrückung die übrigen Völker und am Ende wir selbst es ganz als zu Fug und Recht bestehend erkennen sollen, wenn der ruhmreiche Nachbar über unserm Nacken zu dem fortschreitet, was er seinen Einfluß oder seine Rolle in Europa nennt: so ist es, meinen wir, ganz natürlich, wenn wir nach Grund und Titel jener Ansprüche uns etwas näher erkundigen, und, ehe es zum Handgemenge kommt, für uns, unser Land und unsere Fürsten nach dem Belang und der Rechtsgültigkeit der Pergamente, Diplome und Decorationen fragen, mit denen man sich als den natürlichen Herrn und Meister schmückt, oder uns die Decoration etwas unsanft verbitten, in der eitle Unwissenheit und Hoffart des Nachbars uns erblicken und zeigen möchten. Kein Sophisma der patriotischen Schmuckredner aber wird bewirken, daß Frankreich 1813 und 1815 nicht besiegt worden ist.

Es ist nichts als der Mißbrauch einer rhetorischen Figur, wenn man jenseits unserer westlichen Gränze die Nation von ihrem Führer, das Heer von seinem Feldherrn und Kaiser trennen will, dessen Geist in seine Kriegsmacht übergegangen war, wie er von ihr beflügelt und gehoben wurde. Man sagte zur Zeit seines Glücks in Paris: „wir sind über den Niemen gegangen, wir sind in Moskau eingerückt“, und hatte Recht, es zu sagen. Darum sagen wir aber ganz folgerecht: ihr seyd bei Leipzig wie auf eurem Grund und Boden geschlagen und überwältigt worden. Es ist auch wenig dankbar gegen den ersten Helden der neuesten Geschichte, der Frankreich mit seinem Ruhm und seiner Größe geistig durchdrang, ja es ist unrühmlich und des „Ritters ohne Furcht und Tadel“ unwürdig, nachdem er aus großen Unternehmungen, in welche die Nation ihm folgte, mit ihr herabgestürzt ist, seinen Namen und sein Schicksal von dem französischen Namen und dem Schicksal zu trennen und, damit dem Vorurtheil geschmeichelt werde, zu sagen: er ist überwunden und zu Boden geschlagen worden, nicht wir. Wahrer und edler zugleich wäre es, die Worte, welche der nationale Dichter dem braven Bertrand in den Mund legt, sich anzueignen:

J'ai partagé sa gloire et sa puissance,
Je dois aussi partager ses malheurs.

Frankreich wurde unter Napoleon so gut und so entschieden besiegt, wie unter Ludwig XIV, und ist man in Folge davon der Eroberungen entkleidet worden, welche die Revolution über Deutschland gemacht hatte, so hat man nur das Recht und Gesetz des Krieges erfahren: man hat durch die Waffen verloren, was man durch die Waffen gewonnen und behauptet hatte: quae armis tenuerat, armis amisit.

