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Allgemeine Zeitung. Nr. 181. Augsburg, 29. Juni 1840.

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St. Helena und Napoleons Grab.

(Beschluß.)

Der Handel der Jamesstadt ist höchst unbedeutend. Die Erzeugnisse der Insel reichen natürlich bei weitem nicht hin zur Nahrung der an fünftausend Seelen starken Bevölkerung und der zahlreichen Garnison. St. Helena erhält einen großen Theil seiner Bedürfnisse vom Cap, namentlich fettschwänzige Schafe und Wein, und von England selbst gehen jährlich zwei Proviantschiffe dahin, die geräuchertes Fleisch und Porter, Tabak, Salz, Rum und alle andern Lebensmittel, wie die europäischen Luxusartikel dahin bringen. Diese kann man in den Läden für theures Geld erhalten oder man tauscht sie gegen indische und chinesische Waaren ein, welche jedoch hier in geringem Werthe stehen. Der erste Kaufmann der Insel, welcher bei den Seefahrern in solch hohem Ansehen steht, daß sie alle ihre Geschäfte von ihm besorgen lassen, ist ein alter Sohn Israels, aus dem Orte Deutz, Köln gegenüber, Salomons geheißen. Der Mann hatte früher in London ein bedeutendes Geschäft, verlor aber am Ende alle seine Habe und hat sich dann nach St. Helena begeben, wo damals seine Tochter mit einem Officier der Garnison verheirathet war. Hier ward Salomons bald durch Thätigkeit und Sparsamkeit - Eigenschaften, die den Israeliten in allen Klimaten und bei allen Völkern auszeichnen - ein wohlhabender Mann; alle wichtigern Handelsgeschäfte der Insel kamen bald in seine Hände. Hr. Salomons, der von Capitän Ward vernommen hatte, daß ich ein Deutscher sey, wollte sich, wie er sagte, nach langer Zeit die Freude wiederum machen, in seiner Muttersprache ein Gespräch zu führen. Leider konnte ich ihm aber dieß nicht verschaffen, denn es war mir schlechterdings nicht möglich, sein niederländisches Kauderwälsch zu verstehen. Ich mußte ihn bitten, auch mit mir, wie mit den andern Herren, englisch zu reden. Scherzend äußerten meine Gefährten, ich müßte wohl über dem Chinesischen mein Deutsch vergessen haben; denn Hr. Salomons sey ja aus Deutz, wo man, was ja schon der Name beweise, doch sicherlich ein sehr gutes Deutsch spräche. Hr. Salomons war übrigens äußerst artig und gefällig; er setzte mir alsbald allerlei frische Früchte vor und war gütig genug hinzuzufügen, ich möchte doch, so lange ich auf St. Helena verbliebe, sein Gast seyn; er würde sich ein Vergnügen daraus machen, einen Landsmann bei sich zu bewirthen. Ich wollte dem alten Herrn nun, um ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen, Einiges über unsere deutschen Zustände mittheilen; ich begann zu erzählen wie wirs treiben und wie wir getrieben werden. Dieß interessirte ihn aber durchaus nicht. "Was Deutschland," erwiederte er, "was geht mich Deutschland an? Ich habe jeden Deutschen gern, weil ich in Deutschland geboren bin; ich habe aber keine Sehnsucht dahin zurückzukehren, und will auch nichts von diesem Volke wissen. Haben denn wohl die guten Deutschen unser eins auch nur wie einen Menschen behandelt?"

