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Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840.

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bleiben, im Auslande gar zu wörtlich und auf Unkosten der populären Absichten verdolmetschen. Als der Minister des Auswärtigen 1832 selbst zur Conferenz nach London ging und Hrn. v. Talleyrand in einem Abendcirkel immer auf die Basis von 1830 zurückführen wollte, wandte sich dieser zu den Damen um: "M. Verstolk est un homme charmant, il m'a rajeuni de deux ans." Nicht immer hinterlassen ähnliche Argumente einen gleich verjüngenden, zeitkürzenden Eindruck, und das Gegentheil schadet oft mehr als positives Unrecht. Diese Bemerkung ist nicht überflüssig, denn sie erklärt zum Theil, warum die Holländer 1830 so ganz freundlos dastanden, warum sie, die doch bürgerliche Freiheit so wohl verstehen und verdienen, bei den constitutionellen Völkern damals als Werkzeuge oder Theilnehmer des Absolutismus angesehen wurden. Die gegenseitige Unbekanntschaft gereicht aber beiden zum Nachtheil. Wie die Holländer über alle auswärtigen Völker denken, ergibt negativ schon ihre Meinung von sich, ihre Geographie und Geschichte. Doch es gibt eine Rangordnung, auf welche allerlei populäre Vorurtheile, aber auch kleinliche Leidenschaften Einfluß üben.

Mit den vier europäischen Halbinseln, der pyrenäischen und appenninischen, der skandinavischen und griechischen, ist für Holland keine politische Berührung, außer dem Handel etwa, der die Individuen trennt, die Völker aber einander nähert; dann die Erinnerung gemeinschaftlicher Zurücksetzung, die für Schweden, Spanien und Portugal seit 1815 (durch den Verlust ihrer drei Actien im Rathe der Acht) noch härter seyn könnte, als für Holland. Doch sehen wir nun die pentarchischen Staaten; die entferntesten zunächst. Gerade als solche haben die Russen in Holland verhältnißmäßig den ersten Platz. Ein mächtiger Freund, nicht allzu nahe, scheint allerdings eine bequeme Allianz. Schon lange haben holländische Namen, wie Suchtelen, Witte, van der Heyden zu Land und zur See in Rußland ihrem Vaterlande Ehre gemacht; die Börse von Amsterdam unterhielt immer gutes Vernehmen mit den Petersburger Finanzen, und es war 1816 für die Holländer im Ganzen schmeichelhaft, an das populäre Andenken des Lehrlings von Zaardam eine oranische Familienverbindung knüpfen zu sehen, deren sie sich auch später, besonders seit der belgischen Revolution, bei dem noblen aufopfernden Charakter der Prinzessin von Oranien, nur zu beloben hatten. An den Einfluß politischer Principien von der Newa her hat man bisher noch, gerade wegen der Entfernung und der verschiedenen Verfassung beider Länder, weniger gedacht. Bei dem König ist davon keine Rede; aber auch der nächste Thronerbe, der alle Nationen auf ihre Art zu behandeln versteht, der von Jugend auf erfahren hat, daß die Holländer keiner andern Manie, als etwa der Batavomanie huldigen - auch der Prinz von Oranien fühlt sich zu hoch, als daß er in dem kaiserlichen Schwager je eine andere Stütze als für die äußere Politik suchen sollte. Manche Holländer meinten nach den Brüsseler Unglücken, der Czar hätte ihnen zu Gefallen wohl ein Fünfzigtausend Kosaken durch Deutschland herüber schicken, jedenfalls seine Diplomaten etwas stärker auftreten lassen können. Aber die Russen hatten damals an der Weichsel selbst ihre Belgier, nur weniger glückliche, und russische Diplomaten waren es am Ende, die den König zur Nachgiebigkeit bewogen. Aus dem nüchternen Trieb der Selbsterhaltung ist es wohl zu erklären, daß die Holländer in ihrer damaligen Vereinzelung jede antinordische Bewegung, als ihrer eigenen Sache schädlich, verwünschten - ja daß unter ihnen, einzig in seiner Art, ein Dichter eigens für den Fall von Warschau erstehen konnte!

(Beschluß folgt.)