Der Gegner sagt ferner, nicht Furcht, sondern die kleinlichen Interessen der neuen Dynastie haben Frankreich 1831 und 1832 gehindert, an den Rhein vorzurücken. Hier liegt dieselbe Trennung der Regierung und der Nation zu Grunde, und sie wird so gern zur Theorie und zu einer alten historischen Thatsache erhoben, deren Bestand und Belang nicht erkannt zu haben ich beschuldigt werde. Nun habe ich zwar keinen Grund zu einer solchen Beschuldigung gegeben, eine Thatsache übersehen zu haben, die wenigstens unter uns bei Niemanden, der Geschichte kennt, im Zweifel gestanden hat. Wir wissen, von welcher frühen Zeit jene Spaltung zwischen der Meinung und der Macht von Frankreich datirt, von welcher Natur und Richtung sie ist und welche Folgen sie gehabt hat; aber wir wissen auch, daß eine Nation, von der Energie und Einsicht der französischen, Mittel und Wege hat, auf Meinung und Handlung ihrer Regierung bestimmenden und gestaltenden Einfluß auszuüben, und daß bei der Beweglichkeit der Nation dort weniger noch als anderwärts eine Regierung möglich und dauernd ist, die sich nicht auf eine Masse von Interessen, Wünsche, Sympathien und Kräfte in dem Lande und der Nation stützt, von der sie Stärke und Dauer empfängt. Diese, insofern sie sich zu einem Ganzen und zu einer Macht vermitteln, gelten als national, und die Regierung, welche nicht anders denn als die Vertreterin derselben gedacht werden kann, als ihr Ausdruck. Beide identificiren sich, und erscheinen als Ganzes mit Haupt und Gliedern, so viele Gründe man übrigens auch haben mag, mit der Lage der Dinge oder der Macht unzufrieden zu seyn. Waren also die Interessen der Dynastie Orleans kleinlich, wie konnten sie die Entschließungen und die Geschicke einer Nation von der Größe und der Bedeutung der französischen bestimmen? Daß sie es konnten und unter den erschütterndsten Umständen bis jetzt vermochten, ist der Beweis, daß jene groß und mächtig war, und daß sie den Willen der Nation ausdrückte, als sie die Juliusrevolution in den Gang leitete, den sie vor unsern Augen genommen hat. Auch ist es allgemein bekannt, welches die großen und nationalen Interessen waren, die hier entschieden, und die der Gegner mit solcher Geringschätzung behandelt. Allerdings gab es der Kriegslustigen so viele als es Militäre gab, denen die Ruhe lästig und die Hoffnung auf Leben und Ehre der Lager und Schlachtfelder erwünscht war. Unter sie gehört wohl auch der Sprecher, und er sieht in ihnen die Nation; aber die Armee ist nirgends die Nation gewesen, außer zu den Zeiten der römischen Kaiser, wo sie das Reich vergab oder verkaufte, und man weiß, wohin das geführt hat.

Auch schlossen sich viele, besonders junge Leute und die ganze republicanische Partei des eigentlichen jungen Frankreichs an, aber ihnen gegenüber stand die ganze Classe der Gewerbtreibenden, Handelnden, Wissenschaftlichen, der Besitzstand im weitesten Sinne des Worts, den die Revolution geschaffen, die Restauration befestigt und der Frieden seit fünfzehn Jahren gestärkt hatte, mit seinen Gütern vor Augen, mit seinen Erfahrungen in der Vergangenheit, mit seinen Besorgnissen in der Zukunft. Er gab den Ausschlag. Man mag sich aber drehen und wenden wie man will, man wird die Nation nirgend anderswo finden als in ihm. Ludwig Philipp erkannte sein Bedürfniß wie seinen Willen. Die Größe dieses reichbegabten Monarchen beruht darauf, daß er beides erkannt und dem gemäß zu handeln gewußt hat. Er ist, indem er der Dolmetsch des nationalen Willens und der Vollstrecker seines Spruches ward,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="1114"/>