Neben dem Sir David Scott lagen noch andere Compagnieschiffe in der Bay von St. Helena vor Anker, und alle Gentlemen wollten natürlich das Grab Napoleons und Longwood besuchen. Wir verabredeten uns auf den andern Morgen um neun, wo wir bei Hrn. Salomons uns treffen wollten. Die Grabstätte dieses außerordentlichen Mannes ist ungefähr drei, und Longwood 4 3/4, auf einem kürzern aber steilern Weg 4 1/4 englische Meilen von der Jamesstadt entfernt. Als wir erwachten, erhob sich die Sonne in ruhiger Majestät aus dem östlichen Meere; sie versprach uns einen lieblichen heitern Morgen und verkündigte einen brennenden Tag. Wir machten uns zur bestimmten Stunde auf den Weg. In einer kleinen Entfernung von der lärmenden Gesellschaft, welcher die Wanderung zu Napoleons Grab eine gewöhnliche Unterhaltung schien - gleichwie ein Gang zu den Theegärten Mowqua's oder der Anblick eines Kampfes zwischen zwei bewaffneten malayischen Streithähnen - stieg ich das immer enger und enger zulaufende Thal hinan, und je weiter ich vorwärts schritt, desto mehr bemächtigte sich meiner eine düstere Stimmung, welcher ich den ganzen Tag über nicht mehr Herr werden konnte. Ich fühlte mich hier, so nahe an des Titanen Grab, von einem tiefen Schmerz ergriffen über dem Widerspruch der Menschen, welche diejenigen bewundern und selbst bis zu den Sternen erheben, von welchen sie mit Füßen getreten werden, welche sie muthwilligerweise zu Bausteinen eines selbstsüchtigen Ruhmes mißbrauchen. Was hat Napoleon für die Menschheit gethan, und was hätte er für sie thun können? Der philosophische Geschichtschreiber wird diese Frage nur zum Nachtheile dieses außerordentlichen Mannes beantworten können. Niemals zuvor in der Weltgeschichte ward einem einzelnen Menschen solch eine Macht gegeben, und zu keiner Zeit war unser Geschlecht so zur Einsicht emporgereift, als mit dem Beginn des Jahrhunderts. Die Menschheit wünschte, sie war reif für eine Regeneration hin nach allen Richtungen des Geistes und des Lebens. Hat ihr nun Napoleon auf dieser Bahn der Erneuerung, auf welcher sie sich noch viele Jahre kämpfend fortwäl zen muß, bis sie ein Ziel erreicht, hat er ihr vorwärts geholfen? Nein und nimmermehr! Das Gute, dessen sich die Welt aus der neuern Zeit erfreut, verdankt sie nicht diesem Manne, sondern dem erleuchteten Geist des achtzehnten Jahrhunderts, der auch der constituirenden Versammlung seinen gewaltigen, nur durch die eigenthümlichen Verhältnisse Frankreichs gewaltsam gewordenen Impuls gab. Dieser Geist war aber dem Herrschersinne Napoleons in seiner innersten Seele verhaßt; jede freisinnige selbstständige Regung galt ihm für ein thörichtes Hirngespinnst der Ideologie, die den Menschen nicht kenne und die deßhalb nicht ahne, wie solches Gesindel behandelt werden müsse. Sein Ideal war der Verwaltungsstaat Karls des Großen, aber ohne Maiversammlungen, in Verbindung mit dem Briefadel und dem Lehnswesen der spätern schlechtern Jahrhunderte des Mittelalters. Und doch ward und wird dieser Mann von dem größten Theile des Continents, und namentlich von vielen Deutschen, als das Musterbild eines großen und weisen Fürsten erhoben und gepriesen, während die herrlichsten Menschen, die Wohlthäter des Geschlechts ruhmlos hinsanken und hinsinken in ein dunkles Grab, der Mißachtung preisgegeben und der Vergessenheit!

Die Sonnenstrahlen, zurückprallend von den abschüssigen, mit rothem Sand und feinem Staub überdeckten Hügelreihen erregten solch einen Qualm in den Felsenritzen, daß man nur mit Mühe Athem schöpfen konnte. Kein Lüftchen regte sich, kein Vogel ließ seine Stimme erschallen; nirgendwo eine Spur lebender Wesen, lebensfrischer Vegetation. Nur hie und da verkrüppeltes Tannengesträuch, in der Weise, wie es in hohen Breiten mühsam sich fortschleppt, das einzige Labsal für die von dem Flugsand angegriffenen und geblendeten Augen. Dieser öde und düstere Anblick des innern Landes paßte ganz zu der Stimmung, mit welcher ich Napoleons Grab besuchte. "Wir

St. Helena und Napoleons Grab.