Rückblick auf Jahn und seine Zeit.

Ueber das bekannte Buch: "Denknisse eines Deutschen oder Fahrten des Alten im Bart" enthalten die Litterarischen Blätter der Börsenhalle einen Artikel, dem wir, als einen für die Zeitgenossen nicht uninteressanten vergleichenden Rückblick hier einige Stellen entheben wollen:

"Dieses Buch versetzte uns lebhaft in eine frühere Bildungsperiode; es gab uns Gelegenheit, unsern eigenen Standpunkt vor fünfzehn Jahren mit unserm jetzigen zu vergleichen. Das Buch mit seinem auffallenden Titel ist von Jahn, oder von dem alten Jahn, wie wir Burschen ihn damals nannten, auch wohl bloß schlichtweg von dem Alten. Es gab eine Zeit, wo die bloßen Namen Arndt, Jahn u. s. w. uns in eine dunkle Begeisterung versetzten. Alle Empfindungen und Ideen von Vaterlandsliebe, Freiheit, Deutschthum, die unausgebildet und drängend in uns lagen, erwachten bei ihrem Klange. Es waren die Helden der Burschenschaft, an die man keine Kritik zu legen wagte, sondern die man unbedingt verehrte. Und eben diejenigen, die man am wenigsten verstand, durch die man am wenigsten gefördert wurde, wurden am leidenschaftlichsten bewundert.

"Im Anfang der zwanziger Jahre hatte sich in den Burschenschaften ein Cyklus von Schriften eingebürgert, vermittelst deren eifriger Lecture man sich jene große Tugend, Vaterlandsliebe genannt, alles Ernstes anstudiren wollte. Was eigentlich Vaterlandsliebe sey? - wir wußten es nicht, aber unsere Herzen klopften lebhafter bei diesem Namen, und von der Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit dieser Eigenschaften waren wir fest überzeugt, und wir gaben uns die allergrößte Mühe, sie in uns zu erzeugen.

"Zu diesen Schriften gehörten vorzüglich Herbsts Ideale und Irrthümer des akademischen Lebens, Fichte's Reden an die deutsche Nation, ein Heft von Ludens Politik und Jahns deutsches Volksthum. Von allen diesen Büchern haben Herbsts Ideale und Irrthümer den meisten Eindruck auf mich gemacht. Die Stimmung, in welcher dieses Buch geschrieben war, war eine enthusiastische, es steckte voller Bombast und höchst subjectiver Reflexion. Es entsprach meinem eigenen Gemüths- und Bildungszustand am meisten. Von den etwaigen Ideen, die in diesem Buche sind, habe ich auch nicht Eine in meinem Gedächtniß behalten; aber wohl erinnere ich mich des Taumels, der herzabdrängenden Begeisterung, worein ich durch dasselbe versetzt wurde. In diesem Buche herrschte der phantastische Enthusiasmus einer unreifen Jugend; kein Wunder, daß die unreife, nach Enthusiasmus sich sehnende Jugend von demselben entzündet wurde. (Wo?) Ludens Heft über Politik wurde eifrig abgeschrieben; ich glaube, es ist auch später nicht im Druck erschienen. Dieses Werk förderte uns wirklich; nicht durch die Ideen, die es enthielt, sondern durch die klare, nüchterne Methode, wodurch sie entwickelt wurden. Herbst nährte nur eine dumpfe Gefühlsschwelgerei, Luden gab uns zu denken und führte uns auf den Weg, selbstständige politische Reflexionen aus Vergangenheit und Gegenwart uns zu bilden. An dem hohen Werth der Fichte'schen Reden wagte natürlich Niemand zu zweifeln. Aber die Wenigsten verstanden sie; die Wenigsten mögen sie selbst gelesen haben. Man versicherte sich ernsthaft, daß dieses ein ganz vortreffliches und tiefsinniges Buch sey; Einer sprach dem Andern nach, man schaffte sie sich an - was mit Schwierigkeiten verbunden war, denn sie waren verboten - aber selten arbeitete sich einer durch sie hindurch. Natürlich wagte man das aber nicht einzugestehen.