was sein vorenthaltenes Eigenthum sey, um dadurch den Rang in Europa wieder einzunehmen, der ihm gebührt, d. i. mit deutschen Worten, um durch Abtrennung einer Bevölkerung von sechs Millionen Deutschen von ihrem Vaterlande über den Rest, sofort aber über den Rest von Europa das Uebergewicht oder die Herrschaft auszuüben, mit Einem Worte, wenn man Neigung und Entschluß zu einem neuen Versuche zeigt, auf unsere Rechnung die politischen Träume oder Plane zu verwirklichen, an welche Ludwig der Große und Napoleon der Große ihre und ihres Volkes Kraft und Thätigkeit vergeblich gesetzt hatten.</p><lb/>
        <p>Wird uns, sag' ich, in dieser oder ähnlicher Form die künftige oder gehoffte Größe von Frankreich als eine auf die Demüthigung und den Untergang von deutscher Unabhängigkeit zu bauende Verherrlichung in Aussicht gestellt; wird zu diesem Behuf einerseits das Bild der französischen Nation mit allen wünschenswerthen Vorzügen, Eigenschaften und Glorien der Selbstgefälligkeit ausgestattet und auf der andern Seite Deutschland als der politisch unfähige, als der in Verfall und Lethargie versunkene bon homme und Träumer von Europa hingestellt, damit bei jener Erhebung des alten deutschen Erbfeindes und bei unserer Herabdrückung die übrigen Völker und am Ende wir selbst es ganz als zu Fug und Recht bestehend erkennen sollen, wenn der ruhmreiche Nachbar über unserm Nacken zu dem fortschreitet, was er seinen Einfluß oder seine Rolle in Europa nennt: so ist es, meinen wir, ganz natürlich, wenn wir nach Grund und Titel jener Ansprüche uns etwas näher erkundigen, und, ehe es zum Handgemenge kommt, für uns, unser Land und unsere Fürsten nach dem Belang und der Rechtsgültigkeit der Pergamente, Diplome und Decorationen fragen, mit denen man sich als den natürlichen Herrn und Meister schmückt, oder uns die Decoration etwas unsanft verbitten, in der eitle Unwissenheit und Hoffart des Nachbars uns erblicken und zeigen möchten. Kein Sophisma der patriotischen Schmuckredner aber wird bewirken, daß Frankreich 1813 und 1815 <hi rendition="#g">nicht</hi> besiegt worden ist.</p><lb/>
        <p>Es ist nichts als der Mißbrauch einer rhetorischen Figur, wenn man jenseits unserer westlichen Gränze die Nation von ihrem Führer, das Heer von seinem Feldherrn und Kaiser trennen will, dessen Geist in seine Kriegsmacht übergegangen war, wie er von ihr beflügelt und gehoben wurde. Man sagte zur Zeit seines Glücks in Paris: &#x201E;wir sind über den Niemen gegangen, wir sind in Moskau eingerückt&#x201C;, und hatte Recht, es zu sagen. Darum sagen wir aber ganz folgerecht: ihr seyd bei Leipzig wie auf eurem Grund und Boden geschlagen und überwältigt worden. Es ist auch wenig dankbar gegen den ersten Helden der neuesten Geschichte, der Frankreich mit seinem Ruhm und seiner Größe geistig durchdrang, ja es ist unrühmlich und des &#x201E;Ritters ohne Furcht und Tadel&#x201C; unwürdig, nachdem er aus großen Unternehmungen, in welche die Nation ihm folgte, mit ihr herabgestürzt ist, seinen Namen und sein Schicksal von dem französischen Namen und dem Schicksal zu trennen und, damit dem Vorurtheil geschmeichelt werde, zu sagen: er ist überwunden und zu Boden geschlagen worden, nicht wir. Wahrer und edler zugleich wäre es, die Worte, welche der nationale Dichter dem braven Bertrand in den Mund legt, sich anzueignen:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>J'ai partagé sa gloire et sa puissance,</l><lb/>
          <l>Je dois aussi partager ses malheurs.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Frankreich wurde unter Napoleon so gut und so entschieden besiegt, wie unter Ludwig XIV, und ist man in Folge davon der Eroberungen entkleidet worden, welche die Revolution über Deutschland gemacht hatte, so hat man nur das Recht und Gesetz des Krieges erfahren: man hat durch die Waffen verloren, was man durch die Waffen gewonnen und behauptet hatte: quae armis tenuerat, armis amisit.</p><lb/>