(Beschluß.)

Der Handel der Jamesstadt ist höchst unbedeutend. Die Erzeugnisse der Insel reichen natürlich bei weitem nicht hin zur Nahrung der an fünftausend Seelen starken Bevölkerung und der zahlreichen Garnison. St. Helena erhält einen großen Theil seiner Bedürfnisse vom Cap, namentlich fettschwänzige Schafe und Wein, und von England selbst gehen jährlich zwei Proviantschiffe dahin, die geräuchertes Fleisch und Porter, Tabak, Salz, Rum und alle andern Lebensmittel, wie die europäischen Luxusartikel dahin bringen. Diese kann man in den Läden für theures Geld erhalten oder man tauscht sie gegen indische und chinesische Waaren ein, welche jedoch hier in geringem Werthe stehen. Der erste Kaufmann der Insel, welcher bei den Seefahrern in solch hohem Ansehen steht, daß sie alle ihre Geschäfte von ihm besorgen lassen, ist ein alter Sohn Israels, aus dem Orte Deutz, Köln gegenüber, Salomons geheißen. Der Mann hatte früher in London ein bedeutendes Geschäft, verlor aber am Ende alle seine Habe und hat sich dann nach St. Helena begeben, wo damals seine Tochter mit einem Officier der Garnison verheirathet war. Hier ward Salomons bald durch Thätigkeit und Sparsamkeit – Eigenschaften, die den Israeliten in allen Klimaten und bei allen Völkern auszeichnen – ein wohlhabender Mann; alle wichtigern Handelsgeschäfte der Insel kamen bald in seine Hände. Hr. Salomons, der von Capitän Ward vernommen hatte, daß ich ein Deutscher sey, wollte sich, wie er sagte, nach langer Zeit die Freude wiederum machen, in seiner Muttersprache ein Gespräch zu führen. Leider konnte ich ihm aber dieß nicht verschaffen, denn es war mir schlechterdings nicht möglich, sein niederländisches Kauderwälsch zu verstehen. Ich mußte ihn bitten, auch mit mir, wie mit den andern Herren, englisch zu reden. Scherzend äußerten meine Gefährten, ich müßte wohl über dem Chinesischen mein Deutsch vergessen haben; denn Hr. Salomons sey ja aus Deutz, wo man, was ja schon der Name beweise, doch sicherlich ein sehr gutes Deutsch spräche. Hr. Salomons war übrigens äußerst artig und gefällig; er setzte mir alsbald allerlei frische Früchte vor und war gütig genug hinzuzufügen, ich möchte doch, so lange ich auf St. Helena verbliebe, sein Gast seyn; er würde sich ein Vergnügen daraus machen, einen Landsmann bei sich zu bewirthen. Ich wollte dem alten Herrn nun, um ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen, Einiges über unsere deutschen Zustände mittheilen; ich begann zu erzählen wie wirs treiben und wie wir getrieben werden. Dieß interessirte ihn aber durchaus nicht. „Was Deutschland,“ erwiederte er, „was geht mich Deutschland an? Ich habe jeden Deutschen gern, weil ich in Deutschland geboren bin; ich habe aber keine Sehnsucht dahin zurückzukehren, und will auch nichts von diesem Volke wissen. Haben denn wohl die guten Deutschen unser eins auch nur wie einen Menschen behandelt?“