"Das Buch, welches aber in der höchsten Verehrung vor Allem

bleiben, im Auslande gar zu wörtlich und auf Unkosten der populären Absichten verdolmetschen. Als der Minister des Auswärtigen 1832 selbst zur Conferenz nach London ging und Hrn. v. Talleyrand in einem Abendcirkel immer auf die Basis von 1830 zurückführen wollte, wandte sich dieser zu den Damen um: „M. Verstolk est un homme charmant, il m'a rajeuni de deux ans.“ Nicht immer hinterlassen ähnliche Argumente einen gleich verjüngenden, zeitkürzenden Eindruck, und das Gegentheil schadet oft mehr als positives Unrecht. Diese Bemerkung ist nicht überflüssig, denn sie erklärt zum Theil, warum die Holländer 1830 so ganz freundlos dastanden, warum sie, die doch bürgerliche Freiheit so wohl verstehen und verdienen, bei den constitutionellen Völkern damals als Werkzeuge oder Theilnehmer des Absolutismus angesehen wurden. Die gegenseitige Unbekanntschaft gereicht aber beiden zum Nachtheil. Wie die Holländer über alle auswärtigen Völker denken, ergibt negativ schon ihre Meinung von sich, ihre Geographie und Geschichte. Doch es gibt eine Rangordnung, auf welche allerlei populäre Vorurtheile, aber auch kleinliche Leidenschaften Einfluß üben.

Mit den vier europäischen Halbinseln, der pyrenäischen und appenninischen, der skandinavischen und griechischen, ist für Holland keine politische Berührung, außer dem Handel etwa, der die Individuen trennt, die Völker aber einander nähert; dann die Erinnerung gemeinschaftlicher Zurücksetzung, die für Schweden, Spanien und Portugal seit 1815 (durch den Verlust ihrer drei Actien im Rathe der Acht) noch härter seyn könnte, als für Holland. Doch sehen wir nun die pentarchischen Staaten; die entferntesten zunächst. Gerade als solche haben die Russen in Holland verhältnißmäßig den ersten Platz. Ein mächtiger Freund, nicht allzu nahe, scheint allerdings eine bequeme Allianz. Schon lange haben holländische Namen, wie Suchtelen, Witte, van der Heyden zu Land und zur See in Rußland ihrem Vaterlande Ehre gemacht; die Börse von Amsterdam unterhielt immer gutes Vernehmen mit den Petersburger Finanzen, und es war 1816 für die Holländer im Ganzen schmeichelhaft, an das populäre Andenken des Lehrlings von Zaardam eine oranische Familienverbindung knüpfen zu sehen, deren sie sich auch später, besonders seit der belgischen Revolution, bei dem noblen aufopfernden Charakter der Prinzessin von Oranien, nur zu beloben hatten. An den Einfluß politischer Principien von der Newa her hat man bisher noch, gerade wegen der Entfernung und der verschiedenen Verfassung beider Länder, weniger gedacht. Bei dem König ist davon keine Rede; aber auch der nächste Thronerbe, der alle Nationen auf ihre Art zu behandeln versteht, der von Jugend auf erfahren hat, daß die Holländer keiner andern Manie, als etwa der Batavomanie huldigen – auch der Prinz von Oranien fühlt sich zu hoch, als daß er in dem kaiserlichen Schwager je eine andere Stütze als für die äußere Politik suchen sollte. Manche Holländer meinten nach den Brüsseler Unglücken, der Czar hätte ihnen zu Gefallen wohl ein Fünfzigtausend Kosaken durch Deutschland herüber schicken, jedenfalls seine Diplomaten etwas stärker auftreten lassen können. Aber die Russen hatten damals an der Weichsel selbst ihre Belgier, nur weniger glückliche, und russische Diplomaten waren es am Ende, die den König zur Nachgiebigkeit bewogen. Aus dem nüchternen Trieb der Selbsterhaltung ist es wohl zu erklären, daß die Holländer in ihrer damaligen Vereinzelung jede antinordische Bewegung, als ihrer eigenen Sache schädlich, verwünschten – ja daß unter ihnen, einzig in seiner Art, ein Dichter eigens für den Fall von Warschau erstehen konnte!

(Beschluß folgt.)