        <p>Der Gegner sagt ferner, nicht Furcht, sondern die kleinlichen Interessen der neuen Dynastie haben Frankreich 1831 und 1832 gehindert, an den Rhein vorzurücken. Hier liegt dieselbe Trennung der Regierung und der Nation zu Grunde, und sie wird so gern zur Theorie und zu einer alten historischen Thatsache erhoben, deren Bestand und Belang nicht erkannt zu haben ich beschuldigt werde. Nun habe ich zwar keinen Grund zu einer solchen Beschuldigung gegeben, eine Thatsache übersehen zu haben, die wenigstens unter uns bei Niemanden, der Geschichte kennt, im Zweifel gestanden hat. Wir wissen, von welcher frühen Zeit jene Spaltung zwischen der Meinung und der Macht von Frankreich datirt, von welcher Natur und Richtung sie ist und welche Folgen sie gehabt hat; aber wir wissen auch, daß eine Nation, von der Energie und Einsicht der französischen, Mittel und Wege hat, auf Meinung und Handlung ihrer Regierung bestimmenden und gestaltenden Einfluß auszuüben, und daß bei der Beweglichkeit der Nation dort weniger noch als anderwärts eine Regierung möglich und dauernd ist, die sich nicht auf eine Masse von Interessen, Wünsche, Sympathien und Kräfte in dem Lande und der Nation stützt, von der sie Stärke und Dauer empfängt. Diese, insofern sie sich zu einem Ganzen und zu einer Macht vermitteln, gelten als <hi rendition="#g">national</hi>, und die Regierung, welche nicht anders denn als die Vertreterin derselben gedacht werden kann, als ihr Ausdruck. Beide identificiren sich, und erscheinen als Ganzes mit Haupt und Gliedern, so viele Gründe man übrigens auch haben mag, mit der Lage der Dinge oder der Macht unzufrieden zu seyn. Waren also die Interessen der Dynastie Orleans kleinlich, wie konnten sie die Entschließungen und die Geschicke einer Nation von der Größe und der Bedeutung der französischen bestimmen? Daß sie es konnten und unter den erschütterndsten Umständen bis jetzt vermochten, ist der Beweis, daß jene groß und mächtig war, und daß sie den Willen der Nation ausdrückte, als sie die Juliusrevolution in den Gang leitete, den sie vor unsern Augen genommen hat. Auch ist es allgemein bekannt, welches die großen und nationalen Interessen waren, die hier entschieden, und die der Gegner mit solcher Geringschätzung behandelt. Allerdings gab es der Kriegslustigen so viele als es Militäre gab, denen die Ruhe lästig und die Hoffnung auf Leben und Ehre der Lager und Schlachtfelder erwünscht war. Unter sie gehört wohl auch der Sprecher, und er sieht in ihnen die Nation; aber die Armee ist nirgends die Nation gewesen, außer zu den Zeiten der römischen Kaiser, wo sie das Reich vergab oder verkaufte, und man weiß, wohin das geführt hat.</p><lb/>
        <p>Auch schlossen sich viele, besonders junge Leute und die ganze republicanische Partei des eigentlichen jungen Frankreichs an, aber ihnen gegenüber stand die ganze Classe der Gewerbtreibenden, Handelnden, Wissenschaftlichen, der Besitzstand im weitesten Sinne des Worts, den die Revolution geschaffen, die Restauration befestigt und der Frieden seit fünfzehn Jahren gestärkt hatte, mit seinen Gütern vor Augen, mit seinen Erfahrungen in der Vergangenheit, mit seinen Besorgnissen in der Zukunft. Er gab den Ausschlag. Man mag sich aber drehen und wenden wie man will, man wird die Nation nirgend anderswo finden als in ihm. Ludwig Philipp erkannte sein Bedürfniß wie seinen Willen. Die Größe dieses reichbegabten Monarchen beruht darauf, daß er beides erkannt und dem gemäß zu handeln gewußt hat. Er ist, indem er der Dolmetsch des nationalen Willens und der Vollstrecker seines Spruches ward,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1114/0010] was sein vorenthaltenes Eigenthum sey, um dadurch den Rang in