Neben dem Sir David Scott lagen noch andere Compagnieschiffe in der Bay von St. Helena vor Anker, und alle Gentlemen wollten natürlich das Grab Napoleons und Longwood besuchen. Wir verabredeten uns auf den andern Morgen um neun, wo wir bei Hrn. Salomons uns treffen wollten. Die Grabstätte dieses außerordentlichen Mannes ist ungefähr drei, und Longwood 4 3/4, auf einem kürzern aber steilern Weg 4 1/4 englische Meilen von der Jamesstadt entfernt. Als wir erwachten, erhob sich die Sonne in ruhiger Majestät aus dem östlichen Meere; sie versprach uns einen lieblichen heitern Morgen und verkündigte einen brennenden Tag. Wir machten uns zur bestimmten Stunde auf den Weg. In einer kleinen Entfernung von der lärmenden Gesellschaft, welcher die Wanderung zu Napoleons Grab eine gewöhnliche Unterhaltung schien – gleichwie ein Gang zu den Theegärten Mowqua's oder der Anblick eines Kampfes zwischen zwei bewaffneten malayischen Streithähnen – stieg ich das immer enger und enger zulaufende Thal hinan, und je weiter ich vorwärts schritt, desto mehr bemächtigte sich meiner eine düstere Stimmung, welcher ich den ganzen Tag über nicht mehr Herr werden konnte. Ich fühlte mich hier, so nahe an des Titanen Grab, von einem tiefen Schmerz ergriffen über dem Widerspruch der Menschen, welche diejenigen bewundern und selbst bis zu den Sternen erheben, von welchen sie mit Füßen getreten werden, welche sie muthwilligerweise zu Bausteinen eines selbstsüchtigen Ruhmes mißbrauchen. Was hat Napoleon für die Menschheit gethan, und was hätte er für sie thun können? Der philosophische Geschichtschreiber wird diese Frage nur zum Nachtheile dieses außerordentlichen Mannes beantworten können. Niemals zuvor in der Weltgeschichte ward einem einzelnen Menschen solch eine Macht gegeben, und zu keiner Zeit war unser Geschlecht so zur Einsicht emporgereift, als mit dem Beginn des Jahrhunderts. Die Menschheit wünschte, sie war reif für eine Regeneration hin nach allen Richtungen des Geistes und des Lebens. Hat ihr nun Napoleon auf dieser Bahn der Erneuerung, auf welcher sie sich noch viele Jahre kämpfend fortwäl zen muß, bis sie ein Ziel erreicht, hat er ihr vorwärts geholfen? Nein und nimmermehr! Das Gute, dessen sich die Welt aus der neuern Zeit erfreut, verdankt sie nicht diesem Manne, sondern dem erleuchteten Geist des achtzehnten Jahrhunderts, der auch der constituirenden Versammlung seinen gewaltigen, nur durch die eigenthümlichen Verhältnisse Frankreichs gewaltsam gewordenen Impuls gab. Dieser Geist war aber dem Herrschersinne Napoleons in seiner innersten Seele verhaßt; jede freisinnige selbstständige Regung galt ihm für ein thörichtes Hirngespinnst der Ideologie, die den Menschen nicht kenne und die deßhalb nicht ahne, wie solches Gesindel behandelt werden müsse. Sein Ideal war der Verwaltungsstaat Karls des Großen, aber ohne Maiversammlungen, in Verbindung mit dem Briefadel und dem Lehnswesen der spätern schlechtern Jahrhunderte des Mittelalters. Und doch ward und wird dieser Mann von dem größten Theile des Continents, und namentlich von vielen Deutschen, als das Musterbild eines großen und weisen Fürsten erhoben und gepriesen, während die herrlichsten Menschen, die Wohlthäter des Geschlechts ruhmlos hinsanken und hinsinken in ein dunkles Grab, der Mißachtung preisgegeben und der Vergessenheit!

Die Sonnenstrahlen, zurückprallend von den abschüssigen, mit rothem Sand und feinem Staub überdeckten Hügelreihen erregten solch einen Qualm in den Felsenritzen, daß man nur mit Mühe Athem schöpfen konnte. Kein Lüftchen regte sich, kein Vogel ließ seine Stimme erschallen; nirgendwo eine Spur lebender Wesen, lebensfrischer Vegetation. Nur hie und da verkrüppeltes Tannengesträuch, in der Weise, wie es in hohen Breiten mühsam sich fortschleppt, das einzige Labsal für die von dem Flugsand angegriffenen und geblendeten Augen. Dieser öde und düstere Anblick des innern Landes paßte ganz zu der Stimmung, mit welcher ich Napoleons Grab besuchte. „Wir