Rückblick auf Jahn und seine Zeit.

Ueber das bekannte Buch: „Denknisse eines Deutschen oder Fahrten des Alten im Bart“ enthalten die Litterarischen Blätter der Börsenhalle einen Artikel, dem wir, als einen für die Zeitgenossen nicht uninteressanten vergleichenden Rückblick hier einige Stellen entheben wollen:

„Dieses Buch versetzte uns lebhaft in eine frühere Bildungsperiode; es gab uns Gelegenheit, unsern eigenen Standpunkt vor fünfzehn Jahren mit unserm jetzigen zu vergleichen. Das Buch mit seinem auffallenden Titel ist von Jahn, oder von dem alten Jahn, wie wir Burschen ihn damals nannten, auch wohl bloß schlichtweg von dem Alten. Es gab eine Zeit, wo die bloßen Namen Arndt, Jahn u. s. w. uns in eine dunkle Begeisterung versetzten. Alle Empfindungen und Ideen von Vaterlandsliebe, Freiheit, Deutschthum, die unausgebildet und drängend in uns lagen, erwachten bei ihrem Klange. Es waren die Helden der Burschenschaft, an die man keine Kritik zu legen wagte, sondern die man unbedingt verehrte. Und eben diejenigen, die man am wenigsten verstand, durch die man am wenigsten gefördert wurde, wurden am leidenschaftlichsten bewundert.

„Im Anfang der zwanziger Jahre hatte sich in den Burschenschaften ein Cyklus von Schriften eingebürgert, vermittelst deren eifriger Lecture man sich jene große Tugend, Vaterlandsliebe genannt, alles Ernstes anstudiren wollte. Was eigentlich Vaterlandsliebe sey? – wir wußten es nicht, aber unsere Herzen klopften lebhafter bei diesem Namen, und von der Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit dieser Eigenschaften waren wir fest überzeugt, und wir gaben uns die allergrößte Mühe, sie in uns zu erzeugen.

„Zu diesen Schriften gehörten vorzüglich Herbsts Ideale und Irrthümer des akademischen Lebens, Fichte's Reden an die deutsche Nation, ein Heft von Ludens Politik und Jahns deutsches Volksthum. Von allen diesen Büchern haben Herbsts Ideale und Irrthümer den meisten Eindruck auf mich gemacht. Die Stimmung, in welcher dieses Buch geschrieben war, war eine enthusiastische, es steckte voller Bombast und höchst subjectiver Reflexion. Es entsprach meinem eigenen Gemüths- und Bildungszustand am meisten. Von den etwaigen Ideen, die in diesem Buche sind, habe ich auch nicht Eine in meinem Gedächtniß behalten; aber wohl erinnere ich mich des Taumels, der herzabdrängenden Begeisterung, worein ich durch dasselbe versetzt wurde. In diesem Buche herrschte der phantastische Enthusiasmus einer unreifen Jugend; kein Wunder, daß die unreife, nach Enthusiasmus sich sehnende Jugend von demselben entzündet wurde. (Wo?) Ludens Heft über Politik wurde eifrig abgeschrieben; ich glaube, es ist auch später nicht im Druck erschienen. Dieses Werk förderte uns wirklich; nicht durch die Ideen, die es enthielt, sondern durch die klare, nüchterne Methode, wodurch sie entwickelt wurden. Herbst nährte nur eine dumpfe Gefühlsschwelgerei, Luden gab uns zu denken und führte uns auf den Weg, selbstständige politische Reflexionen aus Vergangenheit und Gegenwart uns zu bilden. An dem hohen Werth der Fichte'schen Reden wagte natürlich Niemand zu zweifeln. Aber die Wenigsten verstanden sie; die Wenigsten mögen sie selbst gelesen haben. Man versicherte sich ernsthaft, daß dieses ein ganz vortreffliches und tiefsinniges Buch sey; Einer sprach dem Andern nach, man schaffte sie sich an – was mit Schwierigkeiten verbunden war, denn sie waren verboten – aber selten arbeitete sich einer durch sie hindurch. Natürlich wagte man das aber nicht einzugestehen.