Europa wieder einzunehmen, der ihm gebührt, d. i. mit deutschen Worten, um durch Abtrennung einer Bevölkerung von sechs Millionen Deutschen von ihrem Vaterlande über den Rest, sofort aber über den Rest von Europa das Uebergewicht oder die Herrschaft auszuüben, mit Einem Worte, wenn man Neigung und Entschluß zu einem neuen Versuche zeigt, auf unsere Rechnung die politischen Träume oder Plane zu verwirklichen, an welche Ludwig der Große und Napoleon der Große ihre und ihres Volkes Kraft und Thätigkeit vergeblich gesetzt hatten. Wird uns, sag' ich, in dieser oder ähnlicher Form die künftige oder gehoffte Größe von Frankreich als eine auf die Demüthigung und den Untergang von deutscher Unabhängigkeit zu bauende Verherrlichung in Aussicht gestellt; wird zu diesem Behuf einerseits das Bild der französischen Nation mit allen wünschenswerthen Vorzügen, Eigenschaften und Glorien der Selbstgefälligkeit ausgestattet und auf der andern Seite Deutschland als der politisch unfähige, als der in Verfall und Lethargie versunkene bon homme und Träumer von Europa hingestellt, damit bei jener Erhebung des alten deutschen Erbfeindes und bei unserer Herabdrückung die übrigen Völker und am Ende wir selbst es ganz als zu Fug und Recht bestehend erkennen sollen, wenn der ruhmreiche Nachbar über unserm Nacken zu dem fortschreitet, was er seinen Einfluß oder seine Rolle in Europa nennt: so ist es, meinen wir, ganz natürlich, wenn wir nach Grund und Titel jener Ansprüche uns etwas näher erkundigen, und, ehe es zum Handgemenge kommt, für uns, unser Land und unsere Fürsten nach dem Belang und der Rechtsgültigkeit der Pergamente, Diplome und Decorationen fragen, mit denen man sich als den natürlichen Herrn und Meister schmückt, oder uns die Decoration etwas unsanft verbitten, in der eitle Unwissenheit und Hoffart des Nachbars uns erblicken und zeigen möchten. Kein Sophisma der patriotischen Schmuckredner aber wird bewirken, daß Frankreich 1813 und 1815 nicht besiegt worden ist. Es ist nichts als der Mißbrauch einer rhetorischen Figur, wenn man jenseits unserer westlichen Gränze die Nation von ihrem Führer, das Heer von seinem Feldherrn und Kaiser trennen will, dessen Geist in seine Kriegsmacht übergegangen war, wie er von ihr beflügelt und gehoben wurde. Man sagte zur Zeit seines Glücks in Paris: „wir sind über den Niemen gegangen, wir sind in Moskau eingerückt“, und hatte Recht, es zu sagen. Darum sagen wir aber ganz folgerecht: ihr seyd bei Leipzig wie auf eurem Grund und Boden geschlagen und überwältigt worden. Es ist auch wenig dankbar gegen den ersten Helden der neuesten Geschichte, der Frankreich mit seinem Ruhm und seiner Größe geistig durchdrang, ja es ist unrühmlich und des „Ritters ohne Furcht und Tadel“ unwürdig, nachdem er aus großen Unternehmungen, in welche die Nation ihm folgte, mit ihr herabgestürzt ist, seinen Namen und sein Schicksal von dem französischen Namen und dem Schicksal zu trennen und, damit dem Vorurtheil geschmeichelt werde, zu sagen: er ist überwunden und zu Boden geschlagen worden, nicht wir. Wahrer und edler zugleich wäre es, die Worte, welche der nationale Dichter dem braven Bertrand in den Mund legt, sich anzueignen: J'ai partagé sa gloire et sa puissance, Je dois aussi partager ses malheurs. Frankreich wurde unter Napoleon so gut und so entschieden besiegt, wie unter Ludwig XIV, und ist man in Folge davon der Eroberungen entkleidet worden, welche die Revolution über Deutschland gemacht hatte, so hat man nur das Recht und Gesetz des Krieges erfahren: man hat durch die Waffen verloren, was man durch die Waffen gewonnen und behauptet hatte: quae armis tenuerat, armis amisit. Der Gegner sagt ferner, nicht Furcht, sondern die kleinlichen Interessen der neuen Dynastie haben