überhaupt und vor dem eigenen Besitz, den er nur mit dem Wag- niß des raschen Unternehmens, ohne langwierige saure Arbeit er- wirbt. Er genießt nicht den Besitz, sondern er bewältigt ihn wie ein Hinderniß an seiner weitern gaunerischen Thätigkeit, und trägt dabei seiner rohen Sinnlichkeit volle Rechnung. Dieser Zug und die bewußte Nothwendigkeit, des verrätherischen Diebstahlsobjects so rasch als möglich entledigt zu sein, bestimmt den Gauner, das gestohlene Gut ohne langen Handel an die Schärfenspieler, die als sichere Vertraute seinem Schritt und Tritt folgen, häufig für ein Spottgeld zu verkaufen, wenn er es nicht in äußerst mannichfacher geschickter Weise kawure gelegt hat, wo dann die Noth des Augen- blicks nicht drängt und Zeit zu einem vortheilhaftern Handel ge- wonnen wird. Das fatalistische Sprichwort: "Unrecht Gut ge- deiht nicht gut" hat somit bei dem Gauner auch eine innere Noth- wendigkeit. Am Ausgeben erkennt man überhaupt, wie der Mensch den Erwerb versteht. Der solide reiche Mann bringt der Sphäre, in welcher er lebt, genau soviel an pecuniären Opfern, wie ihm die wohlbegriffene Nothwendigkeit vorschreibt, um sich auf dieser Sphäre zu halten. Dies Maß ist ihm natürlich und indivi- duell, und verleiht ihm daher die natürliche volle Würde des reichen Mannes. Der als vornehmer Herr reisende Gauner macht aber umgekehrt glänzende Ausgaben, um damit die Würde zu gewinnen. Er versteht das Ausgeben nicht, weil er nicht mit jener Natür- lichkeit und jenem Takt ausgibt, mag er sonst noch so sehr die Formen der höhern socialen Sphäre sich angeeignet haben. Eine einzige ungeschickte Ausgabe verräth den Gauner an den Polizei- mann, der jenes Maß kennt und zu beobachten und zu würdigen weiß. Bei jener Hast des Erwerbs, des Besitzes und Verthuns bestimmt des Gauners rohe Sinnlichkeit ihn, alles zusammen zu raffen, um in Masse zu genießen, was ihn durch den Mangel an Maß, Wahl und Wechsel mehr betäubt als erfreut. Daher die brutalen Orgien und die schändlichen Laster in den Chessen- pennen, in die der Blick des Polizeimanns nur selten fallen kann, da diese Chessenpennen, deren Jnhaber vertraute Freunde und Genossen der Gauner sind, unter dem Schein schlichter ehrbarer
überhaupt und vor dem eigenen Beſitz, den er nur mit dem Wag- niß des raſchen Unternehmens, ohne langwierige ſaure Arbeit er- wirbt. Er genießt nicht den Beſitz, ſondern er bewältigt ihn wie ein Hinderniß an ſeiner weitern gauneriſchen Thätigkeit, und trägt dabei ſeiner rohen Sinnlichkeit volle Rechnung. Dieſer Zug und die bewußte Nothwendigkeit, des verrätheriſchen Diebſtahlsobjects ſo raſch als möglich entledigt zu ſein, beſtimmt den Gauner, das geſtohlene Gut ohne langen Handel an die Schärfenſpieler, die als ſichere Vertraute ſeinem Schritt und Tritt folgen, häufig für ein Spottgeld zu verkaufen, wenn er es nicht in äußerſt mannichfacher geſchickter Weiſe kawure gelegt hat, wo dann die Noth des Augen- blicks nicht drängt und Zeit zu einem vortheilhaftern Handel ge- wonnen wird. Das fataliſtiſche Sprichwort: „Unrecht Gut ge- deiht nicht gut“ hat ſomit bei dem Gauner auch eine innere Noth- wendigkeit. Am Ausgeben erkennt man überhaupt, wie der Menſch den Erwerb verſteht. Der ſolide reiche Mann bringt der Sphäre, in welcher er lebt, genau ſoviel an pecuniären Opfern, wie ihm die wohlbegriffene Nothwendigkeit vorſchreibt, um ſich auf dieſer Sphäre