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[1156/0012] bleiben, im Auslande gar zu wörtlich und auf Unkosten der populären Absichten verdolmetschen. Als der Minister des Auswärtigen 1832 selbst zur Conferenz nach London ging und Hrn. v. Talleyrand in einem Abendcirkel immer auf die Basis von 1830 zurückführen wollte, wandte sich dieser zu den Damen um: „M. Verstolk est un homme charmant, il m'a rajeuni de deux ans.“ Nicht immer hinterlassen ähnliche Argumente einen gleich verjüngenden, zeitkürzenden Eindruck, und das Gegentheil schadet oft mehr als positives Unrecht. Diese Bemerkung ist nicht überflüssig, denn sie erklärt zum Theil, warum die Holländer 1830 so ganz freundlos dastanden, warum sie, die doch bürgerliche Freiheit so wohl verstehen und verdienen, bei den constitutionellen Völkern damals als Werkzeuge oder Theilnehmer des Absolutismus angesehen wurden. Die gegenseitige Unbekanntschaft gereicht aber beiden zum Nachtheil. Wie die Holländer über alle auswärtigen Völker denken, ergibt negativ schon ihre Meinung von sich, ihre Geographie und Geschichte. Doch es gibt eine Rangordnung, auf welche allerlei populäre Vorurtheile, aber auch kleinliche Leidenschaften Einfluß üben. Mit den vier europäischen Halbinseln, der pyrenäischen und appenninischen, der skandinavischen und griechischen, ist für Holland keine politische Berührung, außer dem Handel etwa, der die Individuen trennt, die Völker aber einander nähert; dann die Erinnerung gemeinschaftlicher Zurücksetzung, die für Schweden, Spanien und Portugal seit 1815 (durch den Verlust ihrer drei Actien im Rathe der Acht) noch härter seyn könnte, als für Holland. Doch sehen wir nun die pentarchischen Staaten; die entferntesten zunächst. Gerade als solche haben die Russen in Holland verhältnißmäßig den ersten Platz. Ein mächtiger Freund, nicht allzu nahe, scheint allerdings eine bequeme Allianz. Schon lange haben holländische Namen, wie Suchtelen, Witte, van der Heyden zu Land und zur See in Rußland ihrem Vaterlande Ehre gemacht; die Börse von Amsterdam unterhielt immer gutes Vernehmen mit den Petersburger Finanzen, und es war 1816 für die Holländer im Ganzen schmeichelhaft, an das populäre Andenken des Lehrlings von Zaardam eine oranische Familienverbindung knüpfen zu sehen, deren sie sich auch später, besonders seit der belgischen Revolution, bei dem noblen aufopfernden Charakter der Prinzessin von Oranien, nur zu beloben hatten. An den Einfluß politischer Principien von der Newa her hat man bisher noch, gerade wegen der Entfernung und der verschiedenen Verfassung beider Länder, weniger gedacht. Bei dem König ist davon keine Rede; aber auch der nächste Thronerbe, der alle Nationen auf ihre Art zu behandeln versteht, der von Jugend auf erfahren hat, daß die Holländer keiner andern Manie, als etwa der Batavomanie huldigen – auch der Prinz von Oranien fühlt sich zu hoch, als daß er in dem kaiserlichen Schwager je eine andere Stütze als für die äußere Politik suchen sollte. Manche Holländer meinten nach den Brüsseler Unglücken, der Czar hätte ihnen zu Gefallen wohl ein Fünfzigtausend Kosaken durch Deutschland herüber schicken, jedenfalls seine Diplomaten etwas stärker auftreten lassen können. Aber die Russen hatten damals an der Weichsel selbst ihre Belgier, nur weniger glückliche, und russische Diplomaten waren es am Ende, die den König zur Nachgiebigkeit bewogen. Aus dem nüchternen Trieb der Selbsterhaltung ist es wohl zu erklären, daß die Holländer in ihrer damaligen Vereinzelung jede antinordische Bewegung, als ihrer eigenen Sache schädlich, verwünschten – ja daß unter ihnen, einzig in seiner Art, ein Dichter eigens für den Fall von Warschau erstehen konnte! (Beschluß folgt.) Rückblick