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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Landespolizei gelang, das offene Räuberthum zurückzudrängen,
welches sich darauf in das bürgerliche Leben flüchtete, seitdem treibt
das Gaunerthum seine Kunst wie ein friedliches bürgerliches Ge-
werbe, bis die Gelegenheit es zur Vereinigung in größere und
offene Gruppen wieder zusammenruft. Seitdem das Gaunerthum
den Glauben an die Kraft und Gewalt der Landespolizei ge-
wonnen hat, seitdem wagt der Gauner nicht leicht mehr den offenen
räuberischen Angriff. Heimlich, zur Nachtzeit, mit geschwärzten
Gesichtern, dicht vermummt, überfielen häufig selbst die Wüthriche
der Niederländischen Banden die schlafenden Bürger und wichen
vor der muthigen Gegenwehr zurück. Der Gauner spionirt jetzt
die Gelegenheit aus, wo er muthig sein darf. Nur in Gesell-
schaft seiner Genossen und im Verlaß auf sie ist er muthig gegen
die Schwachheit bis zur brutalsten Grausamkeit. Darum sind
ihm große erschütternde Begebenheiten mit der begleitenden Aen-
derung oder Lähmung der gewohnten Ordnung willkommen.
Nirgends tritt das Gaunerthum sichtbarer hervor als bei Kriegs-
bewegungen, Auflaufen, Feuersbrünsten und sonstigen Unglücks-
fällen. 1) Ja, die Brandfackel ist sogar ein furchtbares Mittel in
der Hand des Gauners, um im Tumult des Unglücks die feige
Gaunerkunst zu üben. So schleicht der Gauner schwach und
muthlos als Lieferant und Marketender hinter den Heeren einher,
um in ihren gewaltigen Spuren seine Ernte zu halten; so läßt
der Gauner sich als Freischärler oder Soldat in Uniform kleiden,

1) Von jener Feigheit und elenden Ausbeutung des Unglücks enthält unter
anderm auch das auf dem baseler Staatsarchiv befindliche "Rothe Buch von
Basel", vom Jahre 1357, interefsante Notizen über bestrafte Diebereien bei
dem großen Erdbeben am 18. October 1356. Dort heißt es unter anderm
S. 1 u. 5: "§ Heintzman der svn von friburg, Hanneman Hefinger der Bermender,
Meisterli der kannengiesser swuorent an dem Cinstag nach dem Jnganden Jare
fünf Jar ein mile von der stat, vmbe daz si den lüten ir Jsen in dem Ert-
pidem abbrachen vnd daz verkouften." Und ferner: "§ Wisherli sol ein Jar
leisten, das er vnd Hirte in dem Ertpidem dem ... Berner sin laden vf
brachen." Vgl. "Basel im 14. Jahrhundert", S. 226.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 2

Landespolizei gelang, das offene Räuberthum zurückzudrängen,
welches ſich darauf in das bürgerliche Leben flüchtete, ſeitdem treibt
das Gaunerthum ſeine Kunſt wie ein friedliches bürgerliches Ge-
werbe, bis die Gelegenheit es zur Vereinigung in größere und
offene Gruppen wieder zuſammenruft. Seitdem das Gaunerthum
den Glauben an die Kraft und Gewalt der Landespolizei ge-
wonnen hat, ſeitdem wagt der Gauner nicht leicht mehr den offenen
räuberiſchen Angriff. Heimlich, zur Nachtzeit, mit geſchwärzten
Geſichtern, dicht vermummt, überfielen häufig ſelbſt die Wüthriche
der Niederländiſchen Banden die ſchlafenden Bürger und wichen
vor der muthigen Gegenwehr zurück. Der Gauner ſpionirt jetzt
die Gelegenheit aus, wo er muthig ſein darf. Nur in Geſell-
ſchaft ſeiner Genoſſen und im Verlaß auf ſie iſt er muthig gegen
die Schwachheit bis zur brutalſten Grauſamkeit. Darum ſind
ihm große erſchütternde Begebenheiten mit der begleitenden Aen-
derung oder Lähmung der gewohnten Ordnung willkommen.
Nirgends tritt das Gaunerthum ſichtbarer hervor als bei Kriegs-
bewegungen, Auflaufen, Feuersbrünſten und ſonſtigen Unglücks-
fällen. 1) Ja, die Brandfackel iſt ſogar ein furchtbares Mittel in
der Hand des Gauners, um im Tumult des Unglücks die feige
Gaunerkunſt zu üben. So ſchleicht der Gauner ſchwach und
muthlos als Lieferant und Marketender hinter den Heeren einher,
um in ihren gewaltigen Spuren ſeine Ernte zu halten; ſo läßt
der Gauner ſich als Freiſchärler oder Soldat in Uniform kleiden,