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[1433/0009] St. Helena und Napoleons Grab. (Beschluß.) Der Handel der Jamesstadt ist höchst unbedeutend. Die Erzeugnisse der Insel reichen natürlich bei weitem nicht hin zur Nahrung der an fünftausend Seelen starken Bevölkerung und der zahlreichen Garnison. St. Helena erhält einen großen Theil seiner Bedürfnisse vom Cap, namentlich fettschwänzige Schafe und Wein, und von England selbst gehen jährlich zwei Proviantschiffe dahin, die geräuchertes Fleisch und Porter, Tabak, Salz, Rum und alle andern Lebensmittel, wie die europäischen Luxusartikel dahin bringen. Diese kann man in den Läden für theures Geld erhalten oder man tauscht sie gegen indische und chinesische Waaren ein, welche jedoch hier in geringem Werthe stehen. Der erste Kaufmann der Insel, welcher bei den Seefahrern in solch hohem Ansehen steht, daß sie alle ihre Geschäfte von ihm besorgen lassen, ist ein alter Sohn Israels, aus dem Orte Deutz, Köln gegenüber, Salomons geheißen. Der Mann hatte früher in London ein bedeutendes Geschäft, verlor aber am Ende alle seine Habe und hat sich dann nach St. Helena begeben, wo damals seine Tochter mit einem Officier der Garnison verheirathet war. Hier ward Salomons bald durch Thätigkeit und Sparsamkeit – Eigenschaften, die den Israeliten in allen Klimaten und bei allen Völkern auszeichnen – ein wohlhabender Mann; alle wichtigern Handelsgeschäfte der Insel kamen bald in seine Hände. Hr. Salomons, der von Capitän Ward vernommen hatte, daß ich ein Deutscher sey, wollte sich, wie er sagte, nach langer Zeit die Freude wiederum machen, in seiner Muttersprache ein Gespräch zu führen. Leider konnte ich ihm aber dieß nicht verschaffen, denn es war mir schlechterdings nicht möglich, sein niederländisches Kauderwälsch zu verstehen. Ich mußte ihn bitten, auch mit mir, wie mit den andern Herren, englisch zu reden. Scherzend äußerten meine Gefährten, ich müßte wohl über dem Chinesischen mein Deutsch vergessen haben; denn Hr. Salomons sey ja aus Deutz, wo man, was ja schon der Name beweise, doch sicherlich ein sehr gutes Deutsch spräche. Hr. Salomons war übrigens äußerst artig und gefällig; er setzte mir alsbald allerlei frische Früchte vor und war gütig genug hinzuzufügen, ich möchte doch, so lange ich auf St. Helena verbliebe, sein Gast seyn; er würde sich ein Vergnügen daraus machen, einen Landsmann bei sich zu bewirthen. Ich wollte dem alten Herrn nun, um ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen, Einiges über unsere deutschen Zustände mittheilen; ich begann zu erzählen wie wirs treiben und wie wir getrieben werden. Dieß interessirte ihn aber durchaus nicht. „Was Deutschland,“ erwiederte er, „was geht mich Deutschland an? Ich habe jeden Deutschen gern, weil ich in Deutschland geboren bin; ich habe aber keine Sehnsucht dahin zurückzukehren, und will auch nichts von diesem Volke wissen. Haben denn wohl die guten Deutschen unser eins auch nur wie einen Menschen behandelt?“ Neben dem Sir David Scott lagen noch andere Compagnieschiffe in der Bay von St. Helena vor Anker, und alle Gentlemen wollten natürlich das Grab Napoleons und Longwood besuchen. Wir verabredeten uns auf den andern Morgen um neun, wo wir bei Hrn. Salomons uns treffen wollten. Die Grabstätte dieses außerordentlichen Mannes ist ungefähr drei, und Longwood 4 3/4, auf einem kürzern aber steilern Weg 4 1/4 englische Meilen von der Jamesstadt entfernt. Als wir erwachten, erhob sich die Sonne in ruhiger Majestät aus dem östlichen Meere; sie versprach uns einen lieblichen heitern Morgen und