auf Jahn und seine Zeit. Ueber das bekannte Buch: „Denknisse eines Deutschen oder Fahrten des Alten im Bart“ enthalten die Litterarischen Blätter der Börsenhalle einen Artikel, dem wir, als einen für die Zeitgenossen nicht uninteressanten vergleichenden Rückblick hier einige Stellen entheben wollen: „Dieses Buch versetzte uns lebhaft in eine frühere Bildungsperiode; es gab uns Gelegenheit, unsern eigenen Standpunkt vor fünfzehn Jahren mit unserm jetzigen zu vergleichen. Das Buch mit seinem auffallenden Titel ist von Jahn, oder von dem alten Jahn, wie wir Burschen ihn damals nannten, auch wohl bloß schlichtweg von dem Alten. Es gab eine Zeit, wo die bloßen Namen Arndt, Jahn u. s. w. uns in eine dunkle Begeisterung versetzten. Alle Empfindungen und Ideen von Vaterlandsliebe, Freiheit, Deutschthum, die unausgebildet und drängend in uns lagen, erwachten bei ihrem Klange. Es waren die Helden der Burschenschaft, an die man keine Kritik zu legen wagte, sondern die man unbedingt verehrte. Und eben diejenigen, die man am wenigsten verstand, durch die man am wenigsten gefördert wurde, wurden am leidenschaftlichsten bewundert. „Im Anfang der zwanziger Jahre hatte sich in den Burschenschaften ein Cyklus von Schriften eingebürgert, vermittelst deren eifriger Lecture man sich jene große Tugend, Vaterlandsliebe genannt, alles Ernstes anstudiren wollte. Was eigentlich Vaterlandsliebe sey? – wir wußten es nicht, aber unsere Herzen klopften lebhafter bei diesem Namen, und von der Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit dieser Eigenschaften waren wir fest überzeugt, und wir gaben uns die allergrößte Mühe, sie in uns zu erzeugen. „Zu diesen Schriften gehörten vorzüglich Herbsts Ideale und Irrthümer des akademischen Lebens, Fichte's Reden an die deutsche Nation, ein Heft von Ludens Politik und Jahns deutsches Volksthum. Von allen diesen Büchern haben Herbsts Ideale und Irrthümer den meisten Eindruck auf mich gemacht. Die Stimmung, in welcher dieses Buch geschrieben war, war eine enthusiastische, es steckte voller Bombast und höchst subjectiver Reflexion. Es entsprach meinem eigenen Gemüths- und Bildungszustand am meisten. Von den etwaigen Ideen, die in diesem Buche sind, habe ich auch nicht Eine in meinem Gedächtniß behalten; aber wohl erinnere ich mich des Taumels, der herzabdrängenden Begeisterung, worein ich durch dasselbe versetzt wurde. In diesem Buche herrschte der phantastische Enthusiasmus einer unreifen Jugend; kein Wunder, daß die unreife, nach Enthusiasmus sich sehnende Jugend von demselben entzündet wurde. (Wo?) Ludens Heft über Politik wurde eifrig abgeschrieben; ich glaube, es ist auch später nicht im Druck erschienen. Dieses Werk förderte uns wirklich; nicht durch die Ideen, die es enthielt, sondern durch die klare, nüchterne Methode, wodurch sie entwickelt wurden. Herbst nährte nur eine dumpfe Gefühlsschwelgerei, Luden gab uns zu denken und führte uns auf den Weg, selbstständige politische Reflexionen aus Vergangenheit und Gegenwart uns zu bilden. An dem hohen Werth der Fichte'schen Reden wagte natürlich Niemand zu zweifeln. Aber die Wenigsten verstanden sie; die Wenigsten mögen sie selbst gelesen haben. Man versicherte sich ernsthaft, daß dieses ein ganz vortreffliches und tiefsinniges Buch sey; Einer sprach dem Andern nach, man schaffte sie sich an – was mit Schwierigkeiten verbunden war, denn sie waren verboten – aber selten arbeitete sich einer durch sie hindurch. Natürlich wagte man das aber nicht einzugestehen. „Das Buch, welches aber in der höchsten Verehrung vor Allem

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840, S. 1156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_145_18400524/12>, abgerufen am 23.04.2024.