zu halten. Dies Maß iſt ihm natürlich und indivi- duell, und verleiht ihm daher die natürliche volle Würde des reichen Mannes. Der als vornehmer Herr reiſende Gauner macht aber umgekehrt glänzende Ausgaben, um damit die Würde zu gewinnen. Er verſteht das Ausgeben nicht, weil er nicht mit jener Natür- lichkeit und jenem Takt ausgibt, mag er ſonſt noch ſo ſehr die Formen der höhern ſocialen Sphäre ſich angeeignet haben. Eine einzige ungeſchickte Ausgabe verräth den Gauner an den Polizei- mann, der jenes Maß kennt und zu beobachten und zu würdigen weiß. Bei jener Haſt des Erwerbs, des Beſitzes und Verthuns beſtimmt des Gauners rohe Sinnlichkeit ihn, alles zuſammen zu raffen, um in Maſſe zu genießen, was ihn durch den Mangel an Maß, Wahl und Wechſel mehr betäubt als erfreut. Daher die brutalen Orgien und die ſchändlichen Laſter in den Cheſſen- pennen, in die der Blick des Polizeimanns nur ſelten fallen kann, da dieſe Cheſſenpennen, deren Jnhaber vertraute Freunde und Genoſſen der Gauner ſind, unter dem Schein ſchlichter ehrbarer
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überhaupt und vor dem eigenen Beſitz, den er nur mit dem Wag-
niß des raſchen Unternehmens, ohne langwierige ſaure Arbeit er-
wirbt. Er genießt nicht den Beſitz, ſondern er bewältigt ihn wie
ein Hinderniß an ſeiner weitern gauneriſchen Thätigkeit, und trägt
dabei ſeiner rohen Sinnlichkeit volle Rechnung. Dieſer Zug und
die bewußte Nothwendigkeit, des verrätheriſchen Diebſtahlsobjects
ſo raſch als möglich entledigt zu ſein, beſtimmt den Gauner, das
geſtohlene Gut ohne langen Handel an die Schärfenſpieler, die als
ſichere Vertraute ſeinem Schritt und Tritt folgen, häufig für ein
Spottgeld zu verkaufen, wenn er es nicht in äußerſt mannichfacher
geſchickter Weiſe kawure gelegt hat, wo dann die Noth des Augen-
blicks nicht drängt und Zeit zu einem vortheilhaftern Handel ge-
wonnen wird. Das fataliſtiſche Sprichwort: „Unrecht Gut ge-
deiht nicht gut“ hat ſomit bei dem Gauner auch eine innere Noth-
wendigkeit. Am Ausgeben erkennt man überhaupt, wie der Menſch
den Erwerb verſteht. Der ſolide reiche Mann bringt der Sphäre,
in welcher er lebt, genau ſoviel an pecuniären Opfern, wie ihm
die wohlbegriffene Nothwendigkeit vorſchreibt, um ſich auf dieſer
Sphäre zu halten. Dies Maß iſt ihm natürlich und indivi-
duell, und verleiht ihm daher die natürliche volle Würde des reichen
Mannes. Der als vornehmer Herr reiſende Gauner macht aber
umgekehrt glänzende Ausgaben, um damit die Würde zu gewinnen.
Er verſteht das Ausgeben nicht, weil er nicht mit jener Natür-
lichkeit und jenem Takt ausgibt, mag er ſonſt noch ſo ſehr die
Formen der höhern ſocialen Sphäre ſich angeeignet haben. Eine
einzige ungeſchickte Ausgabe verräth den Gauner an den Polizei-
mann, der jenes Maß kennt und zu beobachten und zu würdigen
weiß. Bei jener Haſt des Erwerbs, des Beſitzes und Verthuns
beſtimmt des Gauners rohe Sinnlichkeit ihn, alles zuſammen zu
raffen, um in Maſſe zu genießen, was ihn durch den Mangel
an Maß, Wahl und Wechſel mehr betäubt als erfreut. Daher
die brutalen Orgien und die ſchändlichen Laſter in den Cheſſen-
pennen, in die der Blick des Polizeimanns nur ſelten fallen kann,
da dieſe Cheſſenpennen, deren Jnhaber vertraute Freunde und
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/39>, abgerufen am 15.10.2024.
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