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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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dem Schein christlicher Humanität gerüstete Proselyterei sehr rasch,
weit und nachhaltig um sich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April
1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von
Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um
Aufhebung des vom Kaiser auf Eisenmenger's "Entdecktes Juden-
thum" gelegten Arrestes und der vom König endlich selbst ange-
ordnete neue Abdruck dieses Werkes im Jahre 1711, welches nun
ganz besonders als Orakel bei Verfolgung jüdischer Verbrecher sich
geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die
jüdischen Cultusformen mit hastiger christlicher Forschung zu "ent-
decken" und fetzenweise in gelehrten Trödelbuden als pikante Curio-
sitäten zu Markte zu bringen.

Eine solche gelehrte Trödelbude sind die "Jüdischen Merck-
würdigkeiten" von J. J. Schudt. 1) Dem Verfasser stand in der
trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, sowie in der dortigen Do-
minicaner- und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken
von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geissen, welche er auch
in der Vorrede erwähnt, ein Quellenschatz zu Gebote, wie sol-
cher, namentlich zur damaligen Zeit, selten geboten wurde. Doch
ist dieser Schatz nur auf kümmerliche und geistlose Weise ausge-
beutet und zu einer wirren, wüsten Masse zusammengehäuft wor-
den, durch welche man sich nur mit großer Mühe und Entschlossen-
heit hindurchfinden kann. Die Geschichte des Judenthums in den
verschiedenen Ländern ist auf sehr platte, geistlose und bröckelige
Weise dargestellt. Ueberall sieht man die Quellen, aber nirgends
sieht man sie lebendig fließen und sprudeln. Allein gerade die
zahlreichen Aphorismen und Excerpte und der Abdruck einer nicht

1) "Jüdische Merckwürdigkeiten, Vorstellende was sich Curieuses und Denck-
würdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle
IV Theile der Welt, sonderlich durch Teutschland, zerstreuten Juden zugetragen.
Sammt einer vollständigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franck-
furt am Mayn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unsere
Zeiten, merckwürdigste Begebenheiten enthalten. Benebst einigen, zur Erläu-
terung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit historischer Feder in drey Thei-
len beschrieben" u. s. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714--18).

dem Schein chriſtlicher Humanität gerüſtete Proſelyterei ſehr raſch,
weit und nachhaltig um ſich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April
1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von
Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um
Aufhebung des vom Kaiſer auf Eiſenmenger’s „Entdecktes Juden-
thum“ gelegten Arreſtes und der vom König endlich ſelbſt ange-
ordnete neue Abdruck dieſes Werkes im Jahre 1711, welches nun
ganz beſonders als Orakel bei Verfolgung jüdiſcher Verbrecher ſich
geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die
jüdiſchen Cultusformen mit haſtiger chriſtlicher Forſchung zu „ent-
decken“ und fetzenweiſe in gelehrten Trödelbuden als pikante Curio-
ſitäten zu Markte zu bringen.

Eine ſolche gelehrte Trödelbude ſind die „Jüdiſchen Merck-
würdigkeiten“ von J. J. Schudt. 1) Dem Verfaſſer ſtand in der
trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, ſowie in der dortigen Do-
minicaner- und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken
von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geiſſen, welche er auch
in der Vorrede erwähnt, ein Quellenſchatz zu Gebote, wie ſol-
cher, namentlich zur damaligen Zeit, ſelten geboten wurde. Doch
iſt dieſer Schatz nur auf kümmerliche und geiſtloſe Weiſe ausge-
beutet und zu einer wirren, wüſten Maſſe zuſammengehäuft wor-
den, durch welche man ſich nur mit großer Mühe und Entſchloſſen-
heit hindurchfinden kann. Die Geſchichte des Judenthums in den
verſchiedenen Ländern iſt auf ſehr platte, geiſtloſe und bröckelige
Weiſe dargeſtellt. Ueberall ſieht man die Quellen, aber nirgends
ſieht man ſie lebendig fließen und ſprudeln. Allein gerade die
zahlreichen Aphorismen und Excerpte und der Abdruck einer nicht

1) „Jüdiſche Merckwürdigkeiten, Vorſtellende was ſich Curieuſes und Denck-
würdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle
IV Theile der Welt, ſonderlich durch Teutſchland, zerſtreuten Juden zugetragen.
Sammt einer vollſtändigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franck-
furt am Mayn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unſere
Zeiten, merckwürdigſte Begebenheiten enthalten. Benebſt einigen, zur Erläu-
terung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit hiſtoriſcher Feder in drey Thei-
len beſchrieben“ u. ſ. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714—18).
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[219/0253] dem Schein chriſtlicher Humanität gerüſtete Proſelyterei ſehr raſch, weit und nachhaltig um ſich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April 1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um Aufhebung des vom Kaiſer auf Eiſenmenger’s „Entdecktes Juden- thum“ gelegten Arreſtes und der vom König endlich ſelbſt ange- ordnete neue Abdruck dieſes Werkes im Jahre 1711, welches nun ganz beſonders als Orakel bei Verfolgung jüdiſcher Verbrecher ſich geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die jüdiſchen Cultusformen mit haſtiger chriſtlicher Forſchung zu „ent- decken“ und fetzenweiſe in gelehrten Trödelbuden als pikante Curio- ſitäten zu Markte zu bringen. Eine ſolche gelehrte Trödelbude ſind die „Jüdiſchen Merck- würdigkeiten“ von J. J. Schudt. 1) Dem Verfaſſer ſtand in der trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, ſowie in der dortigen Do- minicaner- und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geiſſen, welche er auch in der Vorrede erwähnt, ein Quellenſchatz zu Gebote, wie ſol- cher, namentlich zur damaligen Zeit, ſelten geboten wurde. Doch iſt dieſer Schatz nur auf kümmerliche und geiſtloſe Weiſe ausge- beutet und zu einer wirren, wüſten Maſſe zuſammengehäuft wor- den, durch welche man ſich nur mit großer Mühe und Entſchloſſen- heit hindurchfinden kann. Die Geſchichte des Judenthums in den verſchiedenen Ländern iſt auf ſehr platte, geiſtloſe und bröckelige Weiſe dargeſtellt. Ueberall ſieht man die Quellen, aber nirgends ſieht man ſie lebendig fließen und ſprudeln. Allein gerade die zahlreichen Aphorismen und Excerpte und der Abdruck einer nicht 1) „Jüdiſche Merckwürdigkeiten, Vorſtellende was ſich Curieuſes und Denck- würdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle IV Theile der Welt, ſonderlich durch Teutſchland, zerſtreuten Juden zugetragen. Sammt einer vollſtändigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franck- furt am Mayn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unſere Zeiten, merckwürdigſte Begebenheiten enthalten. Benebſt einigen, zur Erläu- terung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit hiſtoriſcher Feder in drey Thei- len beſchrieben“ u. ſ. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714—18).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/253>, abgerufen am 19.04.2024.