1) Von jener Feigheit und elenden Ausbeutung des Unglücks enthält unter
anderm auch das auf dem baſeler Staatsarchiv befindliche „Rothe Buch von
Baſel“, vom Jahre 1357, interefſante Notizen über beſtrafte Diebereien bei
dem großen Erdbeben am 18. October 1356. Dort heißt es unter anderm
S. 1 u. 5: „§ Heintzman der ſvn von friburg, Hanneman Hefinger der Bermender,
Meiſterli der kannengieſſer ſwuorent an dem Cinſtag nach dem Jnganden Jare
fünf Jar ein mile von der ſtat, vmbe daz ſi den lüten ir Jſen in dem Ert-
pidem abbrachen vnd daz verkouften.“ Und ferner: „§ Wisherli ſol ein Jar
leiſten, das er vnd Hirte in dem Ertpidem dem ... Berner ſin laden vf
brachen.“ Vgl. „Baſel im 14. Jahrhundert“, S. 226.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 2
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[17/0029] Landespolizei gelang, das offene Räuberthum zurückzudrängen, welches ſich darauf in das bürgerliche Leben flüchtete, ſeitdem treibt das Gaunerthum ſeine Kunſt wie ein friedliches bürgerliches Ge- werbe, bis die Gelegenheit es zur Vereinigung in größere und offene Gruppen wieder zuſammenruft. Seitdem das Gaunerthum den Glauben an die Kraft und Gewalt der Landespolizei ge- wonnen hat, ſeitdem wagt der Gauner nicht leicht mehr den offenen räuberiſchen Angriff. Heimlich, zur Nachtzeit, mit geſchwärzten Geſichtern, dicht vermummt, überfielen häufig ſelbſt die Wüthriche der Niederländiſchen Banden die ſchlafenden Bürger und wichen vor der muthigen Gegenwehr zurück. Der Gauner ſpionirt jetzt die Gelegenheit aus, wo er muthig ſein darf. Nur in Geſell- ſchaft ſeiner Genoſſen und im Verlaß auf ſie iſt er muthig gegen die Schwachheit bis zur brutalſten Grauſamkeit. Darum ſind ihm große erſchütternde Begebenheiten mit der begleitenden Aen- derung oder Lähmung der gewohnten Ordnung willkommen. Nirgends tritt das Gaunerthum ſichtbarer hervor als bei Kriegs- bewegungen, Auflaufen, Feuersbrünſten und ſonſtigen Unglücks- fällen. 1) Ja, die Brandfackel iſt ſogar ein furchtbares Mittel in der Hand des Gauners, um im Tumult des Unglücks die feige Gaunerkunſt zu üben. So ſchleicht der Gauner ſchwach und muthlos als Lieferant und Marketender hinter den Heeren einher, um in ihren gewaltigen Spuren ſeine Ernte zu halten; ſo läßt der Gauner ſich als Freiſchärler oder Soldat in Uniform kleiden, 1) Von jener Feigheit und elenden Ausbeutung des Unglücks enthält unter anderm auch das auf dem baſeler Staatsarchiv befindliche „Rothe Buch von Baſel“, vom Jahre 1357, interefſante Notizen über beſtrafte Diebereien bei dem großen Erdbeben am 18. October 1356. Dort heißt es unter anderm S. 1 u. 5: „§ Heintzman der ſvn von friburg, Hanneman Hefinger der Bermender, Meiſterli der kannengieſſer ſwuorent an dem Cinſtag nach dem Jnganden Jare fünf Jar ein mile von der ſtat, vmbe daz ſi den lüten ir Jſen in dem Ert- pidem abbrachen vnd daz verkouften.“ Und ferner: „§ Wisherli ſol ein Jar leiſten, das er vnd Hirte in dem Ertpidem dem ... Berner ſin laden vf brachen.“ Vgl. „Baſel im 14. Jahrhundert“, S. 226. Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 2

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/29>, abgerufen am 29.03.2024.