verkündigte einen brennenden Tag. Wir machten uns zur bestimmten Stunde auf den Weg. In einer kleinen Entfernung von der lärmenden Gesellschaft, welcher die Wanderung zu Napoleons Grab eine gewöhnliche Unterhaltung schien – gleichwie ein Gang zu den Theegärten Mowqua's oder der Anblick eines Kampfes zwischen zwei bewaffneten malayischen Streithähnen – stieg ich das immer enger und enger zulaufende Thal hinan, und je weiter ich vorwärts schritt, desto mehr bemächtigte sich meiner eine düstere Stimmung, welcher ich den ganzen Tag über nicht mehr Herr werden konnte. Ich fühlte mich hier, so nahe an des Titanen Grab, von einem tiefen Schmerz ergriffen über dem Widerspruch der Menschen, welche diejenigen bewundern und selbst bis zu den Sternen erheben, von welchen sie mit Füßen getreten werden, welche sie muthwilligerweise zu Bausteinen eines selbstsüchtigen Ruhmes mißbrauchen. Was hat Napoleon für die Menschheit gethan, und was hätte er für sie thun können? Der philosophische Geschichtschreiber wird diese Frage nur zum Nachtheile dieses außerordentlichen Mannes beantworten können. Niemals zuvor in der Weltgeschichte ward einem einzelnen Menschen solch eine Macht gegeben, und zu keiner Zeit war unser Geschlecht so zur Einsicht emporgereift, als mit dem Beginn des Jahrhunderts. Die Menschheit wünschte, sie war reif für eine Regeneration hin nach allen Richtungen des Geistes und des Lebens. Hat ihr nun Napoleon auf dieser Bahn der Erneuerung, auf welcher sie sich noch viele Jahre kämpfend fortwäl zen muß, bis sie ein Ziel erreicht, hat er ihr vorwärts geholfen? Nein und nimmermehr! Das Gute, dessen sich die Welt aus der neuern Zeit erfreut, verdankt sie nicht diesem Manne, sondern dem erleuchteten Geist des achtzehnten Jahrhunderts, der auch der constituirenden Versammlung seinen gewaltigen, nur durch die eigenthümlichen Verhältnisse Frankreichs gewaltsam gewordenen Impuls gab. Dieser Geist war aber dem Herrschersinne Napoleons in seiner innersten Seele verhaßt; jede freisinnige selbstständige Regung galt ihm für ein thörichtes Hirngespinnst der Ideologie, die den Menschen nicht kenne und die deßhalb nicht ahne, wie solches Gesindel behandelt werden müsse. Sein Ideal war der Verwaltungsstaat Karls des Großen, aber ohne Maiversammlungen, in Verbindung mit dem Briefadel und dem Lehnswesen der spätern schlechtern Jahrhunderte des Mittelalters. Und doch ward und wird dieser Mann von dem größten Theile des Continents, und namentlich von vielen Deutschen, als das Musterbild eines großen und weisen Fürsten erhoben und gepriesen, während die herrlichsten Menschen, die Wohlthäter des Geschlechts ruhmlos hinsanken und hinsinken in ein dunkles Grab, der Mißachtung preisgegeben und der Vergessenheit! Die Sonnenstrahlen, zurückprallend von den abschüssigen, mit rothem Sand und feinem Staub überdeckten Hügelreihen erregten solch einen Qualm in den Felsenritzen, daß man nur mit Mühe Athem schöpfen konnte. Kein Lüftchen regte sich, kein Vogel ließ seine Stimme erschallen; nirgendwo eine Spur lebender Wesen, lebensfrischer Vegetation. Nur hie und da verkrüppeltes Tannengesträuch, in der Weise, wie es in hohen Breiten mühsam sich fortschleppt, das einzige Labsal für die von dem Flugsand angegriffenen und geblendeten Augen. Dieser öde und düstere Anblick des innern Landes paßte ganz zu der Stimmung, mit welcher ich Napoleons Grab besuchte. „Wir

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 181. Augsburg, 29. Juni 1840, S. 1433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_181_18400629/9>, abgerufen am 23.04.2024.