Frankreich 1831 und 1832 gehindert, an den Rhein vorzurücken. Hier liegt dieselbe Trennung der Regierung und der Nation zu Grunde, und sie wird so gern zur Theorie und zu einer alten historischen Thatsache erhoben, deren Bestand und Belang nicht erkannt zu haben ich beschuldigt werde. Nun habe ich zwar keinen Grund zu einer solchen Beschuldigung gegeben, eine Thatsache übersehen zu haben, die wenigstens unter uns bei Niemanden, der Geschichte kennt, im Zweifel gestanden hat. Wir wissen, von welcher frühen Zeit jene Spaltung zwischen der Meinung und der Macht von Frankreich datirt, von welcher Natur und Richtung sie ist und welche Folgen sie gehabt hat; aber wir wissen auch, daß eine Nation, von der Energie und Einsicht der französischen, Mittel und Wege hat, auf Meinung und Handlung ihrer Regierung bestimmenden und gestaltenden Einfluß auszuüben, und daß bei der Beweglichkeit der Nation dort weniger noch als anderwärts eine Regierung möglich und dauernd ist, die sich nicht auf eine Masse von Interessen, Wünsche, Sympathien und Kräfte in dem Lande und der Nation stützt, von der sie Stärke und Dauer empfängt. Diese, insofern sie sich zu einem Ganzen und zu einer Macht vermitteln, gelten als national, und die Regierung, welche nicht anders denn als die Vertreterin derselben gedacht werden kann, als ihr Ausdruck. Beide identificiren sich, und erscheinen als Ganzes mit Haupt und Gliedern, so viele Gründe man übrigens auch haben mag, mit der Lage der Dinge oder der Macht unzufrieden zu seyn. Waren also die Interessen der Dynastie Orleans kleinlich, wie konnten sie die Entschließungen und die Geschicke einer Nation von der Größe und der Bedeutung der französischen bestimmen? Daß sie es konnten und unter den erschütterndsten Umständen bis jetzt vermochten, ist der Beweis, daß jene groß und mächtig war, und daß sie den Willen der Nation ausdrückte, als sie die Juliusrevolution in den Gang leitete, den sie vor unsern Augen genommen hat. Auch ist es allgemein bekannt, welches die großen und nationalen Interessen waren, die hier entschieden, und die der Gegner mit solcher Geringschätzung behandelt. Allerdings gab es der Kriegslustigen so viele als es Militäre gab, denen die Ruhe lästig und die Hoffnung auf Leben und Ehre der Lager und Schlachtfelder erwünscht war. Unter sie gehört wohl auch der Sprecher, und er sieht in ihnen die Nation; aber die Armee ist nirgends die Nation gewesen, außer zu den Zeiten der römischen Kaiser, wo sie das Reich vergab oder verkaufte, und man weiß, wohin das geführt hat. Auch schlossen sich viele, besonders junge Leute und die ganze republicanische Partei des eigentlichen jungen Frankreichs an, aber ihnen gegenüber stand die ganze Classe der Gewerbtreibenden, Handelnden, Wissenschaftlichen, der Besitzstand im weitesten Sinne des Worts, den die Revolution geschaffen, die Restauration befestigt und der Frieden seit fünfzehn Jahren gestärkt hatte, mit seinen Gütern vor Augen, mit seinen Erfahrungen in der Vergangenheit, mit seinen Besorgnissen in der Zukunft. Er gab den Ausschlag. Man mag sich aber drehen und wenden wie man will, man wird die Nation nirgend anderswo finden als in ihm. Ludwig Philipp erkannte sein Bedürfniß wie seinen Willen. Die Größe dieses reichbegabten Monarchen beruht darauf, daß er beides erkannt und dem gemäß zu handeln gewußt hat. Er ist, indem er der Dolmetsch des nationalen Willens und der Vollstrecker seines Spruches ward,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_140_18400519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_140_18400519/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 140. Augsburg, 19. Mai 1840, S. 1114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_140_18400519/10>, abgerufen am 29.04.2024.